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Ökonomische Probleme der deutschen Einheit und europäischen Einigung | APuZ 28/1990 | bpb.de

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APuZ 28/1990 Das Instrumentarium der EG zur Förderung innergemeinschaftlicher Kohäsion Ökonomische Probleme der deutschen Einheit und europäischen Einigung Deutsche Länder und europäische Integration. Kompetenzverluste und neue Handlungschancen in einem „Europa der Regionen“ Überarbeitete Fassung meines Vortrages „Recent Attitudes of German Länder Towards European Integration“, gehalten auf der Konferenz „Federal-Type Solutions and their Implications for European Integration“ im Europa-Kolleg Brügge, 26. -28. Oktober 1989.

Ökonomische Probleme der deutschen Einheit und europäischen Einigung

Horst Werner

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit der Vollendung der deutschen Einheit erhält die wirtschaftliche Einigung ganz Europas einen entscheidenden Impuls. Heute geht es nicht mehr allein um den Binnenmarkt der zwölf EG-Staaten, sondern um die reale Chance eines weltoffenen Europäischen Wirtschaftsraums. Eine marktwirtschaftliche Ordnung in ganz Deutschland schlägt eine Brücke zu den marktwirtschaftlichen Reformländern in Mittel-und Osteuropa. Ein möglichst schneller Übergang der DDR zur Marktwirtschaft und eine alsbaldige Öffnung der EG gegenüber Drittländern fördern den Reformprozeß in Mittel-und Osteuropa. Die Widerstände gegen die Perestrojka haben gezeigt, daß diese Reformprozesse und damit die wirtschaftliche Einigung Gesamteuropas gefährdet sind. Gegen eine zügige Vollendung der deutschen Einheit werden vor allem hohe Anpassungskosten im Übergangsprozeß angeführt. Trotz der Anpassungsprobleme, die in einer Währungsunion nicht mehr durch Wechselkursänderungen entschärft werden können, ist jedoch bereits innerhalb einer kurzen Frist der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Einigung größer als die gesamtwirtschaftlichen Kosten. Ordnungstheoretische Überlegungen und die Erfahrungen mit langsamen Reformschritten in Zentralverwaltungswirtschaften sprechen ebenfalls dafür, daß die Erfolgschancen und das Nutzen-Kosten-Verhältnis bei einer zügigen Integration der DDR günstiger sind als bei verlängertem Anpassungszeitraum. Auf der anderen Seite sind Europas Vorteile durch die deutsche Einheit und marktwirtschaftliche Reformen Ansatzpunkt von Befürchtungen, die Dritte Welt werde im internationalen Standortwettbewerb um knappes Kapital noch weiter zurückfallen. Wenn sich die Entwicklungsländer an den demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen in Europa orientieren und wenn Europa durch konsequente Liberalisierungen in der Uruguay-Runde seine Märkte öffnet, können die marktwirtschaftlichen Reformen in Europa in Entwicklungserfolge der Dritten Welt umgemünzt werden.

Die Einigung Europas ist nach den politischen Veränderungen in Osteuropa und nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme eine reale historische Chance. Seit den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 und der Bestätigung des Wahlergebnisses durch die Kommunalwahlen in der DDR vom 7. Mai 1990 haben die Bürger in der DDR letzte Zweifel ausgeräumt: Die Einheit Deutschlands ist nur noch eine Frage überschaubarer Zeit und des zweckmäßigen Weges zur deutschen Einheit. Zu lösen sind Probleme der Friedens-und der Wirtschaftsordnung, die im globalen Zusammenhang gesehen werden müssen. Die neue Ordnung in Europa muß ein Beitrag zur Integration der Weltwirtschaft sein, denn insbesondere die Entwicklung und Überwindung der Armut in der Dritten Welt sind entscheidende Voraussetzungen für eine weltweit friedliche Entwicklung. Trotz aller Anpassungsprobleme durch fortschreitende Integration in Europa und durch den Übergang zu marktwirtschaftlichen Ordnungen in Osteuropa darf die innere Integration Europas nicht zur Abschottung gegenüber Drittländern führen. Der für 1990 geplante Abschluß der Uruguay-Runde für weltweite Handelsliberalisierungen im Rahmen des GATT wird ein Test auf die Bereitschaft der Europäischen Gemeinschaft (EG) zum Abbau ihrer Abschottung in den Teilbereichen sein, in denen sie bisher vor allem wettbewerbsfähige Anbieter aus Entwicklungsländern vom Gemeinsamen Markt der EG auszuschließen versuchte

I. Wirtschaftsordnung und Integration

1. Deutsche Einheit: Perspektiven für Europa und die Weltwirtschaft Nach dem dramatischen Wandel, der sich in Osteuropa seit 1989 vollzogen hat, ist die bevorstehende Verwirklichung der deutschen Einheit das bisher konkreteste Ergebnis dieser Veränderungen für Europa und die Weltwirtschaft geworden. Der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion bildet vor den gesamtdeutschen Wahlen den wichtigsten Schritt zur Herstellung der staatlichen Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Beginnend mit der Währungsunion zum 1. Juli 1990 bedeutet dieser Staatsvertrag insbesondere, daß „die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung“ in ganz Deutschland verwirklicht werden wird (Artikel 1).

Eine solche Hinwendung zur Marktwirtschaft — wenn auch auf einem anderen Wege — wird ebenso für das übrige Mittel-und Osteuropa erwartet. Neben den neuen Perspektiven für eine Friedensordnung in Europa bestimmt dieser Wandel der Wirtschaftsordnung die Perspektiven für die wirtschaftliche Einigung Europas und für die Weltwirtschaft. In der politischen Diskussion werden diese Perspektiven ebenso einprägsam wie unscharf mit dem Schlagwort „Chancen und Risiken“ umrissen.

Die Frage nach den Chancen für die europäische Einigung muß jedenfalls nach einer Hinwendung zur Marktwirtschaft eindeutig positiv beantwortet werden: Bisher konnte es in Wirklichkeit nur um eine begrenzte westeuropäische Integration gehen, wenn von europäischer Integration die Rede war. Das gilt insbesondere für die „Europäischen GeB meinschaften“ und das Projekt des Europäischen Binnenmarktes 1992. Erst jetzt hat die wirtschaftliche Integration ganz Europas eine Chance, denn eine martwirtschaftliche Ordnung ist notwendige Voraussetzung für jede echte wirtschaftliche Integration, also für eine freie Bewegung von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital bei freiem Zahlungsverkehr.

Bei den Risiken, die aus der deutschen Einheit folgen könnten, dominierte in der politischen Diskussion bis vor kurzem die Befürchtung, daß ein geeintes Deutschland mit der Wirtschaftskraft von 80 Millionen Menschen eine noch stärkere Stellung in Europa einnehmen werde, als dies bereits im Rahmen der EG wiederholt befürchtet worden war, vor allem von französischer Seite. Ohne daß dies immer so deutlich geworden wäre, war dabei allerdings eher das politische Gewicht gemeint, das der wirtschaftlich größte Integrationspartner bei Entscheidungen in der EG einsetzen könnte, zumal das Endziel der EG-Integration die Politische Union ist.

Nach dem Sondergipfel der Staats-und Regierungschefs der EG vom 28. April 1990 in Dublin scheinen solche Befürchtungen jedenfalls auf diplomatischer Ebene ausgeräumt worden zu sein. Deutsche Einheit und Reformen in Osteuropa gelten nun als „Katalysator“, als Impulse für eine Beschleunigung der EG-Integration, werden aber nicht als ein zusätzliches Risiko empfunden. Diesen Stimmungswandel deuten die Dubliner Erklärungen an. Die EG-Außenminister werden darin beauftragt, bis zum nächsten EG-Gipfeltreffen im Juni 1990 sämtliche Initiativen zur Politischen Union der EG zusammenzutragen und eine Analyse zu erstellen. Zu diesen Initiativen gehört der deutsch-französische Plan, Anfang 1993 nach Vollendung des Binnenmarktes zeitgleich mit dem zweiten Schritt zur EG-Währungsunion die Politische Union der EG zu etablieren. Die laufenden Vorarbeiten zur Wirtschafts-und Währungsunion der EG sollen beschleunigt werden; gegenüber den Reformstaaten Osteuropas und den EFTA-Staaten ist eine Öffnung der Märkte durch neue Handelsabkommen (Assoziierungsabkommen) geplant. Damit könnte der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) mit „binnenmarktähnlichen Verhältnissen“ zwischen den 18 Mitgliedstaaten von EG und EFTA Wirklichkeit werden, der nach dem erfolgreichen Abschluß der Vorverhandlungen zum 1. Januar 1993 geplant ist; die Inhalte des Vertrages sollen bis Ende 1990 feststehen, so daß der Zeitplan für die Annahme des Vertrages durch die nationalen Parlamente bzw. durch Volksabstimmung in der Schweiz eingehalten werden könnte

