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Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim amerikanischen Kongreß Das Office of Technology Assessment | APuZ 19-20/1987 | bpb.de

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APuZ 19-20/1987 Technikfolgen und Verantwortung der Politik Technikfolgen und Parlamentsreform. Plädoyer für mehr parlamentarische Kompetenz bei der Technikgestaltung Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim amerikanischen Kongreß Das Office of Technology Assessment

Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim amerikanischen Kongreß Das Office of Technology Assessment

Franz Büllingen

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die in den USA entwickelte Technikfolgen-Abschätzung (Technology Assessment) steht für ein ambitiöses Konzept, mit dessen Hilfe die Voraussetzungen und Folgen technischer Entwicklungen analysiert und bewertet werden sollen. Ziel ist, politische Entscheidungsträger rechtzeitig durch eine Art „Frühwarnsystem“ mit handlungsrelevantem Wissen auszustatten, um mögliche negative Folgeerscheinungen technischer Innovationen zu antizipieren und zu vermeiden. Dieser Ansatz ist in Theorie und Praxis bisher am weitesten in den USA beim Congressional Office of Technology Assessment (OTA) gediehen. Seit seiner Gründung gilt OTA weltweit als Vorbild einer technikbezogenen politischen Beratungseinrichtung. Auch der Vorschlag der Enquete-Kommission „Technikfolgen-Abschätzung“, eine entsprechende Beratungskapazität beim Deutschen Bundestag einzurichten, nimmt deutlich auf das amerikanische Vorbild Bezug. Von daher stellt sich die Frage, was sich hinter dem „Mythos“ OTA verbirgt? Welchen Beitrag zu einer „besseren“ Technologiepolitik leistet OTA in der Praxis? Wie ist OTA in die politischen Beratungsstrukturen eingebunden und in welcher Weise beeinflussen seine TA-Studien die öffentliche Diskussion? In Beantwortung dieser Fragen werden die Geschichte, der Aufbau, die Aufgaben und die Arbeitsweise des OTA analysiert. Vor diesem Hintergrund wird das Verhältnis von wissenschaftlicher Analyse und politischem Entscheidungsprozeß kritisch beleuchtet. Im Rahmen der amerikanischen Erfahrungen mit der Technikfolgen-Abschätzung, ihrer Grenzen und Möglichkeiten im politischen Kontext, werden der Versuch einer Wertung vorgenommen und Schlußfolgerungen für die Etablierung und Arbeitsweise einer entsprechenden Einrichtung beim Deutschen Bundestag gezogen.

I. Vorbemerkung

Aufbau des Office of Technology Assessment

(Quelle: OTA)

Das in den USA entwickelte Konzept des Technology Assessment, der Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung (TA) steht für ein ambitiöses „strategisches Rahmenkonzept“ mit dessen Hilfe die Voraussetzungen und die Folgen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung systematisch erforscht und möglichst umfassend bilanziert und bewertet werden sollen. Es geht um die vorausschauende und frühzeitige Identifikation gesellschaftlicher Problem-und Konfliktfelder, die durch die Anwendung von Techniken entstehen können. Mit dem Ziel einer „Frühaufklärung“ soll das durch TA-Untersuchungen erarbeitete Wissen dazu dienen, insbesondere politische Handlungs-und Entscheidungsprozesse vorzubereiten, um die Problemlösungs- und Gestaltungskompetenzen politischer Institutionen zu erhöhen und ihre Integrations-, Kontroll-und Steuerungsleistungen zu verbessern.

Auf diese Weise sollen nicht nur negative bzw. unerwünschte Folgewirkungen technischer Innovationen verhindert oder zumindest abgemildert, sondern auch — durch die Darstellung verschiedener Handlungsoptionen und die Offenlegung der darin enthaltenen Werteimplikationen — alternative Problemlösungsstrategien und ihre jeweiligen Konsequenzen aufgezeigt werden. Abweichend von Konzepten der Optimierung nur reaktiver Folgen-bewältigung und des traditionellen Krisenmanagements („after fact approach“) besteht demnach die Leitidee der TA in der Folgenantizipation und Folgenvermeidung („before fact approach“)

Die Bemühungen um einen derart umfassenden Ansatz mit dem Ziel einer möglichst weitreichenden wissenschaftlichen Fundierung politischer Beratungs-und Entscheidungsprozesse sind in Theorie, Methodik und Praxis am stärksten in den USA entwickelt worden. Obwohl man sich inzwischen in einer Vielzahl von Industriestaaten wie Großbritannien (Royal Commissions), Japan (TAReferat beim Ministry of International Trade and Industry) oder Frankreich (Office parlamentaire d'evaluation des choix scientifiques et technologiques) intensiver mit der TA befaßt, sind die USA bisher das einzige Land, in dem die Anstrengungen um die Etablierung einer spezifischen TA-Einrichtung der Legislative erfolgreich waren. Insofern gilt das Office of Technology Assessment (OTA) beim amerikanischen Kongreß seit seiner Gründung im Jahre 1972 insbesondere bei ausländischen Parlamentariern, Regierungsvertretern und Wissenschaftlern als Vorbild einer technikbezogenen parlamentarischen Beratungsinstitution.

Auch in der nun mittlerweile vierzehn Jahre andauernden Debatte in der Bundesrepublik um die Etablierung einer entsprechenden Einrichtung beim Deutschen Bundestag stößt man immer wieder auf die Arbeit und die Organisation des OTA. Die erste Initiative zur Einrichtung einer Beratungskapazität für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag erfolgte 1973 durch die CDU/CSU-Fraktion in enger Orientierung an der im Jahre zuvor beim US-amerikanischen Kongreß per Gesetz beschlossenen Schaffung des OTA DerInstitutionalisierungsvorschlag, den die Enquete-Kommission „Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung“ im Juli 1986 dem Parlament vorgelegt hat, nimmt explizit Bezug auf die Arbeit des OTA und hat sich von seiner Organisationsstruktur her deutlich von der amerikanischen Einrichtung inspirieren lassen Es ergibt sich daraus die Frage, was sich hinter dem „Mythos“ OTA verbirgt. Was leistet OTA wirklich, wo sind seine Grenzen und Möglichkeiten und wie ist seine Arbeitsweise in die parlamentarischen Beratungsstrukturen eingebunden? Ungeachtet der erheblichen institutioneilen Unterschiede zwischen dem Präsidialsystem der USA und dem parlamentarischen System der Bundesrepublik soll im folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Lernprozesse des OTA für die TA-Diskussion hierzulande von Bedeutung sind und welche Schlußfolgerungen gezogen werden können.

II. Ursachen und Bedingungen der Entstehung des Technology Assessment

Seit Mitte der sechziger Jahre wurde in den USA die öffentliche Diskussion über Technik in zunehmenden Maße geprägt von einer generell gestiegenen Sensibilität gegenüber den unerwünschten Folgen und Nebenwirkungen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung für Umwelt und Gesellschaft. Es entstand ein neues Bewußtsein für die ökologischen und sozialen Folgeerscheinungen von Technologien und einzelnen Technikprojekten, die weder erwartet noch geplant worden waren Die Formierung von Bürgerinitiativen und Umweltbewegungen als Ergebnis dieses Prozesses markierten ein neu entstandenes politisches Konfliktfeld, in dem die Frage nach dem Modus des gesellschaftlichen Umgangs mit modernen Technologien — insbesondere aber nach der Verhinderung ihrer negativen Begleiterscheinungen — neu gestellt wurde.

Allen an diesem Konflikt Beteiligten aus Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit wurde rasch deutlich, daß ein wesentlich umfangreicheres und vollständigeres Folgen-und Orientierungswissen benötigt wurde, um zukünftige Trends und Entwicklungsperspektiven besser abschätzen und bewerten zu können. Vor dem Hintergrund eines allgemein gestiegenen Folgenbewußtseins kam es in den USA 1969 zur Verabschiedung des National Environmental Policy Act (NEPA), der die Bundesbehörden verpflichtete, die negativen Konsequenzen ihrer Handlungen für die Umwelt bei der Vergabe von Mitteln, bei Genehmigungen oder Planungsverfahren durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Diese Gutachten können bereits als partielle TA-Studien betrachtet werden

Auch auf Seiten der Wirtschaftsunternehmen führte u. a. eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen, z. B. hinsichtlich schärfer gefaßter Haftungsrechtsbestimmungen und der Erhebung von Umweltabgaben sowie eine sich wandelnde Rechtsprechung im Rahmen der Konsumentenschutzbewegung zum Überdenken traditioneller Planungskalküle. Die Unternehmen waren gehalten, bisher externe Kosten wie den Gebrauch von Boden, Wasser und Luft stärker in ihren Bilanzen zu berücksichtigen. Zum anderen stieg mit verschärften nationalen wie internationalen Wettbewerbsbedingungen auch das Interesse an neuen Instrumenten einer erweiterten betrieblichen Informationsbeschaffung und Prognosetätigkeit, die über Kosten-Nutzen-Analysen sowie Machbarkeits-, Risiko-und Markt-Evaluationsstudien weit hinausgingen

Das aufkommende Interesse für TA war jedoch noch in andere Entwicklungen und Bestrebungen eingebunden, die die Kontrolle der Technikfolgen und die Gestaltung der technischen Entwicklung zum Ziel hatten Bereits 1962 vergab die National Aeronautics And Space Agency (NASA) einen Forschungsauftrag an die American Academy of Arts and Sciences mit der Vorgabe, die „second Order consequences" der geplanten Weltraumprojekte zu untersuchen Nur wenige Jahre später erhielt die National Science Foundation (NSF) vom Kongreßausschuß für Wissenschaft und Weltraumfahrt den Auftrag, die theoretischen und methodologischen Grundlagen der systematischen Abschätzung und Bewertung von Technologien zu entwikkeln. So wurde 1967 das Programm „Interdisziplinary Research Related to Problems of our Society“ ins Leben gerufen, das gleichsam als Initialzündung der amerikanischen TA-Forschung wirkte und die wesentlichen Fragen und Kernprobleme herausarbeitete, die heute noch für die wissenschaftliche Erörterung der TA bestimmend sind.

