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Amerikanische Innenpolitik unter Präsident Bush | APuZ 44/1992 | bpb.de

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APuZ 44/1992 Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf 1992 Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf 1992 Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf 1992 Amerikanische Innenpolitik unter Präsident Bush Armut und Sozialpolitik unter der Bush-Administration Zur Lage der US-Wirtschaft. Bestandsaufnahme und Perspektiven am Ende der ersten Amtszeit von George Bush Die Außenpolitik der USA unter George Bush

Amerikanische Innenpolitik unter Präsident Bush

Kurt L. Shell

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Zusammenfassung

George Bush gehört nicht zu den großen Präsidenten der USA. Trotz seiner unbestrittenen Erfolge in der Außenpolitik gilt er innenpolitisch als erfolglos. Seinen Ankündigungen im letzten Wahlkampf sind nur wenige konkrete Taten gefolgt. Seine geringe Popularität hängt eng mit der Vernachlässigung der inneren Probleme Amerikas zusammen. Bush ließ keine innovative Linie in der Innenpolitik erkennen, was bei einem konservativen Präsidenten auch nicht überrascht. Ob Bill Clinton den Amtsinhaber schlagen kann, scheint durch den Wiedereintritt des texanischen Milliardärs Ross Perot wieder eine offene Frage zu sein.

I. Einleitung

Das politische System Amerikas ist nicht dazu angetan, Entscheidungen zu erleichtern und Problemlösungen zu fördern. Alexander Hamilton, einer der Gründungsväter, schrieb in dem „Föderalist Paper“ Nr. 73, man müsse doch zugeben, daß es besser sei, die Produktion von Gesetzen zu verhindern als sie voranzutreiben, selbst wenn man damit die Verabschiedung auch guter Gesetze blockiere. Denn es sei doch am besten, die Dinge so zu belassen, wie sie sind, anstatt sie zu verändern Damit versuchte er, das Prinzip der Gewaltenteilung und insbesondere des präsidentiellen Vetos und der Unabhängigkeit eines Obersten Gerichts, ausgestattet mit der Macht der Normen-kontrolle, gegen demokratische Kritiker zu verteidigen.

In keiner der westlichen Demokratien sind diese Mechanismen so weit entwickelt, wie in den USA. Vor allem das System mehr oder weniger disziplinierter politischer Parteien hilft in parlamentarischen Demokratien die vielfältigen Positionen und Interessen zu bündeln und die Entscheidungsgremien -Exekutive und Legislative(n) -zu koordinieren. Selbst in einem föderalen System, einer Form der horizontalen Gewaltenteilung, überbrücken Parteien die länderbezogenen Interessen-gegensätze und tragen zur Entscheidungsbildung bei. Im amerikanischen System der Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung konnten sich, wie bekannt, disziplinierte Parteien nicht herausbilden. Das präsidentielle Verfassungssystem ist, wie der amerikanische Historiker Richard Hofstadter formulierte, ein parteienfeindliches Seine Bezeichnung als „Präsidialsystem“ ist irreführend, denn sie lenkt den Blick des Betrachters auf eines der Staatsorgane -das Präsidentenamt -und führt zu unrealistischen Einschätzungen hinsichtlich seiner Entscheidungskompetenz und Durchsetzungsfähigkeit.

Eher als von einem „Präsidialsystem“ sollte man von einer „antagonistischen Partnerschaft“ zwischen Exekutive und Legislative, Präsident und Kongreß sprechen. Der den Entscheidungsprozeß am besten charakterisierende Begriff ist der des „bargaining“, des oft langwierigen Aushandelns von Kompromissen; aber auch der des „stalemate“, der gegenseitigen Blockierung, der „NichtEntscheidung“, wenn aus prinzipiellen (ideologischen) oder (partei) taktischen Gründen eine Kompromißlösung nicht gefunden werden kann.

Als Ronald Reagan 1980 gewählt wurde, konnte die Republikanische Partei hoffen, nicht nur das Präsidentenamt über lange Zeit in Besitz nehmen zu können. Die Aussichten schienen günstig, auch die jahrzehntelange Dominanz der beiden Häuser des Kongresses durch die Demokraten überwinden zu können. Denn zum ersten Mal seit 1954 hatte sie eine Mehrheit im Senat gewonnen und hoffte, in der nächsten Wahl auch die Demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus umzukehren. Diese Hoffnung erwies sich jedoch als trügerisch. Nicht nur blieb die Demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus ungebrochen; 1986 verloren die Republikaner ihre Mehrheit im Senat, und Präsident Reagan war wieder mit einer gegnerischen Parteimehrheit in beiden Häusern des Kongresses konfrontiert -allerdings keine ungewöhnliche Situation für Republikanische Präsidenten. Ronald Reagan teilte demnach das Schicksal vieler Präsidenten in dieser Lage der parteilichen Spaltung zwischen den beiden höchsten Bundesorganen. Es wurde zunehmend schwieriger, von seiner Regierung (das amerikanische Wort dafür ist „administration“) initiierte oder befürwortete Gesetzesvorhaben zu realisieren Nur für eine kurze Phase war die Demokratische Opposition, die im Repräsentantenhaus nach wie vor die Mehrheit behalten hatte, unter dem (falschen) Eindruck eines Reaganschen Erdrutsches und eines damit verbundenen Wählermandats zu nachgiebiger Kooperation bereit. Die Rezession des Jahres 1982 und die Wahlen im November brachten Reagan einen Rückschlag und stärkten das Selbstvertrauen der Demokraten.Die Last der von Präsident Reagan hinterlassenen ungelösten Probleme war zur Zeit seines Ausscheidens aus dem Amt für viele Amerikaner noch nicht erkennbar. Die Politik des „Militär-Keynesianismus“, der immensen Verschuldung, hatte zu einer wirtschaftlichen Expansion beigetragen, die eine große Anzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten schuf -nicht nur in den schlecht bezahlten „McDonalds“ der USA Das sich abzeichnende Ende des Kalten Krieges schien Reagans Aufrüstungspolitik und harte Linie gegenüber der Sowjetunion zu rechtfertigen. Das immense Haushaltsdefizit war für den Durchschnittswähler zu weit weg von dem erlebten Alltag, als Bedrohungsfaktor zu abstrakt, um politisch gegen die Republikanische Partei auswertbar zu sein; zumal Reagan immer wieder den „Demokratischen Kongreß“ dafür verantwortlich machen konnte, seinen Einsparungsvorschlägen nicht gefolgt zu sein. Auch war die vorherrschende Meinung im Lande noch immer geprägt -wenn auch weniger intensiv als 1980 -von einer konservativen Grundstimmung, der Skepsis gegenüber staatlichem Aktivismus und exzessiver Fürsorge für Arme -meist Schwarze und Hispanics -, die, so die vorherrschende Einstellung, auf Kosten der arbeitsamen weißen Bevölkerung den Sozialstaat ausnützten.

