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Politische Bildung in ökologischer und sozialer Verantwortung. Didaktische Aspekte der Technologiefolgenabschätzung | APuZ 43/1991 | bpb.de

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APuZ 43/1991 Von staatlicher Technikfolgenabschätzung zu gesellschaftlicher Techniksteuerung Technikfolgenabschätzung zwischen Parlament und Regierung Einstellungen zur Technik. Gibt es eine Technikfeindschaft unter Jugendlichen? Politische Bildung in ökologischer und sozialer Verantwortung. Didaktische Aspekte der Technologiefolgenabschätzung

Politische Bildung in ökologischer und sozialer Verantwortung. Didaktische Aspekte der Technologiefolgenabschätzung

Bernhard Claußen

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Erst seit wenigen Jahren ist Technologiefolgenabschätzung eine politische Aufgabe. Ihr ist eine Reihe pädagogischer Momente zu eigen, die bislang nur wenig reflektiert wurden. Vor allem werden dadurch auch Belange der politischen Bildung und ihrer Didaktik berührt. Technologiefolgenabschätzung gehört zu den wichtigen Innovationen des politischen Systems und der Politikwissenschaft. Sie hat als Praxis aber ebenso wie die Mehrzahl der dazu vorliegenden fachwissenschaftlichen Studien nur selten unmittelbar aufzeigende Bedeutung über Expertengremien und politisch-administrative Anwender hinaus. Didaktischer Umgangsweise obliegt die Ermittlung der Bildungsrelevanz für die Aufklärung der Betroffenen in der allgemeinen Öffentlichkeit. Nur dadurch lassen sich die Voraussetzungen, Bedingungen, Elemente und Konsequenzen der Technologiefolgenabschätzung demokratisch vermitteln und zur Disposition stellen. Selbst wichtiges Instrument zur politischen Bewältigung der ökologischen Krise, hat die Technologiefolgenabschätzung thematischen Eigenwert; sie bezeichnet zugleich ein exemplarisches Politikfeld für die Erarbeitung grundlegender Einsichten über Politik. Als verständigungsorientierte Kommunikation im verantwortungs-statt gesinnungsethischen Diskurs kann politische Bildung auf der Grundlage von Analysen einen mittelbaren Beitrag zur Technologiefolgenabschätzung leisten. In der Problematik stecken jedoch auch Aufgaben, die über eine Beschäftigung mit der Technologiefolgenabschätzung hinausweisen. Das gilt vor allem für die Bewältigung von Folgeproblemen und die Erarbeitung einer verallgemeinerungsfähigen Ethik unter Gesichtspunkten der Sozial-und Umwelt-verträglichkeit. Besondere Bedeutung kommt der politischen Bildung der Verantwortlichen in Bereichen von Technik und Technologie zu.

I. Technologiefolgenabschätzung als politische und pädagogische Aufgabe

Seit ihrem Beginn ist die Technologieentwicklung mit Fragen der Abschätzung von Folgen verknüpft. Allerdings waren diese zunächst und während eines langen Zeitraumes ziemlich undifferenziert, wenig systematisch und überwiegend zweck-rational: -In ihrem Mittelpunkt stand zumeist marktökonomisches Kalkül (unternehmerische Kosten-Nutzen-Erwägungen unter Profitabilitäts-und Rentabilitätsgesichtspunkten). -Zumeist erfolgte sie bloß punktuell und wenig koordiniert (freiwillige, beliebige und individuelle Analysen strategischen und taktischen Zu-schnitts). -Im allgemeinen lag ihnen eine nur geringe Zahl von Maßstäben zugrunde (Orientierung an Durchsetzbarkeit, Herstellung von Akzeptanz, gedanklicher Vorgriff auf die weitere Entwicklung). Zweierlei war für diese Abschätzung von Folgen überdies kennzeichnend: Erstens war sie auf einzelne Techniken oder Techniksegmente eher konzentriert als auf deren Zusammenwirken in einem technologischen Beziehungsgeflecht. Zweitens betrachtete sie Technologie mehr idealisierend nebulös und mystisch verklärt denn als empirisch dingfest zu machenden Wirkzusammenhang und als Materialisierung von Interessenlagen, gesellschaftlichen Strukturen und Herrschaftsansprüchen. Die Abschätzung von Folgen blieb damit vorwiegend immanent; d. h. zu einer grundlegenden Problematisierung von Technik und Technologie drang sie nicht vor. Dazu paßt, daß sie in erster Linie eine Art Privatangelegenheit war, während die Politik allenfalls den Rahmen für eine nahezu ungehemmte Technologieentwicklung garantierte.

Ein keineswegs geringes Maß an Rationalität läßt sich all dem durchaus nicht absprechen. Doch es war eben jene halbierte und instrumentelle Rationalität, die bis in die Gegenwart hinein bestimmend ist für den Verlauf der Moderne Zu ihr gehört auch jener bis noch vor wenigen Jahrzehnten weitgehend uneingeschränkte Konsens, nach dem unversehens „technischer und gesellschaftlicher Fortschritt ineinsgesetzt" werden Der lange schon auf der Grundlage desselben Zivilisationsmodells ruhenden Konvergenz zwischen westlichen kapitalistischen und östlichen real-sozialistischen Gesellschaften ist es zuzuschreiben, daß auch bei weniger entfalteter Industrialisierung eine Identität von technischem und gesellschaftlichem Fortschritt behauptet wurde und etwaige Negativ-folgen der technologischen Entwicklung, sofern überhaupt abgeschätzt, mit ideologischer Begründung der jeweils anderen Seite angelastet wurden

Seit gut zwei Jahrzehnten indes trifft allmählich für die allgemeine Öffentlichkeit zu, was bis dahin entweder gar nicht oder nur vereinzelt oder in elitären bzw. gesellschaftlich marginalisierten Teilöffentlichkeiten Gegenstand kritischer Technologiebetrachtungen war „Zunehmende Umwelt-schäden, technische Katastrophen und Auswirkungen der Technik auf Arbeit und Lebenswelt haben die Ambivalenz des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts ... bewußt gemacht; die Technikakzeptanz nimmt ab, die Skepsis gegenüber technischem Fortschritt nimmt zu bis hin zu einer Ablehnung, zumal in Teilen der Jugend.“

