Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die SWAPO als Regierungspartei | APuZ 8/1990 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 8/1990 Namibia: Wirtschaftspotential und Entwicklungsperspektiven Die SWAPO als Regierungspartei Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Namibia-Konflikt Südafrika nach der Unabhängigkeit Namibias: Durchbruch zu Verhandlungen?

Die SWAPO als Regierungspartei

Franz Ansprenger

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Wahlsieg vom November 1989 gibt der SWAPO das Mandat, Namibia zu regieren. Die Befreiungsbewegung hat diesen Erfolg mit einem Handikap errungen: weniger durch die diplomatische Zurücksetzung während der letzten internationalen Verhandlungsphase 1988/89, weniger durch die ohne Rücksicht auf eigene Verluste befohlene Invasion in Nord-Namibia am 1. April 1989, als vielmehr durch das Erschrecken des schwarzen Volks Namibias über die Menschenrechtsverletzungen der Exil-SWAPO, über die heimkehrende Häftlinge berichteten. Allerdings wählten die Ovambo dann doch fast geschlossen die SWAPO. Im Wahlkampf demonstrierte die SWAPO vornehmlich Präsenz und Finanzstärke, ging auf Einzelheiten ihres Programms kaum ein und vermied die Diskussion mit den konkurrierenden Parteien. Mit der Parole der Nationalen Versöhnung sprach die SWAPO besonders die Weißen an. Wahlmanifest und Verfassungsentwurf der SWAPO schließen für die Zukunft eine demokratische Entwicklung Namibias nicht aus, enthalten aber vor allem in der Machtkonzentration beim Staatspräsidenten für die Demokratie gefährliche Elemente; Testfall wird die innerparteiliche Demokratie der SWAPO sein. Im Wirtschaftsprogramm hat die SWAPO eine pragmatische Wende zu einer mixed-economy-Politik vollzogen.

I. Einleitung

Vom 7. bis 11. November 1989 wählte das Volk Namibias in freier und geheimer Wahl seine Verfassunggebende Versammlung. Für die SWAPO, die South West African People’s Organization, stimmten bei einer extrem hohen Beteiligung von 95, 6 Prozent der registrierten 701 483 Wähler 384 567, das sind 57, 3 Prozent. Die SWAPO hat also ein eindeutiges Mandat, Namibia zu regieren. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, daß Prozent. Die SWAPO hat also ein eindeutiges Mandat, Namibia zu regieren. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, daß die in der Generalversammlung der Vereinten Nationen seit 1976 beliebte Formel, wonach die SWAPO als „. . . the sole and authentic representative of the Namibian people. . ." 2), also als einzige echte Vertretung des Volkes anerkannt wurde, der Realität nicht entspricht. Nur im Ovamboland, wo bei 86 Prozent Wahlbeteiligung 92, 3 Prozent der regulären Stimmen auf die SWAPO entfielen 3), bestätigte sich der politische Alleinvertretungsanspruch der Befreiungsbewegung.

Die SWAPO wird in Windhoek regieren, und es stellt sich die Frage, wie sie auf diese Aufgabe vorbereitet ist. Die Organisation ist jetzt dreißig Jahre alt. Seit ihrer Gründung als Lobby für die „Eingeborenen“ Südwestafrikas bei den Vereinten Nationen in New York steht der inzwischen sechzigjährige ehemalige Eisenbahnarbeiter Sam Nujoma an der Spitze der SWAPO. Nujoma mußte 1960 ins Exil gehen, weil er als ein Rädelsführer der von der Polizei niedergeschlagenen Demonstration galt, mit der Schwarze in Windhoek am 10. Dezember 1959 gegen ihre Vertreibung aus der „alten Werft“, ihrem nahe dem Stadtzentrum gelegenen Wohngebiet, protestiert hatten. Im Exil gewann die SWAPO 1964 durch ihre Bereischaft, den „bewaffneten Kampf'gegen Südafrika aufzunehmen, die alleinige Anerkennung bei der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) und ließ damit die konkurrierende SWANU (South West African National Union) hinter sich. 1966 sickerte eine kleine Gruppe von Partisanen von Sambia nach Nord-Namibia ein, wurde allerdings sofort aufgerieben. Im Februar 1968 verurteilte ein südafrikanisches Gericht gefangene Kämpfer und verhaftete SWAPO-Aktivisten (darunter den heutigen Generalsekretär Andimba Herman Toivo ja Toivo) als „Terroristen“ zu lebenslänglichen oder langjährigen Haftstrafen

Auch als die SWAPO nach dem Zusammenbruch der portugiesischen Herrschaft über Angola 1974 dort Anlehnung bei der befreundeten MPLA (Volksbefreiungsbewegung für Angola) -Regierung fand und über die lange Südgrenze hinweg in Namibia (wenigstens jedes Jahr während der Regenzeit) einen Kleinkrieg in Gang setzte, erkannte der Kriegsgegner gefangene Soldaten der zur SWAPO gehörenden People’s Liberation Army of Namibia (PLAN) nie als Kriegsgefangene im Sinne der Gen-fer Rotkreuz-Konventionen an. Andererseits verzichtete Südafrika in all diesen Jahren darauf, die SWAPO als politische Partei in Namibia zu verbieten. Die Verwaltung begnügte sich mit einer ständigen Drangsalierung der wenigen opferbereiten Namibier, die sich immer wieder offen als Anhänger und Sprecher der SWAPO zu erkennen gaben. Sie fanden Zuflucht, das heißt ganz einfach Lohn und Brot vor allem bei den Kirchen des schwarzen Volkes von Namibia und ihrem Verbindungsbüro, dem Kirchenrat (Council of Churches in Namibia, CCN) in Windhoek. Wenn Südafrika gehofft hatte, mit dieser Taktik die SWAPO in einen „gemäßigten“ internen und einen „extremistischen“ Exil-Flügel zu spalten, dann ging diese Rechnung nicht auf. Die Einheit der Organisation blieb immer gewahrt. Allerdings mußten im Laufe der Jahre immer wieder Hunderte von SWAPO-Anhängern aus Namibia nach Angola oder Sambia flüchten, darunter auch Amtsträger der internen SWAPO. Ihre Integration in die Exil-Organisation erzeugte mehrmals Spannungen und 1976 einen offenen Konflikt: „Dissidenten“, unter denen der vormalige Sekretär für Information in der SWAPO-Führung, Andreas Shipanga, der bekannteste war, spalteten sich ab oder wurden ausgeschlossen und nun ihrerseits von der SWAPO und den Regierungen der afrikanischen Frontstaaten — Sambia und Tansania — drangsaliert.

Wir können die Geschichte der SWAPO hier nicht ausführlich schildern Als Kristallisa-tionspunkt unserer Ausführungen gilt der 1. April 1989. An diesem Tag wurde zwischen den Regierungen Südafrikas, Angolas und Kubas der Übergang Namibias zur Unabhängigkeit unter UNTAG-Aufsicht gemäß der bekannten Sicherheitsrats-Resolution 435 von 1978 vereinbart .

