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Kambodscha zwischen Krieg und Frieden | APuZ 32/1990 | bpb.de

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APuZ 32/1990 Indien auf dem Weg zu einer regionalen Führungsmacht? Anhaltende Spannungen in Tibet Kambodscha zwischen Krieg und Frieden Myanmar (Birma) auf dem Wege zur Demokratie?

Kambodscha zwischen Krieg und Frieden

Peter Schier

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Konflikt in und um Kambodscha dauert bereits mehr als zehn Jahre. Nach dem Abzug des Großteils der vietnamesischen Besatzungstruppen im September 198° haben die militärischen Auseinandersetzungen in Kambodscha sogar erheblich zugenommen, und die antivietnamesischen Widerstandsgruppen — vor allem die Roten Khmer — scheinen seit Frühjahr 1990 auf dem Vormarsch. Alle bisherigen Versuche, eine politische Lösung des Konflikts herbeizuführen, sind vor allem an der kompromißlosen Haltung Vietnams und der von ihm gestützten Regierung in Phnom Penh gescheitert. Aus den historischen und aktuellen Besonderheiten des Kambodscha-Konflikts ergibt sich, daß eine dauerhafte Lösung nur durch eine strikte Neutralisierung des Landes mit internationalen Garantien und durch eine Aussöhnung zwischen allen Gruppen der kambodschanischen Elite, d. h. einschließlich der Roten Khmer, erreicht werden kann. Aufgrund des militärischen Kräfteverhältnisses ist eine Friedensregelung ohne Beteiligung der Roten Khmer nicht realisierbar, da der Ausschluß dieser Gruppierung von einer Konfliktlösung die Fortsetzung des Bürgerkrieges bedeuten würde, während eine Beteiligung die Roten Khmer in die politische Verantwortung für die Zukunft Kambodschas einbinden würde. Nur auf diese Weise können sie sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene politisch und militärisch kontrolliert werden, und nur so kann die Fortsetzung der kambodschanischen Tragödie vermieden werden. Größere militärische Erfolge der Roten Khmer und der Sihanoukisten in den nächsten Monaten und die für Ende 1990 angekündigte vollständige Einstellung der sowjetischen Hilfe dürften das Regime von Heng Samrin und Hun Sen an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Im Falle einer solchen Entwicklung könnte cs bereits im Verlauf des Jahres 1991 zu weitreichenden Kompromissen der Regierungen in Phnom Penh und Hanoi und damit zu einer dauerhaften Lösung des Kambodscha-Konflikts kommen. Hierfür ist jedoch zunächst eine konsequente und harte Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Vietnam und dem Regime in Phnom Penh notwendig: Wirtschaftshilfe und politische Anerkennung sollten nur dann gewährt werden, wenn sich die Regierungen in Phnom Penh und Hanoi zu einem wirklichen Kompromiß in der Kambodscha-Frage bereitgefunden haben.

Der Konflikt in und um Kambodscha, bisweilen auch als der dritte Indochina-Konflikt bezeichnet, dauert bereits mehr als zehn Jahre. Nach dem Abzug des Großteils der vietnamesischen Besatzungstruppen im September 1989 haben die militärischen Auseinandersetzungen in Kambodscha sogar erheblich zugenommen, und die antivietnamesischen Widerstandsgruppen — vor allem die Roten Khmer — scheinen seit Frühjahr 1990 auf dem Vormarsch. Alle bisherigen Versuche, eine politische Lösung des Konflikts herbeizuführen, sind gescheitert. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage nach den grundlegenden Bedingungen und Elementen einer dauerhaften Lösung des Kambodscha-Konflikts und nach den Hindernissen, die einer umfassenden Lösung entgegenstehen.

Die grundlegenden Bedingungen für eine dauerhafte Konfliktlösung ergeben sich aus der Genese, den Ursachen und dem Charakter des Kambodscha-Konflikts, während die Gründe für das Scheitern der bisherigen Lösungsversuche vor allem in der antagonistischen Interessenlage der Konfliktparteien zu suchen sind. Im folgenden soll nicht nur auf diese grundsätzlichen Fragestellungen eingegangen werden, sondern auch auf die Entwicklung in Kambodscha in den letzten zehn Jahren sowie auf das auch hierzulande heftig umstrittene Problem, ob die Roten Khmer an einer Konfliktlösung beteiligt werden müssen oder nicht

I. Die Besetzung Kambodschas durch Vietnam

Abbildung 4

Die entscheidende Ursache des Konflikts zwischen dem Demokratischen Kampuchea (DK) der Roten Khmer und der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) von 1976 bis 1978 stellte die Forderung der vietnamesischen Komniunisten an die Adresse der Roten Khmer dar, mit Vietnam in „besondere Beziehungen“ zu treten, d. h. die absolute politische Führungsrolle Vietnams in Indochina anzuerkennen. Nach der Wiedervereinigung Vietnams Anfang Juli 1976 hatten die vietnamesischen Kommunisten auf ihrem IV. Parteitag im Dezember 1976 ihr altes Konzept für ein geeinigtes Indochina unter vietnamesischer Führung wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt: Der Parteitag beschloß, „mit unserer ganzen Kraft die besonderen Beziehungen zwischen dem vietnamesischen Volk und den Völkern von Laos und Kampuchea zu wahren und weiterzuentwickeln .... damit sich die drei Länder ... für immer eng miteinander verbinden“. In der Folge forderte Vietnam die Roten Khmer mehrfach auf, die „besonderen Beziehungen“ zu „wahren“, zu „verteidigen“ und „weiterzuentwickeln“, was von dem auf völlige Unabhängigkeit bedachten Pol Pot-Regime strikt abgelehnt wurde. Als die vietnamesischen Kommunisten erkannten, daß die Roten Khmer zu „besonderen Beziehungen“ mit Vietnam nicht bereit waren, unternahmen sie alles, um eine Konsolidierung der Herrschaft des Pol Pot-Regimes zu verhindern. Nachdem es Vietnam nicht gelungen war, durch Unterstützung von Putschversuchen provietnamesischer Kräfte und durch eine bis zum Mekong vorgetragene Großoffensive im Dezember 1977 das Pol Pot-Regime derart zu schwächen, daß es von selbst zusammenbrach, faßte die vietnamesische Führung spätestens im Frühjahr 1978 den Entschluß, Kambodscha vollständig zu erobern und das DK durch ein provietnamesisches Regime zu ersetzen. Ab Mitte 1978 begannen vietnamesische Offiziere, unter den kambodschanischen Flüchtlingen in Vietnam Soldaten zu rekrutieren, auszubilden und in Truppeneinheiten zusammenzustellen. Am 2. Dezember 1978 wurde auf vietnamesischem Gebiet die Nationale Einheitsfront Kampucheas zur Rettung der Nation unter Heng Samrin gegründet, der nach einem gescheiterten Umsturzversuch gegen die Pol Pot-Fraktion im Mai 1978 zusammen mit anderen Roten Khmer nach Vietnam geflüchtet war. Die Gründung der „Rettungsfront“ war im wesentlichen das Ergebnis vietnamesischer Bemühungen, eine provietnamesische Alternative zum promaoistischen Pol Pot-Regime aufzubauen. Die „Rettungsfront“ richtete dann auch prompt einen „Hilferuf“ an Vietnam, das kambodschanische Volk vor dem Völkermord der Roten Khmer zu retten, an dem führende Mitglieder der „Rettungsfront“ freilich noch wenige Monate zuvor teilgenommen hatten.

Nur kurze Zeit später, am 25. Dezember 1978, startete Vietnam mit weit über 100 000 Soldaten seinen zweiten Großangriff auf Kambodscha, an dem auch einige Hundertschaften der „Rettungsfront“ teilnahmen. Bereits am 7. Januar 1979 fiel Phnom Penh in die Hände der vietnamesischen Invasionstruppen. Einen Tag später wurde mit der Einsetzung des Revolutionären Volksrats von Kampuchea eine neue provietnamesische Regierung installiert. Am 11. Januar 1979 proklamierte der Revolutionäre Volksrat die Volksrepublik Kampuchea (VRK). Kurz darauf, am 18. Februar 1979, schlossen Vietnam und die VRK einen „Vertrag über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit“, der die durch den vietnamesischen Militäreinsatz hergestellten „besonderen Beziehungen“ zwischen den beiden Staaten auf eine formale völkerrechtliche Grundlage stellte. Der für die Dauer von 25 Jahren gültige vietnamesisch-kambodschanische Vertrag sieht „immerwährende gemeinsame Verteidigungsund Aufbauaktivitäten“ vor und legitimiert die Anwesenheit vietnamesischer Truppen in Kambodscha. Ziel des Vertragswerks ist es, „die militante Solidarität und brüderliche Freundschaft zwischen dem kambodschanischen, dem laotischen und dem vietnamesischen Volk zu stärken und die Beziehungen mit den sozialistischen Ländern auszubauen“. Nachdem Vietnam bereits am 18. Juli 1977 mit Laos einen ähnlichen Vertrag abgeschlossen hatte, war mit der Unterzeichnung des kambodschanischvietnamesischen Freundschaftsvertrags das alte Ziel der vietnamesischen Kommunisten de facto erreicht: Die Schaffung eines von Vietnam dominierten indochinesischen Staatenbundes von Vietnam, Laos und Kambodscha.

