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Kein Volksentscheid im Kalten Krieg! Zum Konzept einer plebiszitären Quarantäne für die junge Bundesrepublik 1948/1949 | APuZ 45/1992 | bpb.de

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APuZ 45/1992 Der Parlamentarische Rat und die plebiszitären Elemente Kein Volksentscheid im Kalten Krieg! Zum Konzept einer plebiszitären Quarantäne für die junge Bundesrepublik 1948/1949 Hierarchie oder Anarchie? Der Streit um die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren Hierarchie oder Anarchie? Der Streit um die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren Einheitsgewerkschaft und Sozialkatholizismus. Zur Enttraditionalisierung der politischen Kultur in den fünfziger Jahren

Kein Volksentscheid im Kalten Krieg! Zum Konzept einer plebiszitären Quarantäne für die junge Bundesrepublik 1948/1949

Otmar Jung

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Den Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg kann man -was die Ergänzung des repräsentativen Systems durch Elemente direkter Demokratie angeht -als ein steckengebliebenes Projekt kennzeichnen. Die Verfassungsgebung und -politik der Jahre 1946/47 auf Landesebene und die politische Programmatik von den Verfassungsplänen des Exils bzw.des Widerstands bis hin zu den Entwürfen einer gesamtdeutschen Verfassung im Westen gingen mit dem überkommenen Formenmaterial direkter Demokratie noch relativ unbefangen um. Darauf folgte jedoch in einer zweiten Phase das rigide repräsentativ angelegte Grundgesetz. Die Ursache für diesen verfassungspolitischen Schwenk ist nicht in den vielzitierten „Weimarer Erfahrungen“ zu sehen; der Griff des Parlamentarischen Rates 20 Jahre zurück galt vielmehr nur einem „staatspolitischen“ Mantel, der den handfesten Ängsten der Politiker hier und heute übergeworfen werden sollte: Seit 1946 hatte die SED auf die plebiszitäre Karte gesetzt und immer sensiblere Bereiche auf diese Weise zu beeinflussen versucht -die Wirtschaftsordnung, die Verfassungsgebung und die nationale Frage. Nun herrschte Kalter Krieg, und die SED hatte soeben mit der Volkskongreßbewegung und dem Volksbegehren „für die Einheit Deutschlands“ -im Hintergrund stand hier das Verlangen der Sowjetunion nach gesamtdeutschen Reparationsleistungen -ein außerparlamentarisches Feuerwerk veranstaltet. Die nichtkommunistischen Parteien im Westen reagierten darauf mit strikter Abschottung. Insbesondere das von den Alliierten ursprünglich vorgesehene Referendum über die Weststaatsverfassung fiel dem Spaltungsprozeß Deutschlands zum Opfer, wie er 1948/49 in Berlin und Bonn voranschritt. Ferner wurde in Herrenchiemsee die Volksgesetzgebung gestrichen, um den neuzugründenden Teilstaat in der Übergangszeit vor Anfechtungen zu schützen. Dieses politische Quarantänekonzept in seinen beiden Hauptsträngen -kein Gründungsplebiszit über den Weststaat und keine Volksgesetzgebung im Kalten Krieg -wurde vom Parlamentarischen Rat übernommen. Keiner der Gründer der Bundesrepublik nahm jedoch für diese Restriktionen das Prädikat grundlegender verfassungspolitischer Weisheit in Anspruch. Die „Vision“ der Gründer der Bundesrepublik für später war eindeutig: Wenn die Kommunisten domestiziert wären und die Teilung überwunden sei, sollte auf dem überlieferten Wege einer Nationalversammlung und/oder einer Volksabstimmung eine deutsche Verfassung gegeben werden, die dann selbstverständlich auch Elemente direkter Demokratie enthalten würde.

Mit der Formel Theodor Heuss’ -des seinerzeitigen Führers der Liberalen und nachmaligen ersten Bundespräsidenten der Parlamentarische Rat habe wegen der negativen „Weimarer Erfahrungen“ von der Aufnahme plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz abgesehen galt die Verabschiedung der direkten Demokratie in Westdeutschland 1949 lange Zeit als authentisch wie autoritativ erklärt. Frommes Studie über die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur schien dazu den nicht weiter problematisierbaren wissenschaftlichen Grund zu legen. Alsbald bildete sich eine herrschende Meinung, die im „Bekenntnis des Grundgesetzes zum repräsentativen Prinzip“ eine fundamentale verfassungspolitische Neuorientierung erblickte, die es gegen alle als Rückfälle beargwöhnten Anfechtungen zu verteidigen gälte.

Heute, in einer Zeit der Verfassungsreform in Bund und Ländern und der Verfassungsgebung in den fünf neuen Bundesländern, besteht hinreichend Anlaß, jene bislang herrschende Meinung vor allem in zeitgeschichtlicher Perspektive einer Überprüfung zu unterziehen (L). Aus der Sicht des gleichen Faches soll dann eine andere Erklärung jener Entscheidungen des Jahres 1948/49 gegeben werden (II.), aus der dann freilich auch andere verfassungspolitische Konsequenzen zu ziehen sind (III.).

I. Kritik der Weimar-Ableitung

1. Ist der Hinweis auf die „Weimarer Erfahrungen“ stichhaltig?

Nach den gängigen Vorstellungen besagen die „Weimarer Erfahrungen“ vor allem, daß Volksbegehren und Volksentscheid ohne praktischen Erfolg geblieben seien; statt dessen hätten sie den extremen politischen Gruppen genutzt und geradezu als eine Prämie für Demagogen gewirkt. Die zeitgeschichtliche Forschung zur Praxis der direkten Demokratie in der Weimarer Republik -insbesondere die nähere Untersuchung der Fälle, in denen auf Reichsebene das Verfahren der Volksgesetzgebung durchgeführt (Stichworte: „Fürstenenteignung“ 1926, „Youngplan“ 1929), betrieben („Panzerkreuzerverbot“ 1928) oder doch massiv versucht wurde („Aufwertung“ 1926, 1927) -hat ein anderes Bild ergeben Die Bilanz der direktdemokratischen Anläufe ist danach jedenfalls nicht negativer als die der parlamentarischen Versuche, die jeweiligen Probleme unter den schwierigen Umständen der Zeit zu lösen.

Ferner ist eine technische „Fehlgestalt“ des Volksentscheids offenkundig, die durch eine falsche Handhabung noch verschlimmert wurde. Dazu nur eine Illustration: Im Fall „Fürstenenteignung“ soll-ten die Versuche einer schiedlichen Vermögensauseinandersetzung zwischen den neuen Freistaaten und den ehemaligen Landesherren, die sich seit der Novemberrevolution über sieben Jahre hingeschleppt hatten, abgebrochen und der Skandal, daß die Republik mit den gestürzten Fürsten über „Abfindungen“ verhandelte, durch eine Enteignung der entsprechenden Vermögen beendet werden. SPD, KPD und Teile des liberalen Bürgertums sahen das als vollauf legitim an. Bei diesem ersten deutschen Volksentscheid stimmten 14, 5 Millionen -die Hälfte der Weimarer Aktivbürgerschaft -mit „Ja“. Nach parlamentarischen Regeln hätte ein solches Ergebnis die absolute Mehrheit der Mandate verschafft, nach den plebiszitären Bestimmungen dagegen galt der Volksentscheid als „mangels Beteiligung“ gescheitert. Gleichwohl hatte diese Abstimmung eine wichtige politische Nebenwirkung: Sie brachte den „Tod des monarchischen Gedankens“ in Deutschland.

Außer Betracht bleiben bei dieser Bilanz personalplebiszitäre Elemente des Weimarer Regierungssystems, also z. B. die Direktwahl des Reichspräsidenten und die auf Landesebene mögliche plebiszitäre Parlamentsauflösung. Was jedenfalls die unmittelbaren Sachentscheidungen des Volkes angeht, wird man die Verwerfung der direkten Demokratie aufgrund der „Weimarer Erfahrungen“ wissenschaftlich nicht mehr als haltbar ansehen können. Eine Ableitung aus den Erfahrungen mit den „Volksabstimmungen“ in der NS-Zeit ist grundsätzlich abzulehnen. Daß ein diktatorisches Regime akklamatorische Plebiszite über bereits vollzogene Maßnahmen inszenierte (Stichworte: Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund 1933, Ernennung Hitlers zum Staatsoberhaupt 1934 und Anschluß Österreichs 1938), hat keine Aussagekraft für den Wert von Volksabstimmungen in rechtsstaatlichen Demokratien.