II. George Bush als Kandidat und Präsident

George Bush brachte kein klares politisches Profil in den Wahlkampf. Bevor er Vizepräsident unter Reagan wurde, galt er als Vertreter eines moderaten Ostflügel-Establishments innerhalb der Republikanischen Partei; als „wimp“ (Schwächling) ohne feste Überzeugungen. Besonders der rechte Flügel der Partei empfand starke Abneigung gegen ihn, zumal er ja Reagan als Rivale im Vorwahl-kampf 1980 hart angegriffen hatte. Reagans Rezepte für Wirtschaftspolitik hatte er als „Voodoo economics“ bezeichnet; und in der Abtreibungsfrage hatte er eine liberale Position eingenommen; genug, um ihn zur „persona non grata“ der Rechten zu machen. Doch versuchte Bush als Vizepräsident durch totale Anpassung und Loyalität gegenüber Präsident Reagan, seine ehemalige Gegnerschaft und liberalere Vergangenheit vergessen zu machen. Von seiner Partei (nach erfolgreich absol-vierten Vorwahlkämpfen) als Präsidentschaftskandidat nominiert, zeigte er sich als skrupelloser, demagogischer Kämpfer, der nach übereinstimmender Einschätzung neutraler Beobachter den häßlichsten, negativsten und inhaltslosesten Wahlkampf der neueren amerikanischen Geschichte führte. In Erinnerung bleibt die „Willie Horton“ -Kurzsendung, in der sein Gegner Dukakis für die Beurlaubung eines schwarzen Schwerverbrechers aus dem Gefängnis in Massachussetts verantwortlich gemacht wurde, die es diesem Verbrecher ermöglicht hatte, ein weiteres schweres Verbrechen gegen eine weiße Frau zu begehen. Wie Pre-Tests ergeben hatten, reagierten potentielle weiße Wähler besonders stark auf diesen versteckten Appell an die Furcht vor schwarzer Kriminalität. Ein zentraler inhaltlicher Punkt seines Wahlkampfs war das wiederholt bekräftigte Versprechen, daß er keinen Steuererhöhungen zustimmen würde („read my lips -no new taxes“).

Nach seiner Wahl sah sich Präsident Bush mit einem Kongreß konfrontiert, der in beiden Häusern von einer Demokratischen Mehrheit beherrscht wurde, und gleichzeitig mit einer reduzierten Republikanischen Fraktion. Zudem hatte er die Demokraten durch seinen aggressiven, negativen Wahlkampf provoziert, so daß ihrerseits wenig Neigung zu gütlicher Kooperation mit dem Präsidenten bestand. Die sogenannte „Konservative Koalition“ aus Republikanern und südstaatlichen Demokraten, die vormals viel zu den Anfangserfolgen Reagans und in der Vergangenheit zu der Blockierung liberaler Vorhaben beigetragen hatte, war geschrumpft; vor allem dadurch, daß die Südstaaten nach ihrer langen Dominanz durch die Demokratische Partei ein wirkliches Zwei-Parteien-System entwickelt hatten und die Konservativen nun in der Republikanischen Partei ihre Heimat fanden, und andererseits dadurch, daß die neue Generation südstaatlicher Demokraten sich der „nationalen“ Norm angenähert hatte und nicht mehr durch Rassismus und extremen Fiskalkonservatismus geprägt war Die Demokratische Fraktion war damit homogener geworden, wie auch die Republikaner seit der fast vollständigen Eliminierung ihres liberalen Flügels an konservativer Homogenität gewannen

In seiner ersten Rede an den Kongreß (die „Inauguration Address“) grenzte Bush sich trotzdem von der wenig Mitleid mit den Schwachen und Be­ nachteiligten der Nation zeigenden Politik Reagans subtil ab, indem er versprach, für ein freundlicheres („kinder“) Amerika und eine sanftere („gentler“) Welt zu arbeiten. Doch zeichnete sich seine zukünftige, eher passive politische Linie schon ab, da er auf die leeren Kassen, das große Defizit im Haushalt hinwies und sich in erster Linie auf die privaten Gemeinschaftsorganisationen -„thousand points of light“ -verlassen wollte, um die Lage der Obdachlosen, der Kinder aus besitzlosen Familien usw. zu verbesseren. Er machte nur ein eindeutiges Versprechen, das unerfüllt bleiben mußte: Die Geißel der Drogen würde beseitigt werden. Die Ansprache enthielt auch den Versuch, die Demokratische Kongreßmehrheit zur Zusammenarbeit zu gewinnen, indem er die allzu große Distanz zwischen den Parteien bedauerte und hoffte, die gewachsene Uneinigkeit („divisiveness“) gemeinsam mit der „loyalen Opposition“ zu überwinden. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch, und bald begann der Präsident mit dem Veto zu operieren; er schien die Konfrontation mit der Kongreßmehrheit zunehmend zu genießen

