Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Wirtschaftsexperimente in der Sowjetunion -Umrisse einer ökonomischen Strategie? | APuZ 46-47/1985 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 46-47/1985 Wirtschaftsexperimente in der Sowjetunion -Umrisse einer ökonomischen Strategie? Soziale Statik und Dynamik in der DDR Zum Leistungsverhalten von Industriearbeiterschaft und wissenschaftlich-technischer Intelligenz Bildungs-und Erziehungswesen sozialistischer Staaten Politische Steuerung — gesellschaftlicher Pluralismus — pädagogische Autonomie

Wirtschaftsexperimente in der Sowjetunion -Umrisse einer ökonomischen Strategie?

Hansgeorg Conert

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit Beginn der sechziger Jahre werden von sowjetischen Politikern, Wirtschaftswissenschaftlern und -praktikern vielfältige ökonomische Funktionsdefizite benannt und kritisiert, die ihren Ausdruck im geringen Wirkungsgrad (Effizienz) aller Wirtschaftsprozesse finden. Nach einem umfassenderen Ansatz zu einer Wirtschaftsreform im Jahre 1965 wurden bis heute verschiedene punktuelle Veränderungen des . Wirtschaftsmechanismus'beschlossen, jedoch allenfalls partiell verwirklicht Der Trend zur stetigen Verschlechterung der maßgeblichen Wirtschaftsindikatoren konnte damit nicht gebrochen werden. In der kurzen Amtszeit von J. Andropow als Generalsekretär des ZK der KPdSU wurde die Kritik akuter wirtschaftlicher Mißstände deutlich verschärft und im Juli 1983 ein neuer Anlauf zur . Vervollkommnung des Wirtschaftsmechanismus'in Form eines . Experiments im großen Maßstab'unternommen, das am 1. Januar 1984 in ausgewählten Branchen und territorialen Bereichen begann und am 1. Januar 1985 auf weitere Sektoren ausgedehnt wurde. Die beschlossenen Maßnahmen zur . Erweiterung der Rechte der Betriebe und zur Erhöhung ihrer Selbständigkeit und Verantwortung für die Arbeitsresultate'sind in ihrer sachlichen Reichweite jedoch sehr beschränkt Sie berühren weder die überkommenen materiellen Rahmenbedingungen der akuten ökonomischen Probleme noch die institutionellen und organisatorischen Funktionsdefizite des etablierten Wirtschaftssystems. In der sowjetischen Fach-und Tagespresse wird folglich auch eine lebhafte Kritik, insbesondere von Wirtschaftspraktikern, an Widersprüchen im Konzept des Reformansatzes und an seiner unzulänglichen Umsetzung in die Praxis laut Der seit März dieses Jahres amtierende Generalsekretär des ZK der KPdSU, M. S. Gorbatschow, proklamiert in seinen bisherigen Reden nachdrücklich die Notwendigkeit einer fundamentalen Wende der Wirtschaftsentwicklung in Richtung der Intensivierung des Wirtschaftshandelns, steigender Effektivität des Arbeits-und Sachaufwands und höherer Qualität der Erzeugnisse. Den Schlüssel zur Verwirklichung dieser Ziele sieht er in der Durchsetzung der seit langem postulierten Beschleunigung technologischer Innovationen und der Erhöhung des technischen Niveaus der Produktionsprozesse und -resultate. In diese Richtung zielende Maßnahmen und Programme wurden in jüngster Zeit beschlossen. Die Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre rechtfertigen allerdings Zweifel daran, ob nachhaltige Erfolge in der beabsichtigten Richtung ohne eine konsequentere Abkehr vom System der zentralisierten und umfassenden, administrativen und direktiven Wirtschaftsplanung und -leitung erreicht und gesichert werden können.

I. Akute Funktionsdefizite der sowjetischen Wirtschaft und ihre allgemeinen sozio-ökonomischen Bedingungen

Tabelle: Die sowjetische Wirtschaft im 9. bis 11. Fünfjahrplan (FJP 1.) Durchschnittliche Jahreszuwachsraten in %

Quellen: 9. und 10. Fünfjahrplan: H. -H. Höhmann; Von Breschnew zu Andropow. Bilanz und Perspektiven sowjetischer Wirtschaftspolitik, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln (1983) 10; 1981 bis 1984 errechnet aus den Jahresangaben in: 1981: SSSR i Sojuznye respubliki v 1981 godu, Moskau 1982, S. 3 f.; 1982: entsprechende Ausgabe 1983, S. 3 f.; 1983: Prawda vom 29. Januar 1984, S. 1; 1984: Prawda vom 26. Januar 1985, S. 1.

Die seit mehr als 20 Jahren akuten, sich tendenziell verschärfenden Funktionsprobleme der sowjetischen Wirtschaft finden ihren zusammengefaßten Ausdruck im geringen Wirkungsgrad (Effizienz) des Wirtschaftshandelns sowie im unzureichenden Verhältnis zwischen ökonomischem Ressourcenaufwand und Resultaten. Dieser . synthetische'Indikator geht aus verschiedenen Komponenten des Aufwandumfangs und der Art und Weise des Einsatzes Wirtschaftsmittel einerseits, der der Quantität und vor allem der Qualität der Produktionsergebnisse andererseits hervor.

Zur Kritik dieser bereits chronischen Funktionsmängel werden in der sowjetischen Fach-und Tagespresse zwei unterschiedliche Maßstäbe herangezogen: Arbeitsaufwand und materieller Produktionsinput werden an der Knappheit und am Wert (Preis) dieser Ressourcen gemessen, der Output am realen Bedarf, beide Momente aber zugleich an den Produktionsverfahren und -resultaten in den entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften. Nach diesen Maßstäben ist in der sowjetischen Industrie (und erst recht in der Landwirtschaft) der Arbeitsaufwand für die Herstellung vergleichbarer Produkte zu hoch, nicht zuletzt infolge des hohen Anteils manueller Arbeit sowie von Vor-und Hilfstätigkeiten. Desgleichen übertrifft der Einsatz von Rohstoffen, Materialien, Vorprodukten und Energie die in den westlichen Industriewirtschaften für vergleichbare Resultate aufgewandten Mengen in der Regel erheblich.

Beides ist, neben anderen Ursachen, eng verbunden mit dem nach diesem Vergleichskriterium rückständigen technischen Niveau der Produktionsanlagen und Ausrüstungsgüter sowie mit vielfältigen Mängeln der Arbeitsorganisation und des Systems der Allokation der Wirtschaftsmittel. Die Qualität der Erzeugnisse ist im allgemeinen unzureichend, der Anteil nutzungsuntauglicher Produkte hoch. Die Störanfälligkeit z. B. von Traktoren, Lastkraftwagen, verschiedenen Maschinentypen ist groß, ihr technischer Entwicklungsstand unzulänglich

Obgleich bereits in einigen Bereichen sowohl der Verbrauchs-wie der Produktionsgütererzeugung umfangreiche Lager nicht absetzbarer Produkte existieren, überwiegt im ganzen die Situation des Mangels bei weitem Das betrifft Rohmaterialien, Vorprodukte und Ausrüstungsgüter ebenso wie Verbrauchsgüter und Arbeitskräfte. Oft geht es dabei aber nicht um einen absoluten Mangel im •volkswirtschaftlichen Maßstab, sondern um die Nichtverfügbarkeit zu bestimmter Zeit am bestimmten Ort. Dieses verbreitete Phänomen verweist auf die spezifischen Defizite im Transportwesen und die ständig auftretendem Organisationsmängel im Verteilungsbereich. Obgleich damit nur einige der gravierendsten Ausdrucksformen der akuten Leistungsmängel der sowjetischen Wirtschaft bezeichnet sind, wird ihre wechselseitige Bedingtheit bereits deutlich. So führt zum Beispiel die Funktionsschwäche des Systems der Belieferung der Betriebe mit Rohmaterial und Vorprodukten zu häufigem Stillstand der Produktionsanlagen und beeinträchtigt so ihre Amortisation. Die Betriebsleitungen tendieren deshalb dazu, große Vorratslager zu halten und Vor-produkte im Betrieb selbst zu erzeugen. Beide Erscheinungen verstärken die unwirtschaftliche Nutzung von Ressourcen. Der überwiegende Bedarfsüberhang hat zur Folge, daß auch qualitativ unzureichende, technisch rückständige Erzeugnisse abgesetzt werden können und trägt so dazu bei, den Innovationsdruck z. B. in der Maschinenbauindustrie zu mindern. Der verbreitete güter-wirtschaftliche Mangel findet finanzwirtschaftlichen Ausdruck u. a. darin, daß den Betrieben im Interesse der Sicherung zentralisierter Investitionsvorhaben noch immer 80 bis 90 % des Gewinns entzogen und dem Staatshaushalt zugeführt werden. Ihnen fehlen deshalb in der Regel die Mittel zur Finanzierung technischer Umrüstungen Ein erheblicher Teil der sowjetischen Produktionsanlagen ist veraltet, Ausrüstungen sind im Durchschnitt etwa 20 Jahre im Betrieb In wichtigen Industriebranchen, wie im Maschinenbau, werden jährlich nur ca. 2 % der Anlagen erneuert, erforderlich wären 6 bis 7 %. Die Reparaturaufwendungen übersteigen bei der langen Nutzungsdauer den Anschaffungspreis der Anlagen im Durchschnitt um 70%.

Trotz entgegengerichteter Absichtserklärungen dienen jedoch die staatlichen (. zentralisierten) Investitionen noch immer ganz überwiegend der Errichtung neuer Fabriken, obgleich sowjetische Ökonomen seit langem vorrechnen, daß Ersatz-und Modernisierungsinvestitionen rentabler sind Hinzu kommt die Leistungsschwäche des Bauwesens, ein weiterer Engpaß der Sowjetwirtschaft. Die geplanten Fristen im Investitionsbau werden nicht selten um sechs Jahre und mehr überschritten 5a).

Zumindest seit 20 Jahren werden die angedeuteten Funktionsdefizite der sowjetischen Wirtschaft auf den Kongressen der KPdSU in den Rechenschaftsberichten des Generalsekretärs sowie des Vorsitzenden des Ministerrates aufgelistet, kritisiert und ihre Überwindung proklamiert. Die Aufzählung dieser Mängel und Probleme auf den fünf Parteikongressen seit dem 22. Parteikongreß im Jahre 1961 wirkt geradezu stereotyp, es variiert allenfalls die Gewichtung. Dabei wurden nicht nur die Erscheinungsformen, sondern auch die — allerdings eher vordergründigen — unmittelbaren Ursachen benannt Daß im Vergleich zur späten Breschnew-Ära die Kritik an den Mißständen und unzureichenden Resultaten der Wirtschaft durch die Nachfolger Andropow und Gorbatschow (weniger unter Tschernenko) verschärft und die Unerläßlichkeit von Änderungen des . Wirtschaftsmechanismus'nachdrücklicher betont wurde, signalisiert nicht etwa einen Stillstand der Wirtschaftsentwicklung, wohl aber wachsende Diskrepanz zwischen der Leistungsfähigkeit der sowjetischen Wirtschaft und den an sie gestellten Anforderungen sowie die Gefahr der Verbreiterung der . technologischen Lücke'zwischen der UdSSR und den entwickelten kapitalistischen Industrieländern.