Die „Indochinesische Gipfelkonferenz“ der Partei-und Regierungschefs von Vietnam, Kambodscha und Laos vom 22723. Februar 1983 in Vientiane stellte einen weiteren Schritt in Richtung auf eine indochinesische Einheit unter vietnamesischer Führung dar: Kambodscha und Laos wurden aufgefordert, die „besonderen Beziehungen“ zu Vietnam zu intensivieren und die „traditionelle Freundschaft“ verstärkt gegen „engstirnigen Nationalismus“ zu verteidigen. Ein Jahr später beschloß eine indochinesische Wirtschaftskonferenz am 7. Februar 1984 sogar die systematische Ansiedlung von vietnamesischen Arbeitskräften in Kambodscha und Laos: „Die wirtschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit und die schrittweise Verwirklichung der Arbeitskräfteverteilung und des wirtschaftlichen Bündnisses zwischen den drei Ländern dienen der Sicherung einer wirksamen Nutzung des Potentials an Arbeitskräften und an Boden, der Naturressourcen und der materiellen Möglichkeiten eines jeden Landes, wodurch ihre wirtschaftliche Entwicklung beschleunigt und die Lebensbedingungen verbessert werden.“

II, Kambodscha — zehn Jahre unter vietnamesischer Besatzung

1. Gesellschaft Bedeutete die vietnamesische Besetzung für Kambodscha sowohl außen-als auch innenpolitisch eine nahezu totale Unterordnung unter Vietnam, so stellte sie für die große Mehrheit der kambodscha-nischen Bevölkerung ohne jeden Zweifel eine Befreiung von der grausamen Herrschaft der utopistischen Sozialrevolutionäre unter Pol Pot dar. Von 1975 bis 1978 kamen wahrscheinlich zwischen 500 000 und 1 Million Menschen mehr als bei normaler Todesrate ums Leben. Über die Hälfte von ihnen starb an Hunger, Krankheit und Überarbeitung. Mit der vietnamesischen Invasion wurden Massenhinrichtungen, Willkürmorde und eine systematische Schlechterbehandlung der früheren Stadtbevölkerung schlagartig beendet. Darüber hinaus erlaubte die neue Regierung den Millionen von zwangsumgesiedelten Bauern und Städtern die Rückkehr in ihre Heimatorte. Fast ein ganzes Volk war 1979 auf den Beinen, um vermißte Familienangehörige zu suchen und dorthin zurückzukehren, wo man z. T.seit Generationen gelebt hatte. Auch der zwangsweisen allumfassenden „Hyperkollektivierung“ des Pol Pot-Regimes wurde ein sofortiges Ende gesetzt: Die in Anlehnung an die chinesischen Volkskommunen entstandenen Großkollektive wurden ebenso abgeschafft wie die Kollektivküchen, die gemeinsamen Eßhallen, die getrennt-geschlechtliche Unterbringung und die von den lokalen Funktionären befohlenen Zwangsehen.

Den Bürgern wurde auch wieder erlaubt, ihrem tiefverwurzelten buddhistischen Glauben nachzugehen und die übriggebliebenen Pagoden zu nutzen und wiederaufzubauen. Die Roten Khmer hatten alle Tempel geschlossen und die Mönche zur Arbeit in den Reisfeldern gezwungen. Dennoch blieb die Religionsfreiheit trotz gegenteiliger offizieller Behauptungen stark eingeschränkt: Noch Anfang 1988 war es nur Männern über 55 Jahren erlaubt, Mönch zu werden, und Novizen wurden dementsprechend nicht ausgebildet. Offiziellen Angaben zufolge gab es 1986/87 wieder insgesamt 4 461 buddhistische Mönche — 1967 hatte es noch rund 61 000 in Kambodscha gegeben. In den Palischulen der Tempel wurden normale Grundschulen untergebracht, doch der Staat stellte kein Geld für die Renovierung der buddhistischen Tempel zur Verfügung. Im Gegenteil: Jeder Tempel mußte eine Tempelsteuer entrichten, die letztlich aus dem Spendenaufkommen der Gläubigen bezahlt wurde. Die Tempelsteuer soll erst 1989 abgeschafft worden sein, nachdem die Revolutionäre Volkspartei von Kampuchea (RVPK) in Anbetracht des bevorstehenden weitgehenden vietnamesischen Truppenabzugs eine Reihe von populären Maßnahmen ergriff, um ihre Basis im Volk zu erweitern.

Während der vietnamesischen Besatzung strömten Hunderttausende von vietnamesischen Bauern, Fischern, Händlern und Handwerkern nach Kambodscha und siedelten sich unter dem Schutz der vietnamesischen Truppen vor allem im Ostteil des Landes an. Ihre Zahl beträgt heute wahrscheinlich über eine Million bei einer Gesamtbevölkerung von über acht Millionen. Die andauernde vietnamesische Truppenpräsenz und die Ansiedlung dieser relativ großen Zahl von Vietnamesen führte bei der kambodschanischen Bevölkerung zunehmend zu Unzufriedenheit sowohl mit der vietnamesischen Besatzungsmacht als auch mit der Regierung in Phnom Penh.

Das größte gesellschaftliche Problem Kambodschas stellen jedoch der seit über zehn Jahren andauernde Krieg und seine Folgen dar: Die Zahl der Kambodschaner, die den Auseinandersetzungen seit dem Beginn der vietnamesischen Invasion und Besatzung direkt und indirekt zum Opfer fielen, dürfte mittlerweile eine Größenordnung von schätzungsweise zwischen 200 000 und 300 000 erreicht haben. Darüber hinaus wurden seit 1979 zehntausende Khmer durch Tretminen verstümmelt. Das Pol Pot-Regime, Vietnam und jener teuflische Zwitter von nationalem Befreiungskampf und Bürgerkrieg haben aus Kambodscha ein Land der Witwen und der Krüppel gemacht. Unmeßbar bleiben die seelischen und moralischen Schäden, die das kambodschanische Volk in den letzten zwei Jahrzehnten erlitten hat. 2. Wirtschaft Auf wirtschaftlichem Gebiet ließen die neuen Machthaber der Bevölkerung zunächst nahezu völlige Freiheiten. Private Landwirtschaft war ebenso erlaubt wie ein umfangreicher freier Handel zwischen dem thailändisch-kambodschanischen Grenzgebiet und dem Landesinneren. Für die Bauern waren diese Freiheiten jedoch bald zu Ende, denn noch 1979 begann ihre Organisierung in Solidaritätsgruppen (krom samaki) niederer, mittlerer und höherer Stufe, das heißt in weniger oder mehr kollektive Organisationsformen, die die kambodscha-nische Landwirtschaft „auf den Weg zu einem echten Sozialismus“ bringen sollten, wie die Verfassung vom Juni 1981 das Gesellschaftssystem Kambodschas charakterisierte.

Bis 1985 versuchte die politische Führung, wahrscheinlich auf Drängen orthodoxer Kräfte und der vietnamesischen Berater, immer wieder, die Solidaritätsgruppen höherer Stufe für alle Bauern verbindlich zu machen. Diese Versuche scheiterten offenbar am Widerstand der Bauern und der lokalen Kader, denn Anfang 1988 machten die Solidaritätsgruppen höherer Stufe immer noch nur wenige Prozent aus. Die große Mehrheit der Bauern gehörte nach wie vor den Solidaritätsgruppen niederer Stufe an. Nach der Verfassungsänderung vom April 1989, bei der das Privateigentum an Boden verfassungsmäßig festgeschrieben wurde, sollen die meisten Solidaritätsgruppen zugunsten privater Produktionsformen abgeschafft worden sein.