2. Waren die „Weimarer Erfahrungen“ kausal?

a) Erstes Gegenindiz: die Landesverfassungen 1946/47

Ist schon der Hinweis auf die „Weimarer Erfahrungen“ zeitgeschichtlich nicht stichhaltig, so kommt der Zweifel hinzu, ob jene wie auch immer gefaßten „Erfahrungen“ für die Entschließungen des Parlamentarischen Rats überhaupt kausal waren, ob nicht vielmehr den Rat (noch) ganz andere Motive leiteten als (nur) das proklamierte Bestre-ben, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Wie war es denn mit den vorgeblichen „Weimarer Erfahrungen“ vereinbar, daß sämtliche 13 Landesverfassungen, die 1946/47 in Kraft traten -nämlich in Württemberg-Baden, Bayern, Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollem, Baden, Bremen und dem Saarland -, die Möglichkeit von Volksentscheiden enthielten und fast alle Verfassungen Systeme der Volksgesetzgebung einrichteten? Was bereits der Blick auf die Verfassungstexte als Widerspruch zeigt, ließ sich durch die verfassungsgeschichtliche Forschung noch erheblich zuspitzen: -Differenziert man zwischen den Ansichten der Parteien zu den einzelnen Sachfragen und den oft taktischen Positionen, die sie vor allem bei den Schlußabstimmungen einnahmen, so zeigt sich, daß fast durchweg grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den Unionsparteien und der Sozialdemokratie darüber bestand, das repräsentative System durch Elemente direkter Demokratie zu ergänzen; lediglich die Liberalen profilierten sich einige Male als grundsätzliche Gegner einer plebiszitären Demokratisierung. -Die „Ausnahmen“ müssen gewichtet werden. In Württemberg-Baden setzte die SPD so ängstlich wie patemalistisch eine Beschränkung der direkten Demokratie auf Referendumsformen durch. Sie fürchtete -wie die DVP -vor allem, daß sich die ins Land geströmten Flüchtlinge des Hebels der Volksgesetzgebung zur Verfolgung ihrer Interessen bedienen könnten. In Württemberg-Hohenzollern war die dominierende CDU ebenso wie die anderen Parteien für die Volksgesetzgebung und das fakultative Gesetzesreferendum. Man verzichtete aber auf die entsprechenden Verfassungsartikel, denn nach einem Zusammenstoß mit der Militärregierung, die einen ersten Entwurf in toto abgelehnt hatte, sollte alles unterbleiben, was -wirklich oder vermeintlich -„den Widerwillen der Franzosen erregen“ könnte -In den Ländern der Amerikanischen und der Französischen Besatzungszone schloß sich gleich ein Stück Praxis an. Dabei mag man den Verfassungsreferenden, welche die jeweiligen Militärregierungen angeordnet hatten, weniger Aussagekraft beimessen, desgleichen der Sonderabstimmung über den Sozialisierungsartikel 41 der Hessischen Verfassung, auf der die Amerikaner bestanden hatten. Aber in Rheinland-Pfalz war es die CDU, die eine besondere Abstimmung über die Schulbestimmungen der neuen Verfassung durchsetzte, und in Bremen bot die SPD bei ihrer Kompromißsuche mit Erfolg u. a. eine gesonderte Abstimmung über den umstrittenen (Mitbestimmungs-) Artikel 47 an. Beide Parteien waren mit diesem Konfliktlösungsweg jeweils zufrieden. -Die Länder der Britischen Besatzungszone bilden keineswegs die vielberufene Ausnahme. Stellt man methodisch korrekt nicht auf die nach Erlaß des Grundgesetzes verabschiedeten Landesverfassungen ab, sondern auf den verfassungspolitischen Diskussionsstand der Jahre vorher, verschwindet die angebliche Ausnahme. Ob Hamburg, Niedersachsen Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen -1946 bzw. 1947 wurden Entwürfe vorgelegt, die ganz selbstverständlich plebiszitäre Elemente aufnahmen. Nicht anders als in den vier Besatzungszonen verlief die verfassungspolitische Diskussion in Berlin Die Aufgeschlossenheit für die direkte Demokratie war gemeindeutscher Stand der Verfassungsgebung in der ersten Nachkriegszeit. -Dies ist keine Bilanz lediglich für die Landesebene. Angesichts des niedergebrochenen Reiches fungierten die neuen Landesverfassungen nämlich zugleich als Ordnungsmodelle des künftigen Gesamtstaates, und gerade die „alten“ Länder knüpften bei dem Problem der plebiszitären Elemente nicht nur an ihre eigene landesverfassungsrechtliche Tradition an und verarbeiteten weniger die Erfahrungen ihrer spezifischen Landesgeschichte, sondern versuchten aufgrund der Reichserfahrungen, wie diese sich ihnen darstellten, gewissermaßen eine verbesserte Weimarer Verfassung en miniature zu schaffen.

All dies heißt natürlich nicht, daß die Landesverfassungsgebung der Jahre 1946 bis 1948 von direktdemokratischer Euphorie erfüllt gewesen sei. Die Verdoppelung des klassischen Quorums beim Volksbegehren auf prohibitive 20 Prozent in Hessen, Rheinland-Pfalz und Bremen sowie der Ausschluß der Verfassungsänderung von der Volksgesetzgebung bzw.dem Volksentscheid in Baden und im Saarland sprechen eine deutliche Sprache. Ferner wäre zu klären, worauf nun genau Sozialdemokraten und Liberale, Katholiken und Kommunisten in dieser Hinsicht Wert legten: ob basisorientiert oder staatsfixiert gedacht wurde, ob man die permanente Partizipation oder eher eine gelegentliche Akklamation im Auge hatte -all dies faßt das Konstrukt „plebiszitäre Elemente“ nicht immer überzeugend zusammen. Eines jedenfalls findet man in dieser Zeit fast nirgendwo, nämlich die Vorstellung, daß sämtliche Formen direkter Demokratie mit Blick auf Weimar zu verwerfen seien. Es war die Zeit, in der auch der Abgeordnete Heuss (DVP) in Württemberg-Baden noch verkündete -gezielt auf das fakultative Gesetzesreferendum -, bei grundsätzlicher Betonung des organschaftlichen politischen Handelns solle doch die Möglichkeit „nicht ausgeschlossen sein, daß in bestimmten Situationen das Volk unmittelbar sich äußern (könne)“ b) Zweites Gegenindiz: die politische ‘ Programmatik Die Verfassungspläne des Exils bzw.des Widerstandes -Hoegners Gedanken zu einer neuen deutschen Verfassung, die Ziel-Denkschrift des Kreisauer Kreises, Koch-Wesers Verfassungsentwurf, die Richtlinien deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien oder Eschenburgs Verfassungsdenkschrift, um nur die wichtigsten zu nennen -stimmen bei allen Unterschieden insoweit überein: Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand das Wahlrecht, vor allem das Verhältniswahlsystem und das direkte Wahlrecht auf gesamtstaatlicher Ebene, dessen zeitweise oder endgültige Abschaffung erwogen wurde Direkte Demokratie wurde zum Teil mitkritisiert, zum Teil jedoch positiver eingeschätzt. Die seit 1949 hierzulande herrschende Konfiguration jedenfalls, daß das direkte und Verhältniswahlrecht Urständ feierte bei der Abschaffung aller plebiszitären Elemente, findet im Material aus dem Exil, dem Widerstand und dem ersten Nachkriegsjahr keine Stütze.

Dem entspricht das Bild bei den Entwürfen einer gesamtdeutschen Verfassung im Westen. Die von der SPD 1947 beschlossenen „Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik“ schnitten die reichen direktdemokratischen Möglichkeiten der Weimarer Verfassungslage zwar zurück, hielten aber daran fest, daß „für bestimmte in der Verfassung festzulegende Fälle unter Wahrung bestimmter Verfahrensvorschriften“ ein Volksentscheid möglich sein solle Auch auf Unionsseite enthielten die Beschlüsse des Verfassungsausschusses in Heppenheim und die Entwürfe des Ellwanger Freundeskreises bis Ende 1947 selbstverständlich plebiszitäre Elemente: Annahme der künftigen gesamtdeutschen Verfassung durch Volksentscheid und eine entsprechende Auflage für die Landes-verfassungen durch eine Homogenitätsklausel, ferner die plebiszitäre Parlamentsauflösung.

Betrachtet man die wenigen Jahre, die zwischen der Programmarbeit im Exil bzw. im Widerstand, der Landesverfassungsgebung und der Gründung der Bundesrepublik lagen, und führt man sich die dadurch bedingte weitgehende Personalkontinuität vor Augen, wirkt die traditionelle Argumentation mit den Lehren aus der Vergangenheit irritierend anachronistisch. Wieso galt 1948 nicht mehr, was die Politiker noch in den Vorjahren gefordert hatten? Warum warnte man in Bonn vor Gefahren, von denen in Stuttgart, München oder Wiesbaden keine Rede gewesen war? Sollte Heuss zwischen 1946 und 1948 wirklich so viel mehr an Erkenntnis erlangt haben, was die „Weimarer Erfahrungen“ anbelangte? Oder gab es da eben doch ganz andere Zusammenhänge?

