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Jugend und europäische Integration Einstellungen und Perspektiven | APuZ 45/1991 | bpb.de

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APuZ 45/1991 Westeuropäische Integration und gesamteuropäische Kooperation Ein föderalistisches Europa? Zur Debatte über die Föderalisierung und Regionalisierung der zukünftigen Europäischen Politischen Union Jugend und europäische Integration Einstellungen und Perspektiven Föderalismus und Subsidiarität. Betrachtungen zu einer deutschen und europäischen Frage

Jugend und europäische Integration Einstellungen und Perspektiven

Melanie Piepenschneider/Anita Wolf

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In Europa vollziehen sich tiefgreifende Änderungen. Wie sind die Jugendlichen darauf vorbereitet? Welche Chancen und Hoffnungen, welche Probleme und Schwierigkeiten stellen sich der jungen Generation? Hat Europa für sie überhaupt Bedeutung? Ist es in ihre Lebensplanung einbezogen? In dem vorliegenden Beitrag werden die Einstellungen Jugendlicher'zu Europa den Anforderungen aus dem Prozeß der europäischen Integration gegenübergestellt. Bei der Betrachtung dieser Fragestellungen kommt die Besonderheit der deutsch-deutschen Befindlichkeit zum Tragen. Die Untersuchungsinstrumente und Bewertungskriterien zur Einstellungsforschung lassen sich nicht einfach von West nach Ost transportieren: Bisher wurden für die Jugendlichen aus den neuen Bundesländern keine Forschungsdesigns für Einstellungen zu Europa entwickelt. Werden diese Jugendlichen die Verlierer des neuen Europa sein? Damit das nicht geschieht, muß die Qualität der Förderung, Betreuung und Integration der jungen Generation gesteigert werden. Das zentrale Dokument des Binnenmarkt-Projekts der EG, das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes, enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Jugend und deren Lebensbereiche. Dennoch werden die Jugendlichen von den Auswirkungen des Binnenmarktes vielfältig betroffen sein. Der zweite Teil des Aufsatzes beschreibt diese Auswirkungen aufgeschlüsselt nach den unterschiedlichen Lebensbereichen der Jugendlichen.

I. Einleitung

Das Thema Europa hat im Hinblick auf die junge Generation wieder Konjunktur. Die Jugend wird nicht mehr nur als Zukunftsgarant für Europa beschworen, sondern die Modernisierung in Westund Osteuropa hat unmitteJbare Konsequenzen für die junge Generation. Jugend und Europa, Jugend und Binnenmarkt, vor wenigen Jahren noch ein eher abwegiges Thema, beschäftigt inzwischen alle mit Jugend-und Bildungsfragen betrauten Organisationen, Politiker und Praktiker, Jugendvertreter und Jugendforscher, nicht zuletzt auch die europäischen Institutionen.

Die fortschreitende Umsetzung des europäischen Binnenmarktprogramms hat dem westeuropäischen Integrationsprozeß eine neue Intensität verliehen. Die ersten konjunkturellen Auswirkungen der neuen Dynamik sind bereits spürbar. Das selbstverordnete Modernisierungsprogramm Westeuropas hat gegriffen. In diesen Prozeß hinein fallen Ereignisse, die -quasi über Nacht -bisher festgeschriebene Positionen im Ost-West-Verhältnis auflösen. Ein Kontinent ist in Bewegung geraten. Osteuropa befreit sich aus den Fesseln ideologischer und undemokratischer Zustände. Auch in diesen Ländern findet nun ein Modernisierungsprozeß hin zur Pluralisierung von Lebenswelten, Dezentralisierung, Differenzierung der Lebensstile und einem größeren Technologie-bedarf statt Im Bewußtsein vieler steht Europa heute an der Schwelle einer neuen Epoche. Offensichtlich ist, daß die Weichenstellungen überwiegend nicht in den jeweiligen Hauptstädten, sondern an den Beratungs-und Konsultationstischen sowie in den Foren der Europapolitik getroffen werden. Die Europäische Gemeinschaft wird hierbei als erfolgreiches Modell für Konfliktlösungen und ein friedliches Miteinander eine prägende Rolle spielen Durch die Öffnung der osteuropäi-sehen Staaten nach Westen rückt zugleich das Bild von Gesamteuropa in größere Realitätsnähe. Das Raumbild Europa erfährt durch die Überwindung der ideologischen Konfrontation in Ost-und Westeuropa eine geographische Erweiterung. Schon bisher befürworteten junge Menschen aus den „alten“ deutschen Bundesländern signifikant stärker als ältere die Einbeziehung von osteuropäischen Staaten in ein vereinigtes Europa (42 Prozent; 24-34 Prozent bei den über 30jährigen) Äußerungen der Jugendlichen zum geographischen Europabild weisen in die gleiche Richtung: 70-80 Prozent stimmen zu, daß Ungarn, Rumänien, die Tschechoslowakei, Polen und Bulgarien zu Europa gehören Der Aktionsradius weitet sich aus. Für die junge Generation erschließen sich neue Perspektiven und Möglichkeiten -im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt und auch im Freizeitbereich. Es stellt sich die Frage, ob die Jugendlichen auf die tiefgreifenden Änderungen, die sich in den neunziger Jahren in Europa vollziehen, vorbereitet sind. Wie denken sie über Europa? Welche Einstellungen leiten sie? Welcher Handlungsraum eröffnet sich für die junge Generation? Wie werden sich Ausbildungs-und Arbeitsmarkt verändern? Welche Chancen und Hoffnungen, welche Probleme und Schwierigkeiten sehen die Jugendlichen, wenn sie an die Europäisierung ihrer Lebenswelt denken? Diese Palette von Fragen läßt sich gegenwärtig erst in Ansätzen beantworten. Daher versucht dieser Beitrag eine Zwischenbilanz zu ziehen, die sich auf die verfügbaren Umfragedaten stützt. Im nächsten Teil dieser Studie werden knapp die Wechselwirkungen zwischen Einstellungen und Handlungsoptionen der Jugendlichen aufgezeigt. Der darauf folgende Teil stellt die grundlegenden Dispositionen der westdeutschen Jugendlichen zu einem vereinten Europa dar Ähnlich breit angelegte Untersuchungen, die auf langjährigen Erhebungen mit einem erprobten Umfrageinstrument basieren, gibt es bisher für die Jugendlichen in der ehemaligen DDR nur in Ansätzen Abschließend wird die Frage nach den Bezügen zwischen der jungen Generation und dem europäischen Einigungsprozeß aus anderer Perspektive gestellt Welche Auswirkungen haben Jugendliche von der Vollendung des Binnenmarktes zu erwarten? Inwiefern sind sie in ihren einzelnen Lebensbereichen dadurch betroffen?

