Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Britische Außen-und Verteidigungspolitik: Thatcherismus und die Folgen | APuZ 28/1991 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 28/1991 Artikel 1 Präsidentialisierung des parlamentarischen Systems? Westminster und Whitehall in der Ära Thatcher Wahlen und Parteiensystem in der Ära Thatcher Wirtschafts-und Sozialpolitik während der Regierung Thatcher Britische Außen-und Verteidigungspolitik: Thatcherismus und die Folgen

Britische Außen-und Verteidigungspolitik: Thatcherismus und die Folgen

William Wallace

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die britische Außenpolitik unter der Regierung Thatcher war ebenso wie die französische unter de Gaulle eine Reaktion auf die vorangegangenen Jahre der Schwäche und des abnehmenden weltpolitischen Einflusses. Ihr Stil war deshalb von einem neuen nationalen Selbstbewußtsein bestimmt, um Vertrauen im Innern und Respekt im Ausland wiederherzustellen. Der deutlichste Unterschied zwischen dem Ansatz der Regierung Thatcher und dem von Präsident de Gaulle bestand in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, ließ doch das britische Bekenntnis zum Wirtschaftsliberalismus wenig Raum für eine staatliche Strategie -außer zur Verteidigung der nationalen Währung. Doch auch hier wurde, wie auf anderen politischen Gebieten, der ursprüngliche ideologische Eifer durch Erfahrung modifiziert, wie das Festhalten am Wirtschaftsliberalismus im Programm für 1992 und die staatliche Unterstützung für britische Firmen und Banken im Ausland belegen. Mit dem Amtsantritt eines neuen Premierministers hat sich zwar die Rhetorik der britischen Außenpolitik verändert, ihre allgemeine Richtung wird sich jedoch wohl kaum wandeln. Diese war in der Praxis bereits weitaus europäischer als viele ihrer Kritiker zugestehen wollten. Die neue Generation, die nun die britische Außenpolitik bestimmt, wird wahrscheinlich einerseits nationale Interessen energisch verteidigen und auch auf den Einsatz militärischer Gewalt für begrenzte Ziele vertrauen, aber gleichzeitig anerkennen, daß der europäische Kontext nun der hauptsächliche Handlungsraum für die britische Außen-und Verteidigungspolitik ist.

Übersetzung aus dem Englischen von Ellen Schlootz, Köln.

Rhetorik und Realität, Ideologie und Interesse klaffen in der Außenpolitik oft auseinander. Regierungen bemänteln strategische Rückzüge mit Siegeserklärungen oder verkünden ihr Engagement für den Freihandel, während sie still und heimlich protektionistische Maßnahmen unterstützen. Die britische Außen-und Verteidigungspolitik in den achtziger Jahren bietet ein klassisches Beispiel für die Widersprüche zwischen ideologischen Präferenzen und den Zwängen, die durch innenpolitische Interessen und internationale Entwicklungen auferlegt werden.

Eine Premierministerin, die entschieden „angelsächsisch“ war, gab dennoch ihre Zustimmung zur Einheitlichen Europäischen Akte (der Politischen Union) und stürzte aufgrund ihrer zögerlichen Haltung hinsichtlich einer vollen Beteiligung am Europäischen Währungssystem. Erklärungen bezüglich einer sich selbst vergewissernden Souveränität wurden begleitet von der Übernahme britischer Unternehmen durch ausländische Firmen, oft mit aktiver Unterstützung durch eine britische Regierung, die japanische Technologie, deutsche und schwedische Managementerfahrung und arabische Investitionen als unumgänglich für die Wiedererlangung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erachtete. Die Betonung der eigenen militärischen Stärke ging Hand in Hand mit gemeinschaftlichen Unternehmen bei der Beschaffung von Waffen -mit Deutschland, Italien und Frankreich -und mit wiederholten Versuchen, die Rüstungsausgaben einzuschränken.

I. Gaullismus und Thatcherismus

Der rhetorisch eindrucksvolle und kompromißlose Stil des französischen Staatspräsidenten General de Gaulle verzögerte und verschleierte in gewissem Maße das französische Einverständnis mit den politischen Folgen der europäischen Integration, doch bewirkte er letztlich keine Umkehrung der der französischen Politik zugrundeliegenden Richtung. In ähnlicher Weise hat etwa zwanzig Jahre später Thatchers Betonung der Unabhängigkeit, des Nationalstolzes und der transatlantischen Solidarität das Image der britischen Außenpolitik, sowohl in Großbritannien als auch im Ausland, stärker verändert als die eigentliche Politik. Nach all den dramatischen Auseinandersetzungen im Europarat und den engen Beziehungen zu Reagan und Gorbatschow war, als Frau Thatcher ihr Amt aufgab, die Außenpolitik des Vereinigten Königreichs viel enger mit den westeuropäischen Nachbarn verbunden als bei ihrem Amtsantritt vor elf Jahren.

Frankreich und Großbritannien haben beide auf schmerzliche Weise ihre Diplomatie, Außenpolitik und ihre Verteidigungsstrategien den durch die wirtschaftliche Schwäche im eigenen Land und das abnehmende internationale Ansehen gesetzten Grenzen anpassen müssen. In beiden Ländern ist diese Anpassung der in den vierziger Jahren geborenen Generation, die nun in die Spitzenpositionen von Politik, Regierung und Intelligenz aufrückt, viel leichter gefallen als ihrer Elterngeneration, die durch den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit geprägt war. In Paris wie in London sind grundlegende Fragen bezüglich der nationalen Identität aufgekommen, da die politischen Macher die Beziehungen zwischen politischem System, Gesellschaft und Wirtschaft im eigenen Land und bei ihren Nachbarn neu zu definieren versuchten. Die Schatten der Vergangenheit, der Zusammenhang von nationaler Identität und Außenpolitik, die Hemmnisse, die ererbte Erinnerungen der Annahme neuer Verpflichtungen entgegensetzen, das sind zentrale Themen der deutschen wie der britischen Außen-und Verteidigungspolitik. Der Unterschied liegt in der Art dieser Erinnerungen. Die deutsche Geschichte enthält einige massive Brüche, die es erschweren, erneut eine Führerschaft in der europäischen und der internationalen Politik geltend zu machen. Im Gegensatz dazu enthält die britische Geschichte zu viele Kontinuitäten, die die gesammelte Erinnerung an eine angelsächsische globale Führungsrolle im Zweiten Weltkrieg und an den Aufbau des westlichen internationalen Nachkriegssystems mit älteren Vorstellungen von einem freien England, das einem unfreien Kontinent gegenüberstand, verknüpft

