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Die permanente Krise als agrarpolitische Realität Mutmaßungen über ungelöste Probleme | APuZ 42/1986 | bpb.de

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APuZ 42/1986 Vierzig Jahre Landwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland 1945/49— 1985. Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Agrarintervention Die permanente Krise als agrarpolitische Realität Mutmaßungen über ungelöste Probleme Aufgaben der Landwirtschaft in einer modernen Industriegesellschaft Die Landwirtschaft im Spannungsfeld: Überschüsse — Einkommen — Umweltgefährdung. Zur Diskussion um die Neuorientierung der Agrarpolitik

Die permanente Krise als agrarpolitische Realität Mutmaßungen über ungelöste Probleme

Antonius John

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Agrarkrisen hat es zu allen Zeiten gegeben. Waren diese Krisen in früheren Jahrhunderten Unterkonsumtionskrisen, so begegnen sie uns seit dem 19. Jahrhundert als Überproduktionskrisen. Der zwar wachsenden Nachfrage stand eine noch schneller ansteigende Produktion gegenüber. Während alle früheren Krisen in erster Linie als Depressionsphase in den wirtschaftlichen Wechsellagen zu erkennen waren, wird die derzeitige Krise als ein strukturell bedingter Dauerzustand empfunden. In der Tat scheint der übliche landwirtschaftliche Konjunkturverlauf außer Kraft gesetzt zu sein. Dieses Phänomen ist darauf zurückzuführen, daß die beiden industriellen Revolutionen die bis dahin funktionierenden wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen Landwirtschaft und gewerblicher Wirtschaft in Unordnung gebracht haben. Die Agrarmisere ist also exogen bewirkt und kann deshalb auch nicht endogen repariert werden. Es ist falsch anzunehmen, daß diese Schwierigkeiten mit der EG heraufbeschworen wurden. Richtig ist vielmehr, daß die EG diese in ihren Auswirkungen verschärft und beschleunigt hat. Es kann somit kein agrarpolitisches Reformrezept geben, durch das die Krise unter Beibehaltung der bäuerlichen Landwirtschaft gelöst werden könnte. Alle Reformen können nur dazu beitragen, die folgenschweren Auswirkungen zu mildern. Eine Beendigung der Dauerkrise wird erst dann möglich sein, wenn die Wirtschaft in eine neue Phase der industriellen Entwicklung eingetreten ist, in der die auf die Landwirtschaft wirkenden negativen Einflüsse verschwunden sind. Hier zeichnen sich aber nicht einmal Konturen für eine neue Phase ab, so daß die agrarische Dauerkrise weiterhin ihre Antwort durch die verschiedenartigsten Hilfsprogramme, welcher Art auch immer, erhalten muß. Ausgehend von der Tatsache, daß die bäuerliche Landwirtschaft für die Gesellschaft in der Bundesrepublik unentbehrlich ist, bleibt es Aufgabe aller, die von den Fortschritten der Industriegesellschaft profitieren, die bäuerliche Landwirtschaft durch besondere Maßnahmen innerhalb der Industriegesellschaft funktionsfähig zu halten.

Unter Krisen im nationalökonomischen Sinn versteht man allgemein eine Depressionsphase in den wirtschaftlichen Wechsellagen. Die Agrarkrise ist ein spezieller Fall der allgemeinen Krise, wie man spätestens seit Wilhelm Abel — der sich mit diesen Zusammenhängen gründlich auseinandergesetzt hat — wissen sollte. Krisen hat es schon gegeben, bevor man mit Beginn der industriellen Revolution periodische Schwankungen in der Wirtschaftstätigkeit feststellen konnte.

Die Wissenschaft erkennt im Ablauf der Konjunktur lange, mittlere und kurze Wellen. Die Agrarkrisenproblematik ist vornehmlich unter dem Aspekt der langen Wellen (Kondratieffwellen) zu sehen. Für die Agrarkrise ist der Angebotsüberhang oder der Nachfragemangel typisch, und zwar in der längerfristigen Wirkung. Es gibt natürlich auch mittel-und kurzfristige Diskrepanzen zwischen Verbrauch und Erzeugung von Agrargütern — oft produktspezifisch begrenzt. Die längerfristige Version in der Abschwungphase der langen Wellen ist deshalb so tiefgreifend, weil wir hier dem Phänomen des Umschlags einer Konjunkturkrise in eine Strukturkrise begegnen.

Wenn über Agrarkrisen gesprochen werden soll, muß klar sein, was im konkreten Fall gemeint ist. Denn die Agrarkrisen sind ihrem Wesen und ihrer Entstehung nach von sehr unterschiedlicher Qualität. Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die wichtigsten Krisenabläufe. Vom 14. bis ins 18. Jahrhundert waren sie durchweg Folge der Bevölkerungsschrumpfung durch Seuchen und Krieg. Es handelte sich somit um Unterkonsumtionskrisen, eine Erscheinung, der Malthus und Ricardo ihre besondere Aufmerksamkeit widmeten. Mit Beginn des 19. Jahrhundert gewannen die Agrarkrisen eine andere Qualität, nämlich mit dem Auftreten der Überproduktion. Einer zwar wachsenden Nachfrage stand eine noch schneller ansteigende Produktion gegenüber. Die erste Krise dieser Art zeigte sich in der nachnapoleonischen Zeit, und zwar infolge von Überernten bei gleichzeitiger Beschneidung der Exportmöglichkeiten. Diese Krise wies noch eine Besonderheit auf. Sie fiel zusammen mit einem politischen Ereignis von säkularer Bedeutung: der Bauernbefreiung, und erhielt dadurch einen Verstärkungseffekt.

