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Hochschulen in Europa Studiengänge, Studiendauer, Übergang in den Beruf | APuZ 50/1989 | bpb.de

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APuZ 50/1989 Artikel 1 Expansion und Wettbewerb im Hochschulsystem Beschäftigungssituation und -perspektiven für Hochschulabsolventen Hochschulen in Europa Studiengänge, Studiendauer, Übergang in den Beruf

Hochschulen in Europa Studiengänge, Studiendauer, Übergang in den Beruf

Ulrich Teichler

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Zusammenfassung

Aus Politik und Zeitgeschichte, B 50/89, S. 25— 39 Ein Vergleich von Hochschulsystemen in Europa wird oft vorgenommen, um unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen und deren Eignung für das eigene Land zu überprüfen. Zugleich ist das Interesse am innereuropäischen Vergleich gewachsen, weil ein großer Anstieg der Mobilität von Studierenden und Absolventen in naher Zukunft erwartet wird. Informationen über die Arten von Studiengängen und Hochschulen, die erforderliche und die tatsächliche Dauer des Studiums sowie über die Beziehungen zwischen Studium und Beruf in ausgewählten europäischen Ländern machen erhebliche Unterschiede deutlich und zeigen, daß innerhalb der achtziger Jahre die Hochschulsysteme Europas insgesamt einander nicht ähnlicher geworden sind. So besuchen in Italien fast alle Studierende universitäre Langstudiengänge, dagegen in Norwegen etwa drei Viertel der Studienanfänger Kurzstudiengänge. Die durchschnittlich erforderliche Dauer für das Studium bis zu einem ersten universitären Abschluß beträgt in Großbritannien etwa dreieinhalb Jahre, in Spanien dagegen über fünf Jahre. Studienzeitverlängerungen sind in Großbritannien kaum üblich, dagegen gehen sie in Finnland, Italien und Österreich im Durchschnitt 50 Prozent oder mehr über die offiziell erforderliche Studienzeit hinaus. Die Zahl der Hochschulabsolventen, die etwa ein Jahr nach Studienabschluß inadäquat beschäftigt zu sein scheinen, wird in verschiedenen Studien zwischen drei und über 30 Prozent geschätzt; dabei sind unterschiedliche Maßstäbe in den wissenschaftlichen Analysen für die Ergebnisse oft bedeutsamer als tatsächliche Unterschiede zwischen den Ländern. Der Autor kommt zu dem Schluß, daß die großen Unterschiede gerade ein Studium oder auch später eine Berufstätigkeit in einem anderen europäischen Land attraktiv machen können; auch mögen die Unterschiede als weniger problematisch empfunden werden, wenn innerhalb der einzelnen europäischen Länder die Hochschullandschaft vielfältiger werden sollte. Aber er verweist auch auf Barrieren gegenüber verstärkter Mobilität in Studium und Beruf. Unterschiedliche Aktivitäten und Entwicklungen zur Erleichterung der Mobilität — zur Angleichung des Hochschulwesens, zur Festsetzung von Äquivalenzen, zur Abstimmung von Teilbereichen des Hochschulwesens, zur verbesserten Information und zur offenen Förderung von Mobilität — zeitigen manche Erfolge; sie erfordern aber von den mobilen Studierenden und Absolventen weiterhin ein gewisses Maß an Experimentierfreude, Risikobereitschaft und die Fähigkeit zur Bewältigung unerwarteter Situationen.

I. Zum Stellenwert eines innereuropäischen Vergleichs

Die Hochschulsysteme unserer europäischen Nachbarländer werden in der Bundesrepublik Deutschland wieder mit großer Aufmerksamkeit betrachtet. In den sechziger Jahren war die Frage diskutiert worden, ob die Bundesrepublik in der Expansion der weiterführenden Bildung anderen Ländern nicht hinreichend folge und deshalb langfristig wirtschaftliche Nachteile erleiden werde; auch wurde mit Blick auf ungleiche Studierchancen die These vertreten, daß wir in dieser Hinsicht einen Rückstand auf dem Weg zu einer demokratischen Gesellschaft hätten. Diese Diskussionen wurden allmählich überlagert und bis in die Mitte der siebziger Jahre abgelöst durch die Suche nach neuen Strukturen des Hochschulwesens. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie die wachsende Zahl der Studienbewerber angesichts der zunehmenden Vielfalt der Bildungsvoraussetzungen, Motive und Beschäftigungsperspektiven im Hochschulsystem aufgenommen und plaziert werden sollte. Die im Laufe der siebziger Jahre zunehmend skeptische oder negative Beurteilung der Hochschulexpansion und ihrer Folgen wie auch die Abnahme der Reformfreudigkeit in Hochschulfragen waren begleitet von einem wachsenden Desinteresse am internationalen Vergleich: Immer wieder wurde in der hochschulpolitischen Diskussion Ende der siebziger Jahre hervorgehoben, daß internationale Erfahrungen nicht auf die deutsche Situation übertragen werden könnten; und standen größere Veränderungen nicht zur Debatte, so schien offensichtlich ohnehin der Nutzen einer Suche nach anderen Lösungen gering.

Im Laufe der achtziger Jahre gewann der internationale Vergleich von Hochschulsystemen wieder an Interesse. Zum Teil ist dies auf eine neue Suche nach moderaten Reformen — nunmehr vorzugsweise als „Innovationen“ bezeichnet — zurückzuführen: Ungelöste Probleme werden nicht mehr von Enttäuschung oder Schadenfreude über die begrenzten Erträge früherer Reformbemühungen zurückgedrängt, sondern mit bescheideneren hochschulpolitischen Zielsetzungen beantwortet; dabei bietet der internationale Vergleich die Chance, unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten zu erkennen und deren Eignung für die eigene Gesellschaft als Gedankenexperiment zu prüfen. Ein möglicherweise größeres Gewicht für das gewachsene Interesse am innereuropäischen Vergleich hat jedoch die Erwartung, daß die Hochschulsysteme sich näher rücken werden, weil für die neunziger Jahren ein großer Anstieg der Mobilität von Studierenden und Absolventen über staatliche Grenzen hinweg prognostiziert wird.

Drei Themenbereiche werden im folgenden behandelt, die für die beiden Fragestellungen von Interesse sind: die Arten von Hochschulen und Studiengängen, die erforderliche und tatsächliche Studiendauer sowie schließlich die Beziehungen zwischen Studium und Beruf. Dabei werden jeweils Hochschulsysteme ausgewählter westeuropäischer Länder einbezogen, so insbesondere Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, die Schweiz und Schweden und daneben auch in manchen Aspekten Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, Norwegen und Spanien. Die Quellen für die Befunde aus den einzelnen Ländern werden aus Platzgründen hier nicht angegeben; sie können einer ausführlicheren Publikation zu diesem Thema entnommen werden

Abschließend werden die Ergebnisse unter zwei Fragestellungen diskutiert: Inwieweit sind Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede der Hochschulsysteme zu erkennen, und beobachten wir Trends zu einer Annäherung der Hochschulsysteme. oder bleiben die Unterschiede gleich groß oder nehmen sogar zu? Was bedeuten das Ausmaß der bestehenden Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede der Hochschulsysteme für eine zukünftig wahrscheinlich wachsende Mobilität der Studierenden und Absolventen?

II. Arten von Hochschulen und Studiengängen

1. Zur strukturellen Gliederung des Hochschulwesens In der Bundesrepublik Deutschland ist die Struktur des Hochschulwesens durch zwei getrennte Hochschultypen und — damit verbunden — zwei getrennte Studiengänge gekennzeichnet. Lassen wir verschiedene besondere Bereiche — etwa die Lehrerbildung für Grund-und Hauptschulen, die Kunsthochschulen, die Gesamthochschulen und die Verwaltungsfachhochschulen — außer acht, so sind, vor allem die Zwei-Typen-Struktur und damit folgende Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen hervorzuheben: Erstens unterscheiden sich Studiengänge der Fachhochschulen mit ihrer starken Berufsorientierung — zumindest der Intention nach — qualitativ deutlich von denen an Universitäten. Es gibt nämlich typische Maßstäbe für Ebenen von Bildungsabschlüssen, nach denen sich das Verhältnis der verschiedenen Hochschul-und Studiengangstypen nach einheitlichen Maßstäben einordnen läßt. Zweitens ist für den Zugang zu Universitäten in der Bundesrepublik ein Schuljahr mehr erforderlich als für den Zugang zu Fachhochschulen. Drittens haben Studierende an Universitäten mindestens acht Semester zu studieren, Studierende an Fachhochschulen — sieht man von Praxissemestern ab — dagegen in der Regel sechs Semester. Der Übergang zur Universität ist nach dem Fachhochschulabschluß im Prinzip möglich, aber zumeist gelten die Studierenden für bestimmte Anrechnungsmodalitäten, aufgrund derer sie mehr als zwei Studienjahre bis zu einem universitären Abschluß benötigen.

Die damit gegebenen Unterscheidungsmerkmale verschiedener Arten von Studiengängen und Hochschulen in der Bundesrepublik sind nicht in der gleichen Weise in anderen europäischen Ländern anzutreffen. In manchen Ländern herrscht eindeutig ein Typus von Hochschulen und Studiengängen vor. In anderen Ländern sind Eingangsvoraussetzungen für die beiden Haupttypen von Hochschulen und Studiengängen einheitlich. Manchmal entspricht die Studiendauer bei nicht-universitären Studiengängen der Dauer der ersten Stufe an universitären Studiengängen. In manchen Ländern werden Studiengänge mit unterschiedlicher Länge innerhalb eines Hochschultyps angeboten. In anderen Ländern haben Stufen von Abschlüssen ein höheres Gewicht als andere zur Kennzeichnung der Struktur des Hochschulwesens und als Typen von Hochschulen.

Die Strukturen des Hochschulwesens in westeuropäischen Ländern lassen sich also nicht durchgängig nach universitärem gegenüber nicht-universitärem Sektor oder kurzen gegenüber langen Studiengängen beschreiben. Bei der folgenden Charakterisierung von Hochschulstrukturen in zehn ausgewählten westeuropäischen Ländern sind daher verschiedene Strukturmerkmale anzusprechen 2. Strukturen in ausgewählten Ländern In Italien und Österreich dominieren klar die universitären Studiengänge. In Haben sind — im Anschluß an eine dreizehnjährige Schulbildung — vier Jahre Studium für die meisten universitären Studiengänge, fünf Jahre für einige ingenieur-und naturwissenschaftliche Fächer sowie sechs Jahre für medizinische Fächer vorgesehen. Die Studienanfänger, die die in geringer Zahl angebotenen Kurz-studiengänge von zwei bis drei Jahren besuchen, machen nur drei bis vier Prozent aller Studienanfänger aus. In Österreich zählen ebenfalls nur Universitäten (einschließlich der fachlich spezialisierten Hochschulen mit universitären Studiengängen) als Hochschulen. Die offiziell erforderliche Studiendauer — im Anschluß an eine zwölfjährige Schulausbildung — beträgt in der Regel vier bis fünf Jahre. Kurzstudiengänge werden nur in sehr geringer Zahl für Dolmetscher sowie in einigen technischen und künstlerischen Fächern angeboten. Gemessen an der Zahl der Studienanfänger an Universitäten nimmt etwa ein weiteres Viertel von Personen ein Studium an Einrichtungen der Lehrer-bildung, Fachschulen für Sozialarbeit oder für Gesundheitsberufe und an ähnlichen Institutionen auf, die in vielen anderen Ländern zum Hochschulwesen gerechnet werden. In Italien wurde zwar im Laufe der achtziger Jahre wiederholt vorgeschlagen, Kurzstudiengänge in großer Zahl einzurichten, aber entsprechende Maßnahmen wurden nicht ergriffen. In Finnland hatte es bis Mitte der siebziger Jahre — wie traditionell in allen skandinavischen Ländern — zwei Ebenen von „Kandidats“ -Examen an Universitäten in den geistes-und naturwissenschaftlichen Fächern gegeben: Der erste Abschluß setzte ein Studium von etwa dreieinhalb Jahren voraus; zwei weitere Jahre waren für den fachlich stärker spezialisierten und vertieften Kandidats-Abschluß erforderlich. Dieses System wurde seit 1974 durch ein Credit-System abgelöst; alle Fächer mit Ausnahme der medizinischen Fächer sollten demnach 160 bis 180 Einheiten umfassen, was im Prinzip einer Studiendauer von viereinhalb bis fünf Jahren entspricht. Nur an sehr wenigen Universitäten gab es daneben einige Kurzstudiengänge. Ende der achtziger Jahre wurde mit der Vorbereitung von Reformen begonnen, in deren Zuge ein großer Teil der bestehenden Fachschulen zu einem zweiten Hochschultypus aufgewertet werden soll.

