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Nationalsozialismus und Faschismus in der DDR-Historiographie | APuZ 13/1987 | bpb.de

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APuZ 13/1987 Was ist neu am „neuen Denken“ in der DDR?. Die Friedens-und Sicherheitspolitik steht im Zentrum Geschichtswissenschaft und Geschichtsverständnis in der DDR seit 1945 Nationalsozialismus und Faschismus in der DDR-Historiographie

Nationalsozialismus und Faschismus in der DDR-Historiographie

Hans-Ulrich Thamer

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der starre Rahmen der dogmatisch festgelegten Imperialismus-bzw. Faschismustheorie der DDR-Historiographie, die im Faschismus nur eine Ausgeburt des staatsmonopolistischen Kapitalismus sieht, schränkt den Spielraum für eine Herausarbeitung der spezifischen Strukturen der nationalsozialistischen Bewegung und Herrschaft ebenso gravierend ein wie die „Parteilichkeit“ der DDR-Geschichtsforschung allgemein und der Faschismusforschung insbesondere. Da die DDR-Historie im Faschismus nur ein Instrument des Monopolkapitals erblickt, leugnet sie jede politische und soziale Autonomie der nationalsozialistischen Massenbewegung, deren Anfänge und Aufstieg erst zögerlich und unzulänglich untersucht werden. Statt dessen konzentrierte man sich lange Zeit ausschließlich auf Untersuchungen des Faschismus an der Macht, insbesondere auf das Verhältnis von Ökonomie und Politik. Dabei ist es weder gelungen, den maßgeblichen Einfluß bestimmter monopolistischer Gruppen auf die innen-und außenpolitischen Entscheidungen des Regimes schlüssig nachzuweisen noch die Richtungsänderungen bzw. die Veränderungen in den Strukturen des NS-Regimes als Folge einer Umgruppierung innerhalb des Monopolkapitals zu begründen. Ein weiterer bevorzugter Forschungsgegenstand ist der antifaschistische Widerstand unter Führung der KPD. Er ist Legitimationsgrundlage der SED und Beleg für die Fortexistenz des Klassenkampfes während der NS-Zeit. Das Traditions-und Erbe-Konzept hat es mittlerweile der Widerstandsforschung erlaubt, auch den bürgerlich-konservativen Widerstand positiv zu beurteilen. Auflockerungen zeigen sich auch im Bereich von Untersuchungen zur NS-Rassenvemichtungspolitik wie zur inneren und militärischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Auch wenn sich immer deutlicherDifferenzierungen und Verfeinerungen der Aussagen vor allem im Detail beobachten lassen, so überschreiten sie freilich nicht den vorgegebenen Rahmen der marxistisch-leninistischen Faschismusdefinition. Lediglich in der Belletristik der DDR werden diese Grenzen durchbrochen und Wege zu einer Alltagsgeschichte der Diktatur und zu einer Verbreiterung des Spektrums des politischen Verhaltens in der NS-Zeit eröffnet, die in dem offiziellen Geschichtsbild nach wie vor als eine Art Fremdherrschaft einer kleinen Clique über das eigene Volk dargestellt wird.

I. Einleitung: Von der „Parteilichkeit" der marxistisch-leninistischen Faschismusforschung

Der Nationalsozialismus und seine Herrschaft haben in der marxistisch-leninistischen Geschichtsforschung der DDR schon immer besondere Aufmerksamkeit gefunden. Gleichwohl steht die Intensität dieser wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrem Erkenntnisgewinn. Und dies in mehrfacher Hinsicht.

Obwohl die Nationalsozialismusforschung der DDR sich ausschließlich als Faschismusforschung versteht, reduziert sich die Faschismusdiskussion auf eine Nationalsozialismusdiskussion. Wie die marxistische Faschismustheorie insgesamt, so gebraucht die orthodoxe marxistische Historiographie im besonderen ausschließlich den generalisierenden Begriff Faschismus und lehnt den singularisierenden Begriff Nationalsozialismus ab. Zur allenfalls erläuternden Differenzierung sind Bezeichnungen wie „deutscher Faschismus“, „Hitler-Faschismus“ oder „Nazi-Faschismus“ üblich.

Damit begibt sich die Forschung der Möglichkeit eines vergleichenden, interkulturellen Ansatzes, was freilich in jüngster Zeit als Mangel anerkannt wurde. Auch ist damit die Frage völlig ausgeschlossen, ob ein allgemeiner Faschismusbegriff empirisch überhaupt haltbar ist, das heißt, ob es zumindest zwischen den beiden Hauptvarianten des europäischen Faschismus, dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus, genügend Gemeinsamkeiten gibt, die zur Anwendung eines solchen Gattungsbegriffs berechtigen, oder ob die trennenden historischen Unterschiede überwiegen.

Außerdem konzentriert sich die Faschismusforschung der DDR einseitig auf bestimmte Themen-felder und blendet andere wichtige Aspekte nationalsozialistischer Herrschaft und Politik völlig aus. Es waren und sind zwei Gesichtspunkte, die in der marxistisch-leninistischen Faschismusforschung absolute Priorität haben: einmal das Verhältnis von Politik und Ökonomie, d. h. die immer behauptete Abhängigkeit nationalsozialistischer Politik von den Interessen des Monopolkapitals bzw. monopol-kapitalistischer Gruppen; zum anderen der antifaschistische Widerstand, d. h. vor allem die Geschichte der KPD vor und während der nationalsozialistischen Diktatur. Zwar hat sich das Spektrum der Fragestellungen mittlerweile aufgefächert und auch verstärkt der Analyse nationalsozialistischer Außen-, Rassen-und Kriegspolitik zugewandt, doch zielen alle Untersuchungen immer wieder auf den Nachweis der einen „unkritisierbaren Wahrheit“ der marxistisch-leninistischen Faschismusdoktrin, nach der der Nationalsozialismus bloßes Produkt von Kapitalismus und Imperialismus und letzte Stufe der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaft war.

Solange Politik nur eine direkte Funktion von Ökonomie und dieser völlig unterstellt ist, bleiben Fragen nach Entstehung und Aufstieg faschistischer Bewegungen, nach deren politisch-ideologischen Triebkräften und deren politischen Durchsetzungsfähigkeit von untergeordnetem Interesse. Die faschistischen Massenbewegungen sind dabei nur Produkte kapitalistischer Interessen; die Rolle des faschistischen Führers wird auf die eines bloßen Agenten, einer im Grunde genommen unwichtigen „Blechfigur“ heruntergestuft, und die massenmobilisierende Bedeutung des Führerkultes wird als eine monopolkapitalistischen Funktionsweisen adäquate Manipulationsstrategie dargestellt. Die Autonomie der Politik, selbst der spezifischen nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, wird geleugnet.

Kurzum, wichtige Elemente der Kontrolle und Integration, der Verführung und Unterwerfung der Menschen in einem totalitären Regime sowie ihre Verstrickung bis in die Kriegs-und Ausrottungspolitik hinein werden ausgeblendet. Entscheidend für den Faschismus an der Macht, dem das vorrangige Interesse gilt, ist nach orthodox-marxistischer Lesart nicht die Form einer Diktatur, sondern einzig ihre soziale Funktion als Instrument der aggressiven Elemente des Monopolkapitals.