Nachdem die politische Führung ab Mitte 1985 davon abließ, die Kollektivierung der Landwirtschaft zu forcieren, erhöhte sich die Reisproduktion Kambodschas merklich. Trotz der widrigen Witterungsbedingungen im Emtejahr 1987/88 wurden zwei Millionen Tonnen Reis geerntet und damit erreichte man — wie schon im Jahr zuvor — das nationale Existenzminimum in der Getreideversorgung. Angesichts der schlechten Rahmenbedingungen (Guerrillakrieg, Isolierung vom Westen) stellte dies bereits eine respektable Leistung dar. Wenn man den Erfolgsmeldungen aus Phnom Penh glauben darf, produzierte das Land im Erntejahr 1988/89 sogar 2, 7 Millionen Tonnen Reis und erfüllte damit zum ersten Mal das nationale Bedarfs-minimum.

Der Steigerung der Reisproduktion soll auch in Zukunft absolute volkswirtschaftliche Priorität eingeräumt werden, denn von dem Vorkriegsrekord von 3, 8 Millionen t Reis im Erntejahr 1969/70 ist man noch weit entfernt. Dies gilt im übrigen auch für alle anderen wirtschaftlichen Bereiche. Ziel ist es, möglichst bald wieder regelmäßig Reis exportieren zu können. Dies wird allerdings nur dann gelingen, wenn zum einen endlich Frieden einkehrt in Kambodscha, und wenn zum anderen die bewässerte landwirtschaftliche Anbaufläche erheblich vergrößert werden kann. Nach der Verstärkung der militärischen Kampftätigkeit im Anschluß an den weitgehenden Abzug der vietnamesischen Besatzungstruppen ist eher mit einem Rückgang der Produktion von Reis und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu rechnen.

Die Entwicklung der Industrieproduktion ist aufgrund der Zerstörungen des Krieges, veralteter Ausrüstungen, schlechter Infrastruktur und fehlender westlicher Hilfe sehr langsam verlaufen. Die meisten Industriebetriebe befinden sich in Staatseigentum. Daneben gibt es eine Reihe von kleinen privaten Werkstätten. Im Rahmen der seit 1986 vorgenommenen wirtschaftlichen Liberalisierungsmaßnahmen ist der Handel im Inland weitgehend privatisiert, und es gibt einen an Bedeutung zunehmenden privaten Außenhandel mit Singapur, Japan und vor allem mit Thailand.

Auf finanzpolitischem Sektor wurde, knapp fünf Jahre nachdem die Roten Khmer das Geld abgeschafft hatten, im März 1980 wieder der Riel als kambodschanische Währung eingeführt. Nach anfänglich starken Inflationstendenzen erwies sich der Riel ab 1984 als erstaunlich stabile Währung. Dies änderte sich jedoch nach dem vietnamesischen Truppenabzug im September 1989 drastisch: Die Warenpreise stiegen bis Frühjahr 1990 um 100 bis 150 Prozent, und der Wechselkurs des US-Dollar kletterte von 190 auf 380 Riel.

Wie nicht anders zu erwarten, ist der Außenhandel von Kambodscha seit Jahren stark defizitär: Die Importe machen mindestens 70 Prozent des Außenhandelsumsatzes aus, während die Exporte nur mit maximal 30 Prozent zu Buche schlagen. Der staatliche Handel wird zum größten Teil mit der Sowjetunion abgewickelt, die bisher auch das Außenhandelsdefizit finanzierte. Für Ende 1990 hat die Sowjetunion jedoch die vollständige Einstellung ihrer unentgeltlichen Hilfe für Kambodscha angekündigt, so daß die Regierung in Phnom Penh in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen wird, da bisher rund 80 Prozent des Staatshaushalts von der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten finanziert wurden. Da einige dieser Staaten ihre Finanzhilfen bereits eingestellt haben, sah sich die Regierung von Hun Sen im Mai 1990 gezwungen, 56 000 von 200 000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu entlassen.

Außenwirtschaftliche Beziehungen besonderer Art stellen Lieferungen von Reis, Mais, Fisch und Holz nach Vietnam dar, mit dem die Regierung in Phnom Penh seit Jahren den Einsatz der vietnamesischen Truppen und Berater in Kambodscha bezahlen muß. Diese Lieferungen werden von einem großen Teil der kambodschanischen Bevölkerung als Ausbeutung und Plünderung der nationalen Ressourcen durch Vietnam empfunden. 3. Politik Der Aufbau des politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Apparats der Volksrepublik Kampuchea war bis 1987 untrennbar verbunden mit der Präsenz von tausenden von vietnamesischen Beratern und zehntausenden von vietnamesischen Soldaten in Kambodscha. Viele Kambodschaner, selbst innerhalb des Partei-und Staatsapparats, empfanden die vietnamesische Bevormundung in allen Bereichen zunehmend als eine nationale Bedrohung. Ab Ende 1981 war innerhalb des VRK-Ministerrats und der Führung der RVPK ein geringer Rückgang des politischen Einflusses jener Kader festzustellen, die in der Tradition der Kommunistischen Partei Indochinas (KPIC) standen und von 1954 bis in die siebziger Jahre im vietnamesischen Exil gelebt hatten. Diese sehr provietnamesischen Kräfte verloren im Oktober 1985 ihre Mehrheitsposition in der Parteiführung zugunsten einer losen Koalition von früheren Roten Khmer, unabhängigen Kommunisten und Technokraten. Für diese Kräfte bedeutete der Machtantritt Gorbatschows eine Unterstützung für die eigenen Bestrebungen nach mehr Unabhängigkeit von Vietnam. Doch obwohl schon 1987 viele vietnamesische Berater Kambodscha verließen, gab es noch Anfang 1988 nicht nur an der Spitze einer jeden der 19 Provinzen (khet) und zwei provinzfreien Städte (krung), sondern auch in den Führungsorganen eines jeden der 122 Kreise (srok) vietnamesische Berater für Politik, Sicherheit und Militär. Jedem der zwölf Stadtbezirke (sangkat) von Phnom Penh waren zwei vietnamesische Berater zugeordnet. Auch in der Führung der Ministerien gab es Anfang 1988 immer noch vietnamesische Politkader, z. B. zwei im Außenministerium, vier im Handelsministerium und eine weitaus größere Anzahl im Verteidigungsministerium. Nach offizieller vietnamesischer und kambodschanischer Darstellung sollen Ende September 1989 mit den letzten vietnamesischen Soldaten auch die letzten vietnamesischen Berater Kambodscha verlassen haben. Solange diese Behauptung nicht vor Ort überprüft werden kann, sind Zweifel angebracht, denn Vietnam dürfte sich erst dann vollständig aus Kambodscha zurückziehen, wenn es sicher sein kann, daß bei einer endgültigen Lösung des Kambodscha-Problems vietnamesische Interessen hinreichend gewahrt werden. Das Verbleiben von rund 3 000 vietnamesischen Militärberatern und die Rückführung von mehreren tausend Kampftruppen nach Kambodscha sind eindeutige Indizien hierfür.

Erhebliche Skepsis besteht auch, ob das im April 1989 im Rahmen einer umfangreichen Verfassungsänderung in Staat Kambodscha (SK) umgetaufte Regime von Ministerpräsident Hun Sen (39) und RVPK-Generalsekretär Heng Samrin (56) tatsächlich ein „unabhängiger, souveräner, friedlicher, demokratischer, neutraler und blockfreier Staat“ ist, wie es in Artikel 1 der neuen Verfassung nachzulesen ist. Die jüngsten Huldigungen der Führung in Phnom Penh an die „strategische Allianz“ und die „internationale Solidarität zwischen Kambodscha und Vietnam“ als „eine Frage von Leben und Tod unserer Nation“ lassen die verfassungsmäßige Verpflichtung auf die künftige Neutralität des Landes eher als eine Leerformel erscheinen. Über das Demokratieverständnis im neuen Staat Kambodscha gibt Artikel 4 der neuen Verfassung eine deutliche Auskunft: „Die Revolutionäre Volkspartei von Kampuchea ist die führende Kraft der Gesellschaft und des Staates von Kambodscha und die Kernkraft der großen nationalen Einheit und der Einheit aller politischen Kräfte.“ Die alleinige politische Führungsrolle der RVPK ist unlängst erst wieder besonders betont worden, nachdem im Mai 1990 eine Reihe von hohen Funktionären, darunter der Verkehrsminister, verhaftet wurden, weil sie versucht haben sollen, eine „liberale sozialdemokratische Partei“ zu gründen. Danach wurde eine umfangreiche Säuberung in verschiedenen Partei-und Staatsorganen vorgenommen, der einige bekannte Reformkräfte zum Opfer fielen. Interessanterweise verlief diese Entmachtung von Reformkräften in etwa zeitgleich zu einer Verfolgungswelle von Dissidenten in Vietnam ab.