In Schweden sind seit 1977 alle Hochschulen rechtlich gleichgestellt. Wenn auch weiterhin an den Universitäten, an denen etwa zwei Drittel der Studierenden eingetragen sind, längere Studiengänge überwiegen und Forschung eine große Rolle spielt, und wenn auch weiterhin ein Sechstel der Studierenden an Hochschulen studiert, die überwiegend kurze Studiengänge haben und nur wenig an der Forschung beteiligt sind, so hat sich doch eine gewisse Reduzierung der Unterschiede zwischen früheren Hochschultypen ergeben. Das Studienangebot reicht von einzelnen Kursen von halbjähriger oder einjähriger Dauer bis zu Studiengängen, die mehr als fünf Jahre erfordern. Als reguläre Hochschulabschlüsse werden solche betrachtet, die für Studiengänge von mindestens zweijähriger Dauer vergeben werden. Als universitäre Studiengänge gelten solche, für die mindestens ein Studium von drei Jahren erforderlich ist. Sie variieren je nach Studienfach zwischen drei und fünfeinhalb Jahren. In Spanien werden neben den universitären Studiengängen, die in den meisten Fächern fünf Jahre und in einigen ingenieurwissenschaftlichen und medizinischen Fächern sechs Jahre dauern, in vielen Fächern dreijährige Studiengänge angeboten. Diese zweite Art von Studiengängen — Mitte der achtziger Jahre wurden etwa 40 Prozent der Studienabschlüsse in diesem Bereich erreicht — wird zum Teil in besonderen Einheiten der Universitäten, den „Escuelas Universitarias", und zum Teil in getrennten Institutionen angeboten. Die Zulassungsvoraussetzungen zu den beiden Studiengangs-typen sind im Prinzip gleich. Erfolgreiche Absolventen des Kurzstudiums können überwiegend ohne Brückenkurse o. ä. in das vierte Studienjahr an Universitäten übergehen. Ende der achtziger Jahre setzten Bemühungen ein, die erforderliche Studiendauer an Universitäten generell auf vier Jahre zu reduzieren.

In Großbritannien gibt es neben den Universitäten seit den sechziger Jahren einen zweiten Hochschultyp: Die ihm zugehörenden Institutionen werden als Polytechnics, Institutes of Higher Education u. ä. bezeichnet. Die britische Hochschulstruktur ist oft als „binär“ charakterisiert worden: Zwei Hochschultypen stehen sich gegenüber, die sich in der inhaltlichen Akzentsetzung unterscheiden; aber die schulischen Voraussetzungen, die Dauer des Studiums und die Hochschulabschlüsse sind im Prinzip gleich. Im Anschluß an eine zumeist 13jährige Schulzeit in England und Wales sind in der Regel drei Studienjahre bis zu einem „bachelor’s“ -

Grad vorgesehen; nach einem oder zwei weiteren Jahren kann der „master’s“ -Grad erworben werden. In Schottland ist die Schulzeit um ein Jahr kürzer und das Studium um ein Jahr länger, wobei auch der erste Hochschulabschluß als „master’s“ bezeichnet wird. In der Struktur der Studiengänge sind nur zwei Unterschiede zwischen Universitäten und anderen Hochschulen erwähnenswert. Erstens werden an Polytechnics und anderen Hochschulen auch „Sandwich“ -Kurse angeboten: In diesem Studiengang sind integrierte Praxisphasen vorgesehen, die die Dauer vom Studienbeginn bis zum Erwerb des „degree“ um ein Jahr erhöhen. Zweitens bieten viele Polytechnics und andere Hochschulen neben den universitären Studiengängen auch kurze Studiengänge — zumeist zwei Jahre — an, die zu einem „diploma in higher education (Dip HE)“ führen; sie haben daneben oft noch andere Ausbildungsangebote unter demselben institutioneilen Dach, für die in vielen anderen Ländern gesonderte Fachschulen außerhalb des Hochschulbereichs existieren.

In Belgien gibt es zwei Institutionstypen mit sich überschneidenden Funktionen. Studiengänge an belgischen Universitäten sehen zumeist vier bis fünf (in wenigen Bereichen sechs) Studienjahre vor. Andere Hochschulen bieten in der Regel kurze Studiengänge von zwei-bis dreijähriger Dauer an. In dem wachsenden nicht-universitären Bereich — bereits Mitte der achtziger Jahre wählten mehr als die Hälfte der Studienanfänger diese Institutionen — werden lange Studiengänge, die vier oder mehr Jahre vorsehen, immer mehr ausgebaut. Dies gilt insbesondere für ingenieurwissenschaftliche Fächer. Für alle Studiengänge wird eine schulische Vorbildung von zwölf Jahren vorausgesetzt, wobei für den Zugang zu Langstudiengängen darüber hinaus ein Hochschulreife-Examen abzulegen ist. Diejenigen, die einen Kurzstudiengang erfolgreich abschließen, können in den meisten Fächern zu Lang-studiengängen übergehen, müssen allerdings gewöhnlich eine Reihe von zusätzlichen Kursen — teils gesondert als Brückenkurse angeboten — in Ergänzung zum Kursprogramm des dritten Studienjahres bewältigen.

Die Hochschulstruktur in den Niederlanden hat gewisse Ähnlichkeiten mit der in der Bundesrepublik Deutschland, denn neben den Universitäten besteht ein zweiter Hochschultyp, der relativ lange, berufsorientierte Studiengänge anbietet. Für den Zugang zu den Universitäten sind der Abschluß von zwölf Schuljahren und zusätzlich zwei Vorschuljahren, die Mitte der achtziger Jahre in die Grundschulen integriert wurden, erforderlich. Für den Zugang zu den anderen Hochschulen, den 1986 offiziell aufgewerteten HBO-Institutionen (der Typus wird nach wie vor als „hoger beroepsonderwijs" — höhere Berufsausbildung — bezeichnet, während die einzelnen Institutionen sich nunmehr zumeist „hogeschoolen" nennen), ist kein gymnasialer Schulabschluß, sondern ein um ein Jahr kürzerer Schulweg über die allgemeinbildende höhere Schule (HAVO) erforderlich. Universitäre Studiengänge in den Niederlanden sehen seit 1982 einheitlich — mit Ausnahme der Medizin — eine Studiendauer von vier Jahren vor. Die HBO-Institutionen haben ebenfalls vierjährige Studiengänge, wobei allerdings Praxisphasen von durchschnittlich einjähriger Dauer mitgerechnet werden. Den HBO-Absolventen wird der Titel „Baccalaureus" verliehen. Verschiedene Übergangsmöglichkeiten von HBO-Institutionen zu Universitäten bestehen. Studierende an HBO-Institutionen, die zuvor keine gymnasiale Schulbildung abgeschlossen hatten, erwerben mit der erfolgreichen Absolvierung der einjährigen propädeutischen Studienphase das Recht zum Studium an Universitäten (im ersten Studienjahr). Absolventen von HBO-Studiengängen können in das dritte Studienjahr an Universitäten übergehen, wobei den Universitäten neuerdings empfohlen wird, besondere zweijährige Studienangebote für solche Übergänger anzubieten. Schließlich ist im Prinzip vorgesehen, daß Universitäten und HBO-Institutionen gemeinsame berufsorientierte Aufbaustudiengänge etablieren können und daß HBO-Absolventen zu manchen solcher Studienangebote an Universitäten übergehen können; in Ausnahmefällen können HBO-Absolventen auch zu Graduiertenstudien an Universitäten zugelassen werden.

Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, wo nur etwa ein Drittel der Studienanfänger ein Fach-hochschulstudium aufnimmt, wählen 60 Prozent oder mehr der Studienanfänger in den Niederlanden ein nicht-universitäres Studium. Die HBO-Institutionen bieten ein breiteres Fächerspektrum an als die Fachhochschulen: Auf der einen Seite ist ein Teil der Lehrerbildung in HBO-Institutionen angesiedelt, während die Lehrerbildung in der Bundesrepublik Deutschland voll in den universitären Bereich eingegliedert wurde; auf der anderen Seite sind in den Niederlanden viele Ausbildungsgänge für Gesundheitsberufe sowie naturwissenschaftliche Laboranten-und Technikerausbildungsgänge in den HBO-Bereich einbezogen, während sie in der Bundesrepublik Deutschland zumeist im Fachschulbereich verblieben.

In Norwegen gibt es neben den Universitäten und den fachlich spezialisierten Hochschulen eine große Zahl weiterer Hochschulen mit überwiegend kurzen Studiengängen, die in „Distrikt-Hochschulen“ and andere fachlich spezialisierte Hochschulen untergliedert werden. Über drei Viertel der Hochschulabschlüsse werden in zweijährigen und zum Teil auch dreijährigen Studiengängen erworben. Insbesondere an Distrikthochschulen, aber auch in gewissem Umfange an den universitären Institutionen können zwei jeweils zweijährige Studiengänge zu einem regulären universitären Abschluß kumuliert werden. An den Universitäten selbst werden Hochschulgrade zumeist auf zwei Ebenen verliehen (ohne Berücksichtigung von Graduiertenstudien und -abschlüssen). Die untere Ebene stellt der „cand. mag.“ -Grad dar, der nach dreieinhalb bis vier Jahren erworben werden kann. Die obere Ebene bildet der „cand. philog.“, „cand. oecon." usw., der nach zwei weiteren Studienjahren erreicht wird. Derzeit setzen die meisten Absolventen des ersten Grades ihr Studium bis zur Erlangung des zweiten Grades fort. Die übrigen Hochschulen im universitären Bereich sehen in der Regel nur einen Abschluß von Studiengängen vor, die viereinhalb bis fünf Jahre erfordern.

In vieler Hinsicht ungewöhnlich erscheint die Struktur desfranzösischen Hochschulwesens. Zum einen stellt die Universität nicht den für Studierende attraktivsten Bereich dar: Sowohl die Studien an den Grandes coles als auch die Kurzstudiengänge an den Instituts Universitaires de Technologie (IUT) sind populärer als die meisten universitären Studiengänge. Zum anderen findet die abschließende Selektion für die Hochschulausbildung erst mit dem Abschluß des ersten Studien-Zyklus nach zwei Jahren statt.

