Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Rumänien zwischen Revolution und Restauration | APuZ 14/1992 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 14/1992 Jugoslawien vor dem Zerfall Vom Kommunismus zur Demokratie in Bulgarien Rumänien zwischen Revolution und Restauration Albaniens Weg zur Demokratie

Rumänien zwischen Revolution und Restauration

Anneli Ute Gabanyi

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Prozeß des Übergangs zu Demokratie und Marktwirtschaft spielt Rumänien eine Sonderrolle. Allein in diesem Lande wurde das Muster der „samtenen Revolutionen“ Ostmitteleuropas durchbrochen. In Rumänien fand ein antikommunistischer Volksaufstand statt, den sich eine gegen den damaligen Staats-und Parteichef Ceaujescu gerichtete Gruppe aus Partei, Militär und Sicherheitskräften zunutze gemacht hatte, um einen Regimewechsel „ä la Perestrojka“ herbeizuführen. Die politische Liberalisierung -Pluralismus, Meinungs-und Pressefreiheit, das Recht auf Privateigentum -ist in der inzwischen verabschiedeten neuen Verfassung verankert. Bei den ersten freien Parlaments-und Präsidentschaftswahlen dominierte die nach dem Umsturz an die Macht gelangte „Front der Nationalen Rettung“, die jedoch seither Auflösungserscheinungen zeigt. Zugleich erfährt das alte Regime eine Restauration in Form neokommunistischer sowie extrem nationalistischer Parteien. Der gesetzliche Rahmen für die Reform des Wirtschaftssystems ist bereits weit fortgeschritten, doch in der Praxis stößt der Transformationsprozeß noch auf Widerstände und Hindernisse.

Beim Übergang vom Kommunismus zur Demokratie und Marktwirtschaft nimmt Rumänien eine Sonderrolle ein. Zum Unterschied von den anderen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts hatten die Rote Armee und der sowjetische Geheimdienst KGB als Folge der jahrzehntelangen Abgrenzungspolitik Rumäniens von der Sowjetunion ihren Zugriff auf die nationalen Befehlsstränge der Armee und des Sicherheitsdienstes Securitate eingebüßt. Der 1958 erfolgte Abzug der sowjetischen Truppen aus Rumänien hatte die Voraussetzung geschaffen für die seit Anfang der sechziger Jahre bis zum Sturz Ceau§escus gespielte außenpolitische Sonderrolle Rumäniens, die gekennzeichnet war durch den Widerstand gegen die von der Sowjetunion vorangetriebene engere militärische und wirtschaftliche Integration der osteuropäischen Staaten nach außen sowie eine Politik der Desowjetisierung und der zeitweiligen gemäßigten Liberalisierung im Inneren. Der Widerstand der Ceau§escu-Führung gegen die von Gorbatschow überall im ehemaligen Ostblock geforderte Reformpolitik entsprang der gleichen Ablehnung jeglicher Gleichschaltung mit und Unterordnung unter das politische Diktat der östlichen Hegemonialmacht. So wurde das Muster der „samtenen Revolutionen“ Ostmitteleuropas nur in diesem Lande durchbrochen. Einen graduellen, von inneren Reformkräften herbeigeführten Machtübergang wie in Polen und Ungarn hatte Ceauescu erfolgreich abgeblockt, ein gewaltfreier Staatsstreich wie in der ehemaligen DDR, der Tschechoslowakei oder Bulgarien erschien angesichts des Widerstandes Ceau§escu-loyaler Militärs und Sicherheitskräfte undenkbar.

I. Systemwandel, Regimewechsel oder Elitenaustausch?

Der Volksaufstand, der am 16. Dezember 1989 in Temeswar begonnen hatte und am 22. Dezember 1989 zum Sturz und zur Flucht Nicolae Ceau§escus führte, war gewaltsam und traf auf Gegengewalt: 1066 Menschen fanden dabei den Tod, fast 3000 wurden verletzt. Gewalt wurde von unterschiedlichen Akteuren mit unterschiedlichen Zielsetzungen ausgeübt, zum einen im Zuge der Volksrevolution, die das Ende des Kommunismus zum Ziel hatte, zum anderen im Verlauf des konterrevolutionären Staatsstreichs, der das neue Regime an die Macht brachte. Diese Machtübernahme war das Ergebnis einer konzertierten Aktion ehemals an den Rand gedrängter Gegeneliten in Partei, Militär und Sicherheitsapparat und eines erheblichen Teils der Ceau§escu-treuen Nomenklatura, die zu den Putschisten überlief. Der weitaus größere Teil der Getöteten und Verwundeten fiel der gegenrevolutionären Aktion der neuen Machthaber zum Opfer, die auch um die militärische Unterstützung der Sowjetunion nachgesucht hatten.

Die neuen Machthaber hatten sich diesen Volksaufstand -sofern sie ihn nicht sogar provoziert haben -zunutze gemacht, um einen Regimewechsel von Ceau§escus nationalkommunistischem, reform-feindlichem Zentralismus hin zu einem reformistisch-liberalen kommunistischen Regime „ä la Perestrojka“ herbeizuführen. Auch sollte ein grundlegender Wandel in der außenpolitischen Ausrichtung Rumäniens herbeigeführt werden von einer -im Rahmen des geopolitisch Möglichen -autonomen Außenpolitik zu einer Außenpolitik des vorauseilenden Interessenopportunismus gegenüber der Sowjetunion.

Die blutige Rebellion erlaubte es der neuen Führung, sich eine breite Unterstützung für ihre „Revolution von oben“ zu sichern. Mit Hilfe des Fernsehens, worüber sie sofort nach dem Sturz Ceau§escus frei verfügte, gelang ihr eine in der Geschichte bisher beispiellose Massenmobilisierung. Durch den Einsatz der wenigen landesweit bekannten oppositionellen Intellektuellen wurde Vertrauen geweckt und das Gefühl nationaler Solidarität erzeugt. Zugleich sorgte ein künstlich aufgeheiztes Klima der Angst und des Abscheus für jene Stimmung in der Bevölkerung, die notwendig war, um die Exekution Ceau§escus als Ausdruck des genuinen Volkswillens erscheinen zu lassen.

