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Die Wahlchancen von CSU und DSU in den neuen Bundesländern | APuZ 19/1992 | bpb.de

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APuZ 19/1992 Politische Einstellungen in Ost-und Westdeutschland seit der Bundestagswahl 1990 Die Wahlchancen von CSU und DSU in den neuen Bundesländern Wahlenthaltung und Wählerprotest im westeuropäischen Vergleich Wahlen, Wähler und Demokratie in der EG. Die drei Dimensionen des demokratischen Defizits

Die Wahlchancen von CSU und DSU in den neuen Bundesländern

Jürgen W. Falter/Siegfried Schumann

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Zusammenfassung

Die Untersuchung stellt eine auf die neuen Bundesländer ausgeweitete Fortführung der vor rund einem Jahr im Rahmen der Beilage veröffentlichten Analyse der Expansionsmöglichkeiten der CSU über die Grenzen Bayerns hinaus dar. Als Materialgrundlage dienen insgesamt drei Umfragen aus den Jahren 1991 und 1992 in Ost-und Westdeutschland. Noch immer nachweisbar ist im Osten ein mit rund drei Prozent zwar geringes, aber dennoch klar erkennbares Wählerpotential der DSU. Das vielleicht wichtigste Analyseergebnis jedoch ist der Nachweis, daß die CSU auch in den neuen Bundesländern gewisse Wahlchancen besitzt, daß aber ihr Potential im Osten beträchtlich kleiner ist als im Westen. Tatsächlich dürfte es nur zwischen einem Drittel und der Hälfte des westlichen Potentials ausmachen. Die CSU hätte daher große Probleme, bei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern über die Fünfprozenthürde zu kommen. Der weitaus größte Teil der präsumtiven CSU-Stimmen würde aus dem Unionslager kommen. Innerhalb der sozialen Gruppen besteht zwischen DSU-und CDU-Wählern auf der einen und möglichen CSU-Wählern auf der anderen Seite keine vollständige strukturelle Parallelität. Die CSU-Sympathie wird sozialdemographisch in erheblichem Ausmaße durch Religion, Schule und Lebensalter geprägt: Wo religiöse Bindungen, fortgeschrittenes Lebensalter und niedrige Schulbildung Zusammentreffen, gibt es weitaus mehr CSU-Sympathisanten als in anderen Merkmalsgruppen. Die stärksten Antipathien gegen die CSU entwickeln nichtreligiöse, formal besser gebildete Personen. CSU-Sympathisanten finden sich vor allem bei Befragten mit positiven Einstellungen gegenüber dem staatlichen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik, gegenüber den „staatstragenden“ Parteien und gegenüber ihrem Führungspersonal. Insgesamt betrachtet, erscheint das CSU-Potential in den neuen Bundesländern als zu gering, um die in der Ausdehnungsdebatte des vergangenen Jahres wiederholt vorgeschlagene Kandidaturvariante einer partiellen, auf Ostdeutschland beschränkten Expansion der Partei zu stützen.

I. Varianten einer Ausweitung der CSU

Tabelle 1: Die Stärke der CSU im Falle einer bundesweiten Kandidatur -Ergebnisse einer Befragung in den alten und neuen Bundesländern im Januar 1992 Quelle: Zwei Repräsentativumfragen des EMNID-Instituts unter der wahlberechtigten Bevölkerung der alten und neuen Bundesländer einschließlich West-und Ost-Berlins im Januar 1992 mit jeweils ca. 1000 Befragten. Die Daten wurden soziodemographisch gewichtet.

Vor ziemlich genau einem Jahr erfuhr die bereits im Vorfeld der Wiedervereinigung ausgebrochene CSU-interne Auseinandersetzung um eine mögliche Ausbreitung der Partei über die Grenzen Bayerns hinaus eine Neuauflage. Wieder ging es darum, ob eine bundesweite Kandidatur oder zumindest eine Ausdehnung der Partei in die neuen Bundesländer hinein den wiedervereinigungsbedingten Gewichtsverlust der CSU auffangen, ja die mit dem Tod von Franz Josef Strauß zurückgegangene bundespolitische Bedeutung der Partei vielleicht sogar steigern könne. Bekanntlich entschied sich die Parteiführung nach teilweise heftigen, auch in der Öffentlichkeit ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten dafür, sich auf Bayern zu beschränken und lediglich durch die materielle, organisatorische und programmatische Unterstützung der dahinsiechenden „Schwesterpartei“ DSU (Deutsche Soziale Union) in den neuen Bundesländern Präsenz zu zeigen.

Tabelle 7: CSU-Sympathien und -Antipathien nach dem Alter, dem Schulabschluß und der Konfessionszugehörigkeit der Befragten im Osten -Ein Kontrastgruppenvergleich Quelle: Eigene Repräsentativerhebung in den neuen Bundesländern im Frühjahr 1991.

Erleichtert wurde diese Entscheidung sicherlich durch die aus früheren Anlässen noch im Raum stehende Drohung der CDU (auch Franz Josef Strauß hatte vor Jahren schon einmal mit einer bundesweiten Kandidatur seiner Partei geliebäugelt), im Falle einer Expansion der CSU über die Grenzen Bayerns hinaus sich auch in Bayern zur Wahl zu stellen. Eine solche Konkurrenz innerhalb Bayerns hätte mit Sicherheit -das konnte sich jeder leicht ausrechnen, der das wahlpolitische Einmaleins beherrscht -das Ende der schon fast strukturell anmutenden absoluten CSU-Mehrheit im bayerischen Landtag und in den meisten Gemeinden bedeutet. Durch den Zwang, mit einer dann auch in Bayern vertretenen CDU Koalitionen eingehen zu müssen, hätte die CSU ihren Quasi-Staatsparteicharakter samt der meisten damit verbundenen Funktionsvorteile und Privilegien aufgeben müssen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre sie zu einer 30-Prozent-Partei geschrumpft, die nicht nur ganze Landstriche, sondern auch einen Teil ihrer Führungs-und Organisationseliten an die christdemokratische Konkurrenz abgegeben und überdies geradezu zwangsläufig Elemente ihrer bayerischen Identität verloren hätte -jener regionalen und landsmannschaftlichen Verwurzelung der Partei, die nicht zuletzt die Basis ihrer Herrschaft ausmacht.