Eng verbunden mit der Furcht vor der „wirtschaftlichen Größe“ eines geeinten Deutschland wird ein weiteres Risiko darin gesehen, daß Deutschlands Interesse an einer Verwirklichung der Wirtschafts-, Währungs-und Politischen Union der EG abnehmen könne: — Einerseits könnten Schwierigkeiten auf dem Wege zur deutschen Einigung die Konzentration der Kräfte auf die nationale Einheit als der intensivsten Form der Integration von zuvor selbständigen Staaten mit nur gering verflochtenen Wirtschaftsräumen erfordern. Fortschritte bei der Vollendung der EG könnten gehemmt werden, so daß die Integration im Wirtschaftsraum und politischen Raum der zwölf EG-Staaten gefährdet würde. — Andererseits könnte ein geeintes Deutschland sein gewachsenes wirtschaftliches und politisches Gewicht zugunsten einer zwar umfassenderen, aber weniger intensiven gesamteuropäischen Integration einbringen, auf Kosten vor allem des Ziels einer Währungs-und Politischen Union der EG. Anstöße dazu könnten von den besonders intensiven wirtschaftlichen Verflechtungen eines geeinten Deutschland mit den Reformländern Osteuropas ausgehen, die mit der DDR im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) handelspolitisch verbunden sind.

Durch die Absichtserklärungen auf dem Dubliner Sondergipfel der EG zur gleichzeitigen Intensivierung der EG-Integration und zur Öffnung der EG für eine engere wirtschaftliche Integration mit den europäischen Drittländern scheinen solche Konflikte politisch lösbarer geworden zu sein. Überraschend war vor allem die Zustimmung von Bundeskanzler Helmut Kohl zu einer wesentlich beschleunigten Vollendung der EG-Währungsunion Sie steht im Gegensatz zur bisherigen Haltung der deutschen Regierung und der Deutschen Bundesbank. Beide nannten im Interesse der gewünschten Währungsunion als Vorbedingungen für den Einstieg in die Endphase der Währungsunion die Vollendung des Binnenmarktes, außerdem die eindeutige Bereitschaft aller Mitgliedsländer, eine unabhängige und auf die Wahrung der Geldwertstabilität verpflichtete Europäische Zentralbank zu errichten Diese Bereitschaft ist weiterhin nicht zu erkennen. Es spricht also vieles dafür, daß die Zustimmung des Bundeskanzlers zu einer noch schnelleren Vollendung der EG-Währungsunion, als sie der Delors-Plan vorsieht, die Zustimmung der EG-Partner zu einer schnellen deutsch-deutschen Währungsunion begünstigt hat. Das bedeutet aber nicht, daß eine schnelle Währungsunion in Deutschland auch tatsächlich die Chancen für eine schnellere Vollendung der EG-Währungsunion erhöhen wird. Erst recht ist zweifelhaft, ob eine beschleunigte Intensivierung der EG-Integration durch eine Währungsunion die Öffnung der EG gegenüber Dritt-ländern begünstigen würde. 2. Größe des Integrationsraums, Intensität und Tempo der Integration Was aus der Perspektive der EG als ein Risiko für die Intensität und das Tempo der EG-Integration erscheint, könnte sich als Chance für schnellere Fortschritte zu mehr Integration im größeren Wirtschaftsraum Europa erweisen. Schnellere und intensivere Integration in Teilen des Integrationsraums kann die Integration im gesamten Währungsraum prinzipiell ebenfalls fördern, aber das ist zumindest kurzfristig nicht so sicher, wie dies die Erklärungen auf dem Dubliner Sondergipfel der EG beschwören.

Problematisch sind vor allem Parallelen zwischen dem positiven Beitrag einer schnellen deutschen Einheit für die EG-Integration und der Hoffnung auf schnellere gesamteuropäische Integration durch eine schnellere Vollendung von EG-Wirtschaftsund Währungsunion. Dafür sind die Ausgangsbedingungen im geteilten Deutschland einerseits und in den zwölf EG-Staaten andererseits zu unterschiedlich: Eine EG-Zentralbank, die unabhängig und eindeutig auf Geldwertstabilität verpflichtet ist, läßt sich nicht so leicht durchsetzen, wie die Bereitschaft zu einer einheitlichen Währungsverfassung mit einer Bundesbank für Gesamtdeutschland gewonnen werden konnte; ebenso ist die Bereitschaft zu einem Finanzausgleich bei unwiderruflich festen Wechselkursen zwischen den Ländern einer EG-Währungsunion bei weitem nicht so groß wie zwischen den Ländern eines geeinten Deutschland. Selbst hier ist Skepsis angebracht, wenn man von den Argumenten und Ergebnissen bei den Landtagswahlen vom 13. Mai 1990 ausgeht: „NRW darf nicht Zahlmeister der Einheit werden“ als Wahlkampf-Schlagwort brachte dies auf den Punkt.

Die Chancen, die die deutsche Einheit und die Reformen in Osteuropa für eine europaweite Integration eröffnet haben, müssen auch in ihrer zeitlichen Dimension gesehen werden. Einseitig wird die Integrationsdiskussion seit 1989 von dem Zeitdruck beherrscht, unter den die Vollendung der EG-Integration gesetzt ist, trotz der Fortschritte, die bei der Vollendung des Binnenmarktes im zweiten Halbjahr 1989 erzielt worden sind

Während allgemein der EG-Integrationsprozeß als unumkehrbar eingeschätzt wird, kann der Erfolg von demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen in Mittel-und Osteuropa nicht als gesichert angenommen werden. Eine schnelle Öffnung der EG gegenüber diesen Ländern würde die Erfolgschancen für die Reform erhöhen, bei denen es nicht nur um zukünftigen Wohlstand geht. Vom Erfolg der Reformen hängt für Europa und den Weltfrieden mehr ab als von der Restintegration in der EG, deren Bürger durch demokratische Freiheitsrechte und Marktwirtschaft bereits in hohem Maße geeint sind.

Die zeitlichen Prioritäten im europäischen Integrationsprozeß sind also zu überprüfen, auch im Interesse der Vollendung der EG-Integration, wie dies der tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel vor dem amerikanischen Kongreß am 21. Februar 1990 selbst für die Strukturen des europäischen Integrationskonzepts zu bedenken gab: „Die Tschechoslowakei wendet sich nach Europa.. . . Wir tun was wir können, um diese Heimkehr zu koordinieren, und zugleich tun wir, was wir können, damit Europa in der Lage ist, uns wirklich zu akzeptieren — seine verlorenen Kinder — was bedeutet, daß es sich uns öffnen und beginnen könnte, seine Strukturen, die formal europäisch sind, faktisch jedoch westeuropäisch, in dieser Richtung zu verändern, aber auf eine solche Art und Weise, daß es nicht zu seinem SchadeiT, sondern eher zu seinem Vorteil ist.“

Von einer solchen Beweglichkeit ist das Integrationskonzept der EG auch nach dem Dubliner Sondergipfel weit entfernt, obwohl die elementaren Zusammenhänge zwischen der Größe des Integrationsraums und der Intensität der Integration klar sind: Je mehr Bedingungen ein Staat oder eine Gemeinschaft für einen Beitritt stellt („Intensität“ der Integration), desto stärker wird die Zahl der Staaten eingeschränkt, die bereit oder in der Lage sind, diese Bedingungen zu erfüllen („Größe“ des Integrationsraums) Das gilt auch für die „funktionelle Integration“, also für die Integration der Märkte durch freie Bewegung von Menschen, Gütern, Kapital und Zahlungsmitteln. Denn ein Integrationspartner kann z. B., wie gegenwärtig die EFTA-Staaten, eine schnellere Integration der Gütermärkte in Gesamteuropa anstreben, nicht jedoch in gleichem Maße oder zur gleichen Zeit die freie Bewegung von Menschen oder die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen.

Als weitaus gewichtigeres Beitrittshindemis haben sich aber die Anforderungen der „institutionellen Integration“ durch gemeinsame Organisation wie politische Entscheidungsgremien, Behörden oder die bürokratische Organisation des „Gemeinsamen Agrarmarktes“ der EG erwiesen. Dies machten vor allem die Diskussion um den britischen Beitritt und die auch nach dem Beitritt (1. Januar 1973) anhaltenden Widerstände Großbritanniens gegen weitere Fortschritte in diesem Bereich deutlich Das hohe Maß „institutioneller Integration“ war insbesondere auch ein Hindernis für die neutralen Staaten Schweden, Schweiz und Österreich, der EG beizutreten. Die Neutralitätsfrage dürfte jedoch in einem neuen europäischen Sicherheitssystem an Bedeutung verlieren.