Was sind die Ursachen der genannten Leistungsdefizite der sowjetischen Wirtschaft? Diese Frage kann hier nur mit einem Verweis auf die grundlegenden sozio-ökonomischen Voraussetzungen beantwortet werden, aus denen sich die angedeuteten Funktionsprobleme herleiten Sie wurzeln in der gesellschaftlichen Grundverfassung des sowjetischen Wirtschaftssystems.

Die Vergegenwärtigung der dabei wirksamen Zusammenhänge wird erleichtert durch eine Gegenüberstellung der privat-und erwerbs-wirtschaftlichen (kapitalistischen) Produktionsweise. Die ökonomische Grundeinheit, das Unternehmen, ist hier rechtlich und generell auch faktisch entscheidungs-und handlungsautonom. Zweck des Wirtschaftens aus der Sicht der Entscheidungsträger dieser Grundeinheiten ist die Erzielung eines Überschusses über den Wert der zum Ingangsetzen des Produktionsprozesses verauslagten Finanzmittel (Kapital). Dieser Gewinn ist ein geld-und erwerbswirtschaftliches Resultat, in dem alle Momente des Wirtschaftshandelns zusammengefaßten Ausdruck finden. Unter den systemtypischen Bedingungen der Marktkonkurrenz erfordert die Durchsetzung des genannten Zwecks des Wirtschaftens sparsamen, . ökonomischen'Umgang mit allen Arten von Wirtschaftsmitteln, eine hochwirksame technische und organisatorische Gestaltung aller Phasen des Kreislaufs des Kapitals und deren rasche Fortentwicklung infolge der Wirkung der Konkurrenz. Diese verlangt weiterhin Attraktivität und Qualität der Erzeugnisse und deshalb auch deren relativ häufige Erneuerung.

Die unmittelbaren Resultate der auf diese Erfordernisse gerichteten Maßnahmen sind aus der Sicht der Betreiber der einzelunternehmerisch parzellierten Produktionsprozesse nicht der eigentliche Zweck des Wirtschaftens, sie sind aber unerläßliche Bedingung, diesen Zweck, nämlich die Vermehrung der eingesetzten Wirtschaftsmittel in Geldform, zu realisieren. Ökonomisierung des Ressourcenaufwands, hocheffiziente Arbeitsorganisation und permanente technisch-ökonomische Prozeß-und Produktinnovationen liegen deshalb im unmittelbaren Eigeninteresse der Eigentümer und Entscheidungsbevollmächtigtender Unternehmen.

Die produzierenden Grundeinheiten im sowjetischen Wirtschaftssystem haben eine in mancher Hinsicht vergleichbare Unternehmensform, sie sind jedoch nicht entscheidungs-und handlungsautonom und sie können das bei ihrer Bestimmung als Elementar-formen des in gesamtgesellschaftlichem (staatlichem) Eigentum und entsprechend in zentralisierter Verfügungsmacht befindlichen, einheitlichen Produktionspotentials nicht sein. Die Zweckbestimmung der sowjetischen Betriebe folgt zum einen vorrangig einer gesamtwirtschaftlichen Orientierung (Prinzip der zentralen Wirtschaftsplanung) und zum anderen nicht erwerbs-und geld-wirtschaftlichen, sondern bedarfs-und naturalwirtschaftlichen Zielen und Kriterien.

In unserem Zusammenhang ist wesentlich, daß sich unter den angedeuteten sowjetischen .ordnungspolitischen'Voraussetzungen die den Betrieben . von außen'bzw. . von oben'gestellten ökonomischen Aufgaben nicht in einem alle Einzelmomente und -resultate des Wirtschaftshandelns synthetisierenden Ausdruck (in einer . Kennziffer') festlegen lassen 7a). Würde den Betrieben z. B. nur die Aufgabe gestellt, innerhalb einer bestimmten Zeitperiode Erzeugnisse im Umfang einer bestimmten Wert-(Geld-) summe herzustellen, so wäre nicht gewährleistet, daß sie die bedarfs-entsprechenden Güter produzieren. Wird den Betrieben die Produktionsaufgabe im . Naturalausdruck', d. h. nach Menge, Sortiments-beschreibung, Qualitätsbestimmung, technischer Charakteristik etc. vorgegeben, ist keineswegs gesichert, daß die Herstellung in ökonomischer Weise, also bei sparsamem Ressourcenaufwand erfolgt Dieser liegt nicht a priori im Eigeninteresse der Betriebsleiter und der Beschäftigten. Deshalb müssen den produzierenden Grundeinheiten verbindliche Vorgaben bezüglich des Verbrauchs von Wirtschaftsmitteln zugeleitet werden.

Da die — sowohl natural-wie geldförmigen — Produktionsresultate aus einer Vielzahl von personellen und materiellen Faktoren unterschiedlicher Art hervorgehen (Anzahl und Qualifikation der Arbeitskräfte, technische Ausstattung, Art der Arbeitsorganisation, Beschaffenheit der Vorprodukte, Sorgfalt der Arbeitsvorgänge etc.), müßten den Betrieben bei der gesamtwirtschaftlich orientierten Bedarfsbestimmung zahlreiche exakte Handlungsnormen und Resultatskriterien vorgegeben werden. Die zentralen (und selbst die branchenmäßigen) Planungs-und Leitungsorgane verfügen jedoch nicht über jeweils aktuelle und umfassende Informationen über die — ja durchaus unterschiedlichen — Produktionskapazitäten der vielen Betriebe Die diesen übermittelten verbindlichen Aufgaben und Normen entsprechen deshalb, zumal in der mithin notwendigerweise an Durchschnittswerten orientierten Festlegung, nie genau der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Betriebe.

Diese auszuschöpfen liegt jedoch nicht im Interesse der Betriebskollektive. Unter der Voraussetzung des gesellschaftlichen (staatlichen) Eigentums an den Produktionsmitteln können sie sich weder das (geldförmige) Resultat ihrer Arbeit aneignen, noch — abgesehen von Restgrößen — über seine Verteilung und Verwendung entscheiden. Zwar ist der Anteil, den Betriebsleiter und Beschäftigte vom Resultat der geleisteten Arbeit in Form von Gehältern, Löhnen und Prämien erhalten, nicht fix, sondern in von außen festgelegten Sätzen gemäß ebenfalls von außen bestimmten Leistungskriterien variabel. Es sind aber folglich diese Parameter, die für die Betriebs-kollektive handlungsleitend wirken, nicht jedoch die Orientierung an maximaler (oder optimaler) Ausnutzung und Steigerung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Deshalb umfaßt die sowjetische Wirtschaft immer ein quantitativ schwer bestimmbares, jedoch zweifelsfrei beachtliches, nicht ausgeschöpftes Leistungs-und Effizienzpotential.

II. Der Beschluß zum . Wirtschaftsexperiment'vom Juli 1983

Spätestens seit Beginn der sechziger Jahre ist die unzulängliche Effizienz der ökonomischen Prozesse das beständige und folgenreiche Hauptproblem der sowjetischen Wirtschaft. Geleitet von der Einsicht, daß ein hoher Wirkungsgrad des Wirtschaftshandelns im makroökonomischen Maßstab hohe Effektivität der mikroökonomischen Prozesse voraussetzt und daß diese wiederum entsprechende Handlungsorientierungen und -möglichkeiten der Betriebskollektive verlangen, hatte die sowjetische Partei-und Staatsführung bereits 1965 den Beschluß zu einer so intendierten Wirtschaftsreform gefaßt. Sie wurde jedoch nur inkonsequent und letztlich in sehr reduziertem Umfang realisiert

Zu diesem Resultat trugen vielfältige Ursachen bei; nicht zuletzt der Widerstand vor allem der ministeriellen Wirtschaftsbürokratie gegen den drohenden Funktions-und Machtverlust, unzureichende Qualifikation und Motivation vieler Betriebsleiter, die Rücknahme je bestimmter Änderungsmaßnahmen durch zentrale Machtorgane beim Ausbleiben von zu rasch und zu hoch veranschlagten Resultaten und bei negativen Auswirkungen der sachlichen Unvereinbarkeit mancher Maßregeln des Reformkonzepts bei ihrer Anwendung in der Wirtschaftspraxis Diese und andere konkrete Ursachen der schließlich nur recht begrenzten Änderungen im sowjetischen Wirtschaftssystem durch die 1965 beabsichtigte Reform müssen jedoch darüber hinaus vor dem Hintergrund eines generellen Dilemmas gesehen werden: Die . ordnungspolitische'Konzeption und die ihr entsprechenden strukturellen Determinanten der sowjetischen Wirtschaft schließen es aus, den Betrieben vollständige Autonomie einzuräumen. Sind die Aneignungs-und Dispositionsrechte der Betriebskollektive aber erstens beschränkt und kann zweitens bei der oben bezeichneten vorrangigen natural-und bedarfswirtschaftlichen Ausrichtung der Gesamtsphäre der Ökonomie das . formale'Rentabilitäts-und Effizienzkriterium nicht alleiniger oder ausschlaggebender Bewertungsfaktor der Leistung der wirtschaftenden Grundeinheiten sein, dann liegen Ressourcenökonomisierung, straffe Arbeitsorganisation, laufende Prozeß-und Produktinnovationen und andere Faktoren ökonomischer Effizienz nicht im unmittelbaren und nachdrücklichen Interesse der Betriebskollektive

Es sind letztlich die Konsequenzen dieses Wirkungszusammenhangs, die die sowjetische Führung seit 1965 dazu verleiten, in jeweiligen Beschlüssen zur . Verbesserung des Wirtschaftsmechanismus'zwischen Ausdehnung des Dispositionsbereichs der Betriebe und Erweiterung und Straffung ihrer Leitung von außen zu schwanken.

Der Beschluß des ZK der KPdSU und des Ministerrates der UdSSR über ein . Wirtschaftsexperiment in großem Maßstab'vom 14. Juli 1983 enthält in gewisser Weise beide Tendenzen zugleich. Westliche Interpreten neigen dazu, darin einen gravierenden Widerspruch zu erblicken. Das träfe aber nur zu, wenn (selbst begrenzte) . Selbständigkeit der Betriebe'und . zentrale Planung'sich aus-schließende oberste Prinzipien wären, oder wenn als erwiesen gelten könnte, daß ihre Wirkung auf die betrieblichen Arbeitsresultate zwingend konträr ist.

Die sowjetische Führung schließt zwar nach eigenem Bekunden die völlige Preisgabe der zentralen Wirtschaftsplanung aus, nicht aber die Reduktion ihres Umfangs. Dessen Bestimmung erfolgt, wie die anderer Planmodalitäten, zumindest in jüngerer Zeit eher in Abhängigkeit von den erhofften ökonomischen Wirkungen als nach unumstößlichen Grundsätzen. Und — ob die Folgen gleichzeitiger Erweiterung des Dispositionsbereichs der Betriebe und der Stärkung bestimmter Komponenten der zentralen Planung nicht auch in Richtung verbesserter Leistungsindikatoren konvergieren können, bedarf noch einer empirisch begründeten Widerlegung.