Die Bauernbefreiung und ihre Folgen Der Literatur kann man entnehmen, daß die Bauernbefreiung im Bereich der bloßen Grundherrschaft relativ glatt ablief, während sich die Lage in den Gebieten der Gutsherrschaft dramatisch entwickelte. Die meisten neuen Betriebe waren nicht lebensfähig. Für die Verselbständigung fehlten u. a. die entsprechenden Kreditmittel. Hier öffnete die Bauernbefreiung den Weg zur Konzentration und zum weiteren Wachsen der Großbetriebe. Die Ablösung der spannfähigen Bauern erfolgte über Landabtretungen an den Gutsherrn. 400 000 bis 500000 Hektar sollen auf diese Weise Guts-land geworden sein. Die Kleinbauern wurden Land-und wo es möglich war Industriearbeiter. Die Gutsherrschaften nahmen eine Entwicklung in Richtung auf den industriemäßig betriebenen landwirtschaftlichen Großbetrieb mit eigenen Betriebseinrichtungen und freien Lohnarbeitskräften. Viele kleine Bauern gaben auf und verkauften ihre Flächen an die Großwirtschaften. Die Zukäufe werden von Experten auf noch einmal ca. 1 Million Hektar geschätzt. Etwa ein Drittel der Fläche Osteibiens dürfte schließlich in der Hand dieser Großbetriebe gewesen sein.

Die Konzentration hat damals — und das sollten wir heute aufmerksam registrieren — nicht verhindern können, daß auch diese Großbetriebe voll von der Krise getroffen wurden und es zu Massenkonkursen kam. Der Preissturz war enorm. Um 1825 waren die Roggenpreise auf ein Fünftel ihres Ausgangswertes gefallen. Das hatte Folgen für die Bodenpreise; sie fielen ebenfalls, wenn auch nicht so stark, doch sanken sie auf die Hälfte bis ein Viertel der Preise, die um 1800 gezahlt wurden.

USA expandieren — Folgen für Europa Die zweite Krise — nach dem Krieg von 1870/71 — war die Folge der gewaltigen Ausdehnung der Getreideanbauflächen im Westen der Vereinigten Staaten von Amerika. Gleichzeitig mit der Entwicklung des internationalen Transport-und Verkehrswesens stieg der Exportdruck auf Europa in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Den Hauptstoß erhielt zunächst England, das bis dahin auch Zielland für deutsche Getreideausfuhren war. Als dann auch die Exporte anderer Länder wie Rußland, Kanada, Rumänien, Australien und sogar Argentinien mit in den Kampf um die europäischen Märkte traten, zog Bismarck mit seinen Schutzzöllen die Notbremse, die nach einer zwischenzeitlichen Aufhebung durch Caprivi 1903 nochmals erhöht wurden.

Die Weltwirtschaftskrise Die dritte große Krise begann mit Preiseinbrüchen nach dem Ersten Weltkrieg, entfaltete sich aber voll um 1929, als mit der Weltwirtschaftskrise ein radikaler Preisverfall eintrat. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Produktion — angeregt durch die hohen Preise während des Krieges — gestiegen. Außerdem führte der technische Fortschritt zu einer Expansion. Der sich aus der Über-produktion ergebende Preisverfall brachte schließlich 1931 eine Halbierung der Weizenpreise. Diese Krise hat wesentlich mit zum Zusammenbruch der Weimarer Republik geführt; sie löste geradezu Verzweiflungsmaßnahmen der Regierungen aus, die eine Stabilisierung des Landwirtschaftssektors herbeiführen sollten — teils über eine neue Marktordnung, teils durch andere Maßnahmen.

Die Krisensituation löste auch ideologische Reaktionen aus; der ständische Gedanke kam immer stärker ins Spiel. Die nationalsozialistische „Blutund Boden“ -Politik war schließlich nichts anderes als die Endstation einer Variante dieser Identitätssuche. Mit dem Reichsnährstand glaubte das NS-System ein Instrument gefunden zu haben, Agrarkrisen künftig ausschließen zu können. Auch die Mehrzahl der Bauern glaubte daran; man zog sich immer mehr vom Markt zurück, verschanzte sich hinter den Ordnungsregeln und gewöhnte sich schließlich daran — eine fatale Entwicklung, die in sich bereits den Kern der nächsten Krise barg.

Das Novum: Die Dauerkrise Vielleicht stand hinter diesen Entwicklungen die Ahnung der Betroffenen, daß die aktuelle Agrarkrise etwas anderes war als jene, von denen man in früheren Zeiten gehört hatte. Jene hatte man immer wieder überstanden. Aber jetzt schien alles von einem ganz anderen Zuschnitt zu sein. Da mußten Kräfte am Werk sein, auf die die Landwirtschaft keinen Einfluß hatte und die die Agrarkrise zur Dauerkrise machten. Solche Strömungen lassen sich heute nur sehr schwer nachzeichnen. Aber wer Gelegenheit hatte, in jenen Jahren die Gespräche der Bauern zu hören, wird sich daran erinnern, welche Rolle die Vorstellung von einer durch die Industriegesellschaft verursachten Agrar-Dauerkrise spielte.

Der Zweite Weltkrieg brachte die totale Verwaltungswirtschaft, deren Beginn schon im Ersten Weltkrieg zu suchen ist. Aber schon bald nach Überwindung der Hungerjahre zeigte sich wieder eine gewisse weltweite Instabilität. Die Politiker versuchten gegenzusteuern. Marktordnungen blieben oder wurden wieder aktuell, keineswegs nur in Deutschland.

Im Zuge der europäischen Integration wurden sie das Lenkungsinstrument der europäischen Agrarpolitik schlechthin. Aber auch das reichte nicht aus. So schloß man internationale Weltmarktabkommen für bestimmte landwirtschaftliche Produkte ab mit dem Ziel, die Märkte zu stabilisieren, die Ungleichgewichte zwischen Erzeugung und Verbrauch zu beseitigen. Die Hoffnungen auf eine definitive Bewältigung der Agrarkrisen erfüllten sich indessen nicht. Die Krise wurde zunehmend als Dauerzustand empfunden, als ein unbewältigter Komplex in der hochbrisanten Spannungssituation zwischen Hunger und Überfluß. Dieser Dauerzustand wurde zur Markierungsnorm der gesamten Agrarpolitik.

