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Innerdeutsche und internationale Aspekte der Berlin-Politik | APuZ 33-34/1986 | bpb.de

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APuZ 33-34/1986 Die DDR und der Bau der Berliner Mauer im August 1961 Mit der Mauer leben? Die Einstellung zur Berliner Mauer im Wandel Innerdeutsche und internationale Aspekte der Berlin-Politik

Innerdeutsche und internationale Aspekte der Berlin-Politik

Gerd Langguth

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Fast jede deutschlandpolitische Frage und nahezu jeder innerdeutsche Sachverhalt besitzt einen unmittelbaren Bezug zur politischen Lage Berlins. Aber auch jede Ostpolitik wird durch die Berlin-Frage bestimmt, wie faktisch alle Verhandlungen der Bundesregierung mit der DDR, der Sowjetunion und anderen Staaten des Warschauer Paktes aufzeigen. Denn während die östliche Seite bestrebt ist, Berlin als „selbständige politische Einheit“ erscheinen zu lassen, ist die Bundesregierung darum bemüht, Berlin als möglichst integralen Bestandteil des Bundes darzustellen. Die Einbeziehung Berlins auch in die Verträge mit dem Ostblock ist daher wichtiges Ziel aller politischen Verhandlungen. Trotz alliierter Vorbehalte, die sich nach westlicher Auffassung allerdings auf ganz Berlin beziehen, ist eine weitestgehende Rechtseinheit Berlins mit dem übrigen Bundesgebiet die Folge dieser Integration. Der Autor beschreibt zunächst die Status-und Rechtsfragen Berlins, die die Rahmenbedingungen jeder aktiven Berlin-und Deutschlandpolitik darstellen (mit besonderem Hinweis auf die Londoner Protokolle des Jahres 1944 und das Vier-Mächte-Abkommen des Jahres 1971), und weist zudem immer wieder auf die Pariser Deutschlandverträge von 1954 hin, die die westlichen Alliierten verpflichten, in enger Konsultation mit der Bundesrepublik Deutschland ihre Gesamtverantwortung für Deutschland als Ganzes wahrzunehmen. Einerseits wirkt die Berlin-Frage gelegentlich als „Bremse“ für innerdeutsche Vereinbarungen (Beispiel: Kulturabkommen, das wegen der Berlin-Frage erst 13 Jahre nach Verhandlungsbeginn im Mai 1986 unterzeichnet wurde), andererseits wirkt Berlin auch als ein starker Motor für die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, weil viele Verhandlungen mit der DDR (Beispiel: Transitverkehr, Umweltschutz, Wissenschaftsabkommen) einen deutlichen Berlin-Bezug haben und somit die beiden deutschen Staaten an den Konferenztisch bringen. Im Zusammenhang mit der für das Jahr 1987 anstehenden 750-Jahr-Feier bemüht sich die DDR, den Ostteil der Stadt immer mehr auch gegenüber der Weltöffentlichkeit als „Hauptstadt der DDR“ zu profilieren, wobei die östliche Seite gleichzeitig versucht, den Westteil der Stadt als unter Besatzungsrecht stehend darzustellen. Hingegen ist nach westlicher Rechtsauffassung Berlin-Ost kein integraler Bestandteil des Staatsgebietes der DDR. Berlin ist ein Gradmesser auch für das Ost-West-Verhältnis. Gerade die Existenz Berlins bewirkt, daß die offene deutsche Frage kein rein deutsches Thema ist — eben wegen der Vielzahl internationaler Verflechtungen dieser Thematik. Berlin zwingt auch zur Vermeidung von Krisen zum Dialog und zur Kooperation der Weltmächte.

I. Einleitung

25 Jahre nach dem Bau der Mauer in Berlin und annähernd 15 Jahre nach dem Abschluß des Vier-Mächte-Abkommens wird Bilanz in der Deutschland-und Berlin-Politik gezogen. Dabei kristallisiert sich immer mehr die Erkenntnis heraus, daß Berlin-und Deutschland-Politik nicht voneinander zu trennen sind. Die politische Situation von Stadt und Land Berlin kann zudem als ein Gradmesser sowohl der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten als auch generell des Ost-West-Konfliktes angesehen werden. Berlin-und Deutschland-politik werden jedoch nicht nur durch die politischen und militärischen Gegensätze zwischen Ost und West, zwischen Warschauer Pakt und NATO, bestimmt, sondern auch von Interessenlagen der Schutzmächte in Berlin, seit einiger Zeit auch der Europäischen Gemeinschaft — und natürlich der nationalen Interessen der Deutschen selbst.

Berlin ist darüber hinaus — wenn dies auch pathetisch klingen mag — nach wie vor ein Symbol für die Entschiedenheit der westlichen Staaten, offensiv für die Verteidigung der Freiheit einzutreten. Außerdem dokumentiert Berlin, daß die deutsche Frage „offen“, also noch nicht wirklich entschieden ist. Auch wenn die internationalen Einflußfaktoren der Berlin-Politik politische Einigungsprozesse erschweren mögen, so sorgt gerade die Existenz Berlins dafür, daß die deutsche Frage — die interessanterweise eher von der politischen Linken in den letzten Jahren erneut in die politische Diskussion gebracht wurde — nicht als ein rein deutsches Thema betrachtet werden kann. Zudem: Berlin zwingt auch zur Vermeidung von Krisen, zum Dialog und zur Kooperation der Weltmächte.

II. Die Grundproblematik

Gelegentlich wird in Öffentlichkeit und Politik übersehen, daß Status-und Rechtsfragen ganz wesentlich die Rahmenbedingungen jeder aktiven Berlin-und Deutschlandpolitik bestimmen müssen. Deshalb seien an dieser Stelle zunächst einige historische und juristische Gesichtspunkte ausgebreitet

Die heutige Insellage von Berlin (West) geht auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die damals getroffenen Abmachungen der Hauptsiegermächte über die Aufteilung des Deutschen Reiches zurück. Danach bildete Berlin ein besonderes Gebiet neben den vier Besatzungszonen. Diese be-sondere rechtliche Situation basiert auf einem Abkommen der Alliierten, einem Protokoll vom 12. September 1944 über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und der Sowjetunion, wobei Frankreich dieser Vereinbarung am 26. Juli 1945 beitrat Im Londoner Protokoll wurde bestimmt: „Deutschland, innerhalb der Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 bestanden, wird zum Zwecke der Besetzung in drei Zonen eingeteilt, deren je eine einer der Drei Mächte zugewiesen wird, und ein besonderes Berliner Gebiet, das gemeinsam von den Drei Mächten besetzt wird.“ In diesem Protokoll, in dem also neben den Besatzungszonen ein eigenes „Berliner Gebiet“ in den Grenzen von Groß-Berlin ausgewiesen wird, wurde auch die Gründung einer interalliierten Regierungsbehörde („Komendatura“) beschlossen

Die militärische Besetzung Deutschlands bis zum Mai 1945 vollzog sich freilich anders, als im Londoner Protokoll vorgesehen war. Daher räumten in den folgenden Wochen die amerikanischen und britischen Truppen die besetzten Gebiete im Westen der heutigen DDR. Gleichzeitig rückten Kontingente der Westmächte in die drei Westsektoren von Berlin ein. Es muß daher betont werden, daß die westliche Besetzung Berlins nicht etwa aufgrund eines sowjetischen Entgegenkommens geschah, sondern aus eigenem Recht, und zwar gleichberechtigt mit der Sowjetunion.

Die östliche Seite bestreitet diese ursprüngliche und gleiche Berechtigung der westlichen Alliierten. Sie versuchte, durch die Blockade 1948/49 und später durch politische Drohungen und Pressionen, die westliche Position entscheidend zu schwächen, vor allem seit dem Jahre 1958, als durch ultimative Noten der UdSSR eine Berlin-Krise ausgelöst wurde. Schon damals versuchte die östliche Seite mit großer Akribie den Nachweis zu führen, daß Berlin trotz der besonderen Vier-Mächte-Verantwortung immer ein Bestandteil der sowjetischen Besatzungszone gewesen sei 8).