Dieser -vordergründig wie eine Umkehrung ehemaliger Verhältnisse aussehende -Prozeß gehört zu den Charakteristika jenes Wertewandels, der seit einigen Jahrzehnten zu gravierenden kulturel- len Umbrüchen führt. Tatsächlich verläuft er quer zu den traditionellen klassenbezogenen Trennungslinien in Gesellschaft und Politik Seine Hintergründe, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann hat er nicht zuletzt in den allgemeinen und besonderen objektiven wie subjektiven Lebensumständen im Gefolge des rasanten technologischen Wandels der jüngsten Vergangenheit. Im Zuge all dessen ist somit „die Frage nach der Möglichkeit und nach den Wirkungen neuer Technologien ... zu einer politischen geworden. Politiker entscheiden über Forschungs-und Förderungsprogramme, über Genehmigungen und über Bestimmungen für den Umweltschutz" Es nimmt nicht wunder, daß der Begriff der Technologiefolgenabschätzung erst in diesem Kontext im eigentlichen Sinne Verwendung zu finden beginnt und erst der jüngeren Fachterminologie der Politikwissenschaft angehört

Politikum ist Technologiefolgenabschätzung freilich nicht bloß im formalen Sinne, weil Politiker über sie befinden und sich ihrer bedienen. Sie ist dies auch wegen der generellen Herrschaftsbezüge von Technik und wegen der Technologisierung moderner Politik.

Ungeachtet der Möglichkeiten einer durchaus pluralistischen Begriffsauslegung und Konzeptentwicklung zur Technologiefolgenabschätzung ist dabei ein spezifischer Impetus von vornherein zugrundegelegt: „Das Instrument der Technikfolgenabschätzung entstand aus der Diskussion über nicht-intendierte Folgen technischer Innovation, vor allem solche negativer Art (insbesondere ...

Gentechnik. Nuklearenergie). Technologiefolgenabschätzung soll den politischen Entscheidungsträgern in ... Exekutive und ... Legislative technische und wissenschaftliche Informationen zu potentiellen Wirkungen der Anwendung neuer Technologien liefern. Technologiefolgenabschätzung dient als Frühwarnsystem."

Von ihrer Absicht und Funktion her ist Technologiefolgenabschätzung eo ipso auch pädagogische Herausforderung. Denn immerhin knüpfen sich an sie Aufklärungserwartungen vor dem Hintergrund von Lernbereitschaft:

-In politikwissenschaftlicher Perspektive muß daran interessieren, welche politischen oder sonstigen materiellen Bedingungen der Entfaltung der pädagogischen Implikationen hinderlich oder förderlich sind und inwiefern Lernzugewinne im Staate handlungsbedeutsam tragfähig sind. -Für die Pädagogik in der Demokratie stellt sich die Aufgabe, die in der Technologiefolgenabschätzung liegenden Vermittlungsprobleme konstruktiv-kritisch zu beleuchten und darauf zu achten, daß die Lernzugewinne nicht undemokratisch bloß der Maximierung von Herrschaftswissen dienen.

Damit sind grundlegende Fragen politischer Bildung und ihrer Didaktik angesprochen. Daß sie. von Ausnahmen abgesehen bislang nur äußerst defizitär bearbeitet wurden, ist zu Recht moniert worden Im folgenden soll ihnen, mit Blicklenkung auf ausgewählte wichtige Aspekte, ein Stück weit nachgegangen werden

II. Politikdidaktische Relevanz und Dimensionen der Technologiefolgenabschätzung

1. Erfahrungsbereiche des Politischen Die Notwendigkeit didaktischer Reflexion über Technologiefolgenabschätzung ergibt sich zunächst aus dem Erfordernis einer zugleich reali-tätsgerechtenund wissenschaftsorientierten politischenBildung: -Technologiefolgenabschätzung gehört zum Bestand der in den zurückliegenden Jahren institutionalisierten Innovationen des politischen Systems: „Der Deutsche ... Bundestag und die ...

Regierungen einiger deutscher ... Länder set-zen sich seit längerem ... mit dieser Problematik auseinander. Der Name des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie wurde um den Zusatz Technologiefolgenabschätzung erweitert; die Technologiefolgenabschätzungs-Enquetekommission legte einen Bericht vor. Der Bundestag beschloß im Jahr 1990, ein mit externen Experten besetztes , Technologiefolgenabschätzungs-Büro einzurichten. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg vergeben oder initiieren Forschungsaufträge über Technologiefolgenabschätzung.“ -Die Politikwissenschaft war nicht nur maßgeblich an der Etablierung der Technologiefolgenabschätzung beteiligt sondern wird in zunehmendem Maße von öffentlichen und privaten Politikträgem mit vorbereitenden, begleitenden und auswertenden Forschungsprojekten beauftragt Doch trotz der zunehmenden Institutionalisierung und Politikfeldforschung zur Technologiefolgenabschätzung ist diese noch keine vollständig befriedigende formal und wert-bezogen verfaßte Dimension des Politischen („Polity“). Bemerkenswerter als ihre Organisationsweise und ihr Stellenwert im Gefüge des politischen Systems sind wohl die Auseinandersetzungen im Vorfeld ihrer Einrichtungen, die kontroversen Gehalte ihrer Expertisen und die dämm geführten Debatten, ihre Einflußnahme auf die Willensbildungs-und Entscheidungsvorgänge sowie die damit verbundenen Ereignisse, Normen und Interessenkonstellationen.

Gerade die Verbindungslinien zur prozessualen Seite des Politischen („Politics“) verbieten wie von selbst eine rein sachkundliche Thematisierung der Technologiefolgenabschätzung in der politischen Bildung. An ihnen nämlich lassen sich die Widersprüche, Ambivalenzen und Brüche der Technologiefolgenabschätzung im besonderen und der zeitgenössischen Technologieproblematik im allgemeinen ermitteln. Es ist dies wichtig, wenn „durch ... argumentative Konfrontation der verschiedenen Aspekte ... neue Einsichten erlangt bzw. neue Handlungsmöglichkeiten erkannt, reflektiert, ausgewählt, erprobt und realisiert werden“ sollen

Denn zielte politische Bildung nur „auf die bloße Aneignung vermittelten Wissens über die technologische Entwicklung und ihrer möglichen Konsequenzen, auf die bloße Interiorisierung von , von *oben vorstrukturierten Handlungen ..., dann bedeutet(e) dies erstens, daß den Lernenden die Kompetenz zur Erlangung neuer Einsichten und die Reflexion neuer Handlungsmöglichkeiten generell abgesprochen (würde), und zweitens, daß die Reflexion und Erlangung neuer Einsichten den verschiedenen Vermittlungsagenten des Managements und der Funktionäre als Aufgabe übertragen und also von den Lernenden selbst abgezogen“ würde Insofern kann die Einbeziehung von Technologiefolgenabschätzung in die politische Bildung die herkömmliche Politikvermittlung geradezu konterkarieren

Gleichwohl behält die Zuordnung der Technologiefolgenabschätzung zur inhaltlichen Dimension des Politischen („Policy“) klassifikatorischen Wert. Die für „die Felder und Inhalte der Politik“ getroffene Feststellung, sie seien „lediglich . Aufh*änger “ und hätten „ihren Ort im Unterricht mit einer gewissen Beliebigkeit, die von Aktualität, Betroffeneninteresse und ähnlichem bestimmt wird“ mag für viele Phänomenbereiche dieser Dimension gelten. Sie ist aber für den Bereich der Technologiefolgenabschätzung nur eingeschränkt akzeptabel.