Tiefgreifende Veränderungen Im Krisenbild der Landwirtschaft haben wir also folgende Stufen festzustellen: Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bestimmen Unterkonsumtionskrisen das Bild. Von da ab erweist sich die Krise als Überproduktionskrise. Diese nimmt mit dem Einbruch der industriellen Revolution in unterschiedlicher Intensität den Charakter einer Dauerkrise an.

Parallel zur Krise haben sich tiefgreifende strukturelle Veränderungen ergeben. Die eingetretenen strukturellen Veränderungen müssen nicht unbedingt ein Krisenkriterium sein. Sie setzen aber für den Ablauf der gegenwärtigen Krise wichtige Daten. Hier geht es um die Frage, inwieweit noch Spielraum für eine weitere Schrumpfung besteht — unter der Voraussetzung, daß unbedingt eine bäuerliche Landwirtschaft erhalten bleiben soll. Je kleiner der Spielraum, desto schmerzlicher wird auch hier die Krise fühlbar. Was hat sich nun in den letzten Jahren auf diesem Felde alles abgespielt? Um das Jahr 1850 hatte die Landwirtschaft noch einen Anteil von etwa 55% an der Zahl der Erwerbstätigen (das produzierende Gewerbe stellte 25% und der Dienstleistungsbereich rund 20%). Heute stellt die Landwirtschaft (einschließlich Fischerei) nur noch 5, 5% aller Beschäftigten. Von 1949 bis 1984 hat sich — die Zahl der Betriebe in der Bundesrepublik von 1, 65 Mio. auf 733 000 (— 56%) mehr als halbiert. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe sank 1984 gegenüber dem Vorjahr um 11 300 Betriebe bzw. 1, 5%.

— die durchschnittliche Betriebsgröße von 8, 06 Hektar auf 16, 32 Hektar (+ 102%) etwas mehr als verdoppelt.

Vermindert haben sich fast ausschließlich die Betriebe unter 10 Hektar. Die Zahl der Betriebe über 10 Hektar ist seit 1949 nur um 13 536 zurückgegangen; das wird sich mit anhaltender Krise aber ändern. Der landwirtschaftliche Strukturwandel hatte in den letzten Jahrzehnten enorme Auswirkungen auf den ländlichen Arbeitskräftebesatz. 1960 gab es nahezu dreimal so viele mit betrieblichen Arbeiten vollbeschäftigte Arbeitskraft-Einheiten wie heute. Der Einsatz von Lohn-arbeitskräften ging dabei stärker zurück als der der Familienarbeitskräfte.

Heute leben noch 3, 5 Mio. Personen in den Haushalten landwirtschaftlicher Betriebe (ab 1 Hektar landwirtschaftliche Fläche). Davon sind rund 2 Mio. Familienarbeitskräfte — Personen unter 15 Jahren nicht einbezogen — im landwirtschaftlichen Betrieb und/oder Haushalt beschäftigt. Hinzu kommen knapp 170000 im Betrieb und/oder Haushalt des Betriebsinhabers beschäftigte ständige und nichtständige Fremdarbeitskräfte. Das ist das Potential, das nach dem bisherigen Schrumpfungsprozeß übriggeblieben ist. Eine weitere Reduzierung — abgesehen von einer biologisch bedingten Schrumpfung — ist kaum noch möglich, da die Beschäftigungsaltemativen angesichts der allgemeinen Arbeitslosigkeit fehlen.

Fehlende Alternativen — wachsende Disparität Strukturwandel wird es in jeder dynamischen Wirtschaft geben; er ist ihr immanent. Ein Strukturwandel lebt jedoch von Alternativen. Diesen sind für weichende Bauern angesichts der Arbeitsmarktlage Grenzen gesetzt.

Die Industrialisierung hatte zu einer bis dahin kaum vorstellbaren Steigerung der Arbeitsproduktivität und Flächenproduktivität geführt. Allein die Arbeitsproduktivität erhöhte sich alle zehn Jahre um fast 50%. Der Effekt konnte voll zur Wirkung kommen, da die übrige Wirtschaft in der Lage war, das Abwanderungspotential aufzunehmen. Voraussetzung hierfür war das allgemeine Wirtschaftswachstum mit seinen hohen Zuwachsraten. Seit anderthalb Jahrzehnten ist hier jedoch eine erhebliche Änderung eingetreten. Die wirtschaftlichen Wachstumsraten gingen zurück, stagnierten, das Wachstum schrumpfte sogar. Die einsetzende und sich ausbreitende Arbeitslosigkeit beseitigte auch die Möglichkeit, daß weichende Arbeitskräfte aus dem Agrarsektor im gewerblichen Bereich eine Beschäftigung fanden.

Die zuvor erwähnte Abwanderungsrate aus der Landwirtschaft hat sich von gut 5 % in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre auf gegenwärtig ca. 1, 6% vermindert. Die verschlechterte Situation auf den Arbeitsmärkten macht sich also deutlich bemerkbar. Das geschrumpfte Wirtschaftswachstum hatte zudem negative Rückwirkungen auf die Marktlage und verstärkte damit die landwirtschaftliche Krisensituation.

Der Strukturwandel hat die landwirtschaftlichen Probleme nicht gelöst; auch die in der Landwirtschaft erzielten Produktionsfortschritte konnten die prekäre Einkommenslage nicht ausgleichen. Obwohl die Produktivitätssteigerungsrate in der Landwirtschaft im letzten Jahrzehnt mit 4, 5% etwa doppelt so hoch war wie in der allgemeinen Wirtschaft mit 2, 4%, liegen die landwirtschaftlichen Einkommen im Durchschnitt 40% unter dem Vergleichseinkommen. Denn: Die Produktivitätsfortschritte kamen infolge drastischer Real-preissenkungen (seit 1976 bis zu 3% je Jahr) den nachgelagerten Bereichen und den Verbrauchern zugute. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft beträgt die Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft derzeit real ca. 1, 5% pro Jahr. Sie ist in den letzten Jahren nahezu unverändert geblieben. Die landwirtschaftlichen Einkommen liegen also im Durchschnitt 40% unter dem Vergleichseinkommen! Das ist eine alarmierende Zahl. Dabei hatte man doch das Landwirtschaftsgesetz geschaffen, um der Landwirtschaft eine Teilnahme an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung zu ermöglichen. Statt dessen hat sich die Disparität vergrößert.