Jedoch verändern der Generationswechsel und die fortschreitende Integration der britischen Wirtschaft und Gesellschaft in eine umfassendere europäische Region das Umfeld, in dem britische Außenpolitik gemacht wird. Die solidesten Leistungen der Regierung Thatcher -der Einsatz für Deregulierung und für Privatisierung in internationalem Rahmen, die entscheidende Unterstützung der frühen Phase der Europäischen Einigungsinitiative für 1992 und die vorsichtige Unterstützung einer Annäherung der Reagan-Administration an Gorbatschow -sind von den Partnern Großbritanniens nicht angemessen anerkannt worden. Teils lag dies daran, daß die aggressive Rhetorik der Außenpolitik die im allgemeinen gemäßigte und konstruktive Richtung der in der Praxis verfolgten Politik verschleierte, teils daran, daß es für die anderen Regierungen einfacher war, den Stil und die Rhetorik anzugreifen, anstatt zu akzeptieren, daß ein großer Teil der Kritik der Regierung Thatcher an der westlichen und der westeuropäischen Politik durchaus berechtigt war.

II. Wirtschaftlicher Niedergang und neues nationales Selbstbewußtsein

Die Parallele zwischen der Strategie de Gaulles und der Thatchers ist im politischen und im Verteidigungsbereich sehr eng, nicht jedoch im wirtschaftlichen. Ein Verständnis für das Gefühl von Versagen und nationalem Niedergang, von dem die britische Politik in den siebziger Jahren durchdrungen war, ist von zentraler Bedeutung, um den Kontext der britischen Außenpolitik im darauffolgenden Jahrzehnt zu verstehen.

Präsident de Gaulle hatte ein Land übernommen, das unter massiver Inflation litt, das nach dem Rückzug aus Indochina den Aufstand in Algerien bekämpfte, im Innern geteilt und von außen bedroht; ein vorrangiges Ziel seiner Außenpolitik war es, den Franzosen wieder ein Gefühl von Stolz und nationalem Selbstbewußtsein zu geben. Die Konservativen in Großbritannien fanden 1979 eine Situation vor, die kaum weniger düster war. Die vorherige konservative Regierung hatte mitten in der Energiekrise von 1973/74 Neuwahlen angesetzt, um der Herausforderung durch den Bergarbeiterstreik zu begegnen, der bereits die Elektrizitätsversorgung beeinträchtigt und der Wirtschaft eine Dreitagewoche aufgezwungen hatte. Sie forderte die Wähler auf zu bestimmen, wer regiert, die gewählte Mehrheit im Parlament oder die Gewerkschaften; und sie verlor Nach zwei Wahlen innerhalb von sechs Monaten erreichte die Labour Party eine knappe absolute Mehrheit, die sie 1977 wieder verlor; danach schlug sie sich mittels einer begrenzten Verständigung mit den Liberalen durch. Als Folge der Energiekrise kam es zu einem Anwachsen der Inflation und einer Vergrößerung des britischen Handelsdefizits. Politisch zu schwach, um die gegen die Gewerkschaftsopposition notwendigen harten Maßnahmen zu ergreifen, sah sich Labour schließlich gezwungen, diese Maßnahmen auf Anweisung des Internationalen Währungsfonds durchzuführen. Spaltungen innerhalb der Labour Party in der Frage der Europapolitik behinderten außerdem Initiativen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Die Regierung erzielte weder große Fortschritte bei der Reformierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, in der Großbritannien strukturell benachteiligt war, noch beim Ausbau des Regionalen Entwicklungsfonds, der zum Zeitpunkt des britischen Beitritts eingerichtet worden war, um die ungünstigen Folgen der Gemeinsamen Agrarpolitik teilweise auszugleichen.

In den Jahren 1978/79 litt Großbritannien sowohl unter einem weiteren Anstieg seines Zahlungsbilanzdefizits, als auch unter einer weiteren Erhöhung seines Nettobeitrags zum EG-Haushalt; gleichzeitig führte der Unterhalt der drittgrößten Streitmacht in Deutschland (nach der Bundesrepublik und den USA) und des zweitgrößten Marine-beitrags zur NATO (nach den USA) zu weiteren Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben und zu Problemen bei der Zahlungsbilanz.

Die Stimmung, die die britische Innen-und Außenpolitik Ende der siebziger Jahre umgab, war düster. Sir Nicholas Henderson sprach bei seinem Rücktritt als Botschafter in Paris Anfang 1979 in seiner Abschiedsnote, die der Economist einige Monate später veröffentlichte, von der lähmenden Wirkung innenpolitischer Unsicherheit und wirtschaftlicher Schwäche auf die britische Diplomatie. „Wir sind“, räumte er ein, „kaum in der gleichen wirtschaftlichen Situation wie Deutschland und Frankreich..., so daß wir heute nicht nur keine Weltmacht mehr sind, sondern daß wir auch als europäische Macht nicht auf dem ersten Platz stehen.“ Ein im Vorjahr erstellter Bericht über die Repräsentation im Ausland seitens der Regierung (Central Policy Review Staff: Review of Overseas Representation) ging 1978 von der rapiden Verschlechterung der wirtschaftlichen Position Großbritanniens im Vergleich zu anderen Ländern während der vergangenen zwanzig Jahre aus. „In der heutigen Welt werden Macht und Einfluß eines Landes im wesentlichen von seiner wirtschaftlichen Leistung bestimmt. Deshalb hat die Fähigkeit Großbritanniens, das Weltgeschehen zu beeinflussen, zwangsläufig nachgelassen, und diplomatische Aktivitäten und internationale Öffentlichkeitsarbeit sind kaum dazu in der Lage, diese Tatsache zu verschleiern.“

Die Europäische Gemeinschaft wurde 1979 von der französisch-deutschen Partnerschaft dominiert, personifiziert durch die enge Zusammenarbeit von Bundeskanzler Schmidt und Präsident Giscard d’Estaing. Lord Carrington, der Außenminister der Konservativen, war den kontinentaleuropäischen Regierungen zwar wohlbekannt. Doch seine Premierministerin, die in der vorherigen konservativen Regierung Bildungsministerin gewesen war, hatte keinerlei Erfahrungen mit dem „Europäischen Club“; und sie wurde bei den ersten Europarat-Sitzungen, an denen sie teilnahm, mit einer gewissen Geringschätzung von Giscard und Schmidt empfangen.