Darum kann sich der Faschismusbegriff auf die verschiedenen Formen repressiver Herrschaft erstrekken, ohne daß eine fundamentale Unterscheidung zwischen einer autoritären Militärdiktatur und einer auf einer Massenpartei gestützten Diktatur erforderlich ist. Was ein solcher extrem heteronomer Faschismusbegriff an wissenschaftlicher Trenn27 schärfe verliert, das gewinnt er an politischer Handhabbarkeit. Schließlich führt eine solche Identifizierung von ökonomischen Interessen und politischem Handeln, so problematisch und teilweise unmöglich ihr empirischer Beweis im einzelnen ist, zu einer Verharmlosung des Nationalsozialismus, auch wenn immer wieder von der Nazi-Barbarei die Rede ist. In dem Maße nämlich, in dem die politischen Ordnungen vom Deutschem Kaiserreich über das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik Deutschland hinein nur als Varianten bürgerlich-imperialistischer Herrschaft dargestellt werden, verblassen der radikale Vernichtungswille und die extreme Unmenschlichkeit der nationalsozialistischen Herrschaft zu einem bloß peripheren Merkmal und werden auf diese Weise eingeebnet. Die nationalsozialistische Diktatur erscheint in dieser Perspektive als eine Art „Fremdherrschaft“ (Broszat) einer kleinen Clique über das eigene Volk. Das Phänomen der Massenakzeptanz und die Fragen nach den Gründen, die dazu führten, wie den Nachwirkungen, die davon ausgingen, werden ausgeklammert.

II. Die theoretische Grundlage

Die Ursachen für diese starre, nur in Einzelaspekten modifizierte Interpretation liegen in der Verbindlichkeit der bis heute unangefochtenen und „fundamentalen Wahrheit“ der marxistisch-leninistischen Faschismusdefinition und in der unmittelbaren politischen Relevanz dieses Faschismus-bzw. Antifaschismuskonzepts. Bereits auf dem XIII. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im Dezember 1933 hatte die rein instrumentalistische Faschismusdefinition ihre klassische und bis heute endgültige Form erhalten: „Der Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“

Was hier dogmatisch festgelegt und seither als Ausdruck einer historischen Gesetzmäßigkeit in der Geschichtsschreibung operationalisiert wird, hat einen direkten und offen ausgesprochenen politischen Bezug. Die Faschismusproblematik ist für die DDR-Forschung nicht nur „Hauptkampffeld der ideologischen Auseinandersetzung zwischen marxistischer und bürgerlicher Ideologie“ sondern ein marxistisch-leninistischer Faschismusforscher muß sich außerdem stets dessen bewußt sein, „daß er kein historisch erledigtes Thema behandelt, sondern daß er damit unmittelbar am Klassenkampf unserer Zeit, am Kampf der Völker gegen den Imperialismus, für Frieden und Sozialismus teilnimmt“ Denn solange Faschismus nach der parteioffiziellen Doktrin als ein wesentliches Produkt von Kapitalismus und Imperialismus gilt, können auch die Wurzeln des Faschismus in den westlich-kapitalistischen Staaten nicht ausgerottet sein.

Da vor allem der westdeutsche Nachbarstaat als Produkt und Bollwerk kapitalistischer Prinzipien angesehen wird, hat die historische Beschäftigung mit dem Faschismus nicht nur die Aufgabe, über die Schrecken der Vergangenheit, sondern vor allem über die Gefahren von Gegenwart und Zukunft aufzuklären und auf die „latente Gefahr weiterer faschistischer Putsche in der kapitalistischen Welt“ hinzuweisen. Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus gilt der marxistisch-leninistischen Forschung überdies als ein zentrales Element der politischen Identitätsstiftung der DDR: „Ein klares Bild vom Faschismus, insbesondere von seinem Klassencharakter, der Kernfrage des Faschismus-problems, dem Volke zu vermitteln und entsprechende Lehren aufzuarbeiten, erwies sich für die politische Identität der Deutschen Demokratischen Republik und für die Bewältigung der tiefgreifenden Umgestaltung in der deutschen Geschichte als eine zentrale Aufgabe.“

Die Verankerung der zeitgeschichtlichen Forschung in der marxistisch-leninistischen Doktrin und ihre enge Verflechtung mit den allgemeinen politischen Entwicklungsabschnitten der DDR gebietet es, die wichtigsten Etappen der Faschismusforschung und die dabei jeweils charakteristischen thematischen Schwerpunkte zu beachten bzw. herauszuheben. Zugleich ist damit angedeutet, wie eng der Spielraum und die Differenzierungsmöglichkeiten historischer Forschung überhaupt sind, die von solchen dogmatischen Vorgaben abhängig ist.

Seit Walter Ulbrichts zuerst 1945 erschienener Schrift „Die Legende vom deutschen Sozialismus“, die später in Neuauflagen unter dem Titel „Der faschistische deutsche Imperialismus 1933 — 1945“ kanonisiert wurde, gilt die klassische Faschismusdefinition der Komintern von 1933. Ausgehend von Lenins Imperialismustheorie behauptet diese Deutung, daß der unvermeidliche Zusammenbruch des Kapitalismus auf Seiten der reaktionärsten und mächtigsten Gruppen innerhalb des monopolistischen Finanzkapitals das Bedürfnis weckte, die eigenen imperialistischen Ziele durch die Indienstnahme einer Massenbewegung zu sichern, die ihrerseits in der Lage schien, die revolutionäre Arbeiterklasse zu vernichten und damit die kapitalistischen Interessen zu sichern.

Faschismus war und ist nach dieser Bestimmung eine notwendige und letzte Stufe der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaft. Der Faschismus war darum nur eine organische Weiterentwicklung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Was sich 1933 veränderte, war nur die Form, in der das Finanzkapital seine politische Macht ausübte, nicht aber die Substanz dieser monopolistischen Herrschaft. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und seine Machtübernahme bedeuteten darum keinen radikalen Bruch mit der Vergangenheit, denn an der sozialökonomischen Basis, auf der auch die Weimarer Republik ruhte, hatte sich nichts geändert.

Nur in der Form der Diktatur gestand man Veränderungen zu. Der Faschismus wurde als die schärfste Negation der Demokratie verstanden, als eine offene, ungeschminkte Diktatur im Interesse eines immer kleiner werdenden Zirkels. Zusammen mit der Notwendigkeit einer ständig wachsenden Konzentration und Planung der Produktion ergab sich daraus zugleich die Hoffnung, in der faschistischen imperialistischen Diktatur einen unvermeidlichen Meilenstein auf dem dialektischen Weg zum Sozialismus zu erleben.

Neben der Persistenz dieses zur Formelhaftigkeit erstarrten Interpretationsmuster fällt in der Früh-phase der marxistischen Faschismusforschung in der SBZ bzw. DDR ein nationalgeschichtlicher Erklärungsansatz auf, der sich nicht viel anders auch in sogenannten bürgerlichen Deutungen der unmittelbaren Nachkriegszeit findet. Der Nationalsozialismus sei, so Ulbricht 1945, „die Zusammenfassung, Entwicklung, Vertiefung alles Reaktionären in der deutschen Geschichte“ Diese polare Interpretation, die sich auch auf ähnliche Deutungen von Alexander Abusch stützen kann, für den der deutsche Faschismus die letzte Manifestation des deutschen Dranges nach Osten war, behält bis in die sechziger Jahre Gültigkeit. Auch die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (Bd. 5 von 1966) führte die nationalsozialistische Diktatur auf die Entwicklungsmechanik des deutschen Imperialismus zurück, charakterisierte diese gleichzeitig auch als „Höhepunkt aller antinationalen und antihumanistischen Tendenzen und Bestrebungen in der deutschen Geschichte überhaupt“

Während für Ulbricht der Nationalsozialismus ursprünglich keine unvermeidliche Etappe in der deutschen Geschichte war, sondern die Verantwortung für Hitler im wesentlichen der Politik der sozialdemokratischen Führung zugeschrieben wurde, neigte die DDR-Historiographie seit den sechziger Jahren dazu, die Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung des deutschen Imperialismus herauszustellen.

Dementsprechend traten die personalistischen Interpretationsformen Ulbrichts eindeutig zurück, der noch vom „Raubvogelgesicht“ Thyssens gesprochen hatte, das seinen „Charakter treffend wiedergibt“ Statt dessen erscheint der Nationalsozialismus als Ergebnis des sich seit dem Ersten Weltkrieg in Deutschland ausprägenden staatsmonopolistischen Kapitalismus, dessen vollständige Durchsetzung während der nationalsozialistischen Diktatur erfolgt sei.