II. Im Kalten Krieg

1. Die Vorstöße der SED: Volksentscheid und Propaganda a) Das sächsische Enteignungsplebiszit 1946

Am 30. Juni 1946 nahmen die Bürger des Landes Sachsen den Allparteienentwurf eines Gesetzes „über die Übergabe von Betrieben von Kriegs-und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“ in einem Volksentscheid an. Der Sachvorgang, das Verfahren und die nicht unbedingt lauteren Absichten der als Haupttriebkraft tätigen SED wekken Unbehagen. Gleichwohl ist einzuräumen, daß die verhängten Maßnahmen damals grundsätzlich akzeptiert wurden, daß die mehrheitliche politische Unterstützung in Sachsen für die Enteignung der Betroffenen nicht ernstlich bezweifelt werden kann und daß das Vorgehen mitnichten nur Unschuldige traf. Doch wichtiger als solche sachliche Abwägung im Rückblick ist die Tatsache, daß die SED diesem Volksentscheid in Sachsen Signalwirkung für die politische Auseinandersetzung um die Wirtschaftsverfassung im Nachkriegs-Deutschland beimaß. Während sie in den anderen Ländern der Sowjetischen Besatzungszone alsbald entsprechende Regelungen auf dem Verordnungswege traf, begannen die KPD-Fraktionen in den westdeutschen Landesparlamenten mit einer Antrags-offensive, die eine Bodenreform bzw. die Enteignung der Kohlewirtschaft oder der Schlüsselindustrien plebiszitär durchsetzen sollte.

Die Hintergründe, weshalb die SED im sächsischen Fall die plebiszitäre Variante spielte, sind noch nicht aufgearbeitet; dagegen erklärt sich das nachfolgende taktische Vorgehen leicht aus den Machtverhältnissen. War zur Zeit des sächsischen Volksentscheids das zukünftige politische Kräfte-verhältnis in Deutschland noch relativ ungewiß, so hatten die landesweiten Wahlen der folgenden anderthalb Jahre vorerst für Klarheit gesorgt, und diese war für die Kommunisten niederschmetternd: Zwar verfügte die SED in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg über die absolute Mehrheit in den Parlamenten und lag in den anderen Ländern der Sowjetischen Besatzungszone nur knapp darunter, aber in den westlichen Besatzungszonen hatte die KPD -auf sich allein gestellt -1946 durchschnittlich nur 9, 3 Prozent und 1947 8, 1 Prozent der Stimmen erzielt Wenn die Einigung von Kommunisten und Sozialdemokraten in West-und Süddeutschland doch noch gelänge, wenn man dann die getrennt erreichten Wahlergebnisse der beiden Parteien addierte und einen politischen Auftrieb, wie eben in der Sowjetischen Besatzungszone erlebt, annähme, würde die neue SED -träumte sie noch am 1. März 1947 -„zur stärksten der Parteien in ganz Deutschland werden“

Aber in Wirklichkeit wehrte sich die West-SPD unter Schumacher derart furios gegen die SED, daß eine Wiederholung des Coups, der 1946 im sowjetischen Besatzungsbereich gelungen war, realistischerweise ausgeschlossen werden mußte. Die plebiszitäre Strategie bedeutete unter diesen Umständen auch die Jagd nach einer Chance, bei attraktiven Themen punktuelle Zustimmungsmehrheiten an der Basis zu erreichen und damit den sich zunehmend verfestigenden Status quo in den Westzonen zu erschüttern. Volksbegehren und Volksentscheid figurierten so, noch ehe dort auch nur die Landesverfassungen verabschiedet waren, bereits als bevorzugte Hebel der Kommunisten zur Sozialrevolutionären Umgestaltung der Gesellschaft und riefen damit, auch wenn die SPD -vor allem in Nordrhein-Westfalen -anfangs verbal mitzuhalten versuchte, zunehmend die Abwehrinstinkte der anderen Parteien wach. b) Die Verfassungskonzeption Bereits am 14. November 1946 stellte die SED ihren „Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik“ vor -die erste ausgearbeitete Verfassungskonzeption für Gesamtdeutschland -, womit sie die anderen Parteien nicht nur unter erheblichen Konkurrenzdruck setzte, sondern auch heftige negative Resonanz im Westen hervorrief: Letztere war zwar den Reizthemen zu „verdanken“, wie der von der SED vertretenen Ablehnung der Gewaltenteilung, aber die auf westlicher Seite bald übliche Rundweg-Ablehnung erfaßte auch andere, weniger kontroverse Partien des Entwurfs, darunter die in ihm entwikkelten Formen direkter Demokratie. Aufschlußreich ist hier die Betrachtung der Landesverfassungsgebung in der Sowjetischen Besatzungszone, wo sich die bürgerlichen Parteien auf die Verfassungskonzeption der SED natürlich einlassen mußten, aber von ihren Mehrheiten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt durchaus Gebrauch machten. Die Auseinandersetzungen, die ungeachtet der Einheitsfront-und Blockgängelei in den Kernpunkten mit allem Emst geführt wurden zeigen, daß das direktdemokratische Konzept des Repu­ blikentwurfs der SED bei der Landesverfassungsgebung in der Sowjetischen Besatzungszone mittelbar im wesentlichen bestätigt wurde. Jedenfalls der Weimarer Fundus an direkter Demokratie war unbestritten, und vieles strebte auf eine Verbesserung des damaligen Regelwerkes hin. c) Ein Volksentscheid über die zukünftige Gestaltung Deutschlands?

Mitte 1946 begann die SED noch einen dritten Strang plebiszitärer Politik zu legen, als ihr Parteivorstand zur Pariser Außenministerkonferenz Stellung nahm und dabei den Vorschlag des sowjetischen Außenministers Molotow begrüßte, daß über seine zukünftige staatsrechtliche Gestaltung „das deutsche Volk selbst entscheiden“ solle In diesem Sinne kämpfte die SED gegen eine Verkleinerung Deutschlands durch separatistische Abspaltungen, gegen einen als partikularistisch wahrgenommenen Typ von Föderalismus, wie sie ihn sich vor allem in der Amerikanischen Besatzungszone entwickeln sah, endlich gegen die Teilung Deutschlands, wie sie mit der Sperrung der Demarkationslinie und den Plänen zur Bildung der Bizone immer deutlicher voranschritt. Für die Methode der Abwehr hatte Molotow das Stichwort eines „Volksentscheids in ganz Deutschland“ gegeben. In einem Aufruf zu den Landtagswahlen vom 7. Oktober 1946 griff die SED dieses ausdrücklich auf und forderte einen „gesamtdeutschen Volksentscheid über die zukünftige staatsrechtliche Gestaltung Deutschlands“.

Die bald vielfach propagierten einschlägigen Forderungen der SED waren auf den Rhythmus der Konferenzen der vier Außenminister abgestimmt. Zugrunde lag das Interesse der Sowjetunion an der deutschen Wirtschaftseinheit, um mittelbar das gesamte besiegte Land als Reparationsgebiet zur Verfügung zu haben. Zu diesem Zweck hatte sie sich die SED dienstbar gemacht; daß gerade die abhängigste Partei der Nachkriegszeit sich schier „deutsch-national“ gebärdete, ist daher durchaus funktional zu erklären. ’

Der Hilfsdienst, den sich die Sowjetunion von diesem deutschen Verbündeten bzw.dem vorgeschlagenen Verfahren versprach, bestand darin, daß sich der ökonomisch und politisch begründete Widerstand der westlichen Alliierten auf diese Weise überspielen lassen könnte. Bis zur Moskauer Außenministerkonferenz hatte die Sowjetunion ihre Position dahingehend verfeinert, daß sie die Weimarer Reichsverfassung gewissermaßen zur Richtmarke erklärte; eine Volksabstimmung möge entscheiden, ob das künftige deutsche Regierungssystem zentralistisch oder föderalistisch sein solle. Richtig angelegt, müßte ein solcher Volksentscheid 30 von 50 Millionen Stimmen „für die Einheit Deutschlands“ erbringen -nach Stalins Hoffnung sogar eine noch größere Mehrheit -, und Amerikaner, Briten und Franzosen würden sich einem solchen Votum kaum entziehen können. Ein demokratisches Grundprinzip würde somit erfolgreich gegen die westlichen Demokratien gekehrt, diese also mit ihren eigenen Waffen geschlagen.

