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Politische Bildung in der Risikogesellschaft Ein politologischer und fachdidaktischer Problemaufriß | APuZ 36/1989 | bpb.de

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APuZ 36/1989 Artikel 1 Risikogesellschaft Überlebensfragen, Sozialstruktur und ökologische Aufklärung Risikogesellschaft als Grenzerfahrung der Moderne Für eine post-moderne Kultur Von der Wohlstandsgesellschaft zur Risikogesellschaft Die gesellschaftliche Bewertung industriewirtschaftlicher Risiken Politische Bildung in der Risikogesellschaft Ein politologischer und fachdidaktischer Problemaufriß

Politische Bildung in der Risikogesellschaft Ein politologischer und fachdidaktischer Problemaufriß

Bernhard Claußen

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Zusammenfassung

Menschliches Leben ist immer riskant, und die Risiken haben stets eine gesellschaftliche Dimension. Die damit verbunden Herrschaftsmomente haben Aufforderungscharakter für die Bildung. Die stetige, im Verlauf des Industrialismus beschleunigte Risikoentwicklung ist an einen Punkt gelangt, der den Beginn einer neuen historischen Qualität markiert. Risiken sind in der Gegenwart nicht mehr technikimmanent, sondern durchdringen von den Folgen der Technikentwicklung her alle politisch-gesellschaftlichen Lebensbereiche. Politik und Politische Bildung, die sich nur auf traditionelle Technikfolgen-Abschätzung konzentrieren, greifen daher zu kurz. Die Risikogesellschaft als ein neuartiger realer Gefahrenkomplex und als sozialwissenschaftliches Konzept seiner Beschreibung, Erklärung und perspektivenentwickelnden Kritik muß von ihnen äußerst aufmerksam beachtet werden. Unter Bedingungen der Risikogesellschaft gibt es zahlreiche zeittypische Beeinträchtigungen der Subjekt-strukturen als Resultat wesentlich veränderter Sozialisationsmuster und eine Reihe von demokratieschädigenden Verformungen des politischen Systems als Konsequenz der gewachsenen Bedrohungen — aber auch Aussichten auf neue Persönlichkeits-und Systemqualitäten mit humanem Profil. Sie bestimmen den äußeren Rahmen realistischer Politischer Bildung und legen bestimmte Schwerpunkte für ihre praktische Arbeit nahe. Durch Konzentration auf vordringliche politische Aufgaben, Aktualisierung und Konkretisierung dezidierter Didaktikkonzepte sowie durch offensive Versuche einer Bewährung von Aufklärungspotentialen kann die Politische Bildung eine produktive Antwort auf Problemlagen der Risikogesellschaft sein. Die Bewahrung des Interesses an Selbstverfügungsfähigkeit ist in Politik und Politischer Bildung weiterhin und vermutlich dringender denn je geboten. Das läßt sich an ausgewählten Fragestellungen und Beispielen zeigen. Anspruchsvolle und ansprechende Politische Bildung erweist sich als notwendige Vorbedingung einer menschengerechten demokratischen Politik, die sich hinreichend um eine Überwindung der Gattungsbedrohung bemüht. Ihre bisherigen zentralen Aufgaben werden deswegen nicht überflüssig, erhalten aber ein anderes Gewicht.

„Rundfunk. Sehr hoher Staatsbeamterplaudert über Kernkraftwerke und Atommülldeponien: Der Mann ist so unsäglich phantasielos, daß man parallel zu den Ausdrücken , Vergangenheitsbewältigung‘ bzw. Unfähigkeit zur Vergangenheitsbewältigung'den Terminus . Zukunftsbewältigung'bzw. . Unfähigkeit zur Zukunftsbewältigung'einführen sollte. Der Plauderer stellt sich die imminente Katastrophe ge nauso wenig vor, wie die Millionen sich die geschehenen Katastrophen Auschwitz oder Hiroshima vorstellen. Die Erziehung dieser Unfähigen — und das heißt stets: . Unwilligen'— muß ebenso in die Hand genommen werden wie die der Trauerunfähigen. Und ein Film , The Holocaust of tomorrow'wäre fällig."

Günter Anders

I. Risiko und Gesellschaft — Facetten einer Herausforderung für die Politische Bildung

1. Historisch-systematischer Aspekt: stetige Entwicklungslinie Menschliche Existenz war zu allen Zeiten riskant, ein Wagnis nämlich und gefahrenvoll. Gleichwohl sind die Risiken des Lebens kein Ausdruck anthropologisch vorgezeichneter Ausweglosigkeit. Sie bilden sich vielmehr aus im Schnittpunkt des ziemlich flexiblen Ausstattungsgefüges und der erworbenen vielfältigen Kompetenzen der Individuen einerseits sowie der relativ eigendynamischen Unzulänglichkeiten der physikalischen und soziokulturellen Umwelt andererseits. Das gilt zumal im Falle von Defiziten an Durchschaubarkeit und Kontrollvermögen. Seit Anbeginn der Zivilisation sind Risiken in die Gesellschaftlichkeit des Menschen verstrickt Denn die Sensibilität für Gefahren, die Einschätzung ihrer Bedeutung, die Modalitäten des Umgangs mit ihnen — sie alle sind sozial vermittelt in der Organisation von Lernprozessen und in den Formen eines geordneten Zusammenlebens. Und nicht eben wenige Wagnisse sind gesellschaftlich produziert durch die Bändigung der äußeren und inneren, ersten wie zweiten Natur des Menschen.

Von einem gewissen Maß der Bedrohlichkeit an und spätestens mit Beginn der Unmöglichkeit, sie zu handhaben, werden Risiken gar herrschaftsbedeutsam. Sie gewinnen (Über-) Macht über Menschen und provozieren dadurch Bedarfe nach Gegenmacht und Beherrschung. In erweiterter Weise gilt das, wenn und solange die Gefahren und die Möglichkeiten, ihnen entgegenzutreten, sozial ungleich verteilt sind. Triebbedingter wie erworbener menschlicher Überlebensund Gestaltungswille ist an der Erweiterung von Selbstverfügungsfähigkeit interessiert und drängt auf die Verringerung oder gar auf die Ausschaltung der Risiken

Nicht allein Aktionen, mehr oder minder zielgerichtete Eingriffe in die Ursachen-, Ablauf-und Wirkzusammenhänge von Risiken, sind die Folge. Zuvor sind Reflexionsprozesse, normatives und praktisches Durchdenken von Einzelrisiken und Risikogebilden, gefragt. Und spätestens in solchen Kontexten gewinnt Bildung Bedeutung, insofern sie nämlich — als Erkenntnistätigkeit, Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und Suche nach Problemlösungen — Widerspruch zur Herrschaft generell ist Im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit geht es um das Innewerden des Risikokomplexes, das Eruieren von Möglichkeiten der Abhilfe und um die Vorbereitung verändernden Handelns.

Vom Beginn des Zeitalters der Aufklärung an gewinnt die Problematik eine andere Dimension: Die sozialphilosophisch geforderte und vom Stand der Produktivkräfte her mögliche verstärkte Bemühung menschlicher Vernunft erweitert das Spektrum der Risikobeurteilung und -Verarbeitung. Die oftmalige Beschränkung der Vernunft auf bloße Zweckrationalität jedoch mündet in eine Potenzie-rung der Risiken Der fortan sich ausbreitende Industrialismus, Produkt und Produzent von Zweckrationalität zugleich, eskaliert die Dynamik der Entstehung, Ausbreitung und Verschärfung von Risiken. Die Komplexitätssteigerung in modernen Massengesellschaften schließlich erweitert den Problemgehalt enorm.

Zum außerordentlichen Politikum geraten die Entwicklung und ihre Hervorbringungen nicht allein wegen ihrer herrschaftlichen Implikationen. Die Risikobearbeitung wird zu einer Aufgabe der Politik dort, wo diese als gesellschaftliches Teilsystem arbeitsteilig die verbindliche Regelung des Zusammenlebens und seiner Grundlagen organisiert. Als Gegenstand der Behandlung in Legislative, Exekutive und Judikative werden Gefahren zu einem offiziellen und öffentlichen Fall für die institutionalisierte Gestaltung des guten Lebens — was auch immer angesichts pluraler und höchst unterschiedlich durchsetzungsfähiger Interessen darunter verstanden und daraus gemacht wird.