II. Die Lage der SWAPO Ende März 1989

1989 hatte sich Entscheidendes in der internationalen Politik geändert. Bei der Abstimmung über die UNO-Resolution 435 hatte die Sowjetunion durch Stimmenthaltung einer „Kontaktgruppe“ von fünf Westmächten (USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Bundesrepublik Deutschland) grünes Licht für die Lösung des Namibia-Konflikts gegeben; diese Fünfergruppe hatte abschnittsweise erfolgreich mit Südafrika und der SWAPO verhandelt, um die vielen Hindernisse auf dem Weg zu freien und fairen Wahlen zu beseitigen. Durch das Junktim des neuen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der plötzlich die Entkolonisierung Namibias an den Rückzug der kubanischen Truppen aus Angola koppelte, wurde der diplomatische Prozeß 1981 vorläufig beendet 1988 verhandelten Südafrika. Angola und Kuba unter „Beobachtung“ — in Wirklichkeit unter dem gemeinsamen massiven Druck der beiden Supermächte USA und UdSSR —, wobei die sowjetische Führung unter Michail Gorbatschow deutlich signalisierte, daß sie ihr Engagement im südlichen Afrika eher zurückschrauben als forcieren wolle. Nicht beteiligt waren Kanada, die Westeuropäer — und die SWAPO.

Südafrika hatte offenbar verlangt, die von ihm gestützte angolanische Guerrilla-Organisation UNITA entsprechend aufzuwerten, sollte die andere Seite darauf bestehen, die SWAPO wieder am Konferenztisch zuzulassen. Die diesem Status-Geplänkel folgenden Kämpfe kosteten im April 1989 Hunderten von Namibiern das Leben.

Die SWAPO galt zwar bei allen Beobachtern weiterhin als Favorit bei den Wahlen. Sie hatte sich aber noch längst nicht von der jahrzehntelangen Drangsalierung erholt. Es gab kein Büro in Windhoek und auf dem Lande nur vereinzelt etablierte Ortsverbände. Der Ausgabe von SWAPO-Mitgliedskarten ruhte, so daß niemand auch nur die annähernde Zahl der Parteimitglieder nennen konnte. Nur vereinzelt bemühte sich die interne SWAPO, durch das Dickicht der restriktiven Gesetze und Verordnungen hindurch eine behördliche Genehmigung zum Abhalten einer Versammlung einzuholen.

Man konnte darauf bauen, daß starke gesellschaftliche Kräfte die SWAPO-Parteiarbeit nebenamtlich erledigten, wie z. B. die Kirchen und der CCN. Da war vor allem seit 1985 eine schnell erstarkte Arbeiterbewegung mit kampferprobten Gewerkschaften insbesondere in den Bergwerken und der Nahrungsmittel-Industrie; ihr Dachverband NUNW (National Union of Namibian Workers) war ebenso eng mit der SWAPO verbündet wie der Schülerund Studentenverband NANSO (Namibia National Students’ Organisation).

Die Exil-SWAPO schwankte gleichfalls zwischen Schwäche und Stärke. PLAN galt allgemein (auch bei der südafrikanischen Wehrmacht) als respektable Streitmacht, die sowohl bei den periodisch verstärkten südafrikanischen Einfällen nach Süd-Angola (das Scheitern der Südafrikaner vor der Stadt Cuito Cuanavale Anfang 1988 trug wesentlich zur plötzlichen Kompromißbereitschaft Pretorias bei) als auch im nord-namibischen Kleinkrieg ihren Widersachern harte Gefechte lieferte Jedoch mußte jedermann, von Nujoma bis zum einfachen PLAN-Soldaten, erkennen, daß PLAN diesen Krieg militärisch nie gewinnen konnte. Von 1981 bis Mitte 1988 rückte die Hoffnung auf einen politischen Sieg der SWAPO an den Wahlurnen, der 1978— 1980 sehr nahe schien, in immer weitere Feme. Es ist nicht eindeutig belegt, aber sehr wahrscheinlich, daß in dieser Lage wieder ein innerer Zwist in der Exil-SWAPO ausbrach, mit dem der Unfalltod des SWAPO-Sekretärs für Verteidigung Peter Nanyemba — er gehörte zum engsten Führungszirkel um Nujoma — am 1. April 1983 in Zusammenhang stehen dürfte. Der Sicherheitsapparat von SWAPO/PLAN geriet danach anscheinend außer Kontrolle, oder aber Sam Nujoma setzte ihn absichtlich ein, um die Krise durch Massenverhaftungen, Verhöre und Folterungen angeblicher „Spione Südafrikas“ in den Reihen der SWAPO zu meistem. Erst Anfang 1986 wurde bei einer Neubesetzung mehrerer Führungsposten der Exil-SWAPO auch ein neuer Sekretär für Verteidigung berufen: Peter Mueshi-hange; er gehörte wiederum zum engsten Kreis um den Präsidenten.

Jedenfalls verlangte das von Südafrika, Angola und Kuba am 5. August 1988 unterzeichnete Genfer Protokoll, PLAN sollte sich auf Stellungen nördlich des 16. Breitengrades, also etwa 100 km jenseits der namibischen Grenze, zurückziehen. Die Höflichkeit der Diplomaten faßte diese Bestimmung allerdings in Worte, die nur Angolas und Kubas „gute Dienste“ beanspruchten, denn die SWAPO selbst war ja zur Unterschrift nicht zugelassen.

III. Die Invasion der SWAPO vom 1. April 1989

Am 7. März 1989 gewährte Sam Nujoma in Gaborone (Botswana) dem südafrikanischen Journalisten Chris Louw ein Interview für die regierungskritische afrikaanse Zeitschrift Die Suid-Afrikaan. Louw sprach die mögliche Einschüchterung von Wählern durch „Soldaten, die entwaffnet werden, und Koevoet-Leute in der Polizei . . .“ an; darauf entgegnete Nujoma: „Ich war noch nicht selbst in dem Gebiet. Ich weiß nur, daß im Gefolge der Resolution 435 die sogenannte SWATF aufgelöst wird; man wird ihnen die Waffen wegnehmen. Die übrigen Truppen werden auf Oshivello und Groot-fontein beschränkt, und die militärische UNTAG-Komponente wird das alles beaufsichtigen. SWAPOs Guerrilla-Streitkräfte werden zu der Zeit, wenn UNTAG angekommen ist, auf Orte beschränkt werden, die innerhalb des Landes gefunden werden sollen. Das ist es, was die Resolution 435 bestimmt.“

Die Resolution 435 dagegen enthält kein Wort über Militärbasen nach Eintritt der Waffenruhe, sei es für PLAN, sei es für die südafrikanische Wehrmacht. Erst am 26. Februar 1979 schlug der damalige UNO-Generalsekretär Waldheim in einem Bericht an den Sicherheitsrat über Ausführungs-Modalitäten des Namibia-Plans vor, „SWAPO-Streit-kräfte innerhalb Namibias auf Basen in Namibia zu beschränken“ damit handelte er sich umgehend einen scharfen Protest Südafrikas ein, denn es gebe keine solche PLAN-Basen in Namibia. Alle damals an den Verhandlungen beteiligten Parteien, einschließlich der SWAPO, ließen den Punkt fallen, und künftig war bis hin zum Genfer Protokoll von 1988 immer nur noch von PLAN-Stationierung in Angola und Sambia die Rede.