Die SED selbst versprach sich, wenn sie auf die „nationale Karte“ setzte, daß sie aus der politischen Isolierung herauskäme, in die sie in den Westzonen geraten war. Wie sie schon die Sozialrevolutionäre Umgestaltung als attraktives Thema eingeschätzt hatte, so versprach sie sich nun von dem „todsicheren“ Thema der deutschen Einheit politischen Aufschwung. d) Das Volksbegehren „für die Einheit Deutschlands “ 1948

Eine neue Qualität erreichte diese plebiszitäre Strategie, als die SED -statt weiterhin darauf zu warten, daß die Sieger den Deutschen gewissermaßen von sich aus einen Volksentscheid gewährten -sich entschloß, diesen mit dem klassischen Mittel eines Volksbegehrens selbst herbeizuführen. Akt der „nationalen Selbsthilfe“ hieß das Zauberwort, das man dafür prägte Als Rechtsgrundlage wurde sowohl auf die Weimarer Reichsverfassung als auch auf die neuen Landesverfassungen verwiesen. Von der eigenen Besatzungsmacht war in diesem Zusammenhang keine Rede und brauchte es auch nicht zu sein, da die SED hier einvernehmlich handelte. Um so großspuriger gab man vor, die Rechte der drei anderen, westlichen Siegermächte beiseite schieben zu können

Seit Anfang Februar wurde der Plan verfolgt am 18. März 1948 dann beschloß der -zu drei Vierteln aus der Sowjetischen Besatzungszone und aus Berlin beschickte -„Deutsche Volkskongreß“ die Durchführung eines Volksbegehrens für einen „Volksentscheid über die Einheit Deutschlands“. Die Unterschriften für das Volksbegehren sollten in den drei Wochen vom 23. Mai bis zum 13. Juni 1948 insbesondere in den Wohnungen und Betrieben gesammelt werden. Das vorgeschlagene „Gesetz über die Einheit Deutschlands“ hatte folgenden Wortlaut: „§ 1. Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik, in der den Ländern ähnliche Rechte zustehen, wie sie die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 enthielt. § 2. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.“

Während das Unternehmen in den Westzonen und den Westsektoren Berlins von den Besatzungsmächten alsbald als unerwünscht bezeichnet und verboten wurde -trotzige Dennoch-Aktionen der KPD wurden unnachsichtig verfolgt baute man im sowjetischen Besatzungsbereich eine eigene parataktische Struktur von Orts-, Kreis-und Landesausschüssen als „Trägern der nationalen Selbsthilfe“ auf, in denen die drei lizensierten Parteien -SED, CDU und LDP -sowie die sechs „demokratischen Massenorganisationen“ -FDGB, DFD, FDJ, WN, VdgB und Kulturbund -zusammenwirkten. Zur Vorbereitung des Volksbegehrens trieb dieses Politikkartell einen enormen Aufwand. Während der Eintragungsfrist wurde entsprechend ein riesiger „Rummel“ veranstaltet mit beispielsweise 9258 Versammlungen allein in Sachsen, wobei ca. 900000 Menschen „erfaßt“ wurden. Natürlich blieben auch Pressionen, Nötigungen und unlautere Beeinflussungen nicht aus.

Im Ergebnis sollten sich nahezu 15 Millionen wahlberechtigte deutsche Staatsbürger, nicht eingerechnet zwei Millionen Jugendliche, für das Volksbegehren eintragen Zwischen 95, 5 Prozent (Berlin) und 97, 4 Prozent (Mecklenburg) hatten sich in den Ländern der Sowjetischen Besatzungszone bzw. im Sowjetischen Sektor Berlins dazu bewegen lassen. Mit dieser Zahl, die sie noch biedermännisch notariell beglaubigen ließen, hatten die Initiatoren -wie sie argumentierten -das 10-Pro-zent-Quorum der Weimarer Reichsverfassung, bezogen auf Gesamtdeutschland, weit überschritten, und dementsprechend wandte sich der Deutsche Volksrat am 7. Juli 1948 an den (seit 15 Wochen lahmgelegten) Alliierten Kontrollrat mit dem Ansuchen, entweder das begehrte Gesetz zu erlassen oder einen Volksentscheid darüber, möglichst im September 1948, durchzuführen.

Was schon bei dem sächsischen Enteignungsplebiszit vor zwei Jahren Unbehagen geweckt hatte, galt nun in verstärktem Maße. Erstens: der Sachvorgang. Auch wenn man den vorgelegten Text wohlwollend als Grundsatz-Verfassungsgebung interpretieren kann, wirkte angesichts der hochkomplizierten Lage, wie sie in Deutschland schon durch die alliierten Kriegs-und Nachkriegsabmachungen entstanden war und sich mit zunehmender Ost-West-Rivalität und dem Ausbruch des Kalten Krieges entwickelte, jener eine Satz doch allzu simpel. Zweitens: das Verfahren. Dabei galt das Unbehagen nicht nur der rechtlichen Seite, daß man sich auf die alte Reichsverfassung bzw. die neuen Landesverfassungen berufen wollte und das überlagernde Besatzungsrecht ignorieren zu können glaubte, sondern vor allem der politischen Dimension, wo -knapp gesagt -der Rahmen der Volksgesetzgebung gesprengt wurde: -Diese stand nach dem Weimarer Modell in einem innerstaatlichen Spannungsverhältnis zu Parlament und Regierung als den Faktoren der ordentlichen Gesetzgebung. Ein Volksbegehren brachte in diesem Zusammenhang ein punktuelles „Aufbegehren“ des Volkes gegen seine Vertretung zum Ausdruck. Hier dagegen bestanden Spannungen zwischen deutschen Politikern und Besatzungsmächten; daß jene gegen deren Entscheidungen protestierten, warf eine völkerrechtliche Problematik auf. -Bei der klassischen Volksgesetzgebung war der Bürger eingespannt in die Auseinandersetzung zwischen der (außerparlamentarischen) Opposition, die ihn für das Volksbegehren mobilisieren wollte, und der Parlamentsmehrheit bzw.der von ihr getragenen Regierung, die typischerweise Abwehrstrategien entwickelten. Sich einzutragen erforderte Zivilcourage und zog den einzelnen mitten in die Kontroverse hinein. Bei diesem „Volksbegehren“ dagegen war der Gegner gewissermaßen extemalisiert; unmittelbar trat dem Bürger ein „gleichgeschalteter“ politisch-obrigkeitlicher Komplex von Parteien, gesellschaftlichen Organisationen und deutscher Verwaltung entgegen, der mit allen Beeinflussungsmitteln eine Unterschrift unter sein politisches Projekt forderte. Wer hier sich einzeichnete, schwamm im Strom, es „kostete“ nichts -und bedeutete letztlich auch nichts, weswegen nicht von ungefähr praktisch alle dieser Beeinflussung Ausgesetzten „mitmachten“. -Ziel des Volksbegehrens im klassischen Modell war die legislatorische Korrektur des Parlaments. Das Volksbegehren „für die Einheit Deutschlands“ dagegen lief im Kern auf eine Erhebung gegen Siegermächte hinaus -ein Versuch natürlich nur, und obendrein symbolisch, da das Unterfangen ja überhaupt nur möglich war in einer spezifischen Verzerrung. Während die Politiker im sowjetischen Besatzungsbereich mit offensichtlicher Zustimmung ihrer Besatzungsmacht agierten, lehnten in den anderen Besatzungsgebieten alle Parteien mit Ausnahme der KPD das Unternehmen politisch ab, ohne daß es erst des Verbots durch die eigenen Besatzungsmächte bedurfte. So erwies sich das „Volksbegehren“ letztendlich -in Verlängerung des Zwists der Sieger -als eine Propagandaaktion des einen Teils Deutschlands gegen den anderen; die Sowjetunion ließ „ihre“ Deutschen gleichsam politischen Aufstand gegen die Westmächte spielen, und was daran real die deutsche Einheit befördern sollte, blieb unerfindlich.

Schließlich wären die nicht unbedingt lauteren Absichten der SED zu nennen. Schon 1947 war offenkundig, daß bei einer Vereinigung in Freiheit diese Partei politisch nur verlieren konnte; genauer gesagt, daß sie ihre im sowjetischen Besatzungsbereich eingenommene Machtposition nur halten konnte, wenn dieser eine relativ unabhängige Entwicklung nähme. Nahe liegt also, daß das Engagement der SED für die deutsche Einheit mehr im Gehorsam gegenüber den Reparations-bzw. Propagandainteressen ihrer sowjetischen Protektoren begründet war als in dem Verlangen, auf dem Altar des Vaterlandes machtpolitischen Selbstmord zu begehen.