Eine Disparität drückt sich in verschiedener Weise aus. Einmal haben wir die sogenannte Preisdisparität. Sie liegt dann vor, wenn die Preise der Agrarerzeugnisse und die Preise anderer Produkte und Leistungen, vor allem die der landwirtschaftlichen Betriebsmittel, in bezug auf eine Basisperiode nicht übereinstimmen. Man spricht dann auch vom Bestehen einer Preis-Kosten-Schere. Betrachten wir die Zeitreihen unserer industriellen Epoche, dann müssen wir in der längeren Entwicklung ein Öffnen der Preisschere zu Lasten der Landwirtschaft feststellen, d. h. die Preise für Betriebsmittel steigen schneller als die für landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Neben der Preisdisparität gibt es noch die Einkommensdisparität, die man feststellen kann, wenn man die landwirtschaftlichen Einkommen mit den vergleichbaren Einkommen im gewerblichen Bereich in Beziehung setzt. Auch hier zeigt die Praxis, daß nie eine Parität erreicht wurde und daß die zunehmende Disparität zur Verelendung vieler Betriebe geführt hat. Die wachsende Disparität ist die Ursache für die immer deutlicher zutage tretende Misere in der Landwirtschaft. Sie ist es aber auch, die den wirtschaftlichen Niedergang fortzeugt und vermehrt. Das Paritätsproblem ist ein typisches Agrarproblem der Phase der Industrialisierung der Wirtschaft. Solange es diese gibt, existiert auch jene. Damit wird deutlich, wie tief die Agrarkrise als Dauerkrise begründet liegt.

Die Europäische Gemeinschaft als Verstärker Das Disparitätsproblem ist also — so simpel das klingt — das Agrarproblem unserer Tage schlechthin. In welcher Form im einzelnen auch immer, die gesamte Weltlandwirtschaft ist mit diesem Problem konfrontiert. Es ist also keineswegs so, daß diese Problematik erst durch den gemeinsamen Markt und die gemeinsame Agrarpolitik der EG ausgelöst worden ist. Sie besteht einfach unabhängig von ihr. Die EG ist somit nicht der Verursacher, sondern höchstens der Verstärker dieses Negativzustandes. Durch die EG werden latente Schwierigkeiten vorzeitig zu aktuellen Problemen. Sie wären aber eines Tages so oder so aufgetaucht.

Investitionen als Indikator Das desolate . Krisenbild der Landwirtschaft spiegelt sich auch in den Investitionen wider. Die Rückläufigkeit auf diesem Feld ist beredter Ausdruck der Misere im Agrarbereich. Die Brutto-, vor allem aber die Nettoinvestitionen sind in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Ein durchschnittlicher Vollerwerbsbetrieb weist im Durchschnitt der letzten vier Wirtschaftsjahre gegenüber dem vorangegangenen Vierjahresdurchschnitt real 40% geringere Investitionen aus. Zum dritten Mal innerhalb der letzten vier Wirtschaftsjahre waren die gesamtwirtschaftlichen Nettoinvestitionen der Landwirtschaft negativ. Die getätigten Bruttoinvestitionen blieben unter den Abschreibungen zu Wiederbeschaffungswerten.

Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die vor-und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft. Der Inlandsumsatz der deutschen Ackerschlepper-und Landmaschinenindustrie sank z. B. 1984 gegenüber 1983 um 9%. Die Gefährdung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen, insbesondere im ländlichen Raum, ist offensichtlich. Jeder 6. Arbeitsplatz der deutschen Wirtschaft hängt direkt oder indirekt von der Landwirtschaft ab. An dieser Zahl wird die allgemeine Gefährlichkeit der Agrarkrise wieder erkennbar.

Brüssels verfehlter Preisdruck Es wurde schon gesagt, daß die EG-Agrarpolitik nicht der Verursacher und Auslöser der derzeitigen Agrardauerkrise ist, sondern daß die Wurzel des Übels viel tiefer liegt. Es wurde aber auch vermerkt, daß Brüssel diese Entwicklung beschleunigt und verstärkt hat. Es war der Brüsseler verworrene Zickzackkurs, der die Krise zu dem hat werden lassen, was sie nun ist.

Die Agrarproduktion der Europäischen Gemeinschaft wächst seit Jahren weitgehend unabhängig von preispolitischen Entscheidungen um ca. 2% pro Jahr, während die Nachfrage lediglich noch mit 0, 5% je Jahr ansteigt. Selbst die drastischen Realpreissenkungen von 3 % bis zu 5 % in den vergangenen Jahren haben nicht zu der erhofften Marktentlastung geführt. Man weiß es und man sagt es.

Die EG-Agrarpolitik ist an einer Wendemarke angekommen: — die Diskrepanz zwischen Agrarproduktion und Verbrauch droht zu einer Katastrophe zu werden;

— die Absatzprobleme auf dem Binnenmarkt werden verstärkt durch begrenzte Aufnahmemöglichkeiten des Weltmarktes und führen zu einem erheblichen Markt-und Preisdruck. In der EG, besonders aber in der Bundesrepublik Deutschland, tragen die landwirtschaftlichen Erzeuger seit Mitte der siebziger Jahre die Hauptlast der Inflationsbekämpfung (z. B. betrug 1985 in der Bundesrepublik die Preissteigerungsrate 4-2, 2%, die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise fielen um 5, 3%);

— das Erreichen bzw. Überschreiten des vollen Selbstversorgungsgrades bei fast allen einheimischen Nahrungsmitteln hat die Kosten der EG-Agrarpolitik kräftig ansteigen lassen (1985: 45 Mrd. DM);

— die Erweiterung der EG um Spanien und Portugal bringt neue Finanzbelastungen für den EG-Haushalt mit sich, die angesichts der Bevölkerungs-und Wirtschaftsstruktur der Beitrittsländer vorrangig im Agrarbereich entstehen werden, allerdings integrationspolitisch bedingt sind;

— die seit Jahren gedrückten Erzeugererlöse haben die Einkommen der bäuerlichen Familienbetriebe auf ein völlig unbefriedigendes Niveau gesenkt. Der gewerbliche Vergleichslohn liegt mit rd. 36000 DM zur Zeit um ca. 13 000 DM bzw. rund 45% über dem Durchschnittseinkommen je Familienarbeitskraft in der Landwirtschaft;

— die Einkommen der deutschen Landwirte liegen im EG-Vergleich im unteren Viertel, während sie Mitte der siebziger Jahre noch im Mittelfeld lagen.

