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Thesen zur politischen Ökonomie, der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen | APuZ 5/1985 | bpb.de

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APuZ 5/1985 Thesen zur politischen Ökonomie, der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen Ost-West-Handel: Entwicklung, Interessenlagen, Aussichten Die Osthandelspolitik des Westens: Konsens und Konflikt Die Ost-West-Finanzbeziehungen nach der Krise 1981— 1983

Thesen zur politischen Ökonomie, der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen

Heinrich Machowski, Hanns-Dieter Jacobsen, Klaus Schröder Klaus Hanns-Dieter Jacobsen Heinrich Machowski Schröder

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Zusammenfassung

Anfang der siebziger Jahre haben die RGW-Staaten versucht, ihren Handel mit dem industrialisierten Westen intensiv auszubauen. Das politische Umfeld war damals für eine solche Intensivierung ebenso günstig wie die Lage auf den westlichen Kreditmärkten für eine kreditfinanzierte Expansion des Ost-West-Handels. Aus einer ganzen Reihe von internen und externen Gründen sind diese Intensivierungsbemühungen jedoch gescheitert. Am wichtigsten war wohl die Exportschwäche dieser Staaten, die in den kleineren RGW-Staaten zu einem raschen Anstieg der Verschuldung führte, während sie in der Sowjetunion durch die ernorme Erlöszunahme beim Energieexport verdeckt wurde. Die Situation hat sich nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan sowie nach der Zahlungsunfähigkeit Polens und Rumäniens zusätzlich erschwert. Der Ost-West-Handel mündete in eine Stagnation; eine Integration Osteuropas in die Weltwirtschaft ist ebenso ausgeblieben wie intensivere Formen industrieller Kooperationen; der Westhandel der kleineren RGW-Staaten ist durch Kompensationsgeschäfte gegenwärtig erschwert. Die kleineren RGW-Staaten hatten 1982 und 1983 im Westhandel einen Exportüberschuß erzielt und damit — mit Ausnahme von Polen. — bewiesen, daß sie ihre Zahlungsbilanz durchaus unter Kontrolle haben. Das Schuldenproblem ist für sie damit noch lange nicht erledigt; dies wird erst dann der Fall sein, wenn sie die benötigten Leistungsbilanzüberschüsse nicht durch eine restriktive Importpolitik, sondern durch eine entsprechende Exportsteigerung erwirtschaften. Es ist ungewiß, ob dieses Ziel kurz-und mittelfristig zu erreichen sein wird. Für die zukünftige Entwicklung des sowjetischen Westhandels ist demgegenüber nicht der Schuldendienst, sondern die Tatsache entscheidend, daß die Deviseneinnahmen aus dem Energieexport stagnieren — damit entfällt der bisherige Wachstumsmotor dieses Handels. Auch die Hoffnung auf einen nachhaltigen konjunkturellen Aufschwung in den westlichen Industrieländern hat bisher getrogen, und die politischen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung des Ost-West-Handels sind gegenwärtig im Westen schlechter als zu Beginn der siebziger Jahre.

1. Die Sowjetunion hat Ende der sechziger Jahre ihre frühere Autarkiepolitik zugunsten eines kontrollierten West-Engagements aufgegeben. Später wurde die intensivere Nutzung der Wirtschaftsbeziehungen zum industrialisierten Westen zu einem der wichtigsten Motive der sowjetischen und osteuropäischen Entspannungspolitik. Im Verlaufe dieses Prozesses wurde dann konsequenterweise die frühere, außenpolitisch und ideologisch begründete Unterscheidung in einen „sozialistischen“ und in einen „kapitalistischen" Weltmarkt fallengelassen und das politische Osteuropa zu einem integralen Bestandteil der Weltwirtschaft erklärt. Dieses außenpolitische Ziel wurde auf dem RGW-Wirtschaftsgipfel, der im Juni 1984 stattfand, eindrucksvoll bestätigt und für die Zukunft politisch abgesichert. In Moskau und anderswo in Osteuropa haben die Anhänger einer neuen Autarkie, die nach der Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die UdSSR und Polen durch die NATO-Staaten zunächst Auftrieb erhalten hatten, seither wieder an Boden verloren. Allerdings sind auch die Regierungen der RGW-Staaten nach diesen Sanktionsmaßnahmen in Fragen der Abhängigkeit und wirtschaftlichen Sicherheit viel sensibler geworden.

