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Strategische Rüstungskontrolle und Verteidigungspolitik unter Reagan. Eine Zwischenbilanz | APuZ 44/1985 | bpb.de

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APuZ 44/1985 Ist die Sowjetunion an Rüstungskontrolle interessiert? Strategische Rüstungskontrolle und Verteidigungspolitik unter Reagan. Eine Zwischenbilanz Strategische Stabilität als Folge von Entspannungs-und kooperativer Sicherheitspolitik SDI oder EUREKA? Die Position Frankreichs

Strategische Rüstungskontrolle und Verteidigungspolitik unter Reagan. Eine Zwischenbilanz

Barbara A. Fliess

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach ihrer Wiederwahl sieht die Regierung Reagan ihre strategische Sicherheitspolitik auf dem Prüfstein: Werden die Genfer Rüstungskontrollverhandlungen von einer generellen Wiederbelebung des Ost-West-Dialogs begleitet, so bleiben doch die Aussichten für dortige Fortschritte von Differenzen, insbesondere über die Forschungsinitiative SDI, überschattet Vorstellungen über eine mögliche Neuordnung der strategischen Beziehungen — das sogenannte „Strategie concept“ — prägen die amerikanischen Verhandlungsansätze in Genf genauso deutlich wie die ablehnende Haltung im Hinblick auf Konzessionen bei SDI und anderen Vorleistungen für ein Rüstungskontrollabkommen mit Moskau. Gleichzeitig setzt das gespaltene innenpolitische Umfeld den rüstungspolitischen Bemühungen der Administration Grenzen und fordert pragmatisches Management Die Verteidigungsausgaben stehen unter Kürzungsdruck. Vor dem Hintergrund des stagnierenden Rüstungskontrollprozesses der letzten Jahre hat Reagan sich zudem wiederholt mit dem Kongreß über Ziele, Vorteile und Gefahren seiner SALT-Politik sowie verschiedener strategischer Verteidigungsprogramme — MX, Antisatellitenwaffen (ASAT), SDI — auseinandersetzen müssen. Die Legislative ist in ihrer Zusammensetzung seit 1980 zwar konservativer geworden, engt den Handlungsraum der Administration in diesen Bereichen jedoch ein und fordert von ihr eine Berücksichtigung rüstungskontrollpolitischer Erfordernisse.

I. Der zweite Anlauf in Genf — Konturen eines neuen amerikanisch-sowjetischen Dialogs

Die Supermächte kommen wieder ins Gespräch — eine Entwicklung, die sowohl bei uns als auch in Amerika mit einer Mischung von Skepsis und hoffnungsvoller Erwartung verfolgt wird. Vorausgegangen war mit der Wiederwahl Reagans die Fortschreibung eines sicherheitspolitischen Programms, das in seiner Konzentration auf den beschleunigten Ausbau der amerikanischen Streitkräfte unter dem Motto . Aufrüstung vor Abrüstung" erneute Entschlossenheit und militärische Bereitschaft gegenüber der Sowjetunion demonstrieren sollte. Während im Weißen Haus das Kapitel der militärischen Stärkung keinesfalls als abgeschlossen gilt, räumt man nun aber auch hier wieder der Rüstungskontrolle und allgemeinen Verhandlungen mit Moskau einen höheren Stellenwert auf der außenpolitischen Agenda ein.

Seit dem vergangenen Jahr hat sich die antisowjetische Rhetorik der Administration erkennbar entschärft; der Wunsch nach einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen ist in zahlreichen Erklärungen des Weißen Hauses deutlich zutage getreten. Schon vorher war die Warnung vor der drohenden sowjetischen Überlegenheit bei der strategischen Rüstung (das sogenannte „window of vulnerability") diskret zu den Akten gelegt worden. Im Wahlkampf erhob Reagan die Bemühungen um Rüstungskontrolle zur Priorität seiner zweiten Amtszeit und stellte somit die Weichen für die komplexeste Gesprächsrunde (drei Themenbereiche, drei Unterhändler) in der bisherigen Geschichte der amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverhandlungen. Er bewirkte zudem eine Abschwächung der von konservativen Parteifreunden geforderten Betonung des amerikanischen Überlegenheitsanspruchs im republikanischen Wahlkampfprogramm; diese hat Moskau allerdings wenig beruhigt, zumal dort die „Strategische Verteidigungsinitiative" (SDI) als ein neuer Versuch der USA gewertet wird, den Gegner militärisch und technologisch zu übertrumpfen.

Immerhin hatte das Pentagon 1982 in seinen internen Verteidigüngsrichtlinien für die Haushaltsjahre 1984— 1988 gemeint, die Sowjets würden in absehbarer Zeit in erheblichen Wirtschaftsnöten stecken, und man solle dies mit der Erschließung neuer Gebiete des militärischen Wettbewerbs nützen. Als Zielvorgabe galt, das Rüstungsarsenal der anderen Seite zu entschärfen. Auf diesem Hintergrund hat sich denn auch der Schwerpunkt der Differenzen in den strategischen Beziehungen der Supermächte von den Offensiv-waffen der nuklearen Triade hin zum Sektor der militärischen Weltraumtechnologie verlagert. Wenn auch auf amerikanischer Seite von einer Rückkehr zur Entspannungspolitik der siebziger Jahre nicht die Rede ist, ergeben sich parallel zu den neuen Abrüstungsverhandlungen in diesem Jahr vielfältige Ansatzpunkte für eine generelle Belebung des Ost-West-Dialogs. Bislang suspendierte Wirtschaftsgespräche sind seit Beginn des Jahres wieder in Gang gekommen. Dem erfolgreichen Sondierungsgespräch zwischen Außenminister Shultz und seinem damaligen Amtskoliegen Gromyko über die Wiederaufnahme der Genfer Rüstungskontrollverhandlungen folgte die Unterzeichnung neuer amerikanisch-sowjetischer Vereinbarungen über sofortige Konsultationen im Falle einer tatsächlichen oder angedrohten Nuklearexplosion seitens eines Drittlandes.