Doch es gab gewichtigere Gründe, das neue nationale Selbstbewußtsein Großbritanniens den europäischen Partnern gegenüber zu zeigen. Schließlich war Großbritannien seit sechs Jahren Mitglied der EG. Während dieser Zeit hatten sich die anderen EG-Regierungen seinen Bemühungen widersetzt, die Haushaltsbestimmungen zu ändern, und sich geweigert, die Ungerechtigkeit in der Position Großbritanniens anzuerkennen, das als einziges Land der Gemeinschaft neben Deutschland beträchtliche Nettobeiträge leistete. So überwies es beispielsweise beträchtliche Summen an Dänemark und die Niederlande, während es gleichzeitig pro Kopf mehr zur gemeinsamen Verteidigung beitrug als diese beiden reicheren Länder. Schwäche gegenüber den Gewerkschaften und gegenüber Brüssel wurden von der neuen Regierung als gemeinsame Charakteristika sowohl ihrer Labour-Vorgänger als auch der gescheiterten konservativen Regierung von Edward Heath bezeichnet; Entschlossenheit gegenüber beiden sollte das Kennzeichen der neuen Regierung sein.

Schwäche gegenüber der Sowjetunion und den Ländern des Commonwealth wurde ebenfalls als eine gemeinsame Eigenschaft der Regierungen Heath und Wilson/Callaghan bezeichnet. Seit Rhodesiens einseitiger Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1965 waren die Zusammenkünfte der Staatsoberhäupter des Commonwealth immer stärker von Diskussionen über Südafrika geprägt, von der Entschlossenheit anderer Regierungen, Druck auf Großbritannien auszuüben, seine Politik zu ändern und Sanktionen zu verhängen. Trotz einer Reihe von Kompromissen war es nicht gelungen, Großbritanniens Partner zufriedenzustellen. Hier entstand wieder der Eindruck, daß britische Minister -unter dem Druck von anderen Regierungen -Verteidigungspositionen bezogen oder sich geschlagen gaben. Rhetorisch trat das wiedererlangte britische Selbstbewußtsein hier ebenso kraftvoll auf wie im westeuropäischen Kontext. Thatcher legte bei ihrem ersten Treffen mit den Staatsoberhäuptern des Commonwealth Nachweise vor über den (beträchtlichen) Handel, den die indische Regierung und andere Staaten -trotz deren ausdrücklicher Befürwortung von Sanktionen -mit Südafrika trieben, und es folgte eine lebhafte Diskussion

Schwäche gegenüber der Sowjetunion wurde von denen, die Thatcher am nächsten standen, als gemeinsames Versagen nahezu aller britischen Verbündeten gesehen. Das Bemühen der Deutschen und Franzosen um eine Entspannung innerhalb Europas, trotz der sich mehrenden Beweise einer sowjetischen Expansionspolitik außerhalb Europas, wurde gleichgesetzt mit der Naivität der Carter-Administration in ihren Beziehungen zu Moskau und mit den Drehungen und Windungen der Carter-Politik bezüglich der Modernisierung der Nuklearwaffen in Europa. Hier bestanden gemeinsame Ansichten und enge Kontakte zwischen der neuen Rechten in Großbritannien und kritischen Gruppen wie dem Committee on the Present Danger in den USA, von dem viele Mitglieder ihre bisherige Loyalität zur Demokratischen Partei auf- gaben, um sich für die Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten einzusetzen.

Die Tendenz, in den USA nach Verbündeten zu suchen, wurde durch das Nichtvorhandensein gleichgesinnter Gruppen in Frankreich und Deutschland verstärkt -in Paris hatte der Perspektivenwechsel bezüglich der sowjetischen „Bedrohung“ erst in den späten siebziger Jahren begonnen. Doch es sei darauf hingewiesen, daß die Regierung Thatcher gegenüber den Ost-West-Beziehungen bereits lange vor der Wahl Ronald Reagans eine entschiedene Haltung eingenommen hatte, und daß die engen Beziehungen, die sich in den achtziger Jahren zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich entwickelten, weniger ausgeprägt gewesen wären, wenn die Demokraten im November 1980 wieder die Präsidentschaft errungen hätten.

III. Nationalismus und Liberalismus

1. Die Wirtschaftskonzeption des Thatcherismus Einen deutlichen Unterschied zwischen dem gaullistischen Ansatz und der Politik Thatchers gab es in der Frage des Wiederaufbaus der nationalen Wirtschaft und der Wiedererlangung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Für de Gaulle bestand kein Zweifel, daß der französische Staat eine aktive Rolle bei der Förderung des nationalen Wohlstands spielen müsse. Die neue Rechte in Großbritannien dagegen wollte den Staat ganz aus der Wirtschaft heraushalten.

Sowohl die Erfahrung als auch die Ideologie bestärkten sie darin. Die kollektivistischen Elemente der britischen Wirtschaftspolitik in den sechziger und siebziger Jahren hatten die Macht der Gewerkschaften gefestigt und die politische Aufmerksamkeit eher dahin gelenkt, schrumpfende Industriezweige zu unterstützen, anstatt das Wachstum neuer Unternehmen anzuregen. Friedrich von Hayek formulierte seine Kritik am Kollektivismus und am kollektivistischen Staat zum ersten Mal während des Kriegs in Großbritannien, und zwar in seinen Vorlesungen an der London School of Economics, in denen er die Thesen seines Buches Der Weg zur Knechtschaft entwickelte. Darin setzt er politische Freiheit mit einem freien Markt und kollektivistisches Wirtschaftsmanagement mit industrieller Kartellierung gleich.

Das einen ähnlichen Kurs vertretende Institute of Economic Affairs wurde 1957 von einer Gruppe von Wirtschaftsliberalen gegründet. Sie waren aus der Liberalen Partei ausgetreten, als die Parteiführung den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sie als eine protektionistische und interventionistische Organisation betrachteten, befürwortete. Während der gesamten sechziger Jahre polemisierte das Institut heftig gegen den Trend der Regierungspolitik, wobei es zu dem klassisch-liberalen Ansatz von Adam Smith zurückkehrte und sich gegen die staatsinterventionistische Nationalökonomie von J. M. Keynes wandte. Der transatlantische Einfluß der wirtschaftsliberalen Chicago School und der Anti-Interventionismus der amerikanischen Rechten waren ebenfalls ein starker Faktor bei der Gestaltung des radikalen Manifests, das die Konservativen in der Opposition zwischen 1974 und 1979 formulierten