2. Es ist eine andere Sache, daß die Wirtschaftskraft der RGW-Staaten bei weitem nicht ausreichte, um die Integration in die Weltwirtschaft im erhofften Tempo zu vollziehen. Das ist der wichtigste Grund für die relativ hohe Verschuldung der kleineren RGW-Staaten, während die enorme Erlöszunahme bei der Ausfuhr von Energie die Exportschwäche der sowjetischen Industrie verdeckt hat. Es zeigt sich, daß es gegenwärtig für den Ost-West-Handel ökonomisch bedingte, von politischen Faktoren weitgehend unabhängige Entwicklungsgrenzen gibt, die nur dann überwunden werden können, wenn die RGW-Staaten ihre Industrien modernisieren und es ihnen dadurch gelingt, ihr Warenangebot zu verbessern.

3. Den Ost-West-Handel kennzeichnen zu Beginn der achtziger Jahre folgende Merkmale: Die kleineren RGW-Staaten sind im Westen relativ hoch verschuldet, der Schuldendienst ist für sie eine relativ schwere Last. Eine engere Handelsverflechtung zwischen Ost und West ist ebenso ausgeblieben wie eine intensivere Integration des RGW-Raums in die Weltwirtschaft. Weder in der Sowjetunion noch in den NATO-Staaten ist eine essentielle, d. h. politisch gefährliche Abhängigkeit von diesem Handel eingetreten. Die industrielle Kooperation zwischen Ost und West konnte nicht intensiviert werden; dies gilt ganz besonders für die ost-westliche Kapitalverflechtung. Gegengeschäfte aller Art erschweren den Handel mit den kleineren RGW-Staaten.

4. Soll der Ost-West-Handel eine „Brücke über die Kluft, die Ost und West voneinander trennt", sein, soll er das Ost-West-Verhältnis insgesamt stabilisieren helfen und dafür sorgen, daß in dieser Beziehung weniger Konflikt und mehr Kooperation vorherrscht, dann sollte er von Marktkräften getragen werden. Konkret heißt dies: möglichst wenige Sonderkonditionen, Subventionen, Billigpreise und -kredite. Daraus ergeben sich zwei politische Schlußfolgerungen: Der Handel muß für beide Seiten, für Ost und West — im Rahmen der jeweiligen Markt-möglichkeiten —, wirtschaftlich vorteilhaft sein. Und wer Marktkonditionen bietet, der kann zusätzlich keine politischen Konzessionen fordern.

5. Die Ost-West-Finanzbeziehungen haben in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre durch das Instrument ungebundener Eurokredite ein gewisses Eigenleben geführt. Derzeit werden von westlicher Seite wieder gebundene Handelskredite, die also mit bestimmten Projekten verbunden sind, präferiert. Neufinanzierungen werden folglich eine Funktion konkreter Ost-West-Handelsgeschäfte sein. Für solche handelsfördernden Kredite bürgen zumeist staatliche Versicherungen. Darüber hinaus sind dann die privaten Banken gefordert, Engagement zu beweisen.

Marktnähe, mehr Transparenz und fristengerechte Finanzierung sowie weniger Zinssubventionen wären hierfür hilfreich.

6. Hinsichtlich der Rolle westlicher Regierungen ist zunächst zu betonen, daß Kreditsanktionen ein untaugliches Mittel zur Erreichung politischer Ziele gegenüber der Sowjetunion sind. Im Hinblick auf die Exportbürgschaftspolitik wäre jedoch zu prüfen, ob nicht wieder eine probeweise, für bestimmte kurzfristige Deckungsgeschäfte mögliche Wiedereinsetzung der ausgesetzten Hermes-Bürgschaften für Polen angezeigt wäre. Die westlichen Staaten sollten auch die Frage nach der Höhe des Bürgschaftsrahmens neu stellen, überschuldungsgefahren bei einzelnen kreditnehmenden Ländern sind auch in die Bürgschaftsgrundsätze einzubauen. Sonst werden die ursprünglichen Handelsförderungseffekte von Krediten schnell wieder aufgezehrt, wenn diese Länder zur Aufrechterhaltung ihrer Zahlungsfähigkeit die „Importbremse" (Handelsvernichtungseffekte) ziehen müssen.

7. Der Handlungsbedarf der Banken ist zu umschreiben mit einer „flexiblen Kreditpolitik". Sie zeichnet sich — qualitativ gesehen — bereits mit einer stärkeren Länderdifferenzierung ab, bedarf aber der quantitativen Ergänzung.