Tabelle 8: Politische Einstellungen von Befragten mit CSU-Sympathie und -Antipathie Quelle: Vgl. Tabelle 7.

Außerhalb Bayerns wäre die CSU zwar durchaus in der Lage gewesen, Wähler für sich zu mobilisieren, wie wir in einer vor Jahresfrist veröffentlichten Analyse nachweisen konnten Ja, sie hätte vermutlich sogar in den alten Bundesländern ihren Gesamtstimmenanteil geringfügig vergrößern können; doch wären, wie wir zeigen konnten, ihre Zu-gewinne fast vollständig zu Lasten der CDU erfolgt, so daß daraus keine nennenswerte Verbreiterung der Unionsbasis resultiert hätte. Nördlich der Mainlinie wäre überdies bei Landtagswahlen die CSU höchstwahrscheinlich fast durchweg an der Fünfprozenthürde gescheitert, so daß die für sie abgegebenen Stimmen dem Unionslager verlorengegangen wären.

Diese Diagnose blieb mangels weiterer verfügbarer Umfragedaten auf die alten Bundesländer beschränkt. In der Zwischenzeit liegen jedoch einschlägige Befragungsresultate aus den neuen Bundesländern vor, die im folgenden dargestellt und diskutiert werden. Die Untersuchung verfolgt grundsätzlich die gleiche Zielsetzung wie unsere Veröffentlichung, aus dem Vorjahr: eine Abschätzung der Wahlchancen der CSU im Falle einer bundesweiten Kandidatur, wobei jedoch in den ersten Abschnitten der Vergleich des CSU-Potentials in den alten und neuen Bundesländern im Vordergrund steht. Hinzu kommt ein paralleler Blick auf die Wähler und die Wahlaussichten der CSU-Schwester DSU. Weiter wollen wir fragen, woher die präsumtiven ostdeutschen CSU-Wähler kommen, bei welchen Gruppen sie über-oder unterrepräsentiert sind und welche sozialen Strukturen und politischen Einstellungen die Sympathien oder Antipathien gegenüber der CSU in den neuen Bundesländern bestimmen.

Grundlage der nachstehenden Analyse sind drei Umfragen, die im Frühjahr 1991 und im Januar 1992 im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes über „Erklärungsmodelle von Wählerverhalten“ auf dem Gebiet der alten und der neuen Bundesländer durchgeführt worden sind. Die Umfrage aus dem Frühjahr 1991 stellt die erste von zwei Befragungswellen aus dem genannten Forschungsprojekt auf dem Gebiet der neuen Bundesländer dar; bei den beiden Umfragen vom Januar 1992 handelt es sich um Einschaltungen einschlägiger Indikatoren in Mehrthemenumfragen, die zeitlich parallel in Ost-und Westdeutschland durchgeführt wurden.

Grundgesamtheit war in allen Fällen die wahlberechtigte Wohnbevölkerung der alten oder neuen Bundesländer, Befragungsmethode das soge-nannte Face-to-face-Interview, also die Befragung mit Hilfe von Interviewern. Die Stichprobe wurde durch die sog. Random-Route-Technik, ein zufallsangenähertes Erhebungsverfahren, ermittelt.

Innerhalb der üblichen statistischen Fehlertoleranzen können die Ergebnisse als repräsentativ für die Wahlberechtigten der alten und neuen Bundesländer gelten

II. Die voraussichtlichen CSU-Stimmen bei einer Ausdehnung der Partei

Tabelle 2: Die Stärke der CSU im Bundesgebiet im Januar 1992 unter der Annahme unterschiedlicher Kandidaturvarianten Quelle: Vgl. Tabelle 1.

In unserer früheren Befragung gaben in den alten Bundesländern im Frühjahr 1990, zusammengenommen rund 48 Prozent an, für eine der beiden Unionsparteien stimmen zu wollen, falls es zu einer bundesweiten Kandidatur der CSU und im Gegenzug zu einer Ausdehnung der CDU nach Bayern käme Auf die genau gleiche Frage äußerten im Januar 1992 wiederum 48 Prozent der westdeutschen Befragten eine Wahlabsicht zugunsten einer der beiden Unionsparteien (vgl. Tabelle 1). Im Osten waren es etwas weniger, nämlich „nur“ 44 Prozent. Unterschiede im Ergebnis der beiden Umfragen bestehen hinsichtlich der Parteistärken von CDU und CSU: Waren es vor zwei Jahren im Westen noch 37 Prozent, die für die CDU stimmen und 11 Prozent, die CSU wählen wollten, so belief sich der Anteil der CSU-Wähler im Januar 1992 auf 16 Prozent, während der CDU-Anteil auf 32 Prozent zurückging. Sollte die CSU heute im Westen eine bessere Ausgangsposition für eine Ausdehnung haben als noch vor zwei Jahren? Die Frage so zu stellen, heißt schon fast, sie zu verneinen. Denn da es sich um Zufallsstichproben (oder genauer: zufallsangenäherte Stichproben) handelt, darf man nicht unbesehen punktuelle Resultate miteinander vergleichen (wie dies so oft bei der Interpretation von Umfragedaten geschieht), sondern lediglich Bandbreiten von Meßergebnissen. In beiden Fällen jedoch, dem Vergleich der CSU-Ergebnisse wie dem der CDU-Ergebnisse aus den Jahren 1990 und 1992, liegen die sog. Vertrauensintervalle der Meßwerte so nahe beieinander, ja sie überlappen sich sogar leicht, so daß die gemessene CSU-Zunahme -ebenso wie der Rückgang der CDU -durchaus das Ergebnis zufallsbedingter Schwankungen sein kann.