Das Protokoll vom 12. September 1944 wurde durch ein weiteres Abkommen zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion vom 14. November 1944 ergänzt, in dem festgelegt war, daß die oberste Gewalt in Deutschland vom Alliierten Kontrollrat ausgeht und in jeder der Besatzungszonen von den jeweiligen Oberbefehlshabern der militärischen Streitkräfte „und auch gemeinsam in den Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten als Mitglieder des durch das gegenwärtige Abkommen errichteten Obersten Kontrollorganes“ Das gemeinsam von den Vier Mächten besetzte Sondergebiet von Berlin wurde unter die Gewalt einer interalliierten Regierungsbehörde gestellt, die sich aus vier von ihren jeweiligen Oberbefehlshabern ernannten Kommandanten zusammensetzte, „um gemeinsam die Verwaltung von Groß-Berlin zu leiten“. Dabei sollte jeder der Kommandanten der Reihe nach die Befugnisse des diensttuenden Kommandanten als Leiter der interalliierten Regierungsbehörde übernehmen Diese Londoner Vereinbarungen wurden dann schließlich noch von den Regierungschefs auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 gebilligt, darüber hinaus von den Siegermächten mit Erklärungen vom 5. Juni 1945 bestätigt

Nachdem auch die westlichen Alliierten in Berlin eingezogen waren, trat die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin am 11. Juli 1945 zu einer ersten Sitzung zusammen Ab Frühjahr 1948 demonstrierte die östliche Seite immer stärker, daß sie sich von der Vier-Mächte-Verantwortung für Berlin lösen wollte. So verließ am 20. März 1948 der sowjetische Oberkommandierende, Marschall Sokolowski, den Kontrollrat, womit die gemeinsame Vier-Mächte-Verwaltung Deutschlands zum Erliegen kam Am 16. Juni 1948 zog sich dann schließlich der sowjetische Vertreter, Oberst Kalinin, aus der Allierten Kommandantur zurück und wies gleichzeitig darauf hin, daß „Berlin in der sowjetischen Besatzungszone liegt und wirtschaftlich einen Teil der Sowjetzone bildet“ Auch sonst wurde 1948 das Jahr, in dem die faktische Spaltung Berlins immer sichtbarer wurde. Am 6. September 1948 hatten kommunistische Demonstranten den Sitzungssaal der Stadtverordnetenversammlung im Berliner Rathaus besetzt und die am 20. Oktober 1946 gewählten Volksvertreter gezwungen, ihre Sitzungen in den Westteil der Stadt zu verlegen Der Kommandant des sowjetischen Sektors verbot darüber hinaus die für den 5. Dezember 1948 festgesetzten Neuwahlen des Parlaments, wobei einige Tage vorher, am 30. November, eine „außerordentliche Stadtverordnetenversammlung“ von SED-Vertretern stattfand, die im Ost-Berliner Admiralspalast den Magistrat von Groß-Berlin als abgesetzt erklärte und einen „provisorischen demokratischen Magistrat“ unter Friedrich Ebert bildete Die gemeinsame Volksvertretung war damit gespalten, zumal die Neuwahlen nur in den drei Westsektoren durchgeführt werden konnten.

Die östliche Seite versuchte vor allem durch die Blockade 1948/49 die westliche Position entscheidend zu schwächen Doch führte die Blockade auf der westlichen Seite zu Reaktionen, die von der östlichen Seite so nicht gewünscht sein konnten. Denn die Blockade zwang die Westmächte zu einer engeren Abstimmung, die ihre zuvor vorhandenen deutschlandpolitischen Divergenzen in den Hintergrund treten ließ.

Nach der Spaltung der einheitlichen Stadtverwaltung, dem sowjetischen Boykott der gemeinsamen Alliierten Kommandantur, der Blockade 1948/49, und der Abschnürung der westlichen Sektoren von vielen Verbindungen nach außen kam es schließlich zum Mauerbau des Jahres 1961. Berlin (West) blieb jedoch trotz aller Pressionen frei und entwickelte — im Rahmen des verbliebenen Sonderstatus — engste Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland

Die Folge ist eine weitgehende Rechtseinheit zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet, vor allem die mit Billigung der Drei Mächte vollzogene wirtschaftliche Integration West-Berlins in die Bundesrepublik Deutschland. In diesem Zusammenhang muß vor allem auf die Bedeutung des Dritten Überleitungsgesetzes hingewiesen werden: Der Bund übernimmt die finanziellen Sonderlasten Berlins

Jene durch Berlin-Krisen und Konfrontation zwischen Ost und West gekennzeichnete Phase wurde durch das 1971 geschlossene Vier-Mächte-Abkommen abgelöst. Damit wurden wieder Verbin-. düngen von Berlin (West) nach Berlin (Ost) und zum Gebiet der DDR möglich, die mit den Verbindungen zwischen Westdeutschland und der DDR mindestens vergleichbar sind. Durch das Vier-Mächte-Abkommen wurde auch die Beteiligung des westlichen Berlins am internationalen Austausch — unter dem Schirm und Dach der Bundesregierung — bekräftigt

An dieser Stelle kann das Vier-Mächte-Abkommen nicht ausführlich analysiert werden, zumal im Zusammenhang mit der Ostpolitik der damaligen Bundesregierung auch die entsprechenden Vertragswerke der Würdigung bedürften, insbesondere der Grundlagenvertrag aber auch der Moskauer und Warschauer Vertrag. Es wäre eine Fehldeutung des Vier-Mächte-Abkommens, würde man darin den Versuch sehen, die rechtlichen Auffassungen der beiden Seiten auf einen Nenner zu bringen. Vielmehr ist auch nach dem Vier-Mächte-Abkommen die Rechtslage in grundlegenden Punkten umstritten. So behauptete der Botschafter der UdSSR in Berlin (Ost) am 12. September 1971, also wenige Tage nach Abschluß des Vier-Mächte-Abkommens, daß das „sozialistische Berlin“ — nämlich Berlin (Ost) — nie Gegenstand der Verhandlungen über das Vier-Mächte-Abkommen von 1971 gewesen sei

Demgegenüber stellte die westliche Seite, so die amerikanische Botschaft am 22. September 1971, klar, daß sich das Abkommen auf ganz Berlin erstrecke. Beide Seiten hatten ihre grundsätzlichen Positionen zum Berlin-Status also nicht aufgegeben. Dementsprechend wird in der Präambel des Vier-Mächte-Abkommens und in Ziffer I nur der Ausdruck „das betreffende Gebiet“ verwendet, eine ausdrückliche Beschreibung dieses Ge-bietes jedoch nicht gegeben Aus westlicher Sicht gilt: Der heutige Status von Berlin, damit auch die Rechtsstellung von Berlin (Ost), mußte nicht im Vier-Mächte-Abkommen von 1971 fixiert werden, sondern war durch ein seit 1944 aufgebautes System von Fall-Entscheidungen („cases“) bereits festgelegt

Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu können, die in ihrer Zusammenschau die westliche Inter, pretation des Vier-Mächte-Abkommens ergeben, sollen hier nur einige grundsätzliche Hinweise gegeben werden: Im Vier-Mächte-Abkommen werden die originären Kompetenzen der früheren Siegermächte ausdrücklich erwähnt; wird doch in der Präambel von der Grundlage ihrer „VierMächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten und der entsprechenden Vereinbarungen und Beschlüsse der Vier Mächte aus der Kriegs-und Nachkriegszeit, die nicht berührt werden“, gesprochen. Die Zielsetzung des Vier-Mächte-Abkommens war also nicht die Überbrückung unüberbrückbarer rechtlicher und politischer Grundsatzpositionen von West und Ost, sondern vielmehr die praktische Verbesserung der Lage in Berlin, vor allem der Berliner Bevölkerung. Dieses Abkommen hat der östlichen Seite die wesentlichen Hebel für eine tatsächliche Bedrohung oder Abschnürung des freien Berlin genommen. Allerdings ist ein bis ins subtilste Details reichender Auslegungsstreit geblieben, wobei beide Seiten versuchen, ihre politischen und juristischen Positionen gegenüber dem Vier-Mächte-Abkommen zu verbessern oder zumindest — und dies mit größerem Erfolg — derartige Versuche der anderen Seite zu unterbinden.