Auch im Mai 1990 gab es klare politische Anhaltspunkte für einen Konflikt zwischen Intensität und Tempo der EG-Integration einerseits und der Ausdehnung des Integrationsraums andererseits: Für ein Beitrittsgesuch Österreichs werden von der EG schon im Vorfeld der Verhandlungen geringe Chancen signalisiert. Wenig positiv ist in der EG auch die Resonanz auf Beitrittsüberlegungen Schwedens, die zudem die Bereitschaft Norwegens wiederbeleben könnten, nachdem der Beitritt Norwegens in Brüssel bereits 1972 unterzeichnet, durch Volksentscheid mit 53, 7 Prozent Nein-Stimmen jedoch abgelehnt worden war. Für diese und die drei übrigen EFTA-Staaten Schweiz, Finnland und Island ist aber auch die Alternative einer schnellen Verwirklichung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) gefährdet, an dem marktwirtschaftliche Länder Osteuropas beteiligt sein könnten.

Priorität hat offenbar die schnellstmögliche Vollendung der EG-Wirtschafts-und Währungsunion. Die skeptische Beurteilung der Chancen des Projekts einer schnellen Verwirklichung des Europäischen Wirtschaftsraums stützt der EG-Kommissionspräsident Delors nicht nur auf den sehr kleinen gemeinsamen Nenner, auf den sich die EFTA-Staaten bisher für die Herstellung „binnenmarktähnlicher Verhältnisse“ im Europäischen Wirtschaftsraum einigen konnten. Hier sind immerhin Fortschritte möglich, die mehr gesamteuropäische Integration bedeuten würden, wenn auch zunächst bei geringerer Intensität der Integration: Der „gemeinsame Nenner“ dürfte jedenfalls bei einer Teilnahme marktwirtschaftlich reformierter Länder Osteuropas vorerst kaum größer werden als zwischen den EFTA-Ländern.

Die EG-Kommission beklagt aber auch ein Defizit an Institutionen und Organen der EFTA, die nicht einmal über ein permanentes Sekretariat verfügt. Damit sind nicht nur verhandlungstechnische Schwierigkeiten auf dem Wege zum Europäischen Wirtschaftsraum angesprochen. Vielmehr scheint eine Integration ohne umfangreichen institutionellen Apparat die Vorstellungskraft der EG-Kommission zu überfordern 3. Trugschlüsse des „Begriffsrealismus“

im Integrationsprozeß Ein solcher Mangel an Vorstellungskraft überrascht, denn vor aller Augen vollzieht sich ohne Hilfe irgendeiner zentralen Institution oder Behörde der größte Integrationsschritt seit der Grün-düng der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG): Mit dem Übergang von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft in der Sowjetunion bzw. in Mittel-und Osteuropa werden viele Behörden sogar überflüssig.

Diese Sicht der Reformen in den sozialistischen Ländern ist noch ungewohnt; Integrationsfortschritte werden meist als Folge der Reformen erwartet, wenn die höhere Produktivität in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, bei steigender Wettbewerbsfähigkeit verbesserter Exportgüter, den Anteil der osteuropäischen Länder am europäischen Handel oder am Welthandel erhöht. Tatsächlich liegt aber der entscheidende Integrationsschritt bereits in der Abkehr von der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft selbst: Die einzelnen Bürger dieser Länder können dann an der internationalen Arbeitsteilung unmittelbar teilhaben, sind also in die internationale Arbeitsteilung „integriert“.

Bisher haben sich die sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaften durch ihre innere Wirtschaftsordnung in hohem Maße selbst von der europäischen und weltwirtschaftlichen Integration ausgeschlossen, weil nicht die Verbraucher und Unternehmen entschieden, was sie zu welchen Preisen wann und wo kauften oder verkauften. Ein staatlicher Gesamtplan legte den Import wichtiger Engpaßgüter fest, die im Inland nicht verfügbar waren. Sie wurden vor allem als „komplementäre“ Güter für die Inlandsproduktion zentral eingeplant und zentral über die Dienststellen des Außenhandelsmonopols in Marktwirtschaften oder anderen Zentralverwaltungswirtschaften mit eigenem, autonomem Zentralplan beschafft, vor allem in anderen RGW-Ländern Außerdem mußte der internationale Handel als „Lückenbüßer“ die Löcher stopfen, die durch regelmäßige zentrale Fehlplanung bei der Versorgung von Verbrauchern und Betrieben entstanden waren.

Entsprechend legte der zentrale Gesamtplan die Güter fest, die über das Außenhandelsmonopol exportiert werden mußten, um die Importe zu bezahlen, sei es über direkten Tausch von Gütern („Kompensationshandel“; z. B. Erdgas gegen Erdgasleitungen) oder gegen westliche Devisen, mit denen das Außenhandelsmonopol die eingeplanten Importgüter frei auf dem Weltmarkt kaufen konnte. Ebenso mußten Exporte des Außenhandelsmonopols für die Rückzahlung von aufgenommenen Devisenkrediten zentral eingeplant werden

Die Bürger selbst sind also an der internationalen Integration durch Handel und Kapitalverkehr in den sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaften nicht unmittelbar beteiligt. Sie sind durch Zentral-plan und Außenhandelsmonopol gewissermaßen entmündigt, weil ihre autonome private Planung von Käufen und Verkäufen den zentralen Staats-plan unterlaufen würde: Eine solche „Doppelplanung“ könnte nicht funktionieren, wie das Beispiel des Zusammenbruchs der DDR-Staatsplanung nach der den DDR-Bürgern gewährten Reise-und begrenzten Handelsfreiheit eindrucksvoll gezeigt hat.

Wenn man unter Integration die unmittelbare Integration der Menschen versteht, wie dies in der Forderung des EG-Binnenmarktkonzeptes nach einem „Europa der Bürger“ klar zum Ausdruck kommt, sind also marktwirtschaftliche Reformen und demokratische Bürgerfreiheiten der entscheidende Schritt zu wirklicher Integration. In reinen Zentralverwaltungswirtschaften handelt systematisch „die Sowjetunion“ mit „der DDR“. In Marktwirtschaften ist eine solche Formulierung ein „Begriffsrealismus“: Es sind die einzelnen Bürger, die miteinander handeln.

Zunächst sind „Begriffsrealismen“ oft bequeme sprachliche Verkürzungen von komplexen Zusammenhängen, die wir alle benutzen. Erst gedankenloser Umgang mit solchen „Begriffsrealismen“ oder ihr gezielter Einsatz zur Irreführung z. B. in der Politik oder bei wirtschaftspolitischen Beurteilungen führt zu Trugschlüssen („fallacies of misplaced concreteness“) Mit der Furcht vor der „wirtschaftlichen Größe Deutschlands“ ist oben ein solcher „Trugschluß des Begriffsrealismus“ bereits angesprochen worden, dem in der europäischen Integrationsdiskussion viele erlegen sind. Dem hat der tschechoslowakische Staatspräsident Vaclav Havel in bester philosophischer Tradition eine klare Absage erteilt: Ob Deutschland sechzig oder achtzig Millionen Einwohner habe, sei ihm gleichgültig, wenn es nur ein friedliches und demokratisches Deutschland sei.

Da Havel zudem für eine marktwirtschaftliche Ordnung eintritt, hätte er auch „friedliches, demokratisches und marktwirtschaftliches Deutschland“ sagen können, um noch deutlicher auch vor anderen Facetten von Trugschlüssen des Begriffsrealismus zu warnen. Weil „der Staat“, „die Partei“ oder „der Kapitalismus“ in sozialistischen Wirtschaftssystemen im Sprachgebrauch noch häufiger als bei uns wie konkrete Personen gedacht oder weil ihnen gedankenlos Eigenschaften von Menschen zugeordnet werden, nimmt die Gefahr solcher Denkfehler gerade in der Integrationsdiskussion zu: Mit der Wiedervereinigung treffen auch zwei Sprachwelten aufeinander, die sich so weit voneinander entfernt haben, wie die beiden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnungen verschieden gewesen sind. So spielt „der Ausverkauf der DDR“ weiterhin eine große Rolle, wenn vor den unsozialen Fehlentwicklungen „des Kapitalismus“ beim Übergang zur Marktwirtschaft in der DDR gewarnt wird, als kaufe tatsächlich „der Kapitalismus“ „die DDR“ auf, wenn Herr Müller oder Mrs. Smith eine Fabrik in Jena von Herrn Schmidt kaufen.

Trugschlüsse des Begriffsrealismus sind eine ernste Gefahr für Integrationsvorhaben, weil mit ihnen Widerstände mobilisiert werden können. Das geschieht auf zwei Wegen: 1. Mit der Personifizierung eines abstrakten Begriffs wie z. B. „das Kapital“ wird als Ursache das Abstraktum gewissermaßen zum Täter gemacht, den es konkret natürlich nicht geben kann. Von den tatsächlichen Ursachen und den zu lösenden Problemen wird damit abgelenkt. Politisch ist das oft sehr bequem für diejenigen, die für Fehlentwicklungen verantwortlich sind. Aufschub von Problemlösungen bedeutet jedoch Verschärfung der Probleme; zugleich kann durch den so erreichten Aufschub verantwortlich gemacht werden, wer die verschärften Probleme lösen muß. Gegen ihn richten sich die Widerstände.