Mit dem Sturz des seit 1965 amtierenden Staats-und Parteichefs Nicolae Ceau§escu hat sich an der Spitze der Rumänischen Kommunstischen Partei (RKP) -die übrigens bis heute nicht offiziell aufgelöst oder für illegal erklärt worden ist -ein Fraktionswechsel vollzogen, wie er im Verlauf ihrer bald 70jährigen Geschichte mehrmals stattgefunden hat. Beginnend mit dem Jahre 1961 waren die sowjetloyalen Internationalisten in der Partei von den nationalgesinnten Kommunisten aus den Schlüsselpositionen in Partei, Staat und Wirtschaft gedrängt worden -nun schlug das Pendel zurück.

Die anfangs erfolgreiche moralische Legitimierung der neuen Führung als „Emanation“ einer Volkserhebung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei der Front der Nationalen Rettung (FNR) um eine Koalition ehemaliger, von Ceau§escu marginalisierter Funktionsträger aus dem Bereich der kommunistischen Partei, der Armee und des Sicherheitsapparats handelte, die mit Hilfe eines von langer Hand vorbereiteten Staatsstreichs an die Macht gekommen waren. Das eigentliche Zentrum der neuen Machtstrukturen bildete die von der Sowjetunion unterstützte Gruppe um Ion Iliescu, die sich aus Vertretern der marginalisierten internationalistischen Fraktion der RKP, in die Reserve geschickten sowjet-freundlichen Militärs und KGB-treuen Vertretern der Sicherheitskräfte zusammensetzte. Der Zusammenhalt der neuen Machtstrukturen ist zudem durch ein weitverzweigtes Netz von Seilschaften und Klientelbeziehungen, deren Fäden bei Ion Iliescu zusammenlaufen, gesichert. Sein Schicksal als ehemaliger Weggefährte und zeitweilig designierter Nachfolger Ceauescus, dessen Aufstieg 1971 gestoppt wurde, ließ ihn aber auch zum natürlichen Verbündeten ehemaliger Weggefährten Ceau§escus werden, die als Folge der Machtkonzentration in den Händen des Diktators aus ihren Positionen gedrängt worden waren.

Ion Iliescu, gemäß eigenem Bekunden ein unentwegter Verfechter der von ihm so genannten Ideale des Sozialismus und Anhänger einer originellen Spielart der Demokratie unter der Ägide eines aufgeklärten Despoten, war nach Herkunft und Werdegang die ideale Alternative zu Ceauescu und Integrationsfigur für die Zeit danach: ein Mann der alten Garde aber auch des neuen Apparats, ein Politiker, dem es gelang, den Bonus der Machterfahrung mit dem Image des Widerstandes gegen die Allmacht des Diktators auf sich zu vereinen. Iliescu gehörte zur Gruppe derjenigen rumänischen Funktionäre, die in der Sowjetunion studiert hatten. Er selbst soll sich damals sogar mit Michail Gorbatschow angefreundet haben. Als dessen Anhänger gab sich Iliescu bereits 1987 in einem Zeitschriftenaufsatz zu erkennen.

II. Der neue Pluralismus

Um ihre Behauptung zu untermauern, sie sei aus dem Geist der „Revolution“ entstanden, verfügte die neue Führung eine Reihe von Maßnahmen, die aus der Sicht der Bevölkerung gegen das System als Ganzes gerichtet waren. Den Bürgern wurden fundamentale bürgerliche Rechte und Freiheiten zugestanden, die ihnen mehr als vierzig Jahre verwehrt gewesen waren. Hierzu gehört das Recht auf Bildung unabhängiger Parteien und Verbände, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Demonstrationsrecht sowie die Reise-und Ausreisefreiheit. Dem Ziel der Mobilisierung von Vertrauen und Sympathie für die neue Führung diente nicht zuletzt auch die Ankündigung von Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Versorgungslage der von Ceau§escus extremen Sparmaßnahmen schwer getroffenen Bevölkerung. Die vom Rat der FNR verkündeten Thesen zur künftigen politischen und wirtschaftlichen Ordnung lassen jedoch erkennen, daß es der neuen Führung zu jenem Zeitpunkt zwar um eine Absage an das Ceauescu-Regime, nicht aber um eine Abkehr von einem autoritären System ging. Vor allem sollte das System der bisherigen Eigentumsstruktur offenbar nicht angetastet werden; über ein Wirtschaftskonzept „ la Perestrojka“, das den „Umbau“ der Wirtschaft, Verzicht auf zentralistische Lenkungsmethoden, Effizienzsteigerung, Förderung der freien Initiative, „Umstrukturierung“ der Landwirtschaft und Förderung der kleinen Landwirtschaftsproduktion vorsah, wollte man nicht hinausgehen.

Bei ihrem Machtantritt hatte der Rat der FNR in seinem Programm Demokratie, Pluralismus und freie Wahlen in Aussicht gestellt. Die neue Führung war als „Caretaker“ -Verwaltung angetreten, die die Voraussetzungen für korrekte Wahlen schaffen sollte, doch sie dachte anfangs nicht an die Einführung eines Mehrparteiensystems nach westlichem Vorbild. Um als neue Partei registriert zu werden, genügt der Nachweis von mindestens 251 Mitgliedern. Die Folge: eine total unübersichtliche Parteienlandschaft und eine unnötige Aufsplitterung des Stimmenpotentials.

Gegenwärtig liegt die Zahl der Parteien in Rumänien bei 200. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich hierbei um Phantom-oder Satellitenparteien der FNR. Ihnen stehen die aus der Vorkriegszeit stammenden und während der kommunistischen Herrschaft verbotenen historischen Parteien gegenüber, die sich nicht nur gegen die Vielzahl der erwähnten Phantomparteien derselben Couleur behaupten müssen, sondern auch laufend mit Spaltungstendenzen zu kämpfen haben.