II. Einstellungen und Handlungsbereitschaft in der Lebenswelt von Jugendlichen

Analysen über die Befindlichkeiten von Jugendlichen sollten an den Lebenswelten anknüpfen, die sie sich im Laufe des Heranwachsens schaffen. Unter der Lebenswelt eines Jugendlichen wird seine Alltagswelt verstanden seine für ihn „selbstverständliche Wirklichkeit“ an der er in unausweichlicher, regelmäßiger Wiederkehr teilnimmt, zugleich auch der Ort von Kommunikation und Interaktion, Handlung und Praxis. Wie aus jugendsoziologischen Studien hervorgeht, setzen sich Lebenswelten Jugendlicher aus einzelnen Handlungsfeldern bzw. Kommunikationskontexten zusammen. Die einzelnen Lebenssphären eines Jugendlichen werden durch gesellschaftliche Bedingungen und Beziehungsstrukturen begrenzt, die Handlungsspielräume, Lem-und Lebenschancen bestimmen. Hier wird auch das Einstellungsund Wertesystem eines Jugendlichen geprägt. Diese Dispositionen sind in hohem Maß festgefügt und lassen sich nur durch massive Einflüsse ändern.

Einstellungen sind, wie das Erleben, nicht unabhängig von den Gegenständen, auf die sie sich beziehen. Entwicklung und Wandlung von Einstellungen sind an eine individuelle Lerngeschichte gebunden. Einstellungen besitzen dialektischen Charakter: Sie beruhen auf Erfahrung und bilden gleichzeitig die Bedingung für Erfahrung. Der Systemcharakter von Einstellungen beschreibt ihre Elemente in einem „Dreikomponentensatz“ der eine kognitive (das Wissen um den Gegenstand), eine affektive (gegenstandsbezogenes Gefühl) und eine Handlungskomponente (gegenstandsbezogene Handlungsdisposition) umfaßt.

Die Meinung, verstanden als Stellungnahme zu einem Sachverhalt, ist im Unterschied zur Einstellung weitgehend kognitiv und weniger affektiv bestimmt. Meinungen sind leichter modifizierbar und haben nicht die Dauerhaftigkeit von Einstellungen; Meinungen besitzen geringere Konsistenz als Einstellungen, sind aber in gleichem Maße verhaltensleitend. Dies macht deutlich, daß die einmal angeeigneten Dispositionen auf die Handlungsbereitschaft des Jugendlichen wirken. Genauso tragen sie aber auch zur Ausbildung von Identität bei. Identität wird in diesem Zusammenhang als Kompetenz verstanden, sich gegenüber wechselnden und gegebenenfalls inkompatiblen Rollenerwartungen und Lebenssituationen als eine Person handlungs-und interaktionsfähig zu beweisen, die „den Forderungen nach Konsistenz noch genügen kann und darin ihre unverwechselbare Eigenständigkeit ausdrückt“ Das heißt: Identität entsteht aus der Summe des Orientierungswissens. Orientierungen sind die Ordnungsrahmen für die eingehenden Informationen, für die Lokalisierung so-zialer Objekte. Sie sind allgemeine Umweltbeschreibungen, grundlegende Erwartungen, Bestandsaufnahmen, Selektionshilfen. Das bedeutet für unser Thema: Die Art und Weise, in der Ju-gendliche europäische Impulse aufnehmen sowie die Stärke und Wertung dieser Impulse beeinflussen ihre Grundeinstellung und die daraus resultierende Handlungsbereitschaft.