In Anbetracht der von amnesty international sehr gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen des SK-Regimes und angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in Phnom Penh sollte man sich im Westen vor Illusionen über den Charakter und die Zukunft des Regimes in Phnom Penh hüten: Marktwirtschaftlich orientierte Reformen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die führenden Mitglieder der RVPK als frühere Rote Khmer an der Liquidierung der alten royalistischen und bürgerlichen Elite aktiv beteiligt gewesen sind und daß sie bis heute eine Macht-und Gewaltenteilung sowie ein Mehrparteiensystem kategorisch ablehnen. Ihre provietnamesische Politik, eine immer weiter um sich greifende Korruption riesigen Ausmaßes und die sich erheblich verschlechternde wirtschaftliche Lage lassen sie darüber hinaus in der Bevölkerung immer unpopulärer erscheinen, so daß ihre Massenbasis beständig schmaler wird. Sollte die Sowjetunion ihre Ankündigung wahrmachen und die unentgeltliche Hilfe für Kambodscha einstellen, dürfte das Regime in Phnom Penh noch unter erheblich größeren Druck geraten, der durch weitere militärische Erfolge der Widerstandsgruppen noch verschärft werden würde. Wenn der Westen in dieser Situation dem Hun Sen-Regime weiterhin seine Unterstützung versagt, könnten die wachsenden Schwierigkeiten die Machthaber in Phnom Penh und Hanoi zu mehr Kompromißbereitschaft bewegen und damit zu einer Lösung des Konflikts führen, die reale Aussichten auf einen dauerhaften Frieden bietet.

III. Der Charakter des Kambodscha-Konflikts

1. Nationaler Unabhängigkeitskampf Zunächst einmal ist der Konflikt nach wie vor ein nationaler Widerstandskampf von drei kambodschanischen Gruppen gegen die vietnamesische Hegemonialpolitik. Er ist hervorgegangen aus den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Vietnam und dem Demokratischen Kampuchea der Roten Khmer um die Unabhängigkeit Kambodschas (1977— 1979) und aus der daraus resultierenden Besetzung Kambodschas durch Vietnam. Gegen die vietnamesische Präsenz und gegen die vietnamesische Hegemonie über Kambodscha im Rahmen der „besonderen Beziehungen“ kämpfen folgende drei Gruppen: a) Die Roten Khmer (Partei des Demokratischen Kampuchea)

Nach wie vor führen schätzungsweise 25 000— 30 000 Partisanen des gestürzten Pol Pot-Regimes einen zermürbenden Guerillakrieg gegen das von Vietnam gestützte SK-Regime. Die Soldaten der Roten Khmer (Nationale Armee des Demokratischen Kampuchea) sind im Vergleich der drei Widerstandsgruppen nicht nur zahlenmäßig am stärksten und haben die mit Abstand längste Erfahrung im Guerillakrieg, sondern sie verfügen auch über die beste Organisation. Logistik und Ausrüstung. Oberkommandierender der Armee der Roten Khmer ist Son Sen (61). zumindest in frühen Jahren ein enger Vertrauter von Pol Pot (62), während Khieu Samphan (60) seit 1985 als der formelle politische Führer der Roten Khmer fungiert. Der eigentlich starke Mann der prochinesischen Roten Khmer scheint jedoch nach wie vor Pol Pot zu sein, obwohl er seit Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten ist und im August 1985 sogar formell „pensioniert“ wurde. Die Roten Khmer setzen sich wahrscheinlich aus mindestens zwei Fraktionen zusammen: Eine radikale Gruppierung unter Pol Pot, leng Sary und Ta Mok scheint erhebliche Macht auszuüben, da sie größere Teile der Armee kontrolliert, während eine gemäßigtere Gruppe unter Khieu Samphan militärisch relativ schwach zu sein scheint. Unterstützt werden die Roten Khmer fast ausschließlich von der Volksrepublik China, die die gesamte militärische Ausrüstung liefert. Wahrscheinlich auf chinesischen Druck bekannten sich die ursprünglich maoistisch orientierten Roten Khmer, die bereits im Dezember 1981 ihre „Kom-munistische Partei Kampucheas“ formell aufgelöst hatten, im Juli 1985 offiziell zur parlamentarischen Demokratie und zum kapitalistischen Wirtschaftssystem. Ende 1988 stimmten die Roten Khmer sogar der Entsendung einer Internationalen Friedens-truppe nach Kambodscha zu, deren Aufgaben u. a. darin bestehen sollen, alle kambodschanischen Streitkräfte zu entwaffnen und aufzulösen, um damit eine erneute alleinige Machtergreifung der Roten Khmer oder irgendeiner anderen Khmer-Fraktion wirksam zu verhindern. b) Die Republikaner Daneben kämpfen wahrscheinlich nur noch weniger als 5 000 (von ursprünglich rund 15 000) Soldaten der bürgerlichen Nationalen Front zur Befreiung des Khmer-Volkes unter dem früheren Ministerpräsidenten Son Sann (77) gegen die vietnamesische Oberherrschaft über Kambodscha. Die Nationale Front repräsentiert das frühere städtische Bürgertum (vor 1975) und jene proamerikanischen Kreise, die im März 1970 den Sturz Prinz Sihanouks herbeiführten und die Khmer Republik unter Lon Nol ausriefen (1970— 1975). Vereinfachend könnte man die in der Nationalen Front zusammengefaßten Kräfte als „Republikaner“ bezeichnen. Seit Mitte 1985 wird ihre Kampfkraft von einer schweren internen Auseinandersetzung zwischen einem im wesentlichen von Militärs beherrschten Flügel und der primär zivilen politischen Führung der Front unter Son Sann geschwächt. Die Republikaner erhalten Waffen und andere materielle Hilfe von China und verschiedenen westlichen Staaten. c) Die Sihanoukisten Schließlich beteiligen sich rund 20 000 Bewaffnete auf der Seite des früheren Staatsoberhauptes Prinz Norodom Sihanouk (68) am nationalen Unabhängigkeitskampf der Khmer. Sie sind in der Nationalen Armee des Unabhängigen Kambodscha organisiert. die sich unter dem Oberbefehl von Prinz Norodom Ranariddh (45). einem Sohn Sihanouks. von der ursprünglich mit Abstand kleinsten zur heute zweitstärksten Widerstandsarmee entwickelt hat. Vereinfachend könnte man die Anhänger Sihanouks als „Royalisten“ bezeichnen, die für ein unabhängiges und neutrales Kambodscha unter der Führung von Prinz Sihanouk eintreten. Auch die Sihanoukisten sind nicht frei von internen Fraktionskämpfen. Die Sihanouk-Armee erhält seit 1982 Waffen und andere materielle Hilfe von China und verschiedenen nichtkommunistischen Staaten. Eine Reihe von westlichen Staaten sehen in den Sihanoukisten die einzige echte Alternative zu den beiden militärisch relativ starken kommunistischen Gruppen, d. h.den prochinesischen Roten Khmer und der provietnamesischen RVPK, und haben mit bisher allerdings unzureichenden Mitteln versucht, die Sihanouk-Armee zumindest auf eine mit den Roten Khmer vergleichbare Stärke zu bringen.

Seit dem 22. Juni 1982 sind die Roten Khmer, die Republikaner Son Sanns und die Royalisten von Sihanouk in der Koalitionsregierung des Demokratischen Kampuchea (seit Februar 1990: Nationale Regierung von Kambodscha) zusammengeschlossen, die nach dem Willen einer großen Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN) nach wie vor den Sitz Kambodschas bei der Weltorganisation einnimmt. Mehr als zwei Jahre dauerten die Bemühungen der ASEAN-Staaten und der Volksrepublik China, um die drei politisch so unterschiedlichen Gruppen schließlich zu diesem Zweck-bündnis gegen die vietnamesische Hegemonialmacht zu bewegen. Norodom Sihanouk und Son Sann hatten nämlich eine Kooperation mit den Roten Khmer zunächst hartnäckig abgelehnt. Letztlich blieb den beiden nichtkommunistischen Gruppen jedoch im eigenen Interesse und im Interesse des kambodschanischen Unabhängigkeitskampfes nichts anderes übrig, als der Koalition zuzustimmen: Erstens waren Vietnam und das Regime von Heng Samrin und Hun Sen in Phnom Penh auch 1982 zu keinem echten Kompromiß in der Kambodscha-Frage bereit, und zweitens machten die Volksrepublik China und die ASEAN-Staaten jegliche Hilfsleistungen für Sihanouk und Son Sann von deren Bereitschaft abhängig, mit den Roten Khmer ein Bündnis einzugehen. An dieser Konstellation hat sich bis zum heutigen Tage nichts wesentliches geändert.