III. Präsident Bushs Innenpolitik

1. Der Konflikt über die Fristenlösung

Die am konsistentesten und leidenschaftlichsten vertretene politische Position Bushs galt der Abtreibungsfrage. Aus verfassungsrechtlichen Gründen konnte der Präsident, ebenso wie der Kongreß, hier nur einen eher marginalen Einfluß ausüben, denn die Grundposition war durch den Supreme Court 1973 (Roe v. Wade) festgelegt worden. Eine 7: 2 Mehrheit hatte der amerikanischen Frau das Grundrecht auf Abtreibung -unbeschränkt bis zum dritten Monat und mit geringfügigen Einschränkungen bis zum sechsten Monat der Schwangerschaft -zugebilligt. Was die Bundesgesetzgebung vermochte, war, die Bewilligung von Bundesgeldem an Bedingungen zu knüpfen. Bis in die späten achtziger Jahre dominierte im Kongreß eine in dieser Frage konservative Mehrheit, der es immer wieder gelang, einschränkende Bedingungen zu stellen; so schon 1976 im sogenannten Hyde-Amendment die Durchführung von Abtreibungen über das vom Bund finanzierte Medicaid-Programm zu verbieten, wobei jedes Jahr erneut über die Ausnahmen (Gefährdung des Lebens der Mutter, Vergewaltigung, Inzest) mit wechselndem Erfolg erneut gestritten wurde. Den Einzelstaaten blieb es überlassen, aus eigenen Mitteln für Schwangerschaftsunterbrechungen Geldmittel bereitzustellen. Unter dem massiven Druck der durch die Entscheidung des Supreme Court mobilisierten Abtreibungsgegner verabschiedeten mehrere Einzelstaaten restriktive Gesetze, die das Recht auf Abtreibung ebenfalls an eine Reihe von (von Staat zu Staat verschiedenen) Bedingungen knüpfte (wie z. B. die vorherige Benachrichtigung der Eltern von Mindeijährigen, das Verbot der Durchführung von Abtreibungen in staatlichen Krankenhäusern usw.). Diese Gesetze sowie das Hyde Amendment wurden mit wenigen Ausnahmen vom Supreme Court für verfassungsgemäß erklärt, allerdings mit wechselnden Mehrheiten und unterschiedlichen Begründungen Somit wurde die Einstellung der Richter am Supreme Court zu einem entscheidenden Aspekt in der politischen Auseinandersetzung, da die Gegner der Freigabe von Abtreibung hofften, durch eine veränderte Mehrheit des Obersten Gerichts die Grundsatzentscheidung von 1973 rückgängig machen zu können. Schon im Kampf um die Ernennung von Richter Bork -einem erklärten Gegner der Entscheidung in Roe v. Wade -durch Präsident Reagan hatte diese Frage eine zentrale Rolle gespielt. Unter Bush setzte sich der Konflikt unvermindert fort.

Inzwischen hatte sich jedoch das Kräfteverhältnis zwischen Befürwortern und Gegnern verändert. Aufgeschreckt durch Entscheidungen des Supreme Court, die die restriktiven Gesetze der Einzelstaaten für verfassungsgemäß erklärten (so in Webster v. Reproductive Health Agency, 1989, des Staates Missouri), verstärkten die „pro choice“ -Organisationen ihre Anstrengungen; auch in der Öffentlichkeit war das Recht auf Abtreibung inzwischen zu einem Gewohnheitsrecht geworden, das in zunehmendem Maße nicht mehr in Frage gestellt wurde. Auf diese veränderte Situation reagierte die Demokratische Kongreßmehrheit, indem sie mehrfach Klauseln in Vorlagen einfügte, die die Ausgabe öffentlicher Mittel für die Durchführung von Abtreibungen ermöglichen und Familienplanungsorganisationen die Beratung unter Einschluß der Schwangerschaftsunterbrechung gestatten sollten.

Durch sein Veto in drei Fällen zwang der Präsident bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit den Kongreß, diese Gesetzgebung von den für ihn inakzeptablen Klauseln zu reinigen. Er übte damit in gewisser Hinsicht ein „line item veto“ aus -ein Veto gegen gewisse Einzelteile eines Gesetzes -eine Kompetenz, die der Kongreß dem Präsidenten aus Gründen der eigenen Machterhaltung immer verweigert hatte. Diese Kontroverse hält bis in die Gegenwart an. Wiederholt verabschiedet der Kongreß Gesetze, die es den aus Bundesmitteln finanzierten Familienplanungskliniken und -Organisationen ermöglichen sollen, Abtreibung im Beratungsgespräch zu erwähnen. Doch regelmäßig legt Präsident Bush sein Veto dagegen ein, und der Kongreß ist nicht imstande, die nötige Zweidrittelmehrheit zu erreichen, um das Veto zu überstimmen. So fehlten im November 1991 im Repräsentantenhaus zwölf Stimmen, um ein Veto Bushs gegen das Finanzierungsgesetz für sein größtes Ministerium (Health and Human Services), das das Beratungsverbot blockieren sollte, zu überwinden

Auch in den Anhörungen zur Ernennung neuer Richter am Supreme Court spielt deren Einstellung zu Roe v. Wade eine zentrale Rolle. Die von Bush nominierten Richter haben aus der Ablehnung Borks die Lehre gezogen, sich in diesem Problembereich bedeckt zu halten; sich hinter dem Argument zu verstecken, daß es mit ihrer zukünftigen Rolle nicht zu vereinbaren wäre, über Fragen, die konkrete, vor Gericht anstehende Fälle betreffen, eine Aussage zu machen. Doch obwohl nach dem Ausscheiden der liberalen Richter Brennan und Marshall, die durch Kandidaten Bushs ersetzt wurden, eine solide konservative Mehrheit das Gericht konstituiert, ist es dennoch bis zur Gegenwart nicht zu der von den „pro choice“ befürchteten Reversierung der Grundsatzentscheidung von Roe v. Wade gekommen. Inzwischen versucht der Kongreß auf legislativem Weg, das Recht auf Abtreibung bundesweit zu vereinheitlichen, was aber keine Chance auf Realisierung hat, so lange Bush Präsident bleibt