Shultz und Schewardnadse begegneten sich Ende Juli 1985 bei der Feier des zehnten Jahrestages der Unterzeichnung der Helsinki-Akte, und Reagan konferierte mit dem neuen sowjetischen Außenminister anläßlich der Herbsttagung der UN-Vollversammlung. Vor allem aber ist für November mit dem Gipfeltreffen von Reagan und Gorbatschow die erste Zusammenkunft auf höchster Ebene seit sechs Jahren geplant. An sie sind insbesondere Erwartungen über Fortschritte bei den Abrüstungsverhandlungen geknüpft Außer-B dem fällt in diesen Zeitraum eine neue Über-prüfung der amerikanischen Haltung hinsichtlich des Ende 1985 ablaufenden SALT-2-Abkommens, dessen Vereinbarungen von den USA bislang zwar eingehalten, vom Kongreß jedoch nicht ratifiziert wurden.

Nach vier Jahren frostiger Großwetterlage ist die sich hier abzeichnende Verständigungsbereitschaft auf amerikanischer Seite eher auf einen pragmatischen Strategiewechsel im Weißen Haus als auf einen vermeintlich hohen Nachholbedarf Reagans an diplomatischen Erfolgen in seinen letzten Amtsjahren zurückzuführen. In letzter Zeit hat es in Moskau mehr Veränderungen in außen-und sicherheitspolitischen Schlüsselpositionen gegeben als in Washington, wo das Beraterteam des Präsidenten trotz interner Differenzen weitgehend intakt geblieben ist. Mit dem Einzug Gorbatschows in das höchste Parteiamt der KPdSU ist dort die jahrelange Phase sowjetischer Führungsschwächen zu Ende gegangen. Wo seit den letzten Amtsjahren Breschnews (abrüstungs-) politische Initiativen kaum über einen verbalen Schlagabtausch hinausreichten, müssen sich die USA nun auf eine neue, von langfristigem Kalkül bestimmte Politik der Sowjetunion einstellen.

Blieben vor diesem Hintergrund Fortschritte im Rüstungskontrollprozeß aus, an denen die Administration in Washington zunächst selbst wenig interessiert schien, so will Reagan nun Moskau auf halbem Wege bei der Schaffung eines „neuen Klimas der politischen Verständigung“ entgegenkommen, das wünschenswert und wesentlich sei, um Krisen zu vermeiden und Fortschritte beim Abbau von Nuklearwaffen zu erzielen. Unter anderem wurde auf Initiative Washingtons bereits ein bilateraler Meinungsaustausch über lokale und regionale Konfliktherde (Naher Osten, Afghanistan, das südliche Afrika) eingeleitet. Derartige Bemühungen auf verschiedenen Ebenen gehören zu den unerläßlichen Voraussetzungen, um auch der Gefahr einer Destabilisierung der militärischen Beziehungen beider Staaten entgegenzusteuern, die das amerikanische Programm der Erforschung weltraumgestützter Defensivwaffen (SDI) und die negative sowjetische Reaktion auslösen könnten. Als längerfristig angelegte „vertrauensbildende Maßnahmen" könnten diese Bemühungen über eine Verständigung über den Abbau von Nuklearwaffen hinaus eventuell den Weg zur kontrollierten Einführung von hochentwickelten Raketenabwehrsystemen auf beiden Seiten ebnen. Obwohl SDI auf Jahre hinaus angelegt ist, hat sich innerhalb der amerikanischen Regierung bereits eine rege Diskussion über die Einführung von Defensivwaffen und die dadurch bedingte Reform der Strategie der Abschreckung durch „mutual assured destruction" (MAD) entwickelt.

Die wohl maßgeblichsten wegweisenden Überlegungen dazu finden sich in dem von Rüstungskontrollberater Nitze angeregten „Strategie concept" Danach sollen die Bemühungen der kommenden Dekade auf eine mit Moskau ausgehandelte Reduzierung der nuklearen Offensivwaffen konzentriert sein, die Verteidigungsstrategie der USA in MAD verankert bleiben und beide Supermächte sich auf Aktivitäten im Bereich der Raketenabwehr beschränken, die nicht über den Rahmen des ABM-Vertrags von 1972 hinausgehen. In der darauffolgenden Übergangsphase sollen dann beide Seiten gleichzeitig und nach vorheriger Absprache zur Dislozierung einer Mischung aus Offensiv-und Defensiv-systemen übergehen, mit dem langfristigen Ziel, nichtnukleare Verteidigungssysteme zum Hauptpfeiler ihrer Rüstung und Verteidigungsstrategien zu machen.