Man wird zugestehen müssen, daß es Politikfelder unterschiedlicher Reichweite und Gewichtigkeit gibt, so daß ihre Auswahl nicht grundsätzlich beliebig sein darf. Von der Technologiefolgenabschätzung läßt sich gewiß sagen, daß sie eine herausragende Bedeutung hat. Immerhin ist sie eines der wichtigsten Instrumente zur Bewältigung einer der zentralen Herausforderungen der Gegenwart: humane Sanierung der ökologischen und sozialen Folgen der bisherigen Technologieentwicklung einerseits, für die natürliche und kulturelle Umwelt verträgliche Gestaltung der künftigen Technologieentwicklung andererseits Daraus läßtsich ein erheblicher Eigenwert der Technologiefolgenabschätzung für die Bestimmung maßgeblicher Gehalte der politischen Bildung ableiten. 2. Ökologische Krise und politische Bildung Über die -wegen der eigentümlichen Bedeutung vielleicht sogar besondere -Eignung für eine exemplarische Erschließung grundlegender Mechanismen, Funktionen, Gesetzmäßigkeiten und Gegebenheiten des Politischen hinaus sollte die Technologiefolgenabschätzung folglich im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem herausragenden Schlüsselproblem der ökologischen Krise stehen. Der Rückgriff auf die „Policy“ -Aspekte hat dabei die Funktion einer inhaltlichen Konturierung politischen Lernens.

Politische Bildung gewinnt ihre Identität nämlich nicht als Ort für die Verhandlung aller beliebigen Themen politischer Art, sondern durch Konzentration auf Wesentliches. Dazu gehört eben auch die Verdeutlichung vordringlicher, substanzvoller Gestaltungsaufgaben der Politik. Die Technologiefolgenabschätzung verweist in diesem Falle zum einen auf objektiv notwendige Belange der Gegenwart und der näheren Zukunft. Zum anderen kann sie zusammen mit der Thematisierung anderer Schlüsselprobleme verschwommenen, motivationslosen und realitätsblinden Vorstellungswelten über die Politik und einem inflationären Verständnis von Politik, das ohne Differenzierung nahezu alle Probleme der Welt in den Rang vordringlicher Politika erhebt, entgegenwirken.

Mitnichten soll damit einer apologetischen Behandlung der Technologiefolgenabschätzung das Wort geredet werden. Keineswegs ist es erforderlich, die Vollzugsweisen und Ergebnisse vorfindlicher Technologiefolgenabschätzung allein zu reproduzieren und die Lernenden sich aneignen zu lassen. Soll politische Bildung ihrer Problematisierungskompetenz gerecht werden, geht es um mehr und anderes, nämlich mindestens um -das Kennenlernen alternativer Modelle und Konzepte der Technologiefolgenabschätzung, -die ideologiekritische Aufarbeitung der Entstehungs-, Vollzugs-und Verwertungszusammenhänge realisierter Technologiefolgenabschätzung, -den kontrastiven Vergleich von Prozessen und Ergebnissen innerhalb einzelner und zwischen verschiedenen Realisierungen der Technologiefolgenabschätzung, -die Beantwortung der Frage nach der Legitimation, Reichweite, Praktikabilität und Nutzanwendbarkeit von Technologiefolgenabschätzung. Es muß begründet vermutet werden, daß die Bewältigung all dieser Aufgaben sich nicht von selbst bei der bloßen Anschauung von Technologiefolgenabschätzung einstellt. Das liegt, was die politische Realität betrifft, vor allem an der Zweckbestimmtheit durch Auftraggeber, ausgesuchte Adressaten und die routinierte Praxis der Technologiefolgenabschätzung. Hinsichtlich ihrer politikwissenschaftlichen Durchdringung ist folgendes zu bemängeln: „Die Politikwissenschaft tut für die Gesellschaft und ihre Teilsysteme im Verhältnis von Technik und Politik viel Gutes, sie redet darüber aber nicht oder so kompliziert, daß die Gesellschaft ... nicht versteht und deshalb ... unbegründeten Sonntagsreden der Politiker zujubelt.“

Eine über die Ermittlung allgemeiner Relevanzen und Dimensionen noch hinausgehende politikdidaktische Erschließung der Technologiefolgenabschätzung ist nötig, weil nicht automatisch alle Aspekte dieses Poltikfeldes bildungsrelevant sind. Erforderlich ist sie auch als Vermittlungsaufgabe zwischen den realen und vermeintlichen elitären Experten einerseits und den direkt wie indirekt betroffenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern andererseits, denen im Alltag Technologiefolgenabschätzung zumeist entweder überhaupt nicht oder über zweifelhafte Überzeugungs-und Verschleierungsarbeit dargestellt wird.

Das partizipatorische Element politischer Bildung muß gewährleisten, daß bei Neigung und Kompetenz Aussicht besteht, in die Strukturen und Prozesse etablierter Technologiefolgenabschätzung einzugreifen. Kollektives Handeln bedeutet dabei nicht den Aufmarsch gedanklich konfektionierter Massen, sondern gemeinschaftliches Tun auf der Grundlage interessenvermittelter Aufgeklärtheit. Das handlungsorientierte Element politischer Bildung wird beinhalten müssen, daß die praktische Umsetzung von Technologiefolgenabschätzung nicht allein eine Aufgabe der Makropolitik bleibt und quasi-hierarchisch auf die Gesellschaft einwirkt. In mikropolitischer Perspektive, die den subjektiven Faktor zu aktivieren hätte, kommt es nicht nur auf die kritische Prüfung der Angemessenheit und Gerechtigkeit der Technologiefolgenabschätzung und ihrer Folgen an. Es gibt daneben noch die andere Dimension, die darüber mitentscheidet, „ob eine vernünftige Folgenabschätzung durchgesetzt werden bzw. sich durchsetzen kann ... Produzenten und Konsumenten müßten sich bemühen, zu lernen, neue Produkte und Tätigkeiten dahingehend zu beurteilen, wie sie sich auswirken: auf die Umwelt; auf den Energieverbrauch; auf die Kommunikation; auf das Wohlbefinden; auf die Lebensqualität -auf die Chancen für Überleben -und zwar langfristig“

Politische Bildung über Technologiefolgenabschätzung erfährt dadurch zwei Seiten der „Diskussion einer gesellschaftlichen Gebrauchswertpolitik“ Mit ihr kann eine bloß larmoyant verfahrende Kapitalismus-und Industrialismuskritik konstruktiv überwunden werden.