Ferner ist bei der Interpretation der Zahlenwerte von Tabelle 1 -wie auch aller anderen Tabellen in dieser Untersuchung -zu berücksichtigen, daß wir unsere Umfrage ganz bewußt zwar soziodemographisch, nicht jedoch politisch gewichtet haben. Die ebenfalls von uns berechneten, mittels des Verfahrens der sogenannten Rückerinnerungs-bzw. Recallgewichtung bereinigten, politisch gewichteten Meßwerte weisen im Westen ein um etwa zwei Prozentpunkte niedrigeres CSU-Ergebnis aus als das in Tabelle 1 referierte; hierdurch würden sich die Vertrauensintervalle vollends überlappen und die Differenzen zwischen 1992 und 1990 wären somit statistisch nicht mehr signifikant, was wiederum nichts anderes bedeuten würde, als daß beide Meßwerte genausogut übereinstimmen oder sich unterscheiden können. Als Basis für die strategische Entscheidung der CSU, sich bundespolitisch auszudehnen, können diese Ergebnisse folglich auf keinen Fall dienen.

Hinzu kommt, daß die CSU unserer Umfrage zufolge in den neuen Bundesländern gegenwärtig derart schwach repräsentiert wäre, daß sie noch nicht einmal in allen Ländern hoffen könnte, bei Landtagswahlen über die Fünfprozenthürde des jeweiligen Wahlgesetzes zu gelangen. Nur jeder zwanzigste ostdeutsche Befragte äußerte auf die entsprechende Frage eine CSU-Wahlabsicht Damit wird deutlich, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die zweite, neben der bundesweiten Ausdehnung in der Öffentlichkeit diskutierte Kandidaturvariante, eine auf die neuen Bundesländer begrenzte Ausbreitung der Partei, nicht zu dem gewünschten Resultat einer nachhaltigen bundespolitischen Stärkung der CSU führen würde. Zwar würde sich die CSU bei Realisierung dieser Variante gegenüber dem Status quo laut der beiden von uns ausgewerteten Umfragen aus dem Januar 1992 bundesweit von gegenwärtig acht auf zehn Prozent verbessern, wie aus Tabelle 2 ersichtlich wird; doch ist dieses Ergebnis wiederum statistisch nicht signifikant, so daß man auch hierauf keine weiterreichenden strategischen Folgerungen aufbauen sollte.

III. Das Stimmenpotential der Unionsparteien in den neuen Bundesländern

Tabelle 3: Das Stimmenpotential der Unionsparteien in den alten und neuen Bundesländern im Januar 1992 Quelle: Vgl. Tabelle 1.

Über eines muß man sich im klaren sein: Untersuchungen über die Wahlchancen einer bisher nicht kandidierenden Partei beruhen auf hypothetischen Fragen, die häufig genug die Vorstellungskraft des Normalbefragten überfordern. Aus diesem Grunde erscheint es angebracht, das Stimmenpotential der CSU mit Hilfe mehrerer unterschiedlicher Indikatoren zu erfassen. Dies erfolgt in Tabelle 3, wo nach Ost und West getrennt neben der üblichen, von fast allen Meinungsforschungsinstituten regelmäßig gestellten „Wahlsonntagsfrage“ einerseits nach einer anderen Partei gefragt wird, die man eventuell einmal bei Bundes-oder Landtagswahlen wählen könnte andererseits nach den Parteien, für die man unter keinen Umständen stimmen möchte schließlich enthält Tabelle 3 auch noch die Resultate zweier weiterer Fragen nach der eventuellen CSU-Wahlabsicht und nach dem Vorliegen und der Ausprägung längerfristiger Bindungen an die Unionsparteien

Es bestätigt sich, daß das CSU-Potential in den neuen Bundesländern begrenzt ist. Nur fünf (oder genauer: zwischen drei und sieben) Prozent der Befragten würden sie heute wählen, und gerade ein Prozent der Wahlberechtigten im Osten bezeichnet sich im Sinne des Parteiidentifikationskonzeptes als längerfristige Anhänger der CSU. Die CDU kommt in den neuen Bundesländern 1992, was die längerfristigen Parteibindungen angeht, immerhin auf 18 Prozent. Im Westen dagegen identifizierten sich Anfang 1992 rund 34 Prozent aller Befragten mit einer der beiden Unionsparteien, 27 Prozent mit der CDU und sieben Prozent mit der CSU. Da auch der Prozentsatz der längerfristigen SPD-Anhänger im Osten um fast zwölf Prozentpunkte niedriger liegt als im Westen, können diese niedrigen Identifikationsraten als Indiz dafür angesehen werden, daß trotz der Wahlergebnisse des Jahres 1990 das etablierte westdeutsche Parteiensystem in den Herzen der Ostdeutschen noch nicht so stark verankert ist wie im Westen. Hierfür sprechen auch die im Januar mit rund 20 Prozent Nennungen fast doppelt so hoch wie im Westen liegenden „Nichtwähleranteile“; gemeint ist damit der Prozentsatz von Befragten, die angeben, sich nicht an der Wahl beteiligen zu wollen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen stattfänden.