Die Leitlinien des Weißen Hauses für die derzeitigen Genfer Verhandlungen fügen sich in diesen Entwurf ein. Wie schon bei den früheren Gesprächen über einen Abbau der strategischen Raketen (START), setzt Reagan auf eine effektive und verifizierbare Reduzierung dieser Waffen, bei der insbesondere der sowjetische Vorsprung bei schweren Interkontinentalraketen verringert werden soll. Im Bereich der Mittelstreckenraketen bleibt seine Präferenz eine vollständige Beseitigung dieser Waffenkategorie. Außerdem will man nun das Thema Weltraumwaffen wie auch das Verhältnis zwischen offensiver und defensiver Rüstung erörtern, wobei jedoch SDI entgegen den sowjetischen Forderungen von der Liste der Verhandlungsgegenstände ausgeklammert bleiben soll. Geklärt werden sollen hingegen vor allem zweifelhafte sowjetische Rüstungsaktivitäten, die in den USA als Zeichen der Erosion des ABM-Vertrags gedeutet werden.

Das Haupthindernis für Bewegung am Verhandlungstisch besteht darin, daß — ähnlich der amerikanischen Vorbehalte Anfang der siebziger Jahre, einer dauerhaften Begrenzung der Raketenabwehrwaffen (ABM-Vertrag) nur in Verbindung mit Parallelvereinbarungen über eine strikte Begrenzung der strategischen Offensivwaffen zuzustimmen — Moskau heute kein Abkommen über eine strategische Abrüstung schließen will, ohne ein ausgehandeltes Verbot oder zumindest Begrenzungen über die Entwicklung und Dislozierung von weltraumgestützten Defensiv-systemen in der Tasche zu haben Die SDf war nun der ausschlaggebende Grund, daß die Sowjets an den Verhandlungstisch in Genf zurückgekehrt sind. Gleichzeitig hält das Weiße Haus an seinem Grundsatz fest, Rüstungsselbstbeschränkungen oder andere Vorleistungen für ein neues Rüstungskontrollabkommen abzulehnen. So hat es sich von den freiwilligen Moratoriumserklärungen der Sowjets bei der Erprobung von Antisatellitenwaffen (ASAT) und der Dislozierung von Mittelstreckenraketen wenig beeindruckt gezeigt und sie al Propaganda abgetan. Es weigert sich ebenfalls, dem derzeitigen befristeten Atomtest-Stopp auf sowjetischer Seite Folge zu leisten.

Nach Abbruch der START-Verhandlungen Ende 1983 zirkulierten damals ähnliche Rüstungskontrollvorschläge auch in Washington. Vom Senat war der Präsident noch im vergangenen Jahr in einer Resolution aufgefordert worden, Moskau ein umfassendes Atomtest-Verbot anzubieten oder diesem Haus zumindest den Schwellenvertrag von 1974 und den Vertrag über unterirdische Nuklearexplosionen zu friedlichen Zwecken zur Ratifizierung vorzulegen — beide Forderungen blieben ohne Resonanz. Diese Abkommen werden zwar informell eingehalten, doch gibt es nach Auffassung Reagans ohne die Verifikationsmöglichkeit einer Vor-Ort-Inspektion keine Garantie, daß auch die Sowjets deren Bestimmungen strikt befolgen. Daher zielt die wiederholt erfolgte Einladung an sowjetische Experten, einer amerikanischen Nuklearexplosion an Ort und Stelle beizuwohnen, darauf ab, einen Austausch von Beobachtern durchzusetzen. Auch bei neuen Abrüstungs-oder Begrenzungsabkommen würde die Administration strenge Maßstäbe hinsichtlich einer effektiven Kontrolle anlegen.

II. Verteidigung zu Land und im Weltraum — die Innenpolitischen Spannungsfelder

1980 versprach Reagan, einen zügigen Abbau der amerikanischen Streitkräfte vorzunehmen, vor allem im strategischen Bereich. Zwar sind hier inzwischen Fortschritte gemacht worden, doch wird die Anschaffung vieler der neuen Waffen, wie die MX-Rakete oder der B-lB-Bomber, erst Ende der Dekade abgeschlossen sein und die Produktion anderer Waffensysteme — wie der Stealth-Bomber oder der Midgetman — erst in den neunziger Jahren anlaufen. Vor allem aber hat sich der anfänglich sichtbare starke innenpolitische Konsens hinter den sicherheitspolitischen Initiativen dieser Administration zusehends gespalten. Die jüngsten Entwicklungen in den USA signalisieren, daß die Zustimmung für forcierte Rüstungsanstrengungen ihren Höhepunkt bereits überschritten und sowohl im Kongreß als auch in der Bevölkerung abzubröckeln begonnen hat. Dies zeigt sich z. B. daran, daß der diesjährige Zuwachs der Ausgaben im Verteidigungsbereich — ein Gesamtetat von rund 300 Mrd. Dollar — nur dem Inflationsausgleich entspricht. Er liegt somit weit hinter dem realen Wachstum von 6%, das der Regierungsentwurf vorgesehen und der Kongreß noch für 1985 bewilligt hatte. Selbst die ansonsten loyale republikanische Senatsführung weigerte sich, die Forderungen des Pentagon zu unterstützen. Daß damit sogar die vom demokratischen Präsidentschaftsbewerber Mondale befürwortete Steigerungsrate von real 3% deutlich unterschritten wurde, ist in erster Linie der wachsenden Besorgnis über das Haushaltsdefizit des Bundes zuzuschreiben. Nicht zuletzt aus diesen Motiven wird das Pentagon — aber auch wegen der sich häufenden Fälle von Mißmanagement bei der Rüstungsbeschaffung — härter in die Mangel genommen.