Vorab ist festzuhalten, daß die Reichweite des Wirtschaftsbeschlusses vom Juli 1983 recht gering ist, und zwar sowohl in der Breite, d. h. nach der Anzahl der betroffenen Komponenten der Wirtschaftstätigkeit, wie in der Tiefe im Sinne des Ausmaßes der vorgesehenen Änderungen.

Die im Titel des Beschlusses proklamierte „Erweiterung der Rechte der Produktionsvereinigungen (Betriebe)" betrifft im wesentlichen zwei bis drei Bereiche. Zum einen die vorgesehene ..... bedeutende Stärkung der Rolle der Produktionsvereinigungen (Betriebe) bei der Ausarbeitung der Pläne der ökonomischen und sozialen Entwicklung in allen Stadien der Planung, beginnend mit der Vorbereitung des Planprojekts" Außer der Absicht, di Anzahl der den Betrieben vollzugs-verbindlich vorgegebenen Kennziffern (Plan-aufgaben) zu reduzieren, wird jedoch im Beschluß selbst nicht festgelegt, in welcher Weise die Rechte der Betriebe im Planungsprozeß konkret erweitert werden sollen. Hauptkennziffer, d. h. prioritäres Bewertungskriterium der betrieblichen Leistung, soll die „abgesetzte Produktion gemäß den vertraglichen Lieferverpflichtungen nach Frist, Umfang, Qualität und Sortiment" werden

Der zweite Bereich, in dem die Rechte der Betriebe erhöht werden sollen, betrifft dieNutzung des Produktionsentwicklungsfonds. Dieser im Kontext der Reform von 1965 eingerichtete bzw. umgebildete Fonds wird in erster Linie aus Gewinnanteilen gespeist und soll der Finanzierung von Ersatz-und Erweiterungsinvestitionen beschränkten Umfangs, die nicht in den staatlichen (. zentralisierten') Investitionsplan einbezogen sind, dienen. In diesem Punkt ist der Beschluß konkreter als bezüglich der Planung; er bekräftigt zum Teil aber nur schon früher erlassene, allerdings weithin verletzte Bestimmungen, wie z. B., daß die Betriebe über die Verwendung der Mittel eigenständig entscheiden können und daß sie ihnen nicht (durch die Ministerien) entzogen werden dürfen. Andere diesbezügliche Modalitäten sind neu; sie sind auf die Stärkung der Relevanz dieser Fonds ausgerichtet und reflektieren damit die Dringlichkeit der technischen Umrüstung der Betriebe und die Einsicht, daß diese nicht zügig und effektiv in Form der zentralisierten Investitionen realisiert werden kann.

Im dritten Bereich, dem der Entlohnung und Prämierung der Beschäftigten, läßt sich nur mit Einschränkung eine Erweiterung der betrieblichen Kompetenzen feststellen. Zwar sind einige neue Arten von Prämien und Gehaltszuschlägen vorgesehen, über deren Vergabe die Betriebsleitungen entscheiden können. Es ist jedoch präzise festgelegt, gemäß welchen Wirtschaftsresultaten, für welche Leistungen und Qualifikationen, an welche Beschäftigtengruppen diese Gratifikationen in welcher Höhe und für welche Dauer vergeben werden dürfen. Diese Bedingungen drükken die Priorität der Aspekte Ressourceneinsparung, Steigerung der Effizienz der Arbeitsprozesse und der Qualität der Erzeugnisse sowie der Beschleunigung des technischen Fortschritts aus.

Eine Stärkung der Außensteuerung der betrieblichen Wirtschaftsprozesse kann darin gesehen werden, daß sich „die Rolle der ökonomischen Normative als wichtiger Hebel des Einflusses des Fünfjahrplanes auf die Wirtschaftstätigkeit der Produktionsvereinigungen (Betriebe) erhöhen" soll Die Normative dienen der Sicherung der im Titel des Beschlusses gleichfalls postulierten „Stärkung der Verantwortung (der Betriebe) für die Arbeitsresultate", indem «sie Relationen zwisehen den Ergebnissen des betrieblichen Wirtschaftsprozesses in den verschiedenen Leistungskomponenten und dem Bewertungs-grad bzw.der Gratifikationshöhe fixieren. Ein lineares Normativ wäre z. B.: „für jedes Prozent Zunahme der Arbeitsproduktivität steigt der Lohnfonds um ein halbe? Prozent". Normative können auch sich progressiv oder degressiv verändernde Relationen bestimmen. Sie werden je nach den Bedingungen der Branchen oder der Branchenuntergliederungen sowie nach den vorherrschenden . Engpässen'bezüglich der Leistungskriterien variabel gehandhabt. Bei erweiterter, differenzierter und präzisierter Anwendung von Normativen kann die Außensteuerung der Betriebe trotz Reduktion der verbindlich vorgegebenen Kennziffern verstärkt werden. Anders als die Kennziffern sind die Normative ein Instrument der . indirekten Zentralisierung' der Wirtschaftsplanung und -leitung. Bei fundierter Konzipierung und flexibler, an den konkreten Bedingungen und Erfordernissen orientierter Handhabung sind sie generell als funktionaler einzuschätzen als eine Vielzahl von Kennziffern.

Die Umsetzung der Beschlüsse vom Juli 1983 in die Wirtschaftspraxis als . Experiment im großen Maßstab'begann am 1. Januar 1984 in den Betrieben von zwei Unionsministerien (Schwer-und Transportmaschinenbau sowie elektrotechnische Industrie) und drei Republikministerien (Ministerium für Lebensmittelindustrie der Ukraine, Ministerium für Leichtindustrie Weißrußlands, Ministerium für örtlich geleitete Industrie Litauens). Unter diese fünf Leitungsbereiche fallen insgesamt mehr als 700 Betriebe. Am 1. Januar 1985 wurden die Wirtschaftsbedingungen des Experiments auf ca. 1850 weitere Betriebe verschiedener Unions-und Republikministerien der Industrie sowie auf etwa 3000 Dienstleistungsbetriebe ausgedehnt.

Seit Herbst 1983 (zunächst die Vorbereitungen betreffend) wird in der sowjetischen Tages-und Fachpresse häufig über den Fortgang des Experiments, über auftretende Probleme und bisherige Resultate berichtet. Daß die dabei geschilderten Probleme einen anschaulicheren und überzeugenderen Eindruck vermitteln als die Aufzählung von Erfolgen, mag damit Zusammenhängen, daß dabei konkrete soziale und wirtschaftliche Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge zur Sprache kommen, während die positiven Re-sultate in Zahlen ausgedrückt werden. Sowohl sachliche Erwägungen wie empirisch begründete Argumente in entsprechenden Zeitschriftenbeiträgen legen ein erhebliches Maß von Skepsis gegenüber Erfolgsberichten nicht nur der angedeuteten Art, sondern auch gegenüber den seit Mitte 1984 sporadisch erscheinenden, die einzelbetrieblichen Resultate zusammenfassenden Meldungen nahe

Dazu nur einige Argumente: Besonders im ersten Quartal 1984, aber au'ch noch im ersten Halbjahr, fielen die Resultate der sowjetischen Industrie allgemein positiv aus Die Meldungen des Statistischen Zentralamtes besagten, die Wirtschaftsergebnisse der in das Experiment einbezogenen Sektoren lägen über dem Durchschnitt Das mag jedoch einfach daraus resultieren, daß diese Bereiche schon zuvor überdurchschnittlich leistungsstark waren (eine zumindest für die beiden Unionsministerien naheliegende Annahme). Stellt man die Fristverspätungen und Übergangsschwierigkeiten in Rechnung, von denen andere Beiträge berichten, so ist wenig glaubhaft, daß die Neuerungen bereits nach drei oder sechs Monaten konkreten Niederschlag in den Planabrechnungen finden.

überwiegend beziehen sich die Erfolgsmeldungen gerade auf die neue Hauptkennziffer . abgesetzte Produktion gemäß Lieferverpflichtungen nach Frist, Menge, Sortiment und Qualität'. Die meisten Betriebe, später auch Teilsektoren, melden 100%ige (oder fast 100%ige) Erfüllung. Dem steht jedoch die sehr verbreitete Kritik gerade an dieser Haupt-kennziffer mit dem einleuchtenden Argument entgegen, bei den chronischen Problemen verspäteter, reduzierter und nicht bedarfsgemäßer Belieferung der Betriebe mit Rohmaterialien und Vorprodukten (und auch in Anbetracht der Mängel im Transportsystem) liege es gar nicht im eigenen Vermögen der Produ-zenten, die Lieferverträge exakt einzuhalten

Nun wurde allerdings das für die Belieferung der Betriebe verantwortliche „Staatskomitee für materiell-technische Versorgung" (Gossnab) offiziell angewiesen, die in das Experiment einbezogenen Betriebe bevorzugt zu bedienen. Dem wurde aber nur zum Teil entsprochen. Im übrigen wird diese Anweisung von vielen Autoren kritisiert, weil sie die Verallgemeinbarkeit der experimentellen Erfahrungen beeinträchtigt: Bei Erweiterung des Geltungsbereichs der veränderten Bedingungen ist eine Vorzugsbehandlung nicht mehr möglich.

Zuweilen wird von besonderen Praktiken berichtet, die die Erfüllung der Hauptkennziffer erleichtern sollen. Ende 1983 hätten manche Betriebe unter Verletzung der Verpflichtungen im alten Jahr für 1984 vorgearbeitet Es zeige sich auch die Tendenz, daß Betriebe Lieferverträge für Produkte, bei deren Erzeugung erfahrungsgemäß Engpässe eintreten, nur noch reduziert abschließen.

Diese nur exemplarische Wiedergabe kritischer Argumente gegen ökonomische Erfolgsmeldungen aus dem Bereich des Wirtschaftsexperiments soll jedoch nicht generell die Möglichkeit positiver Ergebnisse in Frage stellen. Sie dürften sich allerdings kaum so kurzfristig einstellen und ihr konkreter Nachweis bedürfte auch eines exakteren und zuverlässigeren Systems der Wirtschaftsinformation und -rechnung, als es bis heute in der UdSSR Anwendung findet.