Am 6. Januar 1990 konstituierte sich die National-liberale Partei (Partidul National Liberal), Rumäniens „grand old party“, neu, nachdem ihr Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat Radu Cämpeanu nach Rumänien zurückgekehrt war. Der ehemalige Vorsitzende der Studentischen Jugendorganisation der Nationalliberalen war zwischen 1947 und 1956 inhaftiert gewesen und 1973 ins Pariser Exil gegangen. Nach dem Sturz Ceauescus versuchten die Nationalliberalen nicht ohne einen gewissen Erfolg, an ihr klassisches Image als Partei der Mitte anzuknüpfen. Ihr Programm: ein neoliberales Credo, sozial abgefedert, mit einer gewissen dirigistischen Komponente, laizistisch, antimonarchisch. Seit Oktober 1991 bildet die Nationalliberale Partei eine Koalitionsregierung mit der FNR, der Agrarierpartei und der Ökologischen Partei.

Die Nationale Christlich-Demokratische Bauernpartei (Partidul National rnesc Cretin §i Democrat) ist die zweite große historische Partei Rumäniens. Bei ihrer Neugründung im Dezember 1989 schloß sich die wiedererstandene ehemalige Nationale Bauernpartei mit christdemokratischen Gruppierungen zusammen, was zur Erweiterung des Parteinamens führte. Ihr Vorsitzender Corneliu Coposu hatte 18 Jahre in kommunistischen Gefängnissen verbracht. Zum Programm der Partei gehören die Rückgabe des enteigneten Bodens an die Bauern, die integrale, in Etappen realisierte Privatisierung des Handels und der Industrie und die Modernisierung des Landes mit Hilfe westlichen Kapitals; die Rückkehr nach Europa auf dem Wege der Achtung der Menschen-und Minderheitenrechte, Rückkehr zu christlichen Wertekategorien, sowie die Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen zu den Nachbarstaaten unter Wahrung der nationalen Interessen inklusive in der Bessarabienfrage und der Nichtanerkennung der Abdankung des Königs.

Die Rumänische Sozialdemokratische Partei (Partidul Social Democrat Roman), 1893 gegründet, ist die dritte der „historischen“ Parteien, wie sie in Rumänien genannt werden, die am 24. Dezember 1989 wieder an die Öffentlichkeit trat. Gemäß ihrem eigenen Selbstverständnis war sie nie aufgelöst worden und hatte im Untergrund weiterbestanden. Ihr klassisches Wählerpotential aus der Zeit des industriellen Aufschwungs zwischen den beiden Weltkriegen -disziplinierte Facharbeiter und Handwerker -gibt es jedoch nicht mehr. Das als Folge der forcierten Industrialisierung und Urbanisierung der letzten 40 Jahre entstandene Halbproletariat von Pendlern und Schlafstadtbewohnern fühlt sich eher zur FNR hingezogen.

Als zweitstärkste Partei ging jedoch die Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (Uniunea Democratä a Maghiarilor din Romania) aus den ersten Parlamentswahlen vom Mai 1990 hervor. Ihren politischen Standpunkt beschreibt Geza Domokos, der Vorsitzende dieser aus dem Zusammenschluß mehrerer ungarischer Parteien und Berufsgenossenschaften zusammengefügten Union, als „Mitte-rechts", als Vertreterin der Interessen der ungarischen Minderheit; sie ist aber eine „single issue party“. Die hart aber offen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen einem moderaten Flügel und Verfechtern einer radikaleren Politik endete auf ihrem jüngst in Tirgu Mures abgehaltenen Parteitag noch zugunsten des gemäßigten Domokos.

Die Phalanx der im Parlament vertretenen demokratischen Parteien, die sich bereits im vergangenen Jahr zu einer „Konvention für die Einführung der Demokratie“ zusammengeschlossen hatten, wurde jüngst durch die Gründung der Partei der Bürgerallianz (Aliana Civicä) verstärkt. Hervorgegangen aus der Protestbewegung oppositioneller Intellektueller und Studenten, stellte sie in ihren Anfängen eine lose gefügte, ideologisch und soziologisch breit gefächerte Organisation nach dem Muster des tschechischen Bürgerforums oder der polnischen Solidarno dar. Sie wollte die Voraussetzungen schaffen für die Herausbildung einer zivilen Gesellschaft als Grundlage für eine genuine parlamentarische Demokratie. Die Bürgerallianz strebt eine parlamentarische Demokratie mit einer starken Hinwendung zum Westen an. Für viele, aber nicht alle ihrer Vertreter stellt der im Exil lebende rumänische König Michael eine Integrationsfigur dar, die Stabilität garantieren und westliche Unterstützung verbürgen könnte. Zu den wichtigsten Zielsetzungen der Bürgerallianz gehört die Überwindung der Spannungen zwischen Intellektuellen und Arbeitern sowie zwischen Rumänen und Vertretern der Minderheiten. Anfang Juli konstituierte sich ein Teil der Mitglieder der Bürgerallianz als „Partei der Bürgerallianz“ (Partidul Alianei Civice). Ihren ursprünglichen, moralischen und sozialpädagogischen Anspruch will die neugegründete Partei beibehalten, zugleich aber auch konkrete Lösungen für die Krise des Landes aufzeigen. Es ist nicht zuletzt das Verdienst der Bürgerallianz, daß die wichtigsten Oppositionsparteien zusammen mit einigen oppositionellen Organisationen bei den Kommunalwahlen vom Februar 1992 geeint als „Demokratische Konvention“ auftreten konnten.