III. Einstellungen, Wünsche und Perspektiven Jugendlicher zu Europa

Anhand einiger ausgewählter Indikatoren sollen die Vorstellungen Jugendlicher in West-und Ostdeutschland von Europa beschrieben werden. Für die Jugendlichen in der ehemaligen DDR fehlen leider noch, im Unterschied zur alten Bundesrepublik, breit angelegte langjährige Untersuchungen, so daß nur im begrenzten Umfang Umfragedaten zur Verfügung standen. Das in den Köpfen der jungen Generation manifestierte Europabild gibt Aufschluß darüber, was sie mit dem Begriff Europa verbinden Dieses Bild über Europa ist erfahrungsgeprägt. Das Erlebte wird als Rohmaterial zur Verarbeitung der Gegenwart und zur Gestaltung der Zukunft mitherangezogen. 1. Fünf Europa-Typen in der alten Bundesrepublik Deutschland Mit dem Begriff Europa verbinden Jugendliche in erster Linie die Europäische Gemeinschaft -44 Prozent bei einer Befragung ohne Antwortvorgaben. Erst mit weitem Abstand folgen andere Assoziationen In idealtypischer Verdichtung lassen sich fünf komplexe Einstellungstypen zur europäischen Einigung in der jungen Generation herauskristallisieren: der engagierte Europäer (14 Prozent), der interessierte Europäer (47 Prozent), der indifferente Europäer (14 Prozent), der skeptische Europäer (8 Prozent) und der Anti-Europäer (16 Prozent). Jede einzelne Gruppe ist anhand ihres spezifischen Profils mit Hilfe folgender Indikatoren zu beschreiben: a) Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen Dieser Indikator soll Aufschluß darüber geben, welche Einschätzungen die Jugendlichen über den aktuellen Stand der europäischen Integration äußern. Die junge Generation ist mit den Krisen und den Erfolgen der EG groß geworden. Der europäisehe Einigungsprozeß ist für sie ein Segment der politischen Realität. Das (West-) Europa, das seine Konflikte auf friedlichem Wege zu lösen versucht, ist eine Alltäglichkeit. Im Hinblick auf das vereinte Europa markieren der engagierte Europäer und der Anti-Europäer die entgegengesetzten Pole. Beide Typen lassen sich verkürzt als vergleichsweise formal gebildete, politisch interessierte Jugendliche mit einer deutlich formulierten, positiven bzw. negativen Einstellung zur europäischen Einigung kennzeichnen. Die mittleren Gruppen, die der europäischen Einigung interessiert, gleichgültig oder skeptisch gegenüberstehen, sind unentschlossen und in ihrer Haltung insgesamt wenig gefestigt. Lediglich der Anti-Europäer lehnt ein vereintes Europa definitiv ab. Seine Motive liegen primär in dem seiner Meinung nach vorhandenen Mangel an Effizienz auf Seiten der Europäischen Gemeinschaft. Deshalb vertraut er stärker der einzelstaatlichen Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland. b) OptimismusIPessimismus bezüglich der künftigen Entwicklung Die Zukunft Europas wird durch massive Umbrüche geprägt sein. Die Jugendlichen werden nicht nur europäisierte Arbeits-und Lebensstrukturen vorfinden, sondern müssen in ganz neuen Kategorien von Konkurrenz und Innovation denken lernen. Während in Teilen der älteren Generation noch Befürchtungen über den Verlust der kulturellen Eigenständigkeit durch die europäische Integration anzutreffen sind, wird diese Besorgnis von den Jüngeren nicht in diesem Maße geteilt. Gerade in der Diskussion um den europäischen Binnenmarkt wird dieses Argument häufig erörtert. Solche Bedenken scheinen aber bei den genannten Europa-Typen keinen wesentlichen Resonanzboden zu finden. Lediglich der „Anti-Europäer“ hat Angst vor einer kulturellen Überfremdung. Gleichzeitig sind bei ihm deutlich Bedenken gegen eine starke Bevormundung durch eine europäische Zentralverwaltung abzulesen. Die europäische Einigung wird von der jungen Generation auch befürwortet, weil sie diese in weltpolitischer Sicht für erforderlich hält. Das Leben ist nach Meinung der Jugendlichen durch die Europäische Gemeinschaft alles in allem besser geworden. Die Zukunft Europas wird auch für die Gestaltung des eigenen Lebens als wichtiges Thema anerkannt. Eine Verbesserung für das Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird nur in geringem Umfang erwartet. c) Aktivitäten/Partizipation Für die Jugendlichen ist es besonders wichtig, daß sie Europa unmittelbar erfahren können. Der individuelle und konkrete Zugang (z. B. über die persönliche Begegnung und den direkten Gedankenaustausch) steht eindeutig im Vordergrund. Die Jugendlichen wollen ein erlebbares Europa. Dies gilt besonders für den Typ des engagierten Europäers, der sich durch seine häufige Teilnahme an Europa-Veranstaltungen im Bildungsbereich auszeichnet. Er hat kontinuierlichen Kontakt zu Jugendlichen aus anderen europäischen Ländern. Bei den interessierten, indifferenten und Anti-Europäern spielt im Alltag die Begegnung mit ausländischen Jugendlichen keine große Rolle. Der skeptische Europäer gibt an, praktisch nie mit Menschen aus anderen Ländern zusammenzutreffen. Fast alle Jugendlichen haben schon einmal ein anderes europäisches Land besucht. Die Begegnungen finden meist im Urlaub bzw. in der Freizeit statt. Die Bereitschaft zu längeren Auslandsaufenthalten in anderen EG-Ländem ist hoch. Auf diese Weise wird Europa anschaulich und für die Jugendlichen erkennbar. Das Potential an europäischer Mobilität ist bisher bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Gegenüber der Freizügigkeit von Personen im Hinblick auf Wohnung, Ausbildung und Beruf besteht eine positive Grundhaltung. Das Gefühl, Europäer zu sein, wird durch Kontakte mit anderen europäischen Jugendlichen tendenziell verstärkt. Das Bewußtsein europäischer Identität ist, wie auch der Vergleich mit früheren Umfragen zeigt, unter den Jugendlichen ausgeprägter als unter den älteren Bürgern der Bundesrepublik Deutschland. d) Politische Themen Viele politische Themen haben nach Ansicht der Jugendlichen grenzüberschreitende Dimensionen, sie betreffen eher die ganze Welt als nur eine Nation. Zentrale Aufgaben können nach ihrer Meinung von der Europäischen Gemeinschaft gelöst werden (Friedenssicherung, Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Technologie, Wirtschaft). Die Lösungskompetenz für diese Probleme wird häufiger bei der Europäischen Gemeinschaft als im eigenen Land angesiedelt. So ist der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit für den interessierten wie für den skeptischen Europäer-Typ eine europäische Aufgabe. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft ist jedoch in bezug auf den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit gering. Dies ist besonders bedeutsam, weil die Jugendlichen der Meinung sind, daß dieses Problem vorrangig im europäischen Rahmen gelöst werden müßte (32 Prozent: ist europäisches Problem, Prozent: ist Problem der Bundesrepublik Deutschland). 2. Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern Solche detaillierten Aussagen über die Einstellungen zur europäischen Einigung lassen sich für die Jugendlichen in den fünf neuen Bundesländern noch nicht treffen. In der Vergangenheit wurde das Thema „Europa“ -wenn überhaupt -nur im Zusammenhang mit der Freundschaft zu den osteuropäischen „Bruderstaaten“ und ihrer Politik der Friedenssicherung erfragt 14). Mit dem Begriff „Europa“ wurde -aus dem Wahrnehmungsmuster der Blockkonfrontation abgeleitet -ein anderer Ordnungsrahmen bezeichnet als in Westdeutschland.