Die problematisierenden Beiträge zum Wirtschaftsbeschluß vom Juli 1983 in der sowjetischen Fach-und Tagespresse unterscheiden sich in mehrerer Hinsicht: in der Reichweite und Schärfe der Kritik, nach eher theoretischer oder empirischer Begründung, nach den spezifisch herausgehobenen Problembereichen, nach der Art der vorgeschlagenen Alternativen. Als besonders nachdrücklich läßt sich eine indirekte Form der Kritik interpretieren, für die der Direktor des zentralen ökonomisch-mathematischen Instituts der Akademie der Wissenschaften, Fedorenko, ein Beispiel liefert. Ende 1984 veröffentlichte er einen Artikel unter der Überschrift „Planung und Lei-tung: wie sollten sie sein?" in dem er zentrale Bereiche und Richtungen erforderlicher Änderungen aufzeigt, das seit Anfang des Jahres laufende Experiment jedoch nur zweimal ganz beiläufig erwähnt und mithin offenkundig nicht als erfolgverheißenden Ansatz bewertet. Gleich zu Beginn versichert er: „Teilweise Veränderungen, die Beseitigung einzelner Störungen des bestehenden Mechanismus sind jetzt unzureichend, nötig sind starke, umfassende Maßnahmen.“

Nicht wenige sowjetische Ökonomen und Wirtschaftspraktiker interpretieren das . Experiment im großen Maßstab'als ersten Schritt zu weiteren Reformmaßnahmen. Als Beispiel sei der prominente Wirtschaftswissenschaftler Bunitsch zitiert: „Das jetzige Experiment ist nur ein erster Schritt jener großen und kardinalen Vervollkommnung des Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft, die die Partei markiert.“

Die konkrete Kritik am seit Anfang 1984 erprobten Wirtschaftsexperiment läßt sich (wenn auch nicht trennscharf) unterscheiden in:

— Kritik an der allgemeinen Konzeption;

— Kritik bestimmter Maßregeln des Beschlusses (und seiner Präzisierung durch die zuständigen Ministerien);

— Kritik an der ausbleibenden oder nur selektiven Implementierung.

Zur Kritik der ersten Art zählt die an der Form eines . Experiments'in ausgewählten Branchen und Leitungsbereichen. Hervorgehoben wird die komplexe Verflechtung mit der übrigen Wirtschaft, die der Grund dafür sei, daß wesentliche sachliche Voraussetzungen für die Anwendung der neuen Funktionsund Bewertungsregeln nicht gewährleistet seien. Belegt wird dieser Einwand — und das ist der häufigste Aspekt der konkreten Kritik — mit den fortdauernden Mängeln in der Belieferung der Betriebe mit Rohmaterialien und Vorprodukten, die im Grunde verbieten, den Endproduzenten die Verantwortung für die Erfüllung der Lieferverträge aufzubürden Weniger auf die Form als auf die Dimension des Experiments ist der Einwand gerichtet, daß substantielle Resultate nicht von Änderungen einzelner Komponenten des . Wirtschaftsmechanismus'zu erwarten seien, das Experiment folglich alle Bereiche und Elemente umfassen müsse Einige Autoren beziehen dies vor allem auf die Leitungshierarchie und monieren, daß der Beschluß nur die Steuerung und Bewertung der Wirtschaftstätigkeit der Betriebe modifiziere, die der ihnen vorgeordneten Leitungsorgane aber unverändert lasse

Von grundsätzlicher Bedeutung, wenn auch an spezifischen Beispielen belegt, sind die Verweise auf widersprüchliche Bestimmungen im . Maßnahmepaket'des Änderungsbeschlusses.

Solche Widersprüche existieren vor allem in der Weise, daß Normative, die einen Bestandteil der betrieblichen Wirtschaftsmittel oder eine Komponente des Wirtschaftshandels funktional und zieladäquat zu regulieren vermögen, anderen Zielen und Erfordernissen entgegenwirken. Zum Beispiel verweist der renommierte Ökonom.

(und Chefredakteur von EKO) Aganbegjan darauf, daß die Bildung des Lohnfonds nach Normativen der Nettoproduktion, die der Durchsetzung des ständig postulierten Grundsatzes der Entlohnung gemäß den realen Arbeitsresultaten dienen soll, der gleichzeitig gestellten Forderung nach Erhöhung der Arbeitsproduktivität und nach Senkung des materiellen Ressourcenaufwands entgegensteht Ein weiteres Beispiel liefert Perlamutow, der aufzeigt, daß unter den — vom Experiment weitgehend unberührten — sowjetischen Planungs-und Bewertungsmodalitäten die gleichzeitig erhobenen Forderungen nach rascherer Produktinnovation und nach Kostensenkung in Widerspruch zueinander geraten Dieser Aspekt der Kritik verweist auf ein grundlegendes Dilemma der in der UdSSR bis heute — ungeachtet von partiellen Änderungsansätzen der Art des neuerlichen . Experiments'— vertretenen und praktizierten Konzeption von Wirtschaftsplanung und -leitung: Die bereits benannte Dominanz naturalwirtschaftlicher (gebrauchswertorientierter) Ziele erschwert die Steuerung der einzelwirtschaftlichen Prozesse mittels einer synthetischen, alle Komponenten von Aufwand und Resultat rechnerisch integrierenden Kennziffer. Nicht zuletzt daraus resultiert das in der Planungs-und Leitungspraxis institutionalisierte Bestreben, alle jene Einzelkomponenten zu erfassen und zu steuern. In betriebs-spezifischer Weise ist das jedoch schlechterdings unmöglich und auf der Grundlage von Durchschnittswerten bleiben reale Leistungspotentiale unausgeschöpft. Hinzu treten die exemplarisch angeführten Wirkungswidersprüche, wenn bei differierender Zeitdauer der Teilphasen z. B. von Investitionsund Innovationsprozessen die Bewertung der Ergebnisse der Betriebe an die Periode eines Jahres gebunden bleibt

Die verbreitete Problematisierung der Haupt-kennziffer „realisierte Vertragsverpflichtungen ...“ betrifft überwiegend das schon genannte Problem des infolge der üblichen Belieferungsdefizite nur beschränkten Vermögens der Betriebe, dieser Anforderung zu entsprechen. Es werden jedoch auch andere Aspekte thematisiert. So berichtet Klezki folgende Absurdität aus der weißrussischen Leichtindustrie Deren Betriebe erhielten in den ersten neun Monaten des Jahres 1984 Prämien von insgesamt 2, 3 Mill. Rubel für die 100%ige Erfüllung der Lieferverpflichtungen. Im gleichen Zeitraum hatten sie aber an die Handelsorganisationen Vertragsstrafen in Höhe von 4, 8 Mill. Rubel abzuführen. Diese Ungereimtheit erklärt sich daraus, daß der Indikator Lieferverpflichtungen’ im Kontext des Experiments nur auf allgemeine Sortimentsbestimmungen abhebt, während die Verordnung über Sanktionen bei Vertrags-verletzungen auf detaillierte Erzeugnisarten Bezug nimmt.

Die Kritik konkreter Modalitäten des Beschlusses vom Juli 1983 betrifft vor allem die Bereiche Wirtschaftsplanung, betriebliche Investitionen (Produktionsentwicklungsfonds) sowie Arbeitskräfte, Entlohnung und Prämierung. Dabei ist allerdings zwischen einer Problematisierung der Normen und Kritik an der geübten Praxis nicht immer eindeutig zu unterscheiden. Wenige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Ungeachtet der proklamierten Reduktion der den Betrieben im Rahmen des Experiments vorzugebenden Kennziffern wird mit der Detailplanung fortgefahren. So beschränkt man sich nicht auf die Kennziffer . Selbstkostensenkung', sondern spezifiziert sie nach Einzelkomponenten und -maßnahmen Die Planvorbereitungen laufen weiterhin zu spät an, um den Betrieben Zeit für die erforderlichen Dispositionen zu gewähren: „Wie früher erhalten wir die Nomenklaturpläne (die Pläne in Naturalkennziffern, H. C.) nicht rechtzeitig, wie früher beunruhigt uns auch, daß die bestätigten Pläne sich nicht immer als stabil und kohärent erweisen. In diesem Jahr zum Beispiel verfügten wir bis zum Ende des ersten Quartals nicht über aufeinander abgestimmte Kennziffern zu den Selbstkosten, zum Gewinn und zur Rentabilität.“

Besonders häufig sind Klagen über die anhaltende Praxis ständiger Planänderungen. Zwar proklamiert der Beschluß zum . Experiment'die Erweiterung der Rechte der Betriebe im Planungsprozeß. Die betrieblichen Planvorschläge, auf deren Basis die Materialanforderungen herausgehen, werden aber weiterhin durch die . bestätigenden Instanzen, Plankomitees und Ministerien, geändert.

Im Beschluß vom Juli 1983 nimmt die Modifikation von Bestimmungen zur Bildung und Verausgabung der betrieblichen Produktionsentwicklungsfonds relativ breiten Raum ein. Hier zeigt sich übrigens deutlich, daß die beabsichtigte Erweiterung der wirtschaftlichen Selbständigkeit und Verantwortung der Betriebe nicht grundsätzlichen . ordnungspolitischen'Erwägungen, sondern pragmatischem Kalkül folgt. Erkannt ist das Erfordernis breiter und zügiger technischer Umrüstung der Betriebe. Dazu sollen deren Eigenmittel und Reserven aktiviert werden. Dieser Ansatz gerät aber mit dem unverminderten Bestreben in Konflikt, den weitaus größten Teil der betrieblichen Nettowertschöpfung in den Staatshaushalt umzuleiten.

Die häufigste Kritik in diesem Zusammenhang macht den unzureichenden Umfang der Produktionsentwicklungsfonds geltend. So fließen beispielsweise in der Lebensmittelindustrie der ukrainischen Unionsrepublik, einem der Experimentbereiche, in diese betrieblichen Investitionsfonds nur 2, 2% des Gewinns und 14, 5% der Abschreibungen auf Generalreparaturen. Ihr Umfang erlaubt dementsprechend die Erneuerung der Anlagen erst nach 20 Jahren Allerdings variieren diese Bedingungen in den verschiedenen Bereichen. Aus dem Sektor des Schwer-und Transportmaschinenbaus wird häufiger berichtet, daß die Produktionsentwicklungsfonds seit Beginn des Experiments bedeutend angewachsen seien.

Hier — wie auch in den übrigen Bereichen — stellen sich andere bzw. weitere Probleme. Zum einen können die vorhandenen Mittel schwer für beabsichtigte Umrüstungen verausgabt werden, weil nach wie vor Ministerien, das staatliche Plankomitee (Gosplan) und das Staatskomitee für materiell-technische Versorgung (Gossnab), über die Allokation der Ausrüstungsgüter verfügen und dabei vorrangig die Ansprüche aus . zentralisierten Investitionen'befriedigen. Zum anderen ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten, wenn die vorgesehenen Umrüstungen mit Bauarbeiten verbunden sind. Bauorganisationen übernehmen — abgesehen von ihrer allgemein ohnehin hohen Auslastung — derartige Aufträge höchst ungern, weil ihre Arbeit nach Kriterien bewertet wird, die bei Großprojekten leichter zu erfüllen sind.

Im Problembereich der betrieblichen Disposition über Arbeitskräfte, also deren Entlohnung und Gratifikation, konzentriert sich die Kritik auf drei Aspekte: Fortdauer überkommener Mängel, die das Experiment negiert, Dysfunktionalität einzelner Bestimmungen des Beschlusses vom Juli 1983 sowie Blockierung ihrer betrieblichen Anwendung durch vorgeordnete staatliche Organe.