III. Didaktisch-methodische Zugänge zur Technologiefolgenabschätzung für die politische Bildung

1. Dienstleistungsfunktion der politischen Bildung Technologiefolgenabschätzung beinhaltet eine überaus komplexe und allenfalls interdisziplinär zu bewältigende Aufgabenstellung Denn sie bezieht sich „primär ... auf mögliche langfristige Auswirkungen sozialer, biologischer, physischer, ökonomischer, ethischer und politischer Art“ -mitsamt dazwischen bestehenden Beziehungen. Die unumgängliche didaktische Transformation darf daher nie in eine eindimensionale Reduktion auf einzelne Elemente münden. Zu gewährleisten ist das vermutlich nur, indem Technologiefolgenabschätzung

-einerseits Gegenstand der Beschäftigung in unterschiedlichen Lernfeldern oder in fächerübergreifenden Lemangeboten ist (um die Vielfalt der jeweils zu berücksichtigenden Komponenten und ihr Ineinandergreifen verständlich zu machen),

-andererseits in übergreifende Zusammenhänge eingebettet wird (damit sowohl der herausragende Stellenwert innerhalb des Spektrums politischer Gestaltungsaufgaben als auch die tangierten und flankierenden Existenz-und Handlungsbereiche innerhalb und außerhalb der Politik deutlich werden).

Bei entsprechender Koordination der Lernfelder kommt dabei der politischen Bildung eine besondere Dienstleistungsfunktion zu. Sie muß bei aller fachlichen Akribie den Blick nicht auf alle Sachverhaltsaspekte lenken, sondern die Wahrnehmung ihrer Bildungsaufgabe „auf einen überzeugenden und überschaubaren Kern“ ausrichten Eben das läßt sich anhand der Technologiefolgenabschätzung in überzeugender Weise leisten, insofern nämlich das „kennzeichnende Merkmal unserer Zeit ... die unbegrenzte Verantwortlichkeit der Politik für alle Problemlagen (ist), die vor allem durch die Verwissenschaftlichung des Lebens und die technologischen Erfolge wie Gefahren für die Menschen erzeugt werden“

Dazu gehört freilich, daß nicht einfach vordergründig alle Voraussetzungen, Bedingungen, Elemente und Konsequenzen der Technologiefolgenabschätzung als eo ipso politisch ausgewiesen werden.

Hingegen ist das in allem verborgene Politische präzise aufzuzeigen und Sach-ebenso wie Werturteilen zu unterziehen. Die Verengung der Perspektive bietet gerade dadurch Aussicht auf Verbreiterung des Blickwinkels: Die Konzentration auf das genuin Politische, das nicht abstrakt-definitorisch vorauszusetzen und nachzuvollziehen, sondern am denkwürdigen Exemplum im Prozeß der kontroversen Auseinandersetzung mit pluralen Konzepten zu gewinnen ist, führt dann notwendigerweise weg von einer bloß positivistischen Betrachtung einzelner Gesichtspunkte.

Politische Bildung wird damit zu einem mittelbaren Ort der Technologiefolgenabschätzung. Zwar kann sie sich nicht anmaßen, die den Experten abzunötigenden Leistungen zu erbringen oder gar Expertenwissen überhaupt überflüssig zu machen.

Sie vermag jedoch als eine Instanz zu fungieren, die der Frage nach der Angemessenheit und Plausibilität von Expertenurteilen nachgeht und deren Zustandekommen ebenso wie deren Anwendung aufklärt. Folglich geht es nicht so sehr um den NachVollzug z. B. ökologischer und sozialer Tatsachen, sondern um das Hinterfragen der bei ihrer Ermittlung und Interpretation zugrundegelegten Wertmaßstäbe, Rechtsgüter, Abwägungskriterien und Implikationen für die Kultur des innergesellschaftlichen Streites und die Regelung öffentlicher Angelegenheiten.Technologiefolgenabschätzung soll in der Regel, abseits auch vorfindlicher Alibifunktionen, im Vorfeld der Durchsetzung von Technologien weichenstellende, bremsende und umleitende staatliche Steuerungsvorgänge erleichtern. Politische Bildung muß kritische Auseinandersetzung damit leisten und gegen jede eilfertige Akzeptanz der Begründungen, Strategien, Hervorbringungen und Einflußnahmen der Technologiefolgenabschätzung immunisieren. Die Erweiterung der Kompetenz der Lernenden besteht dann nicht in der Einübung in fachgebundenes Expertenwissen, sondern in der Befähigung zur staatsbürgerlichen Kontrolle, Kritik und zumindest mittelbaren Beeinflussung der Legitimation, Handhabung und Geltendmachung solchen Wissens.

Wichtig ist, die Technologiefolgenabschätzung nicht schon als die Lösung von Problemen, sondern ausschließlich als Instrument auf dem Wege der Definition, Analyse und Bewältigung von Problemen zu betrachten. Vertraute man allein auf die Technologiefolgenabschätzung, würde man die Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten nur zu leicht aus den eigentlich zuständigen Instanzen der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung verlagern. Verstärkt würden damit die in der modernen Industriezivilisation ohnehin schon bedrohlichen Einbußen an Steuerungszentren im allgemeinen und demokratischen Vollzugsformen im besonderen 2. Verantwortungsethische Kommunikation Ein typisches Profil politischer Bildung, das auf die Verwirklichung der erst in der Moderne möglich gewordenen Aufklärung, auf Analyse und Rationalität anstelle postmoderner oder antimoderner Mythologie, Schwadroniererei und Emotionalität setzt, ist eben dadurch als neu legitimiert zu betrachten Erleichtert wird sie mit Hilfe von Zuspitzungen normativer Art, von denen zwei besondere Erwähnung verdienen: -Unter Bezugnahme auf die Erscheinungen und Wesenszüge risikogesellschaftlicher Entwicklungen wird es möglich, Erfordernisse, prakti-sehe Ausformungen und Erfolgsaussichten ebenso wie etwaige Alternativen der Technologiefolgenabschätzung zu beurteilen. Im Zusammenhang damit gilt es, die verbliebenen Gestaltungsspielräume der Politik auszuloten und die Rahmenbedingungen für ihre Verwirklichung vor dem Hintergrund mehr oder minder plausibler Szenarios, notwendiger Handlungsalternativen und Mitwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen auszuloten.