Das Nujoma-Interview, mit dem der vor zehn Jahren erhobene Anspruch der SWAPO, Militärbasen in Namibia einzurichten, plötzlich neu in die Diskussion eingeführt wurde, hätte international aufhorchen lassen müssen. Es geschah aber nichts. Obwohl die südafrikanische Presse kurz vorher über einen PLAN-Aufmarsch an der Nordgrenze Nambias berichtet hatte, fragte nicht einmal der Interviewer nach, sondern wandte sich wieder dem Thema „Einschüchterung“ zu. Die vorgesehene Demobilisierung der südafrikanischen Streitkräfte in Nord-Namibia wurde im Einvernehmen mit UNTAG eingeleitet. Allerdings bestand UNTAG in Namibia am 31. März erst aus einem Stab in Windhoeker Hotels sowie winzigen Vorkommandos für die vom Sicherheitsrat (aus Ersparnisgründen) drastisch reduzierten Kontingente von Blau-helmen. Der als erster Schritt im Plan der Kontakt-gruppe vorgesehene formelle Waffenstillstand zwischen Südafrika und der SWAPO verwandelte sich unter der Hand in zwei getrennte Briefwechsel der kriegführenden Parteien mit dem UNO-Generalsekretär. In diese durch Leichtfertigkeit der Diplomaten herbeigeführte Situation, in der sich Amerikaner, Sowjets, Südafrikaner, Kubaner, Angolaner und die UNO selbstzufrieden mit ihren Friedenstaten zeigten, ereignete sich in den Morgenstunden des 1. April eine massive PLAN-Invasion. Einige Guerrilla-Kämpfer mögen schon länger in Namibia unter der Bevölkerung versteckt gelebt haben; es ist jedoch nicht zu bestreiten, daß etwa 1 600 gut ausgerüstete Soldaten der SWAPO die Grenze überschritten Angeblich wollten sie sich der UNTAG stellen. Das PLAN-Kommando muß aber gewußt haben, daß UNTAG noch gar nicht präsent war. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß die SWAPO-Führung das Leben ihrer Soldaten riskiert hat, um das Prestige der Partei für den Wahlkampf durch Existenz eigener Militärbasen aufzubes-sem.

Südafrika reagierte blitzartig mit einer Remobilisie-rung von SWATF, Koevoet und anderen Verbänden, die ein Massaker unter den PLAN-Invasoren anrichteten. Auch dieser militärische „Triumph“ sollte die Chancen gewisser Parteien bei der Wahl verbessern. Diplomatisch zahlte sich die PLAN-Invasion jedenfalls für Pretoria aus. UNTAG sah sich gezwungen, angesichts des eklatanten Übergriffs der SWAPO den Kampfeinsatz der Südafrikaner ausdrücklich zu billigen, um das Gesamtkonzept der freien Wahlen zu retten.

Dennoch ging das politische Kalkül der SWAPO-Führung eher auf als das Pretorias. Das zeigte sich in der Wahlwoche im November, für viele Beobachter aber schon unmittelbar im April Das politische Bekenntnis der Ovambo-Bevölkerung Nord-Namibias zur SWAPO verfestigte sich von vielleicht 80 auf über 90 Prozent. Diese Menschen (einschließlich der Pastoren ihrer Kirche) sahen nicht die Mißachtung der SWAPO für Verträge (anderer Unterzeichner), sondern sie sahen die Lei-chen „unserer Jungen“, von Südafrika niedergemetzelt. Bis Mitte Mai kosteten die Kämpfe (nach südafrikanischen Angaben) PLAN 316 Tote, die Gegenseite 37

IV. Die Heimkehrer aus den SWAPO-„Erdlöchem“

Erheblich härter traf das Prestige der SWAPO in Namibia die Rückführung jener Frauen und Männer aus den eigenen Reihen, die der militärische „Sicherheitsdienst“ der SWAPO seit Anfang der achtziger Jahre als „Spione Südafrikas“ festgenommen, in Erdlöchern in Süd-Angola eingesperrt, verhört und gefoltert hatte, auf daß sie weitere „Spione“ denunzierten. Dabei waren nicht die Erdlöcher das Schlimme, denn zur Tarnung vor Angriffen der südafrikanischen Luftwaffe mußten viele SWAPO-Quartiere unterirdisch gebaut werden. Schlimm war die Folter. Darüber hinaus war es ein Skandal, daß keinerlei Gerichtsverfahren (auch keine militärischen Standgerichte) stattfanden, so daß die Gefangenen sich weder verteidigen konnten noch je ein Urteil erfuhren. Unverständlich war, daß der „Sicherheits“ -Apparat der SWAPO anscheinend ohne jede wirksame Kontrolle durch die politische Führung, durch das Oberkommando von PLAN (zumindest seit dem Tod Peter Nanyembas), durch die angolanischen Behörden oder gar durch den Namibia-Rat der Vereinten Nationen agierte

Die Windhoeker Zeitungsanzeigen, die nach der Heimkehr dieser SWAPO-Häftlinge natürlich ihr Schicksal für den Wahlkampf gegen die SWAPO ausschlachteten, brachten die Sache auf den Punkt, wenn sie von „SWAPO’s Gestapo“ sprachen. Allerdings liegt es näher, die wirklichen Lehrmeister der SWAPO-„Sicherheit“ bei jenen Diensten zu suchen, die unter eben diesem Namen in seinerzeit real existierenden sozialistischen Regimen amtierten, welche den Befreiungsbewegungen „brüderliche Hilfe“ leisteten.

Niemand wird mehr präzise ermitteln können, wieviele Exil-Namibier von dieser Hexenjagd der SWAPO betroffen waren. UNTAG und der UNHCR (Hochkommissar für Flüchtlinge) gingenden Schicksalen von 1 037 namhaft gemachten Personen nach, als die Schreckensberichte der Heimkehrer sie im September 1989 zwangen, eine Untersuchungsmission nach Angola und Sambia zu entsenden. Diese Kommission stützte ihre Recherchen auf die Zusammenarbeit mit der SWAPO, nicht etwa mit den Rückkehrern; aber auch sie kam zu einer Bilanz, wonach 484 Personen entlassen und/oder repatriiert waren, 71 laut SWAPO niemals inhaftiert, 52 nicht identifizierbar, 115 Personen jedoch tot und 315 verschollen waren.

Die öffentliche Kampagne gegen die SWAPO-Führung in dieser Sache begann in Namibia bereits 1986, als Erica Thiro-Beukes und andere Gründer eines „Eltern-Ausschusses“ ihr Buch Namibia — A Struggle Betrayed drucken ließen. In Europa griff fast nur die strikt anti-sowjetische IGfM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) im Einklang mit den der südafrikanischen Regierung nahestehenden Agenturen die Affäre auf, woraufhin die Anti-Apartheid-Gruppen sich veranlaßt sahen, den Schmutz ihrer Freunde unter den Teppich zu kehren. Auch die schwarzen Kirchen Namibias stellten ihre Solidarität mit dem Befreiungskampf der SWAPO höher als die Anklagen gegen die SWAPO-Führung. obgleich die Gründer des Eltern-Ausschusses Mitarbeiter des CCN waren, bis sie wegen dieser Aktivitäten entlassen wurden. Für Europäer der Generation, die den zweiten Weltkrieg miterlebt hat, genügt das Stichwort Katyn, um die Mentalität insbesondere der Kirchenvertreter zu begreifen — nicht sie zu entschuldigen! Erst als im August Siegfried Groth, als Seelsorger der Exil-Namibier für die Evangelische Kirche seit Jahren genau informiert, die Disziplin des vertraulichen Klagens und öffentlichen Schweigens brach, meldeten sich auch Uschi Eid für die Fraktion der GRÜ-NEN im Deutschen Bundestag, Bischof Martin Kruse für die EKD und andere mit kritischen Fragen an die SWAPO zu Wort.