Die wichtigsten Impulse für die eigentliche Konzipierung von TA als entscheidungsbezogenem Instrument, vor allem aber für die Schaffung der institutioneilen Voraussetzungen kamen aus dem amerikanischen Kongreß. Die Ausgaben für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung und technologiepolitische Programme waren von drei Milliarden Dollar im Jahre 1954 auf über elf Milliarden Dollar für das Haushaltsjahr 1972 angestiegen Trotz dieser umfangreichen Aufstockung der Forschungs-und Entwicklungs-(FuE) -Mittel „wurde der Kongreß aufgefordert, weiteres Geld für die Entwicklung von Technologien zu bewilligen, ohne daß er in der Lage gewesen wäre, deutlich das Ergebnis — positiv oder negativ — solcher weiteren Investitionen vorhersehen zu können“

Angesichts der Tatsache, daß der Staat immer massiver und weitreichender in das technologiepolitische Geschehen eingriff und insbesondere mit risikoträchtigen Großtechnologien neue Akzente setzte, verstärkte sich im Kongreß das Unbehagen, die technische Entwicklung weiterhin nur mit einer Politik des „muddling through“, des Sich-Durchwurstelns, kontrollieren zu wollen

Neben den haushaltspolitischen Gesichtspunkten spielten die Bestrebungen, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive zu ergreifen, eine wichtige Rolle. Im Verlaufe der sechziger Jahre war immer deutlicher geworden, daß der Kongreß bei wichtigen technikbezogenen Regierungsvorlagen überfordert war, die komplizierten Zusammenhänge hinsichtlich ihrer Wirkungen und Konsequenzen angemessen zu beurteilen. Die Debatten über das zivile Überschallflugzeug SST (Super Sonic Transport) sowie über den ABM (Anti-BalliStic Missile) -Vertrag wurden gewissermaßen zu einem Schlüsselereignis, das nachhaltig unterstrich, wie sehr der Kongreß und die Öffentlichkeit auf die Informationen der Regierung angewiesen waren. Der mit immensen Ressourcen ausgestattete Exekutivebereich konnte Programme in einer Komplexität entwickeln, wie sie der Kongreß kapazitätsmäßig zu evaluieren nicht in der Lage war.

Im Kontext dieser Beratungsprozesse war noch ein weiterer Gesichtspunkt offensichtlich geworden:

Die Parlamentarier waren nicht mehr in der Lage, die unübersehbare Flut von Eingaben, Expertisen und Studien zu überblicken, die vielfach durchaus widersprüchliche Informationen und Empfehlungen enthielten, ohne daß die zugrundeliegenden wirtschaftlichen und politischen Motive und Interessen immer eindeutig zu identifizieren waren.

Häufig stimmten sie sogar in ihren Sach-und Faktenaussagen nicht überein. Erstmalig waren hier wissenschaftlich-technische Begründungen und politische Zielsetzungen — also Expertenstreit und gesellschaftlicher Interessen-und Wertekonflikt — scheinbar unauflöslich miteinander verkoppelt

Es zeigte sich, daß auch externe Expertengruppen nur wenig Gewähr dafür boten, verläßliche, vollständige und vor allem entscheidungsbezogene Informationen zu erhalten.

Hatte der Kongreß bisher bei technikbezogenen Problemstellungen eine eher passive Haltung eingenommen, so erwies es sich angesichts der enorm gewachsenen Verantwortung für die Folgen seines gesetzgeberischen Handelns als immer notwendiger, ein eigenständiges und vertieftes Verständnis der Entwicklungsdynamik von Technik und Gesellschaft zu entwickeln. „Wichtigen politischen Akteuren im Kongreß wurde deshalb zunehmend bewußt, daß das Problem einseitiger und selektiver Darstellung von Informationen nur dann vermindert oder sogar gänzlich behoben werden könnte, wenn der Kongreß sich selbst in die Lage versetzte, sorgfältige und unabhängige Analysen zu den Auswirkungen des technischen Fortschritts wie zur möglichen Verminderung unerwünschter Technik-folgen durchzuführen.“ Kurzum, es wurde eine Institution benötigt, die das Wissen und das Bewußtsein des Kongresses hinsichtlich der technologischen Entwicklung, deren zukünftiger Konsequenzen und der zur Beeinflussung und Kontrolle dieser Konsequenzen in Betracht kommenden Handlungsmöglichkeiten in loyaler Weise vermehrte und förderte.

III. Die Gründung des Office of Technology Assessment

Vor diesem Hintergrund wurden 1967 — etwa zu der Zeit, als der Begriff „Technology Assessment“ geprägt wurde — erste gesetzgeberische Überlegungen zu einer beim Kongreß angesiedelten Beratungskapazität angestellt. Treibende Kraft dieser Initiative war der demokratische Abgeordnete Emilio Q. Daddario, der zu diesem Zeitpunkt eine erste Gesetzesvorlage zur Errichtung einer ständigen TA-Institution einbrachte, welche zunächst jedoch keine Gesetzeskraft erlangte. Es folgten Jahre intensiver Diskussionen mit Anhörungen und Seminaren, bei denen im wesentlichen zwei zentrale Befürchtungen geäußert wurden: Zum einen wurde die Behauptung erhoben, daß TA die wissenschaftliche und technische Entwicklung verlangsamen oder bremsen werde Arrestment bzw. Technology ein Mißverständnis, Harassment)', das nur in langwierigen Argumentationsprozessen allmählich ausgeräumt werden konnte. Zum anderen sahen Gegner des Institutionalisierungsvorschlags die Gefahr, daß dieses Amt kein unabhängiges Unterstützungsgremium aller Ausschüsse sein werde, sondern ein Machtinstrument in den Händen eines Ausschusses bzw. parlamentarischer Gruppen oder einzelner Kongreßmitglieder. Auch diesen Einwänden mußte in langen Aushandlungsprozessen durch den organisatorischen Aufbau und der Definition der Aufgaben des OTA Rechnung getragen werden. So sollte den Gefahren möglicher Machtanhäufung dadurch entgegengewirkt werden, daß das Lenkungsgremium des OTA unabhängig von den jeweiligen Machtverhältnissen im Kongreß immer paritätisch besetzt würde. Der wissenschaftliche Stab sollte keine in-house-Forschung betreiben, sondern seine Tätigkeiten auf „neutrale“ Managementfunktionen hinsichtlich der Informations-und Wissensaquirierung beschränken.

Im Oktober 1972 schließlich trat der „Technology Assessment Act“ in Kraft Die mit der Gründung des OTA verbundenen Zielsetzungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

— Verringerung der Abhängigkeit des Kongresses von externen Gutachtern und den Vorgaben der Exekutive; — Schaffung eines neuen Zentrums für kompetente Informationsgewinnung und Expertise auf den wissenschaftlich-technischen Gebieten;

— Bündelung kaum überschaubarer Datenmengen für politische Entscheidungsprozesse, ihre adäquate Selektion und/oder Fokussierung für bestimmte Problemlagen;

— Identifikation und Analyse gravierender Folgeerscheinungen technologischer Entwicklungen vor ihrer Anwendung und deren Antizipation durch ein „Frühwarnsystem“; — Aufarbeitung von politischen Optionen und ihren Implikationen und Konsequenzen: Positive und negative, direkte wie indirekte, kurzfristige und zeitverzögerte soziale, ökonomische, ökologische und politische Folgewirkungen sollten analysiert, dargestellt und bewertet werden. (Der Kongreß wollte jedoch nicht politische Entscheidungen durch wissenschaftliche Analysen und deren Empfehlungen ersetzt wissen. Deshalb war OTA aufgefordert, eine begründete Auswahl politischer Handlungsoptionen und Alternativen der Gesetzgebung darzulegen, nicht aber, bestimmte Vorgehensweisen seitens der Legislative zu empfehlen.); — Interdisziplinarität der Arbeitsweise sowie die möglichst breite Einbeziehung von externem Sachverstand und „Betroffenen-Wissen“ in die Analyse-und Untersuchungsprozesse; — öffentliche Bereitstellung von Informationen über die denkbaren Konsequenzen bestimmter Entscheidungen der Regierung oder des Kongresses;

— Rückgewinnung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Legitimität der Entscheidungen der politischen Institutionen

Auch wenn dieser Aufgabenkatalog lange Zeit heftig umstritten blieb, so ist er doch hinsichtlich der späteren Arbeitsprogrammatik des OTA maßgeblich geblieben.