2. Die Abwehr des Westens: plebiszitäre Quarantäne

a) Die Abschottung beginnt Je mehr die SED auf die plebiszitäre Karte setzte und je sensiblere Bereiche sie damit beeinflussen wollte -die Wirtschaftsordnung, die Verfassungsgebung, die nationale Frage -, um so mehr tendierten die nichtkommunistischen Parteien im Westen zu Rückzug und Abschottung. Die Devise lautete offenbar, den Kommunisten ihr bevorzugtes Werkzeug aus der Hand zu nehmen. Die ersten Anzeichen lassen sich früh beobachten. -Schon am 13. April 1947 schlug Hermann L. Brill, Chef der hessischen Staatskanzlei und engagierter sozialdemokratischer Verfassungspolitiker, im Rahmen des Deutschen Büros für Friedensfragen als „Grundlage der künftigen deutschen Verfassung“ im legislatorischen Bereich vor: „Die Institution des Volksbegehrens und Volksentscheides kommt in Wegfall.“ Brill war von Sorge erfüllt wegen der Versuche der SED, ein einheitliches Deutschland lediglich als Instrument der Reparationspolitik der Sowjetunion zu erreichen; dabei verberge sie ihre Absichten hinter nationalistischen Parolen, „auf die das deutsche Volk nur zu leicht geneigt sei hereinzufallen. Die von der SED geforderte Volksabstimmung (sc. für die Einheit Deutschlands) könnte im Hinblick auf diese Neigung gefährlich werden.“ -In den Ländern der Britischen Besatzungszone, wo sich die Verfassungsreferenten bei ihren Burgsteinfurter Tagungen um eine möglichst einheitliche Verfassungsgestaltung bemühten, war man sich noch im Januar 1947 einig gewesen, daß auch Volksbegehren und Volksentscheid in den Landesverfassungen geregelt werden sollten. Vier Monate später hatten die Referenten ihre Haltung geändert. Nun gingen sie davon aus, daß für „besondere Einrichtungen der plebiszitären Demokratie neben denen der repräsentativen Demokratie auf der Länderebene kaum ein Bedürfnis“ vorhanden sei; ebensowenig erachteten sie es für nötig, die Verfassungen durch Volksabstimmung annehmen zu lassen -Bei den Treffen des Ellwanger Kreises der Unionsparteien wurde im Frühjahr 1948 das Referendum als Legitimitätsanforderung an eine gesamtdeutsche Verfassung wie an die Landes-verfassungen gestrichen. Die schließlich am 13. April 1948 in Bad Brückenau angenommenen „Grundsätze“ sahen keine plebiszitären Elemente mehr vor. b) Kein Gründungsplebiszit über den Weststaat Nach den Empfehlungen der Londoner Sechs-mächte-Konferenz sollte die Verfassung des zu gründenden Weststaates der „Bevölkerung in den betreffenden Staaten zur Ratifizierung“ vorgelegt werden in jedem künftigen Bundesland mußte also ein Referendum stattfinden, wie das Frankfurter Dokument Nr. 1 klarstellte. Die Gründer der Bundesrepublik Deutschland -Ministerpräsidenten und Parlamentarischer Rat -waren sonst bereit, von den Alliierten Aufträge, Weisungen und Verbote hinzunehmen. Aber das Grundgesetz dem Volk länderweise zur Ratifizierung vorzulegen, was ein Plebiszit über die Weststaatsgründung überhaupt einschloß -dagegen sträubten sie sich bis in die allerletzten Tage hinein mit unvergleichlicher Hartnäckigkeit und hatten damit bekanntlich sogar Erfolg.

Was die Ministerpräsidenten bei ihrer ersten Konferenz in Koblenz (8. -10. Juli 1948) dazu trieb, jener demokratischen Feuerprobe auszuweichen, verrät ein Erklärungsentwurf: „Für ihren Vorschlag, von einem Volksentscheid Abstand zu nehmen, war maßgebend die Erkenntnis, daß heute weite Teile des deutschen Volkes ihre Stimme nicht aus sachlichen Gründen abgeben würden, sondern um ihrem Bedürfnis nach einem sichtbaren Protest gegen die Zeitverhältnisse und die von ihnen dafür verantwortlich gemachten Militärregierungen (sc. Ausdruck) zu verleihen, schlechthin gegen die von den verantwortlichen politischen Parteien vorgeschlagenen Lösungen stimmen könnten.“ Doch so viel Offenheit erschien inopportun, man strich diese Passage und ersetzte die Angst vor einer Protestabstimmung durch die These vom Provisorium (Verfassung eines Teil-staates für eine Übergangszeit) und die Sorge vor einer Überlegitimation: „Ein Volksentscheid würde dem Grundgesetz ein Gewicht verleihen, das nur einer endgültigen Verfassung zukommen sollte.“

Als die Alliierten auf ihrem Drehbuch für die Weststaatsgründung beharrten, gaben die Ministerpräsidenten bei ihrer Niederwälder Konferenz am 21. /22. Juli 1948 alsbald nach; fast die gesamte Mühe der zweitägigen Konferenz und die Erfindungskraft ihrer Teilnehmer galten dem Problem, wie man jetzt formell einlenken -um den Beginn der Verfassungsarbeiten nicht zu verzögern -und gleichwohl den mißliebigen Volksentscheid letztendlich „umgehen“ (Reuter) könnte. Dabei gilt es, die Regie hinter den Kulissen und die beiden Bühnen zu unterscheiden, auf denen für die Öffentlich-keit und vor allem für die Militärgouverneure sorgsam arrangierte Stücke gespielt wurden. --Intern erschien den Ministerpräsidenten die alliierte Referendumsidee geradezu verblendet, weil sie den Kommunisten eine ideale Propagandagelegenheit böte Die Chance ihres so mühsam zunichte gemachten Volksbegehrens „für die Einheit Deutschlands“ würde der SED nun gewissermaßen spiegelverkehrt offeriert Wenn sich diese „linke“ Opposition gar noch mit der Obstruktion ehemaliger Nationalsozialisten vereine, sei der Ausgang offen bzw. es müsse mit einer Ablehnung der Weststaatsverfassung samt allen politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen gerechnet werden Bei einer Ratifizierung durch die Landtage dagegen -so der Gegenvorschlag der Ministerpräsidenten -habe man die Ablehnungspropaganda der kleinen KPD-Fraktionen im Griff und könne fest mit der Annahme rechnen.

Gegenüber der Öffentlichkeit sollte von alledem nichts verlauten, weil es dann hieße: „Die Ministerpräsidenten haben Angst.“ „Wir sollten aber auf keinen Fall in der Öffentlichkeit bekannt werden lassen, daß wir in bezug auf die Entscheidung durch das Volk irgendwelche Be­ -sorgnisse hegen. Das dürfen wir auf keinen Fall preisgeben.“ Ebensowenig dürfe man den Eindruck erwecken, „daß eine tiefe Kluft zwischen dem Volke und dem Landtage besteht“ Zu diesem Zweck sorgten die Teilnehmer zunächst für strikte Abschirmung ihrer Beratungen. Keine schriftliche Erklärung sollte ihre wahren Motive festhalten. Sogar gegenüber dem Apparat der Militärregierungen und den Militärgouvemeuren selbst wurde aus Furcht vor Indiskretionen so verfahren, daß die abgesprochenen Begründungen nur verlesen, aber nicht aus der Hand gegeben wurden. Um die Geheimhaltung perfekt zu machen, formulierte man zwei Vorwände: den angeblich drohenden Zeitverlust durch eine Volksabstimmung -nach den Erfahrungen mit sieben Landesverfassungsreferenden ein offensichtlich an den Haaren herbeigezogenes Argument -und die schon bekannte These von der Überlegitimation: „Eine Begründung für die Öffentlichkeit kann nur so lauten, daß man sagt: ein Referendum ist eine Sache, die nach außen hin etwas Endgültiges dokumentiert.“

Der schwierigste Part wurde auf jener Bühne gespielt, der die Militärgouvemeure zusahen, weil hier mehrere Anforderungen zu erfüllen waren. Einerseits weihte man die Alliierten durchaus in die eigenen Befürchtungen ein, daß sich also „alle oppositionellen und destruktiven Elemente trotz der Verschiedenheit ihrer Motive in einem negativen Votum zusammenfinden“ könnten. Zudem versuchten die Ministerpräsidenten, Betroffenheit zu erzeugen (die „entfachte Agitation würde sich naturgemäß auch gegen die Besatzungsmächte wenden“), bzw. sie setzten auf die Interessenparallelität, daß die Alliierten ebenfalls den Kommunisten keine Chance geben und die Weststaatsgründung gelingen sehen wollten. Andererseits waren sich die Konferenzteilnehmer aber auch bewußt, daß sie nicht zu schwarz malen durften, wie Ministerpräsident Stock einfühlsam skizzierte: „Von den Generälen wird aber gesagt werden: Wenn Sie der Auffassung sind, daß ein großer Prozentsatz des Volkes dagegen ist, dann hat die ganze Geschichte keinen Sinn... Wenn wir Grund zu der Annahme geben, wir seien deswegen gegen ein Referendum, weil wir die Volksmeinung nicht haben wollen, dann kommen wir überhaupt nicht durch. Wenn Sie das Referendum herausgelassen haben wollen, dann müssen Sie den ablehnenden Standpunkt anders begründen, nämlich mit der Kürze der Zeit und mit der Wichtigkeit usw.“

Endlich galt es, den Militärgouvemeuren die mittelbare Legitimation positiv darzustellen. Im Unterschied zu einer Volksabstimmung, an der sich womöglich nur wenige Bürger beteiligen würden, sei bei den Landtagen die Ratifizierung „mit überwältigender Mehrheit“ -nur gegen die kommunistischen Stimmen -sicher. Daß diese Landtage, die unter ganz anderen Prämissen gewählt worden waren, dabei ihre Kompetenz überschritten kümmerte nicht. Vielmehr insistierte die deutsche Seite auf der demokratischen Legitimation dieser Parlamente und versuchte, durch die Freiheit der Wahl die Begrenztheit des Mandats zu überspielen.