Die Thematisierung von Risiken insbesondere in der Politischen Bildung kann kaum verwundern. Sie folgt ganz generell dem Erfordernis einer Beschäftigung mit dem, was in der Politik und den mit ihr befaßten Wissenschaften als Reflex auf gesellschaftliche Problemlagen mittel-bis langfristig verhandelt wird Erforderlich wird sie jedoch vor allem auf Grund der Ansprüche eines demokratischen Staates, die zumindest Transparenz des Geschehens und Akzeptanz für die Ergebnisse mehrheitlich getroffener Entscheidungen, vielleicht sogar Kontrolle, Kritik und Partizipation der Betroffenen nahelegen. 2. Gegenwartssituation: Aspekte eines Umbruchs Relativ deutlich spiegeln Theorie und Praxis Politischer Bildung der letzten drei bis vier Jahre die in der Gesellschaft und in der Politik bisher dominierende Form des Umgangs mit den Risiken des Industrialismus: Neben mancherlei Verdrängungen und Verharmlosungen findet sich vor allem die Fokussierung auf das Risikopotential der neuen Technologien oder einzelner ihrer Bereiche Dabei wird überwiegend der vorherrschende Modus der soge-nannten Technologiefolgen-Abschätzung reproduziert: Abwägung von Vor-und Nachteilen, Kalkulation von Bedrohungsphänomenen, Erörterung der Sozialverträglichkeit, Kontrollbegehren nach primär ökonomischen Nützlichkeitserwägungen

Gewiß trägt dies einem allgemeinen, obwohl keinesfalls mehrheitlichen Wandel des Bewußtseins von der lethargischen Sorglosigkeit zur erschrockenen Aufmerksamkeit für die Gefährlichkeit des modernen Lebens Rechnung Und selektiv reflektiert dies auch verstreutes Wissen über das Zustandekommen sowie manche Ausprägungen und Folgen einzelner Risiken Bei allem löblichen Verantwortungsbewußtsein und Bemühen um Realitätsnähe bewegen sich solche Versuche aber im Grunde noch innerhalb eines Traditionszusammenhangs, der längst schon in allmählicher Auflösung befindlich ist.

Dingfest machen läßt sich das durch jene — seit kurzem einer größeren, nicht nur fachlichen Öffentlichkeit bekannt gewordenen — sozialwissenschaftlichen Erörterungen, in denen nicht mehr von isolierten technologischen Risiken und der gesellschaftlichen Verantwortung dafür die Rede ist, sondern der Risikobegriff die Funktion einer Schlüssel-kategorie für das Verständnis der geschichtlichen Tendenz und den Trend der spätmodernen Gesellschaft in Gegenwart und naher Zukunft wahrnimmt Die großen Bedrohungen der Zeit werden darin nicht länger als bloß technikimmanente Erscheinungen erachtet.

Denn den neueren Überlegungen zufolge sind aus der historisch-gesellschaftlichen Entwicklungslogik Gefahren gigantischen Ausmaßes erwachsen, die heute mit zunehmender Bedrohlichkeit alle Bereiche der Gesellschaft durchwirken, existenzbedrohende Bedeutung für die Einzelsubjekte, die sozialen Gebilde und die Menschengattung haben — und bei alledem als Zuspitzung der Prinzipien des Industrialismus ein , Vmkippen' des bislang stetigen Geschichtsverlaufs bedeuten: „Die Produktivkräfte haben in der Reflexivität von Modernisierungsprozessen ihre Unschuld verloren. Der Machtgewinn des technisch-ökonomischen Fortschritts’ wird immer mehr überschattet durch die Produktion von Risiken. Diese lassen sich nur in einem frühen Stadium als . latente Nebenwirkungen* legitimieren. Mit ihrer Universalisierung, öffentlichen Kritik und ... Erforschung legen sie die Schleier der Latenz ab und gewinnen in den sozialen und politischen Auseinandersetzungen eine neue und zentrale Bedeutung. Diese . Logik* der Risikoproduktion und -Verteilung wird im Vergleich mit der (das gesellschaftliche Denken bisher bestimmenden) . Logik* der Reichtumsverteilung entwickelt. Im Zentrum stehen Modernisierungsrisiken und -folgen, die sich in irreversiblen Gefährdungen des Lebens von Pflanze, Tier und Mensch niederschlagen. Diese können nicht mehr — wie betriebliche und berufliche Risiken im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts — lokal und gruppenspezifisch begrenzt werden, sondern enthalten eine Globalisierungstendenz, die Produktion und Reproduktion ebenso übergreift wie nationalstaatliche Grenzen unterläuft und in diesem Sinne übernationale und klassenunspezifische Globalgefährdungen mit neuartiger sozialer und politischer Dynamik entstehen läßt.“

Die besondere politische Relevanz dieser neuen historischen Qualität liegt demnach nicht allein im Ausmaß sich universalisierender technischer Risiken für die natürlichen Lebensgrundlagen und im größer gewordenen Erfordernis, sie nach Maßgabe der Prinzipien eines demokratischen Rechts-und Sozialstaats zu lenken. Sie kulminiert auch in einem im Zusammenhang damit erwachsenen und noch erwachsenden enormen politisch-gesellschaftlichen Fundamentalrisiko. Mittlerweile besteht die neue historische Qualität in einem für die Struktur des gesellschaftlichen und politischen Systems und damit für das Sozialisationsmilieu insbesondere der Heranwachsenden charakteristischen „staatlich-politischen Bewältigungsverlust ökologischer, technologischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungen einerseits und einem sozialen und politischen •Frständigungsverlust zwischen Individuen und folglich auch zwischen gesellschaftlichen Gruppen Sowie großen Teilen der jungen Generation über Zukunftsentwicklungen andererseits“ 3 Risikogesellschaft und Politische Bildung Unter solchen Umständen hat der Begriff der Risiogesellschaft eine doppelte Funktion: Zum einen bezeichnet er die Einmündung der Entwicklung des ndustrialismus in eine äußerlich wie innerlich bedrohte soziopolitische Wirklichkeit der Spätmoderne. Zum anderen ist er das Etikett für die gesellschaftstheoretische Interpretation, Systematisierung und Weiterentwicklung von Beobachtungen und Reflexionen über Wesen und Erscheinung eben dieser spätmodemen Wirklichkeit.

Realität und sozialwissenschaftliches Konzept der Risikogesellschaft sind für die Politische Bildung alles andere als unerheblich. Nicht nur werfen sie letztendlich die Frage nach Sinn, Zweck und Gestalt Politischer Bildung am Ausgang des Jahrtausends auf. Sie enthalten auch eine Vielzahl von Anregungen für die Diskussion der Voraussetzungen und Akzente Politischer Bildung mit großem Herausforderungscharakter. Nicht zuletzt die (wissenschafts-) öffentliche Aufmerksamkeit, die Realität und sozialwissenschaftliches Konzept der Risikogesellschaft inzwischen erfahren, lädt zur fachdidaktischen Rezeption, Deutung undAntwortfindung ein.

Letztere ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, damit der Begriff der Risikogesellschaft nicht zum Schlagwort und zur Allerweltsformel verkommt, mit denen schließlich beliebig viele Maßnahmen der Politik und Maßgaben in Pädagogik oder Erwachsenenbildung gerechtfertigt — und dadurch womöglich die Brisanz von Realität und sozialwissenschaftlichem Konzept unterlaufen werden. Bislang gibt es für sie nur fragmentarische Ansätze

Auch die folgenden Ausführungen können eine umfassende Auseinandersetzung nicht leisten. Sie sollen jedoch deren Notwendigkeit unterstreichen und einige Hinweise dafür geben. Dabei muß es hier unterbleiben, die empirischen Grundlagen und den theoretischen Gehalt des sozialwissenschaftlichen Konzepts der Risikogesellschaft im einzelnen zu prüfen. Die Bezugnahme darauf aber ist trotzdem sicher nicht unzulässig, zumal ihm sogar Kritiker attestieren, daß es „überaus feinfühlig . . . markante Züge eines neuen Antlitz des Kapitalismus, wie es sich in der Bundesrepublik herauszubilden beginnt“ erfaßt.

Ungeachtet kontroverser Einschätzungen der modernisierungs-und systemtheoretischen Prämissen und Argumentationsfiguren im sozialwissenschaftlichen Konzept ist es durchaus möglich, den Charakteristika risikogesellschaftlicher Realität ein Stück weit nachzuspüren. An ausgewählten Gesichtspunkten soll das versucht werden Dabei wird auch auf einige unterstützende und problematisierende (Sekundär-) Quellen zurückgegriffen. Die Rekonstruktion der Komplexion der Risikogesellschaft muß notgedrungen grobmaschig bleiben und kann nur gelegentlich vertieft werden. Sie erfolgt hier als zusammenfassende Interpretation hauptsächlich im Hinblick auf die politischen Dimensionen und vor dem Hintergrund eines kritisch-konstruktiven Verständnisses emanzipatorischer Politischer Bildupg