Rüstungskontrollüberlegungen auf dem Capitol Hill bleiben der andere gewichtige Faktor. Sie kommen am deutlichsten in der Kürzung der Mittel für die MX-Rakete oder für SDI zum Ausdruck sowie in zahlreichen Auflagen, die der Kongreß in den vergangenen Jahren in Verbindung mit seinen Ermächtigungsund Bewilligungsgesetzen im Verteidigungsbereich verabschiedet hat. Wenn sich der Rüstungsetat seit 1980 auch nominal verdoppelt hat, so kann von einer ungezügelten Aufrüstung unter Reagan keine Rede sein. Dies gilt insbesondere für Initiativen im strategischen Bereich, welche die USA in die Lage versetzen sollen, aus einer starken Position heraus Moskau zu einem Abrüstungsabkommen zu bewegen. 1. Raketenrüstung Während der Ausbau des seegestützten Nuklearpotentials sowie die Modernisierung der strategischen Luftstreitkräfte mit 100 B-1BBombern (und später dem Stealth-Bomber) planmäßig vorangeht, hat die Administration das kontroverse MX-Programm wiederholt nur knapp vor der Streichung durch den Kongreß gerettet. Seit Reagan die Dislozierungspläne Carters verworfen und sich für einen immobilen Aufstellungsmodus für diese zehn-gefechtsköpfigen Interkontinentalraketen entschieden hat, machen ihm konservative Politiker den Vorwurf, die Funktion dieser ursprünglich als mobil konzipierten Rakete verfehlt zu haben — nämlich die Verwundbarkeit des landgestützten Nukleararsenals durch schwere und zielgenaue sowjetische Fernraketen zu vermindern. An der zweiten Rechtfertigung für die MX — ihre Funktion als treffgenaue „counterforce" -Waffe — stoßen sich wiederum die liberalen Kräfte. Sie lehnen das Waffensystem grundsätzlich ab, da es aufgrund seiner technischen Merkmale von den Sowjets als Erstschlagwaffe begriffen werden könne, mit der Folge neuer Eskalationen im Rüstungswettlauf.

Mehrmalige Änderungen der MX-Dislozierungspläne haben im Laufe der vergangenen Jahre nicht nur die Glaubwürdigkeit in die Funktionsfähigkeit der Waffe beeinträchtigt. Auch das Argument des Weißen Hauses, die MX stelle einen unentbehrlichen Hebel bei den Abrüstungsverhandlungen dar, hat an Glaubwürdigkeit eingebüßt: Zunächst wurde die Ausgangsposition Reagans für START kritisiert, zu einseitig auf die Reduzierung schwerer sowjetischer Interkontinentalraketen ausgerichtet und daher nicht verhandlungsfähig zu sein. Dann nahm die demokratische Opposition das Scheitern von START als Anlaß für die Beschwerde, die angelaufene Produktion der MX-Raketen habe keine Fortschritte am Verhandlungstisch bewirkt. Um 1983 die Beschaffung der ersten Raketen überhaupt im Kongreß durchsetzen zu können, sah sich daher die Administration gezwungen, die ursprünglichen Aufstellungspläne von 200 MX um die Hälfte zu kürzen und das Empfehlungspaket der Scowcroft-Kommission zu akzeptieren. Danach sollte sie die MX in alten Minuteman-Silos unterbringen, eine kleine und mobile zweite neue Interkontinentalrakete (Midgetman) entwickeln und die START-Bedingungen überdenken. Der Kongreß nützte diesen Augenblick, um seine Unterstützung der MX-Politik Reagans als „bargaining chip" für den Einfluß in den Genfer Verhandlungsprozeß geltend zu machen und die Revision der START-Position im Herbst 1983 aktiv mitzubestimmen.

Der haushohe Wahlsieg Reagans sowie vor allem die neu eingeleiteten Abrüstungsverhandlungen haben den Produktionsnachschub der MX aufrechterhalten, allerdings in kleineren Losen als vom Pentagon vorgesehen. So gelang es dem Präsidenten mit Hinweis auf die Notwendigkeit einer militärisch gestärkten und politisch geschlossenen Verhandlungsposition, im Kongreß die Aufhebung einer Produktionssperre für das Haushaltsjahr 1985 zu bewirken. Gemäßigte Politiker warnen aber, daß das weitere Schicksal der Raketen an die Demonstration beider Seiten geknüpft sei, guten Willens und flexibel in Genf verhandeln. Reagan wurde vom Kongreß bereits gezwungen, das zur Dislozierung in Minuteman-Silos vorgesehene Gesamtkontingent von 100 MX nochmals um die Hälfte zu verkleinern.