Das ist also die Folge einer verfehlten Brüsseler Politik, die die Auswirkungen der Dauerkrise ganz erheblich verschärft hat. Diese Politik ist verfehlt, weil sie rechtzeitige Maßnahmen zur Einkommenssicherung vernachlässigte, weil sie die Ausnutzung der Weltmarktchancen im richtigen Augenblick außer acht ließ und weil sie das Wesen der Dauerkrise nicht erkannt hat. Die unbefriedigende Einkommenslage verbunden mit fehlenden Perspektiven in der Agrarpolitik hat zu großer Verunsicherung und zum Teil zur Resignation in den bäuerlichen Familienbetrieben geführt. Dieser Entwicklung gilt es unverzüglich Einhalt zu gebieten, wenn nicht die Substanz der bäuerlichen Landwirtschaft gefährdet werden soll. So sagt man es, so will man es; aber kann man das auch?

Die amerikanische Variante Die agrarische Dauerkrise lastet auch auf den USA. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion auf beiden Seiten des Atlantiks hat zu einer scharfen Konkurrenz aller Exportländer geführt, besonders aber zwischen der EG und den USA. Mit der Bildung immer größerer Über-schüsse kommt es — sich am Rande eines Handelskrieges bewegend — zu einer weiteren Senkung dieser Produktpreise, zumindest zu einem nachhaltigen Druck auf diese.

Über die mißliche Lage, in der sich die amerikanischen Farmer befinden, kann kein Zweifel bestehen. Mit ihr wird auch bewiesen, daß der landwirtschaftliche Großbetrieb in einer solchen Situation keine Alternative sein kann. Auch eine extensive Nutzung der Flächen bringt keine Lösung. In den USA liegt die durchschnittliche Größe der 2, 6 Mio. Betriebe bei 160 Hektar; in Europa liegt die entsprechende Relation bei 6, 5 Mio. zu 16 Hektar. In Europa arbeiten 8, 5 Mio. Menschen in der Landwirtschaft, in den USA nur 2, 2 Mio. Dabei hat sich die Zahl der in Europa in der Landwirtschaft Tätigen zwischen 1960 und 1985 von über 20 Mio. auf 8, 5 Mio. reduziert.

Die Agrarpreissenkungen in den USA zeigen verheerende Folgen. Ganze Regionen verkommen; Erosionen und Landflucht größten Ausmaßes sind an der Tagesordnung. Die Produktion aber läuft weiter auf Volldampf; mit Niedrigpreisen kämpft man um die Erhaltung oder Rückeroberung alter Märkte auf allen Kontinenten. Man steht hart am Bankrott der einheimischen Landwirtschaft. Der Kampf um die Märkte löst bei den Konkurrenten Gegenreaktionen aus, auch in der EG. Dadurch werden die Kosten der gemeinsamen Agrarpolitik immer höher und leeren die EG-Kassen. Politische Erpressung ist die Folge, und Stützungsprogramme drohen alle Beteiligten in den finanziellen Ruin zu treiben. Auch das ist das Gesicht der Dauerkrise.

Die Dritte Welt Da zuvor die Stichworte „Hunger und Überfluß“ genannt wurden, sei an dieser Stelle auch eine kurze Bemerkung zur Problematik der Entwicklungsländer gestattet (ohne daß das Thema hier vertieft werden kann). Die Permanenz der Agrarkrise betrifft auch die Entwicklungsländer. Es ist richtig, wenn gesagt wird, daß die Kolonial-periode vielfach die Ursache der Ernährungs-und Verarmungsprobleme in diesen Ländern ist, weil eine damals entstandene falsche Produktionsstruktur bis heute nicht korrigiert ist.

Das Agrarpotential in den Entwicklungsländern ist geprägt worden durch die Bedürfnisse und die Marktinteressen der industriebestimmten Länder. Plantagenwirtschaften und Monokulturen waren die Folge. Industriell betriebene Landwirtschaft mit relativ wenig Arbeitskräften in den Industrie-ländern fand ihr Pendant in den Entwicklungsländern. Die Zerstörung der Kleinlandwirtschaft und die Verarmung der Masse der Bevölkerung sind ein Ergebnis, das nicht mit einer Konjunktur-welle zu erklären ist und das sich im Wege der Selbstregulierung wieder „richtig“ stellt, sondern Ausdruck einer Krisenpermanenz, die durch dieselben Ursachen ausgelöst wurde wie jene der Agrarwirtschaften der Industrieländer.

Im Grunde kennt man auch die Ursache. Man weiß, daß nicht die Industrialisierung der Landwirtschaften der Entwicklungsländer der richtige Weg ist, sondern die Entwicklung einer klein-bäuerlichen Landwirtschaft und des Kleingewerbes, um erfolgreich die Massenarmut bekämpfen zu können. Es gibt auch viele Programme für eine solche neue Politik, in der Technik und Beratung auf diesen Personenkreis ausgerichtet ist. Die Erfolge müssen jedoch begrenzt bleiben, da die industrieorientierte Landwirtschaft den entscheidenden Einfluß auf die Märkte hat. Auch gibt es eine Dauerdisparität, die die Dauerkrise bewirkt. Welche Maßnahmen auch ergriffen werden, vielleicht läßt sich das Elend mildern, vielleicht lassen sich sogar bessere Lebensverhältnisse schaffen, die Krise schwelt weiter.