Im ersten Zyklus, dem zwölf Schuljahre und der Abschluß des „baccalaureat“ vorangehen, bestehen drei Arten von propädeutischen Studienangeboten — also Angeboten, die nicht als vollständige Qualifizierung angesehen werden, sondern als Eingangsstufe für ein Fachstudium: (a) fächergruppenspezifische Grundstudienangebote an den Universitäten, die zum „Diplöme d’tudes Universitaires Generales“ (DEUG) führen, das zwar als Diplom bezeichnet wird, aber als Zwischenexamen zu verstehen ist; (b) die propädeutische Phase des medizinischen Studiums; (c) Vorbereitungsklassen für die Grandes coles (CPGE), die als Teil eines Hochschulstudiums zählen, auch wenn sie von Sekundarschulen angeboten werden. Absolventen dieser Vorbereitungsklassen werden auch zum dritten Studienjahr an Universitäten zugelassen, wie ebenfalls Studierende an Universitäten sich um die Zulassung zu den Grandes Ecoles bewerben können, bei denen das Studium zumeist 14 Jahre Vorbildung voraussetzt (einige Grandes coles lassen Studierende nach 12jähriger Vorbildung zu und bieten fünfjährige Studiengänge an). Daneben gibt es im ersten Zyklus vier Arten von berufsvorbereitenden Studienprogrammen, an denen allerdings weniger als ein Drittel der Hochschulabsolventen ihr Studium beenden: (d) in den achtziger Jahren neu eingeführte Studiengänge an den Universitäten, die zu einem „Diplöme d’tudes Universitaires Scientifiques et Techniques (DEUST)“ führen; (e) Studiengänge der lUTs, die mit dem „Diplöme Universitaire de Technologie“ (DUT) abschließen; (f) postsekundäre Techniker-Ausbildung, die mit „Brevets de Technicien Suprieur (BTS)“ abschließt; (g) schließlich zwei-bis dreijährige Studienangebote an fachlich spezialisierten Ecoles, zum Beispiel staatlichen Institutionen zur Ausbildung für Gesundheitsberufe und privaten Institutionen für verschiedene Fachrichtungen. Der zweite Zyklus kann entweder an Universitäten oder Grandes coles studiert werden: (a) In der Mehrheit der Studienfächer bestehen an den Universitäten zwei Ebenen von Abschlüssen. Die „licence“ wird nach einem weiteren Studienjahr — also nach insgesamt drei erforderlichen Studienjahren („bac + 3“) erworben; mehr als die Hälfte der Studierenden, die dieses Ziel erreichen, schließen ein weiteres Studienjahr an, um die „maitrise“ („bac + 4“) zu erreichen, (b) In den Ingenieurwissenschaften sowie in einigen natur-und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen sind vier oder fünf Jahre bis zum Studienabschluß erforderlich, ohne daß dabei vorherige Abschlüsse vorgesehen sind, die der „licence“ entsprechen, (c) Im Laufe der achtziger Jahre wurde der neue Grad des „magistöre“ („bac+ 5“) eingeführt, der zugleich wissenschaftlich und beruflich orientiert sein soll; im Gegensatz zu den anderen „nationalen“ Diplomen soll in diesem Fall die Universität selbst die Studien-angebote bestimmen und die Titel verleihen, (d) In den medizinischen Fächern beträgt die Studienzeit mindestens sechs Jahre; ein Teil des Studienangebots wird zum dritten Zyklus gerechnet, der sonst vor allem Graduiertenstudien vorsieht, (e) Grandes Ecoles bieten zumeist dreijährige Studiengänge im zweiten Zyklus („bac+ 5“), in Ausnahmefällen auch zweijährige Studiengänge, vor allem im Bereich der Ingenieur-, Wirtschafts-und Verwaltungswissenschaften, an. In ähnlicher Weise sind die lehrerbildenden Ecoles mit zumeist dreijährigen Studienangeboten im Laufe der achtziger Jahre auf die Ebene des zweiten Zyklus angehoben worden („bac + 5“). Kein Trend zu einer strukturellen Angleichung In der vorangehenden Beschreibung war bereits vereinzelt auf Veränderungen im letzten Jahrzehnt verwiesen worden. In den sechziger Jahren und zu Beginn der siebziger Jahre war international die Vorstellung weit verbreitet, daß Hochschulsysteme in modernen Industriegesellschaften sich auf relativ ähnliche Strukturlösungen hin bewegen würden — sei es, daß man mit einer klaren Abgrenzung eines „Elite-“ von einem „Massensektor“, mit einem Gesamthochschulsystem, mit einer Zweitypenstruktur oder mit einem diversifizierten System gradueller Abstufungen rechnete. Um 1980 wurden eher Zweifel an einer solchen strukturellen Konvergenz laut 3), aber nach manchen Analysen schien sich in vielen Ländern ein nicht-universitärer Sektor neben den Universitäten zu stabilisieren. Die Analyse, die ich 1988 für den Europarat vor-nahm macht jedoch deutlich, daß im letzten Jahrzehnt — insgesamt gesehen — keine Annäherung der Hochschulstrukturen oder der darauf bezogenen Politiken in den westeuropäischen Ländern zu beobachten war.

In manchen Ländern — so in den Niederlanden — wurde eher die Eigenständigkeit eines nicht-universitären Sektors gegenüber den Universitäten verfestigt, in anderen verringerten sich weiterhin die Unterschiede — so deutlich in Großbritannien. In manchen Ländern waren Bemühungen um den Ausbau kurzer Studiengänge erkennbar — so bei der Einführung des DEUST-Grades in Frankreich, oder die kurzen Studiengängen expandierten stärker als die langen Studiengänge — so in Belgien. In beiden genannten Ländern aber wurde die Studiendauer im Bereich der Lehrerbildung verlängert; in Finnland wurde der erste Studienabschluß abgeschafft und damit die erforderliche Studienzeit erhöht. Nicht erkennbar ist. daß sich eine klare Studienstruktur von Hochschulabsolventen — wie sie in den angelsächsischen Ländern etabliert ist — in Westeuropa ausweitet; auch die Regelungen für den Übergang zwischen verschiedenen Hochschuloder Studiengangstypen sind insgesamt sehr uneinheitlich geblieben.

Die Verschiedenheit der fortbestehenden oder sich neu entwickelnden strukturellen Lösungen mag überraschen. Denn weitaus größer erscheint die Ähnlichkeit der Diskussionen über neue Aufgaben oder bestehende Probleme des Hochschulwesens: An die Hochschulexpansion der Vergangenheit hat man sich inzwischen weitgehend gewöhnt; der Stellenwert neuer Technologien für Studium und Beruf wird hervorgehoben; ein zunehmendes Interesse von „Erwachsenen“ an einem Hochschulstudium wird erwartet; eine stärkere Strukturierung des Studiums zugunsten einer klaren Anleitung zum Studienverhalten — sei es über Beratung, ein „credit System“ oder Zwischenprüfungen — wird bevorzugt; eine Diversifizierung der einzelnen Studien-angebote wird in vielen Ländern empfohlen. Auch scheint — wie bereits erwähnt — die Bereitschaft in den meisten europäischen Ländern gewachsen zu sein, aus dem internationalen Vergleich zu lernen.

Aber die tatsächlichen Trends und Maßnahmen sind trotzdem keineswegs einheitlich. Weder wird unbedingt auf den Traditionen des eigenen Landes beharrt, noch wird ein bestimmtes Modell favorisiert; vielmehr scheinen unterschiedliche Lösungen in verschiedenen Ländern Plausibilität zu haben.

Der internationale Vergleich trägt dazu bei, sich die Vielfalt der Optionen vor Augen zu führen und verschiedene Entscheidungen zu treffen, ohne daß sich im internationalen Vergleich ähnliche Vorlieben für bestimmte Optionen abzeichnen.

III. Erforderliche und tatsächliche Studiendauer

1. Mindestdauer universitärer bzw. langer Studiengänge Reguläre universitäre Studiengänge bzw. lange Studiengänge in westeuropäischen Ländern sehen eine Dauer zwischen drei und sieben Jahren vor. Dabei sind medizinische (sechs bis neun Jahre Dauer) und künstlerische Studiengänge (bis zu acht Jahren) hier aus der weiteren Betrachtung ausgenommen, weil sie durch lange integrierte Praxisphasen im ersteren Fall und durch besondere musikalische Ausbildungen im letzteren Bereich den Rahmen sprengen.

In allen westeuropäischen Ländern gibt es jeweils eine klare Vorstellung davon, was die Mindestlänge regulärer oder langer Studiengänge sei; sie variiert von drei bis fünf Jahren. Sie beträgt zum Beispiel drei Jahre in Frankreich, Schweden sowie England und Wales, dreieinhalb Jahre in Norwegen, vier Jahre in Belgien, Italien, den Niederlanden und Österreich, etwas über vier Jahre in Finnland und der Bundesrepublik Deutschland sowie schließlich fünf Jahre in Spanien.

Zwei Ebenen regulärer universitärer Abschlüsse — sieht man von höheren wissenschaftlichen Abschlüssen des Lizentiats (in den skandinavischen Ländern) oder der Promotion ab — gibt es innerhalb der westeuropäischen Länder für alle Fachrichtungen lediglich in Großbritannien und in Irland. In drei weiteren Ländern sind zwei universitäre Abschlüsse in einem Teil der Fachrichtungen üblich. An französischen Universitäten gibt es, wie bereits erwähnt, für geistes-und naturwissenschaftliche Fächer einen ersten Abschluß, die „license". Für alle übrigen Fächer sowie für den zweiten Abschluß in den genannten Fachrichtungsgruppen sind ein oder zwei weitere Jahre erforderlich. An norwegischen Universitäten wird der „cand. mag.“ in den Geistes-, Sozial-und Naturwissenschaften nach dreieinhalb Jahren verliehen, während für andere Fachrichtungen mindestens vier Jahre erforderlich sind und für die zweite Kandidaten-Stufe in den zuvor genannten Fachrichtungsgruppen fünfeinhalb Jahre. In Dänemark ist nach dem „kandidateksamen“ mit der „magisterkonferensen“ ebenfalls ein zweiter Abschluß in einigen geistes-, sozial-und naturwissenschaftlichen Fächern vorgesehen.

Sehr unterschiedlich wird von Land zu Land die Frage gehandhabt, inwiefern im Prinzip gleichartige universitäre Studienabschlüsse eine einheitliche Studiendauer für alle Studienfächer voraussetzen oder inwiefern die Besonderheiten bestimmter Disziplinen oder korrespondierender Berufsfelder sich in unterschiedlichen Längen des Studiums niederschlagen. Wiederum werden hier im Vergleich medizinische und künstlerische Fächer nicht berücksichtigt. In dieser Betrachtung sind auch diejenigen zusätzlichen Ebenen von regulären universitären Abschlüssen nicht berücksichtigt, die von einer Minderheit der Absolventen in dem entsprechenden Land erworben werden („licence" in Frankreich, „cand. mag.“ in Norwegen, „master’s“ in Großbritannien und in Irland sowie „magister" in Dänemark).

In den Niederlanden wurde 1982 eine völlig einheitliche Studiendauer von vier Jahren für alle universitären Studiengänge eingeführt. Lediglich bei Vorbereitungsphasen für Lehrer und Juristen mag die Hochschule nach dem regulären Studium zusätzlich eine berufsqualifizierende Phase von einem Jahr anbieten.