Die politisch so widersprüchliche Koalition existierte in den ersten Jahren nach ihrer Gründung im wesentlichen nur auf dem Papier: Eine substantielle Zusammenarbeit zwischen den drei Widerstandsgruppen fand kaum statt. Lange Zeit war der Kampf gegen die vietnamesischen Besatzungstruppen und gegen das von Vietnam in Phnom Penh eingesetzte VRK-Regime der einzige gemeinsame politische Nenner der DK-Koalition. Nach drei erfolglosen Gesprächsrunden zwischen Sihanouk und Hun Sen in den Jahren 1987 und 1988, die an der kompromißlosen Haltung von Hun Sen scheiterten, rückten die Widerstandskoalitionäre Ende 1988 programmatisch eng zusammen: Gemeinsam treten sie nun u. a. für die Bildung einer provisorischen Vierparteienregierung, für die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe, für die Entwaffnung und Auflösung aller kambodschanischen Streitkräfte und für international überwachte allgemeine, freie und geheime Wahlen ein. Auch auf dem „Schlachtfeld“ scheint es zunehmend zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen den drei Widerstandsarmeen zu kommen. 2. Bürgerkrieg Der Kambodscha-Konflikt ist freilich nicht nur ein nationaler Widerstandskampf gegen die vietnamesische Hegemonialpolitik, sondern trägt auch die Züge eines Bürgerkriegs zwischen den oben genannten drei Widerstandsgruppen auf der einen Seite und der provietnamesischen RVPK auf der anderen Seite — von Auseinandersetzungen zwischen den vier Gruppen untereinander sowie gruppeninternen Konflikten einmal ganz zu schweigen.

Die RVPK ist eine orthodox marxistisch-leninistische kommunistische Partei, die in der provietnamesischen Tradition der KPIC steht. Die Mitgliederzahl der RVPK dürfte bei rund 10 000 liegen. Sie gebietet über eine reguläre Armee von schätzungsweise 50 000 Soldaten die vollständig von der Sowjetunion ausgerüstet worden ist. Die SK-Armee erwies sich bisher nur als bedingt kampfstark und hat nach dem Abzug des Großteils der vietnamesischen Truppen eine Reihe von Positionsverlusten hinnehmen müssen. Hinzu kommt, daß auch die RVPK und die von ihr geführten Armee-und Staatsorgane keineswegs politisch homogen zusammengesetzt sind: Es gibt zumindest eine provietnamesische Gruppe, eine auf größere Unabhängigkeit bedachte Fraktion früherer Roter Khmer sowie eine Gruppe radikaler Reformer. Schließlich arbeiten in den SK-Regierungsorganen und innerhalb der Administration eine Reihe von nichtkommunistischen Fachleuten, die eher den politischen Positionen von Prinz Sihanouk zuneigen.

Aus den bisher gemachten Ausführungen ergibt sich nicht nur. daß die kambodschanische politische Elite in vier Parteien gespalten ist, sondern auch, daß alle kambodschanischen politischen Parteien mit internen fraktionellen Auseinandersetzungen belastet sind. Diese Spaltung der kambodschanischen politischen Elite in eine Vielzahl von Gruppen und Untergruppen sowie ihre Bereitschaft, mit ausländischer Hilfe ihre intraelitären Machtkämpfe auszufechten, waren und sind eine der Hauptursachen für die häufigen vietnamesischen und thailändischen Interventionen in Kambodscha und für den Niedergang des Khmer-Reiches seit dem Ende des 17. Jahrhunderts. 3. Internationalisierter Konflikt War der Konflikt zwischen dem DK und der SRV in den Jahren von 1975 bis 1977 zunächst noch eine bilaterale Angelegenheit, so wurde er ab 1978 zunehmend internationalisiert. Nur durch die Beteiligung auswärtiger Konfliktparteien, vor allem der UdSSR und der Volksrepublik China, konnte der ursprünglich hausgemachte Konflikt jene Kriegsdimension der Jahre seit 1977 annehmen. Den Wendepunkt bildete die wahrscheinlich bereits Mitte 1977 gefällte vietnamesische Entscheidung, in Kambodscha direkt militärisch zu intervenieren, um das Pol Pot-Regime zu Fall zu bringen. Vietnam konnte dieses Ziel nur mit Hilfe massiver materieller und politischer Unterstützung von Seiten der Sowjetunion erreichen. Die UdSSR war hierzu nur allzugern bereit, da ein von ihr gestütztes antichinesisches Indochina-Bündnis an der Südflanke Chinas die Spannungen an der sino-sowjetischen Grenze vermindern und den Einfluß der Sowjetunion in Südostasien und im Südpazifik vergrößern würde. So stellte die sowjetische Unterstützung für Vietnams Hegemonialpolitik den Katalysator für die Internationalisierung des Kambodscha-Konflikts dar, der nun in eine ganze Reihe von Konfliktfeldern ausuferte.

Nachdem die Volksrepublik China Ende 1977 erkennen mußte, daß Vietnam entschlossen war, die Dominierung Kambodschas notfalls auch mit militärischen Mitteln zu erreichen, verschlechterten sich die chinesisch-vietnamesischen Beziehungen im Verlauf des Jahres 1978 dramatisch. Während die Volksrepublik China mit umfangreicher Militär-hilfe die Selbstverteidigungskraft Kambodschas zu erhöhen versuchte, schloß sich Vietnam immer mehr dem Ostblock an und trat Ende Juni 1978 dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe bei. Am 3. November 1978 versicherte sich Vietnam durch die Unterzeichnung eines „Vertrags über Freundschaft und Zusammenarbeit“ mit der UdSSR der sowjetischen Unterstützung für die vollständige Besetzung von Kambodscha. Nachdem Vietnam nur zwei Monate später Kambodscha erobert hatte, erreichte der sino-vietnamesische Konflikt einen vorläufigen Höhepunkt: Vom 17. Februar bis 19. März 1979 unternahmen rund 150 000 chinesische Soldaten einen zeitlich und räumlich begrenzten „Straffeldzug“ gegen Vietnam, um dem südlichen Nachbarn wegen der Verletzung fundamentaler chinesischer Ordnungsinteressen in Südostasien „eine Lehre zu erteilen“. Seitdem hat sich das sinovietnamesische Verhältnis nicht grundlegend verbessert, da China auf die Wiederherstellung der völligen Unabhängigkeit von Kambodscha pocht, um die Herausbildung Vietnams zu einer regionaB len Vormacht in Südostasien zu verhindern und sich damit bessere politische Einflußmöglichkeiten in Südostasien zu sichern. Vietnam hingegen will die drei indochinesischen Staaten als Bollwerk sowohl gegen China als auch gegen die nichtkommunistischen ASEAN-Staaten zusammenhalten und besteht deshalb auf dem Fortbestand der „besonderen Beziehungen“ zu Kambodscha.

Die Eroberung Kambodschas durch Vietnam und die einseitige Bindung Vietnams an die UdSSR führten nicht nur zu einer Verschärfung des sinovietnamesischen Konflikts, sondern zunächst auch zu einer Verschlechterung der sino-sowjetischen Beziehungen. Vietnam räumte, quasi als Gegenleistung für die großzügige sowjetische Hilfe, der UdSSR exklusive Nutzungsrechte an dem früheren US-Militärstützpunkt Cam Ranh Bay ein, wodurch die sowjetische Pazifikflotte ihre erste Militärbasis im pazifischen Ausland erhielt. Dieser Schritt verschlechterte nicht nur in einem weiteren Maße die Beziehungen zwischen China und Vietnam und zwischen China und der Sowjetunion, sondern rief auch die USA auf den Plan, die in der verstärkten sowjetischen Flottenpräsenz im Südpazifik eine Herausforderung im globalstrategischen Kräfte-messen der beiden Supermächte perzipierten. Im Gefolge des sino-sowjetischen Tauwetters und des Machtantritts von Gorbatschow setzte sich jedoch die Sowjetunion in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zunehmend für einen Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha und für eine Lösung des Konflikts unter maßgeblicher Beteiligung der Vereinten Nationen ein und verringerte ihre Militärpräsenz in Cam Ranh Bay. Auf diese Weise verlor der Kambodscha-Konflikt an Bedeutung im Rahmen der sino-sowjetischen Beziehungen, und die Sowjetunion wurde zunehmend zu einem treibenden Befürworter einer umfassenden Kompromißlösung. Als Folge der vietnamesischen Hegemonialpolitik wurde durch den Wegfall Kambodschas als unabhängiger Pufferstaat zwischen Thailand und Vietnam der traditionelle thailändisch-vietnamesische Konflikt um Kambodscha wieder neu belebt. Ebenso wie die chinesisch-vietnamesischen Beziehungen wird auch das thailändisch-vietnamesische Verhältnis erst dann wieder vollständig normalisiert werden können, wenn die Unabhängigkeit und Neutralität von Kambodscha wiederhergestellt sind.