Die Ministerpräsidenten vertrauten sich also mit ihren Ängsten den Alliierten nicht einfach an; auch diesen gegenüber wurde Theater gespielt mit einer kunstvollen Mischung aus Dichtung und Wahrheit. Der Unterschied zwischen „Koblenz“ und „Niederwald“ bestand taktisch darin, daß man dort noch mit einer Schutzbehauptung operierte, während man sich jetzt zu einem Teilgeständnis genötigt sah. Ziel blieb weiterhin, was Ministerpräsident Ehard unverblümt aussprach: den Ministerpräsidenten „ein politisches Alibi (zu) verschaffen“

Diese Vorgänge lassen sich teilweise mit der exzeptionellen Situation des Juli 1948 entschuldigen: Die Währungsreform vom 20. Juni hatte zunächst wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten gebracht, die Arbeitslosigkeit stieg an, und der Erfolg des Marshall-Planes war noch ungewiß. Aber auch nach über neun Monaten hatte sich die Problemsicht nicht grundlegend geändert. Weiterhin wurde die vereinte Propaganda von Kommunisten und ehemaligen Nationalsozialisten gefürchtet; bei den interfraktionellen Besprechungen Anfang Mai 1949 brachte Süsterhenn das Kalkül auf den Punkt: „Eine Volksabstimmung wäre in der Lage, das Werk selbst ernsthaft zu gefährden. Wir seien zwar in der Lage, in den Landtagen Verständnis für den erzielten Kompromiß zu wecken, aber ob das dem Volk gegenüber möglich sei?“ Nach außen wurde also wieder das Argument der Verzögerung vorgeschützt -ziemlich unglaubhaft nach dem Dreivierteljahr, das sich die Verfassungsväter und -mütter inzwischen Zeit gelassen hatten. Der Belang des Verzögerungs-bzw. Beschleunigungsarguments lag denn auch allein in seiner Funktion, die Löwenthal (SPD) in einer Fachausschußsitzung freimütig aussprach: „Damit kann man es (sc. die Ratifikation durch die Landtage) der Öffentlichkeit gegenüber am besten rechtfertigen.“

Zum Provisoriums-Topos malte Carlo Schmid (SPD) das oft zitierte Bild: „Wir haben hier doch nur einen Schuppen, einen Notbau, und einem Notbau gibt man nicht die Weihe, die dem festen Haus gebührt. Fälschen wir nicht den Charakter dieses Werkes, indem wir es zur Volksabstimmung stellen, bringen wir, indem wir ihm eine Sanktionierung minderen Gewichtes geben, zum Ausdruck, daß es keine Verfassung ist!“ Schmids Argumentation klingt freilich gerade da hohl, wo er sie besonders legitimieren wollte: beim Versuch, eine Tradition herzustellen zur Position der Ministerpräsidenten im Sommer 1948 -hätten diese doch erklärt, daß sie gegen eine Ratifizierung durch das Volk seien, „weil diesem Grundgesetz dadurch ein Pathos gegeben würde, das ihm nicht gebühre“ Wenn jener Pfeiler aber, was Schmid so gut wie wohl die meisten Anwesenden wußte, nur als Vorwand fungierte, der ganz andere Motive verbergen sollte, bricht auch die erwünschte Traditionsbrücke ein.

So zeigt sich als Kern des Sträubens gegen ein Referendum über das Grundgesetz: Die direktdemokratische Feuerprobe wurde im Gegensatz zum parlamentarischen Sanktionsverfahren als „unberechenbar“ gefürchtet. Da man nicht sicher war, daß man den Weststaat mit dem Volk aufbauen könnte, wählte man die „Lösung“, es ohne das Volk zu versuchen. c) Die Volksgesetzgebung wird gestrichen Die Volksgesetzgebung wurde während des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee in einer bemerkenswerten Szene gestrichen: Als der Unterausschuß III, zuständig für Organisationsfragen, in seiner 1. Sitzung am 13. August 1948 beim Thema „Konstituierung der Organe“ sich dem Bundestag zuwandte, meldete sich sogleich der hessische De-legierte Staatssekretär Brill und kam -wie das Protokoll zusammenfaßte -„dabei auf einige mit dem Begriff des Staatsvolks zusammenhängende Fragen zu sprechen. Mit seinem Vorschlag, die Zulässigkeit des Volksbegehrens und Volksentscheids für die Einzelstaaten und die Kommunalverwaltungen anzuerkennen, von der Anwendung dieser Institute im Rahmen des Gesamtstaats aber in jeder Beziehung abzusehen, findet sich der Ausschuß im wesentlichen einig; nur bei Verfassungsänderungen soll entsprechend den alliierten Dokumenten ein Volksentscheid möglich sein.“ Allerdings scheint dieser Konsens nur für die Volksgesetzgebung im strikten Sinne -die Gesetzesinitiative „von unten“ -gegolten zu haben, denn Brill selbst erwog anderntags die Möglichkeit, daß die Länderkammer eine Volksabstimmung initiieren, also „von oben“ ein Referendum veranstalten könnte Bei dieser bemerkenswert schnellen Festlegung des Unterausschusses verblieb es. Eine zweite Lesung, da bloß für Zweifelsfragen vorgesehen, erübrigte sich.

Erstaunlich ist nun, daß die Sachverständigen im folgenden genau da „paßten“, wo sie ihre Autorität hätten ausweisen müssen: beim Argument. Ja, man ersparte sich nicht nur die Ausarbeitung einer Begründung, sondern sah sogar von der Formulierung der eingenommenen Position überhaupt ab. Der rund 100 Seiten umfassende Bericht des Unterausschusses, dessen „Gründlichkeit“ stolz betont wurde, überging das Thema ebenso, wie die Berichterstatter im Plenum kein Wort dazu verlauten ließen: ein schallendes Schweigen zu einer Kernfrage der demokratischen Grundlagen des künftigen Staates.

Es bedurfte der Unbefangenheit des Hamburger Delegierten Drexelius -kein Mitglied dieses Unterausschusses -, um bei der Plenardebatte das Bild der Quasi-Selbstverständlichkeit mit der lakonischen Feststellung zu zerstören, ihm scheine „eine Erörterung des Problems zu fehlen, ob die Gesetzesinitiative durch Volksbegehren und der Gesetzeserlaß durch Volksentscheid erfolgen“ könne. Beeindruckend auch sein Appell zu argumentativer Offenheit: Er persönlich sei gegen die Volksgesetzgebung, „aber mir scheint, daß in der Begründung etwas mehr“ -das war kollegiale Courtoisie statt des realistischen: überhaupt etwas — „hierüber gesagt werden müßte“

Die angesprochenen Berichterstatter und sonstigen Mitglieder des Unterausschusses III blieben eine Antwort schuldig. Erst als anderntags in der letzten Plenarsitzung des Konvents der ebenfalls „außenstehende“ Mitarbeiter für Nordrhein-West; falen, Berger, beim Thema Verfassungsänderungen nachhakte und vorschlug, statt des bloßen Mitspracherechts im Verfassungsreferendum dem Volk die Möglichkeit der selbständigen „Verfassungsänderung auch durch Volksentscheid“ -sachlich also die verfassungsändernde Volksgesetzgebung -einzuräumen, brach ein Beteiligter das Schweigen. Der bayerische Delegierte Leusser führte „zwei Gesichtspunkte“ ins Feld. Erstens: „Wir haben grundsätzlich die Volksgesetzgebung abgelehnt.“ Dann könne sie nicht in diesem Einzelfall doch eingeführt werden. Zweitens: Man sei durch Dokument Nr. 1 gebunden, wonach jede Änderung der Verfassung „in der gleichen Weise“ wie ihre Annahme erfolgen müsse. Als Begründung taugten beide nicht -ersterer Gesichtspunkt schon formell nicht, weil die Räson der grundsätzlichen Ablehnung nicht erläutert und nur eine immanente Folgerichtigkeit gefordert wurde; letzterer wäre nur stichhaltig gewesen, wenn das alliierte Gebot des obligatorischen Verfassungsreferendums zugleich ein Verbot verfassungsändemder Volksgesetzgebung impliziert hätte, wogegen jedenfalls die amerikanische Verfassungstradition, die bisherige Verfassungspolitik in der Amerikanischen und der Französischen Besatzungszone sowie das Interesse der Besatzungsmächte an der gerade auch direktdemokratischen Akzeptanz der zu schaffenden neuen westdeutschen Verfassung sprachen.