Somit ist eine historische und logische Verbindung zwischen dem Engagement für die freie Marktwirtschaft und dem Widerstand gegen die europäische Integration zu erkennen. Der Gemeinsame Markt der EG wurde von Wirtschaftsliberalen von Anfang an als ein Versuch betrachtet, die Prinzipien des französischen Dirigismus in einem größeren Rahmen anzuwenden: mit einem protektionistischen Außenzolltarif, einem stark protektionistischen agrarwirtschaftlichen System, der Duldung von Regierungsinterventionen und dem kollektivistischen Stil von Konsultationen und „sozialer Partnerschaft“. Befürworter des Freihandels in Großbritannien, den USA, Kanada und Australien sahen in der EWG den Triumpf der Prinzipien Friedrich Lists über die von Adam Smith. In ihrer Begeisterung für die angelsächsische Freihandelsdoktrin versäumten sie aber, der amerikanischen oder australischen Handelspolitik eine ebenso kritische Aufmerksamkeit zu widmen wie der europäischen. Auf dem europäischen Kontinent gab es keine Einrichtung, die die britischen Volkswirtschaftler mit dem gleichen Respekt betrachteten, den sie Chicago, Harvard oder Stanford zollten. Das transatlantische Netzwerk zwischen Ökonomen, die als Berater von Regierungen und Banken fungierten und gleichzeitig wissenschaftliche Abhandlungen schrieben, hat vielen britischen Ökonomen zu sehr viel höherem Prestige und Einfluß in Washington verhülfen, als sie sich in Paris oder Frankfurt hätten erhoffen können, oder als den meisten französischen oder deutschen Ökonomen in Washington gewährt wurde. Die in den Ratschlägen von Volkswirtschaftlern an Regierungen enthaltenen politischen Grundannahmen und Präferenzen sind von diesem Netzwerk geprägt worden. 2. Das Fehlen einer internationalen Wirtschaftsstrategie Einer der bemerkenswertesten Aspekte der britischen Außenpolitik seit 1979 besteht darin, daß die neue Regierung ihre Tätigkeit ohne ein Gespür für Außenwirtschaftspolitik aufnahm. Der volkswirtschaftliche Aufschwung sollte ohne einen Bezug zur Politik anderer Regierungen verfolgt werden: Da freie Märkte besser funktionierten als gelenkte Volkswirtschaften, ging man davon aus, daß der internationale Markt die Veränderungen in der britischen Politik aufnehmen würde. Die Minister waren daher nicht vorbereitet auf den 30-prozentigen Anstieg beim Außenwert des Pfunds, der ein Ergebnis der von ihnen verordneten restriktiven innenpolitischen Maßnahmen und höheren Zinssätze im Jahr 1980 war.

Thatchers erster Handels-und Industrieminister war Sir Keith Joseph, ein sehr engagierter Verfechter einer marktorientierten Strategie. Er hatte eine führende Rolle dabei gespielt, Thatcher nach den Fehlschlägen von 1973/74 von der Richtigkeit dieser Strategie zu überzeugen. Als seine Beamten ihm die Struktur der deutschen Bundes-und Länderzuschüsse an die Industrie und das System von Verwaltungsmaßnahmen, das in Deutschland den öffentlichen Bereich vor Konkurrenz aus dem Ausland schützt, zu erklären versuchten, wollte er ihnen zunächst nicht glauben. Hatten doch deutsche Minister ihm gegenüber oft erklärt, wie sehr sie Marktwirtschaft unterstützten und Protektionismus ablehnten, und er fand es schwierig, das Balancieren zwischen verschiedenen Prinzipien, für das die deutsche Wirtschaftspolitik -ebenso wie die französische, niederländische und japanische -in der Praxis steht, zu verstehen.

So bestand von Anfang an ein grundlegender Widerspruch im außenpolitischen Ansatz der Konservativen. In der Verteidigung, der Diplomatie und den anderen Bereichen traditioneller Außenpolitik, wie zum Beispiel dem Schutz der Staatsgrenzen und der Kontrolle von einreisenden Besuchern und Einwanderern, traten sie für einen starken Staat ein: Sie agierten unabhängig auf der internationalen Bühne, indem sie Großbritanniens nationale Interessen gegen ausländische Regierungen und deren Bürger energisch verteidigten. In wirtschaftlichen, finanziellen und handelspolitischen Angelegenheiten wollten sie den Staat jedoch soweit wie möglich aus der internationalen Wirtschaft heraushalten. Im Verteidigungsbereich, vor allem bei den Ost-West-Abrüstungsgesprächen, bestanden sie auf harten und multilateralen Verhandlungen und auf strikter Gegenseitigkeit der Zugeständnisse. Im wirtschaftlichen Bereich gaben sie sich zunächst damit zufrieden, einseitig zu handeln, da sie glaubten, daß diejenigen, die nicht darauf eingingen, nur ihrer eigenen Wirtschaft schadeten, wenn sie Protektion und Subventionen aufrechterhielten

Der Streit mit den anderen Regierungen in der Europäischen Gemeinschaft über den EG-Haushalt und die europäische Agrarpolitik stand verständlicherweise in keinem Widerspruch zu diesem strikten Laisser-faire-Ansatz. Eine Regierung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die öffentlichen Ausgaben in Großbritannien einzuschränken, protestierte natürlich dagegen, jährlich steigende Summen zu zahlen, um die öffentlichen Ausgaben anderer Regierungen zu stützen; Minister, die Subventionen für die Industrie in Großbritannien ablehnend gegenüberstanden, lehnten erst recht Subventionen für die Landwirtschaft auf dem Kontinent ab.

Das Europäische Währungssystem erschien wie ein weiterer Versuch, das Funktionieren von offenen Märkten durch die schwerfälligen Mechanismen von Regierungsinterventionen zu behindern. Flexible Wechselkurse -so wurde behauptet -würden divergierenden wirtschaftspolitischen Praktiken auf den internationalen Märkten eher die Spannung nehmen als komplizierte Verhandlungen von Regierungen untereinander, um Konvergenz zu fördern und die Steuer-und Finanzpolitik der verschiedenen Länder in den Griff zu bekommen. Auch hierbei hat die Tatsache, daß Amerika eine ähnliche Devisenpolitik verfolgte, den britischen Regierungen -besonders im ersten Erfolgsrausch der Reagan-Administration, später jedoch immer seltener -zusätzliches Vertrauen in die Richtigkeit ihres Ansatzes gegeben. 3. Konturen britischer Außenwirtschaftspolitik Aus den Erfahrungen der Regierung kristallisierte sich jedoch allmählich eine Außenwirtschaftspoli-tik heraus. Eine übermäßig rasche Fluktuation der Wechselkurse führte zu sehr großer Unsicherheit in der britischen Wirtschaft. Deshalb begann die Regierung von 1983 an, ihre Devisenpolitik stärker mit den anderen Regierungen und Zentralbanken abzustimmen. Ende der achtziger Jahre schlossen sich die britischen Minister sogar der Kritik ihrer europäischen Partner an der Laisser-faire-Politik der US-Administfation bezüglich der Wechselkurse an. Die Aufhebung von Schranken zur Öffnung von Märkten innerhalb Großbritanniens erwies sich für britische Unternehmer ohne die zusätzlichen Anreize, die offene Exportmärkte böten, als unzureichend.