Eine Spannweite der erforderlichen Studiendauer von einem Jahr je nach Studienfach oder Besonderheiten einzelner Studiengänge kann in vielen europäischen Ländern festgestellt werden. In Großbritannien gelten dreijährige Studiengänge als die Regel. aber Studiengänge in Schottland, Praxisphasen („Sandwiches“) in manchen Studiengängen an Polytechnics sowie längere Studiengänge aus spezifischen Gründen (etwa Studiengänge mit sehr langen Phasen des Auslandsstudiums) setzen vier Studienjahre voraus; so betrug Mitte der achtziger Jahre in Großbritannien die erforderliche Studiendauer bis zum Erreichen eines ersten universitären Grades im Durchschnitt 3, 4 Jahre.

In Belgien, Frankreich, Italien und Österreich dauert das Studium je nach Studienfach vier bis fünf Jahre. In Spanien sind in den meisten Fächern offiziell fünf Studienjahre erforderlich, in einigen Fächern jedoch sechs Jahre. Auch in Finnland wird — ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland — angenommen, daß die erforderliche Studienzeit je nach Fach oder Hochschule um etwa ein Jahr differiert.

In Norwegen und Schweden dagegen läßt sich kaum mehr von einer bestimmten Normallänge der erforderlichen Studiendauer in universitären Studiengängen sprechen. In Norwegen variiert die erforderliche Studiendauer — sieht man vom „cand. mag“ ab — je nach Studienfach zwischen vier und fünfeinhalb Jahren. In Schweden gibt es für jedes Studienfach spezifische Regelungen, die von drei bis fünf Jahren reichen. In Schweden wird offiziell empfohlen, daß Abschlüsse in Studiengängen, die 120 bis 159 Studieneinheiten umfassen, also drei bis unter vier Jahre erfordern, mit „bachelor’s“ ins Englische übersetzt werden, dagegen als „master’s“ die Abschlüsse in solchen Studiengängen gelten, zu deren Abschluß mindestens vier Jahre erforderlich sind. Dieser Unterschied ist jedoch nur dann von großer Bedeutung, wenn schwedische Absolventen weiterführende Studien im Ausland aufnehmen wollen. In Schweden besteht für Absolventen aller Studiengänge, die mindestens drei Studienjahre voraussetzen, die Möglichkeit, ein Graduiertenstudium aufzunehmen. Trotz der genannten Unterschiede in der Dauer universitärer bzw. langer Studiengänge in den verschiedenen westeuropäischen Ländern und trotz der aufgezeigten Zeitspannen innerhalb der meisten Länder hat sich in Europa ein gewisses Grund-verständnis herausgebildet, welche Länge für einen universitären Studiengang üblich ist: Vier Jahre oder auch fünf Jahre gelten als typisch für einen regulären universitären Abschluß, mit dem auch der Übergang zu einem Promotionsstudium möglich ist; sechs Jahre erforderliche Studienzeit gelten — abgesehen von medizinischen Fächern — als ungewöhnlich lange. Liegt die erforderliche Studienzeit unter vier Jahren, so gilt der Abschluß als unvollständige Qualifikation für die Aufnahme von Doktorandenstudien. In vielen Fällen sichern bilaterale oder multilaterale Verträge, daß der Abschluß von vierjährigen Studien in einem europäischen Land von den Universitäten eines anderen Landes anerkannt wird. 2. Mindestdauer kurzer bzw. nicht-universitärer Studiengänge Bei kurzen oder nicht-universitären Studiengängen ergeben sich dagegen zwischen den hier behandelten europäischen Ländern größere Unterschiede in der Studiendauer; auch hat sich in der Vergangenheit keine klare „Norm“ herausgebildet, welche Dauer solchen Studiengängen angemessen sei. Tatsächlich variiert die vorgesehene Dauer zwischen ein und vier Jahren. In Norwegen und Schweden erscheinen sogar die Grenzen zwischen Kursen und regulären Studiengängen fließend. In Schweden können kurze Studiengänge von ein bis zweieinhalb Jahren dauern. In Norwegen mag die Länge zwischen einem und drei Jahren betragen. Häufig werden in beiden Ländern zwei Jahre als die kürzeste Dauer für reguläre Studiengänge bezeichnet.

An britischen Polytechnics, Institutes of Higher Education und ähnlichen Einrichtungen kann das Diploma in Higher Education nach zwei Studienjahren erworben werden. In Frankreich und Belgien dauern die meisten kurzen Studiengänge zwei Jahre, so zum Beispiel die meisten Studienabschlüsse an den IUTs in Frankreich. In einigen Fachrichtungen und an einigen Institutionen sind jedoch auch dreijährige Kurzstudiengänge vorgesehen. In Spanien sind in allen kurzen Studiengängen drei Jahre erforderlich. Auch in Irland kann im nicht-universitären Bereich ein „National Diploma“ nach drei Studienjahren erworben werden (für einen „bachelor’s“ werden an nicht-universitären Institutionen in Irland vier Jahre, an Universitäten dagegen je nach Studiengang zumeist drei bis vier und in Ausnahmefällen fünf Jahre benötigt). In manchen Fachrichtungen an einigen Hochschulen in Irland werden nach einem einjährigen Studium ein „oneyear certificate" und nach zwei Jahren ein „certificate“ oder „national certificate“ verliehen.

Die erforderliche Studiendauer an den HBO-Institutionen in den Niederlanden beträgt — einschließlich der Praxisphasen von durchschnittlich einem Jahr — durchgängig vier Jahre. Der verliehene Abschluß wird als „baccalaureus" bezeichnet; der Titel wurde in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auch mit dem Ziel eingeführt, eine Gleichwertigkeit mit dem ersten universitären Abschluß in Großbritannien und den USA zu postulieren. In der Struktur sind die Studiengänge an den HBO-Institutionen den Fachhochschulstudiengängen in Baden-Württemberg und Bayern am ähnlichsten, bei denen das Studium einschließlich einjähriger Praxis-phase vier Jahre beträgt. 3. Rahmenregelungen der Europäischen Gemeinschaft Im Juni 1988 wurde in der Europäischen Gemeinschaft eine Rahmenregelung zur beruflichen Anerkennung der Hochschulabschlüsse etabliert. Demnach sind dreijährige Hochschulstudiengänge die Mindestvoraussetzung zur allgemeinen beruflichen Anerkennung in Europa. Es bleibt jedoch für bestimmte Berufsbereiche in den einzelnen europäischen Ländern offen, ob sie zusätzliche Studienphasen oder berufsvorbereitende Qualifizierungsphasen für den Eintritt in diese Berufsbereiche voraussetzen, die dann von Hochschulabsolventen eines anderen europäischen Landes ein entsprechendes Aufbaustudium bzw. eine zusätzliche berufliche Qualifizierung verlangen

Die Auswirkungen dieser Rahmenregelungen für die Europäische Gemeinschaft sind noch nicht in vollem Umfange abzusehen. Aber einige Folgerungen erscheinen plausibel. Erstens wird durch die Regelung eine (Mindest-) Ebene für hochqualifizierte Arbeitskräfte bestimmt; für diejenigen Länder, in denen bisher zwei deutlich getrennte Berufs-ebenen bestanden — etwa der höhere und gehobene Dienst und seine Äquivalente in der Privat-wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland — steht damit die Frage im Raum, ob diese klare Stufung allmählich relativiert wird bzw. relativiert werden sollte. Zweitens legen diese Regelungen in verschiedener Hinsicht nahe, die offiziell erforderlichen Studienzeiten zu verlängern. In Frankreich und Belgien wird nunmehr geprüft, ob die zweijährigen Studiengänge auf drei Jahre verlängert werden sollen, um die Mindestvoraussetzungen für professionelle Anerkennung in Europa zu erfüllen. In der Bundesrepublik Deutschland nehmen Bemühungen zu, Praktika an Fachhochschulen in integrierte Praxisphasen umzusetzen oder auf andere Weise die offizielle Studiendauer möglichst auf acht Semester zu erhöhen, um den Absolventen im eu-ropäischen Ausland annähernd gleiche Berufsperspektiven zu sichern wie den Universitätsabsolventen. Schließlich erhält die Diskussion über Überschreitungen der Studienzeit eine neue Dimension: Es stellt sich die Frage — so wird zum Beispiel in den Niederlanden im Hinblick auf ingenieurwissenschaftliche Fächer vorgeschlagen —, ob eine Annäherung der offiziell erforderlichen Studiendauer an die tatsächlich übliche vorgenommen werden sollte; denn wenn ein Studium in einem Fach tatsächlich unter fünf Jahren so gut wie gar nicht zu bewältigen sein sollte, schaden die gesetzlichen Regelungen, die an vier Jahren erforderlicher Studiendauer festhalten, denjenigen Studierenden, die nach Abschluß dieses Studiums in ein Land übergehen, in dem fünf Jahre Studium (eventuell plus berufsvorbereitende Qualifizierungsphase) in dem entsprechenden Berufsbereich üblich sind. 4. Tatsächliche Studiendauer In der Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten Jahren das Interesse am Vergleich der tatsächlichen Studiendauer in den verschiedenen europäischen Ländern sehr gewachsen. Im Laufe der achtziger Jahre ist in der Bundesrepublik das Alter bei Studienbeginn um ein halbes Jahr gestiegen. Auch die Zeitspanne vom Studienbeginn bis zum Erwerb eines universitären Grades hat sich innerhalb eines Jahrzehnts um ein halbes Jahr auf etwa sieben Jahre erhöht. Das Durchschnittsalterbei Erreichen eines universitären Abschlusses beträgt inzwischen 28 Jahre. Insbesondere der Wissenschaftsrat und der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft fordern, daß die tatsächliche Studiendauer wesentlich kürzer wird. Der Bundesminister vertritt dabei die These, daß deutsche Hochschulabsolventen wegen ihres hohen Alters bei Studienabschluß später im Zuge der europäischen Integration mit Nachteilen in ihren Beschäftigungschancen gegenüber Konkurrenten aus anderen Ländern rechnen müßten. Da Informationen über die tatsächliche Studiendauer in anderen Ländern in der Vergangenheit sehr spärlich geblieben waren, veranlaßte das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft eine Analyse vorliegender statistischer Informationen in sieben ausgewählten Ländern. Die im Sommer 1989 publizierte Studie macht deutlich, daß es nur in sehr wenigen Ländern zu dieser Thematik detaillierte Daten gibt; Unterscheidungen nach Hochschulstudiendauer, Fachstudiendauer oder Verweilzeit (einschließlich Unterbrechungen) werden ohnehin nur in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen; auch wird in der Regel nicht zwi-sehen der Dauer bei einem Vollzeitstudium und bei einem Teilzeitstudium unterschieden.