Ein Beispiel für den ersten Aspekt ist die verbreitete Klage darüber, daß es den Betriebsleitungen nach wie vor versagt ist, über Umfang und Struktur der Belegschaft eigenständig zu entscheiden. Sie verfügen somit nicht über einen wesentlichen Faktor der Effizienz der einzelwirtschaftlichen Prozesse. Darüber hinaus sind die ohnehin spärlichen Rechte, die das Experiment bezüglich der Bildung und Verwendung des Lohnfonds einräumt, zusätzlich beschnitten Die Erweiterung der Möglichkeiten der Betriebe zur Gewährung von Prämien und Gehaltszuschlägen beziehen sich ganz überwiegend auf das sogenannte . ingenieur-technische Personal'. Dabei bildet die Kritik der somit verbleibenden Restriktionen einer Prämierung der Arbeiter ein Beispiel für den zweiten, oben bezeichneten Aspekt

Vielfältig ist die Kritik im Zusammenhang des dritten Aspekts, also der Blockierung betrieblicher Dispositionen über Arbeitskräfte durch vorgeordnete staatliche Organe. Sie richtet sich gegen die Praxis staatlicher Organe, die Nutzung der unter dem Experiment vorgesehenen Gratifikationsmöglichkeiten durch die Betriebe an Bedingungen zu binden, die im Beschluß vom Juli 1983 nicht vorgesehen sind. So schränkte z. B. das Ministerium für die elektrotechnische Industrie die generelle Maßregel, nach der bei 100%iger Erfüllung der Hauptkennziffer . realisierte Produktion gemäß Lieferverpflichtungen'der Prämierungsfonds um 15% erhöht wird, dahin gehend ein, daß nicht mehr als 60% dieses Zuwachses für Prämien verausgabt werden dürfen Bezogen auf den gleichen Modus erließ das Finanzministerium eine Vorschrift, nach der die Erhöhung des Prämienfonds vom Vorhandensein außerplanmäßiger Gewinne abhängig gemacht wird

Vergegenwärtigt man sich die ohnehin sehr beschränkte sachliche Reichweite der in dem Beschluß zum . Wirtschaftsexperiment im großen Maßstab'vorgesehenen Änderungen, so wecken die zusätzlichen Einschränkungender proklamierten Maßnahmen sowohl durch die Ausführungsbestimmungen wie vor allem in den Prozessen ihrer tatsächlichen Anwendung in der Praxis den Eindruck, daß sich an der verfestigten Gewohnheit der rigiden und umfassenden Reglementierung des betrieblichen Wirtschaftshandelns durch Ministerien und andere staatliche Organe sp gut wie nichts geändert hat Auch manche sowjetische Autoren bestätigen diese Vermutung, wenn auch zumeist in indirekter Form.

Völlig zu verallgemeinern ist diese Schlußfolgerung allerdings wohl nicht. Die komprimierte Wiedergabe sowjetischer Stimmen zum 1984 begonnenen Wirtschaftsexperiment konzentrierte sich bewußt auf Kritikaspekte. Die Zustimmungen und Erfolgsmeldungen sind zwar zu relativieren, können aber nicht als absolut unbegründet und unhaltbar negiert werden. Dabei ist u. a. zu berücksichtigen, daß die Art und Weise der Umsetzung der Modalitäten des Beschlusses vom Juli 1983 nicht nur in den ins Experiment einbezogenen einzelnen Bereichen und Sektoren, sondern auch in den Betrieben unterschiedlich ist. Diese Differenz betrifft zum einen die Art der Anwendung der veränderten Planungs-, Steuerungs-und Bewertungsmaßregeln, sie ergibt sich zum anderen aber auch daraus, daß es von konkreten wirtschaftlichen, technischen, personellen etc. betrieblichen Bedingungen abhängt, in welchem Maße die — wie immer begrenzten — Neuerungen genutzt werden können. Sicher ist jedoch, daß die Erwartungen der Initiatoren des Experiments an seine Wirkungen hinsichtlich der Steigerung der Effizienz der einzelwirtschaftlichen Prozesse, der Beschleunigung des technischen Wandels und der Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse bei weitem nicht in dem Grad erfüllt werden, den die realen Anforderungen erheischen, mit denen die sowjetische Wirtschaft heute konfrontiert ist.

III. Umrisse einer modifizierten Wirtschaftsstrategie unter Gorbatschow

Die Funktionsschwächen und Leistungsmängel der sowjetischen Wirtschaft, welche Gorbatschow in seinen Reden benennt und deren Überwindung er fordert, sind die gleichen, wie sie als ständige Kritikpunkte in den Wirtschaftsteilen der Rechenschaftsberichte auf den KPdSU-Parteitagen seit 1961 aufgelistet werden:

— die technologische Entwicklung bleibt hinter dem Weltniveau und dem akuten Bedarf zurück;

— vor allem werden ihre Resultate mit viel zu großer Verspätung in die Produktionspraxis umgesetzt, so daß die Erzeugnisse einen unzureichenden technischen Standard aufweisen und ein großer Teil der Produktionsanlagen veraltet bzw. unbrauchbar ist;

— materielle Ressourcen aller Art werden vergeudet;

— die Nutzung der Anlagen sowie der Umlaufmittel der Betriebe ist ineffektiv;

— Arbeitsorganisation und -disziplin sind schlecht;

— die Qualifikation der Wirtschaftsleiter, des ingenieur-technischen Personals und auch das der Arbeiter muß erhöht werden;

— die Leitungsprozesse sind schwerfällig, bürokratisch, autoritär; — es ist notwendig „... Organisiertheit und Disziplin zu erhöhen, den Arbeitsstil in grundlegender Art und Weise zu verbessern" doch „offensichtlich erweist sich bei weitem noch nicht jeder Leiter psychologisch auf eine solche Wende vorbereitet. Vielen scheint es noch, daß weniger beraten und mehr kommandieren der leichtere und kürzere Weg zu einem bestimmten Ziel ist."

Dem chronischen Charakter der genannten Funktionsmängel der Wirtschaft trägt Gorbatschow Rechnung, indem er konzediert, die nunmehr unaufschiebbaren Änderungen der Leitungsstruktur sowie der Planungs-und Regulierungsmethoden hätten schon früher erfolgen müssen: „Dank der aktiven Arbeit der Partei, -die im Jahre 1983 begann, gelang es, die Arbeit vieler Glieder der Volkswirtschaft anzuheben und die Lage etwas zu verbessern. Jedoch sind die Schwierigkeiten bei weitem nicht überwunden...“ Das Urteil, daß sichmit dem Experiment die Lage „etwas" gebessert habe, deutet an, daß Gorbatschow die Ausweitung seiner Modalitäten auf die gesamte Industrie (und weitere Bereiche der Wirtschaft) nicht als zureichend erachtet. An späterer Stelle der gleichen Rede sagt er deutlicher: „Die Ergebnisse des ... verwirklichten umfassenden Experiments mögen nicht schlecht sein. Aber völlig befriedigen können sie nicht. Es ist jene Grenze erreicht, wo es nötig ist, vom Experiment zur Errichtung eines ganzheitlichen Systems des Wirtschaftens und der Leitung überzugehen.'

Die neuen Formen und Methoden der Wirtschaftsplanung und -leitung sollen zwar die überkommenen Funktionsstörungen und Leistungsdefizite allgemein überwinden. Indessen hebt Gorbatschow zwei Aspekte in allen bisherigen Reden im Amte des Generalsekretärs des ZK der KPdSU besonders hervor.

Zum einen kommt der Beschleunigung des . wissenschaftlich-technischen Fortschritts'höchste Priorität zu. Die Bedeutung, die dieser Grundkomponente der Entwicklung des gesellschaftlichen Produktionspotentials zugemessen wird, zeigt sich u. a. daran, daß im ersten Halbjahr der Amtszeit Gorbatschows bereits zwei Konferenzen zu Problemen der Technologieförderung im ZK der KPdSU unter Beteiligung von Partei-und Staatsfunktionären, Wissenschaftlern und Wirtschaftspräktikern stattfanden

Das zweite herausgehobene Ziel der postulierten Änderungen des . Wirtschaftsmechanismus'ist die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Massenbedarfsgütern, Wohnraum und Dienstleistungen, vor allem auch in qualitativer Hinsicht. Der hohe Stellenwert, der der Überwindung dieser Engpässe erneut beigemessen wird, beruht wohl auf der Einsicht, daß diese in erheblichem Maße für die . subjektiven'Ursachen der geringen Wirksamkeit der Arbeitsprozesse verantwortlich sind, — für den häufigen Arbeitsplatzwechsel, die geringe Arbeitsmotivation, den sorglosen Umgang mit Produktionsmaterialien und Arbeitsmitteln, für geringe Leistungsorientierung, Alkoholismus, Disziplinlosigkeit, kurz: für die Absorption der psychischen und physischen Spannkraft der Arbeitenden zur Bewältigung permanenter Alltags-probleme. Die beabsichtigten Änderungen im sowjetischen Planungs-und Leitungssystem der Wirtschaft, die Gorbatschow in seinen Reden andeutet, sind — mit einer allerdings wesentlichen Ausnahme — nicht neu, und sie sind auch kaum einschneidender als ähnliche, früher proklamierte Änderungen. Während die Reformansätze seit 1965 jedoch entweder vornehmlich eine Ebene der ökonomischen Leitungshierarchie oder nur eine Komponente der Organisationsstruktur und der Lenkungsmethoden betrafen zeichnet sich bei Gorbatschow ein mehrdimensionaler Ansatz ab. Die Notwendigkeit dazu begründet er explizit: „Uns steht bevor, sofort, gleichzeitig in viele Richtungen zu gehen, sonst bewegt sich die Sache nicht von der Stelle, ist die Beschleunigung unserer Bewegung nicht gewährleistet.“

Es sind vor allem drei Sphären der Wirtschaftsorganisation und des Wirtschaftshandelns, für die bestimmte Veränderungen angekündigt werden:

— die obere und mittlere Leitungsebene der Wirtschaft;

— die betriebliche Ebene;

— die Investitions-und Strukturpolitik.

Im ersten Bereich wird eine Neubestimmung der Funktionen der oberen (Gosplan, Staats-komitees) und der mittleren (Ministerien, Allunions-Industrievereinigungen) • Instanzen angekündigt. Unter Berufung auf Lenin schlägt Gorbatschow die Umwandlung von Gosplan in ein „... wissenschaftlich-ökonomisches Organ, in dem bedeutende Gelehrte und führende Spezialisten konzentriert sind" vor. Das bedeutet, Gosplan soll die Grundlinien der Forschungsrichtungen, der technologischen Entwicklungsstrategie kon-zipieren. Auf dieser Grundlage sollen die langfristigen (, Perspektiv'-) Pläne ausgearbeitet und die Planungsmethoden und -techniken verbessert werden. Gosplan soll jedoch die unmittelbaren Produktions-und Distributionsprozesse weder planen noch steuern

Um eine solche revidierte Aufgabenbestimmung durchzusetzen, bedarf es jedoch nach den bisherigen Erfahrungen einer Vorbedingung, die soziale und politische Brisanz enthält, nämlich einer wesentlichen Reduktion des Personalbestands der Leitungsorgane. Während Gorbatschows Vorgänger vor dieser Konsequenz zurückschreckten, kündigte er solche Schritte zumindest an: „Es ist nötig, den Leitungsapparat in den Wirtschaftszweigen wesentlich zu verringern, seine überflüssigen Glieder freizusetzen.“

Der Reduktion der ökonomischen Entscheidungs-und Lenkungskompetenzen der oberen und mittleren Organe der Wirtschaftsleitung müßte die Erweiterung der Verfügungsrechte der Betriebe entsprechen. Sie wird von Gorbatschow auch deklariert, substantiell allerdings nicht wesentlich über formal schon geltende, allerdings nur sehr beschränkt realisierte Rechte hinaus konkretisiert. Gorbatschow spricht vielmehr zumeist allgemein von einer vorgesehenen „... bedeutenden Erweiterung der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit der Produktionsvereinigungen und Betriebe .. . von der „... scharfen Verringerung der Anzahl der zentralisiert aufgestellten Plankennziffern" und versichert: „Wir haben die Aufgabe der Selbständigkeit (der Betriebe, H. C.) nicht gelöst, wenn der Direktor aus jedem Anlaß Dutzende von Zustimmungen einholen muß .. Es ist unmöglich, jede beliebige Frage zentral zu entscheiden.“

Im dritten Bereich der von Gorbatschow angekündigten Änderungen geht es im Kern darum, den an der Ausarbeitung, der produktionspraktischen Realisierung des technischen Fortschritts beteiligten Institutionen und Wirtschaftsbereichen eindeutige Priorität in der staatlichen Investitions-und Strukturpolitik zu sichern: „Nötig ist ein revolutionärer Umschwung, der Übergang zu prinzipiell neuen technologischen Systemen, zur Technik der letzten Generation, die die höchste Effizienz gewährt. Im wesentlichen ist die Rede von der Umrüstung aller Zweige der Volkswirtschaft auf der Grundlage der heutigen Errungenschaften von Wissenschaft und Technik."