Während sich die britische Wirtschaft von der starken Rezession der Jahre 1981/82 erholte und das Vertrauen der Regierung auf eine wirtschaftliche Wiederbelebung wuchs, verlagerten sich die Bemühungen um eine Lockerung einschränkender Bestimmungen auf die europäische und die globale Ebene. Die Realisierung des EG-Binnenmarktes wurde zum ersten Mal als vordringliche Priorität der britischen Regierung in bezug auf die EG in dem Dokument „Europe -the Future“ hervorgehoben, das Thatcher beim Gipfeltreffen in Fontainebleau im Juni 1984, wo endlich der Streit um den EG-Haushalt offiziell beigelegt wurde an die anderen Staatsoberhäupter verteilte. Beobachter in Brüssel, Bonn und Paris reagierten beunruhigt auf die Berufung von Lord Cockfield, einem der engsten Vertrauten Thatchers im Kabinett, in die Kommission und in den Geschäftsbereich für den Binnenmarkt. Sie befürchteten, daß er die britische „Obstruktionspolitik“ in die Brüsseler Entscheidungsprozesse hineintragen würde, und sie verstanden die Ernsthaftigkeit des Engagements für Wettbewerb und freie Märkte, das er und seine Kollegen zeigten, nicht.

Die Nichteinmischungspolitik hatte jedoch ihre Grenzen. Als sie entdeckten, wie aktiv manche Regierungen ihre eigenen Firmen bei deren Geschäften mit anderen Regierungen unterstützten, veranlaßte das selbst überzeugte Wirtschaftsliberale dazu, beim Aushandeln von Auslandsverträgen und Inlandsinvestitionen massiv Einfluß zu nehmen. Bei einer Reihe von Besuchen im Mittleren Osten intervenierte Thatcher selbst bei ihren Gastgebern zugunsten von britischen Lieferfirmen, Herstellern von Krankenhauseinrichtungen und Waffenlieferanten. Einmal rief sie sogar persönlich Präsident Reagan an, um (erfolglos) zu versuchen, eine Entscheidung des US-Verteidigungsministeriums zugunsten des französischen militärischen Nachrichtensystems „Ptarmigan“ gegen dessen britischen Konkurrenten umzukehren. Sie bemühte sich sehr darum, japanische Investitionen nach Großbritannien zu holen und traf bei verschiedenen Gelegenheiten in London und Tokio mit dem Chef von Nissan zusammen; kurz vor ihrem Rücktritt (am 28. November 1990) forderte sie ihren japanischen Amtskollegen auf, Druck auf die japanischen Banken auszuüben, ihren vollen Anteil an der zusätzlichen Finanzierung, die zur Fertigstellung des Kanaltunnels erforderlich sei, zu übernehmen. Die britische Offenheit für japanische Investitionen als Teil einer aktiven Außenpolitik gegenüber Japan gehörte zu den Punkten, die britische Minister während der letzten Jahre von ihren europäischen Partnern trennten. Französische, italienische und in geringerem Maße auch deutsche Minister haben Japan stets als eine ausländische wirtschaftliche Bedrohung angesehen, der es sich zu stellen galt, und nicht als eine Chance, die man ausnutzen könnte. Für die britische Regierung, die ein nationalistisches Bemühen, keine ausländischen Investitionen ins Land zu lassen, entschieden als merkantilistisch ablehnte, wurde der Demonstrationseffekt, den japanisches Management und japanische Produktionsweise in Großbritannien darstellten, zu einem Hauptaspekt in ihrer Strategie, die Volkswirtschaft durch marktwirtschaftliche Mittel wiederzubeleben. So nahmen britische Gewerkschaften bei Verhandlungen mit japanischen Unternehmern Bedingungen an, gegen die sie sich seit Generationen gegenüber britischen Firmen gewehrt hatten, und britische Manager fingen an, die Techniken -und die Arbeitszeiten -ihrer neuen japanischen Konkurrenten zu übernehmen.

Wo schwedische, schweizerische, deutsche und amerikanische Firmen das benötigte neue Kapital und die benötigte Technologie einführen konnten, waren sie ebenso willkommen. Doch eine Regierung, die Forderungen als chauvinistisch zurückwies, daß britische Unternehmen vor einer Schweizer Übernahme geschützt werden sollten (zu dem Zeitpunkt, als Nestl ein Angebot für Rowntree machte, bei dem sich die Regierung dem starken Druck, einzuschreiten, widersetzte), sah keinen Grund, weshalb sie französische, italienische oder deutsche Firmen amerikanischen oder japanischen vorziehen sollte, zumal viele dieser Firmen sich entweder in Staatsbesitz befinden oder subventioniert werden und die nationalen Märkte dort weiterhin nur teilweise für britische Exporte und Dienstleistungen geöffnet sind. Britische Minister gingen in den achtziger Jahren von dieser einseitigen Politik zu hartem Verhandeln in ihren Beziehungen zu Japan über, und zwar überall da, wo sie spezielle Vorteile für Großbritannien auf dem japanischen Markt und wirksame Möglichkeiten sahen, Druck auszuüben. Die Bank of England zögerte es diskret hinaus, japanischen Finanzhäusern in London volle finanzielle Freizügigkeit im Bankwesen zu gewähren, solange Verhandlungen über den britischen Zugang zur Börse in Tokio im Gange waren; Diskussionen über Finanz-und Versicherungsdienstleistungen wurden auf Minister-und sogar auf Premierministerebene geführt. Arabische Investoren mußten feststellen, daß London nicht in jeder Hinsicht ein vollkommen offener Markt ist. Als die Privatisierung der verbleibenden Regierungsanteile an BP 1987 vom Zusammenbruch der Börsenmärkte überrascht wurde und das Kuwait Investment Office sich als bedeutendster Aktionär herausstellte, führten diskrete Verhandlungen dazu, daß die Kuwaitis die politische Notwendigkeit einsahen, einige ihrer Anteile wieder zu verkaufen. 4. Ökonomische Prinzipien und die Erfordernisse praktischer Politik Die größte Kluft zwischen Prinzip und Praxis bestand seit Mitte der achtziger Jahre in der Frage der Beziehung zwischen dem Pfund und dem Europäischem Währungssystem. Das Prinzip -geprägt durch das politische Mißtrauen vieler rechtsgerichteter Volkswirtschaftler gegenüber der Europäischen Gemeinschaft, dem französischen und italienischen Kollektivismus und der deutschen Ambivalenz in bezug auf offene Märkte -verlangte ein ständiges Schwanken der Wechselkurse, wobei man annahm, daß die Märkte dem Pfund erlauben würden, seine „realistische“ Höhe zu finden. Die Praxis -verstärkt durch die zunehmende Integration britischer Produktion und Dienstleistungen in den europäischen Kontinent im Rahmen des Europäischen Binnenmarktes -erkannte die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Nicht-Mitgliedschaft und den Widerspruch zwischen einem Engagement für offene internationale Märkte und der entschlossenen Verteidigung nationalstaatlicher Souveränität über das eigene Geld.