IV. Die Aufbau-, Effektivierungs-und Konsolidierungsphase

Ein kurzer Abriß der Geschichte des OTA läßt drei Phasen erkennen, die ungefähr auch mit den Amtsperioden der drei bisherigen Direktoren des OTA zusammenfallen.

In der ersten Phase von 1973 bis 1977 stand OTA unter der Leitung von Emilio Q. Daddario. Dieser Zeitabschnitt wird allgemein als nicht besonders erfolgreich für OTA gewertet Den ersten Assessments, die OTA vorlegte, wurde eine zweifelhafte Qualität bescheinigt; insbesondere wurde der Vorwurf erhoben, diese hätten nur wenig mit der ursprünglichen Konzeption eines „Frühwarnsystems“ zu tun. Die zu jener Zeit im Kongreß am meisten diskutierten Themen der Weltraumfahrt und verschiedener Militärtechniken wurden von OTA nicht aufgegriffen. Nach Barry M. Caspar besteht für diesen Bereich die OTA-Chronik fast ausschließlich aus Unterlassungen

Obwohl Daddarios Führungsstil als umsichtig und behutsam galt — indem er z. B. im Vorfeld der Vergabe von Studien intensiven Kontakt mit den Ausschüssen suchte und wichtige „sensitive“ Bereiche ausklammerte —, konnte er den Konflikt zwischen Wissenschaft und Politik nicht verhindern. Dies galt vor allem für die Besetzung des Stabes mit Mitarbeitern, die oft weniger nach Qualifikationskriterien als nach denen der politischen Loyalität zu bestimmten Personen des Lenkungsgremiums ausgewählt wurden. Diese Politisierung war für den Ruf des OTA als einem neutralen „think-tank“ äußerst abträglich. Sie untergrub darüber hinaus auch die Autorität des Direktors, da dessen Einfluß auf den Stab abnahm. Trotz dieser Vorgänge gelang es Daddario, im Verlaufe seiner Amtszeit den Qualitätsstandard der TA-Studien zu erhöhen. Nachdem sich die ersten, vollständig an externe Forschungsinstitutionen vergebenen Untersuchungen aufgrund ihrer geringen Entscheidungsbezogenheit und anderer gravierender Mängel als Fehlschlag erwiesen hatten, veranlaßte er, daß ein immer größerer Teil der Studien im Hause angefertigt wurde. Schließlich wurden 1976 nur noch 42 % aller Analysen an externe Auftragnehmer vergeben Weiterhin wurde auf Daddarios Weisung zu jeder Untersuchung eine Beratergruppe („advisory panel") zusammengestellt, die sich aus Ausschußmitgliedern, externen Sachverständigen und Vertretern der von Technikfolgen betroffenen sozialen Gruppen zusammensetzte. Durch dieses Verfahren bekam jede Untersuchung eine öffentliche Dimension und eröffnete die Chance, im Kongreß auf größeres Interesse zu stoßen. Als Daddario schließlich sein Amt niederlegte, genoß OTA in der Öffentlichkeit nur geringe Reputation; die Idee von der Frühwarnfunktion erwies sich angesichts der Ergebnisse als uneingelöster Anspruch

Die zweite Phase unter der Amtszeit von Russel Peterson wird als Wendepunkt in der Geschichte des OTA betrachtet. Peterson vereinigte in seiner Person eine Reihe von Fähigkeiten, die als notwendige Voraussetzungen einer erfolgreichen Leitung des Amtes angesehen wurden: Er genoß in der Scientific Community hohes Ansehen, verfügte als Industriemanager über gute Kontakte zur Wirtschaft, hatte bereits politische Ämter innegehabt und war darüber hinaus bekannt für sein Engagement in Umweltfragen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit begann Peterson jene Strukturen, die sich auf die Arbeit des Amtes hemmend auswirkten und als ineffizient herausstellten, zu ändern. Er sprach sich gegen die kurzatmigen Arbeitsformen des OTA aus, die sich bis dahin in starkem Maße an den rasch wechselnden Erfordernissen des politischen Alltags des Kongresses orientiert hatten. Ferner begann er durch eine gezielte Personalpolitik den Stab des OTA zu depolitisieren, indem Mitarbeiter, denen zu enge Kontakte zur Politik nachgesagt wurden, das Amt verlassen mußten. Insbesondere machte er von seinem Recht Gebrauch, in Absprache mit dem Lenkungsgremium TA-Studien zu initiieren. Systematisch ließ er alle Problemfelder und Technologien, die zukünftig politische Bedeutung erlangen könnten, in einer Themenübersicht zusammenfassen. Aus über 5 000 möglichen Untersuchungsgegenständen wurden nach einem intensiven Diskussionsprozeß mit den Ausschüssen zuletzt 30 Themenbereiche ausgewählt (vgl. Kap. VI.). Diese „priority list“ bildete sechs Jahre lang die Leitlinie bei der Auswahl der Untersuchungsthemen. Neun Monate nach der Übernahme der Amtsgeschäfte legte Peterson seine Arbeit nieder. Seine Leitung hatte zu großen Spannungen und Konflikten innerhalb des Stabes und dem Lenkungsgremium geführt. Obwohl seine Arbeit in den Ausschüssen auf große Zustimmung stieß und es ihm gelang, die Qualität der Untersuchungen und des Stabes zu verbessern, resignierte Peterson schließlich vor dem „Primat der Rationalität der Politik“ Mach Peterson folgte eine dritte Phase, in der es lohn Gibbons (ab 1978 bis heute) gelang, die Arbeit les Amtes zu konsolidieren. Gibbons legte großen Wert auf einen kontinuierlichen intensiven Komnunikations-und Interaktionsprozeß mit den Mitgliedern der Ausschüsse. Diese Vorgehensweise orderte von allen Beteiligten — Wissenschaftlern and Politikern — eine große Bereitschaft, sich auf eue Formen des Diskurses und der wissenschaftlichen Beratung politischer Entscheidungsträger einzulassen. Da die Politiker in jeder Phase — von der Themenauswahl bis hin zur Durchführung der Anaysen — die jeweiligen Arbeitsschritte begleiten konnten, wurde der Primat der Politik gesichert. Zum anderen wurde durch dieses Verfahren die oreite Rezeption der Ergebnisse durch die Ausschüsse erhöht. „Reklamationen“ der Ausschüsse wurden aus diesen Gründen immer seltener. Nach Gibbons Auffassung war eine Untersuchung nur dann erfolgreich, wenn beide im Kongreß vertretenen Parteien in den einschlägigen Debatten gleichzeitig von den Resultaten Gebrauch machen konnten. Außerdem erschien es ihm zur Sicherung des qualitativen Niveaus unerläßlich, die Ergebnisse von Untersuchungen in Workshops oder Hearings ausführlichen Diskussionen zu unterwerfen, sie durch eine Vielzahl von Sachverständigen kommentieren zu lassen und interessierten gesellschaftlichen Gruppen die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bevor sie Kongreß und Öffentlichkeit präsentiert wurden. Dieses Vorgehen gilt heute im OTA als „Standard procedure“, wenn es um die Durchführung umfassender Analysen geht.

V. Aufbau und Struktur des Office of Technology Assessment

Hinsichtlich der Organisationsstruktur setzt sich das OTA aus vier größeren Elementen zusamTien

— dem Congressional TA-Board (TAB), dem politischen Steuerungsgremium des Amtes;

— dem TA-Advisory Council (TAAC), einem Konsultativrat;

— dem OTA-Mitarbeiterstab und — den „advisory panels", den begleitenden Projektbeiräten. Der Congressional TA-Board Ihm gehören jeweils sechs Mitglieder des Senates und des Repräsentantenhauses sowie der Direktor des OTA als nicht stimmberechtigtes Mitglied an. Der Board nimmt für den Kongreß die Kontrollfunktionen wahr. Die zwölf Mitglieder des Kongresses kommen gemäß dem Grundsatz der Parität zu gleichen Teilen aus der Mehrheits-bzw. Minderheitspartei. Diese Lösung wurde gewählt, um zu verhindern, daß OTA zum Instrument einer bestimmten Partei oder Interessengruppe gemacht wird. Der Vorsitz des Boards wechselt alle zwei Jahre zwischen Repräsentantenhaus und dem Senat. Dem Board obliegt es, den Direktor des OTA zu wählen, die Zuweisung von Mitteln aus dem OTA-Etat für bestimmte Assessments zu bewilligen und über die Freigabe bzw. die Veröffentlichung abgeschlossener Studien zu entscheiden. Er kann ferner die Auswahl der zur Untersuchung anstehenden Themen entscheidend beeinflussen — oft in der Rolle eines Schiedsrichters, wenn Kongreßausschüsse miteinander konkurrierende Forderungen nach OTA-Dienstleistungen erheben. Theoretisch könnte der Board auch Druck auf wesentliche Schlußfolgerungen von OTA-Studien ausüben, was in der Praxis jedoch im allgemeinen bisher vermieden wurde. Ein Großteil der Kontakte zwischen Board und OTA wird über ein „Congressional and Public Affairs“ -Büro abgewikkelt. Diese Stelle ist die vermittelnde Instanz zwischen Board und dem OTA-Mitarbeiterstab.