In Großbritannien betrug die erforderliche Studiendauer für den Erwerb eines „bachelor’s“ Mitte der achtziger Jahre im Durchschnitt 3, 4 Jahre. Expertenschätzungen stimmen darin überein, daß die tatsächliche Studiendauer durchschnittlich weniger als vier Jahre beträgt. Das Durchschnittsalter beim Erreichen eines „bachelor’s“ liegt etwa bei 23 Jahren. Die genannte Studie bezog auch Japan und die USA ein. In Japan wird die durchschnittlich erforderliche Studienzeit von 4, 1 Jahren im Durchschnitt nur um 0, 2 Jahre überzogen. Da auch zwischen dem Schulabschluß zumeist im Alter von 18 Jahren und dem Studienbeginn im Durchschnitt nur Zwischenphasen von einem halben Jahr liegen, sind Japaner beim Studienabschluß kaum älter als Briten. In den USA ist zwar auch der unmittelbare Übergang von der Sekundarschule zu einem Vollzeitstudium an der Universität verbreitet und scheint die durchschnittliche Studiendauer für Vollzeitstudierende kaum mehr als viereinhalb Jahre zu betragen, aber der Anteil der Studierenden, die — zumeist nach einigen Jahren der Berufstätigkeit — später ein teilzeitliches Studium aufnehmen liegt inzwischen bei über 40 Prozent. So wird der „bachelor’s“ im Durchschnitt im Alter von 26 Jahren erworben; Graduierten-Studien werden überwiegend nach einer Zeitspanne von durchschnittlich etwa drei Jahren der Berufstätigkeit aufgenommen, so daß das Durchschnittsalter beim Erwerb des „master’s“ -Grades oder analoger professioneller Abschlüsse über 29 Jahre liegt.

Für Frankreich ist die Datenlage nicht eindeutig. Auf der einen Seite gibt es offizielle Schätzungen, nach denen die meisten Jugendlichen ihr Studium unmittelbar nach der Sekundarschule aufnehmen und die Dauer des Studiums nur wenig über fünf Jahre beträgt. Auf der anderen Seite legen Daten über das Durchschnittsalter der Studierenden im ersten und zweiten Zyklus die Schätzung nahe, daß die Dauer des Studiums bis zu den Abschlüssen, für die offiziell vier bis fünf Jahre erforderlich sind, im Durchschnitt etwa sieben Jahre beträgt und das Durchschnittsalter beim Abschluß etwa 26 Jahre ausmacht.

In Schweden liegt zwischen dem Sekundarschulabschluß und dem Studienbeginn im Durchschnitt eine dreijährige Zeitspanne. Für die Absolvierung der drei-bis fünfjährigen Studiengänge werden im Durchschnitt etwa fünfeinhalb Jahre benötigt. Das Durchschnittsalter bei Studienabschluß hegt zwischen 27 und 28 Jahren.

In den Niederlanden wurden mit der Einführung der „Zweiphasen-Struktur“ im Jahre 1982 besonders weitreichende Maßnahmen realisiert, um die tatsächliche Studiendauer möglichst von mehr als sieben Jahren auf unter fünf Jahre zu senken. 1988 wurde seitens einer Expertengruppe geschätzt, daß die tatsächliche Studiendauer an niederländischen Universitäten im ersten Jahrgang des neuen Systems 5, 9 Jahre betrage; in anderen Publikationen, die sich ebenfalls auf noch unvollständige Daten beziehen, werden auch Werte von 5, 3 bis 5, 5 Jahren angegeben.

In Italien wird das Studium zumeist im Alter von 19 bis 21 Jahren aufgenommen. Die erforderliche Studienzeit beträgt im Durchschnitt viereinhalb Jahre. Vorliegende Untersuchungen zeigen, daß die erforderliche Zeit etwa um drei Jahre überschritten wird. Das Alter bei Studienabschluß liegt etwas über 27 Jahre.

Die genannte vergleichende Studie bezieht nur fünf westeuropäische Länder ein. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist ergänzend zu erwähnen, daß die tatsächliche Studiendauer bis zum Erreichen eines „bachelor’s“ in Irland kaum höher als vier Jahre geschätzt wird. In Dänemark dagegen gelten sieben Studienjahre nicht als ungewöhnlich, und in Spanien wird die Dauer eines universitären Studiums auf mehr als acht Jahre geschätzt. In der zuvor genannten Studie für den Europarat wird Finnland als Beispiel von hoher Studiendauer genannt: Bei den Absolventen 1982/83 hatte die durchschnittliche Studienzeit je nach Fachrichtung zwischen 5, und 9, 9 Jahren betragen.

Bezüglich der tatsächlichen Studiendauer sind auch keine einheitlichen Trends zu erkennen. In einigen Ländern mit besonders hoher tatsächlicher Studiendauer wurden Bemühungen um eine Verkürzung sichtbar — so am deutlichsten in den Niederlanden; da aber in manchen Ländern die erforderliche Studiendauer in einigen Fächern erhöht, zum Beispiel in Finnland der kürzere Universitätsabschluß abgeschafft wurde und da auch in manchen Ländern Bemühungen sichtbar sind, für „erwachsene“ Studierende, die oft an einem teilzeitlichen Studium interessiert sind, die Studienmöglichkeiten zu verbessern, würden genaue Statistiken für die achtziger Jahre im Durchschnitt der westeuropäischen Länder wohl kaum eine Verkürzung der tatsächlichen Studiendauer anzeigen.

Die große Spanne der durchschnittlichen tatsächlichen Studiendauer, die zwischen Großbritannien auf der einen Seite und Spanien auf der anderen Seite feststellbar ist, führt zu sehr unterschiedlichen Interpretationen. Der internationale Vergleich macht deutlich, daß Industriegesellschaften, mit denen wir zumindest gewisse Ähnlichkeiten in den Bereichen Technologie, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur empfinden, offenkundig unterschiedliche Optionen im Hinblick auf eine erforderliche und tatsächliche Dauer des Studiums sowie im Hinblick auf das Alter bei Studienabschluß vorgenommen haben. Wer eine lange Studiendauer und ein hohes Alter bei Studienabschluß in der Bundesrepublik Deutschland für normal hält, kann den Schluß ziehen, daß wir in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich kein völliger Außenseiter sind. Wer für eine Kürzung des Studiums und für ein geringeres Alter bei Studienabschluß plädiert, kann feststellen, daß dies in manchen anderen Ländern erfolgreich praktiziert wird und daß wir somit nicht behaupten können, man könne die für eine industrialisierte Gesellschaft geeigneten Hochschulabsolventen nicht in kürzerer Zeit und nicht bei geringerem Abschlußalter qualifizieren.

IV. Studium und Beruf

1. Fortsetzung der Hochschulexpansion Während zur Struktur des Hochschulwesens in Europa eine große Zahl vergleichender Studien oder Länderübersichten vorliegt, sind Arbeitsmarkt und Berufstätigkeit von Hochschulabsolventen in Europa im Laufe der achtziger Jahre kaum vergleichend analysiert worden. So kann hier nicht auf größere komparative Studien zurückgegriffen werden. Auch ist zu bedenken, daß ein zeitlicher Verzug in der Analyse und Berichterstattung oft unumgänglich ist.

Zunächst einmal ist festzustellen, daß in den meisten Ländern Westeuropas die Zahl der Hochschulabsolventen im Laufe der achtziger Jahre weiterhin gestiegen ist. Die Beschäftigungsprobleme, die für Hochschulabsolventen während der siebziger Jahre aufgetreten waren, haben sich demnach insgesamt nicht stark abschreckend ausgewirkt. Nach der vom Europarat 1988 publizierten Studie 7) lag die Zahl der Hochschulabsolventen im Jahre 1985 in Belgien um 36 Prozent, in Spanien um 21 Prozent und in Österreich um 19 Prozent höher als fünf Jahre zuvor. Auch in der Bundesrepublik Deutschland war mit 14 Prozent, in den Niederlanden mit neun Prozent und in Norwegen mit sieben Prozent ein begrenzter Anstieg beobachtbar. Eine Verringerung wurde lediglich in Schweden (ca. zehn Prozent) und in Finnland (ca. fünf Prozent) registriert.

Dabei ist ein weiteres Wachstum auch in Zukunft zu erwarten, denn in der ersten Hälfte der achtziger Jahre stieg die absolute Zahl der Studienanfänger noch stärker an als die Zahl der Hochschulabsolventen: Am deutlichsten war dies in Norwegen (59 Prozent) und Spanien (41 Prozent) der Fall. Auch in Österreich (25 Prozent) und Frankreich (22 Prozent) wurden beachtliche Zuwächse sichtbar. In den anderen der oben genannten Länder betrug der Zuwachs der Studienanfänger zwischen ein und elf Prozent; in keinem Falle ergab sich ein Rückgang der absoluten Zahlen. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn wir Quoten von Hochschulabsolventen auf der Basis von Statistiken der OECD vergleichen 2. Beschäftigungsprobleme von Absolventen In einer großen Zahl westeuropäischer Länder stieg zu Beginn der achtziger Jahre die Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen deutlich an. Bei den britischen Befragungen von Akademikern sechs Monate nach Studienabschluß werden Arbeitslose und Absolventen mit Kurzzeit-Beschäftigungen zu einer Kategorie zusammengefaßt. Der entsprechende Anteil unter den neuen Universitätsabsolventen stieg von neun Prozent im Jahre 1979 auf 17 Prozent im Jahre 1983 und unter den Absolventen von Polytechnics und anderen Hochschulen im gleichen Zeitraum von zehn auf zwanzig Prozent. In der Schweiz hatte man bei ähnlichen Erhebungen im Jahre 1979 drei Prozent und 1983 fünf Prozent arbeitslose Universitätsabsolventen registriert. Auch aus den Niederlanden wurde in diesem Zeitraum — wie in der Bundesrepublik Deutschland — von einer Verdreifachung der Akademikerarbeitslosigkeit insgesamt berichtet; in Österreich, wo zuvor die Arbeitslosigkeit geringer war, ergab sich sogar eine Vervierfachung.

Zu bedenken ist allerdings, daß in diesem Zeitraum insgesamt die Zahl der Arbeitslosen stark anstieg. Für die meisten westeuropäischen Länder blieb auch in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, wie dies zuvor bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zu beobachten war die Akademiker-arbeitslosigkeit deutlich unter der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit. So war Mitte der achtziger Jahre die Akademikerarbeitslosigkeit zum Beispiel in Großbritannien, Frankreich und Österreich weniger als halb so hoch, in den Niederlanden, Spanien und der Bundesrepublik Deutschland etwa halb so hoch wie die Arbeitslosigkeit bei der gesamten Erwerbsbevölkerung.

Eine besondere Entwicklung zeigt sich in Italien. Hier hatte 1978 die Arbeitslosenquote der Personen mit Universitätsabschluß etwas über sieben Prozent gelegen und war ein wenig höher als bei allen Erwerbspersonen. Bis 1983 war jedoch die Arbeitslosigkeit von Akademikern auf sechs Prozent gefallen, während die allgemeine Arbeitslosigkeit sich auf zehn Prozent erhöht hatte. Unter den Universitätsabsolventen waren in erster Linie Personen unter 30 Jahre arbeitslos.

In vielen Ländern ist eine gewisse Zeitspanne des Wartens und Suchens zwischen Studienabschluß und Berufstätigkeit zu beobachten. In der Regel wird angenommen, daß eine solche Zwischenphase zwischen Studienabschluß und Beginn der Berufs-tätigkeit in vielen Ländern in den achtziger Jahren höher war als in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, aber für nur wenige Länder liegen dazu entsprechende Daten in Zeitserien vor.