2. Kampf gegen Kriminalität

Durch die gesamte Amtszeit von Präsident Bush zieht sich der Versuch, Konsens für einen Gesetzesentwurf zu finden, der der effizienteren Verbrechensbekämpfung dienen soll. Kurz nach Amtsantritt hatte der Präsident in einer Botschaft an den Kongreß eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die den Schwerpunkt auf eine sichere Bestrafung und härtere Strafen legten. Die Todesstrafe sollte ausgedehnt, zusätzliche Gelder für Polizei und andere Sicherheitsagenturen bereitgestellt werden. Die vor allem von den „gun lobbies“ immer wieder blockierten Maßnahmen zur Einschränkung des Schußwaffenbesitzes umging der Präsident mit dem Argument, daß die meisten bei Verbrechen benützten Schußwaffen gestohlen seien Angesichts einer öffentlichen Meinung, die härtere Strafen -und besonders die Todesstrafe -für schwere Gewaltverbrechen mit großer Mehrheit befürwortet, wollte kein Mitglied des Kongresses „soft on crime“ erscheinen. In beiden Fraktionen wetteiferten die Volksvertreter, die Zahl der mit Todesstrafe zu vergeltenden Verbrechen zu erweitern. Doch brach der Konsens am Widerstand Demokratischer Liberaler zusammen. Hauptsächliche Punkte der Kontroverse waren die Rechte eines zum Tode Verurteilten auf Berufung, unter anderem die Frage, ob ein statistischer Nachweis über die größere Häufigkeit von Todesurteilen gegen Mitglieder einer bestimmten Rasse Grund für eine Berufung sein dürfe. Obwohl diese Klausel wie auch das kontroverse Verbot von „assault-type“ -Waffen (halbautomatische Handschnellfeuergewehre) aus der Vorlage gestrichen worden waren und die Demokraten auch Konzessionen bezüglich der Einengung von Berufungsmöglichkeiten gemacht hatten, fanden die Republikaner die Vorlage „zu weich“ und blockierten sie im Senat mit einem „Filibuster“ (unbeschränktes Rederecht). Ein Versuch, den „Filibuster“ durch „Abschneiden“ zu beenden, wozu 60 von 100 Stimmen nötig gewesen wären, scheiterte. Im Wahljahr 1992 ist eine Einigung noch unwahrscheinlicher, da die Republikaner aus taktischen wie prinzipiellen Überlegungen an einem Kompromiß nicht interessiert sind und ihre Bereitschaft demonstriert haben, zu der Waffe des Filibusters zu greifen, um für sich den Anspruch auf „Härte“ im Kampf gegen Gewaltkriminalität zu erhalten; zumal jüngere Entscheidungen des Supreme Court ihrem Wunsch nach Verkürzung des Berufungsverfahrens entgegenkommen

3. Der Kampf gegen Drogenmißbrauch

Eng verbunden mit dem Kampf gegen Kriminalität ist der Angriff auf das Drogenproblem, dem Bush versprochen hatte, hohe Priorität zu geben. Allerdings legte er auch hier das Hauptgewicht -durchaus in Übereinstimmung mit den Konservativen seiner Partei -auf repressive Maßnahmen In einer bundesweiten Fernsehsendung hatte Bush seinen Plan zur Drogenbekämpfung vorgestellt, wobei die größte Summe der gewünschten Zusatz-finanzierung für die Expansion des Gefängnissystems aufgewendet werden sollte. Die Bundeshilfe an die Einzelstaaten sollte verdoppelt werden, um die Zahl der Staatsorgane, die der Drogenbekämpfung dienten (Fahnder, Staatsanwälte, Richter) zu vermehren. Obwohl der Kongreß die Aufforderung zum Handeln ernst nahm, wurde nur ein kleiner Teil der vom Präsidenten erwünschten Maßnahmen verabschiedet; so die Programme für Drogenberatung in den Schulen und Hilfe im Kampf gegen die Drogenmafia in Kolumbien, Bolivien und Peru. Die Vergabe von Bundesmitteln an Einzelstaaten sollte von deren Bereitschaft abhängig gemacht werden, Programme zur Bekämpfung der Abhängigkeit zu entwickeln. Dieser Vorschlag scheiterte an einer kleinlichen Kontroverse zwischen Senat und Repräsentantenhaus über die Zwangsuntersuchung von Transportarbeitern

4. Förderung des Bildungssystems

Präsident Bush versuchte, seiner Selbstdarstellung als „education President“ mit überzogener Rhetorik gerecht zu werden. Auf dem Hintergrund eines pessimistischen Berichts über das amerikanische Bildungssystem -vor allem dem niedrigen Bildungsstandard amerikanischer Schüler in den High Schools des Landes -strebte er in seiner „State of the Union Message“ 1990 höchst ehrgeizige (aber unrealistische) Ziele für das nächste Jahrzehnt an Während derzeit amerikanische Schüler weit unter dem Standard anderer europäischer oder asiatischer Nationen rangieren, die „drop out rate“ (Abbrechrate) in den High Schools -besonders unter den Minderheiten -extrem hoch ist und die amerikanische Industrie unter der schlechten Ausbildung ihrer Arbeiterschaft leidet -es gibt kein systematisches Ausbildungsprogramm für Lehrlinge -, forderte Bush: Bis zum Jahr 2000 müßten amerikanische Schüler in Naturwissenschaften und Mathematik im Vergleich an erster Stelle stehen; die Abbruchrate müßte unter zehn Prozent liegen, und jeder erwachsene Amerikaner müßte ein gebildeter und technisch versierter (skilled and literale) Arbeiter und Bürger sein.

Die Realisierung dieser ehrgeizigen Vorhaben scheiterte größtenteils, wie zu erwarten war, sobald die Vorschläge konkrete Form annahmen. Sie wurden zuerst blockiert durch Widerstände konservativer Senatoren aus seinen eigenen Reihen, die gegen die implizierte Zentralisierung des Bildungssystems -verfassungsmäßig den Einzelstaa-ten Vorbehalten -opponierten. So wurde 1990 nur ein Stipendienprogramm zur Förderung von Studien in Mathematik und den Naturwissenschaften verabschiedet. Im Wahljahr 1992 begann der Präsident erneut, seine Vorhaben auf dem Bildungssektor voranzutreiben. Die neuen Vorschläge enthielten jedoch ein Element, das zu kaum überbrückbaren ideologischen und parteilichen Differenzen Anlaß gab: den Wunsch, Eltern eine freie Wahl zwischen Schulen -öffentlichen wie privaten -zu erlauben und diese Wahl durch Subventionen und Steuerkredite zu erleichtern. Da dieser Vorschlag -ein konservatives Erbe der Reagan-Administration -jedoch das öffentliche Schulsystem geschwächt hätte und kirchlichen Schulen (die den größten Teil amerikanischer Privatschulen bilden) zugute gekommen wäre, stieß er auf den erbitterten Widerstand liberaler Demokraten, unterstützt von der mächtigen Lehrergewerkschaft.