Ergänzend sollen hier noch einige Bemerkungen zu den praktischen Verbesserungen gemacht werden: Daß die Bindungen zwischen Berlinern und Deutschen in der DDR nach wie vor bestehen, kann an der Zahl der Besuche von West-Berlinern in Ost-Berlin und der DDR aufgezeigt werden. In der Zeit von Ostern 1972 bis einschließlich 31. Mai 1986 fanden insgesamt ca. 36, 7 Millionen Besuche statt, wobei im Zeitraum zwischen Juni 1972 und Mai 1973 mit 3, 72 Millionen der Höhepunkt erreicht wurde.

Die Erhöhung des Mindestumtausches im Oktober 1980 hat diesen Reiseverkehr erheblich beeinträchtigt. Immerhin besuchten zwischen Juni 1984 und Mai 1985 wieder 1, 77 Millionen West-Berliner Ost-Berlin und die DDR und im Zeitraum zwischen Juni 1985 und Mai 1986 gab es sogar ca. 2, 1 Millionen Besucher.

Reisende von und nach Berlin (West) gab es im Jahre 1985 im Straßen-, Eisenbahn-und Luftverkehr insgesamt 28 698 964. Allein der Transitverkehr (Straße und Schiene) erbrachte eine Zahl von 23 736 776 und damit gegenüber dem Vorjahr (21 774 458) eine Steigerung um 9%. Wer die Verkehrszahlen von 1957 bis 1985 im Transitverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet vergleicht, kann eine stetige Steigerung feststellen. 1957 wurden 4, 884 Millionen Personen registriert, 1958 6, 584 Millionen, 1960 8, 05 Millionen, 1970 12, 505 Millionen, 1980 23, 869 Millionen und — wie berichtet — 1985 28, 699 Millionen. Diese enorme Steigerung zeigt auf, wie wichtig die Verbindung zwischen Berlin und den anderen Bundesländern ist.

III. Die Bedeutung Berlins für die Deutschlandpolitik der beiden deutschen Staaten

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Deutschland-Politik“ und „Berlin-Politik“ verwendet, was die Vermutung nahelegt, es handele sich hier um zwei getrennte Politikbereiche mit unterschiedlichen Gegenständen. Tatsächlich sind es aber zwei Kreise, die sich schneiden. Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung hat Berlin sogar zum Hauptgegenstand. So erklärte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, fast am Ende in einer längeren Grundsatzrede zur Deutschlandpolitik am 4. Februar 1986: „Bisher ... habe ich nur scheinbar wenig von Berlin gesprochen. In Wirklichkeit hat nahezu jeder innerdeutsche Sachverhalt unmittelbar mit Berlin zu tun.“ Die wichtigsten Gesichtspunkte dieses Beziehungsgeflechtes sind:

Die Bundesregierung vertritt Berlin nach außen, also gegenüber dem Ausland, aber auch gegenüber der DDR. Dies ist im Vier-Mächte-Abkommen bestätigt worden. Vereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland mit der DDR müssen daher Berlin einbeziehen, darauf erstreckt bzw. darauf ausgedehnt werden. Im Detail führt dies häufig zu Schwierigkeiten und Komplikationen — was im übrigen generell auch für Vereinbarungen mit anderen Staaten des Warschauer Paktes gilt.

Deshalb muß eingeräumt werden, daß die Berlin-Frage gelegentlich auch als , Bremse 1 für innerdeutsche Vereinbarungen wirkt: So haben Berlin-Probleme das Kulturabkommen mit der DDR über viele Jahre hinweg aufgehalten, bevor es unter der jetzigen Bundesregierung zu Ende verhandelt und am 6. Mai 1986 in Berlin (Ost), 13 Jahre nach Verhandlungsbeginn, unterzeichnet werden konnte. Ein Wissenschaftsabkommen mit der DDR ist fast unterschriftsreif — aber immer noch fehlt es an einer Einigung über Berlin-Probleme. Für die Bundesregierung sind Vereinbarungen mit der DDR nur dann akzeptabel, wenn eine ausreichende Einbeziehung von Berlin (West) erfolgt. Berliner Probleme begründen auch selbst einen erheblichen Teil der innerdeutschen Aktivitäten. So hatten viele Vereinbarungen mit der DDR vor allem eine Verbesserung der Verkehrswege zwischen Westdeutschland und Berlin zum Inhalt. Vor allem die Straßenverbindungen, aber auch die Binnenwasserstraßen und zum Teil die Schienenverbindungen wurden verbessert und ausgebaut. Diese Maßnahmen mußten auf dem Gebiet der DDR vorgenommen werden, deren Eigeninteresse an der Verbesserung der Verkehrswege zwar keineswegs fehlte, aber im Vergleich zu dem westlichen Interesse doch verhältnismäßig gering zu veranschlagen war. Eine Realisierung der genannten Verbesserungen war also ohne erhebliche finanzielle Beiträge der Bundesregierung nicht möglich. In den Jahren von 1976 bis 1988 wurden für die Verbesserung der Straßenverbindungen ausgegeben oder sind z. Z. veranschlagt 1, 806 Milliarden DM, für die Binnenschiffsverkehr 340 Millionen DM und für das Transit-Schienennetz 133, 6 Millionen DM. Bedenkt man, daß die finanziell-wirtschaftlichen Leistungen an die DDR ein wesentliches Instrument der Bundesregierung in ihrer Politik gegenüber der DDR sind, so bedeutet das: Berlin wirkt nicht nur als „Bremse“, sondern kann gleichzeitig auch ein starker Motor für die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen sein. Das Beispiel der Verkehrsverbindungen ist noch mit dem Hinweis zu ergänzen, daß diese Verbesserungen durch Beiträge der Bundesrepublik Deutschland fast stets mit weiteren Regelungen oder — formell — einseitigen Handlungen der DDR gekoppelt waren, die auch zu Verbesserungen im innerdeutschen Verhältnis führten.

Das gleiche Prinzip wie für die genannten Verkehrsverbesserungen gilt im übrigen auch für andere Regelungen. Erwähnt seien Leistungen der Deutschen Bundespost an die DDR, vor allem zur Verbesserung der Fernmeldeverbindungen zwischen Westdeutschland und Berlin. So wurde 1985 eine Vereinbarung über die Verlegung eines Glasfaser-Kabels getroffen, das den Telefonverkehr zwischen Westdeutschland und Berlin entscheidend verbessern wird.

Die Verbesserung der Transit-Verkehrswege, die auch den Deutschen in der DDR nützt, macht ein weiteres Ziel der Deutschland-Politik sichtbar: über Vorteile für Berlin (West) und das übrige Bundesgebiet hinaus Verbesserungen für die Lage der Menschen in Berlin (Ost) und der DDR zu erreichen. Bisweilen kann ein und dieselbe Vereinbarung gleichzeitig den Deutschen in Berlin (West), in Westdeutschland, in Berlin (Ost) und in der DDR nutzen. Dieses Idealziel besteht etwa im Bereich des Umweltschutzes, der nach grenzüberschreitenden Lösungen verlangt. Bislang verlief auf diesem Gebiet die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen nicht so stürmisch wie in früheren Zeiten auf dem Verkehrssektor. Es ist aber nicht auszuschließen, daß hier die politische Lage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl und damit auch der in der DDR gewachsene Bevölkerungsdruck für verstärkte Umweltschutzmaßnahmen beschleunigend wirken kann. Einen positiven Einfluß könnten auch die erfolgreichen Verhandlungen Bundesaußenminister Genschers vom 20. bis 22. Juli 1986 in Moskau ausüben, die zur Unterzeichnung eines Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion geführt haben, das eine hinreichende Einbeziehung von Berlin (West) ermöglicht und damit auch den politischen Spielraum der DDR bei ihren eigenen Verhandlungen mit der Bundesrepublik markiert.

Berlin-Politik wird schließlich Teil der Deutschlandpolitik dann, wenn der Senat von Berlin selbst Verhandlungen mit der DDR führt. Dies ist nach dem Vier-Mächte-Abkommen nur für einige Gebiete vorgesehen, die indes für Berlin besonders wichtig sind: der Reise-und Besucherverkehr der West-Berliner nach Ost-Berlin und in die DDR, der Gebietsaustausch mit der DDR bzw. Berlin (Ost) und weitere Kommunikationen, wie sie in einer nun schon lange geteilten, aber dennoch vielfältig miteinander verbundenen Stadt unabweisbar sind.