Im „Ausverkaufbeispiel“ könnte Herr Schmidt zusammen mit vielen Meiers und Schützens tatsächlich seinen Betrieb zu einem sehr ungünstigen Preis verkauft haben: Herrn Müllers Eigentumsrechte könnten unvollständig bestimmt worden sein, der Kaufvertrag könnte unvollkommen sein, weil Informationen fehlen. Mangelnde Alternativen zum Verkauf des Betriebes könnten Ursache sein, weil z. B. in der Durststrecke der Umstellung des Betriebes auf eine neue Wettbewerbssituation für Herrn Schmidt kein Zugang zu einem funktionsfähigen Kapitalmarkt besteht, wohl aber für die Käuferin Mrs. Smith aus London.

Macht man nun „das Kapital“ oder „die Ellenbogengesellschaft“ für den ungünstigen Verkaufspreis verantwortlich, dann wird man an die tatsächlichen Ursachen des ungünstigen Verkaufs, die in Mängeln der Eigentumsordnung, der Wettbewerbsordnung, der Währungsordnung oder des Kapitalmarktes liegen können, nicht oder mit Verzögerung herangehen. Ohne ordnungspolitische Reformen und bei Verzögerungen könnten trotz steigender Nachfrage die Preise bei Angebotsdruck weiter fallen, so daß Widerstände gegen die Integration — z. B. die deutsche Einheit — mobilisiert werden, weil in diesem Falle das Integrationsergebnis einzel-und volkswirtschaftlich schlechter wäre als bei schnellen ordnungspolitischen Reformen. Daß auch ein solches Ergebnis noch besser sein dürfte als Herrn Schmidts Situation im alten Wirtschaftssystem und ohne Integration, wird erfahrungsgemäß verdrängt. 2. Während solche Widerstände gegen Integration meist mit Verzögerung als Früchte ungelöster Probleme auftreten, können mit den Trugschlüssen des Begriffsrealismus auch sehr kurzfristig Widerstände mobilisiert werden. Integration bedeutet nicht zuletzt den Abbau von Grenzen zwischen Menschen, die durch Unterschiede der politischen, rechtlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Ordnung gezogen sein können. Solange die alten Grenzen im Integrationsprozeß das Verhalten der Menschen bestimmen, können Menschen viel leichter pauschal in Kollektive eingeteilt werden; sie werden dann als abstraktes „Ausland“ oder z. B. „Kapital“ behandelt. Auch wenn kein Motiv bestünde, den einzelnen Menschen zu diskriminieren, können damit für den als „Ausland“ ausgegrenzten Menschen andere Gesetze und „Wahrheiten“ gelten: „Was diesseits der Pyrenäen Wahrheit ist, ist Irrtum jenseits“ charakterisiert dieses Phänomen.

Im „Ausverkaufbeispiel“ müssen Gegner der Integration dann beim Verkauf des Jenaer Betriebes an Mrs. Smith dieser Dame nur den Begriff „England“ oder „Kapital“ zuordnen und schon kann sie behandelt werden wie jemand von „jenseits der Pyrenäen“. Der Verkauf wird zum „Ausverkauf“ oder zur „Ausbeutung“, auch wenn die leibhaftige Mrs. Smith höchst sympathisch wäre und der Betrieb z. B. auf im Vertrag nicht erfaßten Altlasten stünde. Widerstände gegen die Integration wären sicher, weil kein vernünftiger Mensch für Ausbeutung sein kann.

Ein ähnlich fruchtbarer Boden für die Mobilisierung von Widerständen gegen Integration ist für die Trugschlüsse des Begriffsrealismus die Konkurrenzangst Sie richtet sich wie beim oben charakterisierten Phänomen bevorzugt gegen „das Ausland“ oder „die BRD“. Dies ist um so wahrscheinlicher, je geringer die Rolle wirtschaftlichen Wettbewerbs im Inland ist. Nach über 50 Jahren nationalsozialistisch und sozialistisch geprägter Schulen, Wirtschaftsordnung und Propaganda gegen eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung mit Gleichsetzung von Wettbewerb und Anarchie ist dies in der DDR ein Problem.

II. Deutsche Einheit: Kurzfristig nur Kosten für Deutschland und Europa?

1. Schneller Übergang zur Marktwirtschaft — Notwendigkeit und Herausforderung Die Widerstände gegen eine schnelle Verwirklichung der deutschen Einheit sind gewachsen, besonders in der Bundesrepublik. Sie sind nach Unterzeichnung des Staatsvertrages am 18. Mai 1990 und nach der Entscheidung für einen Sonderfonds „Deutsche Einheit“ — mit einem Volumen von über 100 Mrd. DM für die „Anschubfinanzierung“ in der DDR — so stark geworden, daß das Gesamtkonzept der wirtschaftlichen Wiedervereinigung gefährdet ist: Nach intensiver wirtschaftswissenschaftlicher Beratung hatte sich die Bundesre-gierung für Verhandlungen mit der DDR über einen möglichst schnellen Weg der Umstellung von einer nicht mehr funktionsfähigen Zentralverwaltungswirtschaft auf eine Marktwirtschaft entschlossen

Ausgangsdaten für das Konzept eines schnellen Übergangs zur Marktwirtschaft in der DDR über die Einführung der Währungsunion mit der DM als Einheitswährung am 1. Juli 1990 waren der Zustrom von täglich über 2 000 Menschen aus der DDR und der beschleunigte Verfall der DDR-Wirtschaft durch den Zusammenbruch des Planungssystems: DDR-Betriebe und Investoren erhalten in einer Übergangsphase von Zwischenlösungen weder vom Zentralplan noch vom marktwirtschaftlichen Preismechanismus eindeutige Signale für ihre Planungen und Entscheidungen. Ein langsameres Vorgehen über schrittweise Zwischenlösungen würde bei solchen Ausgangsdaten nicht mehr soziale Abfederung des Übergangsprozesses bedeutet haben, sondern zunehmende Wohlstandseinbußen vor allem in der DDR, steigende Kosten der Wiedervereinigung und unzumutbare Lebensbedingun-gen für eine weiter steigende Zahl von Übersiedlern in den Gemeinden der Bundesrepublik

Es sind also die besonderen Ausgangsbedingungen der deutschen Einigung, die eine schnelle Einführung der DM als Einheitswährung notwendig machen. Im Falle der geplanten Europäischen Währungsunion sind die Ausgangsbedingungen völlig anders: Ein Zeitdruck wie in der verfallenden DDR-Wirtschaft besteht nicht; die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu einer autonomen und auf Geldwertstabilität verpflichteten Europäischen Zentralbank fehlt weiterhin, während das hohe Prestige der DM in der DDR, die dort schon längst Parallelwährung ist, Probleme bei der Zustimmung zur Deutschen Bundesbank als gemeinsamer Währungshüterin verhindert hat.

Die prinzipiellen Überlegungen der politökonomischen Regulierungstheorie sprechen ebenfalls für ein zügiges Vorgehen beim Übergang von Zentralverwaltungswirtschaften zu Marktwirtschaften: — Bei zügigem Vorgehen wird allen die ordnungspolitische Wende bewußt; Unsicherheit über die Ernsthaftigkeit des Abschieds von der vertrauten sozialistischen Planwirtschaft kommt nicht auf, überfällige Strukturanpassungen für mehr Wachstum und Beschäftigung werden nicht vertagt. Widerstände gegen marktwirtschaftliche Reformen können in der kurzen Frist nicht so leicht organisiert werden. — Bei schrittweisem Vorgehen haben die Marktteilnehmer bei längeren Übergangsfristen mehr Zeit, sich auf die neue Wirtschaftsordnung einzustellen; der Anpassungsdruck wird zeitlich gestreckt. „Abfederung“ und „sanfte Landung“ sind die hierfür verwendeten Bilder. Mehr Zeit haben dann allerdings auch diejenigen, die marktwirtschaftliche Reformen und Anpassung verhindern wollen, weil ihnen das alte System Vorteile bietet: sie landen dann sanft und abgefedert, während die Volkswirtschaft insgesamt weiter verfällt