-Durch konsequente Inanspruchnahme der auch für die Technologiefolgenabschätzung selbst vorrangig geltenden Kriterien der Sozialverträglichkeit und Umweltverträglichkeit wird es möglich, an Qualität, Quantität und Legitimation der Technologiefolgenabschätzung einschließlich der sie stimulierenden und von ihr stimulierten Interessen, Fragestellungen, Einrichtungen und Vorgänge einen Maßstab anzulegen. Durch ihn kann über den simplen Nachvollzug hinausgegangen werden, so daß auch weiterführende Perspektiven erarbeitet werden und Fatalismus vorgebeugt werden kann.

Es geht einerseits um den Vorgang des Problemverstehens im Sinne von Hermeneutik, Ideologie-kritik und Empathie, andererseits um Austausch-prozesse hinsichtlich der Wahrnehmung und Deutung von Sachverhalten sowie um die Erarbeitung einer für gemeinschaftliches politisches Handeln tragfähigen Perspektive für Wertoptionen, Absichten, Strategien und Schrittfolgen. Freilich ist das gemeinschaftliche politische Handeln nicht zwingend anzusteuern, sondern als Möglichkeit offen-zuhalten.

Unter solchen Bedingungen besteht Aussicht, einer Fortsetzung, Konkretisierung oder gar Verschärfung der in der allgemeinen umweit-und sozialpolitischen Bildungsarbeit zumindest programmatisch vielfach üblichen gesinnungsethischen Kommunikation auf dem Felde der damiteng verknüpften Thematisierung von Technologiefolgenabschätzung entgegenzuwirken.

Verantwortungsethische Kommunikation im verständigungsorientierten Diskurs läuft letztlich hinaus auf den „Versuch, das -gemessen am Orientierungsbedarf -immer zu geringe individuelle Orientierungsvermögen kommunikativ zu erweitern, indem Argumente, Wissen und Wertorientierungen von anderen zur Prüfung, Differenzierung und gegebenenfalls Revision der eigenen Urteils-gründe herangezogen werden“ Dieses Mittel politischer Bildung im Kontext von Technologiefolgenabschätzung beschreibt zugleich ein umfassendes Ziel für Lernprozesse. Der Transfer auf andere Politikbereiche ist nicht nur wahrscheinlich, sondern beabsichtigt: So wie die Technologiefolgenabschätzung Thema mit Eigenwert und bedeutsam-allgemeines Beispiel ist, qualifiziert verantwortungsethische Kommunikation im verständigungsorientierten Diskurs für den Umgang mit Technologiefolgenabschätzung und für Teilhabe an der Politik generell.

Diskursives Vorgehen der skizzierten Art bedeutet demnach Relativierung und Vermittlung zugleich. Es schützt vor eilfertigen (Selbst-) Gewißheiten und bringt gegnerische Positionen und vielleicht die Vertreter gegnerischer Interessengruppen ins Gespräch. Politische Bildung besitzt dafür den Vorteil, anders als die Politik selbst ein Agieren ohne Handlungsdruck und ähnliche Zwänge (an-) stiften zu können. Darüber hinaus beinhaltet ihre Vermittlungsleistung auch die gewaltlose Konfrontation zwischen den in den einzelnen Lernenden repräsentierten Lebenswelten mitsamt ihren Verfestigungen im Alltagsbewußtsein und demgegenüber zumeist entfremdenden komplexen Realitäten der Politik und sozial-, insbesondere politikwissenschaftlichen Erkenntniszusammenhängen. Vorwiegend in exemplarischen Fallanalysen, Sozialstudien, Projekten und Zukunftswerkstätten läßt sich die Fruchtbarkeit dessen sicherstellen

IV. Politische Bildung als Beitrag zur Technologiefolgenabschätzung -Möglichkeiten und Grenzen

1. Thematische Erweiterung politischer Bildung Im Hinblick auf den Beitrag politischer Bildung zur Technologiefolgenabschätzung ist vor allen Omnipotenzansprüchen zu warnen. Die kontroverse Einschätzung beginnt bereits mit der Befürchtung mancher Politiker-und Wissenschaftler/, innen, „das Instrument... könne mißbraucht werden, um neue Techniken und Forschung vorzeitig zu verhindern“ -und gerade dadurch schon seinerseits sozial-und umwelt-unverträglich sein. Sie setzt sich fort in dem eher methodischen Bedenken, „daß prognostische Abschätzungen angesichts der Komplexität der zu berücksichtigenden Ursachen und Folgen äußerst schwierig sind“ Weiteren Ausdruck findet sie in der bislang unentschiedenen Frage, „ob es eher darauf ankommt zu beweisen, daß eine Neuerung gefährlich ist, oder beweisen zu müssen, daß sie ungefährlich ist“

Gerade daraus läßt sich indes die Berechtigung politischer Bildung zur Beschäftigung mit dem Thema ableiten. Bei allen möglichen Kalkulationen verbleibt ein Rest Unsicherheit und Klärungsbedarf, der innerhalb der Technologiefolgenabschätzung und von den nominell zuständigen Institutionen allein nicht geleistet werden kann. Um nur einige Beispiele zu nennen: Betroffene haben Anspruch auf Transparenz der Kontroversen und Lücken im Expertenwissen. Die Bestimmung von Grenzwerten ist nicht nur eine Frage fachlicher Expertisen, sondern auch ein Problem gesellschaftlicher Übereinkünfte über Belastbarkeitsbereitschaften. Angesichts empfohlener alternativer Handlungsmöglichkeiten ist eine zu den Betroffenen rückgekoppelte Bestimmung der Auswahlkriterien unumgänglich.

Es muß auch immer die Möglichkeit der Befähigung zum direkten Eingreifen offenbleiben: z. B. zur technologiepolitischen Artikulation in zielgerichteten Bürgerinitiativen, zum Aufbau eines Systems von technisch versierten Gegenexperten, zur Entwicklung von Gegenmacht für die Durchsetzung technologiepolitischer Alternativen, zur Herstellung von Öffentlichkeit über Versäumnisse oder Verdrängungen der Technologiefolgenabschätzung.