II. Voraussetzungen und Akzente für die Politische Bildung unter Bedingungen der Risikogesellschaft

1. Subjektive Befindlichkeiten als Ergebnis politischer Sozialisation Für die Entwicklung politisch bedeutsamer Persönlichkeitsmerkmale von Heranwachsenden sind drei Besonderheiten gewichtig, in denen sich die der Risikogesellschaft eigene Pluralisierungstendenz konkretisiert — Bedrohliche Gefahren entstehen temporeich in immer größerer Vielfalt jenseits von Klasse, und Schicht. Daraus folgt ein psychisches Gemenge aus anwachsenden Sicherheitsbedürfnissen und Perspektivlosigkeit. Aufnahmebereitschaft für autoritäre Problemlösungs-Angebote und politapathischer Rückzug in die Privatheit kündigen sich als eine Folge davon in etlichen Befunden zur politisehen Sozialisation bereits an Nicht auszuschließen ist ihre qualitative und quantitative Zuspitzung in einer Entladung von Empfindungen der Angst und der inneren Leere in mittel-und unmittelbarer Gewalt unterschiedlicher Art. — Im Rahmen unzulänglicher Wohlfahrtsstaatlichkeit werden sozioökonomische Ungleichheiten und persönliche Lebenslagen zunehmend dergestalt individualisiert, daß nicht etwa subjektive Selbständigkeit entsteht, sondern Vereinzelung und Isolation eintreten. Dadurch mangelt es nicht nur an ausreichendem materiellen Besitz als Grundlage für freizügiges Denken und Handeln. Es fehlen auch Kommunikationsmöglichkeiten für die Erarbeitung von Deutungs-, Handlungs-und Solidaritätsmustem sowie für das persönlichkeitsstabilisierende Durchstehen von Konflikten. Es steht zu befürchten, daß eine Persönlichkeitsqualität wie die Ich-Identität, welche eine Ausbalancierung zwischen Lust-und Realitätsprinzip ermöglicht, eingeschränkt wird, verlorengeht oder gar nicht erst entsteht Die Folgen sind dann, erst recht wenn akute Krisenzustande in Individuum und Gesellschaft hinzukommen, Formen politischen Verhaltens, in denen starrer Konventionalismus oder egoistisch motivierter Nonkonventionalismus oder opportunistisch-indifferentes Mitläufertum zum Zuge kommen. — Die verbliebenen Sozialbeziehungen zerfasern innerlich und äußerlich immer mehr. Alles in allem läuft das auf eine Partikularisierung hinaus. Nicht trotz, sondern wegen hoher sozialer Mobilität sind die Kontakte zu Fremdgruppen zu selten und zu oberflächlich, als daß sie wechselseitiges Verständnis und Gemeinschaftlichkeit stiften oder Interessenvermittlung ermöglichen könnten. Aus der Fixierung auf die Eigengruppe erwachsen inhaltliche Beschränkung von Interessen und Intoleranzen. Sie gehen einher mit einer Bevorzugung von Wertoptionen, die entweder eine strukturkonservative Akzeptanz des vorfindlichen politisch-gesellschaftlichen Systems und übersteigertes Pflichtempfinden oder Neigungen zur andauernden Systemfeindschaft mit überbetonten Neigungen zur ständigen hedonistischen Selbstaktualisierung beinhalten Im Anschluß daran sind Polarisierungen im Streit sowohl um die Bestimmung der Kriterien und die Verteilung von Lebensqualität als auch um die Bewertung und Behandlung der Zentralrisiken keineswegs unwahrscheinlich.

Darum ist die Vermutung berechtigt, daß in dem die Risikogesellschaft hervorbringenden Modernisierungsprozeß des Spätindustrialismus eine modernisierte Variante des autoritären Sozialcharakters be-günstigt wird -Wie die vorwiegend in der älteren Generation noch vorhandenen Angehörigen des klassischen Typus des autoritären Sozialcharakters tendiert auch er zu einer Bevorzugung extremer neo-konservativer bis neo-faschistischer Politik-konzepte. Unter dem Einfluß zunehmender subjektiver Irritation und Bedrängnis durch objektive Risikofaktoren vermag sich diese Tendenz zu verstärken. Unterstützung fänden damit ausgerechnet diejenigen, die schon heute um den Preis der Beschneidung von freiheitlicher Demokratie oder von Rechts-und Sozialstaatlichkeit „eine politische Absicherung bzw. Forcierung sowohl der Risikoproduktion als auch der . Individualisierungs-Schübe . . . maßgeblich“ zu verantworten haben

Politische Bildung kann und darf darauf nicht bloß mit einer allgemeinen aufklärerischen Wissens-und Erklärungsvermittlung über den aktuell vorfindlieben Konstitutionsrahmen politischer Sozialisation reagieren. Sie wird darüber hinaus den Betroffenen mit äußerster Behutsamkeit Möglichkeiten, sich ihrer eigenen Biographie bewußt zu werden, anbieten müssen. Schließlich wird sie mit den Heranwachsenden ebenso wie mit den bereits Erwachsenen erarbeiten müssen, warum, in welcher Hinsicht und wie die Lebensbedingungen mikro-bzw. makropolitisch gestaltet werden könnten oder müßten, um die Risikogesellschaft zugunsten humaner Existenz umzuwandeln. 1 Objektive Gegebenheiten als Resultat politisch-gesellschaftlicher Strukturveränderungen Die Risikogesellschaft enthält nicht bloß soziale Erosionen mit Ausstrahlung auf die politische Sozialisation. Ihr wohnt auch eine allmähliche Transformation des politischen Systems inne. Dabei wird die Zuspitzung der bisherigen Entwicklung im Umbruch sichtbar: „Die Industriegesellschaft labilisiert sich in ihrer Durchsetzung selbst. Die Kontinuität w‘rd zur . Ursache“ der Zäsur.“ 23) Indem dadurch aber die Möglichkeit eines Abschlusses der Moderne in einer total-zerstörerischen Globalkatastrophe offenkundig wird, geraten deren Grundlagen selbst ins Zwielicht.

Ursprünglich waren „in den Entwurf der Industriegesellschaft . . . aufvielfältige Weise — etwa in die Schematikvon . Klassen*,, Kleinfamilie*, , Berufsarbeit*, in dem Verständnis von , Wissenschaft*, . Fortschritt*, . Demokratie* — Bauelemente einer industriell-immanenten Traditionalität eingelassen, deren Grundlagen in der Reflexivität von Modernisierungen brüchig . . . werden . . . Die . . . epochalen Irritationen sind durchweg Ergebnis des Erfolges von Modernisierungen, die jetzt nicht mehr in, sondern gegen die Bahnen und Kategorien der Industriegesellschaft verlaufen.“ Das heißt, daß die fortschrittlichen gesellschaftlichen Einrichtungen und Ordnungsprinzipien, die seit der Aufklärung hervorgebracht wurden und die den Industrialismus absichem, nunmehr allmählich sich auflösen oder massive nachteilige Wirkungen zu entfalten beginnen. Die Erosion des Geflechts politischer Institutionen liefert dafür ein wichtiges Beispiel: „Einerseits werden mit der Industriegesellschaft der Anspruch und die Formen der parlamentarischen Demokratie durchgesetzt. Andererseits wird der Geltungsradius dieser Prinzipien halbiert. Der subpolitische Neuerungsprozeß des . Fortschritts* verbleibt in der Zuständigkeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, für die demokratische Selbstverständlichkeiten gerade außer Kraft gesetzt sind.“ Die Aufspaltung in Subpolitiken — d. h. die Auslagerung von existentiellen Entscheidungen aus der öffentlich kontrollierbaren Verantwortung von Regierungen, Parlamenten und Parteien in abgeschirmte Expertengremien oder in die Privatwirtschaft beispielsweise — geht der Risikogesellschaft nicht nur voraus, sondern auch als ein Risiko in sie ein. Im Gefolge der Pluralisierungstendenz wird sie noch potenziert. Denn eine Vielzahl partikular interessierter Gruppen greift nun — ohne ihrerseits immer ausreichender öffentlicher Kontrolle ausgesetzt zu sein — vermehrt in die Auseinandersetzungen um öffentliche Angelegenheiten ein, macht sich selbst und thematisch begrenzte Anliegen öffentlich, wird zu einem zusätzlichen Politikträger. Neue soziale Bewegungen und ihre Fraktionierungen ebenso wie populistische Parteien, die nur noch an Einzelanliegen für gesellschaftliche Teilgruppen orientiert sind, zeigen das überdeutlich.

Unabhängig davon, daß der gesellschaftliche Auflösungsprozeß genausowenig wie die „schleichende Entmachtung der politischen Institutionen, die . Entgrenzung*, . Generalisierung* und . Zentrumslo-sigkeit’ von Politik“ abgeschlossen ist, erweist sich der momentane Zustand als ambivalent:

Einerseits bedeutet die Individualisierung, wie sich exemplarisch an der Auflösung überkommener geschlechtsspezifischer Rollenmuster und patriarchaler Familienstrukturen nachweisen läßt, nicht einfach nur einen Verlust. Tendenziell läuft „sie — wenn schon nicht automatisch, so doch bei entsprechender Politisierung — auf die Schwächung herrschaftssichernder Strukturen hinaus“ Insofern könnte sie einen Demokratisierungseffekt bedeuten. In ähnlicher Weise liegen in der Individualisierung und Entstehung der erläuterten Subpolitiken Chancen für eine Überwindung „überkommener politischer Loyalitäten und die Herausbildung einer auf selbsttätiger Interessenswahrnahme der Bürger basierenden politischen Partizipationskultur“ Die gewissermaßen von der Risikogesellschaft selbst aufgenötigte . differentielle Politik“, nämlich die Zersplitterung in viele Instanzen der Willensbildung und Entscheidungsfindung, läßt sich gewiß als humanes Gestaltungspotential werten.