Obgleich den Einstellungen der Jugendlichen in der ehemaligen DDR zu Europa aufgrund der Spezifik der „doppelten Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland und gleichzeitig in die EG“ eine grundlegende Bedeutung zukommt, ist bislang noch weitgehend ungeklärt, wie diese gelagert sind. So stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit sie sich schon von den alten Stereotypen gelöst haben oder diesen noch anhängen. Tatsächlich ist es notwendig, daß die Jugendlichen in den neuen Bundesländern auch die europäische Dimension in ihren Lernprozeß einbeziehen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß sie den Herausforderungen des Binnenmarktes nicht gewachsen sind und die damit verbundenen Chancen verpassen. a) Assoziationen zu Europa Vielen Jugendlichen im östlichen Teil Deutschlands fällt zum Thema „Europa“ spontan nichts oder nur wenig ein. Die Vorstellungen derjenigen, die sich äußern, sind aber deutlich von gesamt-europäischen Bezügen geprägt. Anders als bei ihren westlichen Altersgenossen spielt die Europäische Gemeinschaft im Bewußtsein der ostdeutschen Jugendlichen erst langsam eine Rolle. Wenn die EG genannt wird, wird dieses Themenfeld häufig ausschließlich mit dem Begriff Wirtschaft assoziiert. Hierbei gibt es zwei konkrete Ausprägungen: negativ besetzt mit Schlagworten wie „übermäßige Agrarsubvention“, „Preisverfall“, „soziales Gefälle“, und positiv mit Begriffen wie „Leistungsfähigkeit“, „Wohlstand/Lebensstandard“. Die EG wird aber auch mit Vokabeln belegt wie: „Debattiererei“, „Nationalitätenkonflikte“, „Migrations-und Ausländerprobleme“, „große Angst vor Ausländern“. b) Zugehörigkeitsgefühl zu-Europa Grundsätzlich fühlt sich über die Hälfte der Jugendlichen aus den neuen Bundesländern mit Europa verbunden Schon im November 1989 gaben 84 Prozent der befragten Jugendlichen an, sich als Europäer zu fühlen; im Sommer 1990 waren es 91 Prozent Das Spektrum der Begründungen für dieses Zugehörigkeitsgefühl zu Europa stellt sich breitgefächert dar, weist aber recht deutliche Grundmuster auf. So denken die Jugendlichen vorrangig in geographischen Bezügen: 33 Prozent der Befragten empfinden sich vor allem deshalb als Europäer, weil sie auf diesem Kontinent geboren sind, sich dort zu Hause fühlen und dort leben. Für 20 Prozent der Jugendlichen spielen die geschichtlich-kulturelle Verbundenheit der europäischen Völker, ihre ähnlichen Lebensweisen und auch ihre anthropologischen Gemeinsamkeiten eine große Rolle. Ein Motiv für die Identifikation mit Europa stellt auch die Zielsetzung eines „geeinten und freien Europas“ dar. So meinten 8 Prozent der Jugendlichen, sich als Europäer zu fühlen, bedeute „offene Grenzen und Freiheit“. 16) c) Persönliche Erfahrungswelt und Perspektiven Reisen in andere europäische Länder und Kontakte mit Menschen aus anderen europäischen Nationen bieten den Jugendlichen die Gelegenheit, Europa unmittelbar zu erleben. Im Unterschied zu ihren westlichen Altersgenossen verfügen die Jugendlichen in der ehemaligen DDR über vielfältige Reiseerfahrungen in die osteuropäischen Länder. Seit der Grenzöffnung nutzen viele die neugewonnene Reisefreiheit, um auch west-und nordeuropäische Länder zu besuchen. Der Begriff „Europa“ wird mit der -bis zur Maueröffnung kaum erreichbaren -Reisemöglichkeit nach Westeuropa verbunden. d) Kenntnisstand über die Europäische Gemeinschaft Neun von zehn Jugendlichen erklären, schon einmal von der EG gehört zu haben. Fast die Hälfte kennt das Europäische Parlament. Im Hinblick auf das gegenwärtig zentrale Projekt der europäischen Integration, die Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992, liegen unterschiedliche Daten vor: Im Mai 1990 gaben 55 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal etwas vom europäischen Binnenmarkt gehört zu haben Allerdings antworteten knapp ein halbes Jahr später nur 39 Prozent der befragten Jugendlichen in der ehemaligen DDR, in Zeitungen, Radio oder Fernsehen einmal etwas vom europäischen Binnenmarkt 1992 gelesen oder gehört zu haben (West: 65 Prozent) Dagegen geben fast drei Viertel zu Protokoll, an den Belangen der Europäischen Gemeinschaft interessiert zu sein. Kenntnisse über Zusammenhänge und Funktionsweisen der Europäischen Gemeinschaft fehlen weitgehend, so daß sich die Orientierung auf eine oberflächliche Begrifflichkeit beschränkt.

Die verfügbaren Umfragedaten machen den Spannungsbogen deutlich, in welchem sich Jugendliche aus der ehemaligen DDR bei ihrer Orientierungssuche bewegen: Auf der einen Seite zeigt sich der -verständliche -Wunsch nach Freiheit, Freizügigkeit und Mobilität. Andererseits wird die Inanspruchnahme genau dieser Werte durch fremde Nationalitäten nicht toleriert: Fast ein Drittel fühlt sich durch die vielen Ausländer im eigenen Land gestört. Hintergrund dafür sind zum einen die Erfahrungen mit den in der ehemaligen DDR arbeitenden Ausländern -vor allem Vietnamesen bei denen auf gesellschaftliche Integration kein Wert gelegt wurde. Diese Einstellungen sind zum anderen durch die Angst vor der Konkurrenz um einen Arbeitsplatz beeinflußt (53 Prozent). Die hieraus resultierenden Unsicherheiten stellen die ehemaligen DDR-Jugendlichen vor verschiedene „mentale“ Verarbeitungsprobleme. Dies wird besonders dramatisch, wenn existentielle Bereiche betroffen sind. Konfliktpotentiale sind vorprogrammiert: Es ist zu vermuten, daß daraus spezifische Probleme entstehen: -Die Jugendlichen, die in der DDR aufwuchsen, sind über ihre Chancen und Möglichkeiten im Hinblick auf Ausbildung und Beruf innerhalb der EG nicht informiert und deshalb verunsichert. -Die Jugendlichen aus Ostdeutschland haben es nicht gelernt, mit ausländischen Mitbürgern „umzugehen“. Multikulturelle Fähigkeiten sind nicht oder nur sehr schwach ausgebildet.

Aus den unterschiedlichen Lebenswelten in Ost und West haben sich verschiedenartige Einstellungsmuster ergeben. Doch kann vermutet werden, daß sich ein rascher Einstellungswandel vollziehen wird, weil die Prägekraft der Systeme gering gewesen ist und neue Erfahrungen veränderte Einstellungen hervorrufen.

IV. Auswirkungen des Binnenmarktes für die junge Generation

Für die Jugendlichen in der ehemaligen DDR ist der „Anpassungsdruck“ -wenigstens für die nächsten vier oder fünf Jahre -wesentlich stärker als für die junge Generation im Westen Deutschlands, weil sie nicht die gleichen Startchancen haben. Sie müssen erst lernen, mit der Pluralität der Lebens-möglichkeiten umzugehen.

Das zentrale Dokument des Binnenmarkt-Projekts der EG, das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Jugend und deren Lebensbereiche. Es benennt die erforderlichen Maßnahmen, um den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital zu verwirklichen. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle diese Rechtsakte mittlerweile verabschiedet; die Mitgliedstaaten haben längst mit der Umsetzung in nationales Recht begonnen; wesentliche Weichen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben werden bereits gestellt. Dieses eigentliche Binnenmarkt-Programm wird als notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für einen flexiblen Markt, für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft, für Zusammenhalt und Solidarität der Mitgliedstaaten erachtet. Die EG-Kommission ist daher bestrebt, in anderen Politikbereichen die Binnenmarkt-Strategie zu ergänzen und zu unterstützen, so auch im Jugend-und Bildungsbereich. Gerade hier geht es darum, neben dem „Europa der Händler“ auch ein „Europa der Bürger“ zu verwirklichen. Priorität hat dabei die Förderung der Mobilität.