Die erste geschlossene Gruppe von freigelassenen SWAPO-Häftlingen traf am 4. Juli 1989 in Windhoek ein. Gewiß, es waren nur 151 Menschen von fast 42 000 Heimkehrern, die alle im Exil von der SWAPO verwaltet worden waren. Aber die politische Wirkung ihrer Enthüllungen war beträchtlich. Einige bekannten sich zwar erneut zur SWAPO. Andere jedoch gründeten Ende Juli ein Patriotic Unity Movement (PUM) als politische Partei, während andere zu der radikalen Workers’ Revolutio-nary Party (WRP) stießen, mit der Erica Thiro-Beukes und ihr Ehemann seit Mai 1989 versuchten, die SWAPO unter heftigen Beschimpfungen links zu überholen. WRP und PUM gingen dann unter dem Dach der von Justus Garoeb geführten United Democratic Front (UDF) in den Wahlkampf; ihre Führer erhielten die Plätze fünf (Eric Biwa, PUM) und sechs (Erica Beukes) auf der UDF-Liste. Die UDF errang vier Mandate. Ende November 1989 schied jedoch ein UDF-Abgeordneter aus der Verfassunggebenden Versammlung aus, so daß Eric Biwa nachrückte.

Es ist nicht möglich, die Auswirkungen der Anti-SWAPO-Kampagne in Sachen „Erdlöcher“ präzise zu belegen. Von verschiedener Seite wurde mündlich berichtet, daß bei den Herero, den Damara, den Nama und eigentlich allen Volksgruppen Namibias außerhalb der Ovambo die Tendenz überwog, den Rückkehrern zu glauben und empört zu fragen: Was hat die SWAPO mit unseren Kindern gemacht? Bei den Ovambo dagegen scheint die Verteidigungs-Taktik der SWAPO offenere Ohren gefunden zu haben, die darauf hinauslief: Wir verabscheuen Folter, und wenn bei uns gefoltert wurde, dann bedauern wir das, aber schuld ist der Krieg. Außerdem spielen die Rückkehrer, wenn sie jetzt die SWAPO beschimpfen, das Spiel Südafrikas, und vielleicht waren dann ja einige von ihnen doch Spione. In den Zeitungen stand jedoch, daß Theo-Ben Gurirab, „Außenminister“ der SWAPO seit 1986 und selbst Damara, sich am 9. Juli in Rehoboth für eventuell stattgefundene Folterungen öffentlich entschuldigte, während wenig später bei der ersten Großkundgebung Sam Nujomas in Windhoek der Chef der „Sicherheit“, Solomon Hawala mit dem Kriegsnamen „Jesus“, auf der Ehrentribüne gesehen wurde

V. Wahlkampf der SWAPO

Nimmt man Demokratie ernst, dann war es korrekt, daß die Umtriebe der SWAPO-„Sicherheit“ zentrales Thema des Wahlkampfes wurden. Denn alle Parteien versprachen ja ein demokratisches Namibia, und was ist wichtiger für die Chancen der Demokratie als die Rolle der Staatssicherheits-Behörde? Diese Probleme Namibias wurden im Wahlkampf noch viel zu wenig und zu oberflächlich thematisiert. Verständlich, daß die meisten Namibier bei dieser Entkolonisierungs-Wahl zuerst und vor allem rückwärts in die Vergangenheit blickten und über die Grenze nach Süden starrten. Sie entschieden sich gegen (die meisten Schwarzen) oder für (fast alle Weißen) Südafrika und damit beinahe automatisch für oder gegen SWAPO, den Träger des bewaffneten anti-südafrikanischen Befreiungskampfes. Erst in zweiter Linie spaltete sich das Votum der schwarzen Namibier angesichts der „Erdlöcher“.

Die SWAPO stellte ihren Wahlkampf darauf ein und schätzte damit die Grundstimmung im schwarzen Volk richtig ein. Es spielte keine zentrale Rolle, mit welchem politischen oder wirtschaftlichen Programm die SWAPO antrat, wer auf ihrer Liste kandidierte oder wen sie als Redner herausstellte — außer der Symbolgestalt Sam Nujoma: sein Gesicht schaute von den Wahlplakaten und am Katutura Community Center (ein Brennpunkt des schwarzen Windhoek) von einem großen Wandgemälde auf das Volk. Es kam vielmehr darauf an, daß die SWAPO endlich nach den Jahrzehnten der Drangsalierung offen in Namibia präsent war.

SWAPO-Flaggen wehten in gewaltigem Format über dem Hauptquartier, das die Partei in einem Hochhaus in Windhoeks Goethestraße einrichtete. Es kam wohl auch darauf an zu zeigen, daß die SWAPO über Geld und über mächtige Freunde verfügte. Die Freunde zeigten sich vornehmlich in Gestalt von Bussen und Wahlhelfern, die der dem ANC (African National Congress) nahestehende Gewerkschaftsbund COSATU aus Südafrika schickte. Das Geld steckte im Hauptquartier, in den Plakaten und Massenkundgebungen sowie in der Wahlkampf-Materialschlacht. Jeder konnte sehen, daß die SWAPO mindestens so reich war wie ihr Hauptrivale, die DTA (Demokratische Turn-hallen-Allianz). Wieviel Geld es genau war, wissen wir (trotz vereinzelter Enthüllung vertraulicher Do19 kumente weder von der einen noch von der anderen Partei.

Zu den Kundgebungen, die die SWAPO unbefangen als „Star Rally" ankündigte, wenn Sam Nujoma dort sprach, brachte man Anhänger über Hunderte von Kilometern per Bus und LKW. Auch dabei rivalisierten SWAPO und DTA. vereinzelt sogar mit Versammlungen am gleichen Ort und Tag. Auch hier kam es nicht darauf an, wer was sagte. Es galt im Bewußtsein zu verankern: Wir sind da, und wo wir sind, da ist das Volk.

Hat SWAPO darüber hinaus einen ernsthaften Graswurzel-Wahlkampf geführt? Ich habe die Frage oft gestellt und sehr verschiedene Antworten erhalten. SWAPO schickte bewährte und hochqualifizierte Frauen und Männer als Regional-Leiter in die wichtigsten Orte Namibias. Aber was sie da in Gobabis oder Otjiwarongo oder Karibib während der langen Wochen des Wahlkampfes genau machten, läßt sich wohl nicht allgemeingültig beschreiben. Sicher entstanden jetzt SWAPO-Ortsverbände, wurden Mitgliedskarten unters Volk gebracht wie auch T-Shirts. Wenn man über Land fuhr, hingen Plakate (auch anderer Parteien) an den Bäumen. Die eigentliche Überzeugungsarbeit des SWAPO-„Organisers“ blieb für den fremden Beobachter unsichtbar.