Andererseits ist zu bedenken, daß die Risikogesellschaft keineswegs eine völlig neue Gesellschaftsformation, sondern eine historisch spezifizierte Form des Kapitalismus ist Unter solchen Vorzeichen sind die allenthalben beobachtbare Entstaatlichung und Vergesellschaftung der Politik lediglich „die Kehrseite einer weitaus wirkungsvolleren Zentralisierung ökonomisch-politischer Macht bei den . Positionseliten“ in Wirtschaft, Politik und Militär. Neue Massenbewegungen und basisdemokratische Ansprüche sind nicht einfach Reflex . wahrgenommener Demokratie“, sondern ebenso Reaktion auf die Einschränkung von Bürgerrechten, die Perfektionierung von Kontroll-und Überwachungsinstanzen und den Ausbau staatlich-militärischer Gewaltapparate.“ Die Ausdehnung partikularer Subpolitik kann davon sogar ablenken und die affirmative Suggestion freiheitlicher Vielfalt nähren.

Der Tendenz nach bedeutet die widersprüchliche Situation keinen Schwebezustand der Unentschiedenheit. Hingegen zeichnet sich bereits in Umrissen eine systemimmanente Lösung der Antinomie ab: — Die Wirksamkeit des autoritären Sozialcharakters alten und neuen Typs sowie simple Gewohnheiten führen selbst bei Nutznießern und orthodoxen Verfechtern konventionalistischer wie unkonventionalistischer Subpolitiken trotz offenkundiger Steuerungsprobleme des Staates zu einer übersteigerten Erwartung an das herkömmliche politische System hinsichtlich einer Bewältigung der unmittelbaren Globalrisiken und ihrer Folgen Die etablierte Politik gerät damit in die „Zwickmühle entweder angesichts der systematisch produzierten Gefahren zu versagen, oder aber durch autoritäre, ordnungsstaatliche Stützpfeiler demokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen“ — Die Bevorzugung der zweiten Möglichkeit erscheint aus vorherrschenden karriereristisch und/oder gesinnungsethisch motivierten Effizienzerwägungen heraus wahrscheinlich, wenn auch keineswegs wirklich aussichtsreich. Sie würde aber vermutlich eine Einschränkung des Handlungsspielraums für die Subpolitiken insgesamt oder zumindest für nicht opportune Subpolitiken — und damit eine Preisgabe der humanen Gestaltungsund Demokratisierungspotentiale — nach sich ziehen. Konsequenz wäre dann wohl eine Art Meta-Modernisierung autoritär-chauvinistischer Herrschaft im Rahmen formaler Demokratie bzw. nach deren Beseitigung.

Der einseitige Ausbau der Sphäre der Subpolitiken kommt als Alternative dazu nicht in Betracht. Dafür sind folgende Gründe maßgeblich:

Erstens ist die weitgehende partikularistische Interessiertheit der Subpolitiken nicht ohne weiteres imstande, ein Allgemeininteresse zu bestimmen und zu verwirklichen. Das läßt sich in den Ergebnissen politischer Sozialisation zumal an den gegenwärtig mit zunehmendem Trend vorfindlichen „leitenden Orientierungsmustern von Jugendlichen erkennen .. (So) dominiert gegen Ende der 80er Jahre eher das pessimistische, gewissermaßen .defensive'der Selbstbehauptung. . . gegenüber bedrängenden Risikolagen, die die Wege zur Realisierung von Lebensplänen einschränken, . . . und im politischen Kem das Konzept der . Sicherung“ Die noch vor wenigen Jahren häufige politische Motivation zur Beteiligung am Wohle der Allgemeinheit ist mehrheitlich einem individualistischen Bedürfnis nach Eigennutz gewichen.

Zweitens bedeutet der Verzicht auf ein Steuerungszentrum insofern einen Rückschritt hinter bereits erreichte Errungenschaften, als damit auf einen Ort der Bündelung, Filterung und Vermittlung disparater Interessen kein Wert mehr gelegt wird, obwohl er in hochkomplexen Massengesellschaften dringender benötigt wird denn je. „Völlig unklar bleibt, wie eine Gesellschaft ohne Steuerungszentrum die sich auftürmenden, nach internationaler System-planung drängenden globalen Bedrohungen entschärfen soll. Letztendlich ist . differentielle Politik'nicht einmal trennscharf gegenüberjenen konservativen Modernisierungskonzepten, die Dezentralisierung lediglich als Mittel begreifen, um die Machtstellung der Positionseliten . . . unangreifbar zu machen,“

In dieser Situation wäre die Politische Bildung schlecht beraten und wohl überhaupt nicht mehr legitimationsfähig, wollte sie Partei nehmen für eine Rückkehr zu staatsapologetischer Institutionenkunde oder eine anbiedemde Flucht in eine qualifikatorische Unterfütterung der neuen sozialen Bewegungen oder ausgewählter privater Politikträger bevorzugen. In der Risikogesellschaft wird geradezu evident, was der schon früher formulierte Anspruch an eine pluralistische Dienstleistungsfunktion der Politischen Bildung heißt: inhaltlich spezifizierte, aber problemlösungs-offene Vermittlung von Lebenskompetenz für unterschiedliehe gesellschaftliche Perspektiven angesichts sozioökonomisch und weltanschaulich heterogen zusammengesetzter Adressatengruppen 3. Vermittlungsmöglichkeiten als Entwicklungschance Perspektivenreich ist demgegenüber die Anbahnung von Koordination und Vermittlung zwischen dezentralen Subpolitiken untereinander und mit einem funktionstüchtigen Steuerungszentrum. Zur Voraussetzung hat dies dreierlei: — die Befähigung der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum subpolitischen Handeln sowie zum Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern anderer Subpolitiken und der Steuerungszentren nebst Interessenprüfung und -integration; — die Erweiterung von Kompetenzen zur wirksamen Kontrolle und zur konstruktiven Kritik der Einrichtungen, Vorgänge, Entscheidungen und Handelnden der weiterhin auf der Ebene von Parlamenten mit Regierungsmehrheiten anzusiedeln-den Steuerungszentren; — die Vorbereitung auf eine vitale politische Streit-kultur als Praxis der Vermittlungsleistungen zwischen Subpolitiken und Steuerungszentren, unter Einschluß nicht bloß unterhaltsam, sondern aufklärerisch informierender Massenkommunikation und mit institutionalisiertem personellen Austausch zwischen Subpolitiken und Steuerungszentren.

Eine Zweckbindung dieses Projekts ist unerläßlich: Es muß darum gehen, die Globalrisiken auf adäquate Weise zu bewältigen, also so, daß sie sachangemessen, ohne Produktion neuer Risiken und nicht zu Lasten einzelner Personen-bzw. Personengruppen unter Wahrung von Privilegien anderer gehandhabt werden. Dazu ist die Erarbeitung eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses zumindest in den wichtigsten Überlebensfragen und einer verallgemeinerungsfähigen Ethik für die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen eines würdevollen Lebens unerläßlich.

Im Gegensatz zu ihrer momentanen gesellschaftlichen Marginalisierung erfährt die Politische Bildung angesichts solcher Überlegungen einen enormen Bedeutungszuwachs. Denn ihr wird es obliegen, quasi-kompensatorisch für die in der geläufigen politischen Sozialisation erlittenen Defizite, den Subjekten den Erwerb der notwendigen Fähigkeiten zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern. In den Schulen käme es dabei primär auf vorbereitende, in den außerschulischen Bildungseinrichtungen mehr auf verstärkende und die Einbindung der Menschen in die Politik begleitende Serviceleistungen an.

Schulische wie außerschulische Bildungseinrichtungen dürfen den Unterschied zwischen ihrem eigentlichen Auftrag (Ermöglichung von Lerndiskursen und Reflexionsprozessen) und politischer Betätigung (strategisches Handeln) nicht verwischen. Sie haben sich gleichwohl insofern als subpolitischer Ort zu begreifen, als sie die Lernprozesse nach demokratischen Prinzipien gestalten und deshalb einen Vorschuß auf Mündigkeit gewähren sollten. Zugleich könnten viele Stätten der Politischen Bildung, insbesondere die Akademien und ähnliche Tagungseinrichtungen, mehr und mehr zu einem Forum der politischen Streitkultur ausgebaut werden. Immerhin ist es in diesem Rahmen möglich, entlastet von Handlungszwängen auf lustvolle Weise Diskurse anzubahnen und zu vertiefen. Die Beteiligung von Repräsentantinnen und Repräsentanten der Subpolitiken und Steuerungszentren, von organisierten und nicht-organisierten Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern über die Grenzen des individualisierten Lebens hinweg, birgt in sich ungeahnte Chancen einer Politikvermittlung, die mehr ist als lineare Kommunikation und werbepsychologisch kalkulierte Selbstdarstellung von Herrschaftseliten Wenn das die — im übrigen durchaus produktive — Diskrepanz zwischen pädagogischem und politischem Handeln um die Gefahr praktischer Folgenlosigkeit des Lernens verringert, ist es gewiß kein Nachteil.