Die angestrebte Vollendung des gemeinsamen Marktes und die Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit auf allen Gebieten führen nach Ansicht der Kommission außerdem dazu, daß das Schul-und Ausbildungswesen in den Mittelpunkt des europäischen Aufbauwerks rückt Die tief-greifenden Veränderungen auf dem Weg zum Binnenmarkt erfordern eine allgemeine Verbesserung des Ausbildungsniveaus. Im Bildungswesen müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die neuen Anforderungen, in bezug auf Mobilität und Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft, erfüllt werden können. Doch die Europäisierung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft betrifft die Jugendlichen nicht nur im Bildungssystem, sondern in allen Lebensbereichen. 1. Familie Gesellschaftliche Entwicklungen können nicht ohne Auswirkungen auf die Familie bleiben. Die EG-Kommission geht davon aus, daß die Vollendung des Binnenmarktes durch wirtschaftliche Umstrukturierungen, veränderte Arbeitsbedingungen, flexiblere Arbeitsformen und neue Anforderungen an Mobilität und Ausbildung „indirekt das Leben der Familie beeinflussen“ wird. Durch die Bildungsexpansion und Verzögerungen beim Übergang ins Erwerbsleben hat sich eine post-adoleszente Lebensphase herausgebildet, in der der beruflich-finanzielle Status weiterhin unsicher bleibt, wodurch der Prozeß der Ablösung von der Herkunftsfamilie verlängert wird Es ist denkbar, daß der Binnenmarkt mit seinen erweiterten Mobilitätschancen und -anforderungen den Prozeß der Ablösung des Jugendlichen vom Elternhaus künftig beschleunigen wird. Andererseits könnte die zunehmende Komplexität der europäischen Umwelt gerade eine Renaissance der Familie als Rückhalt, Bezugspunkt und Solidargemeinschaft bewirken.

Durch Beratung, Steuerung und Unterstützung übt die Familie einen bedeutenden Einfluß auf Bildungs-und Lebenspläne der Jugendlichen aus. Der Informationsstand der Eltern spielt dabei eine wesentliche Rolle. Eltern sind jedoch durch die zunehmende Komplexität der Gesellschaft häufig überfordert und nicht mehr in der Lage, ihren Kindern Informationen und Orientierungen zu geben, die der gesellschaftlichen Realität Europas entsprechen. Das Ziel der EG, Mobilität, Flexibilität und „Europafähigkeit“ der Jugendlichen zu fördern, müßte daher durch Informations-und Sensibilisierungsmaßnahmen unterstützt werden, die auf die Eltern ausgerichtet sind. 2. Schule Das Binnenmarkt-Programm selbst enthält keine direkt auf den schulischen Bereich bezogenen Regelungen, doch setzt sich die Gemeinschaft zur Unterstützung der Binnenmarkt-Entwicklung für die Förderung der europäischen Dimension im Unterricht, des Fremdsprachenunterrichts und des Schüleraustauschs sowie für Kontakte zwischen Schule und Wirtschaft ein. Auf nationaler Ebene stellen sich vor allem folgende Aufgaben: -Die „europäische Dimension“ im Schulunterricht sollte stärker mit konkreten Inhalten gefüllt werden und vor allem die Fächer Sozial-kunde, Geschichte und Erdkunde prägen -Die Kultusminister der Bundesländer müssen sich darauf verständigen, wie der Fremdsprachenunterricht in allen Schulformen verbessert werden kann, wobei die kleineren Gemeinschaftssprachen miteinzubeziehen sind. -Die Appelle der Gemeinschaft, die Kooperation zwischen Schule und Arbeitswelt auf regionaler und lokaler Ebene zu fördern, bedürfen einer wirksamen Umsetzung

-Die umstrittene Frage einer Verkürzung der Gymnasialschulzeit von 9 auf 8 Jahre ist durch sorgfältiges Vergleichen mit den anderen EG-Ländern, Berücksichtigung aller Argumente und praktische Schulversuche weiter zu klären. -Um problemlose Schulwechsel und damit eine individuelle, begabungsorientierte Förderung zu gewährleisten, ist es gerade im Hinblick auf die erhöhten Qualifikationsanforderungen im europäischen Binnenmarkt notwendig, die horizontale und vertikale Durchlässigkeit des Schulsystems, auch zwischen allgemeinen und beruflichen Bildungsgängen, zu verbessern. 3. Hochschule Im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Personenfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit gehört es zu den Zielen des Binnenmarkt-Programms, Mobilität und europäische Strukturen in der Wissenschaft zu fördern. Mit dem ERASMUS-Programm soll die Mobilität der Studenten in der EG wesentlich erhöht werden. Das CO-METT-Programm fördert die grenzüberschreitende, technologische Kooperation von Hochschule und Wirtschaft. Beide Programme, 1987 angelaufen und bereits neu aufgelegt, stießen auf große Resonanz. Zur Erleichterung der Mobilität hat der Ministerrat im Dezember 1988 darüber hinaus eine Allgemeine Regelung zur Anerkennung von Hochschuldiplomen verabschiedet Auch ein Teil des 1990 angelaufenen LINGUA-Programms zur Fremdsprachenförderung bezieht sich auf den Hochschulbereich. Für eine Europäisierung der Hochschulen können EG-Programme jedoch nur Impulse geben. Abhängig ist die Entwicklung europäischer Strukturen vor allem von entsprechendem Engagement auf nationaler, regionaler und insbesondere auf Hochschulebene. Folgende Aufgaben stehen dabei im Mittelpunkt:

-Die Universitäten sind aufgefordert, eine ihren jeweiligen Ausgangsbedingungen und Interessen angepaßte EG-weite Kooperationspolitik zu entwickeln Dabei sollte das traditionelle Dreieck Deutschland-Frankreich-Großbritannien nicht dominierend bleiben.

-Europäische Studieninhalte sollten stärker in die einzelnen Fachstudiengänge integriert werden, um möglichst jedem Studenten Grundkenntnisse der europäischen Strukturen, seiner institutionellen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensumwelt zu vermitteln;

Fremdsprachenunterricht könnte in möglichst viele Studiengänge als Pflicht-oder Wahlfach integriert werden. -Das relativ hohe Berufseintrittsalter der bundesdeutschen Universitätsabsolventen -mit 28, 3 Jahren einige Jahre über dem EG-Durchschnitt -hat die Forderung nach einer Kürzung der Studienzeiten immer lauter werden lassen.