Die Subjektivierung des Agrarproblems Die Dauerkrise äußert sich auch in einer erkenntnistheoretischen Diskrepanz, in der die Akteure der Szene ihre unterschiedlichen Betrachtungsweisen nicht mehr in Übereinstimmung bringen können. Der amerikanische Agrarökonom D. Hathaway hat dieses bereits vor fast einem Vierteljahrhundert in einem Fünf-Punkte-Katalog recht sarkastisch formuliert. Seine Feststellungen sind wegen ihrer Treffsicherheit und Aussage-dichte immer wieder zitiert worden.

Nach Hathaway besteht das Agrarproblem 1. für den Laien in Form von Überschüssen, deren steigende Größe und Kosten tagtäglich die Schlagzeilen der Medien ausmachen (damit ist dieses Agrarproblem für die öffentliche Meinung und für die Öffentlichkeit in erster Linie ein Ärgernis; Ärgernisse lösen Emotionen aus, womit wir mit der Tatsache konfrontiert sind, daß die Krise zunächst einmal emotional betrachtet wird, was einer Lösung der Probleme nicht dienlich sein kann);

2. für Ökonomen in einer unbefriedigenden Verteilung der Produktionsfaktoren;

3. für Bauern hauptsächlich in niedrigeren und ungleichmäßigen Einkommen, trotz harter Arbeit, sorgfältiger Betriebsführung und oft großer Kapitalinvestitionen;

4. für Parlamentarier in einem Milliardenloch im Etat;

5. für Politiker in Form einer Falle, die zunehmend ein vorzeitiges Ende ihrer politischen Karriere verspricht, dann nämlich, wenn sie gefangen sind zwischen unzufriedenen Bauern und wütenden Steuerzahlern — mit wenig Hoffnung, einen von beiden zufriedenzustellen, geschweige denn beide.

Dieser Katalog ist aber schon längst nicht mehr vollständig. Ganz wesentlich neue Kriterien und Betrachtungsweisen haben ihn in negativer Weise angereichert und dadurch die Lösung der Sachprobleme noch verschärft. Das Agrarproblem besteht nämlich inzwischen auch in der Gratwanderung zum Handelskrieg zwischen den USA und der Europäischen Gemeinschaft. Vor allem ist das die Sicht der Außenhandelspolitiker und der Außen-sowie der Sicherheitspolitiker.

Das Agrarproblem besteht darüber hinaus für den Entwicklungspolitiker und den Moralisten in dem offenbar unüberbrückbaren Gegensatz von Überfluß und Hunger. Die Naturschützer und Ökologen hängen sich hier häufig an, sehen aber dann in dem Agrarproblem die sinnlose Zerstörung der Umwelt für überflüssige Produktionen. Und wen kann es dann noch wundern, wenn auch innerhalb der Landwirtschaft das Agrarproblem zusätzlich eine ganz neue Variante erhält: die Strapazierung oder Auflösung der Solidarität des Berufsstandes, die Interessenaufsplitterung, die Kontroverse zwischen „Groß und Klein“. Auch um diese Frage geht es in dieser Krise. „Säuerlichkeit“ in der Industriegesellschaft Die Situationsbeschreibung wollte in den vorangegangenen Darlegungen aufzeigen, daß die gegenwärtige Daueragrarkrise in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedliche Gesichter, aber ihren Ursprung in dem Zusammenprall von Industriegesellschaft und bäuerlicher Welt hat. Es ist nun immer wieder zu hören, daß die Landwirtschaft sich in der Weise anpassen müsse, daß sie sich voll den Gesetzmäßigkeiten der Industriegesellschaft unterordnen sollte, was sich am besten in Form einer industriell geführten großbetrieblichen Landwirtschaft erreichen ließe.

Abgesehen davon, daß die Größe keineswegs der Garant dafür ist, die Landwirtschaft von dem gegenwärtigen, durch die Industriegesellschaft produzierten Belastungsdruck zu befreien, würde dieser Weg sowohl gesellschaftspolitisch als auch umweltpolitisch verfehlt sein. Uns ist in der Bundesrepublik der bäuerlich-familienwirtschaftlich geprägte „Hof" für unser politisches und wirtschaftliches Handeln vorgegeben. Deshalb muß man nach anderen Möglichkeiten Umschau halten, wie der Familienbetrieb die Krise überstehen kann.

Bei dieser Krise kann es sich doch kaum um eine Existenzkrise des landwirtschaftlichen Produktionsbereichs handeln. Denn die Nahrungsgüter sind für den Menschen unabdingbar. Die Menschen werden immer nach Nahrungsgütern fragen — und diese müssen produziert werden. Das bedeutet also, daß die Existenz der Landwirtschaft nicht gefährdet ist. Worum es geht, ist etwas anderes: Es geht darum, in welcher Form die Landwirtschaft betrieben wird. Um es konkret auszudrücken: Es geht um die Zukunft einer bäuerlich strukturierten Landwirtschaft. Dieses Problem betrifft keineswegs nur die Bundesrepublik und die EG, sondern es handelt sich hier um ein Problem von weltweitem Ausmaß.

Es gibt natürlich viele Kritiker, die solches bestreiten und die behaupten, daß das Bild von der bäuerlichen Landwirtschaft aus einer vorindustriellen, vorbürgerlich-feudalen Welt stammt und heute nicht mehr aktuell ist. Es wird bestritten, daß der bäuerliche Familienbetrieb überhaupt geeignet ist, in der Industriegesellschaft Einkommen zu erwirtschaften, die einer Familie angemessen sind. Solche Kritik wird dann gekoppelt mit der Verneinung von Funktionen, die man mit dem Begriff des Familienbetriebes verbindet, nämlich die gesellschaftspolitische, kulturelle, raumordnerische und Umweltfunktion dieser Kategorie. Immer wieder begegnet man solchen Vorstellungen, die die industrielle Großwirtschaft als Endziel ansehen, wobei es letztlich gleichgültig ist, ob sie mit einem kommunistisch-sozialistischen System ideologisch verkoppelt ist oder ob sie in einer westlichen Industriegesellschaft als Ergebnis einer ökonomischen Entwicklung ausgewiesen wird. In beiden Systemen würden sie eine Realität darstellen, und die Befürworter vermuten hierin wohl ein Stück angewandter Konvergenz-theorie. In Wirklichkeit hat aber die Praxis gezeigt, daß jedes industrielle Produktionssystem nur dann funktioniert, wenn gleichzeitig damit die Steigerung der Nachfrage verbunden ist. Hier sind aber — wie die Statistik zeigt — die Grenzen erreicht.