Es liegt auf der Hand, daß politische Bildung -vorausgesetzt, sie kann dazu überhaupt motivieren und eine entsprechende Infrastruktur bereitstellen -den Lernenden etliche Spielräume für Eigen-initiativen und Selbstorganisation anbieten sowie Chancen für das Öffentlichmachen von Lernprozessen und -ergebnissen an geeigneten Orten zwischen der unmittelbaren Lebenswelt und den Einrichtungen des politischen Systems zugänglich machen muß

Die Radikalität, mit der dabei die verständigungsorientierte Kommunikation immer wieder auch die von ihr selbst mitvorbereiteten Handlungen skeptisch zu beurteilen hat, geht letztlich sogar noch weiter: Der verantwortungsethische Diskurs muß nämlich logischerweise auch die Prämissen, die Angemessenheit und'die Effizienz von Technologiefolgenabschätzung schlechthin und das Engagement für eine spezifische Ausrichtung dessen auf den Prüfstand bringen.

Nachzudenken ist folglich über die präzise und womöglich nicht absolute, sondern unter spezifischen historisch-gesellschaftlichen Bedingungen immer wieder neu zu leistende Definition und Operationalisierung dessen, was Sozial-und Umweltverträglichkeit zu sein hat. So ist etwa zu klären, ob es eine Kompromißformel geben kann oder ob ein gruppenbezogenes Interesse Vorzug verdient Schließlich sind sehr grundsätzlich die für den Umfang mit der Problematik mehr oder minder verfestigten leitmotivischen Technikbilder und das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft zu Technik und Technologie überhaupt zu reflektieren

Angezeigt ist damit ein Unterfangen, das an die Grundfesten des bisherigen Zivilisationsverlaufs und das Selbstverständnis moderner Massengesellschaften rührt sowie in etliche Kontroversen über die Antizipation des künftigen Geschichtsprozesses münden wird. Berührt werden davon Fragenkomplexe, zu denen keine noch so ausgeklügelte Erörterung von Technologiefolgenabschätzung etwas beitragen kann. Thematische Erweiterungen politischer Bildung sind demnach unumgänglich. Bis zur Klärung der dadurch aufgeworfenen Fragen müssen überdies Voraussetzungen für einen produktiven Umgang mit einem zutiefst antinomiereichen und aporieträchtigen Paradoxon geschaffen werden: daß einerseits eine Technologiefolgenabschätzung kaum oder nur um den Preis des eigendynamischen Verbleibs in den Rahmenbedingungen der Technikzivilisation möglich scheint, andererseits ohne Technologiefolgenabschätzung weder eine Bändigung von Technik noch die Schaffung von Voraussetzungen für ein möglicherweise nach-technisches Zeitalter geschaffen werden können 2. Notwendigkeit einer Aufwertung der politischen Bildung Etliche Ergebnisse der Technologiefolgenabschätzung bringen den Nachweis problemlastiger Folgen der modernen technischen Zivilisation, die sich durch Diskurse über den Problembereich der Technologiefolgenabschätzung nicht bewältigen lassen. So kann beispielsweise als ziemlich gesichert gelten, daß im Gefolge der Entwicklung riskanter Technologien -Erosionen im politischen System (vermittels schwindender Bewältigungskompetenz, Unterlaufen politischer Institutionen, Einbußen an Demokratie-, Rechts-und Sozialstaatlichkeit)

sowie -massenhaft Störungen und Schädigungen der Identität (infolge von Beeinträchtigungen des Autonomievermögens, der Konfliktfähigkeit und des Realitätssinns) auftreten, die einer demokratischen politischen Kultur wenig Rückhalt bieten oder gar profaschistische Tendenzen begünstigen Ihnen läßt sich bestenfalls durch Maßnahmen beikommen, die über technologiepolitische Steuerungseingriffe hinaus noch ganz andere Bereiche der politischen Wirklichkeit betreffen. Politische Bildung hätte dringend auch darüber aufzuklären und bis hinein in ihre Vollzugsweisen Möglichkeiten der Abwehr von Gefahren für die Entfaltung der Demokratie zu entwickeln. Der aufgezeigte verantwortungsethische Diskurs hat, nicht zuletzt vor solchem Hintergrund, Dimensionen, die neben der Klärung von Detailfragen prinzipieller Qualität sind. Sie reichen bis zur Erarbeitung einer umfassenden, verallgemeinerungsfähigen politischen Ethik, aus der erst stimmige Leitlinien für Einzelprobleme gewonnen werden können.

Dieser Aufgabenkomplex läßt sich im Rahmen politischer Bildung allein gewiß nicht verwirklichen. Politische Bildung hat aber die Aufgabe, für ihn Modelle, Anregungen und Beispiele zu liefern, in die Beteiligung an ihm einzuüben und exemplarisch sinnlich-konkret Momente des Gelinges entsprechender Praxis vorzuführen. Die Frage, wer dafür zu gewinnen sei, ist allemal naheliegend. Fast sieht es so aus, als ob -nicht zuletzt wegen der bereits greifenden Folgen der modernen technologischen Zivilisation -viele Heranwachsende und Erwachsene dafür nicht mehr zur Verfügung stehen, weil es ihnen an den entsprechenden Voraussetzungen mangelt.

Wahrscheinlich ist aber diese „Frage insofern falsch gestellt, als sie aus durchsichtigen Herrschaftsinteressen heraus davon ausgeht, daß Lernende als Lernende prinzipiell ihre . objektiven Interessen'niemals selbst erkennen können. Es wird verleugnet, daß . objektive Interessen'niemals , an sich'existieren, sondern durch das Handeln der Individuen erst produziert werden und also auch prinzipiell von den Lernenden selbst erkannt werden können. Allerdings ist hierzu der Diskurs -auch und gerade zwischen den Generationen (und zwischen Vertretern höchst unterschiedlicher Interessenlagen) -notwendig.“

Auch wenn damit ein pädagogischer Pessimismus offensichtlich der Berechtigung entbehrt und insbesondere eine Ausgrenzung einzelner Personen(-gruppen) aus der politischen Bildung nicht begründet werden kann, ist eine andere elitenzentrierte Überlegung vielleicht bedenkenswert: Angesichts der real vorfindlichen Expertenherrschaft bzw. Teilhabe von Experten an der Herrschaftsausübung, die mitnichten voll und ganz demokratischer Kontrolle und Kritik unterworfen ist, wurde schon vor längerem auf das Erfordernis einer vordringlichen Gegen-Politisierung der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, verwiesen Gemeint ist damit die Notwendigkeit, -sowohl etwaige unzureichende Sensibilitäten hochgradig qualifizierter und in verantwortlichen Positionen stehender Fachleute für die Folgen und die politischen Dimensionen ihres Tuns und ihrer Profession zu kompensieren, -als auch ihr zuweilen auf die Wahrnehmung von Standesinteressen reduziertes politisches Alltagsbewußtsein und -verhalten zu differenzieren

Derartige Überlegungen müssen nicht in Konzepte politischer Bildung für bloß ausgewählte Adressatengruppen münden. Sie lassen sich auch als Anstoß dafür deuten, politische Bildung, übrigens klassischen kritisch-emanzipatorischen Forderungen gemäß, zielgruppenorientiert aufzufächern. Zugleich insistieren sie auf dem bislang weitgehend uneingelöst gebliebenen Anspruch der Integration von allgemeiner, beruflicher und politischer Bildung generell sowie der Verknüpfung technischer Studiengänge mit der Vermittlung sozialwissenschaftlich-politischer Kompetenzen.