Weiter geht aus Tabelle 3 hervor, daß die DSU nach wie vor -wenn auch geringe -Wahlchancen besitzt. Von drei Prozent der Befragten wurde sie im Zusammenhang mit der Wahlsonntagsfrage genannt, d. h. das Wahlpotential der DSU dürfte gegenwärtig zwischen einem und fünf Prozent liegen; weitere fünf Prozent meinten, eventuell einmal für sie stimmen zu können. Als nicht wählbar bezeichneten 27 Prozent der Westdeutschen die CSU und 26 Prozent der Ostdeutschen die DSU. Blickt man auf die regionale Stärke der Unionsparteien innerhalb der neuen Bundesländer, die in Tabelle 4 wiedergegeben ist, so sticht zwar im Zusammenhang mit der CDU-Wahlabsicht unter den gegenwärtigen wie auch unter den hypothetisch vorausgesetzten Verhältnissen das klare, auch von den Wahlen 1990 bekannte Süd-Nord-Gefälle ins Auge. Die Hochburgen der DSU hingegen scheinen sich mittlerweile etwas verlagert zu haben: In Sachsen äußerte nur noch ein Prozent der Befragten eine DSU-Wahlabsicht, in Thüringen hingegen gaben sich sieben und in Sachsen-Anhalt und OstBerlin immerhin sechs Prozent als DSU-Anhänger zu erkennen. Wenn man allerdings die relativ großen Vertrauensintervalle berücksichtigt, die sich aufgrund der teilweise sehr geringen Befragtenzahlen in den einzelnen Ländern ergeben, verlieren die festgestellten Differenzen erheblich an Dramatik. Dann liegt der DSU-Anteil in Thüringen irgendwo (und zwar mit der gleichen Wahrscheinlichkeit!) zwischen drei und elf Prozent, in OstBerlin zwischen einem und elf Prozent und in Sachsen zwischen null und drei Prozent. Im Zusammenhang mit der CSU-Wahlabsicht stechen vor allem die hohen Werte in Thüringen und Sachsen-Anhalt und die erstaunlich niedrigen Werte in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ins Auge, für die natürlich analoge Schwankungsbreiten gelten wie für die DSU.

IV. Zur parteipolitischen Herkunft der CSU-Wähler

Tabelle 4: Die Stärke der Unionsparteien in den neuen Bundesländern im Falle des Status quo und im Falle einer bundesweiten Kandidatur der CSU Quelle: Vgl. Tabelle 1.

Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Analyse über die Konsequenzen einer bundesweiten CSU-Kandidatur in den alten Bundesländern war die Erkenntnis, daß sich bei einer Expansion der CSU über die bayerischen Grenzen hinaus die Gewichte zwischen den beiden C-Parteien nicht wesentlich verschieben würden. Dies deutete auf ein sog. Nullsummenspiel hin, in dem der eine Partner immer nur so viel gewinnen kann, wie der andere verliert. Wir wollen im folgenden prüfen, ob dies auch für die neuen Bundesländer Geltung besitzt, ob also die CSU-Stimmen hauptsächlich von den beiden Schwesterparteien stammen oder ob durch eine CSU-Kandidatur auch bisherige Nichtwähler und Anhänger anderer Parteien angezogen würden. Wir kombinieren zu diesem Zwecke in Tabelle 5 die bereits geschilderte „CSU-Frage“ mit der Wahlsonntagsfrage, also der Frage nach dem Abstimmungsverhalten, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären.

Die weitaus meisten, nämlich rund drei Viertel der präsumtiven CSU-Wähler, würden ähnlich wie im Westen tatsächlich von der CDU und -dies stellt eine östliche Besonderheit dar -von der DSU abgezogen werden. Daß die CDU im Saldo nicht in gleichem Maße Wähler verlieren würde, sondern sowohl bundesweit als auch innerhalb der alten und neuen Bundesländer weitestgehend stabil bliebe, hat damit zu tun, daß sie in einem solchen Falle vermutlich einige Wähler anderer Parteien und erklärte Nichtwähler zu sich herüberziehen könnte. Die in Tabelle 2 zu beobachtende Steigerung des Unionspotentials von 41 Prozent im Falle des Status quo auf 43 Prozent im Falle einer auf die fünf neuen Bundesländer beschränkten Ausbreitung der CSU und 47 Prozent im Falle ihrer bundesweiten Kandidatur wäre hauptsächlich das Ergebnis von Binnenwanderungen von der CDU zur CSU bei gleichzeitigen Zugewinnen der CDU von anderen Parteien und aus dem Nichtwählerlager.

V. Die Wahl von CSU, DSU und CDU in den sozialen Gruppen

Tabelle 5: Die parteipolitische Herkunft des CSU-Potentials in den neuen Bundesländern Quelle: Vgl. Tabelle 1

Von welchen Kategorien von Wählern werden die drei Unionsparteien in den neuen Bundesländern über-bzw. unterdurchschnittlich stark unterstützt? Dies wird anhand der Wahlsonntagsfrage und der CSU-Frage untersucht. Tabelle 6 gibt die Wahlab-B sicht der sozialen Gruppen sowohl im Falle einer bundesweiten Kandidatur der CSU als auch bei Weitergeltung des Status quo wieder. Wegen der relativ geringen Zahl von Befragten mit CSU-oder DSU-Wahlabsicht verzichten wir, anders als in unserer Analyse über die alten Bundesländer, auf eine Aufgliederung der Parteianhänger nach der sozialen Herkunft. Dennoch eröffnet Tabelle 6 mindestens vier unterschiedliche Vergleichsperspektiven, nämlich den Vergleich zwischen CDU-und CSU-Wahlabsicht im Falle einer bundesweiten CSU-Kandidatur, ferner den Vergleich von präsumtiven CSU-Wählern und Anhängern der DSU, weiter einen Vergleich der CDU-Anhänger nach der Wahlsonntagsfrage und der CSU-Frage und schließlich den Vergleich des gesamten Unionslagers für die beiden untersuchten Kandidatur-varianten.