III. Die Front der Nationalen Rettung

Bei den ersten freien Parlamentswahlen in Rumänien nach dem Umsturz errang die Front der Nationalen Rettung einen überragenden Wahlerfolg bei hoher Wahlbeteiligung. In den beiden Kammern gewannen ihre Kandidaten rund zwei Drittel der Stimmen, ihr Präsidentschaftskandidat Iliescu wurde gar mit 85 Prozent aller abgegebenen Stimmen gewählt. Die Gründe: der Revolutionsbonus der Front, die Wirkung der „neue Vaterfigur“ Ion Iliescu auf die Wähler und nicht zuletzt der monopolistische Zugriff auf die elektronischen Medien. Populistische Wahlgeschenke und eine auf Zukunftsangst und Sozialneid zielende Wahlpropaganda wiegten die Bevölkerung in dem Glauben, daß eine wirtschaftliche Gesundung und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen durch einen schmerzlosen „Umbau“ des real existierenden Systems möglich sei. Das -von der Bevölkerung anfangs nicht als solches erkannte -autoritäre Regime erfuhr eine fast plebiszitär zu nennende Restauration. Bei den Wahlen vom 20. Mai 1990 -so eine Bukarester Wochenzeitung -sei „Gorbatschows Traum -die Bestätigung der kommunistischen Machtausübung durch freie Wahlen“ erstmals wahr geworden.

Statt sich jedoch des ihr bei den Wahlen ausgestellten politischen Blankoschecks zu erfreuen, schlitterte die Front der Nationalen Rettung unmittelbar danach in eine tiefe Legitimations-und Autoritätskrise. Was in der Vorwahlphase den Anschein einer taktischen Arbeitsteilung -einerseits Perestrojka, andererseits Marktwirtschaft -gehabt hatte, entpuppte sich nun als handfester Dissens, der zu Flügelkämpfen und schließlich zu Abspaltungen verschiedener Gruppen von der Mutter-front führte.

Die aus der „Revolution“ hervorgegangene neue Machtelite zeigte nach den Wahlen deutliche Auflösungserscheinungen. Hinter unterschiedlichen programmatischen Vorstellungen stehen zwei zunehmend gegensätzliche Gruppierungen: die alte Nomenklatura, bestehend aus der arrivierten, immer noch mächtigen Bürokratie in Politik und Wirtschaft hinter dem Präsidenten Ion Iliescu und die noch nicht hinreichend saturierte, neue Nomenklatura, gebildet von der etablierten technokratischen Elite hinter dem inzwischen abgelösten Premierminister und Parteiführer Petre Roman. Die programmatische Position der von Iliescu angeführten „alten Nomenklatura“ kann mit den Begriffen „Perestrojka + Postkapitalismus + Egalitarismus + Westfeindlichkeit“ umschrieben werden, Romans Vorstellungen wiederum können auf die Formel „Reform + Frühkapitalismus + Sozialdarwinismus + Westfreundlichkeit“ gebracht werden. Iliescu sieht die Front als eine Mitte-Links-Partei, Romans Konzept wird von seinen Gegnern in der Front als „Mitte-rechts“ abgetan.

Im Anschluß an den mißglückten August-Putsch in der Sowjetunion sahen sich die um Präsident Iliescu und Sicherheitschef Mägureanu gescharten alten Eliten ernsthaft gefährdet. Bei einem Verlust künftiger Wahlen droht ihnen nicht nur der Verlust ihrer Privilegien, sondern möglicherweise auch Untersuchungen und Verfahren wegen ihrer Zugehörigkeit zum kommunistischen Unrechts-und Unterdrückungsapparat. Die jungen Technokraten erkannten, daß es höchste Zeit war, sich von dem kompromittierten Teil der nachrevolutionären Machtelite loszusagen, sich als Vorkämpfer gegen die kommunistischen Strukturen zu gerieren und auf diese Weise von der Macht soviel für sich zu retten wie nur möglich. Der schwelende Konflikt zwischen den „Konservativen“ um Präsident Iliescu und den „Reformern“ um Premierminister Roman geriet zum offenen Schlagabtausch. Die alte Garde erwies sich als stärker. Ende September marschierten die vom Sicherheitsapparat manipulierten Bergarbeiter des Schiltals erneut in Bukarest ein mit dem erklärten Ziel, den Premierminister zu stürzen. Zum neuen Premierminister, der die Regierungsgeschäfte bis zu den Parlamentswahlen vom Mai/Juni 1992 führen soll, wurde der Finanzexperte Theodor Stolojan ernannt. Am Vorabend der Kommunalwahlen hatten die Zwistigkeiten innerhalb der FNR ein solches Ausmaß erreicht, daß sie sich negativ auf die Wahlchancen dieser Partei ausgewirkt haben.

IV. Die nationalistische Diversion

Angesichts ihres Popularitätsverlusts erschien der Führung der Nationalismus als das probate Mittel, von den sich häufenden Schwierigkeiten abzulenken, das Bedürfnis der Bevölkerung nach Identität und Sicherheit auf neue Weise zu kanalisieren und zu verhindern, daß dieses Potential von der demokratisch-bürgerlichen Opposition genutzt würde. Besonderen Erfolg versprach die Taktik der nationalistischen Stellvertreterorganisationen. So wurde wenige Wochen nach dem Sturz Ceau§escus im Januar 1990 die sogenannte kulturelle Vereinigung „Vatra Romäneascä“ („Rumänische Heimstatt“) ins Leben gerufen. Davon spaltete sich die „Partei der Nationalen Einheit der Rumänen“ („Partidul Unitii Nationale a Romnilor“) ab, die bei den Pärlamentswahlen vom 20. Mai 1990 in Siebenbürgen mit Erfolg das Wiedererstarken der dort traditionell populären „Nationalen Christdemokratischen Bauernpartei“ („Partidul National Cretin i Democrat“) verhindern konnte. Im Altreich konstituierte sich nach den Wahlen die „Großrumänische Partei“ („Partidul Romania Mare“), benannt nach der Zeitung, die schon Monate zuvor durch chauvinistische und antisemitische Hetzkampagnen in Erscheinung getreten war. Diese „national-sozialistischen“ Organisationen und Publikationen sind fremdenfeindlich, antidemokratisch, antireformistisch und antimonarchisch. Sie sind ebenso wie die diversen KP-Nachfolgeparteien auf den derzeitigen Präsidenten Ion Iliescu, die Armee und den alten und neuenSicherheitsdienst eingeschworen. Ziele dieser unverhüllten, politischen wie auch nationalen Diversion sind Ungarn, Zigeuner und Juden aber auch Katholiken, Reformer und Intellektuelle ganz allgemein. Klassen-und Rassenhaß sind an der Tagesordnung. Der Westen wird verteufelt, die Gefahr einer erneuten Isolierung Rumäniens in Europa bewußt in Kauf genommen. Hingegen wird die Nostalgie der versunkenen kommunistischen Epoche und insbesondere der CeauescuÄra heftig gepflegt. Gelegentlich ist auch von der Notwendigkeit die Rede, Nationalgarden aufzustellen und das Militär an die Macht zu bringen.