Nach diesem Ansatz übernimmt der Staat unter den Bedingungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus und besonders seit der siegreichen sozialistischen Oktoberrevolution eine neue und qualitativ veränderte Rolle als staatsmonopolistische Herrschaftsorganisation, indem er in alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens dirigistisch eingreife, um trotz der revolutionären Herausforderung in Form der wachsenden Macht der Arbeiterklasse Macht und Profit der Finanzoligarchie zu sichern. Dieser Finanz-und Industriekomplex besitze die Führungsrolle, ohne daß er alle Monopole umgreife. Um die Führung im Monopol brächen immer wieder Konkurrenzkämpfe zwischen den einzelnen Monopolgruppen aus.

Auch verträten die einzelnen Monopolgruppen unterschiedliche politische Konzepte, von der „wendig-parlamentarischen Linie“ in der modernen Elektro-Chemiegruppe bis zur „abenteuerlichmilitaristischen Taktik" der Kohle-Eisen-Stahl-Gruppe Es sei diese montane Schwerindustrie gewesen, die Hitler in der allgemeinen Krise nach 1930 an die Macht gebracht habe, um sich die ökonomische Priorität zu sichern. Doch sollten sich im Verlauf des Dritten Reiches die Machtverhältnisse zwischen diesen Monopolen erneut verändern und schließlich der Chemie-Elektro-Gruppe den Primat verschaffen.

Bis hin zu den nationalsozialistischen Kriegs-und Vernichtungszielen lassen sich nach diesem Konzept alle politischen Entscheidungen des Regimes auf die Interessen monopolkapitalistischer, imperialistischer Gruppen der deutschen Wirtschaft zurückführen. Mit dieser These wurde stärker, als dies bisher der Fall war, die historische Kontinuität vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis hin zur Bundesrepublik herausgestellt und damit begründet, daß ein entscheidender Wechsel in den sozialen Machteliten dieser Gesellschaft nicht stattgefunden habe. Die nationalsozialistische Phase verliert damit jede Singularität, und letzten Endes soll mit der Faschismuskritik , der westdeutschen Nachkriegsgeschichte als „Wiederbelebung und kontinuierliche Fortsetzung“ dieser staatsmonopolistischen Tendenz der Prozeß gemacht werden.

Diese Neuorientierung wird von DDR-Autoren selbst auf den Beginn der sechziger Jahre datiert und der historischen Forschung damit eine neue Qualität zugesprochen. Mit der Festigung der DDR soll sich die Geschichtswissenschaft, „gestützt auf die Erfahrungen der antifaschistischen Kämpfer, besonders der Arbeiterklasse, den notwendigen breiten und gründlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der faschistischen Etappe der deutschen Geschichte unterziehen“ Die Geschichtswissenschaft der DDR, die durch die restlose Überwindung des Imperialismus in der DDR „den einzigen freien und wahrhaftigen Standpunkt des Volksinteresses“ vertreten könne, soll die Rechtfertigung für die staatliche Spaltung und die Eigenexistenz der DDR liefern. Die wissen-schaftliche Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wurde in dieser Phase vorrangige Aufgabe, und damit einher ging die verstärkte Beschäftigung mit dem antifaschistischen Kampf der KPD als der revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse.

Eine weitere Zäsur für die DDR-Geschichtswissenschaft bedeutete der VIII. Parteitag der SED von 1971. Die stärkere Orientierung weg vom sozialistischen Modell DDR zum revolutionären Weltprozeß und zum Internationalismus gab der „gesellschaftswissenschaftlichen Forschung viele kräftige Impulse“ Für die Faschismusforschung brachte die Entwicklung eine Ausweitung der Fragefelder auf der Grundlage der Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus: Neben Arbeiten zur faschistischen Kriegswirtschaft traten neue Untersuchungen über die „Kriegsziele des faschistischen Imperialismus im Zweiten Weltkrieg und über Kontinuität und Modifikation in der Geschichte imperialistischer Herrschaft auf deutschem Boden“

Hinzu kamen verstärkt Untersuchungen zur faschistischen Ideologie, zur Massenbasis und zum Masseneinfluß des Faschismus, auch zur Funktion des Rassenantisemitismus und natürlich Arbeiten zum Antifaschismus, dem wichtigsten Kontinuum in der zeitgeschichtlichen Forschung der DDR.

Einige dieser Neuansätze entstanden ganz offenkundig auch unter dem Eindruck einer auch in methodischer Hinsicht differenzierteren Forschung in der Bundesrepublik, deren man sich zunehmend meinte stellen zu müssen. Dies gilt sowohl für die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Judenpolitik wie für die Entstehungsgeschichte der NSDAP und schließlich auch im ersten Ansatz für eine vergleichende Faschismusforschung, die nach eigenem, jüngst getroffenen Eingeständnis zu den „empfindlichen Lücken“ der Geschichtsschreibung der DDR zählt.

III. Themen und Thesen

1. Der Aufstieg der NSDAP Mit der Geschichte der NSDAP als politischer Massenbewegung hat sich die marxistisch-leninistische Faschismusforschung schon immer schwer getan. Denn Aufstieg und Massenerfolg dieser Partei bedeuteten zugleich eine empfindliche politische Niederlage des Kommunismus und seines Anspruchs auf revolutionäre Mobilisierung der krisen-geschüttelten Gesellschaft der Weimarer Republik wie eine Niederlage der Erklärungskraft der eigenen politischen Doktrin. Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung der NSDAP zu einer Massenbewegung fehlten darum in der DDR-Forschung lange Zeit fast völlig. Es galt und gilt als ausgemacht, daß die NSDAP „die ökonomischen und politischen Ziele des deutschen Imperialismus“ vertrat und demzufolge von einer anfangs 12 noch kleinen, aber besonders unversöhnlichen und aggressiven Gruppe des Monopolkapitals, insbesondere innerhalb der Schwerindustrie, gegründet und gefördert wurde.

Eine weitere Analyse des Aufstiegs dieser Partei und ihrer spezifischen Organisations-und Aktionsformen schien dadurch überflüssig. Wenn von einer faschistischen Bewegung die Rede war und ist, dann nur im engen Bezugsrahmen der marxistischen Klassenanalyse. Der Nationalsozialismus vertrat danach „ausschließlich die Klasseninteressen der Monopolbourgeoisie“ und verdankte seine Entstehung und seinen Aufstieg nach dieser Lesart einzig den sich verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüchen des Monopolkapitalismus, d. h.den Spannungslagen zwischen einer wachsenden Disproportionalität in der gesellschaftlichen Verteilung des Volkseinkommens einerseits und eines sich verschärfenden Klassenkampfes wie einer heftigen ökonomischen Krise andererseits, die die besonders intransigenten Gruppen des Monopolkapitals nach einer Bewegung hatten suchen lassen, die zur Ausschaltung der revolutionären Arbeiterbewegung und zur Errichtung einer offenen Diktatur besonders geeignet erschien.

In diesem Wettbewerb um die Gunst der monopolistischen Machthaber hat sich die NSDAP behaupten können, weil „sie sowohl nach innen wie auch nach außen ein extrem reaktionäres imperialistisches Programm verfocht und weil sie es wie keine andere der zahlreichen bürgerlichen Parteien verstanden hatte, abgrundtief volksfeindliche Absichten zu verbergen“ Die NSDAP leistete das, wonach die „deutsche Monopolbourgeoisie“

suchte, um die Ergebnisse von Weltkrieg und Revolution rückgängig zu machen. Sie verband „brutalen Terror“ mit „raffinierter ideologischer Beeinflussung der werktätigen Massen und besonders der Arbeiterklasse“

Der Nachweis für diesen Klassencharakter des Nationalsozialismus in Gestalt von direkten Verbindungen zwischen der frühen NSDAP und monopolistischen Gruppen fiel freilich so schwer, daß sich die DDR-Historiker allmählich um eine verfeinerte Argumentation bemühten. „Weniger offensichtlich sind die unmittelbaren Beziehungen zwischen der Industrie und der nationalsozialistischen Partei“ räumte Manfred Weisbecker 1970 ein.