Ein erster Blick auf Tabelle 6 belegt, daß im Januar 1992 für das Unionspotential in den neuen Bundesländern strukturell die gleichen Ausprägungen gelten wie schon im Wahl-und Vereinigungsjahr 1990: Vor allem die CDU erweist sich, unabhängig von der erhobenen Kandidaturvariante, als schwächer bei den jungen und stärker bei den älteren Wählern; von Männern erhält sie mehr Stimmen als von Frauen; bei kirchlich gebundenen Wählern, allen voran bei der -allerdings sehr kleinen -Gruppe der Katholiken, erweist sie sich als überdurchschnittlich erfolgreich, während sie bei den im Osten zahlenmäßig dominierenden konfessionell nicht gebundenen Wählern relativ schlecht abschneidet; einen klaren Stimmenvorsprung weist sie bei Befragten mit Hauptschulabschluß und bei an-und ungelernten Arbeitern sowie Facharbeitern und Selbständigen auf, ein Phänomen, das die Wahlforscher schon 1990 zum Grübeln brachte; und schließlich ist die CDU auf dem Lande und in kleineren Gemeinden im Januar 1992 sehr viel erfolgreicher als in der Großstadt; bei Haus-und Wohnungseigentümern erfährt sie deutlich stärkere Unterstützung als bei Mietern Zwischen der CDU und der DSU sind die Unterschiede eher gering. Die Zustimmung zur DSU verläuft innerhalb der sozialen Gruppen -wenn auch auf sehr viel niedrigerem Niveau -strukturell recht ähnlich wie bei der CDU. Dies bedeutet, daß beide Parteien weitest-gehend um die gleichen sozialen Schichten kämpfen, d. h. auch: sich gegenseitig die Stimmen wegnehmen.

Das CSU-Potential weist im Vergleich hierzu -anders als im Westen, wo sich CDU und CSU von der sozialen Zusammensetzung ihrer Anhänger her gesehen nicht nennenswert unterscheiden würden -einige Abweichungen auf. Dies gilt weniger für die Kirchenbindung als beispielsweise für die Gewerkschaftsmitgliedschaft, den Wohnorttypus (die CSU erhält doppelt so viele Nennungen in Großstädten als auf dem Lande) und beim Einkommen, wo die CSU sehr viel mehr Anhänger unter den schlechter Verdienenden als unter Personen mit höherem Einkommen aufweist. Der Vergleich von CSU und DSU schließlich belegt eine Reihe von Parallelen zwischen den beiden Wählergruppen, aber auch einige gravierende Differenzen (vgl. Abbildung). Dies gilt etwa für die einzelnen Alterskategorien, die Affinität von Arbeitern zu beiden Parteien (hier ist die DSU bei den an-und ungelernten, die CSU dagegen bei den qualifizierten Arbeitern stärker) oder die Gewerkschaftsmitgliedschaft, wo die CSU bei Gewerkschaftsmitgliedern deutlich mehr Zustimmung zu erfahren scheint als bei den Nichtmitgliedern, während die DSU hier in beiden Gruppen eine durchschnittliche (wenn auch naturgemäß geringe) Unterstützung erfährt.

VI. Soziale und mentale Merkmale der CSU-Sympathisanten

Tabelle 6: CDU-, CSU-und DSU-Wahlabsicht in den sozialen Gruppen in den neuen Bundesländern im Januar 1992

Es stellt sich angesichts dieser Ergebnisse die Frage, ob die CSU im Osten möglicherweise als eine Alternative für frustrierte, zu kurz gekommene Unionsanhänger fungiert. Dies wird durch einen Blick auf die Einstellungen von potentiellen Anhängern der CSU im Osten untersucht. Dazu ist es nötig, sowohl den Indikator für CSU-Affinität als auch das Untersuchungsjahr zu wechseln, da in der bis jetzt ausgewerteten Mehrthemenumfrage aus dem Januar 1992 keine einschlägigen Einstellungsmerkmale erhoben worden sind. Glücklicherweise enthält unsere eigene Umfrage aus dem Frühjahr 1991 mehrere Merkmale, die es ermöglichen, das CSU-Potential weiter auszuloten. Im folgenden wird zwischen CSU-Sympathisanten und Befragten mit extrem stark ausgeprägten Antipa23 thien gegenüber der CSU unterschieden Grundannahme hinter dieser indirekten Messung des CSU-Potentials ist die Hypothese, daß am ehesten als Wähler der CSU in Betracht kommt, wer sie sympathisch findet. Diese Vermutung dürfte schon deswegen nicht ganz abwegig sein, weil es sich bei den weitaus meisten CSU-Sympathisanten um erklärte CDU-oder DSU-Wähler handelt. Rund 95 Prozent der CSU-Sympathisanten empfinden überdies starke Sympathien für die CDU; umgekehrt jedoch äußerten im Frühjahr 1991 nur rund zwei Drittel der CDU-Sympathisanten auch starke CSU-Sympathien. Das tatsächliche, bei Wahlen mobilisierbare CSU-Potential im Osten dürfte vor allem bei denjenigen fünf bis sechs Prozent der Befragten zu suchen sein, die der CDU neutral bis ablehnend gegenüberstehen, von der CSU jedoch sehr viel halten.

In Tabelle 7 werden die Befragten zunächst nach dem Alter, dem Schulabschluß und der Kirchen-mitgliedschaft so gegliedert, daß der Effekt der Überlagerung dieser Merkmale für die Einstellung gegenüber der CSU gemessen werden kann. Dies erfolgt, indem für jede der abgebildeten Sozialkategorien der Prozentsatz von Personen mit positiver und extrem negativer Einstellung gegenüber der CSU ermittelt wird. Eindeutig und über alle Alters-und Schulkategorien hinweg nachweisbar ist vor allem der Einfluß der Religion. Kirchengebundene weisen durchweg prozentual weitaus mehr CSU-Sympathien auf als Nichtgebundene; diese wiederum äußern erheblich öfter Antipathien gegenüber der CSU. Dieser Einfluß der Religion bleibt selbst dann erhalten, wenn man als weitere Verzweigung noch die Region (Nord versus Süd) in den Vergleich mit einbezieht. Wir haben die Werte dafür zwar ebenfalls berechnet, verzichten in Tabelle 7 aus Gründen der Übersichtlichkeit jedoch auf eine Darstellung dieser vierten Verzweigungsebene.