Die Gespräche und Vereinbarungen des Senats mit der DDR sind in aller Regel formell von denen der Bundesregierung gegenüber der DDR deutlich geschieden. Tatsächlich haben sich aber in den vergangenen Jahren Senat und Bundesre39 gierung eng und erfolgreich abgestimmt; schließlich ist die DDR in beiden Fällen der Verhandlungspartner. Und diese verzichtet ebensowenig wie die UdSSR auf Versuche, ihre grundsätzliche Position gegenüber der westlichen Seite zu verbessern. So wird dem Berliner Senat nicht selten von der DDR ein unannehmbares Angebot gemacht, auf solchen Gebieten Verhandlungen zu führen und Vereinbarungen zu schließen, die nach westlicher Auffassung nicht in die Zuständigkeit des Senats fallen, sondern entweder in die der Bundesregierung oder — weil es sich um alliierte Vorbehalte handelt — in die der Schutzmächte selbst. Die DDR ist in hartnäckiger Weise bestrebt und läßt sich auch durch die bisherigen Mißerfolge nicht davon abhalten, eigene Vorstellungen über die Zuständigkeiten des Senats von Berlin durchzusetzen, anstatt zu akzeptieren, wie Schutzmächte, Bundesregierung und Senat die Zuständigkeiten tatsächlich geordnet haben. Dahinter steht das offenkundige östliche Bestreben, den Rechtsstatus Groß-Berlins zu leugnen, die Bindungen von Berlin (West) an die Bundesrepublik Deutschland ebenso zu bestreiten wie gleichzeitig die integrierende Zugehörigkeit des Ostsektors zur DDR zu betonen und demonstrativ zu unterstreichen.

Deutschland-und Berlin-Politik bedeutet also auch, verlockende Angebote der anderen Seite unbeachtet zu lassen, da sich die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen nicht zu Lasten des Status von Berlin vollziehen darf. Als Beispiel sei der Asylantenstrom nach Berlin (West) genannt, der sichtbar macht, wie sensibel der Status Berlins ist. Da die DDR Berlin (West) nicht als Teil der Bundesrepublik betrachtet, erklärt sie, die Probleme hinsichtlich des Asylantenzustroms vom Flugplatz Schönefeld über die innerstädtische Grenze ließen sich gegebenenfalls dann lösen, wenn der Senat unmittelbar mit der DDR verhandele. Im Rahmen der Deutschland-Politik der DDR hat Berlin auch aus folgenden Gründen eine besondere Bedeutung: In Berlin-Fragen wird das Mitspracherecht und die endgültige Entscheidungsbefugnis der Sowjetunion gegenüber der DDR noch deutlicher als in anderen Bereichen der Außenpolitik der DDR (wozu nach ihrer Auffassung die Deutschland-Politik gehört). Offiziell bringt die östliche Seite — wie bereits ausgeführt — immer wieder zum Ausdruck, daß sich der Vier-Mächte-Status Berlins heute nur noch auf Berlin (West) konzentriere, die Sowjetunion also für den Westteil ihre Befugnisse aufrechterhalten habe, in Berlin (Ost) dagegen die DDR als uneingeschränkter Souverän behandelt würde.

Die östliche Seite eröffnet sich mit dieser Auslegung ein reiches Instrumentarium: Sie kann das Interesse der Bundesrepublik an einer befriedigenden Berlin-Einbeziehung und an für Berlin wichtigen materiellen Regelungsinhalten nutzen. Sie wird immer versuchen, Dinge mit dem Berliner Senat zu regeln, die in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen. Sie bemüht sich dabei, ihren Vorteil mit einer „besseren“ Verhandlungsposition gegenüber einem „schwächeren“ Partner, der der Senat im Verhältnis zur Bundesregierung nun einmal ist, auszuspielen, wobei sie damit auch gleichzeitig eine Stärkung der östlichen Grundsatzpositionen zum Status von Berlin (West) herbeiführen will. Die DDR wird dabei immer wieder versuchen, die „integrierende“ Zugehörigkeit des Ostsektors von Berlin zur DDR zu untermauern und hervorzuheben. Diese Versuche werden mit der Sowjetunion abgestimmt, die dabei auch auf den angeblich unterschiedlichen rechtlichen Status der Westsektoren einerseits und von Berlin (Ost) andererseits Bezug nimmt.

Gleichwohl verfolgt die DDR in diesem Zusammenhang eigene Interessen, nämlich die besondere Hervorhebung der Hauptstadteigenschaft von Berlin (Ost). Dabei bedient sie sich einer Semantik, die Berlin (Ost) als das eigentliche Berlin — ohne Zusatz oder in Verbindung mit der Bezeichnung „Hauptstadt der DDR“ — in den Vordergrund treten läßt. Mit dieser Semantik und Politik verbinden sich für die DDR gleichzeitig mehrere Vorteile: — Sie versucht, ihre historische Legitimation zu verstärken, indem sie die Hauptstadt-Tradition Berlins weiterführt. Gerade in der gegenwärtigen Phase der DDR-Politik, in der in Abkehrung von früheren vulgär-marxistischen Einstellungen das historische Erbe betont wird verringert die DDR damit ihr — freilich nach wie vor sehr großes — Legitimationsdefizit in der eigenen Bevölkerung und bei Dritten. •— Die DDR attackiert dabei gleichzeitig die Position von Berlin (West), das — nach ihrer Beschreibung — sozusagen in der Nachkriegszeit stehen geblieben erscheint, das noch unter Besatzungsrecht steht und im Vergleich zu dem langsamen, aber beharrlichen Aufblühen Ost-Berlins als Gebiet ohne Perspektiven dargestellt wird. — Darüber hinaus kann die DDR versuchen, ein relativ entspanntes Verhältnis zur Bundesregierung mit einer härteren Haltung gegenüber dem Senat von Berlin zu kombinieren oder umgekehrt.

IV. Die Bedeutung Berlins für die sowjetische Deutschlandpolitik

Wie aus den aufgeführten Beispielen ersichtlich, hat die DDR vielfältige Möglichkeiten, Berlin zum Hebel ihrer deutschlandpolitischen Aktivitäten zu machen. Darüber hinaus muß wohl auch in Betracht gezogen werden, daß es zwischen der Sowjetunion und der DDR in bezug auf Berlin nicht nur Interessenidentitäten, sondern auch Interessendivergenzen gibt. Denn Berlin ist für die Sowjetunion ein wichtiges Potential, um ihr unangenehme Entwicklungen in der Deutschland-und Außenpolitik der DDR frühzeitig zu beeinflussen. Wie am Beispiel des von der DDR gemachten Versuchs der Einführung einer Visumpflicht für in Berlin (West) akkreditierte Diplomaten aufgezeigt werden kann, bestimmt die Sowjetunion im Konfliktfall die Gestaltungsfreiheit der DDR in ihrer Deutschlandpolitik. Denn Berlin (West) ist ein Mittel, mit dem sich die Sowjetunion selbst ins Spiel bringen kann, und zwar auch gegenüber den drei westlichen Alliierten. Die Sowjetunion wird auf diese Möglichkeit wohl noch lange nicht verzichten wollen. Insbesondere wird die Berlin-Karte von ihr immer dann gespielt werden, wenn gegenüber den westlichen Alliierten bestimmte Signale gegeben werden sollen. So können z. B. Schwierigkeiten bei Patrouillenfahrten der drei Westalliierten auftreten oder „technische“ Erschwernisse für den alliierten Luftverkehr in den Korridoren entstehen. Allerdings besteht diesbezüglich kein Grund zu Dramatisierungen, zum einen, weil das Vier-Mächte-Abkommen Druckmöglichkeiten der östlichen Seite deutlich verringert hat (vor allem die gröberen Instrumente stehen seitdem nicht mehr zur Verfügung), zum anderen — und darauf hat des öfteren schon als damaliger Regierender Bürgermeister von Berlin Richard von Weizsäcker hingewiesen — ist Druck auf Berlin für die Sowjets auch ein problematisches Mittel: Er führt nämlich zu einer raschen Solidarisierung der westlichen Seite, zu einem engeren Zusammenrücken, wo es doch der Sowjetunion darum gehen muß, Auffassungsunterschiede innerhalb des Westens zu vertiefen und die westlichen Mächte so möglichst gegeneinander auszuspielen.