Diese neuen rumänischen Nationalisten sind ebenso wie die wiedererstandenen kommunistischen oder kryptokommunistischen Parteien aus den Reihen jener ehemaligen Funktionäre aus Partei, Securitate und Armee hervorgegangen, denen wegen ihrer übergroßen Nähe zum nationalkommunistischen Ceauescu-Regime der Zugang zu den neuen Machtstrukturen verwehrt geblieben ist. Sie alle werben um die Masse der neuen Unzufriedenen mit Slogans, die Marktwirtschaft mit Arbeitslosigkeit und Inflation sowie Demokratie mit Anarchie gleichsetzen.

Mit der juristischen Aufarbeitung der Vergangenheit gibt es in Rumänien nicht weniger Probleme als in den anderen postkommunistischen Staaten.

Teile der parlamentarischen Opposition sowie die außerparlamentarische Opposition des Landes, die vorwiegend moralische Kriterien an diese Verfahren anlegen, fordern immer lauter einen „Prozeß des Kommunismus“. Trotz des gewaltsamen Sturzes des alten Regimes konnten sich die Strukturen des „ancien regime“ gut behaupten. Denn zum einen hatte die neue Machtelite sich diese Strukturen zunutze gemacht, zum anderen hat es bis zu den Wahlen vom 20. Mai 1990 so etwas wie ein Stillhalteabkommen zwischen den alten und neuen Seilschaften gegeben. Die alte Ceauescu-Nomenklatura hielt sich bedeckt, fühlte sich aber angesichts ihres immer noch erheblichen Herrschaftswissens sicher. In der Tat wurden nur die loyalsten und ranghöchsten Mitarbeiter Ceauescus wegen der Beihilfe zum Völkermord verurteilt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Die späteren Urteile gegen die obersten Parteifunktionäre, welche an der Unterdrückung der Rebellion in Temeswar beteiligt waren oder ihre Zustimmung zum Schießbefehl gegeben hatten, fielen milde aus. Die Vertreter des Ceauescu-Clans, auch der ehemalige Hermannstädter Kreisparteivorsitzende Nicu Ceau§escu, sind insgesamt recht glimpflich davongekommen. Seine Geschwister Zoe und Valentin Ceau§escu waren bereits im August 1990 aus der Haft entlassen worden. Ceau§escus Bruder Ilie, ein General und ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister sowie Vorsitzender des Politischen Rates der Armee, war anfangs als festgenommen gemeldet worden, von einem Gerichtsverfahren gegen ihn ist jedoch nichts bekannt.

Nach den Wahlen setzte dann sogar ein Prozeß der Restauration des alten Regimes ein, die Ceauescu-Treuen begannen sich neu zu formieren. Der Ceau§escu-Clan tritt in der Öffentlichkeit immer selbstbewußter auf. Nicu Ceau§escu will, auf seinen schlechten Gesundheitszustand pochend, seine Haftentlassung erreichen. Unter Ausnutzung der Bestimmungen des neuen Bodengesetzes haben die Ceau§escus die Rückgabe des Grundbesitzes der Familie in Scornice§ti beantragt. Zoe klagt auf Wiedereinstellung durch ihren alten Arbeitgeber. Solches Selbstbewußtsein ist nicht weiter verwunderlich, bedenkt man, daß jüngst in der „national-sozialistischen“ Presse Vorschläge nach Errichtung eines Ceau§escu-Gedächtnismuseums geäußert worden sind. Ceau§escu sei „ein großer Patriot“ gewesen, den man eigentlich zum König hätte krönen müssen.

V. Die Transformationskrise

Der Übergang von der Kommandowirtschaft zur Marktwirtschaft vollzog sich in Rumänien unter erschwerenden Bedingungen. Die Gründe hierfür sind in den Besonderheiten rumänischer Nachkriegspolitik zu suchen. Zum einen zeichnete sich das dem Lande nach 1944 aufgezwungene kommunistische Regime in seiner Anfangsphase durch eine im Vergleich zu den anderen Staaten des Ostblocks ungewöhnliche ideologische Starrheit aus. Die gesamte landwirtschaftlich nutzbare Bodenfläche war -mit Ausnahme kleiner Parzellen und der Weidegebiete im unwegsamen subkarpatischen Bergland -zwangsweise kollektiviert oder verstaatlicht worden. Private Gewerbe-und Dienstleistungsbetriebe gab es bis zum Umsturz praktisch nicht. Fast die gesamten Ressourcen des Landes flossen in die Schwerindustrie, die bereits in den fünfziger und sechziger Jahren, dem sowjetischen Vorbild folgend, hypertrophe Ausmaße angenommen hatte und von dem autarkiebesessenen Nationalkommunisten Ceau§escu noch weiter ausgebaut worden war.

Als Folge der außenpolitisch motivierten Weigerung Ceauescus, das sowjetische „Perestrojka" -Modell zu übernehmen, setzte der Übergang zu einer graduellen Dezentralisierung und Liberalisierung des Wirtschaftsgeschehens, wie er in anderen ehemaligen Ostblockstaaten (Ungarn, Polen) bereits in den achtziger Jahren angelaufen war, in Rumänien erst nach dem Dezember 1989 ein. Und auch die neue, auf Gorbatschows systemerhaltenden Reformkurs eingeschworene Führung der Front der Nationalen Rettung zögerte den Transformationsprozeß weiter hinaus. Im Gegensatz zur demokratischen Opposition, die für schnelle und tiefgreifende marktwirtschaftliche Reformen plädiert hatte, versuchte Präsident Iliescu vor den ersten freien Parlamentswahlen vom Mai 1990 die Illusion eines dritten, schmerzlosen Weges zu einer Pseudo-Marktwirtschaft aufrechtzuerhalten.