III. Einige Antworten der Politischen Bildung auf gravierende Problemlagen der Risikogesellschaft

1. Vordringliche und realistische Aufgabenstellungen Trotz all ihrer Bedrohlichkeit nötigt die Risikogesellschaft keinesfalls zum Pessimismus. Fatalistische Deutungen gehören allein in das Arsenal derjenigen Politik-und Pädagogikkonzepte, die ansonsten mit den Mitteln des Biologismus, Nationalismus, Rassismus oder Autoritarismus operieren. Es gehört aber zur Dialektik der Risikogesellschaft, daß sie in sich Potenzen der Selbstüberwindung enthält

Besonders ermutigend sind drei Möglichkeiten einer , List der Ohnmacht 1: „Erstens: Strategien der Denormalisierung von Akzeptanz. Gemeint sind damit Strategien, die zeigen, wie unsicher technische Systeme sind, die mit ihrer Sicherheit werben . . . Zweitens: Strategien der Aufhebung des Technikermonopols. Wiederum ist es der Sicherheitsanspruch technischer Systeme, der gegen sie selbst ausgespielt werden soll. Die Politik muß das Feld wieder erobern, das sie kampflos den Technikern abgetreten hat. Besonders die systematische Einbeziehung von Gegenexperten will . . . zur Sicherheitsgewinnung (genutzt sein). Drittens: Die Umkehr von Beweislasten und die Herstellung von Zurechenbarkeit.“

Von diesen Möglichkeiten erfordert „besonders die letzte Strategie das kämpferische Engagement des politischen Systems . . . Und herausgefordert werden auch die Institutionen, die unmittelbar an der Warenproduktion beteiligt sind: die Gewerkschaften. Ihnen (droht) . . .der Weg aufs historische Abstellgleis . . ., wenn sie weiterhin die . . . zentrale gesellschaftliche Frage als nachrangiges Problem behandeln . . . Wenn sowohl die Weise der Produktion wie die Qualität des Produkts menschheitsvernichtenden Charakter annehmen können, dann muß Gewerkschaftspolitik mehr als Lohn-und Arbeitszeit umfassen, sie muß auch eine Produktpolitik entwickeln.“

An alledem ist richtig, daß die Lösung der drängendsten Probleme der — allerdings gewalt-freien — kämpferischenpolitischen Auseinandersetzung aufgegeben ist. Dabei besteht eine der größten Schwierigkeiten nicht in einem Selbstpolitisierungsdefizit der Techniker und Kapitaleigner. Im Gegenteil: Ihre Gruppe bildet bereits jetzt eine gewaltig expandierende Subpolitik innerhalb und außerhalb von Steuerungszentren „Wenn die Macht der Technokratie an ihren eigenen Standards (von Sicherheit) scheitert, das Scheitern oder, anders formuliert: die Wiederinstandsetzung der Politik aber erst Resultat eines politischen Kampfes sein kann, dann kommt alles darauf an, welche Gruppen die Macht dafür erringen können. Weil heute alle politischen und sozialen Lager in Gegner und Befürworter von Umweltpolitik gespalten sind, wird eine Entmachtung der Technokratie nur möglich sein, wenn sich neue politische Koalitionen quer zu den tradierten Institutionen dauerhaft etablieren können.“

Politische Bildung kann die kämpferische politische Auseinandersetzung nicht ersetzen, ja, noch nicht einmal anempfehlen, wie und von wem sie befriedigend zu führen und zu gewinnen ist. Ihr kommt jedoch Problematisierungskompetenz zu: Sie kann und muß das Erfordernis der kämpferischen politischen Auseinandersetzung, die darum geführten Kontroversen, die voraussehbaren Konfliktzonen, verschiedenartige Konzepte für die Form der Auseinandersetzung und die divergierenden Programme für die Risikobeseitigung, um deren Durchsetzung gekämpft wird, aufzeigen und zur Disposition stellen. Außerdem obliegt es ihr, die etwaigen Folgen der Realisierung oder Unverwirklichbarkeit verschiedenartiger politischer Programme der Risikobekämpfung erörtern zu lassen. Und nicht zuletzt muß sie alternative Möglichkeiten der Beteiligung an der kämpferischen politischen Auseinandersetzung für die mittelbar und unmittelbarBetroffenen erarbeiten, wenigstens teilweise erproben und umfassend in Frage stellen lassen. 2. Notwendige und praktikable Konzeptkonturen Das Erfordernis Politischer Bildung muß nicht erst sozusagen von außen willkürlich an die Risikogesellschaft herangetragen werden, sondern erwächst aus der von ihr ausgehenden Bevormundung der Menschen. Immerhin heißt es im Resümee der Analyse der Risikogesellschaft, es würde am besten sein, „es wäre kulturell erfahrbar, worüber gestritten und verhandelt wird. Die Folgen des Fortschritts würden die Menschen nicht nur verletzen, diese Verletzung wäre auch als (lästige) Erfahrung allen präsent . . . Genau daran entscheidet sich die Zukunft der Demokratie: Sind wir in allen Einzelheiten der Überlebensfragen von Experten, auch von Gegenexperten abhängig, oder gewinnen wir mit der kulturell hergestellten Wahrnehmbarkeit der Gefahren die Kompetenz des eigenen Urteils zurück? Lautet die Alternative nur noch: autoritäre oder kritische Technokratie? Oder gibt es einen Weg, der Entmündigung und Enteignung des Alltags in der Gefahrenzivilisation entgegenzuwirken?“

Entmündigung und Enteignung beziehen sich in der Spätmoderne vor allem auf die menschlichen Sinne, vermittels der Produktion von Risiken, die sich unmittelbarer Wahrnehmung entziehen Aber auch die Verringerung von Möglichkeiten der Primärwahrnehmung bei vermehrter durch die Massenmedien vermittelter Kommunikation und von schwindenden Erfahrungsfeldern für sinnlich-konkretes Erleben gehört dazu. Nicht zuletzt ist es die Entfremdung der Subjekte gegenüber ihrer Arbeit, der gesamtgesellschaftlichen Existenz, der Gesamtheit der Politik und sich selbst gegenüber, die sie eschleunigt. Und all das geschieht, ohne daß die traditionalen Formen von Entmündigung und Enteignung — nämlich: Fremdbestimmung durch erschaftseliten, psycho-physische Ausbeutung im Produktionsprozeß und materielle wie immate— rielle Besitzlosigkeit — bereits aufgehoben wären. Die Risikogesellschaft legt damit nicht nur Politische Bildung schlechthin nahe, sondern begründet auch unwillentlich die Angemessenheit längst vorliegender bestimmter Konzepte Politischer Bildung — solcher nämlich, die auf die Ermöglichung, die Erhaltung und die Erweiterung von Selbstverfügungsfähigkeit der Menschen als Individuen, Gruppenmitglieder und Gattungsangehörige hinauswollen Es sind dies Konzepte, welche in Politischer Bildung nicht bereits die Selbstverwirklichung, sondern allenthalben die Erarbeitung wesentlicher Voraussetzungen dafür wähnen. Zu ihren hauptsächlichen Prinzipien gehören unter anderem: die Thematisierung des Bedeutsam-Allgemeinen, die Orientierung der sachlichen Auseinandersetzung an den Lebenslagen der Lernenden und der kontroverse Umgang mit Ungewißheiten der Wirklichkeit und ihrer sozialwissenschaftlichen Reduktion.