V. Die Deutschlandpolitik der Schutzmächte

Bereits bei der Betrachtung der sowjetischen Position ist deutlich geworden, daß die Berlin-Frage keineswegs nur eine innerdeutsche Dimension hat, sondern auch eine atlantische. Präziser gesagt: Sie hat Bedeutung für das Verhältnis der NATO zum Warschauer Pakt, für das Verhältnis der Supermächte untereinander.

Die Politik der drei Schutzmächte ist vor allem — selbstverständlich — auf die Wahrung des Status gerichtet. Für viele praktische Belange hat dieser Status im Vier-Mächte-Abkommen seine Konkretisierung gefunden. Diese Regelungen einzuhalten und auszuschöpfen ist ein Kernpunkt der westlichen Berlin-Politik. In diesem Bereich sind die Verfahren der Abstimmung und Kommunikation besonders anschaulich: Die Drei Mächte und die Bundesregierung stimmen sich ständig und sorgfältig miteinander ab. Eine aus Vertretern der Botschaften der Drei Mächte und des Auswärtigen Amtes bestehende „Bonner Vierergruppe“ stellt dabei das wichtigste Steuerungsinstrument dar

Ihre umfangreiche Tagesordnung enthält von der Zurückweisung östlicher Proteste gegen internationale Veranstaltungen in Berlin (West) oder ge-gen die Teilnahme von Berlinern im internationalen Austausch oder westliche Proteste gegen Verletzungen des Status von Berlin (Ost) über Fragen des Berlin-Verkehrs bis zur Konsultation wichtiger innerdeutscher Vereinbarungen ein breites Spektrum wechselseitiger Information, Beratung und Abstimmung. Diese beziehen auf deutscher Seite auch den Senat von Berlin ein, zumal dieser in einem noch dichteren Geflecht ständiger Kontakte mit den Schutzmächten in Berlin steht: von der Ebene der alliierten Kommandanten und Gesandten bis zu den im Schöneberger Rathaus amtierenden Verbindungsoffizieren.

Die Berlin-Frage ist also auf westlicher Seite heute ein Musterbeispiel für engste Abstimmung zwischen den Schutzmächten untereinander wie auch mit Bundesregierung und Senat. Das Routineinstrumentarium der wöchentlichen Sitzungen wird natürlich durch Besprechungen auf höherer Ebene ergänzt, vor allem der Ebene des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes und der drei westlichen Botschafter. Darüber hinaus finden am Vorabend der NATO-Außenministerkonferenzen — zweimal im Jahr— Deutschlandtreffen statt. In diesen Treffen wird jeweils berlinpolitische Bilanz gezogen, und es werden Perspektiven für die Zukunft erarbeitet. Ein enges Beziehungsgeflecht der deutschen Seite mit den westlichen Alliierten gibt es aber nicht . erst seit dem Vier-Mächte-Abkommen. Die Pariser Deutschlandverträge vom 26. Mai 1952 in der geänderten Fassung vom 23. Oktober 1954 legen die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik in ihrer-Berlin-und Deutschlandpolitik in präziser Weise fest. In dem „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Mächten (Deutschlandvertrag)“ wird das Besatzungsregime in der Bundesrepublik Deutschland beendet, das Besatzungsstatut aufgehoben und insoweit der Bundesrepublik Deutschland die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten zuerkannt.

In Artikel 2 dieses Vertrages heißt es zur deutschen Frage: „Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages verhindert hat, behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.“

Die Unterzeichnerstaaten waren und sind sich darüber einig, „daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz, Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll.“ (Art. 7, 1) Die Vertragspartner waren sich darüber hinaus einig, „daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß“ (Art. 7, 1). Vertraglich ist außerdem vereinbart, daß die Unterzeichnerstaaten bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung Zusammenwirken, „um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist“ (Art. 7. 2). Der Deutschlandvertrag verpflichtet die Drei Mächte und die Bundesrepublik in Artikel 6, sich eng in ihrer Berlin-Politik zu konsultieren (siehe Bonner Vierergruppe, gelegentlich auch „Bonn-Group“ genannt). Er zeigt also das Netzwerk gegenseitiger Verpflichtungen für eine auf Frieden und Freiheit gerichtete Deutschlandpolitik auf. Dieses Vertragswerk ist ein zentrales Dokument, weil es die Verpflichtungen der westlichen Alliierten wie auch der Bundesrepublik Deutschland für ein demokratisches, wiedervereinigtes Deutschland festschreibt, das sich der europäischen Integration verpflichtet. Es gibt nicht nur der westlichen Deutschlandpolitik eine formale Grundlage, sondern zeigt auch die Ideale der westlichen Politik für die Verteidigung von Frieden und Freiheit auf. Dies belegt auch Artikel 3, 1 des Deutschlandvertrages, in dem die Bundesrepublik versichert, sie werde ihre Politik „in Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut des Europarates aufgestellten Zielen halten.“

VI. Gibt es eine europäische Deutschlandpolitik?

Eine ausformulierte Deutschland-und Berlin-Politik der Europäischen Gemeinschaft gibt es zwar nicht, doch bestehen einige rechtliche Rahmenbedingungen, die insbesondere die Rolle Berlins in der Politik der EG berücksichtigen und damit auch die Bindungen Berlins an die Bundesrepublik Deutschland wie auch an die Europäische Gemeinschaft verstärken. Die Römischen Verträge des Jahres 1957 behandeln in ihrem Zusatz-protokoll den innerdeutschen Handel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als Binnenhandel. Dieser innerdeutsche Handel besitzt damit einen Sonderstatus, unterstreicht er doch die Besonderheit der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten. So heißt es in einem „Protokoll über den innerdeutschen Handel und der damit zusammenhängenden Fragen“, daß „Handel zwischen den deutschen Gebieten innerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und den deutschen Gebieten außerhalb dieses Geltungsbereichs Bestandteil des innerdeutschen Handels ist“, und zwar „unter Berücksichtigung der zur Zeit infolge der Teilung Deutschlands gegebenen Verhältnisse“ (Vergleiche auch die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag über die Bedeutung des innerdeutschen Handels für die Bewertung der innerdeutschen Beziehungen.)

Darüber hinaus haben bei der Unterzeichnung der Römischen Verträge die anderen Mitgliedstaaten ihre Bereitschaft „zu allen erforderlichen Maßnahmen“ erklärt, „um die wirtschaftliche und soziale Lage Berlins zu erleichtern, seine Entwicklung zu fördern und seine wirtschaftliche Stabilität zu sichern.“

Dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Europäische Gemeinschaft die Deutschland-Politik zum Schwerpunkt erklärt hat. Zwar gibt es im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) vielfältige gemeinsame außenpolitische Aktivitäten der europäischen Staaten (so eine westliche Ostpolitik zu Fragen des Selbstbestimmungsrechtes oder zur Afghanistan-Politik der Sowjetunion). Indes hat die seit 1970 bestehende EPZ, die aufgrund einer politischen Übereinkunft außerhalb der Römischen Verträge zustande kam und erst jetzt aufgrund des Luxemburger Gipfels vom Dezember 1985 eine vertragliche Regelung erfahren soll, bisher die Deutschlandpolitik weitgehend ausgeklammert. Wie bereits dargestellt, gibt es allerdings eine Deutschlandpolitik der Drei Mächte und der NATO-Mitgliedstaaten.