Bemerkenswert ist vor allem, daß vorliegende Daten aus den achtziger Jahren im Hinblick auf diese Zwischenphase sehr große Unterschiede nach Ländern zeigen. Aufder einen Seite hatten von den schwedischen Hochschulabsolventen 1984/85, die ein Jahr später berufstätig waren, gut drei Viertel unmittelbar nach dem Studienabschluß eine Berufs-tätigkeit aufgenommen und ein weiteres Fünftel innerhalb von vier Monaten nach Studienabschluß. Ebenso gab von den Schweizer Hochschulabsolventen des Jahres 1984, die 1985 berufstätig waren, fast die Hälfte an. daß sie sofort eine Tätigkeit aufgenommen hatten; weitere 30 Prozent waren innerhalb der ersten drei Monate gefolgt. Auf der anderen Seite deuten Umfragen und Arbeitslosigkeitsquoten darauf hin, daß die Zwischenphase von Studienabschluß bis zu Beginn der Berufstätigkeit in Italien und auch in Frankreich deutlich länger ist als in der Bundesrepublik Deutschland, für die verschiedene Untersuchungen einen Durchschnittswert von sechs Monaten aufzeigen.

Eine Reihe von Informationen, die gerne zum Aufweis von Beschäftigungsproblemen der Hochschulabsolventen herangezogen werden, erweisen sich bei näherer Analyse als problematisch. Nicht auszuschließen ist zwar zum Beispiel, daß manche Absolventen ein weiteres Studium aufnehmen, weil sie bei der Beschäftigungssuche auf Probleme gestoßen sind. In Großbritannien und der Schweiz fielen jedoch die Quoten der Weiterstudierenden unter den Hochschulabsolventen gerade zu Beginn der achtziger Jahre, als die Akademikerarbeitslosigkeit stieg. Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu erkennen, daß die — seit Beginn der siebziger Jahre fast konstant gebliebene — Quote der Weiterstudierenden in irgendeiner Weise vom Wandel der Beschäftigungschancen tangiert worden sei. Daß in einigen europäischen Ländern dagegen die Quote der Weiterstudierenden stieg, ist in erster Linie auf Aktivitäten zum Ausbau von weiterführenden Studiengängen zurückzuführen. Auch Teilzeitbeschäftigung ist nur mit Vorsicht als Indikator für Beschäftigungsprobleme zu verwenden. Von den befragten Schweizer Universitätsabsolventen des Jahres 1984 zum Beispiel, die 1985 berufstätig waren, waren sechs Prozent nach eigenen Angaben unfreiwillig teilzeitbeschäftigt, dagegen 22 Prozent auf eigenen Wunsch teilzeitig tätig.

Die genannten Hinweise werden hier jedoch keineswegs gegeben, um Probleme bei der Beschäftigungssuche zu verharmlosen. Selbst in der Schweiz, in der die Phase des Suchens und Wartens zwischen Studienabschluß und Beginn der Berufstätigkeit relativ kurz ist und die Quote derjenigen im europäischen Vergleich gering, die ein Jahr nach dem Studienabschluß noch arbeitslos sind, gaben von den Absolventen des Jahres 1984 ein Jahr später 46 Prozent an, bei der Beschäftigungssuche Probleme gehabt zu haben. Dabei variierte der Anteil je nach Studienfach zwischen sechs bis 77 Prozent.

Generell wird in der Bundesrepublik Deutschland angenommen, daß sich seit der Entstehung bemerkenswerter Arbeitslosigkeit im Jahre 1973 die Beschäftigungschancen für Hochschulabsolventen je nach Studienfach immer stärker auseinanderentwickeln. Auch in anderen europäischen Ländern sind ähnliche Phänomene zu beobachten. Allerdings wird gelegentlich zu Unrecht behauptet, daß es zumeist die gleichen Fächer seien, die besonders günstige Beschäftigungsaussichten hätten, und auch die gleichen, deren Absolventen auf besondere Schwierigkeiten stießen. So heißt es zum Beispiel in einem OECD-Bericht von 1987 zur Funktion und Rolle der Hochschulen, daß Absolventen der ingenieurwissenschaftlichen Fächer sowie der Physik, Chemie und Geologie in der Regel keine Beschäftigungsprobleme hätten, dagegen vor allem Absolventen der Geistes-und Sozialwissenschaften

Unsere eigenen Analysen von Arbeitslosenquoten ergeben ein etwas anderes Bild. Nach einer Befragung von französischen Absolventen neun Monate nach Studienabschluß, die im Jahre 1983 durchgeführt wurde, waren Chemiker überdurchschnittlich häufig arbeitslos, Absolventen der Geisteswissenschaften dagegen seltener als der Durchschnitt. In Österreich gab es in der ersten Hälfte der achtziger Jahre auch eine relativ hohe Akademikerarbeitslosigkeit unter Mathematikern und Physikern. In Schweden waren 1985 unter den Hochschulabsolventen des Vorjahres zwar die Geisteswissenschaftler weitaus am häufigsten arbeitslos, aber auch bei Biologen und Maschinenbauern ergaben sich überdurchschnittliche Werte. In den Niederlanden und in Großbritannien wiederum kommen die vorliegenden Daten den generellen Aussagen in dem genannten OECD-Bericht sehr nahe. So ist festzuhalten, daß die Arbeitsmarktprobleme für Absolventen der verschiedenen naturwissenschaftlichen Fächer je nach Land sehr unterschiedlich ausfallen und daß keineswegs in allen Ländern die Beschäftigungsaussichten für Studierende aller Bereiche der Ingenieurswissenschaften günstig sind. Auf der anderen Seite lassen sich ähnliche Differenzen von Land zu Land in den Beschäftigungschancen von Geistes-und Sozialwissenschaftlern verschiedener Fächer aufzeigen.

In bezug auf Unterschiede nach dem Hochschultyp lassen sich ebenfalls keine generellen Aussagen über alle europäischen Länder machen. Zu Beginn der achtziger Jahre war in einem OECD-Bericht vermutet worden, daß mit den verstärkten Beschäftigungsproblemen die nicht-universitären Institutionen durch ihre stärkere Berufsorientierung ihren Absolventen günstigere Beschäftigungschancen böten als die Universitäten Dies hat sich in den achtziger Jahren keineswegs durchgängig bestätigt. In Frankreich haben zwar die Absolventen der lUTs weniger Probleme bei der Beschäftigungssuche als Universitätsabsolventen; in Großbritannien dagegen deuten die regelmäßigen Befragungen ein halbes Jahr nach Studienabschluß darauf hin, daß Universitätsabsolventen beim Übergang vom Studium in den Beruf weniger Probleme haben als Absolventen von Polytechnics und anderen Hochschulen. Erwähnt sei hier, daß — entgegen weit verbreiteten Vorstellungen — auch Befragungen in der Bundesrepublik Deutschland weniger Probleme für Ökonomen und Maschinenbauer mit Universitätsabschluß aufzeigen als für Absolventen derselben Fächer mit Fachhochschulabschluß.

Häufig treffen Frauen beim Übergang vom Studium in den Beruf auf größere Probleme als Männer. Allerdings sind die Unterschiede in den einzelnen Ländern keineswegs gleichmäßig hoch. Die Schweizer Hochschulabsolventenbefragung von 1985 ergab, daß Frauen ein Jahr nach dem Studienabschluß doppelt so häufig arbeitslos waren wie Männer; eine entsprechende Erhebung in Frankreich zwei Jahre davor belegte eine eineinhalb mal so große Arbeitslosigkeit für Frauen. In Großbritannien verringerte sich der Abstand der Arbeitslosen-quoten ein halbes Jahr nach Studienabschluß zwischen Männern und Frauen deutlich im Laufe der späten siebziger und der frühen achtziger Jahre: 1985 war diese Quote bei Frauen nur noch geringfügig höher als bei Männern. Allerdings war bei den berufstätigen Universitätsabsolventen der Anteil der Frauen (acht Prozent) doppelt so hoch wie der Anteil der Männer (vier Prozent), die Sekretariats-, Büro-und manuelle Berufe aufgenommen hatten. 3. Zur Analyse „angemessener" Beschäftigung Mit der Erfahrung, daß die Hochschulabsolventen im Zuge der Hochschulexpansion über den vermeintlichen Bedarf hinaus weder überproportional häufig von Arbeitslosigkeit betroffen werden noch in der Regel solche bescheidenen beruflichen Positionen übernehmen, für die die Bezeichnung „akademisches Proletariat“ angebracht wäre, rückte im Laufe der siebziger Jahre bei den Diskussionen über die Beziehung von Hochschule und Beruf eine neue Frage in den Vordergrund. Häufig wurde seitdem zu klären versucht, in welchem Maße die Absolventen eine „angemessene“ berufliche Position übernehmen, beziehungsweise ihre im Studium erworbenen Kompetenzen später im Beruf verwenden können

In manchen Fällen mag die Berufskategorie selbst als ein eindeutiger Indikator für einen nicht angemessenen Einsatz empfunden werden. Dies wird in Großbritannien etwa für Sekretariats-, Büro-und manuelle Berufe angenommen: Nach diesem Maßstab waren 1985 sechs Prozent der Absolventen von Universitäten und 14 Prozent von Polytechnics sowie anderen Hochschulen eindeutig nicht adäquat eingesetzt. Gerade für eine große Anzahl dieser mittleren Berufe wiesen dagegen verschiedene Studien nach, daß ein erheblicher Anteil der Hochschulabsolventen über eine weitreichende Verwendung seiner Qualifikationen berichtet und seine Position als angemessen bezeichnet. Daher wurden seit Ende der siebziger Jahre eine Fülle von Studien durchgeführt, in denen Selbsteinschätzungen der Absolventen zur Beziehung von Studium und Beruf ermittelt werden.

Unterschiedliche Studien dieser Art in der Bundesrepublik erlauben — dies sei hier zum Vergleich vorangeschickt — den Schluß, daß etwa 60 Prozent der Hochschulabsolventen der Ansicht sind, ihre im Studium erworbenen Qualifikationen im Beruf nutzen zu können; ein ähnlicher Anteil betrachtet die berufliche Position als angemessen. Mehr als 20 Prozent geben darüber hinaus in solchen Befragungen an, daß sie in gewissem Maße ihre Qualifikation verwenden können oder daß sie ihre Position nicht ganz als angemessen empfinden. Weniger als 20 Prozent konstatieren eine nur sehr geringe Verwendung ihrer Qualifikationen oder eine Position, die eindeutig nicht als angemessen gilt.

Ein Vergleich innerhalb Europas in dieser Hinsicht fällt schwer, weil oft in den Fragestellungen Unter-töne zum Ausdruck kommen, die einen großen Einfluß auf die Antworten haben. Daher seien nur ein paar Beispiele der Messung inadäquater Beschäftigung genannt.

Besonders hoch angelegt wurde der Maßstab für adäquaten Einsatz bei einer Befragung in den Jahren 1981/82 von Absolventen ausgewählter Fächer und Hochschulen in Frankreich und Italien. Die Absolventen wurden fast ein Jahr nach Studienabschluß erstens gefragt, ob ihr Beruf ihrer Hochschulausbildung (nicht umgekehrt, wie in vielen anderen Studien gefragt wird) entspreche; wurde dies verneint, so wurde „Fehlallokation“ registriert.

Zweitens sollten die Absolventen angeben, ob sie Personen ohne Hochschulabschluß kennen, die in ähnlichen Berufen wie sie selbst tätig seien; diejenigen, die dies bejahten, wurden als „unterbeschäftigt“ eingestuft. Aus der Kombination dieser beiden Antworten wurde ein Index der Qualifikationsnutzung gebildet. Danach wurden je 34 Prozent der französischen und italienischen Absolventen als inadäquat beschäftigt eingestuft; für 22 bzw. acht Prozent wurde eine teilweise Nutzung der Qualifikationen konstatiert; nur 44 Prozent der französischen Befragten (58 Prozent der italienischen Befragten) schienen demnach adäquat eingesetzt.