Wie de Gaulle war die Thatcher-Regierung zu Anfang entschlossen, die „hohe Politik“ der Verteidigung und politischen Diplomatie von der „niederen Politik“ des Handels und der wirtschaftlichen Beziehungen zu trennen. Wie de Gaulle mußte sie feststellen, wie schwer es ist, eine klare Grenze zwischen beiden zu ziehen. Sie stellte ebenfalls. fest, daß es trotz ihrer Bemühung, die Regierung aus der Marktpolitik herauszuhalten, Bereiche wirtschaftlicher Aktivität gab, in denen nationaler Stolz und nationale Identität anscheinend doch auf dem Spiel standen. Es war letztlich irrational, daß eine Regierung, die erlaubt hatte, daß alle Autohersteller in Großbritannien unter ausländische Kontrolle fielen, und die soweit gekommen war, ihre Hoffnung auf Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zum großen Teil auf den Erfolg japanischer Firmen in Großbritannien zu stützen, auf der Unabhängigkeit ihrer Währung eisern bestand. Während Thatcher und eine Minderheit innerhalb ihrer Partei sich an die Symbolik des Pfund-Sterling klammerten, erkannte die Mehrheit ihrer Minister die Logik -und die praktischen Vorteile -einer engeren europäischen Zusammenarbeit auf dem Währungsgebiet. In dem Maße, wie sich die Rhetorik der Premierministerin von den realen wirtschaftlichen Interessen entfernte, verlor sie an Einfluß in ihrem Kabinett, um schließlich ihr Amt wegen einer wirtschaftlichen Streitfrage zu verlieren, die zum entscheidenden Test sowohl für die Außenais auch für die Innenpolitik geworden war.

IV. Nationale Anpassung und internationale Zwänge

1. Großbritanniens internationale Rolle Der Falkland-Krieg im Jahre 1982, der so viel zum Bild von Großbritanniens Rückkehr als selbstbewußtem Akteur in der internationalen Politik beitrug und -trotz der durch die Rezession in den Jahren 1980/81 ausgelösten massiven Arbeitslosigkeit -die Wiederwahl der Regierung Thatcher sicherstellte, war nicht Neubeginn britischer Außen-und Verteidigungspolitik, sondern ein historischer Zufall. Er wurde großartig inszeniert von einer Premierministerin, die sich der Lage voll gewachsen zeigte, und großartig geführt von einem kleinen Teil der Streitkräfte des Landes. Er hinterließ den Eindruck, daß Großbritannien mit seiner langanhaltenden Rückzugspölitik aus dem Empire gebrochen hätte. In Wirklichkeit ging dieser Rückzug jedoch weiter. Die Logik, die als erstes die Regierung Macmillan dazu veranlaßt hatte, den Entkolonialisierungsprozeß zu beschleunigen und sich um den Beitritt zur EWG zu bewerben (1962), die dann die erste Regierung Wilson dazu trieb, ihre Truppen aus dem Gebiet östlich von Suez zurückzuziehen und einen zweiten Antrag an die Europäischen Gemeinschaften (1967) zu stellen, und die schließlich die Regierung Heath bewog, sich ein drittes Mal, und zwar erfolgreich, zu bewerben (Beitritt zur EG am 22. Januar 1972), hat ihrerseits die Regierung Thatcher immer weiter von Großbritanniens alter transatlantischer und globaler Rolle weggeführt, hin zu einem immer stärkeren europäischen Engagement.

Die Wiederbehauptung der britischen Interessen gegenüber dem Commonwealth begann mit Verhandlungen über eine Beilegung des Konflikts in Rhodesien, bei dem die britischen Konservativen die von Bischof Muzorewa geführte Bewegung gegen die marxistischen und von der Sowjetunion unterstützten Rebellen von Joshua Nkomo und Robert Mugabe stark unterstützten. Trotz ihres ursprünglichen Widerstands ließ sich Thatcher von Lord Carrington überzeugen, Wahlen unter für die rebellierenden Gruppen annehmbaren Bedingungen zuzustimmen; man ging davon aus, daß gemäßigte, Bischof Muzorewa positiv gesonnene Vertreter sehr wahrscheinlich die Sieger wären. Das Ergebnis war ein klarer Sieg für Mugabe; der britischen Regierung blieb nichts anderes übrig, als dieses Ergebnis zu akzeptieren. Thatcher entwikkelte später sogar eine relativ freundliche Beziehung zu Mugabe wie auch zu den Präsidenten des erklärtermaßen marxistischen Mosambik