Der Advisory Council Die Mitglieder des TA-Advisory Council (TAAC) werden vom Board ernannt. Er besteht aus zwölf Mitgliedern: zehn Fachleuten der Öffentlichkeit aus Gesellschafts-, Natur-und Ingenieurwissenschaften, dem Präsidenten des Rechnungshofes der USA (General Accounting Office) und dem Direktor des Wissenschaftsdienstes der Kongreßbibliothek (Congressional Research Service). Die Aufgabe des TAAC ist es, den Board bei der Identifikation von Untersuchungsgegenständen, der Durchführung von Studien und der Auswahl von beratenden Institutionen und Sachverständigen zu beraten. Er soll die Verbindungen zur Industrie, zur Wissenschaft und zur Öffentlichkeit gewährleisten und halbjährlich die Arbeit des Amtes begutachten. Die Führung des OTA liegt in den Händen des Direktors, der für einen Zeitraum von sechs Jahren gewählt wird. An diese Position werden hohe Anforderungen gestellt: Der Leiter muß gleichzeitig Wissenschaftler, Verwaltungsfachmann und Politiker sein, um, mit hoher Reputation ausgestattet, mit verschiedenen Bereichen gute Arbeitsbeziehungen unterhalten zu können. Die unterschiedlichen Entwicklungsphasen des OTA haben ver31 deutlicht, wie sehr das Ansehen des Amtes abhängig ist von der Persönlichkeit und den Fähigkeiten des Leiters.

Aufgrund der Akzentverlagerung von der externen Studienvergabe hin zu in-house-Forschungsaktivitäten wurde der Mitarbeiterstab im Verlaufe der Jahre beständig ausgeweitet. Das Personal umfaßt derzeit 140 Mitarbeiter, davon etwa 90 Wissenschaftler. Zusätzlich werden bei umfangreichen Studien noch Verwaltungspersonal, Hilfskräfte und externe Auftragnehmer durch Zeitverträge beschäftigt. OTA verfügte somit Ende 1985 über einen Stab von etwa 240 Mitarbeitern.

In den ersten Jahren seiner Arbeit ging der Trend dahin, die Stellen fast ausschließlich mit Naturwissenschaftlern und Ingenieuren zu besetzen. Es wurde jedoch bald der Tatsache Rechnung getra-gen, daß Technikfolgen-Abschätzungen und -Bewertungen wesentlich sozialwissenschaftliche Aktivitäten darstellen. Gegenwärtig beträgt daher der Anteil der Gesellschaftswissenschaftler im Stab etwa 50%. Aufgrund der ständig wechselnden Untersuchungsgegenstände muß das mit den wissenschaftlichen Arbeiten betraute Personal — abgesehen von einem festen Stab an Generalisten mit Managementfunktionen — äußerst flexibel sein. Trotz der hohen Anforderungen wird die jährliche Fluktuationsrate auf nur etwa 10% geschätzt

Für den Haushalt des Amtes wurden für 1987 ca. 16, 6 Millionen US-Dollar bereitgestellt, wovon 60 % für Personalmittel und 40 % für die externe Studienvergabe aufgewendet werden Hinsichtlich der arbeitsorganisatorischen Gliederung werden fast alle Themenbereiche aus Forschung und Technik abgedeckt (s. Schaubild). Es gibt drei Hauptabteilungen, die wiederum in drei verschiedene Programmbereiche unterteilt sind: Energie, Internationale Sicherheit und Handel, Werkstoffe, Angewandte Biologie, Nahrung und erneuerbare Ressourcen, Gesundheit, Informations-und Kommunikationstechnologien, Meeres-und Umweltforschung sowie Raumfahrt, Verkehr und Innovation. Untersuchungsaufträge, die von OTA übernommen worden sind, werden von einer oder mehreren dieser Programm-Gruppen durchgeführt. Daneben befaßt sich eine Arbeitsgruppe unter der Bezeichnung „Task Force on Methodology and Management“ in erster Linie mit theoretischen Fragestellungen von Projekten, mit langfristigen Entwicklungstrends und allgemeinen methodologischen Problemen, die nicht ohne weiteres den einzelnen Programmbereichen zugeordnet werden können.

Für jede größere Studie werden Projekt-Beratungsbeiräte gebildet, die aus etwa 15 Mitgliedern bestehen. Sie setzen sich zum einen aus Sachverständigen und zum anderen aus den Vertretern bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zusammen, die von Untersuchung einschlägig der Thematik der berührt sind. Die Einbeziehung sozialer Gruppen in den Untersuchungsprozeß wird nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung partizipativer Elemente — und damit der Sicherung einer möglichst breiten Zustimmung zu den späteren Resultaten — angestrebt, sondern um insbesondere auch dassituationsspezifische Wissen von „Betroffenen“ zu berücksichtigen. Die Aufgabe der Beiräte besteht darin, die Arbeit des Mitarbeiterstabes und der externen Auftragnehmer zu überprüfen und dazu Stellung zu nehmen. Sie tragen daher wesentlich die Verantwortung für die wissenschaftliche Solidität und die Ausgewogenheit einer Studie.

VI. Die Arbeitsweise des OTA

Als OTA seine Arbeit aufnahm, stand es vor der Schwierigkeit, daß es kein Vorbild gab, auf das zurückgegriffen werden konnte. Es existierten nur sehr vage Vorstellungen davon, wie die künftige Arbeit aussehen und was unter TA beim Kongreß verstanden werden sollte. Es stand keineswegs fest, welche Vorgehensweisen angemessen sein würden. Zudem begab sich OTA — zumindest partiell — in Konkurrenz zu anderen Dienstleistungseinrichtungen des Kongresses. Für OTA gab es daher keine Alternative zum „leaming by doing“. Wenn es auch nach mittlerweile 15jähriger Tätigkeit noch immer keine verbindliche Definition gibt, was unter TA zu verstehen ist so hat sich doch inzwischen eine funktionstüchtige Arbeitsprogrammatik herausgebildet.

Jeder Assessment-Prozeß läßt sich grob in drei Hauptphasen unterteilen:

— die Auswahl eines Untersuchungsgegenstandes,

— die wissenschaftliche Analyse und die Erstellung einer Studie, — die Umsetzung und Vermittlung der Ergebnisse. Die Auswahl eines Themenbereichs resultiert in der Regel aus einem Dialog zwischen dem OTA-Mitarbeiterstab und den Mitgliedern interessierter Kongreß-Ausschüsse. In der Mehrzahl der Fälle geht der erste Anstoß oder die Idee zu einer Studie vom OTA aus, während die Ausschußmitglieder meist nur mit Zustimmung, Ablehnung oder Änderungsvorschlägen reagieren. Im Falle des Einverständnisses richtet der Ausschußvorsitzende einen formellen Antrag an den Board. Bevor dieser entscheidet, erarbeitet der Stab einen Forschungsplan mit spezifizierten Angaben über Thema, Relevanz, Methode, Zeit und Kostenaufwand. Das Initiativrecht für Untersuchungen steht ferner dem Board selbst sowie dem OTA-Direktor in Abstimmung mit dem Board zu.

Angesichts der Flut von Aufträgen und Anfragen, mit denen OTA sich seit Beginn konfrontiert sieht, war es notwendig, ein Verfahren zur Themenauswahl und Prioritätensetzung zu entwickeln. So wurde 1979 „The Final Priorities List“ vorgelegt, die insgesamt 30 der dringlichsten Assessment Aufgaben umfaßt, von denen nachfolgend 15 genannt werden sollen 1. Voraussetzungen und Folgen von Technologien zur Sicherung der nationalen Wasserversorgung, 2. alternative Zukünfte der globalen Nahrungsmittelversorgung, 3. Technologien zur Förderung der Gesundheit und zur Krankheitsvorsorge, 4. Technologie und Welt-Bevölkerungsentwicklung,

5. Folgen von Technologien für die Bodenfruchtbarkeit, 6. Folgen von Technologien für die Produktivität, Inflation und Beschäftigung, 7. bedürfnisorientierte Technikentwicklung für unterentwickelte Länder, 8. Friedenstechnologien, 9. Folgen der Mikroprozessoren für die Gesellschaft, 10. angewandte Weltraumtechnik, 11. Möglichkeiten der Materialerhaltung, 12. militärische Ausrüstung der Zukunft, 13. Folgen von Technologien für den Güterverkehr,

14. Wetter-und Klima-Technologien, 15. • Systeme der elektromagnetischen globalen Kommunikation.

Diese Liste gilt auch heute als Bezugsrahmen für die Auswahl von Untersuchungsthemen. Sie veranschaulicht, welch breites Spektrum von Themen durch OTA-Aktivitäten abgedeckt wird Die Liste ermöglicht eine Auswahl von TA-Themen nach Technik-und Zugehörigkeitsbereichen. Die entscheidungsrelevanten Aspekte bei der Themen-festlegung richten sich danach, ob die nachfolgenden Fragen zufriedenstellend beantwortet werden:

— Ist die Fragestellung gegenwärtig oder in Zukunft ein größeres Thema im Kongreß?