Dies ist nur in einem langfristigen Prozeß zu erreichen

-Die im Zuge der Binnenmarkt-Vollendung erhobene Forderung nach einer engeren inhaltlichen Klammer zwischen Hochschule und Berufswelt muß sich auch in entsprechenden Strukturen niederschlagen. In eine verstärkte Zusammenarbeit der Hochschulen mit ihrem ökonomischen Umfeld sollten gerade kleine und mittlere Unternehmen einbezogen werden. 4. Duales System Dem dualen System der Berufsausbildung verdankt die Bundesrepublik Deutschland einen hohen Standortvorteil: Die Qualität der deutschen Berufsausbildung wird international hoch eingeschätzt, da die Verbindung von berufspraktischem Lernen und ergänzendem Schulbesuch einen relativ hohen Ausbildungsstandard mit breiter praktischer Qualifikation ermöglicht Die EG verfolgt in diesem Bereich im Rahmen der Binnenmarkt-Vollendung zwei Haupfziele: Zum einen soll die Berufsausbildung allgemein auf einen höheren Stand gebracht werden, um den angehenden Arbeitnehmern bessere Chancen zu eröffnen und um die im Binnenmarkt benötigten Qualifikationen zu sichern; zum anderen sollen auch im Berufsausbildungssystem die Voraussetzungen für spätere berufliche Mobilität geschaffen werden. Diesen Zielen dienen das PETRA-Programm zur Ausbildung und Vorbereitung der Jugendlichen auf das Erwachsenen-und Erwerbsleben, das EUROTEC-NET-Programm zur Vorbereitung der Jugendlichen auf den Umgang mit neuen Datenverarbeitungs-und Informationstechnologien sowie die Bemühungen um eine gegenseitige Anerkennung der beruflichen Befähigungsnachweise. Das Fremdsprachenprogramm LINGUA ist zum größten Teil der Berufsausbildung gewidmet.

Bei Austauschprogrammen sind Lehrlinge jedoch im Vergleich zu Schülern und Studenten bislang vernachlässigt worden. Hier könnte durch Kooperation und Partnerschaften europäischer Unternehmen Abhilfe geschaffen werden. Im dualen System müssen die notwendigen Voraussetzungen zur Überwindung sprachlicher, kultureller und sozialer Schranken geschaffen werden. Im Binnenmarkt ist außerdem eine breite, vielseitig verwendbare berufliche Grundausbildung notwendig. Diese ist nur zu erreichen, wenn Betriebe und Berufsschulen eng Zusammenarbeiten und Lehrinhalte gemeinsam abstimmen. Aufgrund der Attraktivität des dualen Systems ist es denkbar, daß sich verstärkt auch Jugendliche aus anderen EG-Ländern in der Bundesrepublik um eine Lehrstelle bewerben. Möglicherweise werden sich Firmen und Betriebe auch ganz gezielt um Auszubildende aus anderen Mitgliedstaaten bemühen, um sich auf diese Weise Nachwuchskräfte heranzuziehen, die besonders gut in der wirtschaftlichen Kooperation auf europäischer Ebene einsetzbar sind. 5. Arbeitswelt Die mit dem Binnenmarkt-Projekt angestrebte Europäisierung der wirtschaftlichen Strukturen be-rührt vor allem den Bereich der Arbeitswelt. Jungen Arbeitnehmern eröffnen sich neue berufliche Möglichkeiten, doch müssen sie sich auch auf neue Anforderungen vorbereiten und der Konkurrenz aus dem Ausland stellen. Mit der zunehmenden Verflechtung der europäischen Wirtschaft zeichnet sich ab, daß Fremdsprachenkenntnisse, Ausländserfahrung und Kenntnisse über die Rechts-, Steuer-und Abgabensysteme, Märkte und Produktionsmöglichkeiten in anderen EG-Staaten immer wichtiger werden. Die internationale Einsatzfähigkeit und -bereitschaft einer Arbeitskraft entwickelt sich zu einem zentralen Kriterium auf dem Stellen-markt Um die Mobilität zu fördern, bemüht sich die EG bei allen Berufen um eine gegenseitige Anerkennung. Außerdem unterstützt sie mit ihrem Austauschprogramm für junge Arbeitnehmer die Vorbereitung der bereits in die Arbeitswelt integrierten Jugendlichen auf den gemeinsamen Binnenmarkt. Jugendliche gehören zu den verhandlungsschwachen Gruppen auf dem Arbeitsmarkt. Flexibilisierungsmaßnahmen wirken sich für sie besonders stark aus, so daß gerade junge Arbeitnehmer von den möglicherweise negativen Folgen der Binnenmarktvollendung betroffen sein werden. Es ist zu prüfen, wie durch Arbeitsrecht und Sozialgesetzgebung ein angemessener Schutz auch der jungen Arbeitnehmer erreicht werden kann, besonders bei neuen Beschäftigungsformen 6. Jugendarbeitslosigkeit Im Mittelpunkt jugendpolitischer Initiativen in der EG steht das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Die Gemeinschaft bekämpft die Jugendarbeitslosigkeit vor allem auf drei Ebenen: durch die Förderung neuer Arbeitsplätze, durch die Verbesserung der Ausbildung und durch die Erleichterung des Übergangs in das Erwerbsleben. Kurzfristig wird aufgrund von Umstrukturierungs-und Rationalisierungsprozessen in einem Klima des verschärften Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt allerdings mit Arbeitsplatzverlusten gerechnet. Da die Jugendlichen zu den von Arbeitslosigkeit bedrohten und von wechselnden Arbeitsverhältnissen be-troffenen Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt gehören, werden gerade sie die Tendenzen der Beschäftigungsentwicklung besonders zu spüren bekommen. Ein schwieriges Problem ist die Mobilität junger Arbeitsloser Auslandsaufenthalte sind ihnen nur in Ausnahmefällen möglich. Obwohl sie mittlerweile in Austauschprogramme einbezogen werden -etwa in das EG-Austauschprogramm für junge Arbeitnehmer und in die Programme des Deutsch-Französischen Jugendwerks -besteht für sie in noch größerem Maße als für Lehrlinge und junge Arbeitnehmer die Gefahr, daß ihnen die neuen Möglichkeiten, die der europäische Binnenmarkt eröffnet, verschlossen bleiben. 7. Außerschulische Bildung, Freizeit und Kultur Die außerschulische Bildung erhält durch die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes wachsende Bedeutung, denn hier kann viel flexibler auf neue Herausforderungen reagiert werden als im eher statischen traditionellen Bildungswesen. Notwendig sind Informationsangebote, die die Europäische Gemeinschaft und den Binnenmarkt für Jugendliche anschaulich und konkret faßbar machen. Sie sollten zur kritischen Auseinandersetzung, zu Eigeninitiative und Aktivität anregen. Da die europäische Lebensumwelt für den Alltag der Jugendlichen immer wichtiger wird, ist auch zu überlegen, mit welchen Angeboten, Programmen und Veranstaltungen Jugendorganisationen, Reiseveranstalter, Sportclubs, Musikinstitute etc. die europäische Dimension noch mehr als bisher berücksichtigen können. Hier kann beispielhaft auf Gemeinschaftsaktionen verwiesen werden, insbesondere auf das breit angelegte, 1988 angelaufene Programm zur Förderung des Jugendaustauschs „Jugend für Europa“, aber auch auf Initiativen im Gemeinschaftssport, kulturelle Aktionen und die Einführung eines europäischen Jugendausweises. Im Konsum-und Mediensektor haben Jugendliche eine relativ große Eigenständigkeit entwickelt Der europäische Binnenmarkt wird für Jugendliche auch in ihrer Eigenschaft als Konsumenten erfahrbar, in seinen positiven Auswirkungen -etwa zunehmende Produktivität, Preissenkungen -wie auch in seinen potentiellen negativen Folgen für den Verbraucherschutz.