Sicher ist, daß es in diesem Wahlkampf so gut wie keine öffentlichen Debatten zwischen den konkurrierenden Parteien gab. Leserbriefe in den Zeitungen, auch kontrovers — ja!, akademische Seminare des CCN oder von NPP über Demokratie oder Menschenrechte — ja. Aber im Fernsehen und Hörfunk (und das sind die Medien, die wirklich die Masse der Namibier erreichen) blieb jede Partei im Rahmen der ihr zugebilligten Fünf-Minuten-Spots strikt für sich, ihre Sprecher taten am liebsten so, als stünden sie allein zur Wahl. Wenige Tage vor der Wahl brachte das südafrikanische Fernsehen (nicht das südwestafrikanische!) tatsächlich drei Parteiführer im Studio zu einer Aussprache zusammen: Mishake Muyongo (DTA), Vekuii Rukoro (NNF), Moses Katjiuongua (NPF). Die SWAPO beteiligte sich nicht daran: Ein Interview Sam Nujomas mußte getrennt eingespielt werden. Dagegen kam es zu zahlreichen Diskussionen zwischen der SWAPO-Führung und Gruppen aus dem weißen Volk Namibias. Diejenigen Weißen, die überhaupt bereit waren, die Möglichkeit eines SWAPO-Sieges zu erwägen (viele proklamierten bis zur Stunde der Wahrheit ihre Überzeugung, die DTA werde gewinnen), waren ebenfalls geneigt, mit der SWAPO zu reden. Präsident Nujoma hat sich mehrfach Diskussionen unterzogen und in der Regel wohl keinen schlechten Eindruck bei den weißen Gesprächspartnern hinterlassen.

Derartige Veranstaltungen liefen für die SWAPO unter dem Stichwort der „nationalen Versöhnung“. Man konnte meinen, die SWAPO ziele damit hauptsächlich auf die Weißen. In der Tat wird Namibia nach der Unabhängigkeit vielleicht die meisten der jetzigen weißen Volksgruppe brauchen, damit Bergbau, Landwirtschaft und Industrie weiter funktionieren. Und diese Wirtschaftszweige wird eine Regierung erhalten wollen, um für das Dritte(oder Vierte) -Welt-Land Namibia, in dem die Mehrheit der Bevölkerung schwarz ist, Aufbaukapital zu erzeugen. So hat die SWAPO unter ihren Kandidaten auch einige Weiße, und mehrere davon finden wir unter den Abgeordneten der Verfassunggebenden Versammlung wieder Zu ihren politischen Entscheidungsgremien hat die SWAPO jedoch immer nur einen Weißen herangezogen, den Advokaten Anton Lubowski, der sich seit 1984 of-fen zur SWAPO bekannte und deshalb am 12. September 1989 ermordet wurde.

Die Verschmelzung der SWAPO-Führung, die nach und nach zum Wahlkampf aus dem Exil heimkehrte (Sam Nujoma als letzter, zur Krönung der Flüchtlings-Repatriierung, am 14. September), mit den wenigen bekannten Persönlichkeiten der internen SWAPO, die bis zuletzt unter südafrikanischer Verwaltung ausharrten, vollzog sich offiziell völlig reibungslos. Die meisten internen Führer traten bescheiden ins zweite oder dritte Glied zurück. Daniel Tjongarero, Vize-Vorsitzender seit 1978, er-hielt Platz 51 auf der Kandidatenliste. Immanuel Nathaniel Maxuilili, der schon 1959 bei der SWAPO-Vorläuferin OPO (Ovamboland People’s Organisation) dabei war, ist immerhin auf Platz 32 der Liste in die Versammlung eingerückt. Die großen SWAPO-Bundesgenossen in der Gesellschaft Namibias wurden unterschiedlich berücksichtigt: die Kirchen mit dem lutherischen Vize-Bischof Zephanja Kameeta auf Platz 13, der stellvertretenden Generalsekretär des CCN Vezera Kandetu erst auf Platz 46. Ben Ulenga, Führer der Bergarbeiter-Gewerkschaft, kam auf Platz 34, der aus dem Exil als NUNW-Generalsekretär oktroyierte John ya-Otto auf Platz 30.

Die SWAPO wird ihre integrierten Führungsgremien (das Zentralkomitee mit bisher rund 45 Mitgliedern, den engeren Kreis des 16 oder 17 Mitglieder zählenden Politbüros) der Öffentlichkeit vorstellen müssen Auch wird der in den Statuten (zuletzt 1983 im Exil verabschiedet) als höchstes Organ vorgesehene Kongreß einberufen werden müssen, dessen Veranstaltung im Exil die Dissidenten immer wieder vergeblich gefordert hatten, um Nujomas Machtposition anzufechten. Wie demokratisch wird es dabei zugehen? Diese kritische Frage nach der inneren Demokratie in der SWAPO ist mindestens so wichtig für die Zukunft Namibias wie die weit öfter gestellte Frage, ob das jetzt faktisch vorhandene Mehrparteiensystem nach der Unabhängigkeit überleben wird. Weniger bedeutsam erscheint mir das andere Problem, von dem offenbar die meisten ausländischen Beobachter fasziniert sind, ob nämlich die SWAPO-Regierung die Marktwirtschaft beibehalten, es also den Transnationalen Konzernen weiterhin gestatten wird, in Namibia vom Staat kaum kontrollierbare Geschäfte zu machen

VI. Das Wahlergebnis

Seit jeher hatten die südafrikanische Regierung und die anderen SWAPO-Gegner der SWAPO nachgesagt, sie sei eine Ovambo-Partei; seit jeher hatte die SWAPO dies als tribalistische Verleumdung von sich gewiesen Das Wahlverhalten der Namibier im November 1989 hat dennoch diese kritische Einschätzung bestätigt. Im Ovamboland erhielt die SWAPO 92, 3 Prozent der Stimmen, ist dort de facto also Einheitspartei. In allen übrigen Distrikten zusammen — mit Ausnahme des Distrikts Windhoek — erhielt die SWAPO 34, 5 Prozent, im Distrikt Windhoek schließlich 46, 1 Prozent. Dies war also zu allererst eine ethnische Wahl — man mag über Tribalismus denken wie man will. Wer die zahlreichen Parteiflaggen auf den Häusern schwarzer städtischer Wohnbezirke (dort lebten die Menschen bis 1977 zwangsweise nach Volksgruppen getrennt, später freiwillig) beobachtet hat, muß vermuten, daß auch die urbanisierten Ovambo mehrheitlich für die SWAPO gestimmt haben. Über einen derart massiven ethnischen Stimmen-block verfügt nur noch eine andere Partei. Die 23 728 Stimmen für ACN (Aksie Christelik Nasional; Wahlfront der in der Republik Südafrika regierenden Nationalen Partei) dürften praktisch ausnahmslos von Weißen stammen; sie machen knapp 3, 4 Prozent aus, und 6, 4 Prozent beträgt nach amtlicher Fortschreibung der Volkszählung von 1981 der Bevölkerungsanteil der Weißen.