Nach dem Wahltag stellte sich dann jedoch heraus, daß die von Ceauescu gehorteten Devisenreserven in Milliardenhöhe aufgebraucht, die unter Opfern erzielte Schuldenfreiheit dahin und die Kassen leer waren. Zugleich war in der Bevölkerung die Erwartung geweckt worden, daß mit weniger Arbeit höhere Löhne zu verdienen seien. Mit 37, 2 Stunden hat Rumänien gegenwärtig die kürzeste Wochenarbeitszeit in Europa. Erst nach den Wahlen vom 20. Mai 1990 setzte die neue Regierung unter Ministerpräsident Petre Roman auf eine schnelle, im Stil einer Schocktherapie verordnete Reform.

Zu den Hemmnissen des Transformationsprozesses gehören spezifische Aspekte des soziologischen Aufbaus und der Mentalitätsstruktur, die aus historischen Traditionen und einer politischen Kultur erwachsen sind, die durch eine mehr als vierzig Jahre andauernde Diktatur geprägt worden ist. In Rumänien gibt es keinen nennenswerten Mittelstand, die notwendige marktwirtschaftliche und unternehmerische Erfahrung muß noch gewonnen werden. Eine Vertragskultur nach westeuropäischem Muster fehlt noch weitgehend, die spezifischen Formen einer Ethik der sozialen Marktwirtschaft müssen sich erst herausbilden. Der Ausleseprozeß des vom alten Regime übernommenen technokratischen Mittelbaus ist noch nicht abgeschlossen. In der Bevölkerung machen sich Apathie, Frustration und Sozialneid breit. Das gesellschaftliche Klima ist bestimmt von sinkender Arbeitsmoral, einer allgegenwärtigen Korruption und rapide steigender Kriminalität.

Ein weitaus größeres Hemmnis für den Übergang zur Marktwirtschaft bildet die enge Verbindung wirtschaftlicher und machtpolitischer Fragen. Im Zuge der raschen Umsetzung ihrer radikalen Reformpolitik stieß die Gruppe um den ehemaligen Ministerpräsidenten Roman auf den Widerstand reformfeindlicher Kräfte in den alten Wirtschaftsund Verwaltungsstrukturen, deren Interessen von einer Fraktion innerhalb der nachrevolutionären Führung, verkörpert durch den Präsidenten Ion Iliescu, die beiden Kammerpräsidenten des Parlaments und den Chef des Sicherheitsapparats, Virgil Mägureanu, verteidigt werden. Die alten zentralistischen Strukturen sind aufgelöst, doch deren Exponenten ist es bisher gelungen, das Entstehen alternativer Strukturen zu verhindern beziehungsweise hinauszuschieben.

Die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Transformationsprozeß in Rumänien waren auch nicht gerade günstig. Seit der Anfang 1991 in Kraft getretenen Umstellung des Handelsaustauschs zwischen den ehemaligen Mitgliedsländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) von Transferrubel auf Devisen muß Bukarest den größeren Teil seiner Energieimporte in harter Währung bezahlen. Die Folgen des Golfkrieges waren für Rumänien verheerend. Seine unverkennbaren Standortvorteile -Größe des Marktes, Bedeutung als Transitland zwischen Europa und dem Nahen und Fernen Osten, relativ gut ausgebildete Arbeitskräfte, (noch) vergleichsweise niedrige Löhne -weiß Rumänien nicht optimal zu nutzen. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds könnten die Bereiche Landwirtschaft und Tourismus bei entsprechender Förderung schnell wieder in Gang kommen. Ähnlich positiv werden dort auch die Chancen in einigen Bereichen der Industrie bewertet, insbesondere in der Chemie, Petrochemie, Eisenmetallurgie, im Flugzeug-, Schiff-und Automobilbau sowie in der Holzverarbeitung und Nahrungsgüterindustrie. Um diese Chancen nutzen zu können, braucht Rumänien erhebliche westliche Investitionen und Finanzhilfen. Westliche Kredite fließen indes nur spärlich, denn trotz der 1989 unter den Bedingungen einer extremen Austeritätspolitik erfolgten Rückzahlung aller Devisenschulden hat sich die Kreditwürdigkeit Rumäniens nach dem Sturz des Diktators Ceau§escu nicht wesentlich verbessert. Die Reaktion westlicher Investoren war bisher eher verhalten. Immer noch fließt nur ein verschwindend geringer Teil des in dieser Region investierten Kapitals nach Rumänien. Mit wenigen Ausnahmen sind es vorwiegend Einzelpersonen oder kleine Gesellschaften, die kleine Kapitalbeträge in Rumänien investiert haben. Die meisten mit ausländischer Beteiligung gegründeten JointVentures sind reine Export-Import-Firmen, die vorwiegend im Bereich von Handel oder Tourismus tätig sind.

Nicht zuletzt um das Image und die Kreditwürdigkeit des Landes im Westen zu verbessern, mußte Rumänien versuchen, seinen Rückstand gegenüber den ost-und mitteleuropäischen Reformstaaten rasch zu überwinden. In enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank sowie internationalen Beratungsfirmen gelang es, die wichtigsten ordnungspolitischen Vorgaben für den Übergang Rumäniens zur Marktwirtschaft gesetzlich festzuschreiben, den dazu erforderlichen institutionellen Rahmen zu schaffen und die Wirtschaft mit Hilfe spezifischer prozeßpolitischer Maßnahmen an Konkurrenz-und Marktbedingungen anzupassen. Westliche Experten bewerten das Reformprogramm der rumänischen Regierung im wesentlichen positiv. Innerhalb der ersten zehn Monate nach den Parlamentswahlen konnten neunzig die Systemtransformation abstützende Gesetze verabschiedet werden.