Darum richtete sich das Augenmerk verstärkt auf die politische und ideologische Affinität der frühen NSDAP zu anderen völkischen oder nationalrevolutionären Gruppierungen, bei denen sich finanzielle Unterstützungen aus Unternehmerkreisen nachweisen ließen. Um diese Beweisführung besser abstützen zu können, wurden die ideologischen Differenzen zwischen der konservativen Revolution und den Nationalsozialisten eingeebnet. Für Joachim Petzold waren darum die Jungkonservativen „nicht nur ideologische Wegbereiter der Nazi-Herrschaft“, sondern auch „eine besondere Erscheinungsform des sich entwickelnden Faschismus“

Damit meinen die DDR-Historiker einen Beleg für ihre hartnäckige Behauptung erbracht zu haben, daß weder der „Faschismus noch die nazistischen Organisationen . . . eine selbständige und autonome, d. h. von der herrschenden Klasse unabhängige Bewegung“ sind, die etwa aus dem „Kleinbürgertum herausgewachsen [waren] oder gar von einzelnen Personen allein geschaffen wurden“ Der Faschismus entstand, so weiterhin die Behauptung der marxistischen Faschismusforschung, „auf der Grundlage neuer Bedürfnisse der imperialistischen Bourgeoisie sowie im Ergebnis der neuen, krisenhaften innen-und außenpolitischen Existenzbedingungen des deutschen Imperialismus“

Was in der nichtmarxistischen Forschung übereinstimmend als spezifisch faschistisches Charakteristikum gilt, wie etwa das Führerprinzip und die autonome Durchsetzung von Hitlers Führerrolle bzw.

der wachsende Massenanhang, wird auf eine „organische“ Verbindung zu der bürgerlichen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ordnung und deren Bedürfnisse zurückgeführt. Hitlers Führerposition unterschied sich demnach kaum von der Führungsaufgabe anderer Führer bürgerlicher Parteien, nur daß die historischen Umstände nun einen anderen Führungsstil erforderten. „So wie die faschistische Diktatur organisch aus anderen Herrschaftsformen des Imperialismus hervorgegangen war und die NSDAP — trotz aller ihrer Spezifik — die Grundzüge des bürgerlichen Parteienwesens bis zur extrem reaktionären Konsequenz geführt hat, besteht auch ein enger, organischer Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Formen der politischen Führung und den Führern der Monopolbourgeoisie.“ Im angeblich faschistischen Führerprinzip will Manfred Weisbecker darum nichts anderes sehen als eine „Übertragung des militärischen Führer-Gefolgschafts-Prinzips und damit eines wichtigen Aspektes der inneren Funktion des Militarismus auf das gesellschaftliche Leben schlechthin“ Darum kann sich derselbe Autor die Führungskrise der frühen NSDAP im Sommer 1921 und den schließlichen Durchbruch Hitlers zur diktatorischen Führerstellung nur als Exekution der Konzeptionen des im Hintergrund die Fäden ziehenden Münchener Reichswehr-Gruppenkommandos vorstellen, ohne daß dafür ein tatsächlicher Beweis erbracht wird. Der liegt, wie in vielen anderen Fällen auch, einzig in der scheinbaren oder tatsächlichen bzw. partiellen Identität bestimmter Zielvorstellungen. Von dort aus wird rückwärts geschlossen, daß dann auch eine entsprechende Beeinflussung oder Steuerung vorgelegen haben muß.

Was immer an Behauptungen und Indizien für eine Lenkung der NSDAP von ihren Anfängen bis zur Machtübernahme 1933 und darüber hinaus angeführt wird, immer dient es dem Versuch, die Auffassung der „bürgerlichen“ Geschichtswissenschaft zu widerlegen, daß Bourgeoisie und alte Machteliten erst dann Interesse am Nationalsozialismus gezeigt haben, als dieser zu einer Massenbewegung angewachsen war. Darum werden alle parteiinternen Konflikte und Entwicklungen, auch etwa die Auseinandersetzungen zwischen dem Strasser-Flügel und der Münchener Parteizentrale bis hin zur Parteikrise vom Dezember 1932, auf Entscheidungen außerhalb der Partei zurückgeführt, nämlich auf Auseinandersetzungen zwischen den hauptsächlichen Gruppierungen der Monopol-Bourgeoisie, deren unterschiedliche Interessen und Strategien sich nach dieser Auffassung in den jeweiligen Flügel-und Richtungskämpfen innerhalb der NSDAP wie in deren Verhältnis zu anderen „reaktionären“ Kräften niederschlugen.

Die Massenbasis des Nationalsozialismus spielt allenfalls eine drittrangige Rolle. Nicht die Mitglieder der Partei, „die Angehörigen des ländlichen und städtischen Kleinbürgertums“, bestimmten „Charakter und Politik der Nazi-Partei“, sondern „Ziele und Interessen des deutschen Imperialismus“ Der Massenbasis bleibt dann nur die Rolle eines durch „hurra-patriotisch-antikommunistische“ Parolen getäuschten Anhanges, der sich entgegen seinen „objektiven Interessen als Teil des werktätigen Volkes“ manipulieren ließ.

Ergebnisse der modernen Partei-und Wahlsoziologie zur NSDAP werden nur in sehr begrenztem Umfange und ohne Einfluß auf die vorgefaßte Deutung des Nationalsozialismus als der „wählerstärksten Partei des Kapitals“ aufgenommen. Die Implikationen dieses Aneignungsvorganges spiegeln sich in der Debatte um die Rolle der Arbeiterschaft innerhalb der nationalsozialistischen Massenbewegung — einer der wenigen Bereiche, in dem Dissens innerhalb der DDR-Faschismusforschung überhaupt öffentlich ausgetragen und dann sofort als Beweis für die Lebendigkeit und Innovationskraft dieser Forschung herausgestellt wird.

Freilich sind die Abweichungen eher bescheidener Natur und spiegeln nur die engen Grenzen des Handlungs-und Interpretationsrahmens, die durch die dogmatischen Vorgaben gezogen sind. So besteht Kurt Gossweiler darauf, daß die Aufgabe der manipulativen Einbindung der Arbeiterschaft während der gesamten-Weimarer Republik für die NSDAP bestand. Wolfgang Ruge, einem wesentlich traditionelleren Ansatz verpflichtet, behauptet, daß spätestens 1923 die Monopolisten und Faschisten von der Hoffnung auf Mobilisierung der Arbeiterschaft Abschied genommen hätten und sich ausschließlich dem Kleinbürgertum als Basis der NSDAP zuwandten. Joachim Petzold geht davon aus, daß nicht der klassische Proletarier Zielgruppe der faschistischen Propaganda und Manipulation war, sondern solche Arbeiter, die ideologisch auf der Grenzlinie zwischen Handwerk und Arbeiterschaft standen

Auch im Bereich der vergleichenden Faschismus-forschung, eingestandenermaßen ein Desiderat der DDR-Historiographie, lockert sich der starre Bezugsrahmen nur schrittweise. Während Weiß-becker vor einigen Jahren die Kritik an diesem Mangel noch damit zu entkräften versuchte, daß er die sich im Rahmen des marxistisch-leninistischen Dogmas bewegenden Vergleiche zwischen der NSDAP und anderen bürgerlich-reaktionären Parteien, allesamt nur als verschiedene nationale faschistische Fraktionen verstanden, als Beleg für eine komparatistische Forschung ausgab, geht Gossweiler mittlerweile auch international vergleichend vor. Er unterscheidet zwischen zwei Varianten des Faschismus, wobei er konsequenterweise wieder vom Faschismus an der Macht ausgeht. Die eine, ungleich häufigere Variante ist danach die faschistische Diktatur etwa in Südosteuropa und auf der Iberischen Halbinsel, die sich vorwiegend auf die Armee stützte und auch gegen faschistische Parteien vorging. Die andere Variante, mehr die Ausnahme, ist der Faschismus in Italien und Deutsch-land, wo eine faschistische Massenbewegung die Grundlage einer faschistischen Diktatur bildet.