Die Erfahrungen aller Zentralverwaltungswirtschaften mit früheren Reformschritten durch „ökonomische Hebel“, aber auch die Widerstände der Bürokratie gegen die seit der Perestrojka eingeleiteten Reformen in Mittel-und Osteuropa sprechen eindeutig für einen schnellen Übergang zur Marktwirtschaft Das heißt nicht etwa, daß mit einem solchen Tempo z. B. die etwa 22 000 Gesetze und Verordnungen der DDR an marktwirtschaftliche Bedingungen angepaßt oder gar die Verhaltensweisen voll auf Marktwirtschaft eingestellt werden müßten. Notwendig sind für die Menschen in der DDR aber eindeutige Signale für einen Aufbruch. Sie haben kein Verständnis für das Zögern und Zaudern oder die Kostenrechnungsakrobatik in der Bundesrepublik, denn niemand bestreitet, daß Marktwirtschaft und deutsche Einheit Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland und Europa fördern werden. Daher sind Signale wie die Zustimmung zum Staatsvertrag, die Einführung der DM und möglichst frühzeitige gesamtdeutsche Wahlen so wichtig für den Erfolg der Reformen. 2. Das Beschäftigungsproblem Hohe Kosten des Übergangs zur Marktwirtschaft und deutschen Einheit mit negativen Fernwirkungen für Europa und die Weltwirtschaft werden häufig aber für die kurze Frist des Übergangs angenommen. So wird von manchen der Staatsvertrag abgelehnt, solange nicht Schutzregelungen für „überlebensfähige“ DDR-Betriebe vorgesehen werden, also Subventionen oder Protektion in irgendeiner Form in der Übergangszeit.

Prinzipiell falsch ist, daß bei aller Angst, die mit den Kosten der deutschen Einheit verbreitet wird, der Nutzen oft nicht gegenübergestellt wird. Der Nutzen läßt sich allerdings noch weitaus schwerer quantifizieren als die Kosten, obwohl die sehr unterschiedlichen Kostenrechnungen die Schwierigkeiten auch bei deren Quantifizierung verdeutlichen. Vor allem bei den kurzfristigen Kosten der Übergangsphase wird zudem meist nicht der richtige Vergleich gewählt: Verglichen werden müssen die volkswirtschaftlichen Kosten, die entstehen würden, wenn man die Reformen unterlassen oder verzögern würde. Diese Kosten wären weitaus höher

Schätzungen der Beschäftigungswirkungen in der Übergangsphase zur Marktwirtschaft in der DDR bestätigen jedoch nicht die verbreitete Erwartung von kurzfristig starken Beschäftigungseinbrüchen. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stehen Beschäftigungseinbußen in einer Reihe von Branchen Beschäftigungszuwächsen in anderen Branchen gegenüber, vor allem bei den privaten Dienstleistungen, wo etwa 300 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschätzt werden. Insgesamt wird allerdings mit einer geringeren Beschäftigung nach der ersten Konsolidierungsphase in Höhe von von etwa 1 Million gerechnet. Gemessen an der Zahl von 9, 3 Millionen Beschäftigten 1989 entspräche dies einem Rückgang von über 10 Prozent

Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich die erwarteten Beschäftigungseinbrüche auch auf Branchen konzentrieren, in denen vielen Betrieben wegen ihrer Umweltgefährdung nach deutschen und europäischen Umweltnormen die Produktion untersagt werden müßte: Viele Chemiebetriebe, Kraftwerke oderz. B. Schweinemastbetriebe mit bis zu 180 000 Schweinen pro Betrieb würden Kontrollen des Gewerbeaufsichtsamtes und Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht standhalten; sie dürften in dieser Form längst nicht mehr produzieren. Auf die Wirtschaftszweige mit einem hohen Anteil solcher umweltgefährdender Betriebe entfallen immerhin fast die Hälfte der Beschäftigungsrückgänge. Etwa 350 000 Arbeitsplätze dürften bei staatlichen Organisationen, Verbänden, Parteien usw. eingespart werden, was ebenfalls eine Art „Altlast“ eines bürokratischen Systems der Zentralverwaltungswirtschaft mit ihren „Wasserköpfen“ und Kontrolleuren ist. Wie in anderen Industrieländern auch, dürften Teile der landwirtschaftlichen Produktion und z. B.des Textil-und Bekleidungsgewerbes bei freiem Handel gegenüber den Anbietern aus Entwicklungsländern nicht wettbewerbsfähig sein, so daß eine möglichst schnelle Strukturanpassung mit sozialer Absicherung ohnehin sinnvoll wäre. Die Kostenentlastung der DDR-Betriebe durch die Abschaffung des bisherigen Abgabensystems, Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung über die Anschubfinanzierung durch die Bundesrepublik sowie weitere Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherung bei Renten und Gesundheitsversorgung machen nach Einschätzung des DIW eine soziale Flankierung des Übergangs ohne Finanzierungsprobleme möglich 3. Umweltprobleme und Infrastruktur Geht man von den einzemen Problembereichen aus, so ergibt sich der stärkste Zwang zu schnellen Veränderungen aus den Umweltproblemen, bei denen die Verursacher in der DDR und anderen sozialistischen Planwirtschaften liegen, die Auswirkungen aber in ganz Europa spürbar sind. Ein möglichst schneller Übergang zur Marktwirtschaft und Umweltunion ist Voraussetzung für schnelle Abhilfe. Knappe Ressourcen dürfen nicht länger durch die unrationelle Produktion in der Zentralplanwirtschaft vergeudet werden; effektiverer Einsatz knapper Produktionsfaktoren muß dazu beitragen, daß mehr Kapital für vordringliche Umweltinvestitionen zur Verfügung gestellt werden kann, damit die Umweltstandards einer Umweltunion so schnell wie möglich verwirklicht werden können. Jede Verzögerung in diesem Bereich erhöht drastisch die Folgekosten auch für die Nachbarländer der DDR

Das Probien besteht nun darin, daß angesichts der katastrophalen Umweltschäden in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten hier eine besondere Dringlichkeit besteht, dringliche Umweltinvestitionen aber z. B. auch in der Bundesrepublik im Regelfall nicht zurückgestellt werden können. Versäumnisse im Umweltschutz im Westen und das systematische Vertuschen von Umweltproblemen im Stile von Orwells „ 1984“ in den sozialistischen Staaten haben zu einem Investitionsstau geführt; Produktionskapazitäten für Umwelttechnologien lassen sich nicht beliebig schnell ausweiten. Vor allem konkurrieren die Umweltinvestitionen mit Investitionen in Infrastruktur und produktivere Betriebe, die dazu beitragen müssen, daß die Mittel erwirtschaftet werden, aus denen der Umweltschutz gezahlt werden muß.

Außerdem hat sich für die DDR bereits erwiesen, was wahrscheinlich in ähnlichem Umfang auch für andere sozialistische Länder gelten dürfte: Die Böden sind durch industrielle Altlasten so stark verseucht, daß neue Betriebe „auf der grünen Wiese“ angesiedelt werden. Flächenversiegelung und andere Naturschäden nehmen zu und können nicht schnell durch Abriß alter Fabriken und Straßen, Altlastenbeseitigung und Renaturierung kompensiert werden. Für Einsparungen zur Entschärfung von Umweltproblemen besteht zwar wie in jeder sozialistischen Vergeudungswirtschaft ein gewaltiges Potential, das durch den Übergang zur Marktwirtschaft genutzt werden kann.

Die Umweltschäden und die sozialen Probleme im „Arbeiter-und Bauernstaat“, die ähnlich wie die Umweltprobleme vertuscht worden sind, werden jedoch ohne zusätzliches Wachstum, also ohne mehr Produktion, nicht zu bekämpfen sein. Alles kann nicht aus dem Verzicht auf den häufig zitierten „Jäger 90“ oder anderen Verteidigungsausgaben geleistet werden. Die so eingesparten Mittel wären bereits mehrfach für Entwicklungshilfe, Sozialleistungen und Umweltschutz verplant. Es geht darum, daß unter den Ordnungsbedingungen einer Marktwirtschaft, die systematisch für den sparsamsten Umgang mit knappen Ressourcen sorgen, politische Prioritäten gesetzt werden: Ein hinreichend großer Teil der Produktionsfaktoren muß für Ein-sparmaßnahmen einerseits und mehr Umweltgüter andererseits eingesetzt werden. Umweltvorsorge ist Aufgabe eines jeden Bürgers und zugleich klassische Staatsaufgabe. Für Umweltvorsorge müssen also politisch die Prioritäten gesetzt werden; die Marktwirtschaft sorgt unter den notwendigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen dafür, daß die bei gesetzten Prioritäten produzierten Güter möglichst sparsam, also auch umweltschonend produziert werden. Schlagworte wie „ökosoziale Marktwirtschaft“ in einer deutschen Umweltunion und in Europa verdunkeln eher diese Zusammenhänge und lenken vom Staatsversagen beim Umweltschutz ab 4. Inflationsprobleme durch schnelle Einführung der Währungsunion?