Obwohl heute der Kambodscha-Konflikt auf der internationalen Ebene im wesentlichen nur noch einen Konflikt zwischen China und Vietnam über die zukünftige Ordnung in Südostasien, insbeson30 dere auf der indochinesischen Halbinsel darstellt, haben die beiden kommunistischen Großmächte die stärksten Karten in der Hand: Ohne die sowjetische Hilfe können sich Vietnam und das SK-Regime in Kambodscha nicht halten, und ohne die chinesische Hilfe ist der kambodschanische Widerstand verloren. Es wäre fatal, wenn nach der angekündigten Einstellung der sowjetischen Hilfe nun gerade westliche Staaten Vietnam und dem SK-Regime mit bedingungslosen Stützungsmaßnahmen unter die Arme griffen, denn dies würde die Regierungen in Hanoi und Phnom Penh in ihrer kompromißlosen Haltung bestärken, und damit nicht zu einer Lösung, sondern nur zu einer Verlängerung des Krieges in Kambodscha beitragen.

IV. Grundlegende Bedingungen und Elemente einer dauerhaften Lösung

Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ist es immer dann zu schweren Konflikten in und um Kambodscha gekommen, wenn die politische Führung des Landes ein einseitiges außenpolitisches Bündnis mit Thailand oder Vietnam einging, oder wenn die kambodschanische Elite in antagonistische Fraktionen zerfiel, die ihre Rivalität um die politische Macht mit vietnamesischer Hilfe auf der einen Seite und mit thailändischer Unterstützung auf der anderen Seite ausfochten. Während des dritten Indochina-Konflikts traten noch China und die Sowjetunion an die Seite Thailands und des DK bzw. Vietnams und der VRK. Aus diesen historischen Grunderfahrungen ergibt sich, daß eine dauerhafte Lösung des Konflikts nur durch eine strikte Neutra-lisierung des Landes mit internationalen Garantien und durch eine Aussöhnung zwischen allen Gruppen der kambodschanischen Elite erreicht werden kann. Das erscheint jedoch nur möglich bei einem Kompromiß durch Zugeständnisse von allen Seiten und in Form einer umfassenden Paketlösung aller Konfliktaspekte. Hierfür müßten vor allem Vietnam und das SK-Regime Abstriche an ihren Positionen vornehmen, nachdem China und die Roten Khmer im Verlauf des Jahres 1988 einem Lösungsmodus zustimmten, der eine alleinige Machtergreifung durch die Roten Khmer mit sehr großer Wahrscheinlichkeit verhindern kann. In Anbetracht der historischen Erfahrungen und anhand der Minimal-ziele der Konfliktparteien lassen sich sieben grundlegende Bedingungen und Elemente einer dauerhaften Kompromißlösung herausarbeiten: 1. Vollständige Beendigung des vietnamesischen Engagements in Kambodscha durch: — Abzug aller vietnamesischen Truppen und Berater aus Kambodscha unter effektiver internationaler und nationaler Kontrolle, d. h. auch Vertreter aller vier kambodschanischen Konfliktparteien müssen — im Interesse der Vertrauensbildung — an der Kontrolle des Abzugs der vietnamesischen Truppen und Berater beteiligt werden. — Explizite Aufgabe der „besonderen Beziehungen“ zwischen Vietnam und Kambodscha durch entsprechende Verzichtserklärungen beider Seiten. — Repatriierung aller vietnamesischen Neusiedler, deren Familien zuvor nie in Kambodscha gelebt hatten und die sich erstmals nach 1979 in Kambodscha niederließen, und Bestandsgarantie für jene Vietnamesen und ihre Nachkommen, die seit Generationen in Kambodscha lebten, nach 1970 oder 1975 vertrieben wurden und nach 1979 wieder nach Kambodscha zurückkehrten. — International kontrollierte Rückgabe der seit 1979 von Vietnam annektierten kambodschanischen Gebiete nach bilateralen Verhandlungen über die Grenzziehung unter internationaler Beteiligung. 2. Vollständige Beendigung des Engagements der anderen ausländischen Konfliktparteien im Kambodscha-Konflikt durch: — Einstellung der sowjetischen Militärhilfe für Vietnams Hegemonialpolitik gegenüber Kambodscha und Einstellung der sowjetischen Militärhilfe für den Staat Kambodscha. — Einstellung der chinesischen Militärhilfe für den kambodschanischen Widerstand. — Einstellung der thailändischen Hilfeleistungen für den kambodschanischen Widerstand. — Einstellung der Militärhilfe westlicher Staaten für den kambodschanischen Widerstand. 3. Nationale Aussöhnung zwischen allen Gruppen der kambodschanischen Elite, d. h. Bildung einer Vierparteien-Übergangsregierung oder eines Obersten Legislativ-und Exekutivrats, dem Vertreter aller vier Parteien, d. h. auch die Rotert Khmer (siehe hierzu weiter unten), angehören müssen. Aufgabe des Obersten Rats wäre die Ausarbeitung eines neuen, provisorischen politischen Rahmens, der ein Mehrparteiensystem und allgemeine, freie und geheime Wahlen vorschreibt. Präsident des Obersten Rats sollte Prinz Norodom Sihanouk werden, der wie kein anderer kambodschanischer Politiker die Unabhängigkeit und Neutralität Kambodschas symbolisiert und am ehesten in der Lage scheint, politisch ausgleichend zu wirken und den nationalen Aussöhnungsprozeß einzuleiten. Vorstellbar ist auch, daß der Oberste Rat zwecks nationaler und internationaler Vertrauensbildung einer zeitweiligen Treuhandverwaltung durch die VN zustimmt (ein australischer Vorschlag). 4. Ergreifung von wirksamen Maßnahmen, die eine erneute alleinige Machtergreifung der Roten Khmer oder irgendeiner anderen politischen Gruppierung verhindern: — Mehrjährige Stationierung einer VN-Friedenstruppe in Kambodscha. — Vollständige Entwaffnung und Auflösung aller kambodschanischen Streitkräfte unter effektiver internationaler und nationaler Kontrolle. — Lokalisierung und Konfiszierung versteckter Waffenlager unter wirksamer internationaler und nationaler Kontrolle. 5. Allgemeine, freie und geheime Wahlen zu einer kambodschanischen Nationalversammlung unter der Kontrolle der Vereinten Nationen (VN-Kontrollkommission und VN-Friedenstruppe). Die Wahlen sollten erst nach einer erfolgreichen Befriedung Kambodschas abgehalten werden, d. h. mehrere Monate nach Etablierung des Obersten Legislativ-und Exekutivrats und nach der vollständigen Entwaffnung und Auflösung aller kambodschanischen Streitkräfte. 6. Neutralisierung Kambodschas mit entsprechenden Garantieerklärungen aller unmittelbar und mittelbar an dem Kambodscha-Konflikt beteiligten Parteien und außenpolitische Grundsatzerklärung Kambodschas über die strikte Äquidistanz seiner Beziehungen zu Vietnam, China und Thailand. 7. Internationale und nationale Friedensregelung unter alleiniger Federführung der Vereinten Nationen durch eine Internationale Kambodscha-Konferenz und die Entsendung einer VN-Kontrollkommission und einer VN-Friedenstruppe nach Kambodscha. Die bisherigen Lösungsversuche von Seiten Indonesiens, Frankreichs, Thailands, Australiens und Japans waren von starken nationalen Interessen dieser Staaten bestimmt, was zu Widersprüchen im Lösungsansatz führte, die wiederum von Vietnam und dem SK für ihre Zwecke ausgenutzt wurden.