Der konservative Senator Hatch schlug ein Testprogramm begrenzten Ausmaßes vor, das ausschließlich Schülern aus Familien mit niedrigem oder mittlerem Einkommen helfen sollte. Der Senat versagte auch diesem Plan seine Zustimmung. Das Repräsentantenhaus verabschiedete eine alternative Version des präsidentiellen Vorschlags: Die Einzelstaaten sollten globale Zuwendungen erhalten, die sie für staatliche wie auch private Schulen verwenden könnten; dies unter der Voraussetzung, daß ein Gesetz oder die Verfassung des jeweiligen Staates die Vergabe öffentlicher Gelder an private Schulen gestattete und der lokale Schulbezirk dazu seine Zustimmung gab. Der Senat dagegen verabschiedete zur gleichen Zeit ein Schulgesetz mit einer Globalzuwendung an die Einzelstaaten zum Zweck der Verbesserung der Ausbildung, beschränkte jedoch die Wahlmöglichkeit der Eltern auf das öffentliche Schulsystem 5. Bürgerrechtsgesetzgebung Für die Demokratischen Fraktionen erhielt ein neues Bürgerrechtsgesetz 1990 hohe Priorität. Schwarze Bürgerrechts-und Frauenorganisationen sowie Liberale übten Druck aus, einige für sie negative Entscheidungen des Supreme Court auf dem Gesetzesweg zu revidieren und gleichzeitig den Civil Rights Act von 1964 zu erweitern *Bei Präsident Bush und in Unternehmerkreisen stießen sie dabei auf heftigen Widerstand. In einer Reihe von Entscheidungen im Jahre 1989 hatte der Supreme Court mit seiner konservativen Mehrheit die Chancen eines Schwarzen, erfolgreich gegen angebliche Diskriminierung am Arbeitsplatz zu klagen, stark eingeengt. In Wards Cove v. Antonio hatte das Gericht entschieden, daß die Beweislast bei dem Kläger ruhte, der nachzuweisen hatte, daß die von ihm behauptete Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder des Geschlechts nicht durch Geschäftsnotwendigkeiten begründet war; ein äußerst schwer zu erbringender Nachweis. Damit revidierte der Supreme Court eine frühere Entscheidung aus seiner liberalen Phase (Duke Power Co. v. Griggs, 1971), in der die Beweislast dem Arbeitgeber zugewiesen worden war, der nachzuweisen hatte, daß Disparitäten in der Beschäftigung von Mitgliedern von Minderheiten oder Frauen durch Geschäftsnotwendigkeiten erzwungen waren.

Gegen das 1990 von der Demokratischen Kongreßmehrheit verabschiedete Gesetz, das u. a.den „Status quo ante“ hergestellt hätte, legte der Präsident sein Veto ein. Sein Haupteinwand war, daß es zu Quoten bei Einstellungen von Minderheiten und Frauen führen würde, da die Arbeitgeber, um kostspielige Prozesse zu vermeiden, die Zuflucht zu Quotierungen nehmen würden. Quoten jedoch waren vom Supreme Court für verfassungswidrig erklärt worden und stellten zudem ein Reizwort für einen Großteil der weißen Wählerschaft dar. Obwohl der Präsident bemüht war, jeden Verdacht von Rassismus von sich zu weisen -und zu dieser Zeit auch, wie Meinungsumfragen zeigten, bei der schwarzen Wählerschaft über eine (für einen Republikanischen Präsidenten) präzedenzlose Popularität verfügte -schien offensichtlich der Widerstand gegen Quoten ihm politisch mehr Gewinn zu bringen. Dies, obwohl der Gesetzentwurf, um das Quotenargument zu entkräften, die Worte enthielt, „daß nichts die Konstruktion rechtfertige, daß ein Arbeitgeber bei Einstellungen oder Beförderungen Quoten anwenden müsse“; und ferner, daß eine bloß statistisch nachweisbare Disparität („disparate impact“) nicht den Beweis für Diskriminierung bilden könne. Wiederum blieb der Präsident -vorläufig -mit seinem Veto erfolgreich. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit, um es zu überwinden, kam nicht zustande

Für die Demokraten im Kongreß hatte dieses Gesetz oberste Priorität. Eine abgeänderte Version wurde als erstes Gesetzesvorhaben im neuen Jahr vorgelegt, diesmal mit Betonung auf der Diskriminierung von Frauen. Das Verbot von Quotierungen wurde verstärkt, die Standards für den Nach-weis von Diskriminierung verschärft. Der neue Entwurf sah auch niedrigere Schadenersatzzahlungen für weibliche Opfer von Diskriminierung (aus nicht-rassischen Gründen) vor, während Opfer intentionaler, rassischer Diskriminierung Zahlungen in unbeschränkter Höhe einklagen konnten; eine Klausel, die den Unmut von Frauenorganisationen hervorrief Der gemäßigte Republikanische Senator Danforth versuchte, angesichts anhaltenden Widerstands aus dem Weißen Haus, weitere Kompromißvorschläge zu machen, doch richtete sich Bushs Opposition nunmehr gegen eine Formulierung, die den Arbeitgebern eine zu beschwerliche Last bei Einstellungen aufzubürden schien; nämlich dagegen, daß beim Nachweis von „Geschäftsnotwendigkeit“ in der Einstellungspraxis eine „offensichtliche Beziehung zu der Fähigkeit, die Arbeit zu leisten, bestehen müsse“

6. Der Haushalt -Defizit und Steuern

Anders als in europäischen Parlamenten hat der amerikanische Kongreß die „power of the purse“ behalten. Die Kompetenz über Geldbewilligungen (Autorisierung und Zuweisung) ist seine stärkste Waffe zur Kontrolle der Exekutive und dem Setzen legislativer Prioritäten. Zwar läßt der Präsident durch sein Haushaltsbüro (Office of Management and Budget) einen Gesamthaushaltsvorschlag ausarbeiten, den er an den Kongreß weiterleitet, doch wird dieser vom Kongreß bestenfalls als eine Arbeitsvorlage betrachtet, die er nach Beheben verändern kann. Da die Bewilligung von einer Vielzahl von Ausschüssen vorgenommen wird und der Kongreß über Steuern unabhängig von den Ausgaben entscheidet, ist dieser Prozeß unkoordiniert und chaotisch.