— Kann OTA dazu einen spezifischen Beitrag leisten, oder könnte die Arbeit effektiver durch andere Behörden des Kongresses verrichtet werden? — Wie bedeutend für die Gesellschaft sind die verschiedenen politischen Optionen hinsichtlich ihrer hiermit verbundenen Kosten, des Nutzens und der Risiken, und wie sind diese zwischen den davon betroffenen Gruppen verteilt? — Sind die Auswirkungen der infragestehenden Technik irreversibel?

— Welches Gefährdungspotential haben die Auswirkungen? — Wie umfangreich ist das verfügbare Wissen, um die Technik und ihre Folgen abzuschätzen? — Kann die Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung sinnvoll eingegrenzt und in einem vertretbaren Rahmen bearbeitet werden? — Wie hoch ist der voraussichtliche Personal-und Kostenaufwand einer Studie? — Wie lang ist der Bearbeitungszeitraum? — Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Kongreß auf der Grundlage dieser Studie initiativ wird? — Werden andere TA-Studien durch diese Untersuchung vervollständigt?

Wird ein Themenvorschlag positiv entschieden, beginnt der eigentliche TA-Prozeß. Der Stab bildet einen Beratungsausschuß, der über den Zuschnitt der Studien, über Strategien und Methoden entscheidet und potentielle Auftragnehmer identifiziert. Ziel jeder Untersuchung soll sein, möglichst „comprehensive“, d. h. möglichst umfassend alle relevanten Informationen gezielt zu sammeln und zu verarbeiten, die Problembereiche einzugrenzen und zu spezifizieren, Umfang und Grenzen des bisher zugänglichen Wissens zu identifizieren und die denkbaren politischen Optionen und ihre möglichen Auswirkungen und Konsequenzen zu beurteilen. In den Beurteilungen werden bezeichnenderweise keinerlei legislative Maßnahmen, administrative Richtlinien oder sonstige Änderungen empfohlen. Sie beschränken sich auf die Darstellung von Handlungsalternativen, erhellen die Voraussetzungen, die den verschiedenen Optionen zugrundeliegen und bewerten die Konsequenzen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen werden, wenn sie durch praktisches Handeln umgesetzt werden sollten. OTA-Studien beanspruchen deshalb, neutral und unparteilich zu sein.

Durch den TA-Act wurde OTA in die Lage versetzt, die Dienststellen der Exekutive zur Beschaffung und Lieferung von Informationen heranzuziehen. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ämtern und Institutionen wird als gut bezeichnet

Die Informationsbeschaffung und ein beträchtlicher Teil der Erstanalysen werden von externen Auftragnehmern durchgeführt. Dieses Material bildet die Grundlage der Arbeit des Stabes. Es wird zusammengefaßt, integriert und schließlich weiteren Arbeitsschritten zugeführt. Aufgrund der anfänglich negativen Erfahrungen mit der Vergabe kompletter Analysen an einen einzigen Auftrag-nehmer (vgl. Kap. IV), werden „full-scale-studies" in etwa fünf bis acht Teilanalysen mit einem durchschnittlichen Auftragsvolumen von 8 000 Dollar zerlegt und an verschiedene Auftragnehmer vergeben. Eine zentrale Rolle im Untersuchungsprozeß nimmt der sogenannte „review-process“ ein, der oft einen ebenso langen Zeitraum in Anspruch nimmt wie die Analyse und in dem nach Erstellung der vorläufigen Schlußfassung allen am Verfahren Beteiligten die Gelegenheit zu Einlassungen und Anmerkungen gegeben wird. Bei manchen besonders brisanten Situationen werden bis zu 200 Kommentargutachten aus einem möglichst breit gestreuten Spektrum von Institutionen und Sachverständigen eingeholt.

Die Schlußversion wird vom OTA-Stab angefertigt und von der Leitung genehmigt. Aus Gründen der Transparenz ist dem Bericht eine Übersicht über den gesamten Begutachtungs-und Überarbeitungsprozeß beigefügt. Zweifellos werden diese Durchführungsübersichten von allen OTA-Produkten am meisten gelesen Nach Erhalt der Studien oder des Materials steht es den Ausschüssen frei, diese im Rahmen von Pressekonferenzen oder Anhörungen der Öffentlichkeit bekannt zu geben und den politischen Gewinn, der sich mit einer solchen Studie verbindet, für sich zu verbuchen.

Ein vollständiger TA-Prozeß beansprucht in der Regel einen Zeitraum von zwei Jahren. Die Gesamtkosten für diese Spanne betragen je nach Aufwand zwischen 200 000 und 750 000 Dollar. Sie entfallen etwa je zur Hälfte auf Aufwendungen für die in-house-Kapazitäten und für Verträge mit „contractors", „Consultants“ und den „advisory panels“.

Nach Genehmigung werden die Studien veröffentlicht, meist durch amtliche Publikationsstellen (Government Printing Office und National Technical Information Service). Eine Reihe von in jüngster Zeit angefertigten Studien wurde auch von gewerblichen Verlagen nachgedruckt. So wurden z. B. von Juli 1976 bis Dezember 1980 mehr als 140 000 Exemplare von OTA-Dokumenten vercauft Seit Jahren stehen OTA-Publikationen an ier Spitze der Verkaufslisten wissenschaftlicher Literatur und das Interesse steigt beständig. Stulien von besonderer Brisanz für die Öffentlichkeit verden von der US-Presse ausführlich kommentiert md finden — wie die Studie zur „Strategie Defense Initiative (SDI)“ — auch im Ausland große Beach-, ung.

Seit seiner Gründung ist die Arbeitsleistung des DTA beachtlich gewesen. Weit über 200 vollständige Studien und etwa 250 kürzere Untersuchungen wurden durchgeführt neben einer Vielzahl kaum übersehbarer kurzfristiger Dienstleistungen in Form von Memoranden, Working-Papers etc. Längst bearbeitet OTA nicht mehr nur rein technikbezogene Studien sondern erhält mittlerweile von über 25 Ausschüssen Untersuchungsaufträge, deren thematische Breite die nachfolgende Liste von 1985/86 in Arbeit befindlichen Studien veranschaulicht:

— Technology and the American Economic Transition (Die Auswirkungen von Technik auf den wirtschaftlichen Wandel in den USA), — Western Surface Mine Reclamation (Rekultivierung der durch Tagebergbau zerstörten Landschaften in den westlichen Bundesstaaten), — Technology and Structural Unemployment (Technik und strukturelle Arbeitslosigkeit), — High-Technology Ceramics and Polymer Composites (Hochtechnologien der Keramik und polymere Verbindungen), — International Competition in the Service Industries (Internationaler Wettbewerb in den Dienstleistungsindustrien), — New Ballistic Missile Defense Technologies (Ballistische Marschflugkörper als neue Verteidigungstechnologien), — Technology Transfer to China (Technologie-transfer nach China), — Technology, Public Policy, and the Changing Structure of American Agriculture (Technologie, staatliche Politik und struktureller Wandel der amerikanischen Landwirtschaft), — Low Resource Agriculture in Developing Countries (Ressourcenschonende Landwirtschaft in Entwicklungsländern), — Physician Payment and Medical Technology under the Medicare Program (Entlohnung von Ärzten und Medizintechnik im Rahmen des Medicare-Programms), — Alternatives to Animal Use in Testing, Research, and Education (Alternativen zu Tierversuchen in Forschung, Industrie und im Erziehungsbereich), — Life-Substaining Technologies and the Elderly (Technologien zur Verlängerung des Lebens und ältere Menschen), — Disorders Causing Dementia (Ursachen von geistig-psychischen Störungen), — Information and Communication Technology and the Office (Informations-und Kommunikationstechnologien im Bürobereich), — Federal Government Information Technology (Informationstechnik im Bereich der Bundesregierung), — Intellectual Property Rights in an Age of Electronics and Information (Geistiges Eigentum und Urheberrechte im Zeitalter der Informationstechnik),

— Electronic Record Systems and Individual Privacy (Elektronische Datenverarbeitung und individuelle Privatsphäre), — Technologies for Disposing of Wastes in the Ocean (Technologien zur Lagerung von Abfällen im Meer), — Hazardous Materials Transportation (Transport gefährlicher Stoffe)

Diese wenigen Beispiele zeigen, daß OTA mit der Zeit einen einzigartigen Fundus umfassender, ausgewogener und aussagekräftiger Studien über komplexe Problembereiche zusammengestellt hat, die an der Schnittstelle von Technologie und Politik entstanden sind. Sie gehören inzwischen zu den grundlegenden Bezugsquellen der einschlägigen Fachdiskussionen.