Die Hinweise, die Gorbatschow in seinen bisherigen Reden im Amte des Generalsekretärs des ZK der KPdSU auf beabsichtigte weitere Modifikationen des Planungs-und Leitungssystems der sowjetischen Wirtschaft gibt, sind in bezug auf wesentliche Bedingungen und Modalitäten zu unbestimmt, um ihre Wirksamkeit prognostizieren zu können. Generell wäre jedoch in einer Ergänzung der im Beschluß vom Juli 1983 vorgesehenen Ansätze zur — allerdings bescheidenen — Erweite-'rung des betrieblichen Dispositionsbereichs durch institutioneile sowie kompetenz-und funktionsmäßige Änderungen im Bereich der vorgeordneten Leitungsinstanzen sowie durch eine prioritätenzentrierte Ausrichtung und Straffung der Wirtschaftsstrategie der Partei-und Staatsführung eine gewisse Chance für graduelle Funktions-und Leistungsverbesserungen zu vermuten.

IV. Vom Experiment zum neuen System des Wirtschaftens

Unter der Überschrift „Vom Experiment zum neuen System des Wirtschaftens" wird in der „Ekonomiöeskaja Gazeta" (Nr. 35/85) ein Beschluß kommentiert, den das ZK der KPdSU und der Ministerrat der UdSSR am 12. Juli 1985 unter der Überschrift „über die weite Verbreitufg neuer Methoden des Wirtschaftens und die Stärkung ihrer Wirkung auf die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts" faßten Dieser Beschluß verkündet ein Bündel weiterer Änderungen des bestehenden Wirtschaftsmechanismus, die vor allem die Maßregeln des Beschlusses vom Juli 1983 erweitern, präzisieren, modifi-zieren oder auch nur bekräftigen. In der Präambel wird die Konzeption des „Experiments im großen Maßstab" nicht explizit kritisiert, die Umsetzung jedoch nach Aufzählung einiger positiver Resultate als im ganzen unzureichend bewertet: „Der Wirtschaftsmechanismus wirkt noch nicht in der erforderlichen Weise auf die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, auf die Erhöhung der Erzeugung hochqualitativer Produkte, die den heutigen wissenschaftlich-technischen Errungenschaften entsprechen. Die Betriebe tragen nicht die notwendige ökonomische Verantwortung für die Erzeugung moralisch veralteter Produkte.“ Ist der frühere Beschluß allgemein auf die Erhöhung der Wirksamkeit der ökonomischen Prozesse, vor allem auf einzelwirtschaftlicher Ebene, ausgerichtet, so wird in dem jüngeren ein engerer prioritärer Zweck angegeben:.... Stärkung des Einflusses des Wirtschaftsmechanismus auf die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, auf die Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse (und) auf die Schaffung wirklicher Interessiertheit der Arbeitskollektive daran ...". Der Beschluß von 1983 faßte die vorgesehenen Teiländerungen im Bereich der Wirtschaftsplanung, -leitung und -Organisation in zehn Punkten zusammen, der neue beansprucht dafür 35 was auf die differenziertere und konkretere Beschreibung der verkündeten Maßnahmen verweist. Diese drücken deutlich jene Kritik der zwei Jahre zuvor beschlossenen Regelungen aus, die, vor allem seitens der Wirtschaftspraktiker, in der Tages-und Fachpresse ebenso wie auch in den beiden genannten ZK-Konferenzen dieses Jahres zu Fragen des technischen Fortschritts laut wurde.

Die nunmehr beschlossenen Änderungen treten am 1. Januar 1986 in Kraft — nicht in der gesamten Wirtschaft, jedoch in einem breiteren Bereich als dem derzeitigen Erprobungsfeld des „Experiments“ Die Implementierung soll am 1. Januar 1987 bereits angeschlossen sein Die vorgesehenen Maßnahmen können hier nicht im einzelnen referiert werden; im Zusammenhang der intendierten Problemskizze genügen jedoch eine allgemeine Charakterisierung und eine knappe Bewertung der Erfolgschancen.

Die beschlossenen „neuen Methoden des Wirtschaftens" spiegeln die bereits bezeichneten Dilemmata der sowjetischen Wirtschaft wider: die Widersprüche sowohl zwischen gesamt-und einzelwirtschaftlichen wie auch zwischen natural-und formalwirtschaftlichen (wirtschaftsrechnerischen) Ziel-und Handlungsparametern. Die im Punkt 2 des neuen Beschlusses bekräftigte Verpflichtung von Gosplan und Ministerien, Kennziffern der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu Bestandteilen aller Gliederungen des Staatsplanes zu machen und sie auf den Übergang zu prinzipiell neuer Technik auszurichten, trägt der Stellung der Betriebe innerhalb der Gesamtwirtschaft als ausführende, abhängige, nur sehr beschränkt entscheidungs-und aneignungsmächtige soziale Teilgebilde Rechnung. Sie entwickeln auf dieser Basis kein originäres und nachhaltiges Eigeninteresse an kontinuierlicher Erhöhung des technischen und ökonomischen Wirkungsgrades der Produktionstätigkeit und bedürfen dazu der Anleitung , von außerhalb'. Werden dabei, wie im Beschluß vom Juli 1985 vorgesehen, Gratifikationen gewährt und ist die Anleitung'(durch Planaufgaben) sachlich fundiert, konkret, konsistent mit anderen Aufgaben, für den Betrieb realisierbar, so mag sie bestimmte Erfolge zeitigen. Diese müssen jedoch hinter Maß und Tempo technischer Innovationen bei genuinem Eigeninteresse der einzelwirtschaftlichen Entscheidungsträger und Weisungsmächtigen schon deshalb Zurückbleiben, weil die administrativ vorgegebenen Parameter kaum dem je fortgeschrittensten Stand entsprechen können und weil sich die Betriebe am Minimalkriterium für Aufgabenerfüllung orientieren werden.

Dem vorrangigen Ziel der Erhöhung des technischen Niveaus und damit der ökonomischen Effizienz der Produktionsprozesse, dient die im Beschluß vom Juli 1985 postulierte breite und rasche Umrüstung der betrieblichen Anlagen. Das Konzept geht dabei von der erfahrungsbegründeten Erkenntnis aus, daß es dazu der Eigeninitiative der Betriebsleitungen und der Aktivierung der betrieblichen Eigenmittel bedarf.

In der somit erforderlichen Erweiterung der Entscheidungs-und Dispositionsbefugnisse der Betriebe geht der Ergänzungsbeschluß über die Normierungen des . Experiments hinaus. Dabei werden Ansätze einer potentiellen Umkehrung des Dominanzverhältnisses zwischen Ministerien und Betrieben deutlich. Nach Punkt 12 des neuen Beschlusses erstellen und bestätigen die Betriebe die Pläne zur technischen Umrüstung aus eigenen (nichtzentralisierten) Fonds. Die Bestätigung (Billigung) blieb noch im Beschluß vom Juli 1983 den Ministerien vorbehalten. Mit der weiteren Bestimmung, daß die Ministerien die geplanten Investitionen der Betriebe als zentralisierte zu behandeln haben, ihren Umfang aggregieren, im stofflichen Ausdruck spezifizieren und so an Gosplan, Gossnab und andere zentrale Instanzen zur Einbeziehung in die Produktions-, Finanz-(in bezug auf Kredite) und Verteilungspläne weiterleiten, zeichnet sich der Möglichkeit nach eine partielle Umkehrung des tradierten Weges der Entscheidungen, Informationen und Weisungen von oben nach unten ab. Die im Punkt 13 deklarierte Selbständigkeit der Betriebe bei der Erstellung und Bestätigung der technischen Projektierung und Dokumentation sowie der Kostenvoranschläge der geplanten Umrüstungsmaßnahmen wird allerdings an relativ bescheidene Volumina gebunden Ob die Klausel im Punkt 9 des neuen Beschlusses, nach der die Betriebsleitungen über die Nutzung der Mittel des Produktionsentwicklungsfonds und der ergänzenden Kredite mit Billigung der Arbeitskollektive entscheiden, eine über auch in früheren Normativakten enthaltene, real kaum relevante For-mel hinausweisende Absicht zu einem Schritt wirklicher Mitbestimmung der Beschäftigten indiziert, muß die künftige Praxis erweisen.

Das gilt natürlich für die im Ergänzungsbeschluß vorgesehenen Regelungen überhaupt, insbesondere für jene, die die überkommenen Entscheidungs-und Weisungsvorrechte der oberen Instanzen der administrativen Hierarchie zugunsten erweiterter betrieblicher Dispositionsräume einschränken. Die seit der frühen Stalin-Ära in der UdSSR fest etablierte Praxis, Divergenzen innerhalb der Machtelite über richtungsweisende Entscheidungen nicht offen und öffentlich, allenfalls in verdeckter, auf Chiffren reduzierter Form auszutragen, ist bis heute so gut wie ungebrochen. Trotzdem offenbart die Lektüre z. B.der Prawda in jüngerer Zeit deutlich, daß der mit der Person des neuen Generalsekretärs des ZK der KPdSU identifizierte, bislang substantiell eher vorsichtige wirtschaftliche Reformkurs auf Widerstand stößt Die De-mission Tichonows vom Amte des Vorsitzenden des Ministerrates zeigt einmal mehr die Entschlossenheit der politisch, konzeptionell und persönlich mit Gorbatschow verbundenen Gruppierung, sich für die sachlichen und personellen Entscheidungen des 27. Parteitags im Februar 1986 zu wappnen, um dort Mehrheiten zu erringen. Allerdings sind diese, wie das erfolgreiche Konterkarieren der bürokratischen Instanzen nach 1965 belegt, nur notwendige, nicht schon zureichende Bedingung für die Durchsetzung eines dann möglicherweise tiefergreifenden Reformkurses.