So zeigt sich denn schließlich, daß die Bearbeitung von Problemen der Thematisierung von Technologiefolgenabschätzung für Zwecke der politischen Bildung keineswegs nur eine Aufgabe pädagogisch orientierter Schul-oder Erwachsenenbildungsdidaktik ist. Vielmehr ist sie ein Erfordernis jeglicher Wissenschafts-und Hochschuldidaktik der Sozial-wissenschaften. Fachlich und didaktisch orientierte Politikwissenschaft hat im Hinblick auf die Herausforderungen der Techniken und Technologien noch eine Vielzahl von Einzelfragen zu behandeln, dabei der Wiedergewinnung des Politischen nachgehend: „Es genügt... nicht, die vielen Einzelprobleme der momentanen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der Bundesrepublik oder der internationalen Gesellschaft, deren sich die Politikwissenschaft bisher kaum angenommen hat, wie zum Beispiel die Entwicklung der Gentechnologie oder die Technologieentwicklung in anderen Bereichen, ... als Einzelfragen in den fachwissenschaftlichen Diskurs einzubringen. ... Die Untersuchung jedes Einzelbereiches müßte sich ... als Beitrag zur Analyse und Theoretisierung dessen, was in dieser gesellschaftlichen Situation , Politik'heißt und was in ihr . Politik'vermag, verstehen. Denn mehr als jede andere Gesellschaft zuvor in der Geschichte, ist die heutige Gesellschaft durch . Politik'geprägt, also auch gefährdet.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Neuausgabe, Frankfurt/M. 1986.

  2. Wolfgang Billigen, Technikfolgenabschätzung, in: Hanno Drechsler u. a., Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, Baden-Baden 19897, S. 673.

  3. Vgl. Renate Damus, Die Legende von der Systemkonkurrenz. Kapitalistische und realsozialistische Industriegesellschaft, Frankfurt/M. -New York 1986.

  4. Bereits die offensichtliche Gestörtheit der Öffentlichkeit verweist auf eine politische Dimension selbst privat veranstalteter Technologiefolgenabschätzung; vgl. dazu Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuausgabe, Frankfurt/M. 1990, inbesondere S. 275 ff.

  5. W. Hilligen (Anm. 2), S. 673; s. a.den Beitrag von S. Jaufmann/E. Kistler in diesem Heft mit empirisch begründeter anderen Ansicht.

  6. Vgl. Ronald Inglehart. Kultureller Umbruch. Wertwandel in der westlichen Welt. Frankfurt/M. -New York 1989.

  7. Vgl. Ulrich Beck. Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/M. 19885.

  8. W. Hilligen (Anm. 2). S. 673: ergänzend vgl. Raban Graf von Westphalen (Hrsg.). Technikfolgenabschätzung -als politische Aufgabe. München 1988.

  9. Vgl. Heinz Ulrich Brinkmann. Technikfolgenabschätzung/TA. in: Everhard Holtmann/Heinz Ulrich Brinkmann/Heinrich Pehle (Hrsg.). Politik-Lexikon, München-Wien 1991. S. 629.

  10. Ebd.: Abkürzungen des Originals werden hier und im folgenden ausgeschrieben. Ergänzend s. a. die Beiträge in Hans-Hermann Hartwich (Hrsg.). Politik und die Macht der Technik. Opladen 1986.

  11. Vgl. Heike Ackermann u. a. (Hrsg.). Technikentwicklung und Politische Bildung. Opladen 1988.

  12. Vgl. Gerhard Zimmer. Politisches Lernen und technologische Entwicklung, in: Josef Held (Hrsg.). Subjektbezogene Jugendforschung. Hamburg 1989. S. 127ff.

  13. Vgl. Bernhard Claußen. Neue Technologien, politisch-gesellschaftliche Entwicklung und die Aufgaben Politischer Bildung. Eine sozialwissenschaftlich-fachdidaktische Skizze ihres Verhältnisses, in: H. Ackermann u. a. (Anm. 11). S. 171-211.

  14. H. U. Brinkmann (Anm. 9).

  15. Vgl. Gerhard W. Wittkämper, Über den Nutzen politik-wissenschaftlicher Forschung und Lehre angesichts der Notwendigkeit, Natur-und Technikwissenschaften an den Universitäten verstärkt zu fördern, in: H. -H. Hartwich (Anm. 10), S. 434-436.

  16. Vgl. Bernhard Claußen, (Neue) Techniken und Technologien. Eine fachliche und didaktische Bibliographie für die sozialkundlich-politische Bildung, in: ders. (Hrsg.), . Neue Technologien* als Thema der Gesellschaftslehre. Bausteine für den sozialwissenschaftlichen Unterricht auf den Primarund Sekundarstufen sowie für die außerschulische politische Bildung, Baltmannsweiler 1991 (i. E.).

  17. G. Zimmer (Anm. 12), S. 136.

  18. Ebd., S. 137.

  19. Vgl. auch Ulrich Sarcinelli u. a., Politikvermittlung und politische Bildung. Herausforderungen für die außerschulische politische Bildung, Bad Heilbrunn 1990.

  20. Hans-Hermann Hartwich, Die wechselseitige Beeinflussung von Politik und staatlicher politischer Bildung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Vierzig Jahre politische Bildung in der Demokratie. Dokumentation. Bonn 1990. S. 47f.

  21. Vgl. Ulrich Beck, Von der Industriegesellschaft zur Risikogesellschaft. Überlebensfragen, Sozialstruktur und ökologische Aufklärung, in: Will Cremer/Ansgar Klein (Hrsg.), Umbrüche in der Industriegesellschaft. Herausforderungen für die politische Bildung, Opladen 1990, S. 13-35.