Der Kongreß hat zwar wiederholt in den letzten Jahrzehnten Reformgesetze verabschiedet, die zu größerer Effizienz und Verantwortlichkeit im Haushaltsgebaren führen sollten, doch blieben diese weitgehend erfolglos. Zu sehr hängt der Prozeß der Geldzuweisung mit den persönlichen und politischen Interessen der einzelnen Mitglieder des Kongresses zusammen. Die Reduktion des unter Reagans Präsidentschaft immens gewachsenen Defizits, die das Ziel des Gramm-Rudman-Hollings-Gesetzes war, in dem der Kongreß sich einer disziplinierten und restriktiven Haushaltsgebarung zu unterziehen verpflichtete, war nicht erreicht worden. Präsident Bush visierte zwar in seiner ersten „Budget Message“ 1989 eine Reduktion des Defi­ zits um fast 40 Prozent an; sie sollte durch das Setzen neuer Prioritäten und wachstumsbedingte steuerliche Mehreinnahmen erreicht werden. Doch war dies eine völlig unrealistische Vision, denn die wachsenden Kosten von gesetzlich festgeschriebenen Sozialprogrammen, („entitlement programs“), der Zusammenbruch der amerikanischen Sparkassen („Savings and Loan Association“), die einsetzende Rezession (mit verminderten Staatseinkünften) ließen das Defizit weiter anwachsen.

Langfristig von wahrscheinlich größerem Gewicht war die Entscheidung, die strikten aber unrealistischen Selbstverpflichtungen des Gramm-Rudman-Hollings-Gesetzes endgültig aufzugeben. An die Stelle eines für jedes Jahr geltenden festen Betrags der Defizitreduzierung, der durch Einsparungen zu erreichen war, und die unbarmherzige und un-flexible Beschneidung (fast) aller Ausgaben um gleichmäßige Prozentsätze im Falle der Nichterfüllung dieser Verpflichtung trat nun eine wesentlich flexiblere Regelung: Für Ausgaben, die Jahr um Jahr zu bewilligen sind („discretionary spending“), werden jährliche Obergrenzen bestimmt, die allerdings aus schwerwiegenden Gründen -so der Golfkrieg, die Rezession, die „Savings and Loan“ -Krise, usw. -außer Kraft gesetzt werden können. Für die permanent gesetzlich festgelegten Programme („entitlement programs“), die den Hauptteil der wachsenden Staatsausgaben ausmachen, gilt in Zukunft nur, daß jede Expansion „revenue neutral“ sein, d. h. durch zusätzliche Steuer gedeckt werden müsse. Auch davon kann eine Ausnahme gemacht werden, wenn der Präsident einen „Notstand“ erklärt.

Anfang 1992 begann erneut der Konflikt zwischen Präsident und Demokratischer Mehrheitsfraktion um Prioritäten und Steuern. Im Mittelpunkt des Budgetvorschlags, den der Präsident Anfang Februar dem Kongreß vorlegte, stand wieder die Forderung nach einer drastischen Kürzung der Kapitalzuwachssteuer, plus einer zusätzlichen Steuerreduktion für kinderreiche Familien. Zu finanzieren wären diese Steuererleichterungen vorzugsweise durch Einsparungen in „entitlement programs“; eventuell auch aus Einsparungen aus dem Rüstungshaushalt. Diese stellten zwar ein Abweichen von dem 1990 akzeptierten Haushaltsgesetz dar, waren aber mit vielen anderen unannehmbaren Forderungen an die Demokratische Mehrheit verbunden, so daß sie keine Chance hatten, akzeptiert zu werden. Auch eröffnete diese Bereitwilligkeit zum Abweichen von dem nach langwierigen Verhandlungen erreichten Kompromiß von 1990 erneut die Diskussion um das ganze Regelsystem der Haushaltspolitik. Das präsidientelle Budget wurde von der Demokratischen Opposition ohne Um-schweife als unfair und unfähig, die Wirtschaft wirklich zu stimulieren, verworfen.

An seiner Stelle produzierten die Demokraten eilig einen Steuergesetzentwurf, der dazu bestimmt war, den Präsidenten in Verlegenheit zu bringen und in die Defensive zu drängen. Höhere Steuern für die Besserverdienenden sollten Steuererleichterungen für die Arbeiterklasse und Mittelschichten finanzieren. Millionäre sollten eine Zusatz-steuer zahlen; und für Konzerne sollten Gehälter über eine Million US-Dollar für ihre Manager nicht mehr steuerlich abzugsfähig sein. In einer Konzession an die Unternehmer -und den Präsidenten -gestattete die Vorlage eine inflationsabhängige Reduktion in der Kapitalzuwachssteuer Dieser Gesetzentwurf wurde, trotz großer Bedenken seitens konservativer Demokraten, mit dem Argument, die Partei müsse sich in diesem Wahljahr eindeutig mit einer fairen, den Unter-und Mittelschichten gerecht werdenden Steuerpolitik profilieren, mehrheitlich von beiden Häusern verabschiedet -und ebenso prompt vom Präsidenten durch sein Veto zunichte gemacht. Die Mehrheit reichte abermals nicht aus, das Veto zu überstimmen.

7. Energie-und Umweltpolitik

Energie-und Umweltpolitik sind eng miteinander verquickt, und die gegensätzlichen Interessen erschweren Fortschritte in der Entwicklung einer umfassenden Energiepolitik. In seiner Eröffnungsrede 1989 hatte Präsident Bush die beiden Dimensionen bereits verbunden, indem er für eine (vorsichtige) Nutzung der Ressourcen in der Alaska National Wildlife Refuge für Energiegewinnung (durch Ölexploration) plädierte -Anathema für Umweltschützer, die im Kongreß in der Demokratischen Fraktion über starke Kräfte verfügen Auf der anderen Seite versuchten die Republikanische Fraktion und der Präsident, alle Maßnahmen abzuwehren, die eine weitere Belastung für die amerikanische Wirtschaft mit sich bringen würden; eine Position, die vor kurzem Präsident Bush auf dem Umweltgipfel in Rio deutlich gemacht hat. Ein Gesetz, das die Erhöhung der Energieeffizienz von Automobilen verpflichtend gemacht hatte, scheiterte am Widerstand der Bush-Administration und einem „Filibuster“ im Senat Auch dieser Problemkomplex liegt quer zu den Parteilinien, denn die Sorgen der Automobilhersteller werden von ihren Arbeitern geteilt, die die japanische Konkurrenz fürchten; Kongreßmitglieder aus Kohle produzierenden Wahlkreisen versuchen, diese Industrie vor weiteren belastenden umweltschützenden Auflagen zu bewahren. Auch hier gilt: Da es sich um eine Gesetzgebung handelt, die eine große Zahl widersprüchlicher Interessen berührt, haben die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse im Kongreß wenig Bedeutung. Die materiellen und ideologischen Fronten kreuzen sich in vielfacher Hinsicht und machen eine Mehrheitsbildung außerordentlich schwierig.