V. Exkurs: Beteiligung der Roten Khmer an einer Konfliktlösung?

In den bisherigen Verhandlungen über eine Lösung des Kambodscha-Konflikts haben sich Vietnam und das SK-Regime in Phnom Penh nicht nur gegen eine erneute alleinige Machtergreifung der Roten Khmer ausgesprochen, sondern auch gegen eine Beteiligung der Roten Khmer an einer Übergangsregierung der nationalen Aussöhnung. In einigen westlichen Staaten, vor allem in den USA, Frankreich, Großbritannien und Australien, werden ebenfalls zunehmend Stimmen laut, die einen Ausschluß der Roten Khmer sowohl vom Konfliktlösungsprozeß als auch von einer künftigen Koalitionsregierung fordern. So sehr diese Auffassung von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet gerechtfertigt erscheint, so ist sie angesichts der historischen Erfahrungen und in Anbetracht der tatsächlichen Gegebenheiten im heutigen Kambodscha unrealistisch und in letzter Konsequenz sogar unverantwortlich. Diese zugegebenermaßen ungewöhnliche Bewertung bedarf näherer Erläuterungen. Erstens kann bei einem Ausschluß der Roten Khmer der Krieg im Landesinnern nicht beendet werden, da die Roten Khmer in einem solchen Fall weiter gegen die Regierung in Phnom Penh kämpfen würden — ganz gleich, wie sich diese Regierung konkret zusammensetzte. Umfangreiche Waffen-verstecke, die seit 1980/81 angelegt wurden, würden es den Roten Khmer ermöglichen, über Jahre hinweg ohne eine größere Unterstützung von außen als erhebliche Bedrohung jeder Regierung in Phnom Penh zu überleben. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die Roten Khmer in ihren traditionellen Rekrutierungsgebieten — in den Gebieten der Kardamom-Gebirgskette und des Elefantengebirges im Südwesten des Landes — über eine sehr loyale Anhängerschaft verfügen. Darüber hinaus sind ihre militärischen Aktivitäten in nahezu allen Gebieten westlich des Mekong ein Indiz dafür, daß sie von Teilen der kambodschanischen Landbevölkerung zunehmend geduldet, wenn nicht gar unterstützt werden. Es ist nicht vorstellbar, daß die Roten Khmer im Falle einer totalen Ablehnung durch die Bauern in derart vielen Landesteilen operieren könnten. Die Ursachen für die Erfolge der Roten Khmer scheinen deshalb nicht nur in ihrer guten militärischen Organisation und Ausrüstung sowie in der Angst der Bevölkerung vor Repressalien zu liegen, sondern auch in ihrer nationalistischen, strikt gegen die vietnamesischen Hegemonialbestrebungen gerichteten Politik und in ihrem offenbar zunehmend gemäßigteren Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung (Kauf statt Konfiszierung von Nahrungsmitteln, medizinische Versorgung usw.).

Zweitens ist angesichts der Stärke der Roten Khmer die immer wieder erhobene Forderung nach zwangsweiser Entwaffnung und Aburteilung vor einem Internationalen Gerichtshof schlicht unrealistisches Wunschdenken, da hierfürjegliche Voraussetzungen fehlen. Selbst die kampferprobten vietnamesischen Truppen, die zeitweise mit 200 000 Mann in Kambodscha präsent waren, konnten die Roten Khmer nicht besiegen und haben seit Ende 1977 erhebliche Verluste erlitten: über 55 000 Tote und rund 170 000 Verletzte. Es ist nicht vorstellbar, daß die internationale Gemeinschaft bereit wäre, eine Internationale Friedenstruppe von mindestens 100 000 Mann nach Kambodscha zu entsenden, um mit absehbaren großen Verlusten und zweifelhaften Erfolgsaussichten zu versuchen, die Roten Khmer militärisch auszuschalten oder auch nur in Schach zu halten.

Drittens besteht zumindest China auf einer Beteiligung der Roten Khmer an einer politischen Lösung und an einer Übergangsregierung, so daß ein Ausschluß der Roten Khmer von einer politischen Lösung einem Ausschluß Chinas gleichkäme — eine Konstellation, die eine Konfliktlösung unmöglich machen würde, da China weiterhin die Roten Khmer unterstützen würde.

Die internationale Gemeinschaft steht also vor dem Problem, daß die von Vietnam und dem SK-Regime geforderte „Bestrafung“ und „Eliminierung“ der Roten Khmer nicht möglich ist und daß ein Konfliktlösungsversuch ohne sie die Fortsetzung des Krieges in Kambodscha und möglicherweise sogar eine Stärkung und Reradikalisierung der Roten Khmer bedeuten würde. Wer auf dem Ausschluß der Roten Khmer von einer Lösung des Kambodscha-Konflikts besteht, trägt also für die Fortsetzung des Krieges in Kambodscha eine entscheidende Mitverantwortung und überläßt größere Teile des kambodschanischen Volkes der dann von außen unkontrollierbaren Beherrschung durch die Roten Khmer. Es könnte sehr wohl sein, daß eine derartige Entwicklung im Interesse Vietnams ist, das dann einen Vorwand für eine weitere Intervention hätte, nämlich das kambodschanische Volk vor einer erneuten Machtübernahme der Roten Khmer zu retten.

Die Alternative hierzu ist die Beteiligung der Roten Khmer an einer Konfliktlösung und an einer Übergangsregierung, d. h. sie würden in die politische Verantwortung für die Zukunft Kambodschas eingebunden und in die Pflicht genommen werden, sich an die auch von ihnen ratifizierte Lösung zu halten. Nur auf diese Weise können sie sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene politisch und militärisch kontrolliert und damit die Fortsetzung der kambodschanischen Tragödie vermieden werden.

Die Roten Khmer haben mit ihrem jüngsten Vorschlag vom 29. Juni 1990 erneut ihre Bereitschaft bekräftigt, einer umfassenden politischen Lösung des Kambodscha-Konflikts zuzustimmen, die nach ihrer Ansicht u. a. folgende Maßnahmen enthalten soll: — Einsatz einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen über einen Zeitraum von mehreren Jahren in Kambodscha, — Entwaffnung und Auflösung aller bewaffneten Streitkräfte in Kambodscha, — Lokalisierung und Konfiszierung aller Waffenlager im gesamten Land, — Bildung eines aus den vier Parteien bestehenden Obersten Nationalen Rates, der bis zur Durchsetzung des Ergebnisses freier Wahlen die höchste legislative und exekutive Gewalt ausüben soll, — freie Wahlen zu einer konstituierenden Nationalversammlung unter der Kontrolle der Vereinten Nationen.

Die Realisierung dieser Vorschläge, die im übrigen auf dem von Prinz Sihanouk seit 1979 vertretenen Lösungsmodell basieren, würde die Gefahr einer erneuten alleinigen Machtergreifung durch die Roten Khmer oder einer anderen Khmer-Fraktion wirksam ausschließen. Es ist an der Zeit, daß die internationale Gemeinschaft die Roten Khmer anhand deren eigener Vorschläge beim Wort nimmt und Druck auf Vietnam und das SK-Regime ausübt. diese Vorschläge zumindest als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren. Andernfalls könnten die Roten Khmer — sollten sie in den nächsten Wochen bedeutende militärische Erfolge erzielen — wieder ausschließlich auf eine militärische Lösung setzen.

VI. Haupthindernisse einer dauerhaften Lösung des Kambodscha-Konflikts

Die Haupthindernisse einer dauerhaften Lösung des Kambodscha-Konflikts liegen im wesentlichen in der nach wie vor kompromißlosen Haltung Vietnams und des SK-Regimes in Phnom Penh. Vietnam zog zwar im September 1989 den Großteil seiner Besatzungstruppen ab, doch Hanoi unternimmt alles, um die RVPK von Heng Samrin und Hun Sen an der alleinigen Macht in Kambodscha zu halten. Zu diesem Zweck sind in Kambodscha nach wie vor Tausende von vietnamesischen Militärberatern und Elitetruppen im Einsatz. Auch sind die kommunistischen Parteiführer in Phnom Penh und Hanoi nicht bereit, auf die „besonderen Beziehungen“ und die „strategische Allianz“ zwischen Vietnam und Kambodscha zu verzichten. Das Konzept der „besonderen Beziehungen“ ist jedoch mit dem Konzept der Neutralität Kambodschas völlig unvereinbar.