Die vielfältigen Modalitäten der Stimulierung des Entscheidens und Handelns der Betriebs-kollektive in Richtung der Prioritäten der Wirtschaftsstrategie der Partei-und Staats-führung, die der Beschluß vom Juli 1985 vorsieht, werden hier übergangen, da sie die im Bereich des Experiments geltenden Regelungen nur graduell modifizieren. Nicht mehr als angedeutet seien dagegen noch drei Bestimmungen, deren Realisierung zum Ansatz weiterreichender Entwicklungen werden könnte: Die Punkte 10 und 11 enthalten Möglichkeiten zu einer gewissen . Verflüssigung'der betrieblichen Anlagemittel, die nicht mehr kurzfristig verausgabt werden müssen, sondern mit Verzinsung bei Banken angespart und von diesen weiterverliehen werden können. Diese Regelung ist zu bescheiden, um den Begriff . Kapitalmarkt'zu bemühen, sie verweist aber in diese Richtung.

Nach Punkt 17 soll ab 1987 die . materiell-technische Versorgung'der Betriebe zum Zwecke technischer Umrüstungen unmittelbar durch die unteren, territorialen Gossnab-Organe erfolgen. Die oberen Gossnab-Instanzen werden zwar noch in die Planungs-, nicht aber in die Verteilungsprozesse einbezogen. Dieser Modus könnte als erster Schritt zu dem oft geforderten, auch von Gorbatschow befürworteten Übergang zum Großhandel mit Produktionsgütern fungieren -Die gleiche Priorität, die technische Umrüstungsmaßnahmen bei der Zuteilung der entsprechenden Ressourcen und Baukapazitäten genießen sollen, wird in den Punkten 14— 16 den aus den betrieblichen Wohnungsbau-, Kultur-und Sozialfonds zu finanzierenden (vor allem Bau-) Vorhaben eingeräumt. Wenn auch nur in Form weiterer Syndikalisierung, könnte sich damit die Tendenz zur . Entstaatlichung'der Bereiche des Wohnungsbaus sowie der sozialen und kulturellen Einrichtungen und Dienste verstärken.

Der Beschluß vom Juli 1985 wurde unter dem Aspekt von Möglichkeiten der Erweiterung des 1983 eröffneten Reformansatzes interpretiert. Daß deren Verwirklichung von realen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und personalen Bedingungen abhängt, wurde mehrfach betont. Es sei jedoch auch noch auf die Grenzen verwiesen, die in der Konzeption des Ergänzungsbeschlusses selbst angelegt sind. Sie resultieren allgemein aus der Ambivalenz des Systems der indirekten Zentralisierung der Planentscheidungen und Leitungsprozeduren. In der selektiven und verkürzten Darstellung der Bestimmungen des Beschlusses vom Juli 1985 kam nicht zureichend zum Ausdruck, daß auch hier die in der Nach-Breschnew-Ära häufig proklamierte Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Betriebe nur beschränkt intendiert und schon konzeptionell (erfahrungsgemäß in der Umsetzungspraxis verstärkt) an eine Vielzahl von Reglementierungen durch Instrumente indirekter Zentralisierung gebunden bleibt Sachliche Erwägungen sprechen jedoch dafür (was empirische Erfahrungen bestätigen), daß die erhofften Wirkungen in Richtung betrieblicher Eigeninitiativen zu technischen Umrüstungen, zur Senkung des Ressourcenverbrauchs, Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse etc. ein real erweitertes Maß betrieblicher Entscheidungs-und Dispositionsfreiheit, mithin den Übergang von der indirekten Zentralisierung zur — zumindest partiellen — Dezentralisierung der Planentscheidungen und der Verfügung über die einzelwirtschaftlichen Produktions-und Reproduktionsprozesse erfordern.

Daß dieser Schritt unter den historischen, aktuell-entwicklungsspezifischen, gesellschaftlichen u. a. Bedingungen der UdSSR in mehrfacher Weise risikobeladen ist, sollte nicht verkannt werden. Nicht zuletzt aus der Antizipation möglicher Gefahren resultieren das Zögern und die Inkonsequenz der Reform-strategie der politischen Führung. In einer Phase des forcierten Wettrüstens und der Verschärfung der Spannungen zwischen den rivalisierenden Großmächten wird die Risikobereitschaft für innere ökonomische Struktur-reformen mit ihren sozialen und politischen Implikationen und Konsequenzen, womöglich nicht allein seitens der Machtelite und ungeachtet des Drucks, der von der wachsenden Überforderung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ausgeht, begrenzt bleiben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Herstellungskosten für Traktoren und Autos betragen z. B. nur 3 bis 4% der Gesamtkosten, die für ihren Unterhalt (Reparaturen und Ersatzteile) im Verlauf der Nutzungsdauer anfallen. A. Aganbegjan, in: EKO (Abkürzung von: Ekonomika i organizacija promylennogo proizvodstva — Ökonomie und Organisation der industriellen Produktion), 8 (1985), S. 19.

  2. Der ungarische Ökonom J. Kornai erklärt die Funktionsmängel der sozialistischen Wirtschaftssysteme zum überwiegenden Teil aus der allgemeinen und permanenten Situation des Mangels. Vgl. , The Economics of Shortage', 2 Bde., Amsterdam 1980.

  3. Z. B. Sredstva fonda pazvitija’ (Die Mittel des Entwicklungsfonds), in: EkonomiCeskaja Gazeta, 41 (1985), S. 16.

  4. Prawda vom 12. November 1984, Artikel „Novinki v oteredi" (Laufende Erneuerungen); Ekonomiteskaja Gazeta, 13 (1985), S. 7 und 32 (1985), S. 14; EKO, 8 (1985), S. 121.

  5. N. Tschymatschenko, Direktor des Instituts für Industrieökonomie der Akademie der Wissenschaften der ukrainischen Sowjetrepublik, in: Ekonomiteskaja Gazeta, 30 (1985), S. 16. Der Anteil der Investitionen in technische Umrüstungen an den Gesamtinvestitionen betrug in der Periode des 10. Fünfjahresplanes (1976— 1980) 29, 2%. Er soll im 11. Fünfjahresplan (1981— 1985) auf 32, 5% erhöht werden. Der Verfasser hält jedoch einen Anteil von 50% für erforderlich.

  6. Aus der These, daß die gesellschaftliche Grundverfassung . letzte'Ursache der bezeichneten Funktionsprobleme der sowjetischen Wirtschaft ist, muß im übrigen nicht zwingend die Unerläßlichkeit ihrer Änderung gefolgert werden. Denkbar wäre ebenso der Schluß einer Revision der sozio-ökonomischen Ziele und Kriterien.

  7. Die im Westen geläufige Übersetzung von , predprijatie’ mit . Betrieb'wird hier im Kontext des Vergleichs mit den ökonomischen Grundeinheiten kapitalistischer Wirtschaftssysteme synonym mit . Unternehmen'benutzt.

  8. Das ist zum einen, zumindest bei den sowjetischen Dimensionen, selbst beim Einsatz modernster Computer informationstechnisch und -organisatorisch nicht möglich. Zum anderen sind die Betriebe aufgrund der angedeuteten Diskrepanz zwischen gesamt-und einzelwirtschaftlicher Interessen-und Handlungsorientierung gar nicht geneigt, exakte Informationen zu liefern.

  9. Die umfassendste Untersuchung der Umsetzung des Reformbeschlusses von 1965 (ext in: Reäenija partii i pravitelstva po chozjajstvennym voprosam 1917— 1967 gg„ tom 5, Moskau 1968, S. 640— 685) bietet: K. Ryavec The Implementation of Soviet Economic Reforms, London 1975. Ferner u. a. K. Bush, The Implementation of Soviet Economic Reform, in: osteuropa-wirtschaft, (1970) 2, S. 67— 90 und (1970) 3, S. 90— 98; H. -H. Höhmann, Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftsreform in der Sowjetunion, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, (1974) 49.

  10. Die hier angedeutete Argumentation weist in die Richtung der Begründungen, mit denen L. Mises bereits 1920 die Funktions-und vor allem Effi-zienprobleme einer sozialistischen Produktionsweise antizipierte (. Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen', in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47 (1920/21), S. 86 bis 121). Allerdings verabsolutiert Mises die er; werbs-und konkurrenzwirtschaftlichen Ziel-und Erfolgskriterien ohne jegliche historische und gesellschaftliche Relativierung.

  11. Der Beschluß hat den Titel „Uber ergänzende Maßnahmen zur Erweiterung der Rechte der Produktionsvereinigungen (Betriebe) der Industrie bei der Planung und Wirtschaftstätigkeit und zur Stärkung ihrer Verantwortung für die Arbeitsresultate“ (eigene Übersetzung), in: Sobranie postanovlenij pravidel’stva SSSR, Otdel I, 20 (1983), S. 339— 348.

  12. Ebd., S. 339f.

  13. Neu ist hier nur der Zusatz „gemäß den vertraglichen Lieferverpflichtungen ...“. Er ist Folge der Erfahrung, daß bei der überwiegend starken Position der Produzenten gegenüber den Abnehmern auch solche Erzeugnisse „realisiert“ (d. h. abgesetzt) werden können, die nach Qualität, Sortiment etc. nicht den Lieferverträgen entsprechen.

  14. „über ergänzende Maßnahmen... (Anm. 11), S. 340.

  15. Zu den Kategorien der direkten und der indirekten Zentralisierung der Wirtschaftsplanung und -leitung vgl.: R. Damus, Entscheidungsstrukturen und Funktionsprobleme in der DDR-Wirtschaft, Frankfurt/Main 1973.

  16. Ein Beispiel für die Problematisierung und Relativierung der Erfolgsmeldungen durch einen sowjetischen Autor bietet der prominente Ökonom P. G. Bunitsch, in: Eksperiment na distancii (Das Experiment auf Distanz), in: EKO, 2 (1985), S. 9ff. Er verweist z. B. darauf, daß der Grad der Planerfüllung 1984 im Vergleich zum Vorjahr nur dann aussagekräftig ist, wenn der vom Betrieb vorgeschlagene und vom Ministerium gebilligte . Gegenplan für 1984 höher als der Plan 1983 ist. Im Hinblick auf die Bedingungen des . Experiments'reichten aber nicht wenige Betriebe 1983 nur solche . Gegenpläne'ein, deren Erfüllung sie als möglich erachteten.

  17. Die Industrieproduktion stieg im 1. Quartal um 4, 9%, die Arbeitsproduktivität in der Industrie um 4, 6% (Prawda vom 29. April 1984), im 1. Halbjahr entsprechend um 4, 5% und 4, 2% (Prawda vom 22. Juli 1984).

  18. , Cto sniiaet effekt bankovskogo kredita? (Was mindert die Effektivität des Bankkredits?), in: Ekonomiöeskaja Gazeta, 41 1985.