Diesen eigenartig formalen bzw. rabulistischen Hinweis eines Insiders ergänzte der rheinland-pfälzische Delegierte Süsterhenn -weder Mitglied des Unterausschusses noch sonst als Teilnehmer der „entscheidenden Sitzung“ ersichtlich -durch Illustrationen: „Neu aufkommende politische Bewegungen oder Strömungen (sc. sollten) sich zuerst in den normalen legislativen Organen Spielraum verschaffen. Solche Bewegungen können mitunter sehr unerwünscht sein. Ich erinnere an die Gefahr des wiedererwachenden Nationalismus dank der ungeschickten, undemokratischen Politik der Alliierten. Geben wir nun die Möglichkeit, diese Bewegungen durch eine Volksabstimmung direkt ins Leben zu rufen, so setzen wir uns der Gefahr unabsehbarer Erschütterungen aus. Ein agitatorisch geschickt ausgenützter Volksentscheid, daß das ver-fassungsmäßig gesicherte Berufsbeamtentum abgeschafft werden soll, hätte bei der weit verbreiteten Wut gegen die Bürokratie und das Beamtentum im jetzigen Zeitpunkt durchaus die Chance durchzukommen.“ Daß Süsterhenn gerade dieses Beispiel wählte, erscheint alles andere als zufällig. Die strukturell vorhandene Abneigung der hier versammelten Ministerialbürokratie gegen basisdemokratische Bestrebungen ließ sich durch ein solches Horrorszenario -zu 100 Prozent Betroffene! -gewissermaßen existentiell verfestigen. Es zeigt freilich auch, daß sich gegen die Volksgesetzgebung eine heterogene Koalition gefunden hatte, war doch just der Antragsteller Brill seit seiner Forderung im „Buchenwälder Manifest“, das „privilegierte Berufsbeamtentum“ abzuschaffen, einer der Wortführer in der entsprechenden Reformdiskussion.

Diese Auslassungen sind der ganze einschlägige Ertrag des Konvents der Sachverständigen zu diesem Thema. Für den Abschlußbericht raffte man sich immerhin dazu auf, das, was bislang in den Materialien als stillschweigende Selbstverständlichkeit behandelt wurde, expressis verbis zu formulieren. Als vorletzter von zehn unbestrittenen „Hauptgedanken“, die dem Arbeitsergebnis zugrundelägen, figurierten nun zwei lapidare Sätze: „Es gibt kein Volksbegehren. Einen Volksentscheid gibt es nur bei Änderungen des Grundgesetzes.“ Und wiederum ersparte man sich jede Ausführung oder Begründung. Im Rahmen des ohnehin stiefmütterlich behandelten Themas „direkte Demokratie“ wurde die Problematik der Volksgesetzgebung nur sehr knapp abgefertigt. Äußerst dürftig wird man also die Sachbehandlung durch die Verfassungsexperten nennen müssen. Insbesondere ist der Befund festzuhalten, daß sich für eine Ableitung dieser antiplebiszitären Entscheidung aus den später oft strapazierten „Weimarer Erfahrungen“ in Herrenchiemsee nicht einmal Spurenelemente finden, was um so mehr auffällt, als der Verfassungskonvent bei anderen Problemen in der Tat oft und gern auf die erste deutsche Republik hinwies und Lehren aus damaligen Mißständen zu ziehen sich bemühte.

Was war aber nun der positive Grund für jene Entscheidung? Ausweislich seiner publizistischen Arbeiten war Brill, der hier die entscheidende Weiche stellte, kein grundsätzlicher Gegner direkter Demokratie. Beispielsweise hatte er noch Ende Juni 1948 in einem Aufsatz drei Grundforderungen aufgestellt, um „im heutigen Deutschland“ das Problem der politischen Führung zu bewältigen: „eine durch Gesetz bestimmte Stellung der politischen Parteien im Staate, eine offene politische Diskussion, ein lebendiges System von Wahlen und Volksabstimmungen“. Den zweiten Teil der letzten Forderung erläuterte Brill unmißverständlich: „Alle grundlegenden Staatsgesetze müssen durch Volksabstimmung angenommen werden.“

Als dieser Beitrag zwei Tage, nachdem Brill im Unterausschuß III des Verfassungskonvents jene folgenschwere Vor-Entscheidung herbeigeführt hatte, in der Zeitschrift „Das sozialistische Jahrhundert“ erschien, mochte sich mancher Beteiligte die Augen reiben. Wort und Tat passen hier nur zusammen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Brill -wie die gesamte sozialdemokratische Führung -strikt zwischen dem Reich, für das später die endgültige Verfassung der Deutschen Republik gelten würde, und den elf westdeutschen Ländern unterschied, auf deren Gebiet nun eine vorläufige staatliche Ordnung geschaffen werden sollte. Fügt man hinzu, daß Brill hoffte, dieser „Übergangs-“ oder „Zwischenstaat“ werde „nur zwei oder drei Jahre dauer(n)“ so läßt sich hypothetisch die Verschiedenheit der Zeitperspektiven als Erklärung annehmen: Demnach hätte Brill jene Grundsätze neuer, lebendiger und eben auch unmittelbarer Demokratie für das künftige Deutschland erstrebt, aber für eine kurze Übergangszeit eine Art plebiszitärer Quarantäne für erforderlich gehalten.

Zusätzliches Licht auf die Hintergründe mag aus den Beratungen des Unterausschusses I für Grundsatzfragen kommen, in denen der Berliner Bevollmächtigte Suhr sich in der 2. Sitzung mit dem Verfassungsentwurf des Deutschen Volksrates und dem darin verfochtenen Prinzip der Gewaltenkonzentration auseinandersetzte: „Hier sei der kritische Punkt der Verfassungsberatungen von Berlin gewesen. Die SED habe sich mit aller Entschiedenheit gegen die Teilung der Gewalten ausgesprochen und sei für die absolute Volkssouveränität, dargestellt in häufigster Anwendung des Volksentscheids und in der Stellung des Parlaments, eingetreten.“ Daß Suhr damit einen Popanz aufbaute, unterliegt keinem Zweifel. „Häufigste Anwendung des Volksentscheids“ verbot sich schon aus der immanenten Logik direkter Demokratie. Mochte die SED Probleme wie Abnutzung und Mobilisierungsschwierigkeiten im sowjetischen Besatzungsbereich mit einer Politik des Drucks überwinden, so dürfte sie als kleine Oppositionspartei in Gesamtdeutschland -wovon Suhr ja wohl ausging -bald an die Grenzen einer plebiszitären Dauerstrategie gestoßen sein. Immerhin wäre damit nicht ausgeschlossen, daß sie dergleichen versucht und jedenfalls den Effekt einer permanenten Aufregung des politischen Lebens erzielt hätte.

Schwierig nachzuweisen ist, daß Befürchtungen dieser Art auch hinter Brills erfolgreicher Intervention gegen die Volksgesetzgebung im Unterausschuß III steckten. Ein Beweis in Form von Zitaten und Belegen läßt sich nicht führen; insofern „hielt“ das Schweigen der Beteiligten. Aber wenn man die durchgängige Abwehr von „Osten“ und „Kommunismus“ in den Beratungen erwägt und insbesondere realisiert, wie geläufig es den Experten war, auch Parlamentsrechte unter dem Gesichtspunkt durchzuspielen, ob die SED davon profitieren bzw. ob man sie auf dem Wege irgendwelcher Klauseln „unschädlich“ machen könnte, dann muß die Ableitung aus dem Geist des Kalten Krieges doch als sehr wahrscheinlich gelten. Brills plebiszitäre Quarantäne hätte nach dieser Vermutung also gelten sollen, bis „das deutsche Volk seinen Befreiungskampf vom kommunistischen Terrorismus gewonnen haben wird“ d) Der Parlamentarische Rat ratifiziert das Quarantänekonzept Dieses politische Quarantänekonzept in seinen beiden Hauptsträngen: kein Gründungsplebiszit über den Weststaat und keine Volksgesetzgebung im Kalten Krieg, wurde vom Parlamentarischen Rat übernommen. Damit läßt sich einerseits der Tenor der vom Zentrum provozierten Debatte im Hauptausschuß Anfang Dezember 1948 erklären, deren kläglicher Zuschnitt und floskelhafte Art so auffallen und aus der gleichwohl unentwegt zitiert wird. Hier stand eben kein Problem mehr of-fen, um dessen Lösung noch gerungen würde, sondern der Fall war unter Union, Sozialdemokratie und Liberalen abgemacht, und daher durfte sogar der Chef der kleinen FDP-Fraktion die Begründungsstichworte („Prämie auf Demagogie“) liefern. Andererseits wird so auch Sibyllinisches verständlich wie jener Dialog im Grundsatzausschuß zwischen dem Vorsitzenden von Mangoldt (CDU) und Carlo Schmid (SPD) über Art. 20. Ausgangspunkt: Das Volk werde in den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung tätig; von Mangoldt: „Man darf aber nicht sagen, nur in diesen Organen; dann wäre die Volksabstimmung ausgeschlossen.“ Schmid: „Wir wollen kein Monopol für die repräsentative Demokratie.“