V. Schlußbemerkung und Perspektiven

Neue Chancen und neue Konkurrenz -das sind die zwei Seiten der zukünftigen Lebenswelt, die für Unternehmer ebenso gelten wie für Arbeitnehmer und Arbeitsuchende. Das Bildungswesen muß sich darauf einstellen Die Jugendlichen müssen über den europäischen Integrationsprozeß ausreichend informiert werden, damit sie ihre persönliche Betroffenheit und ihre Chancen erkennen Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, sind zusätzlich zu den von der Gemeinschaft initiierten Programmen und Aktionen Anstrengungen der Mitgliedstaaten notwendig. Wie im Beschäftigungssystem wird es auch im Bildungs-und Berufsausbildungssystem zu einer Intensivierung der Mobilität und damit des Wettbewerbs kommen. Bildungseinrichtungen werden europaweit in Konkurrenz zueinander treten. Insgesamt ist eine Annäherung der Bildungssysteme wahrscheinlich. Es geht allerdings nicht um eine Harmonisierung oder Europäisierung der historisch gewachsenen nationalen Bildungs-und Ausbildungssysteme Doch muß ihre Komplementarität, ihre gegenseitige Durchlässigkeit gefördert werden, um das Ziel der Freizügigkeit auch im Bildungsbereich zu unterstützen. In der Diskussion über notwendige Anpassungen im Bildungs-bereich sollten jedoch nicht nur marktorientierte Gesichtspunkte eine Rolle spielen.

Die konkreten Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes für die junge Generation werden sich zum Teil erst im Laufe der Entwicklung abzeichnen. Heute mangelt es auch noch an einer konkreten Skizzierung des Handlungsbedarfs, an Strategien der Betroffenen und nicht zuletzt an Informationen für einen europäischen Vergleich und eine realistische Einschätzung der Lage. Es wird viel erwartet von der Jugend. Die Gesellschaft ihrerseits muß darauf achten, daß die Jugendlichen nicht überfordert werden, etwa durch zunehmenden Leistungsdruck. Die rückläufige demographische Entwicklung darf nicht dazu führen, daß Probleme der jungen Generation weniger Beachtung finden. Die Vollendung des Binnenmarktes erfordert im Gegenteil eine neue Qualität der Förderung, Betreuung und Integration der jungen Generation -im besonderen Maße für die Jugendbehen aus den fünf neuen Bundesländern. Existenzprobleme der Jugend sollten sensibel registriert werden, denn Jugendprobleme sind Probleme der Gesellschaft, die Jugend ist gewissermaßen ihr „neuralgischer“ Punkt. Im Rahmen des Binnenmarkt-Projekts, das Lebens-und Arbeitsbedingungen der europäischen Bürger verbessern soll, wird die junge Generation zum Prüfstein für die Fähigkeit zur Zukunftsbewältigung

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Werner Weidenfeld/Josef Janning, Der Umbruch Europas: die Zukunft des Kontinents, Gütersloh 1990 (Strategien und Optionen für die Zukunft Europas -Arbeitspapiere 4).

  2. Eine aktuelle, bilanzierende Analyse der Entwicklung der europäischen Integration in: Josef Janning/Melanie Piepen-schneider, Sachanalyse, in: Europa 1992. Auf dem Weg zur Europäischen Union, Materialien für den Unterricht, PZ-Information 10/90, Bad Kreuznach 1990, S. 3-28.

  3. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann/Gerhard Herdegen, Die öffentliche Meinung, in: Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 1983, Bonn 1984, S. 315.

  4. Vgl. Werner Weidenfeld/Melanie Piepenschneider, Junge Generation und Europäische Einigung. Einstellungen -Wünsche -Perspektiven, Bonn 1990, S. 30ff.

  5. Grundlage hierfür ist eine repräsentative Umfrage unter 1536 Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren in der alten Bundesrepublik Deutschland, ergänzt durch qualitative Erhebungen. Vgl. W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 4).

  6. Einige westdeutsche Institute haben auch das Thema Europa abgefragt, so: Eurobarometer, Ipos, Infratest. Darüber hinaus gibt es eine qualitative Analyse. Vgl. als systematisierende Analyse: Forschungsgruppe Jugend und Europa, Die junge Generation in den fünf neuen Bundesländern und die Europäische Integration, Mainz 1991 (bisher unveröffentlichtes Manuskript).

  7. Ausführlich hierzu: Werner Weidenfeld/Anita Wolf, Europa ’ 92: Die Zukunft der jungen Generation (Mainzer Beiträge zur Europäischen Einigung, Bd. 12), Bonn 1990.

  8. Das Lebenswelt-Konzept geht zurück auf Alfred Schütz, Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Neuwied-Darmstadt 1975, Bd. 2, Neuwied-Darmstadt 1984 (zus. mit Thomas Luckmann); Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981, hier besonders seine These der „Kolonialisierung der Lebenswelt“.

  9. Vgl. Erwin Roth, Einstellung als Determination individuellen Verhaltens. Die Analyse eines Begriffes und seiner Bedeutung für die Persönlichkeitspsychologie, Göttingen 1967, S. 41.

  10. Amelie Mummendey, Zum gegenwärtigen Stand der Forschung der Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz, in: Hans Dieter Mummendey (Hrsg.), Einstellung und Verhalten. Psychologische Untersuchungen in natürlicher Umgebung, Bem u. a. 1979, S. 14.

  11. Jürgen Habermas, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt a. M. 1976, S. 95. Vgl. auch Lothar Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, Stuttgart 1969.