Die meisten CSU-Sympathisanten, wenn man einmal von der mit nur vier Befragten für Auswertungszwecke quantitativ zu dünn besetzten Verzweigung „Jüngere Kirchenmitglieder mit geringer Schulbildung“ absieht, finden sich mit 49 Prozent bei älteren Kirchenmitgliedern mit geringer Schulbildung. Es ist dies zugleich die Befragtenkategorie mit dem weitaus geringsten Anteil von extremen Ablehnungen. Die wenigsten Sympathisanten mit nur 10 bzw. 16 Prozent Nennungen findet die CSU bei älteren und jüngeren, besser gebildeten Befragten, die keiner Kirche angehören. Neben der Religion scheint der Schulabschluß die Einstellungen zur CSU in erheblichem Maße zu beeinflussen: Gleichgültig, ob sie Mitglied einer Religionsgemeinschaft sind oder nicht, tendieren Personen mit geringerer formaler Bildung deutlich häufiger zur CSU als Personen, die mindestens zehn Jahre zur Schule gingen.

Im Vergleich dazu ist der Effekt des Lebensalters weniger klar und eindeutig ausgeprägt. Er wird im Hinblick auf die Sympathien gegenüber der CSU durch die von der Schulbildung und der Religion ausgehenden Einflüsse überlagert; dagegen ist die Antipathie gegenüber der CSU, wie aus Tabelle 7 abzulesen ist, auch vom Alter der Befragten abhängig. So liegt der Prozentsatz von Personen mit extremen Antipathien gegenüber der CSU unter den älteren, formal besser ausgebildeten Befragten ohne Kirchenbindung nur bei 21 Prozent, bei den ansonsten gleich definierten Jüngeren dagegen beträgt er über 30 Prozent. Die Befragtengruppen mit den stärksten CSU-Antipathien weisen im Gegenzug die relativ meisten Wähler und Anhänger der PDS auf.

Vergleicht man zum Abschluß der empirischen Analyse die politischen Haltungen von Sympathisanten und Gegnern der CSU, so ergeben sich hinsichtlich einer Reihe von Einstellungen zum Teil gravierende Unterschiede (vgl. Tabelle 8). Dies gilt beispielsweise für die Einschätzung der allgemeinen und der eigenen Wirtschaftslage oder für die Haltung gegenüber bestimmten Außengruppen. Befragte mit CSU-Antipathien sehen sowohl ihre eigene als auch die allgemeine Wirtschaftslage erheblich negativer als die CSU-Sympathisanten; auch äußern sie viel häufiger als diese negative Empfindungen gegenüber Amerikanern und Westdeutschen, während es sich im Falle von Türken und Russen genau umgekehrt verhält.

Beträchtliche Differenzen zwischen Anhängern und Gegnern der CSU bestehen ferner bei den Einstellungen zu bestimmten politischen Streitfragen. So sind 81 Prozent der strikten CSU-Gegner, aber nur 56 Prozent der CSU-Sympathisanten für eine Erleichterung des Schwangerschaftsabbruchs; dagegen sprechen sich erheblich mehr CSU-freundliche als gegnerische Befragte für eine Bestrafung von SED-und Stasi-Funktionären aus. Die Unterschiede zwischen CSU-Sympathisanten und Gegnern der CSU erstrecken sich auch auf die politischen Grundpositionen, wo sich vor allem starke Differenzen bei der Einschätzung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems der Bundesrepublik ergeben; ferner gelten sie für die Kompetenzzuweisungen an die politischen Par27 teien, die Einschätzung des politischen Führungspersonals der Parteien (hier wirken vor allem Helmut Kohl und Theo Waigel auf der einen und Gregor Gysi auf der anderen Seite stark polarisierend) sowie schließlich für die Parteiorientierungen. Nur ein Prozent der starken CSU-Gegner behauptet beispielsweise viel von der CDU zu halten, aber ganze 41 Prozent äußern Sympathien für die PDS.

Wechselt man die Perspektive und fragt danach, durch welche Einstellungen die CSU begünstigt wird und wo sich besonders viele Gegner der Partei finden, so zeigt sich, daß positive Einstellungen gegenüber der CSU Hand in Hand gehen mit einer positiven Einschätzung der allgemeinen und vor allem der eigenen Wirtschaftslage, einer generellen Zustimmung zum politischen, wirtschaftlichen und sozialen System der Bundesrepublik und einer weitgehend positiven Haltung gegenüber den „staatstragenden“ Parteien und den Spitzenpolitikern. Extreme Antipathien gegenüber der CSU äußern vor allem Befragte mit Abneigungen gegenüber Amerikanern und Westdeutschen, einer negativen Einschätzung der Kompetenz der politischen Parteien zur Lösung der wichtigen Probleme in Staat und Gesellschaft, einer positiven Beurteilung von Gregor Gysi und, wenn auch in deutlich abgeschwächtem Maße, von Oskar Lafontaine sowie einer Bewertung der CSU als „harte“ Partei und, quasi im Gegenzug, einer generell wohlwollenden Einschätzung der PDS.

Zusammengenommen deuten diese Einstellungen der CSU-Sympathisanten nicht auf ein größeres Frustrationspotential hin. Dies gilt auch für den hier aus Platzgründen nicht erfolgenden Vergleich mit den Anhängern und Gegnern der CDU. Vielmehr scheint im Osten wie im Westen die Entscheidung von Unionsanhängem für die CSU oder die CDU stark von der Einschätzung des politischen Führungspersonals, der Kompetenz der Parteien und der Parteiimages geprägt zu sein.