Keine schwarze Volksgruppe außer den Ovambo hat geschlossen eine Partei gewählt. Das zeigen z. B. die Ergebnisse aus zwei weiteren von einer Volksgruppe dominierten Distrikten: Im Hereroland entfielen 66, 4 Prozent auf die DTA, 12, 4 Prozent auf die von dem Herero Moses Katjiuongua geführte NPF (National Patriotic Front), 3, 8 Prozent auf die linksintellektuelle NNF (Namibia National Front; auf Platz eins ihrer Liste stand der Herero-Aristokrat Vekuii Rukoro) und immerhin noch 14, 4 Prozent auf die SWAPO. Im Rehoboth-Gebiet, dem Kernland der Mischlingsbevölkerung, gewann die DTA 45, 2 Prozent, die Hauspartei des „Baster-Kapteins" 30, 9 Prozent, bei 16, 9 Prozent SWAPO-Stimmen.

In Zukunft ist davon auszugehen, daß es zwei Namibias geben wird: ein SWAPO-Einparteiensystem im Norden (Ovamboland), ein Mehrparteiensystem mit starker SWAPO-Minderheit im Süden. In dieser Zweiteilung finden wir die alte Kolonialgeschichte wieder: Der Süden ist identisch mit der „Polizeizone“ Deutsch-Südwestafrikas, die deshalb so hieß, weil es hier eine reguläre Zivilverwaltung gab. Schwerer wiegt, daß auch wirtschaftlich diese beiden Namibias auseinanderklaffen: Der Norden ist Dritte oder Vierte Welt, normales unterentwik-keltes Afrika, im Sozialgefüge noch zusätzlich verwüstet durch Jahrzehnte Kleinkrieg; im „Süden“ besteht ein hochkompliziertes Netz aus Elementen der Dritten und der Ersten Welt. Da gibt es Schreibcomputer und Fax-Maschinen in jedem Büro, selbst in den Slums der Schwarzen-Städte funktioniert die Kanalisation; dort bekommt jeder elektrischen Strom, der ihn bezahlt. Manche weißen Farmer mögen ihre schwarzen Arbeiter fast noch wie Hörige behandeln, mit mehreren jeweils viele Kilometer entfernten Nachbarn an ein und derselben Telefonleitung hängen: Mit den Welt-marktpreisen für Rindfleisch sind sie notgedrungen vertraut. Einige bemühen sich sogar um Ökologie in Kontakt mit den dazu erforderlichen Querdenkern in aller Welt. In diesem Namibia leben nicht nur die (teilweise) reichen Weißen, sondern auch die (größtenteils) im Vergleich mit ihnen armen Schwarzen eher wie in einem Schwellenland, eher wie in der Republik Südafrika als wie in einem Lande Afrikas nördlich des Sambesi.

Politisch kommt es darauf an, daß schwarze und weiße Namibier, Wähler der SWAPO, der DTA und der anderen Parteien, im „Süden“ Zusammenleben und zusammen wirtschaften, mögen auch die Gewerkschaften für einen „lebenswürdigen Lohn“ demonstrieren und streiken, die Deutschen sich in ihren Clubs einigeln, die Mischlinge von einer Autonomie ihres Gebiets träumen. Wenn Namibia nicht ökonomisch ruiniert werden soll, wird es darauf ankommen, diese Vernetzung von Erster und Dritter Welt im Süden funktionsfähig zu erhalten, die Pfründen dort allmählich gerechter zu verteilen und aus dem ganzen „Süden“ eine behutsame Stabilisierung des Nordens zu finanzieren. Ob Namibia dabei auf das alte Wunschziel des tansanischen Ex-Präsidenten Julius Nyerere von 1967 zurückgreift, Wirtschaftswachstum möglichst gleichmäßig auf die breite bäuerliche Mehrheit zu verteilen oder ob man aus Erfahrungen z. B.der Europäischen Gemeinschaft mit der Subventionierung rückständiger Regionen neue Rezepte ableiten will, wird sich zeigen. Denn die Erhaltung der politischen und gesellschaftlichen Einheit Namibias ist nach diesem Wahlergebnis keine technisch-wirtschaftliche, sonB dem eine eminent politische Aufgabe. Deshalb scheidet z. B. die Option aus. rückständige Regionen nach dem Vorbild der Großen Apartheid Südafrikas einfach abzukoppeln. Das Stichwort von der Nationalen Versöhnung, das die SWAPO im Wahlkampf ausgab, trifft die Sache schon. Fraglich ist nur, ob eine SWAPO-Regierung dem Schlagwort sachdienliche Taten folgen läßt.

VII. Programmatische Zukunftsperspektiven

Um einen Ausblick geben zu können, ist es notwendig, die von der SWAPO vor den Wahlen publizierten Programme miteinzuberechnen, mögen sie auch im Wahlkampf selbst kaum diskutiert worden sein. Auch die älteren einschlägigen Texte der SWAPO, so das liberale Verfassungspapier von 1975 und das marxistisch-leninistisch angehauchte Politische Programm von 1976 werden zu berücksichtigen sein.

Neben Presseerklärungen und Interviews sind dies: das SWAPO Election Manifeste mit dem Untertitel „Towards an independent and democratic Namibia: SWAPO’s policy position“ und der am 4. Dezember 1989 von der SWAPO der Verfassunggebenden Versammlung unterbreitete Verfassungsentwurf

Im Einklang mit den Grundsätzen der OAU und der politischen Praxis Afrikas pocht die SWAPO auf staatliche Einheit Namibias, mögen seine von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen noch so „künstlich“ sein (Teilung der Ovambo zwischen Namibia und Angola, Abtrennung der „Caprivier“ von ihren Verwandten in Sambia), und folglich auf den von Staats wegen gepflegten „Bau“ eines gesamt-namibischen Nationalbewußtseins (nation building). Das Wahlmanifest spricht deshalb von Regionen in einem Atem mit kommunaler Verwaltung unter dem Stichwort Local Government (§ 12. a.). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit steht in Art. 47 des Verfassungsentwurfs (ebenso wie die Vereinigungsfreiheit, Art. 43) unter Gesetzesvorbehalt, und jede Befürwortung rassischer oder ethnischer Teilung soll ausdrücklich verboten sein. Politische Parteien können an Wahlen nur teilnehmen. wenn sie in mindestens 75 Prozent der Wahlkreise Kandidaten aufstellen (Art. 86 Verf. -Entwurf; hier ist an Mehrheitswahl in Ein-Mann-Wahlkreisen gedacht Mit diesem Anti-Tribalismus befindet sich die SWAPO nicht nur in guter afrikanischer Gesellschaft, z. B.der II. Republik Nigerias (1979— 1983) sondern im Einklang mit den konkurrierenden Parteien Namibias. Nur eine von ihnen, die oben erwähnte Hausmacht des Re-hobother Kapteins, schlug einen Bundesstaat vor und nannte sich deshalb auch Federal Convention of Namibia (FCN); mit 1, 6 Prozent aller Stimirhen erntete sie dafür nicht gerade überwältigenden Beifall. Eine Ausnahme allerdings macht die SWAPO in ihrem Beharren auf kolonialen Grenzen: Die südafrikanische Enklave Walvis Bay, die schon vor der Errichtung Deutsch-Südwestafrikas britisch (Teil der Kapkolonie) war, soll Namibia eingegliedert werden. Auch in dieser Frage besteht Einvernehmen zwischen SWAPO, NPF, UDF und NNF -und dem UNO-Sicherheitsrat, der am 27. Juli 1978 (Res. 432) einstimmig erklärte, „daß die territoriale Integrität und Einheit Namibias durch die Wiedereingliederung von Walvis Bay in sein Gebiet gesichert werden muß“.