Ein mittlerer Maßstab wird in der regelmäßigen Befragung schwedischer Absolventen etwa ein Jahr nach Studienabschluß angelegt. Die Absolventen werden gefragt, ob ihr Studium völlig, etwas oder überhaupt nicht für die derzeitige berufliche Tätigkeit geeignet sei. Von den Absolventen des Jahres 1984, die ein Jahr später berufstätig waren, gaben 70 Prozent an, daß ihr Studium völlig geeignet sei. 24 Prozent hielten ihr Studium für teilweise geeignet, und fünf Prozent meinten, daß ihr Studium überhaupt nicht zu ihrer derzeitigen Tätigkeit passe. 4. Europäische Gemeinsamkeiten und nationale Besonderheiten in der Beziehung von Studium und Beruf Im Zusammenhang der Problemklärungen zum Verhältnis von Hochschulexpansion und Beschäftigung, zur Arbeitslosigkeit von Absolventen und zur „angemessenen“ oder „unangemessenen“ Tätigkeit von Hochschulabsolventen haben sich in vielen Ländern Westeuropas in den siebziger und achtziger Jahren so ähnliche Diskussionen entwickelt, daß sich die Vermutung aufdrängt, die Beziehungen zwischen Studium und Beruf seien in diesen Ländern in der Tat sehr ähnlich gestaltet. Es gibt jedoch eine Reihe von Hinweisen, die zu Vorsicht gegenüber der Annahme sehr großer Gemeinsamkeiten raten. Da hier selten vergleichbare Forschungsergebnisse vorliegen, können nur vorsichtige Einschätzungen dargestellt werden. a) Die Konsequenzen, die aus den Veränderungen der Beschäftigung von Hochschulabsolventen — u. a. resultierend aus der Hochschulexpansion — im Hinblick auf die zukünftige quantitative Entwicklung gezogen werden, sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Großbritannien wurde in den achtziger Jahren am stärksten versucht, die Zahl der Hochschulabsolventen durch Einschränkung der finanziellen Förderung der Hochschulen in Grenzen zu halten. In Frankreich und Spanien dagegen waren Bemühungen um eine deutliche Hochschulexpansion erkennbar. In vielen anderen Ländern lassen sich verschiedene Maßnahmen und Entwicklungen nicht eindeutig als Zeichen einer entschiedenen Expansions-oder Restriktionspolitik einordnen. b) Fragen der Abstimmung von Hochschule und Beruf zwischen Fachrichtungen und Ebenen der Hochschulabschlüsse einerseits sowie Berufskategorien andererseits scheinen in westeuropäischen Ländern auf den ersten Blick im Prinzip ähnlich gelöst zu werden. Systematische Bedarfsplanung für alle Bereiche hat es ja auch in den sechziger und siebziger Jahren nicht gegeben; aber in den achtziger Jahren wurden darüber hinaus kaum mehr Prognosen über Angebot und Nachfrage an hochqualifizierten Arbeitskräften für alle Fachrichtungen und Berufsbereiche vorgelegt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß in europäischen Ländern keine Vorsorgeplanung entsprechend der individuellen Bildungsnachfrage fortgesetzt würde. Vielmehr beobachten wir erstens in vielen Ländern — im Vergleich zu den siebziger Jahren — eine Zunahme partieller Lenkungsmaßnahmen insbesondere zugunsten naturwissenschaftlicher und technischer Studiengänge oder generell zugunsten der Vorbereitung auf Berufstätigkeiten in der Privatwirtschaft. Selbst wenn nicht eindeutig war, ob sich die Beschäftigungsmöglichkeiten entsprechend entwikkelten und eine bestimmte Bildungsnachfrage bestand, wurden Lenkungsmaßnahmen in die genannte Richtung ergriffen. Zweitens wurde in vielen Ländern betont, daß eine größere Vielfalt der Studienangebote sowohl dem gewachsenen Spektrum des beruflichen Einsatzes von Hochschulabsolventen entspreche, als auch eine größere Reagibilität gegenüber zukünftigen Veränderungen in beruflichen Anforderungen an Hochschulabsolventen erlaube. Deshalb sollten die einzelnen Hochschulen größere Freiräume bei der Gestaltung der Studienangebote haben und mehr Initiativen zur Innovation von Studienangeboten entwickeln. Tatsächlich zeigt sich jedoch, daß in manchen Ländern große Veränderungen in dieser Hinsicht unternommen wurden, in anderen Ländern die Versuche aber nur marginal blieben. c) In vielen Ländern Europas hat die These großen Rückhalt, daß die Abstimmung von Bildung und Beschäftigung erleichtert würde, wenn die vorberufliche Qualifizierung generell akzentuiert und die fachliche Spezialisierung berufsbegleitend erfolgen würde. Festzustellen ist jedoch erstens, daß in keinem westeuropäischen Land weitgehende bildungspolitische Schritte in Richtung eines Systems von „recurrent education“ oder „life-long education“ ergriffen wurden. Zweitens scheinen nationale Traditionen in der Akzentsetzung der Hochschulen oder in den Erwartungen der Arbeitgeber an die Hochschulen unvermindert nachzuwirken. Zwei ähnliche Studien über Kriterien und Verfahren bei der Rekrutierung von Hochschulabsolventen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland belegen, daß in der Bundesrepublik Deutschland auch in den achtziger Jahren die spezifische fachliche Kompetenz für die Einstellung von Hochschulabsolventen ein weitaus höheres Gewicht hat als in Großbritannien

d) Während in Fragen der Hochschul-und Studiengangstypen, der Dauer des Studiums sowie der inhaltlichen Akzentsetzungen des Studiums und deren Beziehungen zum Beruf immerhin ein international vergleichender Erfahrungsaustausch sehr verbreitet ist, sind Zwischenzonen zwischen Studium und beruflicher Praxis — etwa Praktika, Praxisphasen im Studium, berufliche Eingangsqualifizierung u. ä. — kaum Gegenstand systematischer Information, vergleichender Studien oder gar internationaler Abstimmung gewesen, sieht man von wenigen Studienfächern und Berufsgruppen (etwa der Medizin) ab. Während in der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden die Mehrheit der Studierenden Praktika zu absolvieren hat, ist dies in manchen anderen europäischen Ländern nur für eine sehr kleine Minderheit der Studierenden der Fall. In manchen Ländern — wie etwa in der Bundesrepublik — gibt es in erster Linie im öffentlichen Dienst ein elaboriertes System beruflicher Eingangsqualifizierung; hingegen erfolgt in der Privatwirtschaft eine reguläre Beschäftigung von Anfang an und die Eingangsqualifizierung wird sehr unterschiedlich gehandhabt. In einigen anderen Ländern — so zum Beispiel in Großbritannien, Irland und zum Teil auch in Frankreich — hat die starke Stellung professioneller Organisationen dazu beigetragen, daß vor allem in Berufen wie die von Ingenieuren und Kaufleuten, die überwiegend der Privatwirtschaft zuzurechnen sind, ein ausgebautes System der beruflichen Qualifizierung und Lizensierung entstanden ist. In anderen Ländern wiederum öffnet das Studium der meisten Fächer den Zugang zur Berufstätigkeit, ohne daß durchgängige Modelle der beruflichen Eingangsqualifizierung erkennbar wären

Ähnlich wie für die Entwicklung von Hochschulund Studiengangsarten oder die Dauer des Studiums gilt also auch für die inhaltlichen Akzentsetzungen des Studiums und seiner Beziehung zum Beruf wie auch für die Vorstellungen der Arbeitgeber über die wünschenswerte Qualifizierung von Hochschulabsolventen, daß wir in den achtziger Jahren in Westeuropa keineswegs eine „Harmonisierung“ erleben. Eine große Diversifizierung zwischen europäischen Ländern hat sich wahrscheinlich in stärkerem Maße fortgesetzt, als die wissenschaftlichen und politischen Diskussionen zu diesen Problembereichen erwarten ließen.

V. Folgerungen für die innereuropäische Mobilität von Studierenden und Absolventen

Im Laufe der achtziger Jahre hat sich in Westeuropa die Vorstellung durchgesetzt, daß eine in naher Zukunft deutlich ansteigende Mobilität der Studierenden und Hochschulabsolventen wünschenswert und wahrscheinlich sei. Die zugrundeliegende Idee des ERASMUS-Programmes — eines Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaft zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten —, daß der Anteil der Studierenden in den EG-Ländern, die für ein Semester, ein Jahr oder sogar dauerhaft in einem anderen EG-Land studieren, sich von ein auf zehn Prozent steigern werde, ist ein anschauliches Beispiel für das Ausmaß von intendierten Veränderungen.

Die vorangehende Analyse zeigt, daß die Hochschulsysteme in Westeuropa in den achtziger Jahren nicht ähnlicher geworden sind. Wir beobachten weder einen naturwüchsigen noch einen geplanten Prozeß der Konvergenz oder der „Harmonisierung“. Natürlich ist die europäische Vielfalt in Hochschule und Beruf eine interessante Herausforderung, die ein Studium oder eine Berufstätigkeit im Ausland wertvoll macht. Auch legt die in den achtziger Jahren gewachsene Sympathie für eine größere Vielfalt des Hochschulsystems innerhalb eines Landes es nahe, Vielfalt zwischen den Hochschulsystemen von Nachbarländern ebenso positiv zu bewerten. Jedoch wird generell angenommen, daß allein das Vertrauen in den Reiz der europäischen Vielfalt der Hochschulen und des akademischen Arbeitsmarktes die Mobilität in allzu engen quantitativen Grenzen belassen würde und daß die Opfer der Pioniere für grenzüberschreitende Qualifizierung und Berufstätigkeit in vielen Fällen zu groß sein würden.

Analysieren wir die verschiedenen Bemühungen in den siebziger und achtziger Jahren zur europäischen Mobilitätsförderung in Studium und Beruf, so lassen sich modellartig fünf Hauptstrategien kennzeichnen: Angleichung, Äquivalenz, Abstimmung in Teilbereichen, Informationsverbesserung und offene Mobilitätsförderung

a) Angleichung: Eine Angleichung der Hochschulsysteme ist gewöhnlich nicht Gegenstand supra-nationaler Organisationen, sondern nationaler Entscheidungen. In der Diskussion in der Bundesrepu-blik Deutschland während der zweiten Hälfte der sechziger Jahre über eine eventuelle Aufwertung der Ingenieurschulen und höheren Fachschulen zu Fachhochschulen war eines der entscheidenden Argumente, daß die Bewahrung der damaligen Besonderheiten dieser Bildungswege für ihre Absolventen Nachteile im Falle der internationalen Mobilität erbrächte. Ähnlich wird heute im Hinblick auf sehr lange Studienzeiten und in diesem Kontext auch hinsichtlich des 13. Schuljahres an Gymnasien argumentiert. b) Äquivalenz: Bemühungen um die Bestimmung einer Gleichwertigkeit von Studiengängen oder -abschnitten haben nicht notwendigerweise eine Angleichung der Strukturen von Hochschulen und Studiengängen zum Ziel. Es geht in erster Linie um die Definition von „Umtauschraten". Dies ist das genuine Betätigungsfeld von internationalen Organisationen — in Westeuropa bemühen sich die UNESCO, der Europarat und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften darum — oder das Ergebnis von zwischenstaatlichen Verträgen (die Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel hat Äquivalenzvereinbarungen mit Frankreich, den Niederlanden und Österreich abgeschlossen). Versucht wird, generelle Bestimmungen von Gleichwertigkeit zu finden, so daß feste „Umtauschkurse“ angekündigt werden können, die Erwartungssicherheit versprechen, statt den Zufälligkeiten der Einzelfallprüfung Tür und Tor zu öffnen.