Es soll auch nicht übersehen werden, daß es innerhalb der befreundeten westeuropäischen Staaten — wie auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland selbst — unterschiedliche Auffassungen zur Wiedervereinigung gibt. Ein gewisses Aufsehen erregte in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1984 die Tatsache, daß der damalige italienische Außenminister Andreotti nicht nur formulierte: „Es gibt zwei deutsche Staaten, und zwei müssen es bleiben“, sondern auch das Gespenst des „Pangermanismus“ als drohende Gefahr bezeichnete. Das Konzept der Westintegration der Bundesrepublik Deutschland basiert jedoch letztlich auf der Einsicht, daß damit auch die Wiedervereinigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland Teil einer gesamteuropäischen Politik ist. Wenn im befreundeten europäischen Ausland die Bemühungen um die deutsche Einigung keine Unterstützung erfahren sollten, könnte dies leicht dazu führen, daß auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland das bisher weitestgehend unumstrittene Ziel europäischer Einigungsbemühungen ebenfalls in Frage gestellt werden könnte. Wiedervereinigung und europäische Einigungsbemühungen bedingen einander.

VII. Thesen zur Deutschland-und Berlin-Politik

1. Berlin liegt im Schnittpunkt zweier antagonistischer politischer Systeme. Berlin (West) ist ein Symbol der westlichen Freiheit: Die Präsenz der Schutzmächte in Berlin dokumentiert auf symbol-hafte Weise den politischen Willen der westlichen Staatengemeinschaft, Berlin als „Vorposten der Freiheit“ nicht preiszugeben.

Vielleicht mag diese Aussage etwas pathetisch klingen, doch hat Berlin trotz des Vier-Mächte-Abkommens nach wie vor den Charakter eines Gradmessers des Ost-West-Verhältnisses. Am deutlichsten zeigte dies die Berlin-Blockade 1948/49. Diese führte übrigens nicht nur dazu, daß sich die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland inklusive der in Berlin (West) lebenden Bürger frühzeitig den einstigen westlichen Siegermächten zu-wandte und sich auch innerlich unter deren Schutz stellte, sondern daß die westlichen Siegermächte gleichzeitig veranlaßt wurden, ihre gelegentlich divergierenden Deutschlandkonzeptionen zu vereinheitlichen und eng miteinander sowie mit der Bundesregierung abzustimmen.

Berlin dokumentiert gleichzeitig die Offenheit der deutschen Frage: „Berlin ist eine Art Antiblokkiersystem — gegen endgültige negative Entscheidungen. Solange es Berlin in der heutigen Form gibt, kann die Deutsche Frage auf der Basis der Teilung nicht endgültig beantwortet werden. Und angesichts der Präsenz von Vier Mächten in Berlin wird die Teilung auch nicht überwunden werden können. Berlin mahnt zur Mäßigung und zum vernünftigen Umgang miteinander.“ 2. Ein Festschreiben des Status quo kann also nicht bereits ein Ziel der Deutschlandpolitik sein. Die Bundesrepublik Deutschland, die sich selbst durch freie Wahlen legitimiert, kann darüber hinaus einseitig gar nicht auf das Gebot der Wiedervereinigung verzichten, solange nicht die Deutschen in der DDR selbst die Möglichkeit haben, sich in freien und geheimen Wahlen für oder gegen eine gesamtstaatliche Einigung zu entscheiden. Langfristiges Ziel deutscher Politik muß also die friedliche Überwindung der Teilung der deutschen Nation sein, ohne daß damit Freiheit und Stabilität gefährdet werden. 3. Es geht nicht nur um die Teilung Deutschlands, sondern auch um die Teilung Europas. Ihre Über-windung ist vor allem eine Frage der Verwirklichung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts aller Völker. Gerade die Deutschen müssen aufgrund ihrer eigenen Geschichte und der Spaltung ihres Volkes die sensibelsten Mahner für eine europäische Friedensordnung sein, aber auch für ein Selbstbestimmungsrecht derjenigen Europäer, für die dieses Recht noch keine Gültigkeit hat. Die Lösung der deutschen Frage’ wird wohl gleichzeitig nur eine europäische Lösung sein können Die Bundesrepublik ist durch Vertragswerke im atlantischen Bündnis wie auch in der Europäischen Gemeinschaft verankert. Dies bedeutet, daß sie die politischen Rahmenbedingungen sowohl innehalb der EG als auch im NATO-Bündnis so beeinflussen muß, daß die deutsche Frage offen bleibt.

Indes breitet sich nicht nur innerhalb der soge-nannten Friedensbewegung ein diffuser Kultur-nationalismus aus, der letztlich die europäische Integration in Frage stellt. Als Beispiel sei Günter Gaus genannt, der einer tiefen Skepsis gegenüber dem europäischen Einigungsprozeß Ausdruck verleiht. Der europäische Weg, so Gaus, zementiere „gleichzeitig durch den weiteren Ausbau der Westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Teilung des Kontinents“, und bilaterale Handelsabkommen zwischen einzelnen EWG-und RGW-Staaten seien seit einigen Jahren nicht mehr möglich, weil eine von Brüssel „betriebene europäische Spaltungspolitik“ die ohnehin geringen Handlungsvollmachten der osteuropäischen Staaten nur noch weiter zugunsten der Moskauer RGW-Zentrale einenge: „Die EWG selbst ist die Säule, auf der westlicherseits die europäische Teilung ruht.“ Trotz dieser fundamentalen Kritik ist die proeuropäische Ausrichtung nach wie vor wesentliche Handlungsmaxime der Deutschland-politik der Bundesrepublik Deutschland: „Eine neutralistische, nationalstaatliche Lösung der deutschen Frage, wie sie in den Vorstellungen bei der äußeren Rechten und Linken herumgeistert, wäre ein untauglicher Rückfall in die Gedankenwelt der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts.“

4. Die Deutschland-und damit auch Berlin-Politik der westlichen Staaten muß stärker als bisher die gemeinsamen geistigen Grundlagen, die Fundamente einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung betonen. Diese Prinzipien westlich-freiheitlicher Politik kommen beispielsweise frühzeitig im Deutschlandvertrag zum Ausdruck, einem nach wie vor bedeutenden und zentralen Dokument, das den geistigen Horizont einer gemeinsamen solidarischen Politik westlich-freiheitlicher Staaten aufzeigt. . Gleichwohl ist es bezeichnend, daß der Tag der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages lediglich zu einem Expertendatum verkümmert ist, das inzwischen nur noch ein kleiner Kreis von Deutschland-Experten kennt. 5. Ein Festschreiben allein des Status quo kann nicht bereits Ziel konkreter Deutschland-Politik sein, wenngleich Rechtspositionen keineswegs gering geschätzt werden sollen. Aber: „Recht trägt in der Regel wenig zur Veränderung eines Zustandes bei“ Mit Deklamationen von Rechtsstandpunkten ist es in der Deutschland-Politik nicht getan. Dies gilt auch für die Berlin-Politik. Das bloße Beharren auf dem Berlin-Status und die Erinnerung an das Zustandekommen ihrer Elemente bewirken noch keine dynamische Weiterentwicklung des freien Berlin.

Dies wird auch deutlich, wenn man sich die Politik der DDR im Hinblick auf Berlin (Ost) vergegenwärtigt. Seit langem versucht die DDR, dem Ostteil der Stadt als „Hauptstadt der DDR“ zu weltweiter Anerkennung zu verhelfen. Die bevorstehende 750-Jahr-Feier wird zusätzlich Gelegenheit geben, diesem besonderen Prestigebedürfnis der DDR Rechnung zu tragen. Wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, wird der Erfolg dieser DDR-Politik begrenzt bleiben. Dennoch sollte bei dieser Gelegenheit nicht verschwiegen werden, daß sich langfristig eine Schwierigkeit abzeichnet, die bisher — jedenfalls bei nüchterner Betrachtung — zwar geringfügig ist, in der Zukunft aber Bedeutung erlangen könnte. Sie liegt in dem Gegensatz zwischen unserer auf die Bewahrung des Status gerichteten Berlin-Politik einerseits und der trotz aller Mängel des sozialistischen Systems mit einer gewissen dynamischen Tendenz versehenen östlichen Politik andererseits.