Wie hält es die SWAPO mit der Demokratie? Diese Frage wird auch durch Wahlmanifest und Verfas-sungsentwurf nicht eindeutig beantwortet. Es fällt auf. daß an manchen Stellen, wo man präzise Aussagen zum politischen System lesen möchte, eher verschwommene Appelle zur „Partizipation“ stehen. Klar ist: Die SWAPO will einen starken, vom Volk direkt gewählten Präsidenten mit exekutiven Vollmachten. In Kombination mit unitarischem Staatsaufbau ist das nach allen afrikanischen Erfahrungen ein für die Demokratie gefährliches Experiment. Hinzu kommt, daß der Präsident dreimal für jeweils fünf Jahre gewählt werden darf (Art. 103 Verf. -Entwurf); er kann das Einkammer-Parlament auflösen; er ist Herr des Ausnahmezustandes.

Die Kontaktgruppe der fünf Westmächte hat 1982 bestimmt, daß Namibias Verfassung einen Katalog verbindlicher Grundrechte enthalten muß, und die SWAPO bekennt sich zu dieser Auflage. Es stört nicht, daß die SWAPO auch Grundrechte der „zweiten Generation“, soziale Anspruchsrechte der Bürger an den Staat also, neben den klassischen Freiheits-Schutzrechten der Bürger gegen den Staat verankern will. Eher registriert man mit Besorgnis die regelmäßige Wiederkehr des bereits erwähnten Gesetzesvorbehalts im Grundrechte-Katalog. Aber der zeichnet viele demokratische Verfassungen aus. Immerhin akzeptiert die SWAPO das 1982 erlassene Prinzip der Unabhängigkeit der Judikative, und der Verfassungsentwurf sieht vor, daß jeder Bürger seine Grundrechte gerichtlich einklagen kann. Bei den vorgesehenen Prozeduren für Ernennung und Abberufung von Richtern (Art. 135 ff. Verf. -Entwurf) stoßen wir freilich wieder auf den mächtigen Arm des Staatspräsidenten. Er wird sich -die Stabilität der südafrikanischen Verfassung vorausgesetzt — mit seinem in Pretoria residierenden Amtskollegen gut verstehen, denn der ist seit 1983 ähnlich einflußreich.

Die Wirtschaftspolitik eines Staates kann selten aus seiner Verfassung erschlossen werden, und Verfassungsväter sowie -mütter (in Windhoek gibt es letztere kaum) sind gut beraten, wenn sie künftigen Regierungen freie Hand lassen, auf den realen Gang der Weltwirtschaft mit soviel Planung wie nötig, soviel Markt wie möglich zu reagieren — oder auch einmal umgekehrt. Die SWAPO bekannte sich 1976 zu einem „wissenschaftlichen" Sozialismus und wollte deshalb „alle wichtigen“ Produktionsmittel und Handelsinstitutionen in sogenanntes Volkseigentum überführen; nur mit einem solchen Programm konnte sie sich damals in Moskau, Berlin-Ost oder Havanna sehen lassen, und nur von dort konnte sie die Ressourcen für ihren Krieg gegen Südafrika erhalten. Heute redet die SWAPO wie jedermann sonst in Namibia von mixed economy. Der Begriff ist so vage, daß der SWAPO im Wahlkampf der Spagat zwischen ihren Traditionen und dem Hofieren der Bergbau-Konzerne sowie der weißen Farmer gelang. Im Wahl-manifest (§ 7) war die Rede von „einer Balance zwischen gerechten Wirtschaftseinkünften für das namibische Volk und vernünftigen Profiten für ausländische sowie einheimische Privatinvestoren“. Nur ein Beckmesser wird daraus die kritische Frage ableiten, ob namibische Unternehmer für die SWAPO nicht zum namibischen Volk zählen.

Die anderen, die Manager von Rössing Uranium oder De Beers, sind sowieso nicht vom programmatischen Wohlwollen der SWAPO abhängig. Die SWAPO-Regierung wird um das Wohlwollen der Konzerne ringen müssen. Sie wird es auch bekommen, egal wie sie mit dem eigenen Volk umgeht, solange die Bilanzen stimmen. Diktatoren wie Sekou Tour in Guinea, Mobutu in Zaire, Deng Xiaoping in China, nicht zuletzt die Nationale Partei in Südafrika kooperieren gut mit den internationalen Investoren. Das Volk freilich hat vom besten Investitionsklima nichts, wenn es von der Staatssicherheit unterdrückt wird. Ohne Freiheiten, ohne Demokratie, ohne Rechtsstaat wird Namibia nur ein weiteres Stückchen afrikanischer Malaise werden. Besinnt sich die SWAPO jedoch darauf, was Rosa Luxemburg — und nicht nur sie — über die Freiheit gesagt hat, dann könnte dieses kleine Volk am Ende der Welt der archimedische Punkt werden, von dem aus die Afrikaner ihren Erdteil aus der Dauerkrise in eine positive Entwicklung führen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Wähler-Registrierung wurde — wie die Wahl selbst — von der Verwaltung des südafrikanischen General-Administrators unter Aufsicht und „zur Zufriedenheit“ der Vereinten Nationen ausgeführt. Chef der United Nations Transitional Assistance Group (UNTAG) ist der finnische Diplomat Martti Ahtisaari. Die Neuregistrierung der Wähler (wahlberechtigt waren alle Personen über 18 Jahren, die entweder selbst oder von denen ein Eltemteil in Namibia geboren waren oder die während der letzten vier Jahre ihren Wohnsitz in Namibia hatten) war erforderlich, da die Vereinten Nationen die 1978 veranstalteten „internen“ Wahlen nicht anerkannten.

  2. Die regulären Stimmen wurden nach Distrikten ausgezählt und veröffentlicht. Knapp ein Prozent der Wähler mußten Sonderstimmen (tendered votes) abgeben, z. B. weil sie sich in einem anderen Distrikt registriert hatten; diese Sonderstimmen wurden zentral in Windhoek ausgezählt. Stichproben mit speziellerer Auszählung, die etwa eine exakte Analyse der Ergebnisse nach Altersgruppen, Geschlecht oder Volkszugehörigkeit ermöglichen würden, fanden nicht statt.

  3. Das Schlußwort Toivos bei diesem Prozeß ist ein berühmtes Dokument der Befreiungspolitik. Es ist in deutscher Übersetzung u. a. abgedruckt in: H. Henning Melber (Hrsg.), Namibia — Kolonialismus und Widerstand, Bonn 1981, S. 176 ff.

  4. Sie ist auf Deutsch nachzulesen bei F. Ansprenger (Anm. 2), und Axel Harneit-Sievers, SWAPO of Namibia. Hamburg 1985. Die SWAPO-offizielle Darstellung: Entstehung einer Nation. Der Befreiungskampf in Namibia. London 1981 ist wegen der Aussparung wichtiger Probleme mit Zurückhaltung zu benutzen.

  5. Vgl. die von der namibischen Gruppe NPP 435 (Namibia Peace Plan Study and Contact Group) herausgegebene, von den „GRÜNEN im Bundestag“ in deutscher Sprache veröffentlichte Dokumentation: Die Wahl, Windhoek-Bonn 19883. Aus dem südafrikanischen Außenamt stammt die Dokumentation: Namibian Independence and Cuban Troop Withdrawal, Pretoria 1989.