Um doch noch eine vollzählige Stationierung zu erreichen und die Zweifel über die Effektivität des Waffensystems zu zerstreuen, hält die Administration nun wieder Ausschau nach neuen Dislozierungsmethoden, durch die die Waffen überlebungsfähiger gemacht werden können. In diesem Zusammenhang gewinnt auch eine Neueinschätzung des CIA über die Leistungsfähigkeit der sowjetischen Mehrgefechtskopf-Rakete SS19 an Bedeutung. Entgegen den Analysen, die zur Zeit Carters dem „window of vulnerability" -Argument Auftrieb gaben, glauben Experten nun nicht mehr, daß dieses Raketenabwehrsystem die Treffsicherheit besitzt, um amerikanische Raketensilos bei einem Erstschlag zu gefährden Tatsache aber ist, daß man im Kongreß inzwischen mit großzügig bewilligten Forschungsmitteln der sich noch im Entwicklungsstadium befindenden Midgetman-Rakete immer mehr den Vorzug gibt. Die kleinere Größe dieses eingefechtsköpfigen Systems soll seine Mobilität und somit seine Unzerstörbarkeit garantieren. Außerdem eignet es sich nicht als Erstschlagswaffe gegen militärische Ziele.

Die Demokraten sehen zudem in der Förderung dieses Projekts sowie nichtnuklearer Rüstungsinitiativen (u. a. ihr ausschlaggebendes Plazet zur Wiederaufnahme der Produktion von chemischen Waffen) eine Gelegenheit, sich ihrem Image der „anti-defense" -Partei zu entledigen. 2. Weltraumtechnologie (SDI)

Auch auf dem Gebiet der Weltraumtechnologie sind die verteidigungspolitischen Initiativen der Reagan-Administration von Kontroversen begleitet. Im Mittelpunkt steht die vom Präsidenten im März 1983 überraschend verkündete „Strategische Verteidigungsinitiative" (SDI), mit der ein nichtnukleares, weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem in Aussicht gestellt wird, das die Zivilbevölkerung schützen und vielleicht sogar eines Tages Nuklearwaffen praktisch überflüssig machen könnte. Damit werden zum ersten Mal seit dem ABM-Vertrag Defensivwaffen wieder ernsthaft als Komponente der amerikanischen Verteidigungsstrategie erwogen.

Das gegenwärtig einzige formale strategische Rüstungskontrollabkommen gestattet die Errichtung von nur zwei (seit 1974 nur einer einzigen) Raketenabwehranlagen zu Lande und untersagt die Entwicklung und Dislozierung von weltraumgestützten ABM-Systemen — aber nicht ihre Erforschung. Bislang haben die USA auf eine Anlage, die vergleichbar dem sowjetischen ABM-Ring um Moskau ist, verzichtet, über Jahre hinweg hielten sich die Forschungsarbeiten an ABM-Technologien in bescheidenem Rahmen. Das breitangelegte SDI-Programm signalisiert nun das Ende dieser Selbstbeschränkung. Unter der zentralen Kontrolle der im vorigen Jahr vom Pentagon eingerichteten „Strategie Defense Initiative Organization" sollen konkrete wissenschaftliche Ergebnisse erarbeitet werden. Dabei stellt das Programm die Regierung längerfristig vor ein Dilemma: Um die politischen und finanziellen Konsequenzen einer massiven Investition in das Anti-Raketen-System tragen zu können, bedarf es der Zuversicht, daß dieses System einen effektiven Schutz bietet. Sicherheit darüber können letztendlich nur ausgiebige Erprobungen schaffen, die aber der ABM-Vertrag untersagt. So kann eigentlich nur die Verletzung dieses Vertrags Aufschluß darüber geben, ob SDI dessen Kündigung rechtfertigt oder nicht Der Ausweg, auf den Reagan bereits hingewiesen hat, von dem Moskau aber nichts wissen will, ist eine gemeinsam formulierte Änderung des Vertrags mit dem Ziel, einen breiteren Spielraum für die Entwicklung und Aufstellung von Verteidigungssystemen zu schaffen.

SALT-Kritiker vom rechten republikanischen Flügel haben schon seit längerem die Entwicklung moderner land-und weltraumgestützter Defensivwaffen befürwortet und die Reagan-Administration wiederholt zur Kündigung des ABM-Vertrags aufgefordert. Der Präsident selbst verficht die SDI als notwendige Ergänzung seiner Bemühungen zur nuklearen Rüstungskontrolle; bisher habe der Rüstungskontrolldialog den Amerikanern kein „Mehr“ an Sicherheit gebracht, außerdem sei Moskau auf dem Gebiet der Raketenabwehr äußerst aktiv. Deshalb wendet er sich auch entschieden gegen sowjetische Bemühungen, das als „lebenswichtig" bezeichnete Forschungsprogramm am Verhandlungstisch zu blockieren oder zu begrenzen.