Zur Verdeutlichung sei ein — überzeichnetes — Szenario gemalt: Die Berlin-Politik der DDR könnte sich über den bisherigen Ansatz hinaus noch stärker in die Richtung entwickeln, daß die DDR die „besseren deutschen Traditionen“ verkörpere und in Berlin (Ost) die Tradition der preußisch-deutschen Hauptstadt legitim fort-führe — ein Eindruck, um den sich die DDR schon seit Jahrzehnten auch städtebaulich bemüht. Man braucht nur einige Aspekte von Gorbatschows Reformbemühungen auf die DDR zu übertragen und einige Verkrustungen des „realen Sozialismus“ in der DDR gedanklich wegfallen zu lassen, und wir hätten damit ein Staatswesen vor uns, daß sicherlich etwas mehr „Attraktion“ aufweist als das gegenwärtige: ein Staat und eine Gesellschaft, deren sozialistische Ausrichtung eher an preußische Staatsautorität und an preußisches Staatsdienertum als an Stalins Bolschewismus erinnert; ein Staat, der zwar keine freien Diskussionen erlaubt, jedoch über Varianten des Sozialismus nachdenken läßt und politisch ungefährliche Gruppierungen — wie den Kirchen oder gesellschaftlichen Außenseitern — etwas mehr Artikulationsmöglichkeiten gibt als bisher; ein Staat, der seinen Bürgern immerhin soviel Reise-möglichkeiten läßt, wie dies in Polen und Ungarn bereits seit längerem möglich ist; ein Staat, der sich von der „Verwestlichung“ und „Amerikanisierung“ der Bundesrepublik Deutschland durch betontes Anknüpfen an preußisch-deutsche Ordnungselemente für manchen Deutschen wohltuend abhebt; ein Staat, der der totalen Westintegration der Bundesrepublik Deutschland die Pflege traditioneller geistiger deutscher Eigenständigkeit zwischen West und Ost entgegenstellt; ein Staat schließlich, der vielleicht auch wirtschaftlich ideologische Fesseln stärker ablegt und so das Gefälle an Wohlstand zwischen den beiden deutschen Staaten doch für eine große Zahl der Bürger verringert.

Auf der anderen Seite ein Berlin (West), in dem 1945 politisch die Uhr stehengeblieben wäre, in dem die Kriegsalliierten das Sagen behalten hätten; eine Stadt zudem, die von ihren Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland weniger Vorteile als vielmehr die Nachteile zermürbender Diskussion mit der östlichen Seite habe und vielfältige Behinderung im internationalen Bereich hätte; eine Stadt schließlich, die auf alle Hauptstadtambitionen verzichten müßte und statt dessen davon leben würde, einerseits ein Ausflugsziel für westdeutsche Berlin-Touristen zu sein, andererseits Einkaufs-und Vergnügungsviertel für Diplomaten und politische Besucher, die es nach Berlin (Ost) gezogen hat.

Dieses Szenario ist bewußt übertrieben, es soll jedoch auf eine Problematik hinweisen, die gerade im Zusammenhang mit den für 1987 anstehenden 750-Jahr-Feiern nicht verkannt werden sollte. In Berlin (West) wird alles daran gesetzt werden, dieses Szenario nicht Wirklichkeit werden zu lassen, vor allem durch die wissenschaftliche und kulturelle Ausstrahlung dieser Metropole, die von der EG für das Jahr 1988 zur „Europäischen Stadt der Kultur“ erklärt wurde. Auch insgesamt verhindert die Bedeutung Berlins für die Entwicklung der Deutschlandpolitik ein solches Szenario, doch zeigt es, welche Bedeutung Berlin (West) in der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West besitzt. 6. Zu einer offensiven und gleichzeitig realistischen Deutschland-und Berlin-Politik gehört auch die Einsicht, daß Machtfragen in Europa auf absehbare Zeit entschieden sind, auch wenn die Frage nach der Zeitdauer nicht beantwortet werden kann. Daher ist es eine wesentliche Aufgabe der Deutschland-und Berlin-Politik, sich auf die Lösung solcher Fragen zu konzentrieren, die nicht unmittelbar macht-, Ideologie-oder sicherheitsbezogen sind Ein solches pragmatisches Vorgehen ist nicht opportunistisch oder gar ein freiwilliger Verzicht auf politische Einheit, denn Ziel einer pragmatischen Deutschland-und Berlin-Politik muß es auch sein, daß Deutsche in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland zusammenkommen und die Bindungen bestehen bleiben. Denn gerade wenn „Nation“ definiert wird als ein „sich täglich wiederholendes Plebiszit“ (Renan), ist der Zugehörigkeitswille zur Nation entscheidend Nur mit Hilfe einer Politik, die den Zugehörigkeitswillen auch praktisch werden läßt, kann ein solches Plebiszit überhaupt hergestellt werden. Deshalb muß es Ziel einer pragmatischen und zugleich wertgebundenen Deutschlandpolitik sein, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen in beiden Staaten zu fördern. 7. Gerade in Berlin-Fragen ist die DDR sehr viel stärker als in anderen Bereichen der Deutschland-politik von der Sowjetunion abhängig. Deshalb kann es auch nicht im Interesse des Bundesrepublik Deutschland sein, eine solche Deutschland-und Ostpolitik zu betreiben, die die Bündnisloyalität der DDR gegenüber der Sowjetunion grundsätzlich in Frage stellt, weil diese zu einer flexiblen Position gegenüber der Bundesrepublik Deutschland nur dann in der Lage ist, wenn ihr Spielraum nicht durch die Sowjetunion eingegrenzt wird. Deshalb erklärte Bundeskanzler Kohl in der letzten Debatte zur Lage der Nation zu Recht: „Es wäre eine falsche Auffassung, daß uns schadet, was der DDR Nutzen bringt, oder daß uns nutzt, was der DDR schadet.“

Ziel der Deutschland-Politik der Bundesrepublik Deutschland muß es also sein, jene Felder der innerdeutschen Politik zu vergrößern, auf denen eine Verflechtung gemeinsamer Interessen möglich ist. Dabei kann man nicht die Augen davor verschließen, daß die DDR aus anderen Gründen als die Bundesrepublik Deutschland eine gewisse Zusammenarbeit anstrebt. Die DDR will in erster Linie ihre internationale Reputation erhöhen, sich innerhalb der eigenen Bevölkerung »stabilisieren, wozu auch westliche Devisen nötig sind; der Bundesrepublik Deutschland geht es in erster Linie um eine Stärkung des menschlichen Miteinanders im geteilten Deutschland, wie an verschiedenen Beispielen gezeigt worden ist

In der Deutschland-und Berlin-Politik kann es nicht nur darum gehen, machtpolitische und rechtspolitische — damit häufig statische — Fragen in den Vordergrund zu stellen, sondern die Diskussion muß durch dynamische Elemente ergänzt werden.

Auf dem Hintergrund einer gemeinsamen Geschichte und Kultur kann durch den Ausbau der wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen das Bewußtsein von der „Einheit der Nation“ gestärkt werden, wobei die geistige Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Kommunismus ein zentrales Element der Systemkonkurrenz auf deutschem Boden bleibt.

Die Sicherung der Freiheit war Ausgangspunkt und zentrales Ziel westlicher Berlin-und Deutschland-Politik. In einem Spannungsfeld zwischen Konflikt und Kooperation entwickelt sich Deutschland-und Berlin-Politik mit dem Ziel, politische Spannungen abzubauen, das Miteinander der Menschen zu erleichtern und langfristig die Einheit der Nation zu bewahren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu: Peter Brandt/Herbert Ammon, Die Linke und die nationale Frage. Dokumente zur deutschen Einheit seit 1945, Reinbek bei Hamburg 1981; Wolfgang Pohrt, Endstation. Über die Wiedergeburt der Nation, Pamphlete und Essays, Berlin 1982; Wolfgang Venohr (Hrsg.), Die deutsche Einheit kommt bestimmt, Bergisch Gladbach 1982. Siehe zur Auseinandersetzung mit diesen deutschlandpolitischen Ansätzen der Linken: Günther Heckelmann, Die Linke und ihr Vaterland, in: Sonde, (1981) 4, S. 42 ff.; Pierre Hässner, Was geht in Deutschland vor? — Wiederbelebung der deutschen Frage durch Friedensbewegung und Alternative Gruppen in: Europa-Archiv, (1982) 17, S. 517ff.; Wilfried von Bredow/Rudolf H. Brocke, Dreimal Deutschland-politik — Deutschlandpolitische Ansätze der Partei der GRÜNEN, in: Deutschland-Archiv, (1986) 1, S. 52ff.; Eckhard Jesse, Die deutsche Frage rediviva, in: Deutschland-Archiv, (1984) 4, S. 397 ff.