Wieder wird der für die westliche Faschismusforschung zentralen Kategorie der Existenz einer faschistischen Massenbewegung nur sekundäre Bedeutung zugesprochen. Interessant ist auch die Periodisierung Gossweilers. Er weist beide Varianten der faschistischen Diktatur einem ersten Zyklus der Geschichte des Faschismus bis 1945 zu, denen er durchaus eine eigene historische Qualität zuspricht, wenn er die nach 1945 folgende Geschichte des Faschismus nicht als eine „einfache Fortsetzung des Vorhergehenden“ bezeichnet, sondern als einen Neubeginn schon deshalb betrachten muß, weil nun ein verändertes Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus im weltweiten Rahmen eingetreten ist. Aber, so wird sofort wieder eingeschränkt, das bedeutet nicht das Ende des Faschismus im Jahre 1945, weil dessen „imperialistischer Mutterboden . . . vielerorts noch weiter erhalten bleibt“ 2. Faschismus an der Macht Daß die monopolistischen Auftraggeber Hitler an ist für marxistischleninistische Macht gebracht haben, die Geschichtsschreibung ebenso fundamentale Wahrheit wie die Tatsache, daß alles, was das nationalsozialistische Regime tat, diesem Auftrag entsprach. Von der Unterdrückung der Arbeiterbewegung über die Zerstörung der Reste der bürgerlichen Demokratie bis hin zur blutigen Ausschaltung der rebellierenden SA am 30. Juni 1934, alles geschah im Interesse des Monopolkapitals.

Nicht einen internen Machtkampf zwischen Hitler, Göring und auf der Himmler, der Reichswehr einen und Röhms unzufriedener Bürgerkriegsarmee auf der anderen Seite wollen die DDR-Historiker in der Röhm-Affäre sehen, sondern eine Auseinandersetzung zwischen den Monopolgruppen und ihren jeweiligen Bataillonen: einer Allianz aus Schwerindustrie und Armee, der sich schließlich auch Hitler anschloß, gegen eine Verbindung aus Elektro-und Chemieindustrie mit Röhm, Strasser und Schleicher.

Während eine Koinzidenz der Interessen zwischen Hitler/Göring und der Armee wie auch der Schwerindustrie in diesem Falle plausibel ist, läßt sich ein überzeugender Beweis für den Zusammenhang von SA und dem Elektro-Chemie-Komplex überhaupt nicht erbringen. Meist wird ein solcher Zusammenhang auch nur behauptet, ohne daß irgendwelche Belege erbracht werden. Wenn diese aber genannt werden, dann sind sie so vage und konstruiert, daß die angestrengte Bemühung nicht verborgen werden kann, eine dogmatisch vorgefaßte Interpretationslinie um jeden Preis einhalten zu müssen. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Deswegen gehen nach Meinung der DDR-Historiographie auch nicht primär Hitler und die Reichs-wehr gestärkt aus der Röhm-Affäre hervor, sondern das Monopolkapital. „Der 30. Juni kennzeichnete den Abschluß einer Entwicklungsetappe der faschistischen Diktatur, an deren Beginn die Zerschlagung der legalen Organisation der Arbeiterklasse mit den Händen der nationalsozialistischen Kleinbürger und an deren Ende die Abrechnung der faschistischen Diktatur mit der Opposition eben dieser kleinbürgerlichen Nazi-Gefolgschaft gegen die Allmacht der Monopole stand. Der 30. Juni vollendete somit die Errichtung der unumschränkten terroristischen Diktatur des Finanzkapitals über alle übrigen Klassen und Schichten des deutschen Volkes.“

In der Zäsurwirkung des 30. Juni 1934 sind sich marxistische und nichtmarxistische Historiker einig. Doch in der Charakterisierung der Ursachen, Hintergründe und Folgen der deutschen Bartholomäusnacht liegen tiefe Differenzen. Sieht die westliche Forschung im 30. Juni eine weitere Etappe bei der Konsolidierung und Verselbständigung der nationalsozialistischen Diktatur, so lehnen die marxistischen Autoren eben diese These von der schrittweisen Verselbständigung der Führerdiktatur vom konservativen Bündnispartner entschieden ab und sehen umgekehrt nun den tatsächlichen „Klasseninhalt“ des nazistischen Regimes erfüllt und dieses für seine eigentlichen Aufgaben gerüstet, nämlich nach der Ausschaltung aller inneren Widerstände die Voraussetzung für die „imperialistische“ Außenpolitik zu schaffen.

Alle weiteren Entscheidungen und Maßnahmen des Regimes werden als Ausfluß „monopolistischer Kriegsvorbereitung“ gesehen. Allen Hinweisen, die für eine wachsende Verselbständigung der nationalsozialistischen Führungsgruppen und eine Alleinherrschaft Hitlers sprechen, wird entgegengehalten, daß dies letztlich doch nur im Interesse der Monopolisten erfolgte. Wer aber dennoch von der Führerdiktatur Hitlers spricht, dem wird mit dem überall bewährten vorwissenschaftlichen und politischen Argument begegnet, daß man damit versuche, die „wirklichen Herren Deutschlands — Monopolisten, Junker und Militaristen — vor jeder Verantwortung für die Verbrechen Hitler-Deutschlands, insbesondere für den Zweiten Weltkrieg, freizusprechen. Aber die Politik, die Hitler durchführte, war nichts anderes als die Verwirkli-chung ihres Programmes, und solange er dabei erfolgreich war, hatten sie begreiflicherweise nichts gegen ihn einzuwenden.“ Über diesen Schein von politischer Autonomie, die auf der Kongruenz von Interessen beruht, einen Schritt hinausgehend, erlaubt neuerdings die Monopolgruppentheorie, dem faschistischen Staatsapparat ein etwas größeres politisches Eigengewicht zuzugestehen, das mit Konflikten und Verschiebungen innerhalb der rivalisierenden Gruppen des Monopolkapitals erklärt und damit immer wieder auf den Primat der Ökonomie zurückgeführt wird. Auch die „Polykratie der Ressorts“, ein Begriff, den man neuerdings von Martin Broszat übernimmt, wird auf staatsmonopolistische Strukturen und Konflikte zurückgeführt, ohne daß es dafür freilich einen Beleg gibt.

Seit den sechziger Jahren hat die Monopolgruppentheorie im Verein mit detaillierten Archivstudien differenziertere Aussagen und eine flexiblere Argumentation eröffnet. Seit der Diskussion mit dem Anglo-Marxisten Tim Mason in der Berliner Zeitschrift „Argument“ über den Primat der Politik oder den Primat der Ökonomie haben sich die beiden prominenten Vertreter dieser Konzeption, Dietrich Eichholtz und Kurt Gossweiler, gegen den Vorwurf einer platten Identifizierung von ökonomischen Interessen des Monopolkapitals und nationalsozialistischer Politik damit zu wehren versucht, daß sie die Ursachen für die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur nie allein und primär in den ökonomischen Bedingungen sehen wollten, sondern „in den unmittelbaren politischen Bedürfnissen der herrschenden Klassen“ Faschistische Politik und Ideologie entsprechen nach Eichholtz nur auf vermittelte Weise den Interessen des Finanzkapitals. Damit ist freilich soviel interpretatorischer Freiraum geschaffen, daß die Form politischer Herrschaft als variabel gelten kann, nicht aber deren Inhalt, der letztlich als Funktion ökonomischer Interessen des Monopolkapitals gedacht wird.