VII. Zwischenbilanz: Technology Assessment und politischer Entscheidungsprozeß

Nach fünfzehn Jahren intensiver Tätigkeit steht außer Zweifel, daß dem OTA eine Konsolidierung und erfolgreiche Etablierung innerhalb des amerikanischen Regierungssystems gelungen ist. Die quantitativen Angaben über die Arbeit des OTA, wie sie z. B.den „Publication Lists“ und den jährlichen Rechenschaftsberichten entnommen werden können, lassen darauf schließen, daß sein Einfluß beträchtlich ist und noch beständig steigt. Dabei scheinen viele Kongreßabgeordnete die Fähigkeiten und die Ressourcen OTAs noch nicht voll erkannt zu haben

Der konkrete Einfluß des Amtes auf den politischen Entscheidungsprozeß ist jedoch im einzelnen nur schwer nachweisbar. In immer mehr Kongreßdebatten, Ausschußsitzungen, Gesetzesvorlagen und öffentlichen Diskussionen wird auf OTA-Analysen Bezug genommen. Allein in den Jahren 1977/78 wurden in über 35 Gesetzen, die vom Kongreß verabschiedet wurden, ausdrücklich OTA-Studien als Bezugspunkt erwähnt In Einzelfällen basierten gesetzgeberische Initiativen direkt auf von OTA präsentierten Optionen. So wurde z. B. die Idee der „Superfund Strategy“ — einer 1985 vorgestellten Studie — vom Gesetzgeber gänzlich übernommen. Diese Analyse untersuchte die potentiellen Kosten für eine Beseitigung von gefährlichem Sondermüll und prüfte alternative Techniken und Strategien für eine effektive und langfristige Lösung des Problems. In einem anderen Fall hatte eine OTA-Beurteilung über Schieferöl-Techniken starken Einfluß auf die Entscheidung des Senats, das betreffende Regierungsprogramm um mehrere Milliarden Dollar zu kürzen. Dieses Beispiel verdeutlicht, daß die Arbeiten OTAs insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effizienten Allokation von Steuermitteln durchweg positiv beurteilt wird. Von Seiten des Kongresses wird OTA als eine „grandiose Investition“ betrachtet, mit deren Hilfe schon viele Milliarden Dollar eingespart werden konnten

In den meisten Fällen sind die Auswirkungen der OTA-Studien jedoch eher indirekter Natur. Oft finden Ergebnisse ihren Weg in die Legislative erst zwei oder drei Jahre nach der Veröffentlichung einer Studie. Andere OTA-Erkenntnisse werden schlicht zum Bestandteil der öffentlichen Diskussion und allgemein anerkannten Wissens auf den entsprechenden Gebieten und können wichtige Einflüsse ausüben, ohne jemals ausdrücklich zitiert worden zu sein.

Gegenüber dieser Erfolgsbilanz gibt es aber auch viele Schwierigkeiten und Probleme, die nicht übersehen werden dürfen. Sie ergeben sich im wesentlichen aus dem Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, aus der Diskrepanz zwischen analytisch-wissenschaftlicher Rationalität und der Rationalität politischer Imperative. So waren und sind auf der administrativen Ebene die OTA-Verwaltung und vor allem Personalentscheidungen häufig Gegenstand der Kritik. Der TAAC beklagte mehrfach, nicht hinreichend konsultiert worden zu sein, der Kongreß verfügte zeitweilig Mittel-und Personalkürzungen. Edward M. Kennedy und andere Mitglieder des Boards wurden verdächtigt, OTA und seine Ressourcen für persönliche Zielsetzungen zu mißbrauchen.

Auch die arbeitsprogrammatische Ebene war immer von Schwierigkeiten gekennzeichnet, die sich aus dem unterschiedlichen Stil und dem Arbeitsrhythmus von OTA und dem Kongreß ergaben. Wenngleich der Kongreß theoretisch von der Bedeutung solider, langfristig angelegter Analyse der Untersuchungsbereiche überzeugt ist, diktiert die politische Alltagspraxis in der Regel eine äußerst kurzatmige Arbeitsstruktur, die Beratungsdienstleistungen binnen kürzester Frist erforderlich macht. Die unterschiedlichen Zielsetzungen einer wissenschaftlichen, kontinuierlichen und langfristig angelegten Arbeit und die der Politik, die sich an kurzfristigen Kalkülen der Öffentlichkeitswirksamkeit und hohem Entscheidungsdruck orientieren, müssen zwangsläufig kollidieren. In Teilbereichen ist es OTA gelungen, diese Reibungsflächen zu vermindern, indem Zwischenberichte, Memoranda oder Arbeitspapiere zu Untersuchungsbereichen angefertigt werden.

Auch im Hinblick auf die Studien ist es OTA nie völlig gelungen, aus dem Kreuzfeuer der Kritik herauszukommen. Ein einziger gravierender sachlicher Fehler ist in der Lage, die Glaubwürdigkeit einer Beurteilung insgesamt zu erschüttern. Da OTA in der Regel sich mit kontroversen Themen befaßt, bei denen es häufig um einen hohen wirtschaftlichen und politischen Einsatz geht, gibt es stets auch Kritiker, die nach Möglichkeiten suchen, eine ihre Interessen oder Einrichtungen gefährdende Studie in Mißkredit zu bringen. In Anbetracht dieser Tatsache hat OTA mittlerweile ein gut durchdachtes und funktionierendes System — die Einbeziehung interessierter Ausschußmitglieder und Interessengruppen sowie umfangreiche Review-Prozesse — für die interne und externe Überprüfung der Solidität und Pluralität von Berichtsentwürfen vor ihrer Freigabe und Veröffentlichung entwickelt.

Betrachtet man die Studien insgesamt, so verdichtet sich der Eindruck, daß es OTA gelungen ist, problembezogene, praxisrelevante und thematisch aktuelle bzw. zukunftsorientierte Arbeit zu leisten Die Technology Assessments entsprechen in ihren methodischen Ansätzen, ihrer interdisziplinären Durchführung und ihren entscheidungsbezogenen Ergebnissen wichtigen Forderungen der TA-Philosophie. Trotz bestehender Differenzen zwischen TA-Postulaten und deren Durchführungspraxis — z. B. hinsichtlich der Beteiligung sozialer Gruppen — erscheint die pauschale Kritik, TA sei „ambitiöse Idee und triviale Praxis“, nicht gerechtfertigt Vielmehr wird der größte Erfolg OTAs darin gesehen, daß es alle Skepsis beseitigen konnte, nur ein „harmloser Lieferant von Plattheiten“ zu sein. OTA hat — nicht zuletzt aufgrund der langjährigen Kritik — erkannt, daß Unzulänglichkeiten und Schwächen nur überwunden werden können, wenn es weiterhin der Leitidee des „learning by doing“ folgt. Darüber hinaus hat seine Arbeit wichtige Ergebnisse und Erfahrungen mit sich gebracht, auf deren sorgfältige Rezeption gerade auch für ausländische Versuche, TA zu institutionalisieren, nicht verzichtet werden darf.

VIII. Schlußfolgerungen für einen parlamentsbezogenen Beratungsprozeß

Durch seinen großen Vorsprung an praktischen Erfahrungen gilt OTA seit vielen Jahren als Signal, „Flaggschiff“ und Vorbild für die weltweiten konzeptionellen und organisatorischen Diskussionen über TA -Institutionalisierungsbestrebungen in anderen Staaten mußten sich jedoch konsequent vom amerikanischen Modell lösen. Denn entgegen seiner Vorbildfunktion bietet OTA wegen seines Zuschnitts auf das Präsidialsystem keine allgemein wiederholbare Institutionalisierungsformel.

Während im Präsidialsystem der USA der Präsident, seine Exekutivbehörden und der diese kontrollierende Kongreß einer strikten institutioneilen Trennung unterworfen sind, geht im parlamentarischen System der Bundesrepublik die Regierung aus den Mehrheitsfraktionen des Parlaments hervor. Es gibt daher eine enge, direkte Verbindung zwischen der Regierung und den sie stützenden Fraktionen im Deutschen Bundestag, die bisher das größte Hindernis darstellt, das amerikanische Beispiel ohne weiteres auf den Deutschen Bundestag zu übertragen Eine „systemverträgliche“ organisatorische Ausstattung müßte aus diesen Gründen auf die unterschiedlichen Interessen von Regierungs-und Oppositionsfraktionen Rücksicht nehmen. Angesichts dieser Konstellation ist leicht einsichtig, daß es im bisherigen Verlauf der Institutionalisierungsdebatte vorwiegend dem Interesse der jeweiligen Oppositionsfraktionen entsprach, Beratungs-und Informationskapazitäten zu fordern und den Institutionalisierungsgedanken voranzutreiben, während die Mehrheitsfraktionen in ihrer Eigenschaft als Stütze der Regierung sich verpflichtet fühlten, der Opposition ein so definiertes Instrument zu verweigern Die Einführung einer starken Organisationsform der TA für das Parlament käme nach gängigem politischen Verständnis einer Schwächung der Exekutive gleich. Diese Gründe haben die bisherige TA-Debatte beim Parlament zu einem „Leidensweg“ werden lassen in der häufig auch die positiven Ansätze und Erfahrungen OTAs mit dem Hinweis auf die Nichtübertragbarkeit der institutioneilen Voraussetzungen abgetan wurden. Welche Schlußfolgerungen lassen sich also trotz der Unterschiede im Regierungssystem für eine Beratungseinrichtung, wie sie beispielsweise von der Enquete-Kommission „Technikfolgen-Abschätzung“ dem Parlament vorgeschlagen wurde, ziehen?