Je weiter man sich aber auf dem politischen Spektrum nach links begibt, desto heftiger wird diese Haltung kritisiert. Zwei Argumente stehen hierbei im Vordergrund: die Eskalation des Wettrüstens und, gleichsam als die andere Seite der Medaille, die Behinderung der Rüstungskontrolle. Auch hat der Präsident trotz seiner Popularität und seiner Vision einer Beendigung der nuklearen „balance of terror" es bislang nicht vermocht, die breite Unterstützung der Bevölkerung für SDI zu gewinnen. Dies ist bemerkenswert, da es noch nicht so lange her ist, daß eine landesweit geführte Kampagne für einen atomaren Rüstungsstopp (freeze) in den USA zu der größten Anti-nuklear-Protestwelle der Nachkriegszeit führte. Die öffentliche Meinung reagierte zudem sehr empfindlich, als 1982 bekannt wurde, daß es in der militärischen Gesamtplanung des Pentagon Eventualpläne für eine kontrollierte, zeitlich hinausgezogene nukleare Kriegführung gibt, mit dem Ziel, im Falle eines Versagens der Abschrekkung auch aus einem Atomkrieg noch siegreich hervorzugehen. Die Mehrheit der Amerikaner glaubt nicht, daß in einem solchen Krieg der Schlagabtausch zwischen den Supermächten auf militärische Ziele begrenzt gehalten werden kann. Aber sie lehnt auch die Entwicklung von nichtnuklearen Raketenabwehrsystemen ab, insbesondere, wenn damit die Verletzung oder Kündigung des ABM-Vertrags verbunden wäre Vorbehalte von Rüstungsexperten gegenüber den Kosten und Erfolgsaussichten hinsichtlich eines weltraumgestützen Schutzschirmsvertiefen die Skepsis im Land und haben den Kongreß die Zuwachsraten des SDI-Budgets kürzen lassen. Das Weiße Haus hat versichern müssen, die Forschungsarbeiten konform mit dem ABM-Vertrag zu halten, die Anschaffung der Waffen nur dann ins Auge zu fassen, wenn sowohl deren Kosteneffektivität als auch Überlebensfähigkeit gewährleistet sind und die Verbündeten bei eventuellen Entwicklungs-und Dislozierungsentscheidungen zu konsultieren. Außerdem ist in Regierungskreisen von der Möglichkeit einer zunächst begrenzten Option der Raketenabwehr wie der Punktverteidigung von Raketensilos und Kommandozentralen die Rede.

Dieser Vorschlag könnte sich als eine Brücke zwischen den Befürwortern und den Gegnern eines großangelegten Defensivsystems erweisen; doch die Suche nach innenpolitischen Kompromissen steht hier erst am Anfang. So scheinen sich die Ansichten von zwei so entgegengesetzten politischen Lagern wie der regierungsnahen Heritage Foundation und den gemäßigten demokratischen Kräften im Kongreß anzunähern, wenn der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Repräsentantenhaus und SDI-Skeptiker, Les Aspin, kürzlich meinte, die Forschungsinitiative könnte Waffen hervorbringen, die zum Schutz von Raketenzentren (wie z. B. die MX) gegen einen sowjetischen Überraschungsangriff eingesetzt werden könnten — ein Hinweis, der auch im Empfehlungskatalog der Heritage Foundation für die zweite Amtsperiode der Reagan-Administration auftaucht Dies schließt aber nicht aus, daß Reagan mit Druck auf Konzessionsbereitschaft bei den Genfer Verhandlungen in der Frage von SDI wird rechnen müssen, nachdem die Sowjets nun eine beträchtliche Reduzierung ihrer strategischen Offensivkapazitäten in Aussicht stellen, um der Realisierung dieses Programms a priori Grenzen zu setzen. 3. Antisatellitenwaffen (ASAT)

Neben dem SDI-Programm treibt die Administration die Entwicklung der ersten amerikanischen Antisatellitenwaffen (ASAT) voran, die noch innerhalb der zweiten Amtsperiode Reagans einsatzfähig sein sollen. Auch Carter hatte dieses Programm befürwortet, um der Gefährdung amerikanischer Satelliten durch bereits vorhandene Satellitenkiller der anderen Seite zu begegnen. Im Gegensatz zu seiner Strategie, gleichzeitig Verhandlungen über ein Verbot dieser Waffen zu führen, hat sein Nachfolger es jedoch abgelehnt, die nach der sowjetischen Invasion von Afghanistan abgebrochenen Gespräche wieder aufzunehmen. In ihren Rüstungskontrollberichten an den Kongreß kommt die Administration zum Schluß, daß Verhandlungen über ein umfassendes ASAT-Verbot angesichts schwerwiegender Verifikationsprobleme sinnlos wären.

Moskau, das seit 1982 seine eigenen ASAT-Erprobungen ausgesetzt hat und nun die USA der Militarisierung des Weltraums bezichtigt, sowie Stimmen im eigenen Land, die eine Einstellung der angelaufenen amerikanischen Testflüge und statt dessen Rüstungskontrollverhandlungen fordern, wird entgegengehalten, man müsse zunächst einen sowjetischen Vorsprung auf diesem Gebiet aufholen. Demgegenüber wenden Kritiker ein, daß die amerikanische ASAT-Rakete, die von F-15-Flugzeugen abgefeuert wird, technologisch viel fortgeschrittener sei als das ältere und schwerfälligere System des Gegners. Da die USA für vielfältige Zwecke wie Datenübermittlung, Abkommensüberwachung und Befehlsabläufe im Kriegsfall von Satelliten viel abhängiger sind als die Sowjetunion, halten sie zumindest eine mit Moskau abgesprochene Begrenzung dieser Systeme für notwendig.