Als erstes mußte die extrem zentralistische Unternehmensstruktur entzerrt und die Entscheidungsfähigkeit und finanzielle Autonomie der Betriebe gesichert werden. Die ehemaligen zwischengeschalteten Industriezentralen wurden weitgehend aufgelöst und in -immer noch staatliche -Regieunternehmen und Kapitalgesellschaften umgewandelt. Diese Betriebe sind nun rechtlich in der Lage, unabhängig Außenhandelsgeschäfte abzuwickeln. Im April 1991 wurde der gesetzliche Rahmen für ausländische Kapitalinvestitionen in Rumänien abgesteckt. Den Positiva des Gesetzes wie der Möglichkeit eines ausländischen Kapitalanteils von hundert Prozent und eines problemlosen Kapital-und Gewinntransfers stehen Negativa wie die Einschränkungen gegenüber, mit denen ausländische Investoren beim Erwerb von Grund und Boden in Rumänien konfrontiert sind. Hinzu kommen Unzulänglichkeiten im Bereich der jahrzehntelang vernachlässigten Infrastruktur und die nur langsam voranschreitende Herausbildung eines westlich geprägten Geschäftsklimas.

Die von ideologischen Vorbehalten weniger überfrachtete sogenannte „kleine Privatisierung“ begann im Februar 1990 mit der gesetzlichen Freigabe der Gründung kleiner privater Gewerbe-und Dienstleistungsbetriebe. Es dauerte bis zum Juli 1991, als nach einer heftigen parlamentarischen Debatte das Gesetz über die „große Privatisierung“ der umgewandelten Staatsbetriebe in Kraft treten konnte. Es sieht vor, daß 30 Prozent des Gesellschaftsvermögens in Form von Anteilscheinen (Coupons) an die erwachsene Bevölkerung ausgegeben werden, die ein Jahr nach der Ausgabe an der Börse gehandelt werden können. Die restlichen 70 Prozent werden zum Verkauf angeboten -in einer ersten Phase an inländische, danach auch an ausländische Bieter. Die Einnahmen werden in Fonds eingebracht und für Investitionen bei den bereits privatisierten Unternehmen verwendet. Die praktische Umsetzung der großen Privatisierung hat eben erst begonnen.

Auch die Steuer-und Sozialgesetzgebung wurden vorangetrieben. Umsatzsteuer, Gewinnsteuer und eine individuelle Lohnsteuer wurden eingeführt, ein Arbeitslosengesetz sowie ein Streikgesetz verabschiedet. Die Bankengesetzgebung wurde den Erfordernissen des Übergangs zur Marktwirtschaft ebenfalls weitgehend angepaßt. Die rumänische Nationalbank gab alle Handelsbankfunktionen ab, die auf fünf noch staatliche, aber zur Privatisierung vorgesehene Banken übertragen wurden. Seit April 1991 operieren private rumänische wie ausländische Banken in Rumänien, westliche Kreditinstitute haben damit begonnen, Niederlassungen in Rumänien einzurichten. Im März 1991 wurde in Bukarest eine Devisenbörse eingerichtet, am 6. November 1991 die innere Konvertibilität der rumänischen Währung, des Leu, eingeführt. Die Rumänische Nationalbank hat sich verpflichtet, rumänische Zahlungsmittel jederzeit in Devisen umzuwechseln. Gesetze zur Regelung des Börsenwesens und des Konkursverfahrens, wie sie gerade auch westli29 ehe Investoren erwarten würden, stehen allerdings noch aus.

Die beginnende Umsetzung der Reformgesetze in die Praxis und die getroffenen Anpassungsmaßnahmen führten zu einer Deregulierung der rumänischen Wirtschaft. Die strukturelle Stagnationskrise der alten Kommandowirtschaft wurde von einer Krise des Zerfalls des alten Wirtschaftssystems abgelöst. Die alten Strukturen greifen nicht mehr, die neuen können -und fast möchte man sagen: sollen -noch nicht greifen, denn Wirtschaftsprobleme sind zugleich auch Probleme der politischen Macht. Funktionierende Alternativstrukturen sind bestenfalls erst in Ansätzen erkennbar. Die Leiter der staatlichen Industriebetriebe klammern sich auch weiterhin an das System der staatlichen Vorgaben. Die drastisch gesunkenen Produktionszahlen in der Industrie werden durch Preissteigerungen aufgefangen, die ihre Konkurrenzfähigkeit auf ausländischen Märkten weiter reduzieren und den Preisanstieg auf dem Binnenmarkt anheizen.

Der ungezügelte Preisanstieg industrieller Güter ist einer der Faktoren, die zu einem katastrophalen Niedergang der landwirtschaftlichen Produktion geführt haben, dessen Folgen für die Versorgung der Bevölkerung noch nicht abzusehen sind. Das Anfang 1991 verabschiedete Bodengesetz wird infolge des Widerstandes der auf dem Lande angesiedelten alten Seilschaften nur sehr zögernd in die Praxis umgesetzt. Die Mehrzahl der Bauern, die auf die Rückgabe ihrer nach 1949 enteigneten Grundstücke warten, bestellen die Böden nicht mehr. Weite Ackerflächen liegen brach oder wurden im vergangenen Herbst nicht abgeerntet. Wenn sie sich nicht erneut zu den staatlich propagierten landwirtschaftlichen Vereinen zusammenschließen, können die meisten der neuen Kleinbauern weder Treibstoff, Geräte und Maschinen noch Saat-und Futtermittel kaufen. Staatliche Förder-und Finanzierungshilfen für den neuen privaten Sektor in der Landwirtschaft gibt es nicht, hingegen ist das für das kommunistische System typische staatliche Monopol an landwirtschaftlichen Maschinen faktisch ungebrochen.