Am Primat der Ökonomie wird somit nicht gerüttelt. Ein tatsächlicher Nachweis der monopolistischen Einflußnahme auf Hitlers Entscheidungsbildung, etwa bei der Auslösung des Krieges und vor allem in der Vorbereitung des Rußland-Feldzuges, ist allen vorgelegten Dokumentationen zum Trotz bisher nicht erbracht worden. Lediglich die Tatsache der Zusammenarbeit von Großindustriellen mit der nationalsozialistischen Führung und die unbestrittenen großen Profite, die großindustrielle Unternehmer nach der entsprechenden Expansion dabei erzielten, müssen als Beweis für deren maßgebliche und ursächliche Rolle bei der Herbeiführung der politischen Entscheidung dienen. Weil der Krieg den Gewinnen der monopolistischen Industrie zugute kam, muß er von ihr ausgegangen sein. Dies aber heißt, von den Wirkungen eindimensional auf mögliche Ursachen zurückzuschließen. Eine Argumentation, die uns immer wieder begegnet, lautet: post hoc, ergo propter hoc

Die Gretchenfrage für alle orthodoxe Faschismus-deutung bleibt die Frage, welches Gewicht der Autonomie politischen Handelns als Erklärungsfaktor für die nationalsozialistische Politik eingeräumt wird. Dies gilt für die Analyse des Herrschaftssystems wie der Ideologie und Rolle Hitlers, für die überhaupt keine angemessene Erklärung angeboten wird. Dies gilt auch für die wachsende Verselbständigung der SS gegenüber dem Staatsapparat und den übrigen nationalsozialistischen Parteiorganisationen während des Krieges. Zwar wird ein solcher Vorgang eingestanden, doch zugleich wird diese Auflockerung in der Interpretation wieder damit abgefangen, daß dahinter Forderung und Förderung des Finanzkapitals vermutet wird. Auch die nationalsozialistische Außenpolitik wird in das Konzept der staatsmonopolistischen Faschismusdeutung gezwängt. Zwar stimmen die marxistischen Historiker mit der westlichen Forschung in der Bestimmung der einzelnen Etappen der deutschen Außenpolitik und des bloß instrumenteilen Charakters der Forderung nach Revision des Versailler Vertrages überein, doch trennen sich die Wege, wenn es darum geht, die letztendliche Verantwortung für die expansionistische Außenpolitik des Regimes zu bestimmen. Es waren eine kleine Gruppe von monopolistischen Wortführern und deren materielle Interessen, auf die nun alle außen-politischen Entscheidungen zurückgeführt werden. Doch hat es die DDR-Geschichtswissenschaft bisher versäumt, solche Entscheidungsprozesse ausführlich zu analysieren; statt dessen hat sie versucht, durch die Publikation von Denkschriften und wirtschaftspolitischen Entwicklungsplänen ökonomischer Interessengruppen den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht eher zu suggerieren als tatsächlich zu beweisen. Dieses Verfahren steht in einem eklatanten Widerspruch zur eigenen Behauptung, daß es sich um ein „kompliziertes System staatsmonopolistischer Machtausübung in der faschistischen Diktatur“ handle. Doch es wird weder der Versuch unternommen, diese Mechanismen durch eine bloße Korrelation der Zielvorstellungen oder gar durch eine Ursache-Folge-Relation zu belegen. Die Frage nach dem „irrationalen und pathologischen Charakter bestimmter Endziele des Nationalsozialismus“ und vor allem auch nach der Rolle Hitlers im außenpolitischen Entscheidungsvorgang wird dagegen völlig ausgeblendet. Eine Geschichte nationalsozialistischer Eroberungs-und Vernichtungspolitik, ohne den Namen Hitlers überhaupt oder allenfalls beiläufig zu erwähnen, läßt sich nur als Akt des Ausweichens und der Verdrängung charakterisieren, ohne daß man damit der gegenteiligen, einseitig hitlerzentrischen Position das Wort redet.

Während die nationalsozialistische Außenpolitik in der DDR-Forschung bisher recht stiefmütterlich behandelt wurde, bildet die Geschichte des Zweiten Weltkriegs seit der Mitte der sechziger Jahre einen deutlichen Schwerpunkt geschichtswissenschaftlicher Anstrengung. Denn im Verlauf des Krieges konzentrierten sich nach Meinung Kurt Gossweilers alle Aspekte der Faschismusproblematik und traten dort am schärfsten hervor Dem würde auch die westliche Forschung zustimmen, nur mit einer anderen Begründung. Für die DDR-Forschung enthüllte sich im faschistisch-imperialistischen Krieg „die als Hauptstoßkraft der Weltreaktion gegen den gesellschaftlichen Fortschritt gerichtete Politik des faschistischen deutschen Imperialismus und Militarismus zur Verwirklichung seiner Eroberungs-und Weltherrschaftspläne gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes und der anderen Völker“. Ein zweiter, nicht weniger wichtiger Grund für das besondere Interesse am Zweiten Weltkrieg liegt darin, daß sich hier „der Kampf der Arbeiterklasse und der KPD an der Spitze aller antifaschistischen und demokratischen Kräfte des Volkes als Klassenkampf gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg für eine antiimperialistische und demokratische Ordnung in Deutschland sichtbar“ machen läßt.

Mit der sechsbändigen Darstellung „Deutschland im Zweiten Weltkrieg“ liegt eine auch für das Verständnis der Nachkriegsentwicklung repräsentative Darstellung vor, die nach dem Urteil von Andreas Hillgruber durch ihre Erforschung der inneren Situation Deutschlands eine echte Forschungsleistung darstellt und auch in ihren militär-und kriegs-geschichtlichen Abschnitten in weiten Teilen Anerkennung gefunden hat, weil eine allzu große Vereinfachung im Sinne der Parteilichkeit vermieden wurde. Dies gilt auch, wie Andreas Hillgruber feststellte, für einige Tabu-Bereiche, die mit Eleganz umschifft werden Erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang das in der marxistisch-leninistischen Forschung bislang hartnäckig verschwiegene geheime Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt, das zwar auch in dieser Darstellung nicht genannt wird, aber immerhin indirekt damit angekündigt wird, daß in der entsprechenden Anmerkung auf den Aktenband der bundesrepublikanischen Edition ADAP verwiesen wird, wo im Anschluß an den Text des Hitler-Stalin-Paktes selbstverständlich auch das geheime Zusatzprotokoll abgedruckt wird.

Die Grenzen der Interpretation auch in dieser großen Darstellung liegen immer dort, wo die Rolle der Monopolbourgeoisie als Urheber der nationalsozialistischen Kriegspolitik herausgestellt wird und umgekehrt Faktoren wie die rassenpolitische Komponente in dem nationalsozialistischen Vernichtungskampf sowie der Vernichtungswille Hitlers heruntergespielt und nicht als mitentscheidende oder gar entscheidende Triebkraft des Krieges und seines Verlaufes dargestellt werden.

Einen unbestrittenen Fortschritt in Richtung auf eine differenziertere Betrachtung haben auch die Arbeiten von Kurt Pätzold zum Problem des Antisemitismus und der Genesis der sogenannten Endlösung der Judenfrage erbracht, für jenen Bereich also, der in der DDR-Forschung lange Zeit überhaupt keine Beachtung gefunden hat Denn es galt als unumstößliche Wahrheit, daß der nationalsozialistische Antisemitismus als Ideologie wie als praktische Politik lediglich einen funktionalen Charakter als Teil der faschistischen Manipulationsstrategie besaß.