  22. G. W. Wittkämper (Anm. 15), S. 436.

  23. W. Hilligen (Anm. 2), S. 674.

  24. G. Zimmer (Anm. 12), S. 136. s. a. Hans Platzer, Technologiefolgenabschätzung und Technikdiskurs in der Demokratie, in: Materialien zur Politischen Bildung, 17 (1988) 2, S. 33-38.

  25. Vgl. Carl Bohret, Politik und Technik. Eine Aufgabe fachwissenschaftlicher und multidisziplinärer Forschung, in: H. -H. Hartwich (Anm. 10), S. 12-22.

  26. H. U. Brinkmann (Anm. 9); Daniel Barben/Meinolf Dierkes, Un-Sicherheiten im Streit um Sicherheit -Zur Relevanz der Kontroversen um die Regulierung technischer Risiken, in: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Demokratische Streit-kultur. Theoretische Grundpositionen und Handlungsalternativen in Politikfeldern, Opladen 1990, S. 422-444.

  27. H. -H.. Hartwich (Anm. 20), S. 46.

  28. Ebd., S. 45f.

  29. Vgl. Ulrich Beck (Hrsg.), Politik in der Risikogesellschaft. Essays und Analysen, Frankfurt/M. 1991.

  30. Vgl. Wolfgang Hilligen, Gewandelte Legitimationsmuster und Perspektiven der politischen Bildung, in: W. Cremer/A. Klein (Anm. 21), S. 329-349; Wolfgang Klafki, Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines bildungstheoretischen Gegenentwurfs, in: Heinz-Hermann Krüger (Hrsg.), Abschied von der Aufklärung? Perspektiven der Erziehungswissenschaft, Opladen 1990, S. 91-104.

  31. Vgl. Bernhard Claußen, Politische Bildung in der Risiko-gesellschaft. Ein politologischer und fachdidaktischer Probietnaufriß, in: U. Beck (Anm. 29), S. 330-356: ders., Risi-

  32. Vgl. W. Hilligen (Anm. 2), S. 673; Klaus Michael Meyer-Abich, Umwelt-und Sozialverträglichkeit: Neue Bedingungen einer politischen Ethik, in: W. Cremer/A. Klein (Anm. 21), S. 223-234.

  33. Vgl. Joachim Kahlert, Umwelterziehung zwischen Aufklärung und Simplifizierung. Bedingungen und Grenzen von Rationalität in der Umweltpolitik als Herausforderung der politischen Bildung, in: Gegenwartskunde, 39 (1990) 4, S. 503-531; Walter Gagel, Das Thema Sozialstaat in den Lehrplänen der Bundesländer. Eine Anregung zu vergleichender Curriculumforschung in der politischen Bildung, in: Udo Bermbach/Bemhard Blanke/Carl Bohret (Hrsg.), Spaltungen der Gesellschaft und die Zukunft des Staates, Opladen 1990, S. 218-238.

  34. J. Kahlert (Anm. 33), S. 527.

  35. Zur Konkretisierung vgl. Walter Gagel, Lebenswelt und Großtechnologie: Das Beispiel Kernenergie. Didaktische Skizze eines Projektes, in: Gegenwartskunde, 40 (1991) 2, S. 207-218.

  36. W. Billigen (Anin. 2), S. 673.

  37. Ebd.

  38. Ebd., S. 673f.

  39. Vgl. G. Zimmer, (Anm. 12), S. 138ff.; J. Habermas (Anm. 4), S. 11 ff.: Vorwort zur Neuauflage.

  40. Vgl. Thomas Rautenberg, Möglichkeiten einer arbeitnehmerorientierten , Technologiefolgenabschätzung‘ (Technology Assessment), Frankfurt/M. u. a. 1991; Dietrich Hoffmann, Pädagogische Folgerungen aus den politischen Veränderungen der Gegenwart, in: ders. (Hrsg.), Politische Erziehung in sich wandelnden Gesellschaften. Plädoyers für eine Veränderung der Politischen Bildung, Weinheim 1991, S. 181-198.

  41. Vgl. Joseph Huber, Technikbilder. Weltanschauliche Weichenstellungen der Technologie-und Umweltpolitik, Opladen 1989; Walter Chladek/Gerhard W. Wittkämper, Politik und Technik. Ein Beitrag zur Wertorientierung, Münster-Hamburg 1991. Didaktische Erwägungen bietet Siegfried George, Aspekte der Analyse von Technik und Gesellschaft. Anfragen an die Tradition der Aufklärung, in: Bernhard Claußen/Walter Gagel/Franz Neumann (Hrsg.), Herausforderungen -Antworten. Politische Bildung in den neunziger Jahren, Opladen 1991, S. 221-235.

  42. Vgl. Hans Stimpel, Ökologische Aspekte der Politischen Bildung -Grenzen und Paradoxien, in: D. Hoffmann (Anm. 40). S. 161-179.

  43. Vgl. Wilhelm Heitmeyer/Kurt Möller/Gertrud Silier, Jugend und Politik. Chancen und Belastungen der Labilisierung politischer Orientierungssicherheiten, in: Wilhelm Heitmeyer/Thomas Olk (Hrsg.), Individualisierung von Jugend. Gesellschaftliche Prozesse, subjektive Verarbeitungsformen, jugendpolitische Konsequenzen, Weinheim-München 1990, S. 195-217.

  44. G. Zimmer (Anm. 12), S. 137; Klammerzusatz von B. C.

  45. Vgl. Helmut Dubiel, Politik und Technik, in: Sozialwissenschaftliche Informationen, 15 (1986) 1, S. 5-12.

  46. Vgl. Ulrich Beck, Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit, Frankfurt/M. 1988, S. 115 ff.; Carl Böhret, Folgen. Entwurf für eine aktive Politik gegen schleichende Katastrophen, Opladen 1991.

  47. Michael T. Greven, Was ist aus den Ansprüchen einer kritisch-emanzipatorischen Politikwissenschaft vom Ende der 60er Jahre geworden? Eine Skizze des Paradigmas und seines Scheiterns, in: Gerhard Göhler/Bodo Zeuner (Hrsg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden 1991, S. 241f. (Kursivdruck wurde nicht übernommen).

Weitere Inhalte

Bernhard Claußen, Dr. phil. habil., geb. 1948; Professor am Institut für Didaktik der Politik an der Universität Hamburg. , Veröffentlichungen u. a.: Politische Bildung und Kritische Theorie. Fachdidaktisch-methodische Dimensionen emanzipatorischer Sozialwissenschaft, Opladen 1984; (Hrsg. zus. mit Rainer Geißler), Politisierung des Menschen. Instanzen der politischen Sozialisation, Weinheim 1991.