Die Herausforderungen der Risikogesellschaft erinnern nicht nur an diese Prinzipien, sondern liefern auch die Folie für ihre inhaltliche Konkretisierung angesichts der neuen historischen Situation. An drei Beispielen kann das deutlicher werden: — Die Bedrohungspotentiale der Risikogesellschaft liefern so etwas wie die entscheidenden Schlüsselprobleme der Gegenwart und der nahen Zukunft. Sie sind die Summe oder Zuspitzung dessen, was alle Menschen angeht. Zugleich sind sie exemplarisch für das Ineinander von Institutionen, Interessen, Prozessen, Konflikten und Wertedispositionen unterschiedlichster Art. Sie repräsentieren politisch-gesellschaftliche Komplexität in all ihrer Widersprüchlichkeit. Selbst können sie durchaus exemplarisch erschlossen werden. — Die Kontakt-und Kommunikationsarmut des heutigen Menschen macht emotional befriedigende und inhaltlich gehaltvolle Begegnungen erforderlich. Dabei kommt es darauf an, geläufiges Wahrnehmen und Denken zu relativieren. Wichtig sind ein Angebot von Gegeninformationen, die Erarbeitung von Sensibilisierungs-, Interpretationsund Bewertungskriterien, Kontrasterfahrungen, Empfindungs-und Gedankenaustausch, Orientierungswissen und Strukturierungshilfen, Einübung von Fähigkeiten zur (Re-) Konkretisierung und (Re-) Abstraktion. Das muß gekoppelt sein mit Ermutigung, Förderung von Widerspruch und Forderung nach konzentrierter Versenkung in die Zusammenhänge von Sachverhalten. Die individuelle Befindlichkeit soll Thema sein, aber nur in Verbindung mit/der Analyse politisch-gesellschaftlicher Verhältnisse. — Die Beschäftigung mit ausgewählten Problemen der Wirklichkeit der Risikogesellschaft erfordert, zumindest propädeutisch, die prüfende Anwendung sozialwissenschaftlicher Basiserkenntnisse und Verfahren. Mit ihrer Hilfe ist auch zu diskutieren, ob das sozialwissenschaftliche Konzept der Risikogesellschaft angemessen, plausibel und im wesentlichen argumentativ haltbar ist. Die darum geführten innerwissenschaftlichen Kontroversen sind notwendig Gegenstand des Lernens. Sie führen zu der Auseinandersetzung mit alternativen Diagnosen der Spätmoderne, z. B. auf der Grundlage orthodox-marxistischer, linker wie rechter postmodemistischer, alt-und neo-konservativer Theoreme.

Die Inbeziehungsetzung der einzelnen Ebenen zueinander kann vor einer Ausflucht in allgemeine Unverbindlichkeiten ebenso schützen wie vor einer Verzettelung in unerhebliche Detaillierungen. Die Grenzmarken bilden die Voraussetzungen, den Fluchtpunkt die Akzente, die oben skizziert wurden. Der Risikobegriff muß dabei auch den Charakter einer didaktisch-methodischen Schlüsselkategorie haben. Denn er hilft, die vorfindliche Problemkomplexität zu erschließen — und zwar in einer Weise, die aus dem kontroversen Denken in der Politischen Bildung kein simples Pro-und-Contra-Schema macht, bei dem wie in einem Nullsummenspiel Vor-und Nachteile verrechnet werden und gleichgewichtig erscheinen 3. Angezeigte und nützliche Bewährungen Mitnichten ist also die Auflösung von Aufklärungspädagogik und Erwachsenenbildung in eine Endzeit-Pädagogik zu fordern, die sich wehleidig dem Weltenlauf hin-und jegliche Rationalität aufgibt Die Dialektik der Aufklärung fordert heute nicht einen Bruch mit der Aufklärung, sondern ihre Radikalisierung: Aufklärung der Aufklärung. Politische Bildung bietet ein Medium dafür. Daß sie auf Vernunftkriterien besteht, ist keine trotzige Blindheit gegenüber der Einmündung der Moderne in die aufgezeigten Großrisiken der Gegenwartsge-Seilschaft.Es ist im Sinne einer Mobilisierung vernachlässigter Potenzen der Moderne eine konsequente Ausschöpfung der großen Chance der Risikogesellschaft selbst. Denn in dieser „werden auch die Prinzipien der Moderne gegen ihre industriegesellschaftliche Halbierung eingeklagt“

Aufklärung als Ausweg aus von Menschen verschuldeter Unmündigkeit und Vernunft als Befreiung aus Zwängen aller Art sind in den Konturen der Risikogesellschaft noch längst nicht überflüssig oder aussichtslos, sondern müssen sich gegen sie überhaupt erst noch bewähren — und lassen sich doch gerade dadurch bewahren. Wenn es stimmt, daß sich Persönlichkeitsentwicklung mit Aussicht auf ich-starke Identitätsmuster durch die Bewältigung von Krisen ereignet hat Politische Bildung ihre Bewährungsprobe noch vor sich. Sie kann sie nur bestehen, insofern es ihr gelingt, das Widerspruchsvolumen der Risikogesellschaft (globale Bedrohungen und Handlungsperspektiven vor Ort) in innerpersonale Konflikte (kognitive Dissonanzen, Verunsicherung von Naivität, Provokation von Aktivität) umzuformen — und den Individuen bei der produktiven Verarbeitung der dadurch neu entstehenden und ohnehin schon vorhandenen Spannungszustände durch Erweiterung von Lebenskompetenz behilflich zu sein.

Wie wichtig das ist, läßt sich am vielfältigen Leidensdruck der Menschen ablesen, in denen die objektiven Lebensverhältnisse ihren subjektiven Abdruck finden Die Frage, ob angesichts aller damit verbundenen Verdrängungen aus den katastrophischen Zügen der Moderne gelernt werden kann wird eine positive Antwort nur erhalten, wenn Politische Bildung gelingt. Denn das, was die systemsprengende List der Ohnmacht in Gang bringt, wird sich nicht automatisch ereignen: „Es muß schon daraufgeschoben werden.“ Ohne Einsicht in Gesetzmäßigkeiten, Kenntnis über Eingreifmöglichkeiten und Überwindung falscher Deutungsschemata wird veränderndes Handeln nicht entstehen.

Ein Satz, Tatsachenfeststellung und Postulat in einem, der schon früher im Überlebensinteresse die Legitimation für Bildung formelhaft zusammenfaßte, hat in der Risikogesellschaft an Aktualität hinzugewonnen und berührt die Politische Bildung daher in besonderer Weise: „Die Gesellschaft muß so . . .sein, daß sie ihr menschliches Ziel kennt und die Gefährdung, in der sie sich befindet. Zwischen Ziel und Gefährdung ist der Weg zu finden. Bewußtsein ist alles. “

IV. Risiko der Risikogesellschaft — ein Ausblick

Im dialektischen Gesamtzusammenhang der Risikogesellschaft ist ein schrittweiser Fortschritt nicht zu erwarten. Als bloße Reaktion auf die bedrohlichen Zustände käme Politische Bildung zu spät; und die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse werden nicht stille stehen, bis Politische Bildung zum Abschluß gekommen ist. Hingegen ist eine Dynamisierung der Probleme zu erwarten, die eine Parallelisierung von politischen und pädagogischandragogischen Anstrengungen erforderlich macht. Auch dann besteht noch keine Garantie für Besserung.

Das Risiko der Risikogesellschaft — als Realität und sozialwissenschaftliches Konzept — besteht in der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Scheiterns der in ihr liegenden Chancen. Es ist auch dann gegeben, wenn man die Möglichkeit völliger Problemverdrängung außer Betracht läßt: -Die Fixierung eingespielter Problemlösungs-Strategien auf eine „Politik der technokratischen Entsorgung“ ist nicht nur fragwürdig, weil sie eine Strategie der Gefahrenbewältigung mit Mitteln der Gefahrenproduktion ist. Es ist kaum zu erwarten, daß sie die materiell armen Länder, die sie sich nicht leisten können, zur Erfindung geeigneterer Maßnahmen nötigt. Eher schon nimmt sie diese von einer Beteiligung an der Problemlösung aus. Der dann zu erwartende Effekt bestünde bestenfalls in einer Retardierung der Globalkatastrophe. Denn der regionale Standortvorteil der reichen Länder könnte die Gefahrenproduktion andernorts nicht in Grenzen halten. Im Vorfeld dessen würde „die wichtigste politische Folge einer Häufung von ganze Bevölkerungen depravierenden (nämlich ins psyehische und physische Elend bis zum Tod stürzenden, B. C.) Umweltkatastrophen . . ., wie schon jetzt in einigen Regionen der Dritten Welt beob-achtbar, ein massiver Ausbruch von inner-und zwischenstaatlichen Konflikten sein“ — Das sozialwissenschaftliche Konzept ist über die subtile Analyse und empirische Fundierung hinaus in vielen Punkten neben der Diagnose der Wirklichkeit auch eine Vorhersage für die Zukunft. Prognostische Hypothese ist es insofern, als es die tendenzielle Risikogesellschaft erfaßt. Wäre nämlich die den Bedrohungsgefahren eigene Totalisierung bereits wirklich total, bestünde schon keine Aussicht auf ihre Diagnose mehr. Der Vorhersagegehalt hat gelegentlich den Charakter einer — allerdings mehr als nur fiktionalen — Negativ-und Positivutopie. Geboten ist daher eine intensive Auseinandersetzung mit der Argumentation im einzelnen ebenso wie mit ihren Prämissen. In ihrem Verlauf wäre unter Berücksichtigung der realen Problem-dynamisierung das Konzept sowohl hinsichtlich seiner Beschreibungs-und Erklärungsleistungen als auch hinsichtlich seiner direkten wie indirekten Empfehlungen für die künftige Gestaltung von Alternativen im Detail zu prüfen

Anzustreben sind Problemlösungen, die allen Ländern und gesellschaftlichen Gruppen ungeachtet ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Potenzen zugänglich und verträglich sind. In ähnlicher Weise müßte die Auseinandersetzung mit dem sozialwissenschaftlichen Konzept der Risikogesellschaft dergestalt demokratisch sein, daß sie nicht nur in den Zirkeln der sozialwissenschaftlichen Intelligenz und politischen Eliten erfolgt. Der Politischen Bildung erwächst daraus die große Verantwortung für die Anbahnung eines Diskurses, der über die Popularisierung von plakativen Thesen in der massenmedialen Kommunikation und symbolischen Politik hinausgeht.