Der hauptsächlich vom demokratisch geführten Repräsentantenhaus ausgehende rüstungskontrollpolitische Druck hat dazu beigetragen, daß die Entwicklungsarbeiten bereits in Verzug geraten sind. Im vergangenen Herbst beschloß der Kongreß ein sechsmonatiges Moratorium der Erprobung dieser Waffe gegen Objekte im Weltraum, solange Moskau auf seine Versuche verzichte. Damit fiel der erste, schon für November 1984 angesetzte ASAT-Test dieser Art aus. Seit dem Frühjahr darf das Pentagon eine begrenzte Anzahl von Erprobungen durchführen, sofern Reagan jeweils vorher u. a.seine Bemühungen um Verhandlungen über „the strictest possible limitation" dieser Waffen bescheinigt.

Während liberale ASAT-Gegner mit der Eingliederung der Weltraumwaffen-Thematik in die Genfer Verhandlungsrunde auf eine Verständigung auch in der Frage von ASAT hoffen, räumt die Administration gerade vor diesem Hintergrund der Fortsetzung der Entwicklungsarbeiten höchste Priorität ein. Die politische Sensitivität hat das Weiße Haus nicht davon abgehalten, im September nun den ersten — erfolgreichen — Test der Waffe gegen ein künstliches Ziel im All durchzuführen, um den Sowjets, wie es u. a. heißt, einen . Anreiz" für Anstrengungen am grünen Tisch zu geben. Im Pentagon erwartet man, während der Erprobungen der ASAT-Technologie auch wichtige Erkenntnisse für die SDI sammeln zu können.

III. Die Debatte über SALT

So umstritten das von Carter ausgehandelte SALT-II-Abkommen 1979 auch in Washington war, so kontrovers werden auch unter Reagan die mit den SALT-Verträgen verbundenen Vor-und Nachteile diskutiert. Trotz der von ihm betonten Mängel von SALT II hat Reagan sich für die Einhaltung dieses nichtratifizierten Abkommens entschieden, solange sich die Sowjets entsprechend verhielten. Enttäuschte Parteifreunde haben hingegen darauf geachtet, daß sich das Weiße Haus nicht ihren Forderungen entzieht, einen Schlußstrich unter die Politik der „Verdekkung sowjetischer Verletzungen von SALT'zur Zeit Carters zu ziehen. Als vor zwei Jahren Berichte über die Konstruktion einer neuen Radaranlage in Zentralsibirien und die Entwicklung der Fernrakete SS-25 die Zweifel über die sowjetische Einhaltung der ABMund SALT-II-Vereinbarungen schürten, leitete die Administration umfassende Nachforschungen in die Wege. Seitdem ist Moskau vom Weißen Haus der wahrscheinlichen oder tatsächlichen Verletzung praktisch aller existierenden Rüstungskontrollabkommen beschuldigt worden.

Normalerweise werden Dispute über vertragswidrige Aktivitäten der einen oder der anderen Seite in einer seit 1973 bestehenden bilateralen Kommission behandelt, die zweimal im Jahr in geheimer Sitzung tagt. Während sich dieses Forum unter Nixon, Ford und Carter als ausgesprochen dienlich zur Bewältigung aufkommender Differenzen erwies, scheint sich während der letzten Jahre dort wenig bewegt zu haben. Dafür macht sich unter den Exponenten des rechten republikanischen Flügels die Befürchtung breit, auch die derzeitige Regierung werde letztlich in eine Politik des „appeasement" verfallen. Sie kreiden Reagan die in ihren Augen widersprüchliche Haltung an, SALT II unter der Bedingung der Reziprozität einhalten zu wollen und trotz der vorhandenen Beweislast zuungunsten der Moskauer Vertragstreue nicht zu konkreten Gegenmaßnahmen überzugehen. Da sie im Senat eine Sperrminorität bilden, die im Prinzip eine Ratifizierung neuer Abkommen komplizieren oder gar zunichte machen könnte, kann das Weiße Haus ihre Kritik nicht einfach übergehen.

In den gemäßigteren Lagern zeigt man sich wenig begeistert über die in die Öffentlichkeit getragenen Beschuldigungen an die Adresse des Kremls, weil damit der Rüstungskontrollprozeß in Mitleidenschaft gezogen werde. Aber selbst im liberalen Flügel der Demokraten ist die frühere Bereitschaft, ein gewisses Kontrollrisiko hinsichtlich der gegenseitigen Respektierung von Abkommen in Kauf zu nehmen, gesunken. So warnte eine Gruppe einflußreicher Demokraten des Repräsentantenhauses im März dieses Jahres Gorbatschow in einem Schreiben, daß umstrittene Rüstungsunternehmen — wie die sibirische Radaranlage — geklärt werden müßten, um den ABM-Vertrag lebensfähig zu halten oder Fortschritte in anderen Bereichen der Rüstungskontrolle zu erzielen. Die eigene Regierung bleibt ermahnt, sich nicht zu ähnlichen Schritten oder gar zur völligen Aufgabe von Abkommen wie SALT II hinreißen zu lassen, die Reagan jüngst von Verteidigungsminister Weinberger empfohlen worden ist. Sie soll die Sowjets nun direkt am Genfer Verhandlungstisch zur Rechenschaft ziehen.