Nach den Parlamentswahlen vom Mai 1990 setzte die Regierung auf eine in der Manier einer Schocktherapie vorgetragene Anpassung der rumänischen Wirtschaft an die Bedingungen der Weltwirtschaft. Zum 1. November 1990 wurden mit Ausnahme der Grundnahrungsmittel und der Energie alle Preise freigegeben und die Landeswährung abgewertet. Zum 1. April 1991 wurden auch die Lebensmittel-preise freigegeben, der Leu erneut abgewertet. Ein dritter Preisschub erfolgte zum 1. Juli 1991. Die flankierenden Kompensationszahlungen zu Löhnen und Renten konnten nicht verhindern, daß der Lebensstandard der Bevölkerung innerhalb der vergangenen zwei Jahre um 20 Prozent gesunken ist. Im ersten Jahr nach der Freigabe der Preise vom November 1990 erreichte die Inflationsrate 353 Prozent; in demselben Zeitraum stiegen die Löhne nur um 280 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen nehmen stetig zu, doch spiegeln die offiziellen Zahlen nur einen Bruchteil der immer noch verdeckten Arbeitslosigkeit wider. Industrieproduktion, Aus-fuhren, Arbeitsproduktivität und Investitionen sind seit 1989 im Vergleich zu den anderen Staaten Ost-und Mitteleuropas überproportional gesunken. Ein Ende des freien Falls der rumänischen Wirtschaft ist’ derzeit noch nicht abzusehen. Der Marsch der Bergarbeiter auf Bukarest vom September 1991 hat gezeigt, daß die Unzufriedenheit der Bevölkerung angesichts der wachsenden sozialen Kosten des Transformationsprozesses Gefahr läuft, von reformfeindlichen Kräften angestachelt und manipuliert zu werden. Um so erstaunlicher ist die Tatsache zu werten, daß sich im Oktober 1991 81 Prozent der Bevölkerung für die Marktwirtschaft aussprachen, 46 Prozent von ihnen waren sogar für eine raschere Gangart der Reform. Eine breite Mehrheit wünscht zudem ein gemeinsames Vorgehen aller gesellschaftlichen Kräfte jenseits der trennenden Parteigrenzen.

VI. Rumänien auf dem Weg zum Rechtsstaat

Am 21. November 1991 stimmte die am 20. Mai 1990 gewählte verfassunggebende Versammlung über die neue rumänische Verfassung ab. Bei einer am 8. Dezember 1991 abgehaltenen Volksbefragung über die Verfassung stimmten 77, 3 Prozent mit Ja, 20, 4 Prozent mit Nein und 2, 4 Prozent der Stimmen waren ungültig. Mit der Verabschiedung der Verfassung wurden die nach dem Sturz Ceau§escus gewährten Freiheiten festgeschrieben, die Gleichheit aller Bürger garantiert sowie die Rechte der Angehörigen nationaler Minderheiten auf die „Bewahrung, Entwicklung und Äußerung ihrer ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Identität“ geregelt. Der Pluralismus der politischen Parteien wird als „Bedingung und Garantie der verfassungsmäßigen Demokratie“ definiert. Garantiert werden außerdem die Unversehrtheit, Sicherheit und die individuelle Freiheit der Person, das Recht auf Bewegungs-und Nieder-B lassungsfreiheit, die Unversehrtheit des Wohnsitzes, das Postgeheimnis, Meinungs-, Presse-und Glaubensfreiheit, die Freiheit, friedlich zu demonstrieren, das Recht auf Privatbesitz sowie das Erbrecht.

Zwar wird das Prinzip der Gewaltenteilung im Text nicht ausdrücklich bekräftigt, doch sieht die Verfassung sehr wohl eine solche in der Praxis vor. Das Parlament als die einzige gesetzgebende Instanz besteht aus zwei Kammern -dem Abgeordnetenhaus und dem Senat -, die beide durch allgemeine, gleiche, direkte, geheime und freie Wahlen gewählt werden. Den Organisationen der nationalen Minderheiten, die bei den Wahlen nicht die erforderliche Wählerzahl für einen Parlamentssitz erzielen können, garantiert die Verfassung de jure einen Abgeordnetensitz. Ausdrücklich wird das Prinzip der unabhängigen und nur dem Gesetz verpflichteten Gerichtsbarkeit betont und die marktwirtschaftliche Option Rumäniens klar zum Ausdruck gebracht. Der Schutz des privaten und öffentlichen Eigentums wird garantiert.

Mit der Verabschiedung der neuen Verfassung scheint der Übergang Rumäniens vom Totalitarismus zur Demokratie unumkehrbar zu sein. Eine autoritäre Verformung der nach französischem Vorbild angelegten Präsidialdemokratie ist für die Zukunft aber nicht ausgeschlossen. Auch türmt der Text der Verfassung vor einer nachträglichen Änderung der Verfassung schwere wenn nicht gar unüberwindliche bürokratische Hindernisse auf. Viele der nach dem Umsturz gewährten demokratischen Rechte und Freiheiten werden von der Verfassung zwar garantiert, deren praktische Ausübung dann aber an bestehende oder noch zu erlassende Einzelgesetze geknüpft. Bei den kommenden Wahlen könnte die bisher fast uneingeschränkt regierende FNR Stimmen und Einfluß verlieren. Künftige Regierungen mit wahrscheinlich wechselnden Koalitionen werden die Verantwortung für die sich erwartungsgemäß weiterhin verschlechternde wirtschaftliche Lage zu tragen haben. Die eigentliche Macht im Staate liegt nach der Verabschiedung der Verfassung in der Hand des Präsidenten und der ihn stützenden Institutionen Armee und Sicherheitsdienst.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anneli Ute Gabanyi, M. A., geb. 1942; Referentin für Rumänien am Südost-Institut München. Veröffentlichungen u. a.: Partei und Literatur in Rumänien seit 1945. Untersuchungen zur Gegenwartskunde Südosteuropas, München 1975; Die unvollendete Revolution, Rumänien zwischen Diktatur und Demokratie, München 1990.