Selbstredend ist nichts dagegen einzuwenden, wenn auch in einer breiteren, also nicht nur fachlichen Öffentlichkeit die Auseinandersetzung mit den sozialwissenschaftlichen Primär-und Sekundärquellen zur Risikogesellschaft intensiviert wird. Sowohl die hochgradige Spezialisierung als auch eine Reihe lediglich innerdisziplinär wichtiger Einzelheiten werden dem aber vermutlich im Wege stehen. Politische Bildung muß daher Übersetzungsarbeit leisten: Mit wirklicher Aussicht auf Erfolg darf diese allerdings nicht darin bestehen, Textpassagen in alltags-sprachlichen Jargon zu transformieren, Elementarisierungen vorzunehmen oder einzelne, attraktiv erscheinende Versatzstücke pseudodidaktisiert, nämlich vordergründig instruktiv aufzubereiten. Damit würde bloß die aufklärerische Chance des sozialwissenschaftlichen Konzepts vertan werden, die darin besteht, eine angemessene Begrifflichkeit zu entwickeln, Zusammenhänge als Konstellation abzubilden und eher Denkprozesse zu stimulieren als Merksätze zu produzieren.

Übersetzung wäre daher auf andere Art zu leisten: zum einen als Schaffung von Gelegenheiten zur intensiven Reflexion und zum Disput mit Hilfestellungen für die Rezeption in einem Prozeß kommunikativer Aneignung; zum anderen als Inbeziehungsetzung von Risikorealität, sozialwissenschaftlichem Aussagenzusammenhang und subjektiven Befindlichkeiten in heterogenen Gruppen Lernender. Es bestünde dadurch Aussicht, die Sache für sich selbst und die Betroffenen miteinander sprechen zu lassen, Schwellenängste und andere Barrieren behutsam zu überwinden — und im Vorgang der Aneignung Rekonstruktion und Konstruktion von Theorie praxiswirksam zu kombinieren.

Das sozialwissenschaftliche Konzept der Risikogesellschaft ist von seiner ganzen Themenstellung her zugleich universalistisch und nationalspezifisch angelegt. Es beschäftigt sich mit Globalgefährdungen und mit deren Einflußnahme auf westliche Gesellschaften, insbesondere auf die Bundesrepublik Deutschland. Bei seiner Rezeption ist daher noch eine zweifache Ausdifferenzierung nötig: nach innen bezüglich weiterer politisch-gesellschaftlicher Problemlagen; nach außen hinsichtlich der Varianten der Problemmanifestation. Das Beispiel intraund international auch weiterhin bestehender Reichtumsgefälle mag als Illustration dienen.

Konsequenterweise wird zu beachten sein, daß mit einer Konzentration auf die Risikogesellschaftnicht alle bisherigen Aufgaben der Politischen Bildung als erledigt oder als marginal anzusehen sind. Ungeachtet einer sicher — auch aus anderen Gründen - nützlichen curricularen Entrümpelung müssen viele dieser Aufgaben indes vielleicht im Angesicht der Risikogesellschaft neu interpretiert und gewichtet werden. Die aus der neuen historischen Qualität erwachsenen Herausforderungen bilden dafür einen Brennpunkt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe dazu so konträre, nämlich soziologische bis biologi-Stische Einschätzungen wie die von N. Elias, Über den Pro““ der Zivilisation, Bd. 1 und 2, Frankfurt 1976, und J-Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch — das riskierte Wesen. Zur aturgeschichte menschlicher Unvernunft, München 1988.

  2. Vgl. B. Claußen, Emanzipation, in: W. Mickel/D. Zitzlaff (Hrsg.), Handlexikon zur Politikwissenschaft, Bonn 1986, S. 93-98.

  3. Siehe H. -J. Heydorn, Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft, Frankfurt 1979.

  4. Dazu M. HorkheimerfT. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Neuausgabe, Frankfurt 1986.

  5. Zu den über die Risikodebatte hinausweisenden Konturen siehe H. -H. Hartwich (Hrsg.), Gesellschaftliche Probleme als Anstoß und Folge von Politik, Opladen 1983.

  6. Zur Bandbreite der Diskussion siehe die Beiträge in H. Ackermann u. a. (Hrsg.), Technikentwicklung und Politische Bildung, Opladen 1988, sowie die dort umfangreich bibliographisch nachgewiesene Literatur.

  7. Als typische Beispiele der solideren Variante siehe einerseits C. Zöpel (Hrsg.), Technikkontrolle in der Risikogesellschaft, Bonn 1988, und andererseits S. George, Chancen und Risiken der Neuen Technologien, Stuttgart 1988. Zu den Grenzen siehe G. Tolksdorf, Gesellschaftliche Risiken und sozialwissenschaftliche Technikforschung, in: Forum Wissenschaft, 4 (1987) 4, S. 8-13.

  8. Vgl. C. F. v. Weizsäcker, Bewußtseinswandel, München 1988.

  9. Siehe dazu beispielsweise P. Lagadee, Das große Risiko. Technische Katastrophen und gesellschaftliche Verantwortung, Nördlingen 1987, und G. Beckmann (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdisziplinärer Risikoforschung, Opladen 1988.

  10. Vgl. U. Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986, und ders., Gegengifte. Du organisierte Unverantwortlichkeit, Frankfurt 1988. V& auch die sachanalytischen Beiträge in dieser Ausgabe. Ergänzend siehe noch C. Eurich. Die Megamaschine. Vom Sturm der Technik auf das Leben und Möglichkeiten des Widerstands, Darmstadt 1988.

  11. W Beck, Risikogesellschaft (Anm. 10), S. 17 f.

  12. Heitmeyer, Jugend, Staat und Gewalt in der politi-JupenRisikogesellschaft, in: W. Heitmeyer u. a. (Hrsg.), tendr u Staat — Gewalt. Politische Sozialisation von Ju-Alichen, Jugendpolitik und politische Bildung, Weinheim 'München 1989, S. 11-46, hier S. 12.

  13. Vgl. beispielsweise die Bezugnahmen von W. Gagel, Unsicheres Wissen und machtlose Politik? Sechs Thesen zu didaktischen Problemen bei der Behandlung der Neuen Technologien im Unterricht, in: H. Ackerman u. a. (Anm. 6), S. 161— 169, sowie T. Meyer, Perspektiven politischer Erwachsenenbildung in der Krise des Fortschritts, in: Lernmarkt, (1988) 25, S. 47— 64.

  14. K. Dörre, Risikokapitalismus. Zur Kritik von Ulrich Becks , Weg in eine andere Moderne*, Marburg 19882, S. 111.

  15. Zum Kernbestand der Risikogesellschaft siehe auch U. Beck, Leben in der Risikogesellschaft, in: Gegenwartskunde, 36 (1987), S. 159-170.

  16. Siehe dazu auch B. Claußen, Kritische Theorie und Bildung in der Risikogesellschaft. Zur pädagogischen Aktualität emanzipatorischer Sozialwissenschaft in der Spätmodeme, in: O. Hansmann/W. Marotzki (Hrsg.), Diskurs Bildungstheorie II: Problemgeschichtliche Orientierungen. Rekonstruktion der Bildungstheorie unter Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft, Weinheim 1989, S. 374— 404.

  17. Begründungen, Erklärungen und Beispiele bietet U. Beck, Risikogesellschaft (Anm. 10), S. 121— 248, und ders., Gegengifte (Anm. 10), S. 31 — 112.

  18. Vgl. exemplarisch W. Heitmeyer, Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation, Weinheim — München 19882.

  19. Vgl. U. Beck, Jenseits von Stand und Klasse? Soziale Ungleichheiten, gesellschaftliche Individualisierungsprozesse und die Entstehung neuer Formationen und Identitäten. in: Soziale Welt, 34 (1983), Sonderbd. 2. S. 35— 74.

  20. Vgl. W. Herbert, Orientierung zwischen der Wirklichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse und der Lebenssituation der Menschen, in: Hessische Blätter für Volksbildung, 39 (1989), S. 110-117.

  21. Siehe dazu B. Claußen, Überlegungen zur Entwicklung des autoritären Sozialcharakters in industriellen Massenge-Sellschaften: Perspektiven für eine international vergleiwende Theorie und Praxis der politischen Sozialisation, in: 8. Claußen (Hrsg.), Politische Sozialisation Jugendlicher in 25t und West, Bonn 1989, i. E.