Die Institutionalisierungsgeschichte des OTA zeigt, daß die Etablierung einer Beratungseinrichtung nicht als einmaliger Akt, sondern als kontinuierlicher Prozeß vollzogen wird, in dem Wissenschaft und Politik gemeinsam neue Formen formeller wie informeller Kommunikation zu entwickeln haben. TA ist ein äußerst interaktionsintensiver Prozeß, der von allen Beteiligten neue Verhaltensweisen und Fähigkeiten des politisch-wissenschaftlichen Diskurses verlangt. Es kann von daher keine Patentlösung geben, wie der Beratungsprozeß der Politik durch institutionalisierte Verfahren in optimaler Weise gestaltet werden kann. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und insbesondere die beinahe schon sprichwörtliche Krise der „policyForschung“ lassen inzwischen jedoch keinen Zweifel daran, daß angesichts der gravierenden Zunahme von technologiebedingten Folgeproblemen nicht länger auf institutioneile Beratungsverfahren verzichtet werden darf.

Alle Erfahrungen des OTA sprechen dafür, die ersten Jahre des Aufbaus einer Beratungskapazität als eine experimentelle Phase zu betrachten, in der Raum für Irrtümer, Umwege und unkonventionelle Arbeitsstile gegeben ist. Es werden in enger Zusammenarbeit mit den zukünftigen Adressaten neuartige, auf die Bedürfnisse des Parlaments zugeschnittene Arbeitskonzepte und Handlungsstrategien zu entwickeln sein, die in kreativer Weise politisch-parlamentarische Handlungsziele mit wissenschaftlichen Management-und Forschungsmethoden verknüpfen. Auf diese Weise wird Technology Assessment in jedem Beratungsprozeß in spezifischer Weise neu definiert.

Gerade zu Beginn dürfte sich eine neue Einrichtung mit vielfältigen Ansprüchen, Erfordernissen und Erwartungen konfrontiert sehen, denen sie z. B. aufgrund mangelnder Erfahrung und/oder der begrenzten Ausstattung mit Personal und Mitteln nicht gerecht werden kann, was ihr mit großer Wahrscheinlichkeit die Kritik einzelner Ausschüsse, der Öffentlichkeit, der Wirtschaft oder der Wissenschaft eintragen wird. Hiervor wird sie sich kaum schützen können. Aus diesen Gründen bedarf eine zukünftige TA-Einrichtung starker Fürsprecher im Parlament und in der Öffentlichkeit, wenn ihr „Überleben“ gesichert werden soll

Wichtig für den weiteren Erfolg dürfte auch eine politisch sensible Auswahl der Themen in der Anfangsphase sein. Zum einen würden Studien über solche Untersuchungsgegenstände, bei denen wichtige Entscheidungen bereits getroffen wurden, als problematisch empfunden werden, weil sie leicht in Verdacht gerieten, sie dienten nur dem Legitimationsgewinn und der Akzeptanzförderung. Zum anderen sollten Untersuchungsthemen — aufgrund der Minimierung politischer Störeinflüsse — nicht zu brisant, zu wichtig oder zu kontrovers sein, sondern breiten Raum für Lern-und Demonstrationsprozesse bieten

Wichtig für die Bedeutung und die Reputation der Einrichtung wird sein, ob die präsentierten Ergebnisse den Kriterien der Solidität, Interdisziplinarität und Transparenz entsprechen. Dies bedeutet, daß möglichst alle Aspekte der sachlichen Problematik eines Themas dokumentiert und bewertbar gemacht werden. Darüber hinaus muß gesehen werden, daß es sich beim TA-Prozeß um weit mehr als um einen nur wissenschaftlich-kognitiven Vorgang handelt. Aufgrund der Tatsache, daß unterschiedliche gesellschaftliche Interessengruppierungen in unterschiedlicher Weise von Technikfolgen berührt werden, kann nur über die Einbeziehung eines möglichst breiten Spektrums an Sachverstand, gesellschaftlichen Interessenlagen, Werthaltungen und Kontroversen dafür gesorgt werden, daß die Untersuchungsergebnisse einer Überprüfung und Kritik standhalten. Voraussetzung dafür ist die Offenlegung und die Nachvollziehbarkeit aller im TA-Prozeß relevanten Kriterien und Entscheidungsprozesse. Nur wenn Wert auf ständige Konsultationen und Informationen mit dem gesellschaftlichen Umfeld gelegt wird, dürfte es gelingen, die Interessengebundenheit von Informationsprozessen zu durchbrechen. Diese Vorgehensweise eröffnet in entscheidender Weise die Möglichkeit, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über die Ziele und Mittel des sozialen Fortschritts sowie über die Chancen und Risiken von Technologien zu führen In diesem Prozeß käme es darauf an, die Problemwahrnehmungs-und die Lösungsperspektiven möglichst vieler sozialer Gruppen zu dokumentieren und ihre Motive verstehbar zu machen.

Da über den Nutzen und die Akzeptanz von Ergebnissen der TA-Prozesse letztlich die Sicherstellung des „Wissenstransfers“ zum eigentlichen Adressaten entscheidet, wird den Problemen und Aufgaben der Umsetzung, nämlich den Austausch und die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse effizient und flexibel zu organisieren, große Aufmerksamkeit zu widmen sein. Es dürfte insbesondere darum gehen, die vorhandenen Sprachbarrieren (Artikulationsformen, Denkgewohnheiten, Handlungsziele) zwischen Wissenschafts-und Politikbereich zu überwinden Dennoch ist in diesem Zusammenhang vor einem überzogenen, rein instrumentellen Umsetzungs-und Nutzenverständnis zu warnen, insofern nur als Nutzen gilt, was konkret und nachweisbar in politische Entscheidungen eingeflossen ist, also angewendet wird. Ein erweiterter Umsetzungsbegriff würde auch die Vermittlung gesellschaftlichen Orientierungswissens, eine Steigerung des Problembewußtseins und indi- rekte Verbesserungen der Problemlösungskompetenz als erfolgreiche Zielerfüllung betrachten.

Wenn auch insgesamt die Möglichkeiten des Technology Assessment als anspruchsvoller Form technikbezogener Politikberatung von Teilen der Wissenschaft eher skeptisch beurteilt werden — sei es wegen der vielfach ungeklärten Methodenfragen der TA z. B. im Bereich der Prognose, sei es wegen begrenzter Entfaltungsmöglichkeiten wissenschaftlicher Argumente im politikbestimmten Umfeld oder aufgrund schwer überbrückbarer Verständigungsprobleme wegen divergierender Rationalitäten des wissenschaftlichen und des politischen Systems —, scheint es angesichts des von Jürgen Habermas zu Recht diagnostizierten „Schreckens-panoramas der weltweiten Gefährdung allgemeiner Lebensinteressen (durch) katastrophennah operierende Großtechnologien“ keine Alternative zum parlamentarischen Experiment mit der Institutionalisierung der Technikfolgen-Abschätzung zu geben.

Als höchstrangiges Verfassungsorgan nimmt das Parlament im Rahmen der Kontrolle und Bewilligung der Haushaltsmittel sowie des allgemeinen Gesetzgebungsverfahrens eine gewaltige Verantwortungslast für die Richtung und die Folgen einer immer komplexeren und kaum mehr überschaubaren technischen Entwicklung auf sich. Daraus erwächst ihm die Verpflichtung für deren Gestaltung und Kontrolle. Jede Anstrengung zur politischen Gestaltung der technischen Entwicklung jedoch setzt zunächst eine umfassende Bewertung von Technologien, die Abschätzung ihrer Folgen und die Prüfung von technischen wie nichttechnischen Lösungsalternativen voraus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der amerikanische „Technology Assessment" des wird durch den häufig verwendeten Begriff „Technikoder Technologiefolgenabschätzung“ nur bedingt richtig wiedergegeben. Um das wertende und prognostische Element im „Technology Assessment“ zum Ausdruck zu bringen, wird im folgenden von Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung gesprochen bzw. das Kürzel „TA“ verwendet.

  2. H. Paschen. Technology Assessment. Ein strategisches Rahmenkonzept für die Bewertung von Technologien, in: M. Dierkes/T. Petermann/V. v. Thienen (Hrsg.), Technik und Parlament. Technikfolgen-Abschätzung: Konzepte, Erfahrungen. Chancen. Berlin 1986.

  3. Vgl. G. Müller, Strategische Frühaufklärung, München

  4. S. BT-Drs. 7/468 vom 16. 4. 1973; ausführlicher dazu auch V. v. Thienen. Technology Assessment: Das randständige Thema. Die parlamentarische TA-Diskussion und der erste Bericht der „Enquete-Kommission Technologiefolgenabschätzung“, in: M. Dierkes u. a. (Anm. 2).