Ein Scheinproblem sind dagegen für Deutschland und die im Europäischen Währungssystem verbundenen EG-Länder die immer wieder befürchteten Inflationsgefahren beim Übergang zu freien Preisen in einer deutsch-deutschen Währungsunion. Ähnlich wie bei der Währungsreform von 1948 werden dabei die offenen Preissteigerungen nach Abschaffung von staatlichen Höchstpreisregulierungen und Subventionen für Mieten und Lebensmittel mit Inflation gleichgesetzt. Tatsächlich kommt es bei einer Freigabe von Preisen nach „zurückgestauter Inflation“ zu einem Anstieg des Preisniveaus, wenn das Gewicht der im Anpassungsprozeß sinkenden Güterpreise geringer ist als das der steigenden Preise. Das ist bei einer großen Zahl künstlich niedrig gehaltener Preise zu erwarten. Die Entzerrung des Preisniveaus ist notwendig, damit Verbrauch und Produktion die richtigen Knappheitssignale erhalten: Kaninchen in der DDR mit subventioniertem Brot und Haferflocken zu füttern, für 50 Mark an den Staat zu verkaufen und dann wiederum subventioniert für 20 Mark im Laden zu kaufen, ist nur ein besonders absurdes, für „zurückgestaute Inflation“ aber typisches Beispiel

Der offene Anstieg des Preisniveaus ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der „zurückgestauten Inflation“, weil die Verzerrung der Preise immerhin dadurch gemildert wird. Nach dem einmaligen Anstieg im Anpassungsprozeß hat es die Bundesbank in der Hand, das Preisniveau gemäß ihrer Verpflichtung zur Sicherung des Geldwertes durch Einsatz ihres geldpolitischen Instrumentariums stabil zu halten -Die für das Europäische Währungssystem befürchtete Destabilisierung wird nicht eintreten. Nach der jahrelangen Kritik an der Bundesbank und der DM als angeblich zu stabiler „Ankerwährung“ im Europäischen Währungssystem mußte die Befürchtung einer schwächeren DM ohnehin überraschen, denn sie käme nach dieser Argumentation ja den Mitgliedsländern mit geringerer geldpolitischer Disziplin entgegen. Spekulationen über eine Schwächung der DM durch die Übergangsprobleme der deutschen Einigung könnten den Zweck haben, nach beachtlichen Erfolgen Frankreichs bei der Geldwertstabilisierung, den Franc als europäische Ankerwährung hoffähiger zu machen indem die alte Ankerwährung DM als geschwächt erscheint.

Nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) soll es aber nicht einmal im Übergang für die Gesamtheit der Haushalte in der DDR zu einem wesentlichen Anstieg des Preisniveaus kommen (2 Prozent), geschweige denn im gesamten Währungsraum Deutschlands. Ein starker Anstieg des Preisniveaus wird für die Rentnerhaushalte berechnet. Dieser Anstieg ist allerdings ein soziales Problem, nicht ein Problem für das Europäische Währungssystem. Durch einen monatlichen Rentenzuschlag von 250 DM würde bei dem Umstellungskurs von 1 : 1 das Problem für die Rentner gelöst

III. Europäische Einigung und internationaler Standortwettbewerb

1. Wachstum durch offene Märkte Während sich die politische Diskussion in der Bundesrepublik auf die Anpassungskosten der deutschen Einheit konzentriert, warten die meisten Bürger in der DDR und die Unternehmen in der Bundesrepublik auf die deutsche Währungsunion als definitives Startzeichen für einen schnellen Aufholprozeß bei Entlohnung, Güterversorgung und Investitionen. Bisher wurde zwar viel über Kooperationen und Investitionen in der DDR gesprochen, es ist aber kaum Kapital in die DDR geflossen. Der Strom von Übersiedlern ging allerdings nach Ankündigung einer schnellen Währungsunion abrupt und anhaltend zurück, wie dies auf Transparenten von DDR-Bürgern angekündigt worden war: „Kommt die DM, bleiben wir; kommt sie nicht, dann gehen wir!“

Trotz des starken Lohngefälles zwischen der DDR und der Bundesrepublik von durchschnittlich etwa 1 : 2 bei den Nettolöhnen bleiben die DDR-Bürger nun in ihrer Heimat. Eine Rolle spielt dabei sicherlich auch die geringe Aufnahmefähigkeit des Wohnungs-und Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik. Entscheidend dürfte aber sein: Die Menschen in der DDR trauen sich und ihrem Wirtschaftsstandort bei konsequenten Reformen einen erfolgreichen Aufholprozeß zu

Von den Wachstumsimpulsen dieses Aufholprozesses erwarten Anbieter von Waren und Dienstleistungen in Deutschland, in Europa und auch in den erfolgreichen Entwicklungsländern Ostasiens kräftig steigende Absatzchancen. Da die Reform-länder Ungarn, Polen und SFR neben anderen marktwirtschaftlichen Reformen (Eigentums-und Wettbewerbsordnung) auch schrittweise die Konvertierbarkeit ihrer Währungen einführen, werden diese Länder wie die DDR mit der voll konvertiblen DM als Handelspartner attraktiver: Wer z. B. durch Exporte konvertible Forint, Zloty oder Kronen verdient hat, kann sie frei gegen Waren, Dienstleistungen, Immobilien oder Dollar eintauschen („konvertieren“) -

Im Vorgriff auf diese Wachstumsimpulse der deutschen Einheit und der marktwirtschaftlichen Reformen in Mittel-und Osteuropa haben sich Wachstum und Beschäftigung in der Bundesrepublik deutlich günstiger entwickelt, als dies bei nachlassender Inlandsnachfrage und steigenden Zinsen zuvor erwartet worden war Dem liegen positive Absatz-und Investitionserwartungen der Unternehmen zugrunde, die offenbar von den Chancen der offeneren Märkte in Mittel-und Osteuropa bestimmt werden, ähnlich wie nach der Ankündigung des EG-Binnenmarktes 1992. 2. Entwicklungsländer im Abseits?

Die Sorge, daß die internationalen Kapitalströme künftig verstärkt in die offeneren Wachstums-märkte Mittel-und Osteuropas gelenkt werden, nicht aber wie bisher in Entwicklungsländer, ist zum Dauerthema fast jeder Entwicklungsländerdiskussion geworden. Viele Entwicklungsländer fühlen sich durch die Veränderungen in Europa ins Abseits gedrängt. Angeregt wird die Phantasie vor allem durch die gigantischen Zahlen über den Investitionsbedarf in der DDR und in den anderen Reformländern. So wird für die DDR ein Investitionsbedarf von 500 bis 1 000 Mrd. DM geschätzt. Hoch-gerechnet auf Mittel-und Osteuropa ohne die Sowjetunion werden bis zum Jahre 2000 3 500 bis 7 000 Mrd. DM geschätzt, also 350 bis 700 Mrd. DM pro Jahr

Solche Phantasien und die damit verbundenen Sorgen werden kaum durch Überlegungen zum Zeitbedarf für die Auswahl und Koordinierung von Investitionsprojekten oder durch Kapazitätserwägungen gebremst, obwohl gerade in Entwicklungsländern die Beispiele von elektrischen Melkanlagen ohne Stromversorgung und Hafenanlagenbau ohne hinreichende Auslastung durch internationalen Warenverkehr bekannt sind. Vor allem aber werden Zusammenhänge zwischen Kapitalbewegungen und Güterbewegungen sowie die Transferprobleme von der Aufbringung der Finanzmittel bis zur Übertragung der Transfersumme in Güterform nicht beachtet: Wenn verstärkt Kapital nach Osteuropa fließt, so daß Osteuropa netto Kapital importiert, dann muß Osteuropa wegen der Logik einer stets ausgeglichenen Zahlungsbilanz bei flexiblen Wechselkursen in Höhe des Nettokapitalimports Güter importieren („Leistungsbilanzdefizit“). Bei festen Wechselkursen« könnten auch die Devisenreserven nach zusätzlichen Kapitalimporten steigen, doch ist dies bei dem hohen Kapital-und Güterbedarf dieser Länder nicht sehr wahrscheinlich