Weder der quantitative Verzehr noch eine Änderung der Verbrauchsgewohnheiten erlauben einen größeren Spielraum. Nicht nur die physiologische Begrenzung der Möglichkeiten spielt hier eine Rolle, sondern auch der demographische Aspekt.

Das ausbleibende Bevölkerungswachstum, ja ein Rückgang der Bevölkerung haben unmittelbare Rückwirkungen auf die Verbrauchsquoten. Das Produktionssystem mit seinen Produktionsprinzipien kann also nicht mehr funktionieren. In der Landwirtschaft kommt es deshalb nicht zu Einkommenserhöhungen. Theoretisch genügten 50 000 Betriebe Von der Technik her könnten in der Bundesrepublik Deutschland rund 50000 landwirtschaftliche Betriebe ohne weiteres die Agrarproduktion erstellen, die wir benötigen — und das bei einem Agrarpreisniveau, das deutlich niedriger liegt als der Gültigkeit bisher praktizierter Wirtschaftsprinzipien sind für den derzeitigen Zustand ebenso kennzeichnend wie die Auffassung, daß Landwirtschaft und Bauerntum zwar immer in wirtschaftlichen Wechsellagen und Krisen leben mußten, daß aber jetzt die bäuerliche Lebensart in Gänze zur Disposition steht und sich gesamtwirtschaftlich das ganze Umfeld in Brüchen verändert.

Dabei muß man sich auch von der Vorstellung lösen, daß die Abwanderung aus der Landwirtschaft schlechthin einen Mechanismus auslöst, der die Investitionen ankurbelt und damit die Nachfrage nach Industriegütern belebt, was dann automatisch zu allgemeinem Wohlstand führe. Das amerikanische Beispiel sollte gegenüber solchen Vorstellungen abschreckend wirken. Zwar hat die personelle Ausblutung der Landwirtschaft eine gewaltige Investitionswelle ausgelöst. Aber das geschah zu Lasten der agrarpolitischen und soziologischen Vernunft, ohne daß das in anderen Bereichen zu paradiesischen Zuständen geführt hätte. Wir sehen ja heute, welche Anstrengungen die Amerikaner machen, um aus diesen Zuständen herauszukommen.

Da sich die Dauerkrise der Landwirtschaft in ihrer Verbindung mit der fortschrittlichen Industriegesellschaft nicht ohne weiteres beseitigen läßt (sie verschwindet erst, wenn die Industriegesellschaft Transformationen durchgemacht hat), muß sich die aktive Agrarpolitik auf diese Tatsache einstellen. Nicht umfassende Patentreformen werden Erfolg bringen, sondern die kleine gezielte Hilfsmaßnahme kann Entlastung bringen.

Kleine Schritte der „Glättung“

Es ist also festzuhalten: Wenn auch sicher scheint, daß die agrarische Dauerkrise in absehbarer Zeit nicht verschwindet, so lassen sich jedoch ihre Auswirkungen dämpfen, „glätten“.

Über diese Eingrenzung der Möglichkeiten muß man sich klar sein.

Die Phasen überproportionalen Wirtschaftswachstums sind endgültig vorbei; ein Wechsel von Arbeitskräften in den gewerblichen Sektor wird zunehmend schwieriger. Diese Tatsache muß ein Umdenken und eine völlig neue Konzeption der Agrarpolitik bewirken. Auf der einen Seite läßt der Zwang, mit der außerlandwirtschaftlichen Einkommensentwicklung Schritt halten zu müssen, nach. Die allgemeine Arbeitslosigkeit hat hier zu gewissen Orientierungsänderungen geführt. Aber auf der anderen Seite stellt sich jedoch das schwierige Problem, im Agrarsektor möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, ja eventuell neue Arbeitsplätze zu schaffen und doch den Einkommensnotwendigkeiten der Menschen in der Landwirtschaft gerecht zu werden. Eine solche Situation bedeutet aber auch für die Wirtschaftspolitik ein Novum.

Die Zeiten für die bäuerliche Landwirtschaft werden auch wegen anderer Verschlechterungen der Rahmenbedingungen schwieriger, denn — Umweltauflagen schränken die Dispositionsfreiheit der Landwirte und die Intensivierungsmöglichkeiten der Produktion ein;

— die Nachfrage nach hochveredelten Agrarprodukten und nach Agrarrohstoffen stagniert;

— aufgrund des technischen Fortschritts steigt die Agrarproduktion in wichtigen Bereichen weiter.

Das Einkommensgefälle ist schon in den letzten zehn Jahren immer größer geworden. Bei der aktuellen Verschlechterung der Rahmenbedingungen wird es bei einer Fortsetzung der bisherigen Politik zu einer Aufgabe der Agrarproduktion gerade in den „benachteiligten Gebieten“ kommen, wo aus übergeordneten Gründen (Besiedlung, Umwelt, Freizeitwert) die Landbewirtschaftung erhalten werden sollte. Für die Nahrungsmittel-produktion werden diese Flächen nicht mehr benötigt. Die Preispolitik müßte also „differenziert“ ausgerichtet sein. Welche „Instrumente“ man dafür einsetzt, ist schwer zu beantworten, nur muß man sich wohl damit abfinden, daß ein einheitliches Instrumentarium nicht mehr ausreicht. Die eigentliche Aufgabe der nächsten Jahre liegt darin, ein differenziertes Modell zu entwickeln und umzusetzen. Große, unter guten natürlichen und wirtschaftlichen Standortverhältnissen wirtschaftende Betriebe setzen auch weiter auf die „Ökonomie“ (allerdings bei stärkerer Beachtung bestimmter ökologischer Restriktionen). Das bedeutet:

— konsequente Rationalisierung;

— konsequente Nutzung produktionstechnischer Fortschritte;

— Wachstum, wenn immer möglich.