  2. Siehe darüber hinaus folgende Literaturhinweise: Günter Gaus, Wo Deutschland liegt, Hamburg 1983; Bruno Heck, Vaterland Bundesrepublik?, Zürich 1984; Karl Moersch, Sind wir denn eine Nation?, Bonn 1983; Helge Pross, Was ist heute deutsch?, Reinbek bei Hamburg 1982; Eberhard Schulz, Die deutsche Nation in Europa, Bonn 1982; Werner Weidenfeld, Die Frage nach der Einheit der deutschen Nation, München 1981; ders., Die Identität der Deutschen, München 1983; ders., Ratlose Normalität — Die Deutschen auf der Suche nach sich selbst, Zürich 1984; ders. (Hrag.), Nachdenken über Deutschland — Materialien zur Politischen Kultur der Deutschen Frage, Köln 1985.

  3. Siehe zu den Statusfregen Berlins insbesondere: Jürgen Fijalkowski/Peter Hauck/Axel Hofst/Gerd-Heinrieh Kemper/Alf Mintzel, Berlin-Hauptstadtanspruch und Westintegration, Köln-Opladen 1967; Dieter Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, München-Wien 1973; Alois Riklin, Das Berlinproblem, Köln 1964; Udo Wetzlaugk, Berlin und die deutsche Frage, Köln 1985.

  4. Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. in Zusammenarbeit mit dem Senat von Berlin (Hrsg.), Dokumente zur Berlin-Frage 1944— 1966, München 1967, S. 16.

  5. Ebda., S. 1.

  6. Gesetz über die Gebietskörperschaft Groß-Berlin vom 27. April 1920, Preußische Gesetzsammlung, 1920, S. 123.

  7. Dokumente zur Berlin-Frage (Anm. 4), S. 3.

  8. Als Belege für die östliche Auffassung wurden herangezogen mißverständliche Formulierungen in einzelnen Berichten untergeordneter Ausschüsse des Alliierten Kontrollrats, auch wenn solche Äußerungen niemals den Wortlaut von früher getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen zu ändern vermochten. Auch wurden praktische Ausnahmeregelungen, die sich wegen der geographischen Lage, z. B. aus der Unterstellung des gesamten Berliner Eisenbahnnetzes unter sowjetische Verwaltung, ergaben, als Beleg aufgeführt, um die gleiche Berechtigung der westlichen Alliierten in Frage zu stellen (siehe hierzu Erläuterungen in: Presse-und Informationsamt der Bundesregierung [Hrsg. ], Die Berlin-Regelung, Bonn 1971, S. 211 ff.; siehe ferner R. R. Legien, Die Viermächtevereinbarungen über Berlin — Ersatzlösungen für den Status quo?, Berlin 1961).

  9. Dokumente zur Berlin-Frage (Anm. 4), S. 5.

  10. Ebda.

  11. Ebda., S. 11.

  12. Ebda., S. 16.

  13. Ebda., S. 63.

  14. Ebda., S. 66.

  15. Ebda., S. 70.

  16. Ebda., S. 75.

  17. Siehe hierzu insbesondere Udo Wetzlaugk (Anm. 3), S. 47 ff.

  18. Gero Pfennig/Manfred J. Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin — Kommentar, Berlin-New York 1978, siehe auch Peter Füßlein zu entsprechenden Artikeln hinsichtlich Berlins im Grundgesetz, in: Karl-Heinz Seifert/Dieter Hörnig (Hrsg.) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Kommentar), Baden-Baden 1982.

  19. Gesetz über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes (3. Überleitungsgesetz) vom 4. Januar 1952 (BGBl. I 1952, S. 1).

  20. Siehe hierzu: Hartmut Schiedermaier, Der völkerrechtliche Status Berlins nach dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971, Berlin-Heidelberg-New York 1975.

  21. Siehe hierzu: Georg Ress, Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972, Berlin-Heidelberg-New York 1978.

  22. Hans Heinrich Mahnke, Das Hauptstadtproblem, in: Hans Adolf Jacobsen/Gert Leptin/Ulrich Scheuner/Eberhard Schulz (Hrsg.), Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR, München-Wien 1979, S. 129.

  23. Unter Ziffer II sind enthalten die „Bestimmungen, die die Westsektoren Berlins betreffen“. Daraus ergibt sich rechtslogisch, daß — wenn unter Ziffer I von „dem betreffenden Gebiet“ gesprochen wird — damit nicht nur Berlin (West) gemeint sein kann, sondern alle vier Sektoren.

  24. Siehe auch Hans Heinrich Mahnke (Anm. 22), S. 129.

  25. Eberhard Diepgen, Perspektiven statt Illusionen — Berliner Anmerkungen zur Politik in Deutschland, in: Der Übersee-Club in Hamburg, Mitteilungen, (1986) 2, S. 19 (veröffentlicht auch in : Deutschland-Archiv, [1986] 3, S. 268 ff.).

  26. Siehe Peter Jochen Winters, Alleinvertretungs-Anspruch für die ganze deutsche Geschichte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. August 1983.

  27. Wie weiter unten ersichtlich, ist der Deutschlandvertrag (Art. 6) die eigentliche Grundlage für die Bonner Vierergruppe.

  28. Zitiert nach: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Grundgesetz — Textausgabe, Bonn 1977, S. 109ff.; veröffentlicht auch in: Auswärtiges Amt (Hrsg.), Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1972.

  29. Ebda.

  30. Ebda.

  31. Zitiert nach: Claus Schöndube, Europa — Verträge und Gesetze, Bonn 1982, S. 177.

  32. Gemeinsame Erklärung betreffend Berlin, veröffentlicht in BGBl. I 1957, II, S. 760, zitiert nach: Claus Schöndube, (Anm. 31), S. 75.

  33. Eberhard Diepgen (Anm. 25).

  34. Siehe hierzu: Wolfgang Schäuble, Die deutsche Frage im europäischen und weltpolitischen Rahmen, in: Europa-Archiv, (1986) 12, S. 341 ff.

  35. Günter Gaus, Wo Deutschland liegt — Eine Ortsbestimmung, München 1986, S. 174f.

  36. Heinrich Windelen, Die europäische Verantwortung der Deutschlandpolitik, in: Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), Die Teilung Deutschlands und Europas, Bonn 1984, S. 19.

  37. Eberhard Diepgen (Anm. 25), S. 7.

  38. Siehe hierzu: Peter Jochen Winters (Anm. 26); Rudolf Thadden, Mit Blick auf Erbe und Tradition — Die DDR besinnt sich auf ihre gesamtnationale deutsche Geschichte, in: DAS PARLAMENT vom 17/24. Juni 1986, S. 4; ferner: Johannes Kuppe, Kontinuität und Wandel in der Geschichtsschreibung der DDR — Das Beispiel Preußen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20-21/86.

  39. Siehe Eberhard Diepgen (Anm. 25).

  40. Gerd Langguth, Nation und Demokratie, in: ders. (Hrsg.), Offensive Demokratie — Versuch einer rationalen Orientierung, Stuttgart 1972, S. 128 ff.

  41. Drucksache Deutscher Bundestag, Stenographische Berichte, 123. Sitzung, 27. Februar 1985, Plenarprotokoll 10/122, S. 9014.

  42. Vergleiche im übrigen die umfassende Aufzählung im Grundlagenvertrag, Artikel 7.

Weitere Inhalte

Gerd Langguth, Dr. phil., geb. 1946; Politikwissenschaftler; seit Januar 1986 Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretär beim Senator für Justiz und Bundesangelegenheiten von Berlin. Veröffentlichungen (u. a.): Jugend ist anders — Portrait einer jungen Generation, Freiburg-Basel-Wien 1983; Protestbewegung — Entwicklung, Niedergang, Renaissance — Die neue Linke seit 1968, Köln 1984; Der grüne Faktor — Von der Bewegung zur Partei?, Zürich 1985; The Green Factor in German Politics, Boulder (Col.) -London 1986.