Einen grundsätzlichen Entschluß scheint der Präsident für seine zweite Amtsperiode gefaßt zu haben: sich politisch nicht zur längerfristigen Festlegung seiner SALT-Politik drängen zu lassen. Im Juni erklärte er sich bereit, eine „extra mile“ für die Rüstungskontrolle zu gehen und SALT II bis Ende dieses Jahres einzuhalten. Wenn das siebte Trident-U-Boot demnächst disloziert wird, werden ältere seegestützte Nuklearsysteme abgebaut um die Obergrenzen für Mehrfachsprengköpfe nicht zu überschreiten. Während bei dieser hart umfochtenen Entscheidung das Außenministerium und die Rüstungskontroll-Lobby im Kongreß die Oberhand behalten haben, sind die SALT-Opponenten nicht gänzlich leer ausgegangen. Zum einen wurde das Pentagon mit einer Studie über alle möglichen Schritte beauftragt, die Washington im Falle anhaltender sowjetischer Vergehen gegen SALT II und andere Abkommen unternehmen könnte. Zum anderen behält sich das Weiße Haus ausdrücklich das Recht vor, angesichts des sowjetischen Baus einer zweiten neuen Interkontinentalrakete (SS-25) entgegen den Bestimmungen von SALT II ebenfalls mit der MX und dem Midgetman zwei Raketentypen zu erstellen.

Hinter dieser Zeichensetzung steckt allerdings mehr als die warnende Mißbilligung der Vertragsauslegung der anderen Seite. Sollten die USA auch künftig SALT II strikt befolgen, ergäben sich nämlich Konflikte in ihrer strategischen Rüstungsplanung. Da mit der MX die einzige unter diesem Abkommen erlaubte neue Fernrakete zu Land schon getestet worden ist, würde das Midgetman-Projekt gegen dessen Bestimmungen verstoßen, wenn es (voraussichtlich 1988) in seine Erprobungsphase mündet. Zudem sind schon im kommenden Jahr mit der Dislozierung eines weiteren Trident-U-Bootes sowie der ersten MX-Raketen in alten Minuteman-Silos neue Debatten zu erwarten, ob tatsächlich Waffensysteme verschrottet werden sollen, um vertragliche Schranken einzuhalten.

Wenn gemäßigte Kräfte in und außerhalb der Administration die Vorteile von SALT II mit dem Argument unterstreichen, daß dessen Bestimmungen den Sowjets zumindest Beschränkungen auferlege, und zudem stärkere als den USA könnte der amerikanisch-sowjetische Streitpunkt SDI diese Position paradoxerweise untermauern. Denn ohne eine Bindung an dieses Abkommen könnte Moskau seine angedrohten Gegenmaßnahmen der massiven Aufrüstung im Falle einer uneingeschränkten Fortsetzung von SDI viel ungehemmter in die Tat umsetzen.

Die Reagan-Administration versucht den Sowjets in Genf gegenwärtig klarzumachen, daß ein solches Unterfangen unpraktisch wäre, da die USA bei der Anschaffung von Defensiv-waffen in jedem Falle Systeme wählen würden, die überlebensfähig und kosteneffizienter wären als der Aufwand für ihre Überwindung durch zusätzliche Offensivwaffen. Sollte dieser Versuch jedoch mißlingen und die sowjetische Drohung in den USA ernst genommen werden, wäre wiederum dem amerikanischen Interesse an einer Aufrechterhaltung von SALT II neuer Auftrieb gegeben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. „Nitze Outlines U. S. Strategie Concept for Next Ten Years". Rede vor dem World Affairs Council in Philadelphia. United States Information Service, Wireless Bulletin from Washington, 21. 2. 1985, S. 3— 9.

  2. Siehe Arnold Horelick, U. S. -Soviet Relations: The Return of Arms Control, in: Foreign Affairs, 63 (1985) 3, S. 33.

  3. Vgl. National Journal, 20. 7. 1985, S. 1692— 1693.

  4. Vgl. Richard K. Betts, Nuclear Weapons, in: Joseph S. Nye, Jr. (Hrsg.), The Making of America s Soviet Policy, New Haven (Yale University Press)

  5. Vgl. zu SDI-Umfragen: Most Polled Disapprove of SDI, in: Washington Post, 14. 8. 1985, S. A 10, ebenso: Survey Indicates a Sharp Contrast in Views on Missile Defense Plan, in: The New York Times, 10. 1. 1985, S. A 10.

  6. Vgl. Stuart M. Butler/Michael Sanera/W. Bruce Weinrod (Hrsg.), Mandate for Leadership II, The Heritage Foundation, Washington, D. C., 1984; sowie: A New Shade of Democrats is seen with Passage of House Arms Bill, in: The New York Times, 30. 6. 1985, S. 18.

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Barbara A. Fliess, geb. 1956; Studium der Internationalen Beziehungen an der School of Advanced International Studies, The Johns Hopkins University, Washington (Master of Arts, 1983); Doktorandin am Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf; seit 1984 Amerika-Referentin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen. Veröffentlichungen u. a.: Einige Aspekte und Aktionsfelder der Außenpolitik der Reagan-Administration, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/84; Sicherheitspolitik zwischen Reagan und Kongreß, in: Außenpolitik, 36 (1985) 4.