Pätzold nun hat sich der konkreten Entwicklung der nationalsozialistischen Judenpolitik zugewandt und den mit Kriegsbeginn einsetzenden Umschlag zur Politik des Genozids beschrieben. Ganz in Überein-stimmung mit dem strukturalistischen Ansatz in der westlichen Forschung sieht er den Übergang zur Politik der „Endlösung der Judenfrage“ als Ergebnis von verschiedenen, unkoordinierten Vertreibungsaktionen. Sieht man einmal davon ab, daß auch für Pätzold die funktionale Erklärung der nationalsozialistischen Politik als Agentin des Monopolkapitals den letzten Referenzpunkt bildet, so kommt dem Autor das Verdienst zu, den Weg zur Endlösungspolitik im Kontext des Expansionsdranges des nationalsozialistischen Regimes darzustellen und diesen Radikalisierungsprozeß vor allem für den Zeitraum von 1931 bis 1941 zu erhellen. Mit dieser Vorgehensweise, nämlich Judenpolitik und Kriegspolitik in einen engen Zusammenhang zu stellen, nähert sich Pätzold Ansätzen der westlichen Forschung.

Das andere Thema, das das Interesse auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs lenkt, ist der Klassenkampf, und zwar sowohl im nationalen wie im internationalen Kontext. Denn einmal gewinnt der Krieg mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion eine zusätzliche Qualität. Er ist nicht mehr allein bloß imperialistischer Krieg, sondern nun zentraler Punkt im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. Seine eigentliche Front bildet nun die deutsch-sowjetische. In diese internationale Situation eingebettet, erfährt auch der Klassenkampf auf nationaler Ebene eine neue Verschärfung. Der Konzentration des staatsmonopolistischen Kapitalismus zu seiner höchsten Form entspricht umgekehrt eine Ausweitung des antifaschistischen Widerstandes. Zumindest suggeriert dies die Forschung, die sich mit größter Akribie in zahlreichen lokal-und regionalgeschichtlichen Einzel-untersuchungen wie auch in Gesamtdarstellungen dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime zuwendet.

Nach wie vor konzentriert sich die DDR-Widerstandsforschung auf den antifaschistischen Widerstand der KPD, wenn auch nicht mehr in der Ausschließlichkeit und Einseitigkeit vergangener Jahre. Die Betrachtung führt nun auch über die Widerstandstätigkeit der KDP hinaus und kommt zu einer positiven Beurteilung auch des bürgerlich-konservativen Widerstandskampfes Dies erlaubt das neue Traditions-und Erbe-Konzept, dem sich die gesamte DDR-Geschichtsforschung verpflichtet fühlt

Gehört nun die Widerstandsbewegung des 20. Juli zum historischen Erbe, so kommt dem antifaschistischen Kampf der KPD nach wie vor die Rolle der zu pflegenden historischen Tradition zu. Denn der Antifaschismus der Kommunisten hat für die DDR eine doppelte und zentrale Funktion. Einmal wird seine Existenz von den Anfängen des Dritten Reiches bis zu seinem Ende als Beweis für den fortdauernden Klassenkampf bemüht, zum anderen bildet er die politische Legitimationsgrundlage der SED und damit der DDR. Doch bedeutet die Ausweitung der Widerstandsproblematik zugleich das Eingeständnis, daß das deutsche Volk keineswegs ein Volk von Antifaschisten war und auch die KPD nur eine Minderheit bildete.

III. Schlußbetrachtung

Die Faschismusforschung in der DDR ist ein extremes Beispiel für die dort vorgenommene Trennung der deutschen Geschichte in zwei sich diametral gegenüberstehende Kontinuitätslinien. Die eine negative, imperialistische Linie führt vom Kaiserreich über das Dritte Reich in die Bundesrepublik. Die andere positive, antifaschistische Traditionslinie führt von der revolutionären Arbeiterbewegung über die KPD in die DDR und macht diese zum Höhepunkt deutscher Geschichte. Nur der Widerstand erlaubt neuerdings eine Durchbrechung dieser entgegengesetzten Linien im Sinne der Traditions-und Erbe-Diskussion und damit einen Schritt zur Aneignung auch der anderen, nichtrevolutionären historischen Traditionen.

Was für das geschichtliche Selbstverständnis der DDR im Augenblick jedoch noch mehr zählt, ist die Möglichkeit, die sich die DDR-Wissenschaft und Wissenschaftspolitik mit ihrer Faschismusdeutung geschaffen hat. Diese erlaubt, eine historische Verantwortung für die nationalsozialistische Zeit weit von sich zu weisen und die Erinnerung an diese Herrschaft, die eben nicht nur von einer kleinen Clique, sondern auch von einem breiten Massen-konsens getragen war, nicht nur zu verdrängen, sondern damit zugleich ein Angebot der Integration an die vielen Mitläufer des Regimes zu machen. Denn schließlich war es nur eine kleine Gruppe des reaktionären Finanzkapitals und seiner faschistischen Agenten, die nach dieser Lesart für die faschistische Gewaltpolitik verantwortlich waren.

Ob mit dieser Selektion freilich eine Auseinandersetzung mit der ganzen deutschen Geschichte möglich sein wird und damit jener Anspruch der DDR behauptet werden kann, das positive Erbe der gesamten deutschen Geschichte so zu vertreten, daß der zweite deutsche Staat zum eigentlichen deutschen Kernstaat werden kann, bleibt sehr fraglich. Denn solange die nationalsozialistische Zeit als eine Art Fremdherrschaft einer kleinen Clique dargestellt und solange damit die dreißiger und vierziger Jahre auch aus der Vorgeschichte der eigenen Gesellschaft und ihrer Menschen ausgeblendet bleiben, solange wird die parteioffizielle Deutung der NS-Zeit quer zu den persönlichen Erfahrungen und den Geschichten der Menschen stehen, wird das Problem unausgesprochen bleiben, wie man unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur leben und arbeiten kann und muß, ohne daß man sich damit nicht auch in das System verstrickt und zu dessen Stabilität beiträgt.

Weiter und tiefer geht die Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte in der nationalsozialistischen Zeit nur in der Literatur der DDR -Dort wird die Verstrickung in das nationalsozialistische Herrschaftssystem und damit auch die Frage nicht ausgeklammert, warum so viele nicht nur nichts gegen das Regime unternommen, sondern auch „mitgemacht“ haben. So handelt Christa Wolf in ihrem Roman „Kindheitsmuster“ von 1976 von den Verhaltensweisen und Eindrükken einer Generation, die unter der Diktatur groß geworden und davon geprägt worden ist und diese Erfahrungen nicht einfach abschütteln kann. Da belädt Heiner Müller in seinem Theaterstück „Die Umsiedlerin“ den Rücken eines SED-Bürgermeisters mit einem NS-Funktionär in brauner Partei-uniform, um die Last der Geschichte zu demonstrieren, die nicht einfach durch die Veränderung einer Gesellschaftsordnung abgelegt werden kann.

Damit wird eine andere Ebene der Auseinandersetzung mit der Geschichte angesprochen, die im Kontrast zur offiziellen Geschichtsdarstellung steht. Christa Wolf zeigt sich unbefriedigt darüber, wie man sich in der DDR zur NS-Zeit verhält: „Man kann das delegieren: Wir haben die , bessere Geschichte auf unserer Seite, und die anderen haben Pech, sie haben die alten Nazis. Aber ich meine, wir können uns zwar auf die bessere Tradition berufen — was übrigens wirklich ein ungeheu-res Glück ist und sehr produktiv machen kann; aber nur dann, wenn man alles andere nicht vergißt, als wäre nichts gewesen, auch nicht im eigenen Leben.“

Auf diese Weise, so klagt sie, weiche man sonst davor aus, auch über sich selber nachzudenken.