Der rechte Flügel der Konservativen verlagerte danach seine Hoffnungen auf Südafrika und drängte auf eine freundlichere Politik dem weißen Regime gegenüber. Doch die britischen Interessen in Schwarzafrika (mit dem der Handel erheblich umfangreicher war als mit Südafrika) strebten in die entgegengesetzte Richtung. Letztlich war dies jedoch eine zu unwichtige Angelegenheit, als daß die britische Regierung Zeit und internationales Prestige darauf verwandt hätte, gleichzeitig jedoch auch ein zu umfassendes Problem, als daß Großbritannien allein in der Lage gewesen wäre, bedeutenden Einfluß auszuüben. Thatcher hatte ihre Hoffnung, bald nach der Wahl von 1987 eine außenpolitische Initiative mit einem Besuch in Südafrika zu starten, deutlich zum Ausdruck gebracht; sie trat jedoch zurück, ohne daß sie dazu Gelegenheit gefunden hätte. 2. öffentliche Ausgaben und Verteidigungspolitik Die Kürzung der öffentlichen Ausgaben war eines der Hauptziele der Wirtschaftsliberalen. Der Verteidigungsbereich, für den das Vereinigte Königreich während der vergangenen 30 Jahre einen größeren Anteil seines Bruttosozialprodukts ausgegeben hatte als alle anderen Mitglieder der westlichen Allianz (mit Ausnahme der USA und Griechenlands), konnte bei der Suche nach Einsparungsmöglichkeiten nicht gänzlich ausgeklammert bleiben. Als sich der erste Verteidigungsminister der Konservativen (Francis Pym) als zu aufgeschlossen militärischen Interessen gegenüber erwies, ersetzte Thatcher ihn durch John Nott, mit der Auflage, eine komplette Bestandsaufnahme durchzuführen und dabei auch feste Verpflichtungen nicht auszusparen. Die Stützpunkte östlich von Suez waren bereits aufgelöst Worden; die Verpflichtung gegenüber Deutschland und der mitteleuropäischen „central front“ wurde als zu wichtig für die politischen Interessen Großbritanniens erachtet -trotz der Argumente einiger „Anti-Europäer“, daß die Deutschen mit französischer Hilfe ganz gut in der Lage sein sollten, sich selbst zu verteidigen. Die Kürzungen mußten deshalb die Marine treffen. Im Winter 1981/82 wurde angekündigt, daß das einzige Schiff, das zum Schutz der Falkland-Inseln eingesetzt war, als notwendige Sparmaßnahme verschrottet werden sollte. Die Argentinier mißdeuteten diese Ankündigung in dem Sinne, daß Großbritannien die Inseln nicht länger zu verteidigen beabsichtigte. Der dadurch ausgelöste Konflikt machte die beabsichtigten Kürzungen im Verteidigungsbereich zunichte und „rettete“ die Flugzeugträger und Fregatten, ohne die der Krieg nicht hätte gewonnen werden können

Eine erneute offizielle Revision des Verteidigungsbereichs wurde danach eine politisch unerwünschte Option. Bemühungen um eine Beschränkung der Verteidigungsausgaben wurden jedoch fortgesetzt, insbesondere indem man die Kosten für die Einrichtung und Unterhaltung von eigenständigen und kostspieligen nationalen Produktionsstätten reduzierte. Europäische und amerikanische Partner wurden für größere Waffensysteme und gelegentlich auch für größere Firmen gesucht. Michael Heseltine, der 1983 ins Verteidigungsministerium versetzt worden war, um dort die strengen Managementprinzipien, die er während seiner Zeit im Handels-und Industrieministerium entwickelt hatte, anzuwenden, wurde ein entschlossener Verfechter einer engeren europäischen Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Beschaffung militäri-scher Güter, sowohl aus ökonomischen Erwägungen als auch im Interesse der Politik. Die Weigerung seiner Premierministerin, seine Empfehlung anzunehmen, Westland Helicopters an ein europäisches statt an ein amerikanisches Konsortium zu verkaufen, führte 1986 zu seinem Rücktritt. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie wirtschaftliche Entscheidungen und Verteidigungsbelange unvermeidlich verknüpft waren mit den politischen Präferenzen zwischen Großbritanniens langfristigem Engagement für europäische Zusammenarbeit und den weiterhin bestehenden transatlantischen Bindungen.

Hongkong ist wie die Falkland-Inseln einer der Überreste des Empire, der Großbritannien weiterhin globale Verantwortlichkeiten gibt. Der auf 99 Jahre befristete Pachtvertrag für den größeren Teil der Gebiete wird 1997 auslaufen. Als in der Folge des Faikland-Konflikts die britische Premierministerin Verhandlungen mit Peking über den Übergang von britischer zurück zu chinesischer Herrschaft eröffnete, gab es gewisse Anzeichen dafür, daß die neue Haltung der Stärke auch hierbei deutlich werden würde. Doch die unmittelbare chinesische Mißbilligung einer Pressekonferenz, die Thatcher Ende 1982 bei ihrer Rückkehr von einem Besuch in Peking in Hongkong gab, veranlaßte die britische Regierung, einen anderen Ton anzuschlagen. Das 1984 unterzeichnete Abkommen bedeutete einige erhebliche Konzessionen der Briten im Hinblick auf die Übergangsphase Douglas Hurds Besuch in Hongkong und Peking im April 1991 kennzeichnete lediglich das jüngste Stadium in einem heiklen Prozeß, der sich bis zur endgültigen Übergabe fortsetzen wird, und in dem den britischen Ministern schmerzlich bewußt ist, daß sie aus einer Position der Schwäche mit einer oft unnachgiebigen Gegenpartei verhandeln.

3. Großbritannien und die Ost-West-Beziehungen Die Ost-West-Beziehungen sind jedoch der Bereich, in dem britische Regierungen in den achtziger Jahren die herausragendste Rolle auf der Welt-bühne gespielt haben, nämlich zwischen Washington und Moskau. Die neuerliche Betonung einer besonderen Beziehung zwischen London und Washington zu dem Zeitpunkt, als Präsident Reagan sein Amt antrat, war ebenso ein Ausdruck von ideologischer Affinität wie von angelsächsischer Gemeinsamkeit. Die Regierung Thatcher hatte schon seit zweieinhalb Jahren die Prinzipien, zu denen sich die neue Reagan-Administration bekannte, in die Praxis umgesetzt. Es gab bereits viele persönliche Verbindungen zwischen den Beratern beider Seiten, die durch die Reagan-Administration noch erweitert und vertieft wurden. Der Zufall des Falkland-Krieges, in dem die nachrichtendienstliche und militärische Unterstützung durch die Amerikaner einen wichtigen Beitrag leistete, festigte die Beziehung noch stärker.

Doch die beiden Regierungen befanden sich nicht überall in ideologischem Einklang. Thatcher, die bei ihrem Amtsantritt von den grundsätzlich expansionistischen Zielen des Kommunismus und von der Notwendigkeit überzeugt war, daß der Westen eine stärkere Verteidigung aufrechterhalten müsse, hatte ihre Ansichten zum Zeitpunkt von Reagans Amtsantritt (Januar 1981) nach heftigen Diskussionen innerhalb der Regierung und kaum weniger heftigen Auseinandersetzungen mit anderen westeuropäischen Regierungen etwas modifiziert.

Die britische Aufrüstung hatte sich, fast noch ehe die Reagansche begann, bereits verlangsamt.