8. In den letzten Jahren sind die Ost-West-Wirtschafts-und -Finanzbeziehungen zunehmend zu einem Problem des Verhältnisses zwischen den USA und den übrigen westlichen Industriestaaten geworden. Unter Präsident Reagan hat sich in den USA die Auffassung durchgesetzt, daß der Ost-West-Handel das sowjetische Bedrohungspotential verstärkt.

Aus diesem Grund sollten die Exportkontrollen vor allem für fortgeschrittene Technologie verschärft und die Kreditvergabe eingeschränkt werden.

Demgegenüber waren die Westeuropäer und vor allem die Bundesrepublik bestrebt, die Ergebnisse der Entspannungspolitik der siebziger Jahre nicht zu gefährden. Sie stellten zunehmend ihre Eigeninteressen bei den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen heraus und hoben hervor, daß sie einen stabilisierenden Einfluß auf das gesamte Ost-West-Verhältnis hätten.

9. Der Widerstand der USA gegen den Ost-West-Handel kulminierte in ihren wirtschaftlichen Sanktionen gegen die UdSSR, die den Bau einer Erdgaspipeline von Sibirien nach Westeuropa behindern sollten. Als die USA im Sommer 1982 diese Sanktionen auf US-kontrollierte Firmen in Westeuropa ausdehnten, ignorierten diese Firmen mit Unterstützung ihrer Regierungen die amerikanischen Maßnahmen. Am 13. November 1982 hoben die USA die Sanktionen auf, nachdem sich die betroffenen Länder geeinigt hatten, den Ost-West-Handel einer grundlegenden Überprüfung zu unterziehen. Damit ging eine Auseinandersetzung zu Ende, die wie kaum eine andere das amerikanisch-westeuropäische Verhältnis belastet hat.

10. Der zwischen den USA und Westeuropa erzielte Konsens betonte, daß die Wirtschaftspolitik der westlichen Staaten gegenüber dem Osten auf der Grundlage einer globalen Politik gestaltet werden soll, die den gemeinsamen Sicherheitsinteressen dient Mit der UdSSR soll kein „Handelskrieg" geführt, aber der Handel auf die Basis ausgewogener Vorteile ohne Vorzugsbehandlung gestellt werden. Schließlich soll der Handel nicht zur Stärkung der strategisch-militärischen Fähigkeiten der UdSSR beitragen.

11. Die in verschiedenen internationalen Organisationen wie der OECD, der IEA, der NATO und dem COCOM durchgeführten Studien über den Ost-West-Handel haben nur wenig zur Formulierung einer westlichen Strategie zur Durchführung des Ost-West-Handels beigetragen. Lediglich im „Coordinating Committee" (COCOM), dem alle NATO-Länder (ohne Island und Spanien) sowie Japan angehören, und das sich mit militärisch begründeten Exportkontrollen befaßt, ist es zu einer Einigung über eine Verschärfung von Kontrollen gekommen.

12. Neuere Entwicklungen in den USA lassen Befürchtungen berechtigt erscheinen, daß der mühsam erzielte Konsens über den Ost-West-Handel von 1982 gefährdet ist:

— Kongreß und Administration sind nicht gewillt, auf die Möglichkeit der Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen aus außenpolitischen Gründen zu verzichten.

— Teile der US-Gesetzgebung sollen extraterritoriale Gültigkeit haben, also auch auf andere, z. B. westeuropäische Länder angewendet werden.

— Informationen im Bereich fortgeschrittener Technologie sollen eingeschränkt werden, selbst wenn dadurch die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen und die wissenschaftlich-technische Kooperation beeinträchtigt werden. 13. Der innerwestliche Streit über die richtige Ost-West-Handelsstrategie hat den engen Bereich der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen bereits verlassen und droht zu einer langfristigen Belastung der internationalen Arbeitsteilung zu werden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Heinrich A. Machowski, Dr. rer. pol., geb. 1936; seit 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin (West). Veröffentlichungen u. a.: Außenwirtschaftliche Reformen in den RGW-Staaten, 1970; Entwicklung und Bestimmungsgründe des Ost-West-Handels, 1974; (zus. mit Jochen Bethkenhagen) Integration im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe — Entwicklung, Organisation, Erfolge und Grenzen, 1976; Sowjetunion: Wachstumsfaktor Außenhandel, 1979; Die Verschuldung der Volksrepublik Polen gegenüber dem Westen: Gegenwärtiger Stand und Ausblick, 1980; (zus. mit Siegfried Schultz) RGW-Staaten und Dritte Welt: Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungshilfe, 1981; Aktuelle Probleme der Währungspolitik der RGW-Staaten, 1984; Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion — die sowjetische Perspektive, 1984.