  19. W. A. Sytschewa, in: EKO, 12 (1984), S. 55/56.

  20. EKO, 12 (1984), S. 3— 20.

  21. Ebd., S. 4.

  22. Literaturnaja Gazeta vom 30. Mai 1984. P. G. Bunitsch referiert hier komprimiert die Auswertung einer Umfrage unter Betriebsdirektoren, die unter den Bedingungen des Beschlusses vom Juli 1983 arbeiten. Der zitierte Satz ist möglicherweise ein indirektes Zitat oder eine Paraphrase von Äußerungen der Befragten. Bunitsch selbst vertritt diese Position aber in seinen recht häufigen Artikeln auch selbst. Vgl. z. B. „Poorenie za rezul’tat" (Gratifikation nach dem Resultat) in: Prawda vom 19. April 1985.

  23. Diese Kritik ist so verbreitet, daß die folgenden Belege beliebige sind: W. M. Vologshin, in: EKO, 1 (1984), S. 48; S. S. Juzefowitsch, in: EKO, 10 (1984), S. 80; EkonomiCeskaja Gazete, 7 (1985), S. 6; desgl. 20 (1985), S. 13.

  24. A. W. Siginewitsch, in: Voprosy Ekonomiki (Fragen der Wirtschaft), 4 (1985), S. 112 (Rundtischgespräch).

  25. „Eksperiment stavit voprosy" (Das Experiment wirft Probleme auf), in: EkonomiCeskaja Gazeta, 17 (1985), S. 12; A. J. Tarasjuk, in: Voprosy Ekonomiki, 4 (1985), S. 122.

  26. EKO, 12 (1984), S. 71 (Rundtischgespräch).

  27. W. Perlamutow, in: Planovoe Chozjajstvo (Planwirtschaft), 4 (1985), S. 73. Der Widerspruch entsteht dadurch, daß entgegen den seit langem verkündeten Änderungsabsichten Planung und Bewertung der betrieblichen Wirtschaftsresultate „vom erreichten Stand" aus vorgenommen werden. Die mit der Entwicklung und Einführung neuer Produkte temporär unvermeidlichen Mehrkosten wirken deshalb Jahre ihres Anfalls für den Betrieb nachteilig

  28. Vgl. Anm. 8

  29. Planovoe Chozjajstvo, 4 (1985), S. 72.

  30. W. S. Kydrjawzew, in: Voprosy Ekonomiki, 4 (1985), S. 107; S. Bogomolow, in: Planovoe Chozjajstvo, 1 (1985), S. 48 berichtet, daß .sein’ Betrieb für 1984 außer den Plangrundkennziffern 40 weitere vorgegeben erhielt.

  31. „Upor na novoju techniku, in: EkonomiCeskaja Gazeta, 18 (1985), S. 8; im gleichen Sinne u. a.: A S. Osinzew, in: EKO, 8 (1984), S. 109— 115; W.

  32. N. Gerasimtschuk, in: Planovoe Chozjajstvo, 4 (1985), S, 69/70; desgl. u. a. Ekonomiteskaja Gazeta, 7 (1985), S, 6; W. W. Schalinow, in EKO, 12 (1984) (Rundtischgespräch), S. 47 u. 50 ff.

  33. Exemplarisch: Ekonomiteskaja Gazeta, 7 (1985), S. 6, Artikel „to pokazala praktika?" (Was zeigt die Praxis? 1'; der Verfasser ist Präsident des Planungskomitees der litauischen Unionsrepublik); Vologshin, in: EKO 7 (1984), S. 47.

  34. Prawda vom 18. Mai 1985, Artikel „Prostor iniciativ" (Freiraum der Initiativen).

  35. Der Rest vermutlich für soziale und kulturelle . Einrichtungen der Betriebe; G. Deschalyt/W. Pak, in: Planovoe Chozjajstvo, 1 (1985), S. 45.

  36. W. D. Sulin, in: EKO, 12 (1984), S. 55 (Rundtischgespräch).

  37. Rede vor dem ZK-Plenum am 23. April 1985, in? Ekonomiteskaja Gazeta, 17 (1985), S. 3.

  38. Rede vor der ZK-Konferenz . Initiative, Organisiertheit, Effektivität'am 8. April 1985, in: Ekonomieskaja Gazeta, 16 (1985), S. 3.

  39. Rede vor dem ZK-Plenum am 23. April 1985 (siehe Anm. 37). In seiner Rede vor der ZK-Konferenz „Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts..." (Anm. 41) vom 11. Juni 1985 fixiert Gorbatschow den Zeitpunkt notwendiger Änderungen der Planungs-und Leitungsformen und -methoden auf Anfang der siebziger Jahre. Seine Erklärung des Unterbleibens rechtzeitiger Beschlüsse und ihrer Verwirklichung mit dem Hinweis auf die „Psychologie der wirtschaftlichen Tätigkeit“ fällt allerdings sehr schwach aus.

  40. EkonomiCeskaja Gazeta, 17 (1985), S. 4.

  41. Vgl. Anm. 38; ferner Rede vor der ZK-Konferenz „Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts...'am 11. Juni 1985, in: Ekonomieskaja Gazeta, 24 (1985), S. 3— 5.

  42. Das gilt — zwar nicht ausschließlich, aber schwerpunktmäßig — für die Beschlüsse von 1965 und 1983, die auf die betrieblichen Wirtschaftsprozesse konzentriert sind.

  43. Das gilt für die Beschlüsse von 1973 (Bildung von Produktions-und Allunions-Industrievereinigungen) und 1979 (im Kern das System der Plankennziffern und Normative sowie die darauf basierende Steuerung und Bewertung der einzelwirtschaftlichen Prozesse betreffend).

  44. Rede in Dnjepropetrovsk am 26. Juni 1985, in: EkonomiCeskaja Gazeta, 27 (1985), S. 5— 7, hier S. 6.

  45. Rede am 11. Juni 1985 (Anm. 41), S. 4.

  46. Z, B.: „Zu hoffen, Gosplan könnte alle Verbindungsstränge in den Wechselbeziehungen zwischen den Branchen ausarbeiten und die optimale Variante auswählen, heißt, einer Illusion zu unterliegen.“ Rede vom 11. Juni 1985 (Anm. 41).

  47. Rede vom 11. Juni 1985 (Anm. 41); das gleiche postuliert Gorbatschow in den Reden vom 23. April 1985 (Anm. 37) (Leningrad), S. 4, und vom 26. Juni 1985 (Anm. 46), S. 6.

  48. Rede vom 26. Juni 1985 (Anm. 44), S. 6.

  49. Rede vom 11. Juni 1985 (Anm. 41), S. 4.

  50. Rede vom 8. April 1985 (Anm. 38), S. 3.

  51. Rede vom 23. April 1985 (Anm. 37), S. 4.

  52. Text in einer Beilage zu: EkonomiCeskaja Gazeta, 32 (1985).

  53. Ebenda, S. 1 der Beilage.

  54. Der Text des Ergänzungsbeschlusses ist nicht in der gleichen Relation umfangreicher, weil die 35 Punkte knapper als die Mehrzahl der 10 Punkte des Beschlusses von 1983 sind.

  55. Punkt 29 des Beschlusses vom Juli 1985.

  56. Punkt 31 des Beschlusses vom Juli 1985.

  57. Nach meiner Überzeugung geht es hierbei um das strukturelle Kernproblem nicht nur der sowjetischen, sondern im Prinzip jeder sozialistischen Wirtschaftsordnung. Häufig wird seine Lösung in der Verlagerung des Entscheidungsprimats von den gesamtwirtschaftlichen auf die einzelwirtschaftlichen Agenturen gesucht Unabhängig von der Wünschbarkeit und den Erfolgsaussichten dieser Lösung, sollte man nicht verkennen, daß sie in ideen-und sozialgeschichtlicher Sicht originär sozialistische Projekte der Gestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen in der Sphäre der materiellen Produktion, Distribution und Reproduktion negiert oder aber transzendiert

  58. Es handelt sich hierbei nicht um eine neue Vorschrift Sie gilt seit 35 Jahren, wird aber wegen der Schwierigkeit, vielfältige und nach den jeweiligen konkreten Bedingungen zu differenzierende technische Lösungen in Kennziffern umzusetzen und so in aggregierte Wirtschaftspläne aufzunehmen, nur in allgemeiner und mithin wenig verbindlicher Form praktiziert. Vgl. dazu: J S. Berliner, The Innovation Decision in Soviet Industry, Cambridge/Mass. -London 1976, hier: S. 44.

  59. Im Bereich der Schwerindustrie bis zu Vorhaben in Höhe von 4 Mill. Rubel, in der übrigen Industrie bis zu 2, 5 Mill. Rubel. Diese Grenzen überschreitende Projekte müssen den zuständigen Ministerien zur Begutachtung (rassmatrivat) vorgelegt werden. Weder dieser Terminus noch der weitere Text machen deutlich, wo in diesen Fällen die Entscheidungskompetenz letztlich liegt

  60. Die Austragung solcher Divergenzen bleibt auch heute i. d. R. insoweit verdeckt, als sie nur selten in polemischer, direkt auf jeweilige Gegenpositionen bezogener Form erfolgt. Vielmehr werden eigene Konzeptionen und Argumentationen entwickelt, die der Sache nach unverkennbar und zuweilen eklatant im Gegensatz zu anderen stehen. Ein jüngeres, beliebiges Beispiel dafür sind die Pra wda-Artikel „Ekonomiteskij stroj socializma" (Die ökonomische Struktur des Sozialismus, Prawda vom 2. August 1985, S. 2 u. 3) und „Sagi v zavtra" (Schritte ins Morgen, Prawda vom 20. August 1985, S. 2). Im ersten wird die Autorität von Friedrich Engels zur Begründung einer sachlich unreflektierten, reformkritischen Position mißbraucht, im zweiten werden auf der Grundlage der Praxiserfahrungen des Verfassers — er ist Direktor einer Kugellagerfabrik — die im Beschluß vom Juli 1985 vorgesehenen Neuerungen als überfällig und als Ansätze zu notwendigen weiterreichenden Änderungen im Planungs-und Leitungssystem interpretiert.

  61. Der Übergang zum Großhandel mit Produktionsgütern wurde allerdings von Breschnew bereits auf dem 24. Parteitag der KPdSU im Jahre 1971 angekündigt

Weitere Inhalte

Hansgeorg Conert, Dr. rer. pol., Dipl. -Sozialwirt, geb. 1933; Professor für Politikwissenschaft und politische Bildung an der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Der Kommunismus in der Sowjetunion. Historische Voraussetzungen, Wandlungen, gegenwärtige Strukturen und Probleme, Frankfurt 1971; Einführung in die politische Ökonomie der Bundesrepublik, Frankfurt 1972; Die politischen Grundrichtungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg, Offenbach 1973; Einführung in die politische Ökonomie der Bundesrepublik, Teil II, Frankfurt — Köln 1974; (zus. mit W. Eichwede) Produktionsverhältnis und Arbeiterklasse in der UdSSR, Hannover 1976; (zus. mit Chr. Bruns und D. Griesche) Gewerkschaftliche Bildungsarbeit und Interessenvertretung im betrieblichen Alltag, Frankfurt — New York 1980; Ökologie und Gesellschaft, Hamburg 1984. Zahlreiche Zeitschriftenbeiträge zu ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen sozialistischer Systeme.