Diese Betriebe kommen auch bei sinkenden realen Agrarpreisen zurecht (aus ihrer Sicht sind Agrarpreissenkungen einer Kontingentspolitik vorzuziehen).

Kleine, unter ungünstigen natürlichen Standort-verhältnissen wirtschaftende Betriebe müßten stärker auf die „Ökologie“ (bei Beachtung ökonomischer Mindestanforderungen) setzen, d. h. ihre Existenzberechtigung nicht primär aus der Nahrungsmittelproduktion, sondern aus der Produktion „anderer Leistungen“, wie auch immer man die definiert (und bezahlt!!!), herleiten.

Das bedeutet:

— kein übermäßiger Einsatz ertragssteigernder Betriebsmittel; — extensive Organisation (oft verbunden mit Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft);

— Erhaltung des land-und forstwirtschaftlichen Vermögens bei Verdienst des Lebensunterhalts außerhalb der Landwirtschaft;

— Bezahlung der „Leistungen“, die bisher als „Kuppelprodukte“ der Land-und Forstwirtschaft kostenlos anfielen (Luft, Wasser, Landschaftspflege usw.);

— Produktion auch unter umweltbedingten Einschränkungen, etwa Obergrenze in der Viehhaltung, Einschränkung des chemischen Pflanzen-schutzes usw.

Ziel dieser Agrarpolitik wäre, eine solche „Doppelstrategie“ in die Praxis einzuführen, praktikable Abgrenzungskriterien für beide Gruppen zu entwickeln, ein Instrumentarium zur Durchführung einer differenzierten Agrarpolitik zu entwickeln. Über die „Instrumente“ einer solchen Politik — Preispolitik, — Einkommenstransfer, — Kontingentierung der Produktion, — Sozialpolitik und ihren „quantitativen Einsatz“ sowie die Kombination dieser Politiken müßte sehr detailliert nachgedacht werden, wobei die äußeren Rahmenbedingungen (Konkurrenz in der EG, Beziehungen zu Drittländern usw.) zu berücksichtigen sind. Hier Empfehlungen zu geben, gehört nicht zum Thema dieses Beitrages. Es muß aber noch einmal vor falschen Erwartungen gewarnt werden: Der Einsatz des Instrumentariums der „Glättung“ mag die Lage der bäuerlichen Betriebe zeitweise verbessern, er löst aber nicht die permanente Krise, die uns bedrückt. Sie hat tiefere Ursachen.

Die Krise geht weiter Es gibt Leute, die die gegenwärtige Agrarkrise auf die nicht erfolgte Anpassung der Produktionsfaktoren zurückführen, d. h. auf den unbewältigten Strukturwandel. Daß der Strukturwandel im Grunde nichts anderes ist als eine Anpassung des Einsatzes der Produktionsfaktoren an das gesamtwirtschaftliche Gefüge von Preisen und Kosten, ist eine Binsenwahrheit. Die Produktionsfaktoren werden nach ihren relativen Kostenänderungen ausgetauscht. Steigt der Preis für einen bestimmten Produktionsfaktor an, so versucht man den Einsatz dieses Faktors zurückzufahren und ihn durch einen anderen zu ersetzen.

Die Krise liegt — wie mehrfach betont — in Wirklichkeit in dem Unvermögen, die Folgen aus dem Zusammenprall von Industriewelt und bäuerlicher Welt zu verkraften. Ein wichtiges psychologisches Moment in dieser Dauerkrise liegt darin, daß der Landwirt nicht seine Situation mit der seines Kollegen in anderen Ländern vergleicht, sondern mit der seines in der gewerblichen Wirtschaft tätigen Mitbürgers. Diese Diskrepanz tangiert unmittelbar sein Selbstverständnis und sein Selbstbewußtsein.

Das andere Element ist die allgemeine Unsicherheit, die Unkalkulierbarkeit langfristiger wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen und die ontologisch bestimmte Unsicherheit durch den Zusammenbruch der Werte und Verhaltens-ordnung. Walt Rostow hat in seiner bekannten Fünf-Stadien-Theorie die fünfte Phase als die des Massen-konsums beschrieben. In dieser Phase zeichnet sich auch ein neuer Trend ab, nämlich der, daß eine weitere Ausdehnung der Technik nicht mehr oberstes Ziel ist, sondern daß die soziale Wohlfahrt und die Sicherheit in den Vordergrund tritt. Aber was dann danach kommen soll, darüber schweigt sich Rostow aus.

Es kommt also darauf an, der Öffentlichkeit im allgemeinen und den Bauern speziell durch klare Information zu verdeutlichen, um was es bei dieser Krise, in der sie leben, eigentlich geht. Die Menschen müssen erkennen, daß diese Krise die Folge der Industriegesellschaft, von der wir alle leben und profitieren wollen, ist und daß wir auf der anderen Seite für die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft, auf die wir nicht verzichten können, Opfer bringen müssen. Wenn diese Einsicht besteht, sind die Bauern keineswegs Kostgänger der Allgemeinheit. Das, was man für die Bauern tut, ist nichts anderes als die Entrichtung der Preise für die Wahrung des Eigeninteresses der Gesellschaft.

Wenn die Bauern erfahren, daß die Agrarpolitik hier keine Ideallösungen bringen, sondern nur „Glättung“ bedeuten kann, könnte manches Mißtrauen abgebaut werden. Wir müsen mit der Industriegesellschaft und ihren Wirkungen leben, bis sie selbst in die nächste Phase übergeht.

Fussnoten

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Antonius John, geb. 1922; Chefredakteur a. D., seit 1948 Wirtschaftsjournalist in Bonn (Handelsblatt, Rhein. Merkur u. a.); seit 1979 eigenes „Bonner Redaktionsbüro für Wirtschaft und Politik“ (BRWP); diverse Verbandstätigkeiten und Beratungsfunktionen, u. a. für den Deutschen Bauernverband.