  12. Eine ausführliche Analyse von Europabildern in: Melanie Piepenschneider, Europabilder von Jugendlichen. Eine europapolitische Topographie in den neunziger Jahren, Bonn 1991.

  13. Vgl. W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 4), S. 15f.

  14. Vgl. Walter Friedrich/Hartmut Griese (Hrsg.), Jugend und Jugendforschung in der DDR. Gesellschaftspolitische Situationen und Mentalitätsentwicklungen in den 80er Jahren, Opladen 1991.

  15. Vgl. Deutsches Jugendinstitut (DJI), Deutsche Schüler im Sommer 1990 -Skeptische Demokraten auf dem Weg in ein Vereintes Deutschland. Deutsch-deutsche Schülerbefragung 1990 (DJI-Arbeitspapier 3-019), München 1990. Ähnlich stark ist die Verbundenheit mit Deutschland (57 Prozent) und der Stadt oder Gemeinde, in der sie leben (44 Prozent). Deutlich geringer ist dagegen die Verbundenheit mit dem eigenen Teil Deutschlands, also der ehemaligen DDR (28 Prozent).

  16. Zentralinstitut für Jugendforschung, Jugend zwischen Wende und Vereinigung Deutschlands. Report über den Wandel der politischen Mentalität Jugendlicher seit der Wende in der DDR, Teil I: Ausgewählte Ergebnisse DDR-repräsentativer Umfragen zwischen November 1989 und August 1990 (unveröffentlichtes Manuskript), Leipzig 1990.

  17. Ipos, Meinungen zu Europa in der DDR. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Mannheim 1990.

  18. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die öffentliche Meinung in der EG. Eurobarometer Sondererhebung, 34 (1990), S. 10.

  19. Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes (im folgenden zitiert als KOM), (85) 310, endg. F. v. 14. Juni 1985.

  20. Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat über die allgemeine und berufliche Bildung in der Europäischen Gemeinschaft, KOM, (89) 236, endg. F. v. 2. Juni 1989; vgl. auch KOM, (88) 280 endg. F. v. 18. April 1988.

  21. Mitteilung der Kommission über die Familienpolitik, KOM, (89) 363, v. 8. August 1989.

  22. Vgl. Klaus Hurrelmann/Bernd Rosewitz/Hartmut K. Wolf, Lebensphase Jugend, Weinheim-München 1985, S. 39f.; Jürgen Zinnecker, Zukunft des Aufwachsens, in: Jens Hesse/Hans-Günter Rolff/Christoph Zöpel (Hrsg.), Zukunftswissen und Bildungsperspektiven, Baden-Baden 1988, S. 120, 128; Hans-Rolf Vetter, Veränderungen des Lebenslaufs Jugendlicher, in: Deutsches Jugendinstitut, Jahresbericht 1987, München 1988, S. 159.

  23. Vgl. u. a. Harald Kästner, Für ein gemeinsames Konzept der europäischen Dimension in den Lehrplänen, in: Helmut Keim (Hrsg.), Die europäische Dimension in Unterricht und Schulpolitik, Stuttgart 1989, S. 96.

  24. Vgl. Werner Lenske (Hrsg.), Qualified in Germany. Ein Standortvorteil der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1988, S. 15.

  25. Vgl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 19 vom 24. Januar 1989.

  26. Vgl. Frans Peter Küpper (Taskforce Humanressourcen der EG-Kommission), Vortrag „European Single Market in 1992. What is happening to Higher Education“, Universität Trier, 28. August 1989.

  27. Vgl. zu dieser Problematik: Deutscher Hochschulverband (Hrsg.), Verkürzung der Studienzeit. Vorschläge und Stellungnahmen -eine Dokumentation, Forum des Hochschulverbandes Heft 44, Bonn 1988; Christoph Helberger/Thomas Kreimeyer/Jutta Räbiger, Studiendauer und Studienorganisation im interuniversitären Vergleich, Studien zu Bildung und Wissenschaft, Bd. 72, Bonn 1988.

  28. Vgl. Reinhard Zedler, Standortvorteil: Berufsausbildung, in: W. Lenske (Anm. 24), S. 77f.; Rolf Raddatz, Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Für den EG-Binnenmarkt gut gerüstet, in: Wirtschaft und Berufs-Erziehung, 8 (1989), S. 232.

  29. Vgl. u. a. Dieter Arnold, Das größere Europa -zwischen wirtschaftlichen Chancen und kulturellem Auftrag, in: Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) (Hrsg.), Aufbruch zum Binnenmarkt -Konsequenzen für Aus-und Weiterbildung, Köln 1988, S. 29.

  30. Vgl. New Forms of Work. Labour Law and Social Security Aspects in the European Community, hrsg. von der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Luxemburg 1988, S. 152ff.

  31. Vgl. Gerhard Dannemann, Barriers to Youth Mobility. Bericht für das Europäische Jugendzentrum Straßburg, 15. September 1988, S. 15; Annemarie La Rooy, Legal and administrative barriers to youth exchange in the European Community, Luxemburg 1986, S. 42.

  32. Vgl. K. Hurrelmann u. a. (Anm. 22), S. 66.

  33. Vgl. Rita Baur/Heimfrid Wolff/Peter Wordelmann, Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes für das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1991.

  34. Vgl. KOM, (90) 469, endg. F. v. 15. Oktober 1990.

  35. Vgl. Schlußbericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik -Bildung 2000“, Deutscher Bundestag, Ds. 11/7820 v. 5. September 1990, S. 132ff.

  36. Vgl. Werner Weidenfeld, Die Jugend und die Europäische Einigung, in: Außenpolitik, 39 (1988) 3, S. 226; Ulrich Hermann u. a., Jugend, Jugendprobleme, Jugendprotest, Stuttgart u. a. 1982, S. 26.

Weitere Inhalte

Melanie Piepenschneider, Dr. phil., geb. 1962; Forschungsbereichsleiterin Europa-und Deutschland-politik des Forschungsinstituts der Konrad-Adenauer-Stiftung; bis September 1991 stv. Leiterin der Forschungsgruppe Jugend und Europa am Institut für Politikwissenschaft, Universität Mainz. Veröffentlichungen u. a.: (Zus. mit Werner Weidenfeld) Junge Generation und Europäische Einigung. Einstellungen -Wünsche -Perspektiven, Bonn 1990. Anita Wolf M. A., geb. 1964; wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsgruppe Europa am Institut für Politikwissenschaft, Universität Mainz. Veröffentlichungen u. a.: (Zus. mit Werner Weidenfeld) Europa ’ 92: Die Zukunft der jungen Generation (Mainzer Beiträge zur Europäischen Einigung, Bd. 12), Bonn 1990.