Ein Erfolg für den Umweltschutz war die Verbesserung des Gesetzes zur Reinhaltung der Luft, das 1990 nach langwierigen Verhandlungen den Kongreß passierte und vom Präsidenten unterzeichnet wurde. Die Forderung nach neuen Anti-Smog-Vorrichtungen zur Bekämpfung von „saurem Regen“ wurde von den „schmutzigen“ Industrien des Mittelwestens bekämpft; der mächtige (Demokratische) Senator Byrd aus West Virginia behinderte lange die Vorlage durch seine Forderung nach Hilfe für Bergarbeiter (seines Staates), die durch verschärfte Vorschriften arbeitslos werden würden. Und der Präsident machte Vorschläge, die es Luftverschmutzern erspart hätten, die Öffentlichkeit von ihren Verletzungen der gesetzten Standards zu informieren. Der Senat verwarf diese Initiative mit knapper Mehrheit in zwei Abstimmungen. Die Umweltschutzorganisationen begrüßten den erreichten Kompromiß als großen Fortschritt Durch eine Verordnung, die das Weiße Haus 1992 entgegen den Einwänden der Umweltschutzabteilung (Environmental Protection Agency) der Exekutive erließ, sollte der Industrie nun doch -in offenem Widerspruch zu dem erklärten Willen des Gesetzgebers -die Möglichkeit gegeben werden, ihre Überschreitungen der gesetzten Normen vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Dies war offensichtlich das Resultat einer längeren Auseinandersetzung innerhalb der Exekutive, in der -so die Mutmaßung -Vizepräsident Quayles der Industrie gewogenes „Council on Competitiveness“ die Oberhand behielt Die Reaktionen der Demokratischen Fraktion im Kongreß waren erwartungsgemäß scharf, doch blieb unklar, mit welchen Mitteln sie imstande sein würde, die Exekutive zur Einhaltung der vom Kongreß gesetzlich festgelegten Vorschriften zu zwingen.

8. Sozialpolitik

Das Haushaltsdefizit und die Bestimmungen des Budgetgesetzes von 1990, verstärkt durch Präsident Bushs Widerstand gegen Finanzierung zusätzlicher sozialpolitischer Programme aus der „Friedensdividende“, verhinderten signifikante Innovationen auf diesem politischen Sektor und machten selbst die Expansion bestehender Programme äußerst schwierig.

Die einsetzende Rezession und die steigende Arbeitslosigkeit brachten Versuche mit sich, die Vergabe von Arbeitslosenunterstützung zu verbessern und die Berechtigungszeiten zu verlängern. Zweimal blockierte der Präsident durch sein Veto Gesetzesvorlagen, die die Demokratische Mehrheit mit der Unterstützung von Republikanischen Abgeordneten aus betroffenen Industriegebieten verabschiedet hatten und die die Berechtigungsperiode um 20 Monate verlängert hätten. Der Präsident war nicht bereit, die „Notstands“ -Regel anzuwenden, die erlaubt hätte, die zusätzlich nötigen Finanzmittel ohne kompensatorische Einsparungen in anderen Sozialprogrammen aufzubringen. Unter dem Druck von Abgeordneten aus seiner eigenen Partei arbeitete der Präsident schließlich einen Kompromißvorschlag aus, den er bereit war zu akzeptieren. Dieser erschien zumindest zwei Senatoren -einem Republikaner und einem Demokraten -zu engherzig. Durch die Drohung, mit Hilfe eines „Filibusters“ die Verabschiedung der Gesetzesvorlagen zu verhindern, erzwangen sie eine weitere Verbesserung der Bedingungen. Präsident Bush war sich wohl der politischen Kosten einer abermaligen Verweigerung bewußt, die verhindert hätte, daß Zahlungen an Arbeitslose noch zu den Feiertagen am Ende des Jahres (Thanksgiving und Weihnachten) gemacht hätten werden können.

Die Reform des amerikanischen Gesundheitswesens, dessen Kosten, trotz seiner Unzulänglichkeiten, außerordentlich hoch und rapide steigend sind (13 Prozent des Bruttosozialprodukts), ist in den letzten Jahren zu einem heißen politischen „issue“ geworden. Im Kongreß wurden 1990/91 mehr als drei Dutzend Gesetzesentwürfe eingebracht, die für die dreißig Millionen Amerikaner, die derzeit ohne Versicherungsschutz leben, die Kosten von Krankheit decken und gleichzeitig die Kostenspirale dämpfen sollten. Doch erwarteten beide Häuser des Kongresses eine Initiative des Präsidenten, um die Richtung, in der eine Übereinstimmung gefunden werden könnte, zu erkennen. Anfang des Wahljahres 1992 enthüllte Bush seinen Plan, der jedoch auf heftigen Widerstand auch aus den Rei­ hen seiner eigenen Partei stieß. Dieser sah vor, daß Personen mit niedrigem Einkommen durch ein System von „Gutscheinen“ (vouchers) in die Lage versetzt werden sollten, sich privat gegen Krankheit zu versichern. Verdiener der Mittelschichten sollten durch Steuerermäßigungen für ihre Zahlungen von Versicherungsprämien kompensiert werden. Im Plan des Präsidenten war die Absicht zu erkennen, die gegenwärtige Struktur des Gesundheitssystems -vor allem die Basis der Privatversicherung -so wenig wie möglich zu verändern

Auch die Demokraten im Kongreß befürworten aus Furcht vor dem massiven Widerstand der Versicherungsgesellschaften eine Politik, die Arbeitgeber verpflichten würde, entweder für ihre Belegschaft eine Versicherung abzuschließen oder eine Steuer zu entrichten, die ein staatliches Zusatzprogramm finanzieren würde („play or pay“). Dieser Plan erscheint der „Gesundheitsindustrie“ und der Ärzteschaft einigermaßen akzeptabel, obwohl die Präferenz der Mehrheit der Demokraten -wie üblich ist die Fraktion sich in dieser Frage nicht einig -eigentlich einem einheitlichen staatlichen System gilt Doch ist eine solch radikale Lösung kaum realistisch -zumindest in diesem Jahr nicht, denn Präsident Bush hat bereits signalisiert, daß er ein solches Gesetz nie unterschreiben würde. Aber auch gegen den „play or pay“ -Plan erheben sich starke Widerstände, vor allem wegen der zusätzlichen Belastung, die er für kleinere oder mittlere Firmen (die im Kongreß über eine starke Vertretung verfügen) mit sich bringen würde. Die Reform des amerikanischen Gesundheitswesens muß zumindest bis zur Wahl eines neuen Präsidenten warten. Auch für ihn dürfte es jedoch eines langen Prozesses des „bargaining“ bedürfen, bevor er einen im Kongreß mehrheitsfähigen Kompromiß in dieser komplexen Frage herzustellen imstande wäre.