VII. CSU -Beschränkung aus Einsicht

Abbildung: Die Über« bzw. Unterrepräsentation von CSU und DSU in den sozialen Gruppen in den neuen Bundesländern

Die vorstehende Untersuchung stellt eine auf die neuen Bundesländer ausgeweitete Fortführung unserer vor rund einem Jahr in dieser Beilage veröffentlichten Analyse der Expansionsmöglichkeiten der CSU über die Grenzen Bayerns hinaus dar.

Noch immer nachweisbar ist dabei im Osten ein mit rund drei Prozent zwar geringes, aber dennoch klar erkennbares Wählerpotential der DSU. Das vielleicht wichtigste Ergebnis unserer Analyse jedoch ist der Nachweis, daß die CSU auch in den neuen Bundesländern gewisse Wahlchancen besitzt, daß aber ihr Potential im Osten beträchtlich kleiner ist als im Westen. Tatsächlich dürfte es nur zwischen einem Drittel und der Hälfte des westlichen Potentials ausmachen. Dies bedeutet, daß die CSU große Probleme hätte, bei Landtagswahlen in den neuen Bundesländern über die Fünfprozenthürde zu kommen. Die CSU halten im Westen rund 27 Prozent für nicht wählbar, die DSU ist im Osten für rund 26 Prozent der Befragten keine denkbare Wahlalternative. Als mögliche Alternative zu ihrer ersten Wahlpräferenz würden im Westen bei Bundestags-und Landtagswahlen schätzungsweise 11 Prozent der Befragten die CSU in Erwägung ziehen, im Osten etwa fünf Prozent die DSU. Fraglich ist im einen wie im anderen Fall, in welchem Ausmaße das ja nur latent vorhandene Potential mobilisierbar ist. Mit den Mitteln der Umfrageforschung sind solche hypothetischen Fragestellungen nicht zweifelsfrei zu beantworten.

Weiter war festzustellen, daß auch in den neuen Bundesländern der weitaus größte Teil der präsumtiven CSU-Stimmen aus dem Unionslager kommen würde, wobei jedoch die CDU im Falle einer konkurrierenden Kandidatur der CSU möglicherweise Stimmen von anderen Parteien und aus dem Nichtwählerlager für sich gewinnen könnte. Innerhalb der sozialen Gruppen besteht in den neuen Bundesländern zwischen DSU-und CDU-Wählern auf der einen und möglichen CSU-Wählern auf der anderen Seite keine vollständige strukturelle Parallelität.

Die . CSU-Sympathie wird sozialdemographisch in erheblichem Ausmaße durch Religion, Schule und Lebensalter geprägt. Besonders auffällig hinsichtlich der Verteilung von Sympathien und Antipathien gegenüber der CSU ist der Effekt von Religion und Schulbildung: Wo religiöse Bindungen, fortgeschrittenes Lebensalter und niedrige Schulbildung Zusammentreffen, gibt es weitaus mehr CSU-Sympathisanten als in anderen Merkmals-gruppen. Die stärksten Antipathien gegen die CSU entwickeln nichtreligiöse, formal besser gebildete Personen. CSU-Sympathisanten finden sich vor allem bei Befragten mit positiven Einstellungen gegenüber dem staatlichen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik, gegenüber den „staatstragenden“ Parteien und gegenüber ihrem Führungspersonal. Sympathien und Antipathien gegenüber der CSU werden überdies stark durch unterschiedliche politische Grundpositionen und Fremdgruppeneinschätzungen beeinflußt, wobei die Ablehnung von Westdeutschen und vor allem Amerikanern bei den CSU-Gegnem hervorsticht. Anzeichen einer größeren politischen Entfremdung, überdurchschnittlicher Frustration oder von Gefühlen des Zukurzgekommenseins Jassen sich bei den CSU-Sympathisanten mit unseren Daten nicht nachweisen.

Insgesamt betrachtet erscheint auch nachträglich das CSU-Potential in den neuen Bundesländern als zu gering, um die in der Ausdehnungsdebatte des vergangenen Jahres wiederholt vorgeschlagene Kandidaturvariante einer partiellen, auf Ostdeutschland beschränkten Expansion der Partei zu stützen. Auch ein Jahr danach erscheint der Entschluß der CSU-Parteiführung, in Bayern zu bleiben, im Lichte der vorliegenden Umfragedaten als strategisch nicht nur vertretbar, sondern geradezu geboten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Jürgen W. Falter/Siegfried Schumann, Konsequenzen einer bundesweiten Kandidatur der CSU bei Wahlen. Eine in die unmittelbare Vergangenheit gerichtete Prognose, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11-12/91, S. 33-45.

  2. Diese Fehlertoleranzen liegen angesichts einer zweistufigen Zufallsziehung und einer Befragtenzahl von 1000 bei maximal +/-4, 5 Prozentpunkten; vgl. Ferdinand Böltken, Auswahlverfahren. Eine Einführung für Sozialwissenschaftler, Stuttgart 1976, S. 370; s. a. die schneidende, häufig über-polemische und über das Ziel hinausschießende, aber sachlich nicht ungerechtfertigte Kritik an der Interpretationspraxis vieler Umfrageinstitute (und, wie man gerechterweise hinzufügen muß, auch vieler Wahlforscher) von Fritz Ulmer, Wahlprognosen und Meinungsumfragen. Der Lotteriecharakter des repräsentativen Querschnitts und der Ablaßhandel mit Prozentzahlen, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungsund Zukunftsforschung, (1992) 30-31.

  3. Die Frageformulierung lautete damals wie heute: „Wenn die CSU bei der kommenden Bundestagswahl bundesweit kandidieren würde, dann wäre die CSU auch außerhalb Bayerns, die CDU wiederum in Bayern wählbar. Welche Partei würden Sie unter diesen Voraussetzungen bei der nächsten Bundestagswahl wählen?“. Zur Beantwortung wurde dem Befragten eine Liste mit folgenden Angaben vorgelegt: (1) CDU, (2) CSU, (3) SPD, (4) F. D. P., (5) PDS, (6) Republikaner, (7) Die Grünen/Bündnis ’ 90, (8) Sonstige Partei, (9) würde nicht wählen.