Diese Netto-Güterimporte brauchen die DDR und die europäischen Reformländer für den Aufholprozeß. Für Exporteure in Entwicklungsländern ist dies zunächst eine Chance, Devisen durch zusätzliche Exporte zu verdienen, um ihre Importe auf diesem Wege und nicht über zusätzliche Kapitalimporte zu bezahlen. Das folgt aus der Zahlungsbilanzlogik, gilt also für jedes Land, nicht nur für die ostasiatischen Entwicklungsländer. Finanzierung von Importen durch Kapitalimporte heute bedeutet Rückzahlung der Kredite in Güterform durch Exporte morgen. Gerade für schon stark verschuldete Entwicklungsländer müßten die Chancen, mehr Devisen durch Güterexporte verdienen zu können, eher eine Hoffnung sein, verglichen mit der Alternative, bei geschlosseneren Gütermärkten für Entwicklungsländer mehr Kapital zu importieren und so die Auslandsverschuldung weiter zu erhöhen. Das wäre vor allem so lange problematisch, wie der Kapitalmangel nicht das entscheidende Problem ist, sondern vielmehr die Fehlleitung von Kapital durch Mängel der Wirtschaftsordnung in Entwicklungsländern 3. Keine Lösung ohne Liberalisierungen in der Uruguay-Runde Die marktwirtschaftlichen Reformen, die Kapital in die mittel-und osteuropäischen Reformländer lenken, sollten auch in Entwicklungsländern die Kräfte stärken, die eine Lösung der Entwicklungsprobleme vorrangig im eigenen Lande durch wirtschaftliche und politische Reformen sehen. Insofern ist der Druck durch intensiveren internationalen Standortwettbewerb ebenso eine Chance wie das positive Beispiel der Reformen in Europa. Zu hoffen ist, daß der Papst auf seiner Reise nach Mexiko nicht mißverstanden worden ist, als er in Durango vor Unternehmern den „liberalen Kapitalismus“ für die Probleme der Dritten Welt verantwortlich gemacht hat. Eine marktwirtschaftliche Ordnung in den Entwicklungsländern und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen kann er jedenfalls bei diesem Appell an Moral und Ethik im wirtschaftlichen Verhalten seiner einzelnen Zuhörer nicht gemeint haben

Gemeint ist vielmehr die jetzige Weltwirtschaftsordnung. Das heißt: Die Weltwirtschaftsordnung ist weiterhin in hohem Maße protektionistisch und eben nicht nur marktwirtschaftlich. Wenn insgesamt marktwirtschaftliche Elemente in der Welt-wirtschaftsordnung dominieren, dann hilft das denen wenig, die durch Ausnahmeregelungen bei Agrarprodukten, Textilien und Bekleidung und anderen „sensiblen“ Produkten systematisch diskriminiert werden. Das sind in erster Linie Entwicklungsländer Die Fortschritte, die in der Uruguay-Runde von Handelsliberalisierungen nach jahrelangen Verhandlungen noch immer nicht erreicht sind, müssen bis Ende 1990 gegen protektionistischen Anpassungswiderstand erkämpft werden. Der etwas weitere Blick auf die Wachstumsimpulse offenerer Märkte sollte die nötigen Liberalisierungen erleichtern. Nur dann können die Entwicklungsländer die Chancen durch marktwirtschaftliche Reformen in Europa zügig in Entwicklungserfolge der Dritten Welt ummünzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zum GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das am 1. Januar 1948 in Kraft getreten ist, Richard Senti, GATT. System der Welthandelsordnung, Zürich 1986; ders., Die wirtschaftliche Relevanz des GATT, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, (1987) 3, S. 193— 206. Zu den in der Uruguay-Runde (8. Liberalisierungsrunde im Rahmen des GATT) behandelten Problemen vgl. GATT, Focus-Newsletter, Ifd. Jg.seit 1986. Für die Entwicklungsländer ist die Liberalisierung der Weltagrarmärkte wichtigster Verhandlungspunkt. Weltbank und OECD schätzen die Kosten der Agrarprotektion aufjährlich über 200 Mrd. Dollar.

  2. Vgl. dazu Horst Wemer/Dorit Willms, Zollstruktur und Effektivzölle nach der Tokio-Runde, Teil III (Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftspolitik, Nr. 63), Köln 1984; Rolf Hasse, Ökonometrie als Instrument der Interessenpolitik. Zum Aussagewert der UNCTAD-Berechnungen über die Handelswirkungen der Tokio-Runde für die Entwick• lungsländer (Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftspolitik, Nr. 64) Köln 1985.

  3. Vgl. zur Chronologie der Ereignisse in Osteuropa: Europa-Archiv, (1990) 7, S. D 187 f.

  4. Handelspolitisch ist die EFTA (European Free Trade Association) eine Freihandelszone: Zwischen den Mitgliedstaaten ist der Handel frei, gegenüber Drittländern behält jeder Mitgliedstaat autonome Handelsschranken, die unterschiedlich hoch sein können. Dagegen ist die EG handelspolitisch eine Zollunion, hat also gemeinsame (einheitliche) Zölle gegenüber Drittländern. In einem EWR wollen die EFTA-Staaten weiterhin gegenüber Drittländern autonom bleiben.

  5. Vgl. als Überblick über Integrationskonzept, Funktionsweise des RGW und Beziehungen zwischen RGW und EG den Sonderdruck Nr. 3 der Deutschen Bundesbank, Internationale Organisationen und Abkommen im Bereich von Währung und Wirtschaft, Frankfurt/M. 1986, S. 289f.

  6. Vgl. o. V., Noch eine Währungsunion, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Mai 1990.

  7. Bundesbank-Präsident Pöhl z. B. bleibt auch nach dem Dubliner Sondergipfel skeptisch, wenn es um die Frage geht, ob sich die EG-Währungsunion wenigstens so schnell erreichen läßt, wie dies nach dem Stufenplan von EG-Kommissionspräsident Delors vorgesehen ist. Für diese Skepsis spricht die jüngste Diskussion im Europäischen Parlament. Vgl. o. V., Kosten der deutschen Einheit mit Anleihen oder Steuern finanzieren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Mai 1990.

  8. Zeitung am Sonntag (ZaS), Sozialdemokratische Sonntagszeitung für NRW vom 13. Mai 1990, Überschrift auf der Titelseite.

  9. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Fünfter Bericht von der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über die Durchführung des Weißbuchs der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes vom 28. März 1990.

  10. Diese Rede ist in Auszügen abgedruckt in: Europa-Archiv, (1990) 7, S. D 183ff., Zitat S. D 186.

  11. Vgl. dazu und zu den Grundproblemen der Integration und Wirtschaftsordnung Wilhelm Röpke, Internationale Ordnung — heute, (1954) Bern—Stuttgart 1979 3, insbesondere S. 70ff., 101 ff., 308ff.

  12. Einen praktischen Überblick über die Stationen der EG seit 1950 bietet die vor allem für Schulen bestimmte Broschüre der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Eine Reise durch die EG, Luxemburg 1988.

  13. Vgl. zu den einzelnen Verhandlungspunkten und zur Haltung der EG-Kommission sowie den Widerständen in der EFTA o. V., Scheitern die Verhandlungen zwischen EG und EFTA?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Mai 1990. Zur zunächst optimistischen Einschätzung des EWR-Konzepts von Delors durch den EFTA-Generalsekretär Georg Reisch und zur Integration der ehemals sozialistischen Länder vgl. o. V., Ein Europäischer Wirtschaftsraum als Ziel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. April 1990.

  14. Zu den RGW-Ländern und zur Technik der „Integration“ zwischen diesen Ländern vgl. Deutsche Bundesbank (Anm. 5), S. 289 ff. sowie die dort zusammengestellte Literatur auf S. 307.

  15. Dies sind die Grundzüge eines zentralverwaltungswirtschaftlichen Außenwirtschaftssystems. Zu Einzelheiten und den Modifizierungen durch „weiche Pläne“ vgl. Janos Kornai, Economics of Shortage, Amsterdam 1980 sowie die Beiträge von Gutmann/Schüller, Thalheim, Derix/Haendcke-Hoppe und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in den Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987, Bundestags-Drucksache 11/11 vom 18. Februar 1987, Kapitel I, V, IX und Teil B, 6. Zu den Planungsproblemen und der Entwicklung nach marktwirtschaftlichen Reformschritten vgl. Wojciech Kostrzewa, Polens neue Währungsordnung: Vom Devisenschwarzmarkt zur beschränkten Währungskonvertibilität, in: Außenwirtschaft, (1989) 3/4, S. 178— 205.

  16. Vgl. Horst Werner, Perspektiven und Probleme des Gemeinsamen Marktes 1993, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24-25/89, S. 10.

  17. Wilhelm Röpke hat den „Trugschluß des Begriffsrealismus“ zur Erklärung von gefährlichen Denkfehlern herangezogen, die insbesondere in der Außenwirtschafts-, Entwicklungs-und Integrationspolitik verbreitet sind. Vgl.ders. (Anm. 11), S. 118, 241. In der Philosophie nimmt dieser Trugschluß bei Whitehead eine zentrale Rolle ein. Whitehead, der zusammen mit Bertrand Russell auch Autor der Principia Mathematica ist, hat die aussagekräftigere englische Originalformulierung „fallacy of misplaced concreteness“ geprägt, die in seiner deutschen Übersetzung etwas holprig mit „Trugschluß der unzutreffender) Konkretheit“ direkt übertragen worden ist. Vgl. Alfred North Whitehead, Science and the Modern World, New York 1926, Kapitel III; s. a.ders., Prozeß und Realität (Process and Reality, 1929), Frankfurt/M. 1987, S. 39, 57, 184 f.