  5. Bericht der Enquete-Kommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen; Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung". Zur Institutionalisierung einer Beratungskapazität für Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim Deutschen Bundestag, BT-Drs. 10/5844 vom 14. 7. 1986.

  6. Vgl. z. B. die Studie von R. Carson, Der stumme Frühling, München 1976.

  7. J. Lohmeyer, Abschätzung von Technikfolgen in den USA, in: Universitas, (1986) 8, S. 783.

  8. Diese Entwicklung wird häufig mit der Person des kalifornischen Rechtsanwalts R. Nader in Verbindung gebracht, dem es in einer Serie aufsehenerregender Prozesse gelang, oft zweistellige Mio. -US-Dollar-Schadensersatzbeträge für

  9. Zum allg. Zusammenhang vgl. H. Paschen/K. Gresser/F. Conrad. Technology Assessment — Technologiefolgenabschätzung, Frankfurt-New York 1978, S. 29 f.

  10. National Academy of Sciences, Technology: Process of Assessment and Choice, U. S. Government Printing Office, Washington 1969.

  11. J. Lohmeyer (Anm. 7). S. 781.

  12. Vgl. „Science and Space — Technology’s Seers“, in: Newsweek, 6. 3. 1972.

  13. J. H. Gibbons/H. L. Gwin. Technik und parlamentarische Kontrolle. Zur Entstehung und Arbeit des Office of Technology Assessment, in: M. Dierkes u. a. (Anm. 2).

  14. Ebenda. S. 244.

  15. Vgl. J. Lohmeyer. Technology Assessment: Anspruch, Möglichkeiten und Grenzen, Diss., Bonn 1984, S. 46— 49.

  16. J. H. Gibbons/H. L. Gwin (Anm. 13), S. 244.

  17. TA-Act, Public Law 92-484, October 1972.

  18. Legislativ History: House Reports no. 92— 469 (Committee on Science and Astronautics), und Senate Report no. 92— 1123 (Committee on Rules and Administration); Congressional Report, Vol. 18. 1972.

  19. Vgl. z. B. B. M. Casper, The Rhetoric and Reality of Congressional Technology Assessment, in: Bulletin of the Atomic Scientists. A Magazine of Science and World Affairs, Vol. 34, February 1978.

  20. B. M. Casper, ebd.

  21. Diese Vergabequote ist bis heute weitgehend beibehalten worden.

  22. Vgl. z. B. T. Knight, „Technology’s Future“, Malabar/Florida 1982.

  23. T. Knight (Anm. 22), S. 224.

  24. Aus: Office of Technology Assessment: Annual Report to the Congress, Washington, D. C., 1974— 1986; ders., What OTA is. What OTA does. How OTA works, Washington, D. C., March 1986.

  25. M. Ott, Technology Assessment in the (Manuskript ohne Angaben, S. 10).

  26. J. H. Gibbons/H. L. Gwin (Anm. 13), S. 252. Congress,

  27. Nach dem Gedächtnisprotokoll einer Rede von J. Andelin (Assistant Director, OTA), Praxis der Technologiefolgenabschätzungin den USA. AGF-Symposion: Technologiefolgenabschätzung. Methoden, Inhalte und Wirkungen, 12. /13. 2. 1987 in Bonn-Bad Godesberg.

  28. Office of Technology Assessment, OTA Priorities, Washington, D. C., 1979.

  29. Diese Liste sowie die weiteren, breit gestreuten Arbeiten OTAs unterstreichen eine Forderung vieler Autoren, den Begriff der „Technologie“ im Kontext der TA sehr weit zu fassen. Er soll nicht nur auf Maschinen, technische Anlagen, Produktionsverfahren (physical technologies) usw. beschränkt werden, sondern auch „soziale Technologien“ mit einschließen. So werden gerade gesellschaftspolitischen Maßnahmen besonders gravierende und meist indirekte Folgen nachgewiesen wie z. B. Gesundheits-, Renten-oder Versicherungssystemen oder etwa Maßnahmen in der Steuerpolitik. Es spricht vieles dafür, die „Sozialtechnologien“ in den Technologie-Begriff der TA miteinzubeziehen. Andererseits wird dadurch eine Aufweichung des TA-Konzepts befürchtet; vgl. H. Paschen u. a. (Anm. 9), S. 14.

  30. Vgl. F. B. Wood. The Status of TA: A View from the Congressional Office of Technology Assessment, in: Technological Forecasting and Social Change, (1982) 22, S. 211— 222.

  31. Nach Angaben von Mitarbeitern des OTA-Stabes, die im Rahmen eines Studienaufenthaltes 1986 vom Autor befragt wurden.

  32. M. Ott (Anm. 25), S. 18.

  33. J. Lohmeyer (Anm. 15), S. 94.

  34. Vgl. zu den Hintergründen auch Anmerkung 29.

  35. Office of Technology Assessment, Quarterly Report, January 1 — December 31, 1985/1986, 8 Bde. Washington, D. C.

  36. Nach Interviews des Autors mit Mitarbeitern von Kongreßabgeordneten.

  37. G. Bruckmann/B. Raschauer, Die Kontrolle der Technologiefolgen als gesellschaftliches Problem heute, in: Universitas, 34 (1979), S. 826.

  38. Vgl. Anm. 36.

  39. J. Lohmeyer (Anm. 15), S. 97.

  40. B. Wynne, The Rhetoric of Consensus Politics: A Critical Review of Technology Assessment, in: Research Policy, (1975) 4, 108 ff. ,

  41. C. Bohret /P, Franz, Technologiefolgenabschätzung durch das Parlament: Die ausländischen Vorbilder und der „Leidensweg“ der Institutionalisierung in der Bundesrepublik, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1985) 9.

  42. M. Ott (Anm. 25), S. 28.

  43. J. Bugl, Das Parlament und die Herausforderung durch die Technik: Zur Arbeit der Enquete-Kommission „Technologiefolgen-Abschätzung“. Vortrag vor dem Arbeitskreis „Strukturpolitik“ des RKW, Eschborn, 5. 12. 1985.

  44. Zur Chronologie der Institutionalisierungsdebatte vgl. F. Büllingen, Technikfolgen-Abschätzung: Schmiermittel oder Mittel zur Emanzipation?, in: Wechselwirkung. (1984) 8.

  45. Vgl. F. Müller-Rommel. Sozialwissenschaftliche Politik-beratung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/84.

  46. Einen Weg aus dem Erwartungsdilemma wurde von R. Mayntz gewiesen, indem sie empfahl, die Frage nach dem Nutzen von TA mit einer Analyse der politischen Institutionen und Politikstile zu verbinden.

  47. Vgl.den Beitrag von O. Ulrich in dieser Beilage.

  48. Vgl. H. Paschen u. a. (Anm. 9), S. 44.

  49. F. Büllingen, Technik als Diskurs? Zur Diskussion der Technologiefolgen-Abschätzung und -Bewertung (TA) als Ansatz demokratischer Technikgestaltung, in: Forum Wissenschaft, Studienhefte 3, Bonn 1986.

  50. H. Paschen u. a., Zur Umsetzungsproblematik bei Technologiefolgenabschätzung (TA), in: Enquete-Kommission „Einschätzung und Bewertung von Technikfolgen: Gestaltung von Rahmenbedingungen der technischen Entwicklung“ (Hrsg.), Materialien zur Drucksache 10/6801, Bd. 1, Bonn 1987.

  51. Vgl. z. B. G. Bechmann/B. Wingert, Technology Assessment als Rationalisierung technologiepolitischer Entscheidungen, in: J. Matthes, Lebenswelt und soziale Probleme, Verhandlungen des 20. Deutschen Soziologentages in Bremen. Frankfurt-New York 1981; R. Mayntz, Lessons leamed — Problems in the acceptance of TA by political decisions-makers, in: Umweltbundesamt (Hrsg.), Technologien auf dem Prüfstand. Die Rolle der Technologiefolgenabschätzung im Entscheidungsprozeß, Berlin 1983.

  52. J. Habermas, Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt 1985.

Weitere Inhalte

Franz Büllingen, Dipl. Soziologe, geb. 1954; Studium der Volkswirtschaftslehre, Soziologie und der Politikwissenschaft an der Universität Bielefeld und der Freien Universität Berlin; langjährige Tätigkeit in Forschungsprojekten zur Evaluierung und Bewertung von Technikfolgen; seit 1983 verschiedene Beratertätigkeiten in Fragen der Technologiepolitik und Technikfolgen-Abschätzung; seit 1985 Mitglied des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Technologie als Problem der Sozialwissenschaften, in: Technik als Weltverhältnis, Villigst 1982; Forschungs-und Technologiepolitik als Strategie volkswirtschaftlicher Modernisierung. Versuch einer sozial-ökologischen Positionsbestimmung, in: Projektgruppe Morgentau (Hrsg.), Perspektiven ökologischer Wirtschaftspolitik. Ansätze zur Kultivierung von ökonomischem Neuland, Frankfurt — New York 1986; zahlreiche Aufsätze zum Themenbereich Forschungspolitik und Technikfolgen-Abschätzung.