Abgelehnt wird auch die Schaffung eines Mehrparteiensystems, das eine der grundlegenden Voraussetzungen für eine nationale Aussöhnung und eine wirkliche Teilung der Macht zwischen den vier kambodschanischen Fraktionen darstellt. Als logische Folge dieser Haltung werden die Etablierung einer Vierparteien-Übergangsregierung anstelle der SK-Regierung und der Widerstandskoalition, die Einsetzung einer zeitweiligen Treuhandverwaltung der Vereinten Nationen sowie die Stationierung einer VN-Friedenstruppe und die Entwaffnung aller kambodschanischen Streitkräfte strikt abgelehnt, weil dies die Macht der herrschenden RVPK brechen würde. Entsprechend mager sind die Konzessionsangebote an die drei Widerstandsgruppen: Sie dürfen die Hälfte der Sitze eines rein symbolischen Obersten Nationalrats einnehmen, der jedoch keinerlei reale Macht über die SK-Regierung und -Administration haben soll. Immerhin dürfen „freie, gleiche, faire und demokratische Wahlen“ von den Vereinten Nationen organisiert werden, die jedoch wiederum die Souveränität der bestehenden SK-Regierung (und nicht des Obersten Nationalrats!) anerkennen müssen.

Im Widerspruch zu dem von ihnen verbal befürworteten Prinzip der nationalen Aussöhnung wollen Vietnam und das SK-Regime den Roten Khmer das Vetorecht bei den Verhandlungen über eine Lösung des Kambodscha-Konflikts entziehen und befürworten deshalb nur noch bilaterale Gespräche zwischen der SK-Regierung und der Widerstands-koalition anstatt Verhandlungen zwischen den vier Khmer-Fraktionen. Darüber hinaus fordern Hanoi und Phnom Penh von der internationalen Gemeinschaft, die Roten Khmer zu „bestrafen“, ihnen jegliche Hilfe zu entziehen und sie zur Annahme der von Vietnam und dem SK vorgeschlagenen Lösung zu zwingen. Dieser Ansatz ist jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt, da er die reale Stärke der Roten Khmer und die Position Chinas unberücksichtigt läßt. Außerdem würden sich die westlichen Staaten einen Bärendienst erweisen, einem Lösungsmodell zuzustimmen, das die Bewahrung der Alleinherrschaft der Kommunisten in Phnom Penh und die Aufrechterhaltung der vietnamesischen Hegemonie zum Ziel hat.

Eine Friedensregelung für Kambodscha ist ohne eine Beteiligung der Roten Khmer nicht zu erreichen. Das wissen auch Vietnam und das SK-Regime in Phnom Penh. Beide hoffen jedoch auf eine baldige Anerkennung der provietnamesischen Regierung von Hun Sen durch einige westliche Staaten und auf weitgehende Einstellung der ausländischen Hilfe für den Widerstand. Sie erwarten dadurch eine Stärkung der Position der Regierung in Phnom Penh und eine entscheidende Schwächung der Widerstandsgruppen. Doch größere militärische Erfolge der Roten Khmer und der Sihanoukisten in den nächsten Monaten und die Einstellung der sowjetischen Hilfe dürften das SK-Regime an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Im Falle einer solchen Entwicklung könnte es bereits im Verlauf des Jahres 1991 zu weitreichenden Kompromissen der Regierungen in Phnom Penh und Hanoi und damit zu einer dauerhaften Lösung des Kambodscha-Konflikts kommen. Hierfür ist jedoch zunächst eine konsequente und harte Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Vietnam und dem SK-Regime notwendig. Andernfalls ist der von der kambodschanischen Bevölkerung herbeigesehnte Frieden für ihr Land in nächster Zeit nicht in'Sicht.

Die von den USA verkündete Entscheidung, die Akkreditierung der von Prinz Sihanouk geführten Widerstandskoalition bei den Vereinten Nationen nicht mehr zu unterstützen, humanitäre Hilfe für die Regierung in Phnom Penh aufzunehmen und mit Vietnam über eine Lösung der Kambodscha-Frage zu verhandeln, wird wahrscheinlich die Regierungen in Hanoi und Phnom Penh in ihrer kompromißlosen Haltung eher noch bestärken und damit nicht zu einer baldigen Konfliktlösung beitragen. Die Kehrtwende der US-Regierung in ihrer Kambodscha-Politik erfolgte unmittelbar nach der fünften Verhandlungsrunde der fünf ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrats, auf der bedeutende Fortschritte in der Frage der Entmilitarisierung, der Zusammensetzung des Obersten Nationalen Rates und der Rolle der VN erzielt worden sein sollen. Die völlig überraschende Neuorientierung der US-Politik, die in den ASEAN-Staaten vornehmlich auf Unverständnis gestoßen ist, könnte diese mühsam erreichte Übereinkunft aufs Spiel setzen.

Auf der anderen Seite haben Vietnam und das Hun-Sen-Regime die Einsetzung einer VN-Treuhandverwaltung und die Stationierung einer VN-Friedenstruppe u. a. mit der Begründung abgelehnt, daß die VN nach wie vor die Nationale Regierung von Prinz Sihanouk als Mitglied akzeptierten und deshalb keine neutrale Haltung in dem Konflikt einnähmen. Sollte die jüngste US-Initiative tatsächlich dazu führen, daß die Widerstandskoalition ihren VN-Sitz verliert, dann wären alle Voraussetzungen dafür erfüllt, daß Hanoi und Phnom Penh eine größere Rolle der VN bei der Lösung des Konflikts akzeptieren können. Die bisherigen Erfahrungen geben jedoch zu erheblichen Zweifeln Anlaß, ob

Vietnam und das SK-Regime eine derartiges Entgegenkommen entsprechend honorieren werden.

Nach Aussage von US-Außenminister James Baker wollen die USA mit ihrer neuen Haltung verhindern. daß die Roten Khmer wieder allein die Macht ergreifen. Angesichts der realen Verhältnisse in Kambodscha (siehe Exkurs), grenzt eine derartige Erwartungshaltung an Naivität. China hat in einer deutlichen Kritik an der US-Kehrtwende versichert, daß es den kambodschanischen Widerstand, vor allem die Roten Khmer, weiter mit Waffen unterstützen werde, und zwar solange, bis eine umfassende politische Lösung des Kambodscha-Problems erreicht sei, die den vollständigen Abzug der vietnamesischen Truppen unter VN-Kontrolle und die Errichtung einer Vierparteienregierung in Kambodscha enthalten müsse. Auch jüngst wurde also wieder deutlich, daß es ohne oder gegen die Roten Khmer keinen Frieden für Kambodscha geben kann.

Literatur: amnesty international, Kampuchea. Political Imprisonment and Torture, London 1987.

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P. Schier. Die Rolle der Vereinten Nationen bei der Suche nach einer Lösung des Konflikts in und um Kambodscha, 1979 — 1987, in: M. A. Ferdowsi/P. J. Opitz (Hrsg.), Macht und Ohnmacht der Vereinten Nationen, München-Köln-London 1987, S. 119— 159.

ders.. Das sowjetische Engagement in Indochina, in: J. Glaubitz/D. Heinzig (Hrsg.). Die Sowjetunion und Asien in den 80er Jahren, Baden-Baden 1988, S. 205— 229.

ders. (zus. mit M. Schier-Oum), Prince Sihanouk on Cambodia. Interviews and Talks with Prince Norodom Sihanouk. Hamburg 19852.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Aus Platzgründen ist auf einen Anmerkungsapparat mit Quellenverweisen verzichtet worden. Der Leser sei auf die Literaturliste am Ende des Beitrags verwiesen, in denen sich z. T. die unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Konfliktparteien widerspiegeln.

  2. Die vorliegenden Zahlenangaben zur Stärke der Roten Khmer schwanken zwischen 10 000 und 40 000.

  3. Die vorliegenden Zahlenangaben zur Stärke der SK-Armee schwanken zwischen 30 000 und 70 000.

Weitere Inhalte

Peter Schier, M. A., geb. 1950; wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit M. Schier-Oum) Prince Sihanouk on Cambodia. Interviews and Talks with Prince Norodom Sihanouk, Hamburg 19852; (zus. mit W. Bartke) China’s New Party Leadership. Biographies and Analysis of the Twelfth Central Committee of the Chinese Communist Party, New York-London 1985; (zus. mit W. Draguhn) Indochina: Der permanente Konflikt?, Hamburg 19873; (zus. mit R. Cremerius und D. Fischer) Studentenprotest und Repression in China, April—Juni 1989, Hamburg 1990.