Die bisher erreichten Ergebnisse von Äquivalenzvereinbarungen mögen je nach gewähltem Maßstab als außerordentlich niedrig oder angesichts der prinzipiellen Schwierigkeiten als sehr positiv beurteilt werden. Die starken Bemühungen um Abstimmung in Teilbereichen, um Informationsverbesserung und um offene Mobilitätsförderung in den achtziger Jahren beruhen jedoch auch auf der Einsicht, daß die Erfolge von Äquivalenzklärungen viel zu schmal geblieben sind, um auf dieser Basis allein Mobilität in Studium und Beruf zu stimulieren. c) Abstimmung in Teilbereichen: In den siebziger Jahren nahmen Kooperationen zwischen jeweils einer kleinen Zahl von Hochschulen oder Fachbereichen verschiedener Länder zu, um einen regelmäßigen Austausch ihrer Studierenden zu vereinbaren; dabei werden gewöhnlich generelle Regelungen aufgestellt, unter welchen Bedingungen, in welchem Umfange und auf welche Weise die Ergebnisse einer Studienphase an der Partnerhochschule im Ausland später bei der Rückkehr an die Herkunftshochschule anerkannt werden. Das 1976 von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingerichtete Programm der „Gemeinsamen Studienprogramme“ (der Vorläufer des ERASMUS-Programms) und das 1979 etablierte Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für „Integrierte Auslandsstudien“ sind Beispiele für die Förderung eines solchen Austausches zwischen einzelnen Hochschulen und Fachbereichen, der mit gewisser Erwartungssicherheit im Hinblick auf die Anerkennung der Auslandsstudienphase verbunden ist. Die einzelnen Hochschulen können in einem solchen Rahmen darüber hinaus noch weitaus feinere Formen der Abstimmung von Studiengängen und einzelnen Lehrveranstaltungen und deren Inhalten vornehmen.

Die Popularität solcher Kooperationen verdeutlicht, daß die Abstimmung von Teilbereichen des Hochschulwesens in der Tat ein Weg ist. die Barrieren zu verringern, die sich aus der Unterschied, lichkeit der Hochschulsysteme ergeben. Allerdings sind auch die Grenzen solcher Modelle zu sehen:

Sie dienen nicht allen Studierenden; sie bieten keine Lösung, wenn der eigene Fachbereich an einer solchen Kooperation nicht beteiligt ist oder wenn die fachliche Spezialisierung, die die Studierenden im Ausland suchen, gerade nicht an der Partnerhochschule angeboten wird. Auch zeigt eine empirische Studie, die überwiegend gut etablierte Austauschstudienprogramme umfaßt, daß mehr als die Hälfte der beteiligten deutschen Studierenden ihr Studium an der Gasthochschule bei der Rückkehr an die Herkunftshochschule nicht voll anerkannt bekamen

d) Informationsverbesserung: Je weniger einheitlich die Hochschulsysteme sind, desto mehr erscheint Mobilität in Studium und Beruf davon abzuhängen, daß ausreichende Informationen vorliegen. Zweifellos nehmen die Informationsquellen zu Hochschulen, Studienangeboten und den Hochschuldiplomen in Europa an Menge und Qualität immer mehr zu. Handbücher sind dabei die bekannteste Quelle computerisierte Informationsnetze werden erwogen.

Die Absicht, detaillierte Information über Studien-angebote und -abschlüsse bereitzustellen, trifft jedoch auf eine Fülle von Problemen. Erstens, weil allzu genaue Darstellungen zu aufwendig wären oder nicht mehr zur Kenntnis genommen würden; bei begrenzter Detailliertheit kommen wiederum Sonderfälle zu kurz, die gerade angesichts der wachsenden Bedeutung hochschulischer Vielfalt mehr Aufmerksamkeit verdienten. Zweitens darf nicht übersehen werden, daß Zertifikate nicht allein die Funktion der Information haben, sondern auch die der symbolischen Image-Pflege; von daher ist neutrale Information erschwert. Drittens kann jede Information eine problematische normierende Kraft entwickeln: Wird etwa im internationalen Vergleich detailliert über Leistungen in einzelnen Kursen informiert, so wird möglicherweise den Ländern eine Normierung des Studiums nach einzelnen Kursen und die Bewertung des Studiums auf der Basis einzelner Kurse aufgedrängt, die zuvor die Wahl zwischen einer Menge an Kursen und Bewertungen zuließen und eher auf die Bewertung im Rahmen von Zwischen-oder Abschlußexamina vertrauten.

e) Offene Mobilitätsförderung: Dies kann zum Beispiel durch Stipendien geschehen oder durch finanzielle Unterstützung von Aktivitäten der Hochschulen zur Förderung des Austausches von Studierenden. Würde diese Strategie für sich allein gewählt, so würde in größerem Umfange zum Experimentieren beigetragen, an dessen Ende Routinen der Abstimmung von Teilbereichen, Äquivalenzregelungen oder sogar Annäherungen der Hochschulsysteme stehen könnten. Der Preis ist allerdings ein hohes Risiko für diejenigen Studierenden, die die Pionierleistungen für zukünftige Generationen von Studierenden und Absolventen zu erbringen haben. Die Erfahrungen der Vergangenheit erlauben keine klare Prognose für langfristige Entwicklungen. Es mögen sich Angleichungen der europäischen Hochschulsysteme in bestimmten Grundzügen ergeben. Vielfalt innerhalb und zwischen den Ländern mag höher geschätzt und besser bewältigt werden. Grenzen der Abstimmung und Übersichtlichkeit der Systeme mögen dazu führen, daß Netzwerke von Hochschulen sowie Kooperationen zwischen Hochschulen und beschäftigenden Organisationen die mehr oder weniger ausschließlichen Träger der Mobilität werden. In den neunziger Jahren dürften jedoch die bestehenden Kontraste der Hochschulsysteme trotz aller Problemlösungsansätze weiterhin von der Mehrheit der mobilen Studierenden und Absolventen Experimentierfreude, Risikobereitschaft und Umgangsfähigkeit mit unklaren Informations-und Handlungsbedingungen verlangen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ulrich Teichler, Europäische Hochschulsysteme. Die Beharrlichkeit vielfältiger Modelle, Frankfurt 1990 (im Druck).

  2. Siehe dazu ausführlicher Ulrich Teichler, Changing Patterns of the Higher Education System, London 1988; ders., Convergence or Growing Variety. The Changing Organisation of Studies, Strasbourg (Council of Europe) 1988; zum Hochschulsystem in europäischen Ländern siehe auch verschiedene Monographien des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung; ferner Europäische Hochschulsysteme im Vergleich, Bonn (Hochschulverband) 1989.

  3. Vgl. Martin Trow, Elite and Mass Education: American Models and European Realities, in: Research into Higher Education. Processes and Structures, Stockholm (National Board of Universities and Colleges) 1979, S. 183— 219.

  4. Vgl. Anm. 2.

  5. Vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, EG-Richtlinie zur Anerkennung von Hochschulabschlüssen für den Berufszugang. Daten — Fakten — Hintergründe (Faltblatt), Bonn 1988.

  6. Vgl. Ulrich Teichler/Wolfgang Steube. Studiendauer und Lebensalter. Beiträge zur Diskussion aus 7 ausgewählten Ländern (Bildung — Wissenschaft — international, Nr. 1/89), Bonn (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft) 1989.

  7. Vgl. U. Teichler, Convergence (Anm. 2), S. 18.

  8. Vgl. OECD. Educational Trends in the 1970s. A Quantitative Analysis, Paris 1984; OECD, Education in OECD Countries 1985 — 86. Comparative Statistics, Paris 1988, vervielt. Manuskript.

  9. Vgl. Manfred Tessaring/Heinz Werner, Beschäftigung und Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft, Nürnberg (Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit) 1981 (Beiträge aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, H. 46).

  10. Vgl. OECD, Universities under Scrutiny, Paris 1987.

  11. Vgl. OECD, Policies for Higher Education in the 1980s, Paris 1983.

  12. Vgl. dazu ausführlicher Ulrich Teichler. Hochschule und Beruf in Europa, in: Lutz Reyer/Jürgen Kühl (Hrsg.). Resonanzen. Arbeitsmarkt und Beruf — Forschung und Politik. Festschrift für Dieter Mertens, Nürnberg (Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit) 1988, S. 450-495.

  13. Vgl. Judith Roizen/Mark Jepson. Degrees for Jobs, Guil-ford (SHRE und NFER/Nelson); Ulrich Teichler/Michael Buttgereit/Rolf Holtkamp, Hochschulzertifikate in der betrieblichen Einstellungspraxis. Bad Honnef (BMBW, Studien zu Bildung und Wissenschaft, Nr. 6).

  14. Vgl. die Übersichten in: Hanna Jablonska-Skinder/Ulrich Teichler in Zusammenarbeit mit Matthias Lanzendörfer, Higher Education Diplomas in Europe, Bucharest (UNESCO/CEPES) 1989.

  15. Vgl. dazu Materialien und Übersichten in: Practice, Politics and Function of Foreign Study in Higher Education. in: Europcan Journal of Education, 22. (1987) 1; International Recognition of Studies and Degrees: Challenges and Perspectives. in: Higher Education in Europe. 13 (1988) 2; Ludwig Gieseke/Ulrich Podewils. Äquivalenzen im Hochschulbereich. in: Bildung — Wissenschaft — aktuell, 2/88. Vgl. auch Guy Neave, The EEC and Education Stock-on-Trent 1984; Klaus Fahle, Die Politik der Europäischen Gemeinschaften in den Bereichen Erziehung. Bildung und Wissenschaft, Frankfurt (Max-Traeger-Stiftung) 1989.

  16. Vgl. Ulrich Teichler/Alan Smith, Auslandsstudienprogramme und ihre Erträge für Studierende und Absolventen, in: Bildung — Wissenschaft — aktuell. 8/88. S. 26.

  17. Vgl. z. B. Brigitte Mohr/Ines Liebig, Studentenhandbuch. Studieren in Europa, Köln (Bundesanzeiger-Verlag)

Weitere Inhalte

Ulrich Teichler, Dr. phil., geb. 1942; Professor an der Gesamthochschule Kassel; Geschäftsführender Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums für Berufs-und Hochschulforschung in Kassel und Professor für Bildung und Sozialpolitik an der Northwestern University in Evanston, Illinois (USA). Wichtigste Forschungsgebiete: Hochschule und Beruf, internationaler Vergleich von Hochschulsystemen und Auslandsstudium. Studien und beratende Tätigkeiten u. a. für UNESCO, OECD, Europarat, Europäische Rektorenkonferenz (CRE) und Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Veröffentlichungen u. a.: Der Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen. 1981; Berufstätigkeit von Hochschulabsolventen, 1983; Europäische Hochschulsysteme. Die Beharrlichkeit vielfältiger Modelle, 1990.