Auch aus den Geschichtsbüchern erfahre man kaum etwas über die Zeit des Faschismus; vor allem über die Frage „Wie war es möglich und wie war es wirklich“ könne man nichts erfahren. Solcherart könne diese Zeit nicht wirklich „bewältigt“ werden, d. h. in dem Sinne, daß sich der einzelne mit seiner „ganz persönlichen Vergangenheit“ auseinander-setzt, „mit dem, was er persönlich getan und gedacht habe und was er ja nicht auf einen anderen delegieren kann“

Dem möglichen Gegensatz . von offizieller Geschichtsdeutung und persönlicher Erfahrung will sie damit begegnen, daß sie eine Arbeitsteilung vornimmt: zwischen der rationalen Vermittlung von Wissen durch Geschichtswissenschaft und Soziologie einerseits und der literarischen Beschreibung der Emotionen und Ängste der Menschen, der „persönlichen und gesellschaftlichen Moral“ sowie den „Bedingungen, die beide außer Kraft setzen“

andererseits. Darin sieht sie die wirkliche „Aufgabe von Literatur, etwas Bewegung hineinzubringen in die inneren Schichten, mit deren Unbeweglichkeit man sich gerne beruhigt“

Aber, so muß man fragen, ist die Sozialgeschichte des Alltags, des politischen Verhaltens und der kollektiven Mentalitäten nicht auch und in erster Linie Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Machen solche Fragestellungen nicht erst zusammen mit der Politik-und Gesellschaftsgeschichte das Ganze einer geschichtlichen Epoche aus und erklären auf diese Weise, wie es dazu kommen konnte und wie es wirklich war. Es wird abzuwarten sein, ob von diesen Bemühungen der Literatur um eine Alltags-geschichte unter der Diktatur auch Wirkungen auf die DDR-Geschichtswissenschaft ausgehen werden oder ob der starre Rahmen der staatsmonopolistischen Imperialismus-und Faschismustheorie der an das Prinzip der Parteilichkeit gebundenen Geschichtswissenschaft eine solche Auflockerung des NS-Bildes verwehren wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Protokoll XIII. Plenum des Exekutivkomitees der kommunistischen Internationale, Dezember 1933, Moskau/Leningrad 1934, S. 277; zit. bei W. Wippermann, Faschismustheorien. Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion, Darmstadt 19752, S. 16.

  2. D. Eichholtz/K. Gossweiler (Hrsg.), Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, Berlin (Ost) 1980, S. 14.

  3. Ebd.

  4. K. Gossweiler, Stand und Probleme der Faschismusforschung in der DDR, in: Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg“, (1976) 1, S. 4.

  5. R. Richter, Vorwort zu K. Gossweiler, Aufsätze zum Faschismus, Berlin (Ost) 1986, S. XII f.

  6. W. Ulbricht, Der faschistische deutsche Imperialismus, Berlin (Ost) 1956*, S. 99 f.

  7. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsgg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von W. Ulbricht, Bd. 5, Berlin (Ost) 1966, S. 55.

  8. W. Ulbricht (Anm. 6), S. 13 f.

  9. W. Ruge, Zur Taktik der deutschen Monopolbourgeoisie im Frühjahr und Sommer 1919, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 13 (1963), S. 1090 ff.

  10. D. Eichholtz, Probleme einer Wirtschaftsgeschichte des Faschismus in Deutschland, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1963, S. 127.

  11. Ebd.

  12. R. Richter (Anm. 5). S. XVII.

  13. Ebd.. S. XVIII.

  14. Ebd., S. XXIV; ähnlich bei D. Eichholtz/K. Gossweiler (Anm. 2), S. 17.

  15. M. Weißbecker. Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei 1919— 1945. in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945, hrsgg. von einem Redationskollektiv unter der Leitung von D. Fricke, Bd. 2, Berlin (Ost) 1970, S. 384.

  16. Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1, Berlin (Ost) 1969, S. 571.

  17. K. Pätzold/M. Weißbecker, Geschichte der NSDAP 1920-1945, Köln 1981, S. 11.

  18. Ebd., S. 21.

  19. M. Weißbecker (Anm. 15), S. 391.

  20. J. Petzold, Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus. Jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur, Berlin (Ost) 1978, S. 8.

  21. K. Pätzold/M. Weißbecker (Anm. 17), S. 22.

  22. Ebd.

  23. M. Weißbecker/H. Gottwald, Zur Rolle der Führer bürgerlicher Parteien. Biographische Aspekte in der Geschichte der politischen Parteien des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende bis 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 27 (1979), S. 307.

  24. Ebd.

  25. K. Pätzold/M. Weißbecker (Anm. 17), S. 100.

  26. Ebd.

  27. D. Eichholtz/K. Gossweiler (Anm. 2), S. 111 ff., S. 128ff., S. 269.

  28. K. Gossweiler, Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919 bis 1924, Köln 1982, S. 48 f.

  29. E. Paterna u. a., Deutschland von 1933 bis 1939 (= Lehrbuch der deutschen Geschichte, Bd. 11), Berlin (Ost) 1969, S. 119.

  30. Ebd., S. 121.

  31. D. Eichholtz, Faschismus und Ökonomie, in: ders. /K. Gossweiler (Anm. 2), S. 50.

  32. Ubers.: Danach, also deswegen. So A. Dorpalen, German History in Marxist Perspective, London 1985, S. 440.

  33. Weltherrschaft im Visier. Dokumente zu den Europa-und Weltherrschaftsplänen des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende bis Mai 1945, hrsgg. und eingeleitet von W. Schumann und L. Nestler, Berlin (Ost) 1975, S. 26; ähnlich M. Weißbecker, Zur Rolle und Funktion der NSDAP im staatsmonopolistischen Herrschaftssystem des deutschen faschistischen Imperialismus, in: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte, 37/38 (1976), S. 19.

  34. M. Broszat, Zur Erforschung des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, in: ders., Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, hrsgg. von H. Graml und K. D. Henke, München 1986, S. 41.

  35. K. Gossweiler (Anm. 4), S. 8.

  36. Konzeption für die Ausarbeitung einer vierbändigen „Geschichte Deutschlands im Zweiten Weltkrieg“, in: Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg“, (1968) 1/2, S. 5.

  37. A. Hillgruber, „Deutschland im Zweiten Weltkrieg“. Anmerkungen zu einem Standardwerk der DDR-Geschichtsschreibung, in: Historische Zeitschrift, (1976) 223, S. 367.

  38. K. Pätzold, Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung. Eine Studie zur politischen Strategie und Taktik des deutschen faschistischen Imperialismus 1933 — 1935, Berlin (Ost) 1975; ders., Von der Vertreibung zum Genozid. Von den Ursachen, Triebkräften und Bedingungen der antijüdischen Politik des faschistischen deutschen Imperialismus, in: D. Eichholtz/K. Gossweiler (Anm. 2), S. 181— 205; vgl. dazu K. Kwiet, Historians of the German Democratic Republic on Antisemitism and Persecution, in: Leo Baeck Institute Yearbook, 21 (1976), S. 173— 198, bes. S. 196 ff.

  39. Vgl. neuerdings zusammenfassend K. Finker, Widerstand und Geschichte des Widerstandes in der Forschung der DDR. in: Deutschland-Archiv, 19 (1986), S. 710 — 721; ferner K. Finker/A. Busse, Stauffenberg und der 20. Juli 1944, Berlin (Ost) 1984.

  40. W. Schmidt, Zur Entwicklung des Erbe-und Traditionsverständnisses in der Geschichtsschreibung der DDR, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 33 (1985). S. 195 bis 212.

  41. Ich verdanke diesen Hinweis, dem es noch weiter nachzugehen sich lohnte, Rüdiger Thomas.

  42. Diskussion mit Christa Wolf in der Akademie der Künste der DDR, in: Sinn und Form, 28 (1976), S. 873.

  43. Ebd., S. 865.

  44. Ebd.

Weitere Inhalte

Hans-Ulrich Thamer, Dr. phil., geb. 1943; Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Münster; Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Klassischen Philologie in Marburg und Berlin. Veröffentlichungen: Revolution und Reaktion in der französischen Sozialkritik des 18. Jahrhunderts. Linguet, Mably, Babeuf, 1973; (zus. mit W. Wippermann) Faschistische und neofaschistische Bewegungen. Probleme empirischer Faschismusforschung, 1977; Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, 1986.