  4. Man gewichtet bei der Recallgewichtung im allgemeinen die von den Befragten geäußerten Wahlabsichten, indem man sie mit einem Quotienten multipliziert, der anhand der Differenz zwischen den Antworten auf die sogenannte Recallfrage nach dem Wahlverhalten bei der letzten Bundestagswahl und dem tatsächlichen Wahlergebnis berechnet wird. Diese Art der Gewichtung unterstellt stillschweigend, daß die festgestellten Abweichungen entweder aufgrund bloßer Stichprobenverzerrungen zustande kommen, die man jedoch schon mit Hilfe der soziodemographischen Gewichtung zu neutralisieren versucht hat, oder aufgrund von Lügen seitens der Interviewten, die sich an das dominierende Meinungsklima anzupassen versuchten. Die Möglichkeit einer bewußten oder unbewußten Anpassung der Rückerinnerung an tatsächlich gewandelte politische Präferenzen wird dadurch ausgeschlossen, so daß durch die weiterhin übliche Recallgewichtung im Extremfall neue, unkontrollierbare Verzerrungen entstehen können.

  5. Nach Recallgewichtung liegt der CSU-Wert im Osten um einen Prozentpunkt, der der CDU sogar um sechs Prozentpunkte niedriger als in Tabelle 1 ausgewiesen.

  6. In der im Januar 1992 von EMNID verwendeten Version lautet die Wahlsonntagsfrage: „Welche Partei würden sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären? Nennen Sie bitte die Nummer der Partei, für die Sie sich entscheiden würden.“ Dem Befragten wurde dann eine Liste mit folgenden Alternativen vorgelegt: (1) CDU, (2) CSU (Ost: DSU), (3) SPD, (4) F. D. P., (5) PDS, (6) Republikaner, (7) Die Grünen/Bündnis 90, (8) Sonstige Partei, (9) keine von allen/werde nicht wählen.

  7. Die Frageformulierung lautet wie folgt: „Könnten Sie sich vorstellen, bei Bundes-oder Landtagswahlen eventuell auch einmal anders als eben genannt zu wählen? Bitte nennen Sie mir wieder die Nummer.“ Die Befragten bekamen dann noch einmal die gleiche Liste vorgelegt wie bei der Wahlsonntagsfrage.

  8. Die Formulierung dieser an die vorstehende Frage unmittelbar anschließenden Frage lautet: „Und welche dieser Parteien kommen für Sie überhaupt nicht in Betracht?“ Folgende Liste wurde den Befragten dabei vorgelegt: (1) CDU, (2) CSU (im Osten: DSU), (3) SPD, (4) F. D. P., (5) PDS, (6) Republikaner, (7) Die Grünen/Bündnis 90, (8) Sonstige Parteien.

  9. Es handelt sich hier um die bekannte Parteiidentifikationsfrage: „Viele Leute in der Bundesrepublik neigen längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: neigen Sie -ganz allgemein gesprochen -einer bestimmten Partei zu? Wenn ja, welcher?“ Den Befragten wurde dann folgende Liste vorgelegt: „Neige einer Partei zu, und zwar: (1) der CDU, (2) der CSU, (3) der SPD, (4) der F. D. P., (5) den Grünen, (6) Bündnis 90, (7) den Republikanern, (8) der DSU, (9) der PDS, (10) einer anderen Partei, (11) nein, neige keiner bestimmten Partei zu.“

  10. Vgl. Anm. 3.

  11. Vgl. zu den Wahlen des Jahres 1990 in der DDR bzw.den neuen Bundesländern und den Reaktionen der Wahlforschung darauf Jürgen W. Falter, Die DDR-Wahlen von 1990, in: Eckard Jesse/Armin Mitter (Hrsg.), Von der DDR zu den neuen Bundesländern, Bonn 1992.

  12. Die zugrundeliegende Frage lautet: „Was halten Sie -so ganz allgemein gesprochen -von den politischen Parteien? Sagen Sie es bitte anhand dieser Skala. + 5 heißt, daß Sie.sehr viel von der Partei halten; -5 heißt, daß Sie überhaupt nichts von der Partei halten; mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abgestuft sagen. Was halten Sie von...“. Dem Befragten wurde dann eine Liste vorgelegt mit den Parteien CDU, CSU, SPD, F. D. P., Grüne, Bündnis 90, PDS und Republikaner sowie der sich von + 5 („sehr viel“) bis -5 („überhaupt nichts“) erstreckenden Skala. Als Sympathisanten der CSU bezeichnen wir die 135 Befragten, welche die Felder + 2 bis + 5 der Sympathiefrage ankreuzen. Personen mit extremer CSU-Antipathie sind die 136 Respondenten (= 23 Prozent aller Befragten), die im Falle der CSU -5 angekreuzt haben. In der so definierten Antipathierate wird die CDU übrigens in unserer Befragung nur noch von den Republikanern mit 80 Prozent und der PDS mit 36 Prozent übertroffen.

Weitere Inhalte

Jürgen W. Falter, Dr. rer. pol., geb. 1944; Professor für Politikwissenschaft und Vergleichende Faschismusforschung an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen: Hitlers Wähler, München 1991; zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu den Themenbereichen empirische Wahlforschung, Methodologie der Sozialwissenschaften sowie historische Wahlforschung. Siegfried Schumann, Dr. phil., geb. 1957; Mitarbeiter am DFG-Projekt „Wählerverhalten“; 1984 bis 1988 wiss. Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung. Veröffentlichungen u. a.: Politische Einstellungen und Persönlichkeit. Ein Bericht über empirische Forschungsergebnisse, Frankfurt/M. u. a. 1986; Wahlverhalten und Persönlichkeit, Opladen 1990.