  6. Es wurden allerdings noch Einzelfortschritte erzielt, so 1982 die Formulierung von Prinzipien für die Verfassung Namibias, 1985 die Einigung auf das Verhältniswahlverfahren.

  7. Vgl. Willem Steenkamp, South Africa’s Border War 1966— 1989. Gibraltar 1989. Das Londoner Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) schätzte 1988 die Stärke von PLAN auf 9 000 Mann, davon „vielleicht 500 in Namibia“.

  8. Die Suid-Afrikaan, April 1989, S. 19 ff. Koevoet (afrikaans für Brechstange) war die gefürchtete Anti-Guerrilla-Truppe der südwestafrikanischen Polizei (SWAPOL), SWATF (South West Africa Territory Force) das unter südafrikanischem Kommando stehende Militär Namibias.

  9. UN Document S/13120.

  10. Vgl. Peter Stiff, Nine Days of War. Alberton 1989. Die-ser journalistische Schnellschuß ergreift eindeutig und völlig einseitig Partei für Südafrika, gegen SWAPO. Das Buch ent-hält aber eine solche Fülle von Detail-Fakten, daß es die Tatsache, der PLAN-Invasion beweist.

  11. Vgl. Background Bulletin (hrsg. von NISER, University of Namibia), 1 (1989) 2.

  12. Times of Namibia. 15. Mai 1989.

  13. Die beste (freilich parteiische) Quelle für diese Vorfälle innerhalb der Exil-SWAPO ist der Bericht (A Report to the Namibian People. Historical account of the SWAPO spy-drama).den ein Ausschuß der Heimkehrer, das Political Consultative Committee (PCC). im Juli 1989 in Windhoek veröffentlichte. Vgl. Siegfried Groth. Menschenrechtsverlet-Zungen in der namibischen Exil-SWAPO. Die Verantwortung der Kirchen, in: epd Dokumentation, Nr. 40. 18. 9. 1989.

  14. SWAPO-Generalsekretär Toivo ja Toivo schilderte in einem Interview mit den Namibia Nachrichten, 10. /11. Dezember 1989. die Affäre aus seiner Sicht; danach wurden die Häftlinge am 2O. /21. Mai 1989 freigelassen, jetzt in Anwesenheit von UNTAG-, UNHCR-und angolanischem Regierungspersonal.

  15. Vgl. The Namibian, 10. Juli 1989; Frankfurter Rundschau, 26. September 1989.

  16. Die Times in Windhoek druckte am 24. November 1989. also nach der Wahl, einen vertraulichen SWAPO-Finanzbericht ab. wonach die SWAPO von Ende Mai bis Ende Oktober 47. 5 Mio. Rand für den Wahlkampf ausgab.

  17. Für die SWAPO wurden auf Listenplatz 22 der deutschstämmige Rechtsanwalt Hartmut Ruppel, auf Platz 23 der deutschstämmige Farmer Anton von Wietersheim, auf Platz 26 der „burische" Universitätsdozent Danie Botha und auf Platz 33 die deutschstämmige Übersetzerin Michaela Huebschle gewählt.

  18. Anfang November 1989 waren im SWAPO-Büro keine Namenslisten erhältlich. Das aktuelle Nachschlagewerk: Joachim Pütz u. a., Namibia Handbook and Political Who's Who, Windhoek 19892, enthält Namen; sie wurden mündlich ermittelt.

  19. Das bisherige Verhältnis der Bergbau-Konzerne zum Staat spiegelt sich in dem 1985 veröffentlichten, schwer zugänglichen 8. Zwischenbericht eines 1982 eingesetzten Untersuchungsausschusses (Vorsitz: Richter P. W. Thirion). Er empfahl, die staatliche Überwachung der Konzerne erheblich zu verstärken.

  20. Vgl. Franz Ansprenger, Die Befreiungspolitik der OAU, München-Mainz 1975, S. 144 ff.

  21. Vgl.ders. (Anm. 2), S. 172 ff.

  22. Presseerklärungen Nujomas vom 14. und 15. September (Rückkehr aus dem Exil); 15. November (Wahlergebnis); Redetext Nujoma von seiner ersten Kundgebung in Windhoek, 24. September Interviews mit Nujoma in: Die Suid-Afrikaan. April 1989; Namibia Nachrichten (Windhoek), 26. August; The Namibian (Windhoek), 18. — 20. September; mit Gurirab Newsweek (USA), 12. Juni; Namibia Nachrichten, 20. /21. August; mit Hage Geingob Leadership (Johannesburg), August 1989; mit Lubowski Pretoria News, 16. Februar 1989; Namibia Nachrichten, 16. Juni 1989.

  23. Das Wahlmanifest ist in 20 Kapitel gegliedert. Es übernimmt wörtlich das „Economic-Policy-Position-Document", das am 28. November 1988 vom SWAPO-Politbüro noch im Luanda/Angola verabschiedet wurde.

  24. Vgl. The Namibian, 5. Dezember 1989; Namibia Nachrichten, 10. /11. Dezember 1989. Dieses Dokument liegt mir nicht im Wortlaut vor; vgl. Dieter Blumenwitz. Gutachten zum SWAPO-Verfassungsentwurf, München 1989.

  25. Schon 1975 neigte die SWAPO dem in Großbritannien üblichen Wahlrecht zu; einen solchen Vorschlag legte sie auch 1989 der Verfassunggebenden Versammlung vor. Eine Woche später bekannte sich die SWAPO dann im Einklang mit der DTA zum Verhältniswahlrecht; vgl. Namibia Nachrichten, 17. /18. Dezember 1989.

  26. Es ist im afrikanischen Rahmen absurd, wenn Blumen-witz (Anm. 24), S. 26ff., aus Art. 27 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte und der Bildung gewisser Mikro-Inselstaaten folgert, das heutige Völkerrecht garantiere jeder ethnischen Gruppe die Selbstbestimmung. Das Gegenteil ist der Fall. Nur ein siegreicher Sezessionskrieg sichert internationale Anerkennung (Bangla Desh). Praktisch gibt es in Namibia außer den Mischlingen keine einzige Volksgruppe, die ein halbwegs geographisch geschlossenes Territorium beanspruchen könnte; auch historisch lebten z. B. die Damara und Buschleute immer in einer hierarchischen Symbiose mit den Herero und Nama. Selbst Südafrika versuchte nur 1964— 1975, eine Politik „autonomer“ ethnischer Homelands in Namibia zu betreiben (Odendaal-Plan), und ging dann zur ethnischen Differenzierung ohne räuml-ehe Grenzen (AG. 8 von 1980) über.

Weitere Inhalte

Franz Ansprenger, Dr. phil., geb. 1927; Studium der Geschichte; Universitätsprofessor für Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin; Leiter der Arbeitsstelle Politik Afrikas; Forschungs-Aufenthalte in Namibia, zuletzt im April und Oktober/November 1989. Veröffentlichungen u. a.: Der Schwarz-Weiß-Konflikt in Afrika, München-Mainz 1971; Die Befreiungspolitik der GAU 1963— 1975, München-Mainz 1975; Die SWAPO, Mainz-München 1984; Der African National Congress — ANC, Bonn 1987.