  18. Blaise Pascal, Gedanken (Pensees; 1670), Bissfeldcn-Basel o. J., Nr. 319, S. 157 (Zählung nach der Strowski-Ausgabe; entspricht Nr. 294 der Brunschvicg-Ausgabe).

  19. Vgl. W. Röpke (Anm. 11), S. 118, 245 ff.

  20. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Zur Unterstützung der Wirtschaftsreformen in der DDR: Voraussetzungen und Möglichkeiten, Sondergutachten vom 20. Januar 1990; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft, Wirtschaftspolitische Herausforderungen der Bundesrepublik im Verhältnis zur DDR. Stellungnahme vom 18. Dezember 1989; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Reform der Wirtschaftsordnung in der DDR und die Aufgaben der Bundesrepublik, Stellungnahme einer deutsch-deutschen Arbeitsgruppe, Wochenbericht 6/90 vom 8. Februar 1990; H. Gebhardt/U. Heilemann/H. D. von Loeffelholz, Finanzhilfen der Bundesrepublik für die DDR: Umfang, Formen, Wirkungen, in: RWI-Mitteilungen, (1989) 4, S. 323— 348; Horst Siebert, Die Wahlmöglichkeiten einer deutsch-deutschen Geld-und Währungspolitik, Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 159, März 1990; Hans Willgerodt (unter Mitwirkung von Barbara Dluhosch und Malte Krüger), Vorteile der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands. Gutachten im Auftrage des Bundeskanzleramtes, abgedruckt in: Presse-und Informationsamt der Bundesregierung. Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts-und Finanzpolitik, Nr. 15/90 vom 21. März 1990.

  21. Mit Ausnahme von Jürgen Becher (Karl-Marx-Universität Leipzig) befürworteten auf einem Symposium „Prioritäten nach der Wahl in der DDR und die Zukunft der europäischen Wirtschaftsbeziehungen“ in Leipzig die DDR-Ökonomen einen schnellen Übergang; beispielhaft Günter Nötzold: „Wir haben keine Zeit, jeder weitere Tag Verzögerung auf dem Weg zur Währungs-und Wirtschaftsunion kostet enorme Summen für beide Länder, bringt der Wirtschaft der DDR weitere Destabilisierung.“ Zitiert von Axel Schomberg, in: Der Morgen vom 23. März 1990. Ähnlich kommentiert wurde auch in anderen DDR-Zeitungen: Stunde der Ökonomen im Hotel „Merkur“, in: Leipziger Volkszeitung vom 23. März 1990; Marktwirtschaft ohne Schonfrist, in: Sächsisches Tageblatt vom 29. März 1990.

  22. Vgl. dazu im einzelnen H. Willgerodt (Anm. 20), S. 5 ff. Wie der SPD-Wirtschaftssprecher Wolfgang Roth urteilte am 28. März 1990 auch die SPD-Finanzsprecherin Ingrid Matthäus-Maier: „DM-Währungsunion — Terminverschiebung beschleunigt Verfall der DDR-Wirtschaft.“ Zitiert von Klaus J. Schwehn, Oskar und der Staatsvertrag — da braucht die SPD viel Zeit, in: Die Welt vom 22. Mai 1990.

  23. Vgl. zu den politökonomischen Theorien für die Frage des zweckmäßigen Anpassungstempos Juergen B. Dönges, Wieviel Deregulierung brauchen wir für den EG-Binnenmarkt?. in: Beihefte der Konjunkturpolitik, Berlin 1989, mit Literaturhinweisen zu den Grundlagen der Regulierungstheorie.

  24. Vgl. dazu mit umfangreichen Literaturhinweisen Jan Winiecki, Eastem Europe: Challenge of 1992. Dwarfed by Pressures of System’s Decline, in: Außenwirtschaft, (1989) 3/4, S. 345.

  25. Vgl. dazu im einzelnen H. Willgerodt (Anm. 20), S. 14 f.

  26. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Quantitative Aspekte einer Reform von Wirtschaft und Finanzen in der DDR, in: Wochenbericht 17/90 vom 28. April 1990, S. 241 ff.

  27. Vgl. ebd., Tabelle 11 und S. 221-226.

  28. Vgl. zu diesen Zusammenhängen H. Willgerodt (Anm. 20), Kapitel VI.

  29. Vgl. zu den Umweltproblemen in der DDR und zur ökosozialen Marktwirtschaft BUND, Vorstand, Grenzenlose Überlebenspolitik; Ludwig Trautmann-Popp, Energisch umdenken, beide Beiträge in: Natur & Umwelt, (1990) 2, S. 2 ff. Zu den ordnungspolitischen Rahmenbedingungen vgl. Walter Eucken. Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bem —Tübingen 1952, XVI. Kap. Zum grenzüberschreitenden Umweltproblem vgl. Horst Siebert, Natürliche Ressourcen und Weltwirtschaft, in: Weltwirtschaftliches Archiv, (1990) 1. S. 1-24.

  30. Vgl. zum Übergang von der „zurückgestauten Inflation“ über offene Preissteigerungen zur Geldwertstabilität Wilhelm Röpke, Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig? Analyse und Kritik. Stuttgart-Köln 1950, S. 16ff. (Wilhelm Röpke war wichtiger wirtschaftspolitischer Berater von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer beim Übergang der Bundesrepublik Deutschland zur Marktwirtschaft).

  31. Vgl. zu diesen Instrumenten und ihren Wirkungen Deutsche Bundesbank, Die Deutsche Bundesbank. Geldpolitische Aufgaben und Instrumente, Sonderdruck 7, Frankfurt/M. 1987.

  32. Zum Europäischen Währungssystem (EWS) und zum Kurswechsel der französischen Wirtschaftspolitik vgl. H. Werner (Anm. 16), S. 6ff. In der Londoner City wurden sogar dubiose Berechnungen herumgereicht, wonach ab dem 1. Juli monatlich 10 Mrd. DM von der Bundesrepublik in die DDR fließen müßten. Damit sollte offenbar Unruhe erzeugt werden. Vgl. o. V., Die D-Mark wird zum Prügelknaben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Mai 1990.

  33. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Anm. 26), S. 239.

  34. Vgl. ebd.. S. 221 f.

  35. In diese Richtung weist auch eine empirische Untersuchung von Walter Friedrich, Mentalitätswandel der Jugend in der DDR. in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 16— 17/90, S. 34 ff.

  36. Vgl. dazu Fritz W. Meyer/Hans Willgerodt, Art. Devisenbewirtschaftung, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 2, Stuttgart u. a. 1980, S. 159— 168.

  37. Vgl. Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute, Die Lage der Weltwirtschaft und der westdeutschen Wirtschaft im Frühjahr 1990, in: Ifo-Institut. Wirtschaftskonjunktur, (1990) 4, S. A 8.

  38. Vgl. Hans-Eckart Scharrer, Europäische Wachstumsperspektiven, in: Wirtschaftsdienst, (1990) III, S. 114 f.

  39. Vgl. zum Transferproblem Gottfried Haberler, Der internationale Handel (1933), Reprint, Berlin-Heidelberg-New York 1970, S. 58ff., 198f.

  40. Vgl. zu den Zahlungsbilanzzusammenhängen Hans Willgerodt, Kapitalbilanz und Devisenströme, in: F. Greiß/F. W. Meyer, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Festgabe für Alfred Müller-Armack, Berlin 1961, S. 459— 470.

  41. Vgl. H. Willgerodt (Anm. 20), S. 10ff.

  42. Vgl. o. V., Niedergang des Sozialismus kein Sieg des Kapitalismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Mai 1990.

  43. Vgl. dazu insbesondere die Beiträge von Rolf Langhammer, Stefan Tangermann, Horst Werner und Hans Willgerodt in: Die Neuordnung des GATT. Regeln für den weltwirtschaftlichen Strukturwandel und Technologietransfer, in: Beihefte der Konjunkturpolitik. Berlin 1987.

Weitere Inhalte

Horst Werner, Dr. rer. pol., geb. 1943; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln. Veröffentlichungen u. a.: Die Kontrolle internationaler Kapitalbewegungen (Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik, Heft 33), Köln 1976; Internationale Kapitalbewegungen. Ordnungsprobleme internationaler Kapitalmärkte, in: Helmut Gröner/Alfred Schüller (Hrsg.), Internationale Wirtschaftsordnung, Stuttgart-New York 1978; Freihandel oder internationaler „Kampf um Produktionsprivilegien“?, in: Ordo, Bd. 32 (1981); Wie liberal ist die deutsche Außenwirtschaftspolitik gegenüber Entwicklungsländern?, in: Benno Engels (Hrsg.), Importe aus der Dritten Welt, Hamburg 1987.