  22. Heitmeyer (Anm. 12), S. 15. Zu den Hintergründen Katastrophenrisiko. bereits H. Henrich, Freiheitsfeindlichkeit und Der braune Faden deutscher Politik, in: Vor-IIm ’ * 178(1* 97* 8) * 4*, *S-* 5* 5 *— 65, und W. Fach, Ernstfälle und Mntälle. Die Katastrophe im konservativen Kalkül — eine Montage, in: Leviathan, 10 (1982), S. 254-272.

  23. Ebd., S. 19.

  24. Ebd.; außerdem siehe H. Gottweis, Politik in der Risikogesellschaft. in: Österreichische Zeitschrift für Politikwis-senschaft, 17 (1988), S. 3-15.

  25. So die Zusammenfassung von K. Dörre. Gesellschaft ohne Steuerungszentrum. . Risikogesellschaft“ und Form-wandel des Kapitalismus, in: Forum Wissenschaft. 5 (1988) 1, S. 50— 55, hier S. 54. Ergänzend siehe U. Beck, Risikogesellschaft (Anm. 10), S. 300— 374.

  26. K. Dörre (Anm. 26), S. 53.

  27. Ebd., S. 54.

  28. Daß auch der real existierende Sozialismus dazu tendiert, hängt wohl damit zusammen, daß er den Kapitalismus nicht wirklich überwunden hat, mit ihm dasselbe Zivilisationsmodell teilt, sich ihm neuerdings wieder annähert und sich auf seine Mechanismen auf dem Weltmarkt einlassen muß. Siehe dazu R. Damus, Die Legende von der Systemkonkurrenz. Kapitalistische und realsozialistische Industriegesellschaft. Frankfurt-New York 1986. Des weiteren vgl. G. -J. Glaeßner, Modernisierung des Real-Sozialismus? Überlegungen zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in den sozialistischen Ländern Mittel-Osteuropas und der DDR, in: Perspektiven des Demokratischen Sozialismus, 6 (1989), S. 113-117.

  29. K. Dörre (Anm. 26), S. 54; Hervorhebungen von B. C.

  30. Vgl. dazu H. Klages u. a., Sozialpsychologie der Wohlfahrtsgesellschaft. Zur Dynamik von Wertorientierungen, Einstellungen und Ansprüchen, Frankfurt-New York 1987. passim. Außerdem siehe B. Claußen, Politische Persönlichkeit und politische Repräsentation. Zur demokratietheoretischen Bedeutung subjektiver Faktoren und ihrer Sozialisa tionsgeschichte, Frankfurt 1988.

  31. W. Heitmeyer (Anm. 12), S. 15, mit wörtlicher Bezugnahme auf U. Beck, Die Gefahr verändert alles. Über das Leben in der Risikogesellschaft, in: Die Zeit, Nr. 40/198 • S. 92.

  32. W. Heitmeyer (Anm. 12), S. 17.

  33. K. Dörre (Anm. 26), S. 54; Hervorhebungen von 8. C.

  34. Siche H. Giesecke. Die Schule als pluralistische Diensteistung und das Konsensproblem in der politischen Bildung. : S. Schiele/H. Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung, Stuttgart 1987, S. 56-69. Es ist zweifelbar, ob in außerschulischen Bereichen materialiter Parteiliche Konzepte statthaft sind und/oder überhaupt noch olitische Bildung genannt werden können. Vgl. exemplasch dazu W. Simon, Politische Bildung durch Parteien?

  35. Vgl. U. Sarcinelli, Politikvermittlung als eine Herausforderung für Politikwissenschaft und politische Bildung, in: Materialien zur Politischen Bildung, 16 (1988) 3, S. 11— 20.

  36. Im einzelnen siehe dazu U. Beck, Gegengifte (Anm. 10), S. 115 -295.

  37. So die Zusammenfassung von R. Erd, Beginnt die Aufklärung von neuem? Ulrich Beck diagnostiziert . Gegengifte'im System der organisierten Unverantwortlichkeit, in: Frankfurter Rundschau, Nr. 292/1988, S. VB 6. Zu den Einzelheiten siehe U. Beck, Gegengifte (Anm. 10), S. 273 ff.

  38. R. Erd (Anm. 38), S. VB 6.

  39. Siehe dazu H. Dubiel, Politik und Technik, in: Sozialwissenschaftliche Informationen, 15 (1986) 1, S. 5- 12.

  40. R. Erd (Anm. 38), S. VB 6.

  41. V Beck, Gegengifte (Anm. 10), S. 293.

  42. Zur Erläuterung siehe U. Beck (Anr. 15), S. 160 ff.

  43. Zur Synopse, Systematisierung und Weiterentwicklung solcher Konzepte siehe B. Claußen, Politische Bildung und Kritische Theorie. Fachdidaktisch-methodische Dimensionen emanzipatorischer Sozialwissenschaft, Opladen 1984, und W. Sander, Zur Geschichte und Theorie der politischen Bildung. Allgemeinbildung und fächerübergreifendes Lernen in der Schule, Marburg 1989.

  44. Weitere Hinweise dazu bei B. Claußen, Menschheitsbedrohung, Aufklärung und Politikdidaktik. Bemerkungen zur herrschaftskritischen Bildungsarbeit int Zeitalter Neuer Technologien, in: K. -H. Braun u. a. (Hrsg ), Jahrbuch für Kritische Erziehungswissenschaft, Bd. 1, Marburg 1987, S. 78— 115, und B. Claußen, Neue Technologien, politisch-gesellschaftliche Entwicklung und die Aufgaben Politischer Bildung. Eine sozialwissenschaftlich-fachdidaktische Skizze ihres Verhältnisses, in: H. Ackermann u. a. (Anm. 6), S. 171— 211, hier insbesondere S. 203 ff.

  45. Zur Kritik daran aus gegebenem Anlaß siehe auch B. Fichtner, , Endzeit-Pädagogik* — Neue Variante einer alten Misere, in: päd. extra und demokratische erziehung, 1 (1988) 11, S. 28-30.

  46. U. Beck, Risikogesellschaft (Anm. 10), S. 20.

  47. Dazu: R. S. Jäger, Persönlichkeit als Prozeß: Ein Beitrag zur Anwendung der Katastrophentheorie, in: Zeitschrift für internationale erziehungs-und sozialwissenschaftliche Forschung, 5 (1988), S. 95 — 118.

  48. Vgl. H. Moser/T. Leithäuser (Hrsg.), Bedrohung und Beschwichtigung. Die politische und die seelische Gestalt technischer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Gefährdungen, Weinheim 1987. Zu den Auswirkungen übersteigerter Angst und Sicherheitsbedürfnisse siehe auch H. Theisen, Katastrophenstimmung und freiheitliche Demokratie. Gefährdungen, Grenzen und Möglichkeiten freiheitlicher Poli-tik in den prognostizierten Bedrohungsfeldern unserer Zukunft, Köln 1985.

  49. Vgl. C. Perrow, Lernen wir etwas aus den jüngsten Katastrophen?, in: Soziale Welt, 37 (1986), S. 390— 401.

  50. R. Erd (Anm. 38), S. VB 6.

  51. H -J. Heydorn, Überleben durch Bildung. Umriß einer Ussicht, in: H. -J. Heydorn, Ungleichheit für alle. Zur Neulassung des Bildungsbegriffs, Frankfurt 1980, S. 282-301, I WS. 301; Hervorhebungen von B. C. Der besondere Stelenwert Politischer Bildung innerhalb der Allgemeinbildung Kultiert daraus, daß die bildungsrelevanten Schlüsselpro-

  52. H. Gottweis (Anm. 25), S. 13.

  53. Ebd.

  54. Hinweise dazu bieten beispielsweise die kritischen Würdigungen von R. Roth, Auf dem Weg in die Risikogesellschäft?, in: Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau. 10 (1987) 15, S. 19— 25; J. Ritsert, Risikogesellschaft, in: PVS-Literatur, 28 (1987), S. 58— 60; H. Joas, Das Risiko der Gegenwartsdiagnose, in: Soziologische Revue. 11 (1988), S. 1— 6; R. Mackensen, Die Postmoderne als negative Utopie, in: Soziologische Revue, 11 (1988), S. 6— 12.

Weitere Inhalte

Bernhard Claußen, Dr. phil. habil., Dipl. -Päd., geb. 1948; Professor am Institut für Didaktik der Politik an der Universität Hamburg; Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft und Sozialkunde an der Universität Lpneburg; Vorsitzender des Research Committee on Political Education der International Political Science Association; Vorstandsmitglied der Sektion Politische Wissenschaft und Politische Bildung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Veröffentlichungen u. a.: Politische Bildung und Kritische Theorie. Fachdidaktisch-methodische Dimensionen emanzipatorischer Sozialwissenschaft, Opladen 1984; Didaktik und Sozialwissenschaften. Beiträge zur Politischen Bildung, Aachen-Braunschweig 1987; Politische Persönlichkeit und politische Repräsentation. Zur demokratietheoretischen Bedeutung subjektiver Faktoren und ihrer Sozialisationsgeschichte, Frankfurt 1988.