Als die „Krieg der Steme“ -Initiative (SDI)

die Phantasie des Weißen Hauses fesselte, bestand • Thatcher im Namen der britischen und anderer europäischer Regierungen auf der Einfügung einiger Sicherheitsklauseln bezüglich der Entwicklung dieses Projekts und seines Einsatzes. Kurz vor Breschnews Tod im Jahre 1984 lud die britische Regierung einen seiner wahrscheinlichsten Nachfolger nach London ein. Am Ende eines erfolgreichen Besuchs verkündete die Premierministerin:

„Ich mag Mr. Gorbatschow; wir können miteinander Geschäfte machen.“

Personenbezogene Diplomatie, von einem gut funktionierenden diplomatischen Apparat gestützt, ließ der britischen Regierung unter Margaret Thatcher eine bedeutende Rolle zukommen in dem Bemühen, die amerikanische Haltung gegenüber der Sowjetunion zu mäßigen und zwischen 1985 und 1987 eine Beziehung zwischen Gorbatschows politischer Mannschaft und den westlichen Verbündeten herzustellen. Großbritannien verhielt sich wieder wie eine Weltmacht, anscheinend gestützt durch eine erstaunlich gesunde inländische Wirtschaft, als der Aufschwung in den Jahren 1986/87 einsetzte. Personenbezogene Diplomatie ist jedoch die zerbrechlichste Basis für die Außenpolitik eines Landes. Reagans Amtszeit war zu Ende gegangen, und die ab Januar 1989 amtierende Bush-Administration gab sich große Mühe, zu betonen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihr engster und wichtigster europäischer Verbündeter sei, und setzte sich damit von ihrer Vorgängerin ab. Gorbatschow nahm gute Beziehungen zu anderen Regierungen auf und rückte damit die besondere Qualität seiner frühen Beziehungen zu Großbritannien aus dem Zentrum seiner Westpolitik. Dennoch erfreute sich Thatcher persönlich Ende der achtziger Jahre eines äußerst hohen internationalen Ansehens, was auch den Respekt, mit dem Vertreter anderer Regierungen Repräsentanten der britischen Regierung behandelten, erhöhte. Doch es liegt in der Natur der Dinge, daß ein solches persönliches Prestige nicht ohne weiteres auf den Nachfolger übergeht.

V. Die Kontinuität der britischen Politik

Im Bereich der Außenpolitik ist die Regierung Major, die Ende 1990 ihr Amt antrat, die natürliche Nachfolgerin der Regierung Thatcher: Sie verfolgt die gleichen langfristigen Interessen, jedoch ohne die verwirrende und mittlerweile kontraproduktive Rhetorik und die nostalgischen Ankläge an die anglo-amerikanische Partnerschaft und den Zweiten Weltkrieg. Ähnlich wie Pompidou nach de Gaulle muß Major darauf bedacht sein, die ideologischen Thatcheristen innerhalb der Konservativen, die sich darum bemühen, den anti-europäischen Geist aufrechtzuerhalten, nicht zu offen zu kränken. Doch wie Pompidou findet auch er bei • vielen Pragmatikern innerhalb der Regierungsmannschaft Unterstützung, die die der wirtschaftlichen Integration zugrunde liegende Logik und die Folgen, die das Ende des Kalten Krieges mit sich bringt, erkennen. Die überwältigende Mehrheit in Thatchers Kabinett befürwortete die Eingliederung des Pfunds in die Wechselkursmechanismen des Europäischen Währungssystems. Mit dem Ausscheiden der älteren Generation befindet sich die Konservative Partei nun in den Händen einer Gruppe, für die das europäische Engagement normal und die Beziehung zu den USA wichtig, aber nicht von besonderer Vorrangigkeit ist.

Eine der Regierung Thatcher am meisten entsprechende Hinterlassenschaft wird der Kanaltunnel sein, dessen Bau die Premierministerin mit der ihr eigenen Energie und dem für sie typischen Vertrauen auf privates Investitionskapital aus Großbritannien, dem europäischen Festland und Japan vorangetrieben hat. Er ist gleichermaßen ein Beweis für die Stärke des Wirtschaftsliberalismus, ein Symbol für Großbritanniens Entschlossenheit, sein Schicksal enger mit dem übrigen Europa zu verknüpfen, und ein Mittel, durch das diese Verknüpfung weiter gestärkt wird.

Eine weitere Hinterlassenschaft wird das Vertrauen in den Einsatz militärischer Gewalt für begrenzte Ziele sein, wie auf den Falklands und dann wieder am Golf bewiesen wurde. Die leichten Verschiebungen in der britischen -und auch der französischen -Diplomatie und Verteidigungspolitik im Verlauf der Kuwait-Krise und ihres irakischen und kurdischen Nachspiels lassen jedoch die Richtung der post-gaullistischen Politik in beiden post-imperialen Mächten Westeuropas erkennen: Beide haben ihre unterschiedlichen, zwanghaften Vorstellungen bezüglich der transatlantischen Beziehung verloren, beide fordern ihre westeuropäischen Partner dazu auf, mit ihnen zusammen eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu definieren, die ebenso stark ist, wie die jeweilige nationale Außen-und Verteidigungspolitik, die sie bisher verfolgt haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. William Wallace, Foreign Policy and National Identity in the United Kingdom, in: International Affairs, (1991) 1.

  2. Vgl. David Butler/Dennis Kavanagh, The British General Election of February 1974, London 1974, Kap. 12.

  3. Economist vom 2. Juni 1979.

  4. Cabinet Office, Review of Overseas Representation, London 1978, S. ix.

  5. Vgl. Dennis Austin, The Commonwealth and Britain, London 1988, S. 28-30.

  6. Vgl. Dennis Kavanagh, Thatcherism and British Politics, Oxford 1987, Kap. 4.

  7. William Wallace/Helen Wallace, Strong State or Weak State in Foreign Policy: the Contradictions of Conservative Liberalism, in: Public Administration, (1990) Spring, S. 83-100.

  8. Nachdruck in: Journal of Common Market Studies, (1984) September.

  9. Vgl. Peter Lyon, Britain must leam the real lessons of the Rhodesian example, in: The Listener vom 7. August 1986.

  10. Vgl. Lord Franks, Falkland Islands Review: report of a Committee of Privy Councillors, London 1983, S. 19; Lawrence Freedman and others, Falklands Retrospective, in: International Affairs, (1983) Summer.

  11. Vgl. Hugo Young, One of Us, London 1989, S. 395-397.

  12. Zit. nach ebd., S. 393.

Weitere Inhalte

William Wallace, Dr. phil., geb. 1941; Walter F. Hallstein Fellow für Europäische Studien am St. Antony’s College, Oxford; vorher Director of Studies beim Royal Institute of International Affairs in London. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Christopher Tugendhat) Options for British Foreign Policy in the 1990s, London 1988; The Transformation of Western Europe, London 1990.