IV. Zusammenfassung

Die hier angebotene Analyse mag ein etwas einseitiges Bild der Innenpolitik der USA in den letzten Jahre gegeben haben. Sie hat sich weitgehend auf die „großen“, d. h. schwierig zu lösenden Fragen amerikanischer Politik konzentriert und die vielen kleinen Gesetzgebungsakte, die den Kongreß passierten und vom Präsidenten unterzeichnet wurden, vernachlässigt. Doch stellten diese Aktionen, in den Worten des Congressional Almanac, meist bloße Versuche der Schadensbegrenzung für vergangene Fehler oder Exzesse dar. Eine innovative Linie amerikanischer Innenpolitik war nicht zu erkennen. Und dies war auch kaum zu erwarten von einem konservativen Präsidenten, der wenig Neigung hatte, die großen anstehenden Probleme mit gouvemementalen Mitteln anzugehen -konfrontiert mit einer gereizten gegnerischen Kongreßmehrheit, gefesselt durch ein riesiges Haushaltsdefizit und sein eigenes voreiliges (aber politisch verständliches und wirksames) Versprechen, Steuererhöhungen nicht zuzulassen.

Eine Ablösung Bushs durch den Demokraten Clinton würde, so ist zu erwarten, die derzeit bestehenden Blockierungen zumindest teilweise überwinden. Vorausgesetzt, die Demokratische Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses bliebe erhalten, könnte ein Demokratischer Präsident zumindest in der Anfangsphase seiner Amtszeit mit einem Loyalitätsbonus seiner Partei rechnen. Auch entspricht das unter Clintons Kontrolle verabschiedete neo-liberale Programm den politischen Vorstellungen eines breiten Spektrums der Demokraten. Unter diesen Bedingungen würde das Hemmsystem der Gewaltenteilung einiges von seiner paralysierenden Kraft verlieren.

Es wäre jedoch unrealistisch anzunehmen, daß bei komplexen Problemen die Interessengegensätze nicht aufbrechen und die Mitglieder des Kongresses -was immer der Präsident und die Parteiführung von ihnen wünschten -nicht ihre eigenen Wiederwahlchancen im Auge behalten würden. Die Fragmentierung des amerikanischen Entscheidungsprozesses würde für eine kürzere oder längere Zeit gemildert, beendet kann sie nicht werden. Doch ist das ein Schicksal, das sie in geringerem oder größerem Maße mit allen anderen liberal-demokratischen Systemen teilt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Alexander Hamilton/John Jay/James Madison, Der Föderalist, hrsg. von F. Ermacora, Wien 1958.

  2. Vgl. Richard Hofstadter, The Idea of a Party System, Berkeley 1970.

  3. Vgl. Kurt L. Shell u. a., Konservative Ideologie und politische Praxis. Koalitionsbildungen im amerikanischen Kongreß 1972-1984, Frankfurt 1988.

  4. Vgl. Emma Rothschild, The Reagan Economic Legacy, in: The New York Review of Books vom 21. 7. 1988, S. 33-41.

  5. Vgl. Congressional Quarterly Almanac (CQA) 1990, Washington, D. C. 1991, S. 40-48; Congressional Quarterly Weekly Report (CQWR), 49 (1991) 52, S. 3579f.

  6. Vgl. K. L. Shell u. a. (Anm. 3), S. 275ff.

  7. Vgl. CQA 1990 (Anm. 5), S. 16

  8. Vgl. ebd. 1989, S. 296-307. Vgl. Ronald Dworkin, The Center Holds, in: The New York Review of Books vom 13. 8. 1992, S. 29-33.

  9. Vgl. CQWR, 49 (1991) 50, S. 3640.

  10. Vgl. ebd., (1992) 9, S. 467-470; ebd., 50 (1992) 27,S. 1950.

  11. Vgl. CQA 1989, S. 20-C.

  12. Vgl. CQWR, 50 (1992) 8, S. 410; ebd., 50 (1992) 13,

  13. Vgl. CQA 1989, S. 254ff.

  14. Vgl. ebd. 1990, S. 502-506.

  15. Vgl. ebd. 1990, S. 18f.

  16. Vgl. CQWR, 50 (1992) 3, S. 117.

  17. Eine Zusammenfassung der Supreme Court Entscheidungen findet sich in Congressional Quarterly Almanac 1990, S. 462.

  18. Vgl. ebd., S. 464.

  19. Vgl. CQWR, 49 (1991) 6, S. 366-373; ebd., 49 (1991)

  20. S. 1286f.; ebd., 49 (1991) 21, S. 1378-1380. 20 Ebd., 49 (1991) 31, S. 2170.

  21. Vgl. CQWR, 50 (1992) 7, S. 347.

  22. Vgl. CQA 1989, 8. 11-C.

  23. Vgl. ebd., 1990, S. 279-281.

  24. Vgl. ebd. 1990, S. 230-236.

  25. Vgl. CQWR, 50 (1992) 21, S. 1440; ebd., 50 (1992) 26, S. 1875.

  26. Vgl. ebd., 50 (1992) 6, S. 305-309.

  27. Vgl. ebd., 50 (1992) 4, S. 172-174; ebd., 50 (1992) 75,

Weitere Inhalte

Kurt L. Shell, Dr. phil.; Professor em. für politische Bildung und politische Wissenschaft an der Universität Frankfurt am Main. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der US-amerikanischen Politik.