Nicht so sehr der unterschiedliche Grad der Konkretion, wie man gemeint hat liefert den Schlüssel zu diesen Äußerungen, sondern die Verschiedenheit der Zeitperspektiven. Die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk in „Wahlen und Abstimmungen“ ist eine schlechthin gültige Normierung im Grundgesetz; die zentrale Position der Vorschrift zu Beginn des Organisationsteils legte die Verwendung gleichsam „demokratischen Marmors“ nahe. Dagegen hatte nach dem Quarantäne-prinzip eine Konkretisierung etwa bei den Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren zu unterbleiben; hier zählte das kurzfristig-aktuelle Machtkalkül. Benutzt wurde nun (für die Übergangszeit!) sozusagen „Backstein“.

Weil das Quarantänekonzept Basisinitiativen abwehren sollte, welche die Kommunisten für ihre Zwecke starten oder benutzen könnten, wurden Referenden -außer natürlich dem Gründungsplebiszit über den Weststaat -von dieser Abwehrhaltung nicht erfaßt. Zu bestimmten Themen das Volk zu befragen, wenn Initiative, Formulierung und Zeitpunkt in der Hand der parlamentarischen Mehrheit verblieben, war relativ „berechenbar“ und erschien gelegentlich sogar attraktiv. So konnte nicht nur das im Frankfurter Dokument Nr. 1 vorgeschriebene obligatorische Verfassungsreferendum die Kritik der Sachverständigen passieren und sich noch relativ lange in der Bonner Diskussion halten, vielmehr tauchte immer wieder die Idee von Sonderabstimmungen auf. Einen Volksentscheid etwa über das Wahlrecht oder über die Flaggenfrage konnte sich z. B. Adenauer durchaus vorstellen. Vor allem wurde natürlich im Hinblick auf die Kontroversen um das sogenannte Elternrecht eine plebiszitäre Lösung überlegt, ehe man sich doch entschloß, davon abzusehen. Gerade die hierzu fast in letzter Stunde gestellten Zentrumsanträge haben freilich -vermittelt über die unglückliche Präsentation in der offiziösen „Entstehungsgeschichte“ des Grundgesetzes -die Interpretation allzu kurz greifen las-, sen. Aus diesen letzten Scharmützeln ist eben das nicht zu entnehmen, was die herrschende Meinung herauszulesen versucht Bei diesen Anträgen wurde nur formell über die Volksgesetzgebung abgestimmt; in der Sache lehnte der Parlamentarische Rat den Elternrechts-Rigorismus des Zentrums ab, der sich hier -wie natürlich allen Beteiligten bewußt war -nur ein plebiszitäres Kostüm übergestreift hatte. Das Zentrum scheiterte insbesondere daran, daß es -fixiert auf das Problem „Elternrecht“ -über das Volksgesetzgebungs-Modell die direktdemokratische Initiative aus der Hand der parlamentarischen Mehrheit zu geben bereit war, was gegen das von fast allen anderen Abgeordneten akzeptierte Quarantäneprinzip verstieß. Überreste dieser thematisch strikt limitierten Volksabstimmungen sind die Territorialplebiszite nach Art. 29 und 118 GG, die Referendumsformen mit Möglichkeiten des Volksbegehrens kombinieren. Daß hier das Grundgesetz sich sogar der Initiative von unten öffnete, hatte seine Ursache offenkundig darin, daß die ganze Problematik gewissermaßen im Windschatten des Kalten Krieges lag. Die Änderung der Landeszugehörigkeit von Gebietsteilen erschien denn doch als ein -in jeder Hinsicht -zu bodenständiges Thema, als daß der kommunistische Generalgegner -so kalkulierte man -daraus hätte großen Vorteil schlagen können.

III. Resümee

Den Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg kann man, was die Ergänzung des repräsentativen Systems durch Elemente direkter Demokratie angeht, als ein steckengebliebenes Projekt kennzeichnen. Einer ersten Phase, für welche vor allem die -vom Bund her gesehen -„vorkonstitutionellen“ Landesverfassungen stehen, die alle plebiszitäre Elemente enthielten, folgte das rigide repräsentativ angelegte Grundgesetz. Die Ursache für diesen verfassungspolitischen Schwenk ist nicht in den „Weimarer Erfahrungen“ zu sehen; der Griff des Parlamentarischen Rates 20 Jahre zurück galt nur einem „staatspolitischen“ Mantel, der den handfesten Ängsten der Politiker hier und heute übergeworfen werden sollte. Es herrschte Kalter Krieg. Die SED hatte eben mit der Volkskongreßbewegung und dem Volksbegehren „für die Einheit Deutschlands“ ein außerparlamentarisches Feuerwerk veranstaltet, auf das der Westen mit strikter Abschottung reagierte. Insbesondere das vorgesehene Referendum über die Weststaatsverfassung fiel mit innerer Logik dem Spaltungsprozeß Deutschlands zum Opfer, wie er 1948/49 in Berlin und Bonn yoranschritt.

Daß die Gründer der Bundesrepublik gleich auch noch die Volksgesetzgebung strichen, erscheint weniger zwingend. Immerhin könnte man argumentieren, daß die plebiszitäre Strategie der SED mit der Frage der Volksgesetzgebung eigentlich nichts zu tun hatte. Wurden in den beiden Fällen „Enteignung der Kriegsverbrecher“ in Sachsen 1946 und „Einheit Deutschlands“ im sowjetischen Besatzungsbereich 1948 denn nicht nur Hüllen benutzt und Formen mißbraucht, die weder den Buchstaben noch den Geist von Volksbegehren und Volksentscheid als sekundären, außerordentlichen, basisinitiierten Verfahren zur Parlaments-korrektur trafen? Hatte hier die politische Klasse in Westdeutschland eine notwendige Differenzierung unterlassen? Psychologisch war der Zusammenhang freilich nicht ohne Grund umgekehrt: Der Westen glaubte, er habe die SED zweimal beim „Falschspiel“ mit der plebiszitären Karte erlebt; nun den Spieltisch umzustürzen, empfand man als eine drastische, aber gerechtfertigte Reaktion. Eine plebiszitäre Quarantäne sollte den neuzugründenden Teilstaat in der Übergangszeit vor Anfechtungen schützen

Wie immer man diese Gedankengänge im nachhinein einschätzt -es waren sicher jeweils nur situative Erwägungen. Keiner der Gründer der Bundesrepublik nahm für diese Restriktionen das Prädikat grundlegender verfassungspolitischer Weisheit in Anspruch. Daß prinzipiell eine Verfassungsgebung an das Volk legitimatorisch zurückgebunden werden müsse -sei es durch unmittelbare Wahl einer Konstituante vorher oder durch ein Verfassungsreferendum hinterher stand für die Mini-sterpräsidenten außer Frage; diskutiert wurde der Verzicht auf beides immer in der Ausnahme-Perspektive einer Übergangszeit. Ebenso bezweifelte kaum jemand im Parlamentarischen Rat, daß un-ter normalen politischen Verhältnissen das Volk auch Sachprobleme durch Abstimmung entscheiden können sollte.

Die „Vision“ der Gründer der Bundesrepublik war eindeutig: Wenn die Kommunisten domestiziert wären und die Teilung überwunden sei, sollte auf dem überlieferten Wege einer Nationalversammlung und/oder einer Volksabstimmung eine deutsche Verfassung gegeben werden, die dann selbstverständlich auch Elemente direkter Demokratie enthalten würde. Es besteht kein Anlaß bei den derzeitigen Verfassungsberatungen, diese „Vision“ nur deshalb nicht zu erfüllen, weil ihre Voraussetzungen um ein Vielfaches länger als gedacht auf sich warten ließen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag ist das geraffte Ergebnis eines größeren Forschungsvorhabens mit dem Arbeitstitel „Die Entscheidung des Parlamentarischen Rates gegen Formen direkter Demokratie“, das der Verfasser unter Leitung von Professor Dr. Georg Kotowski und mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin durchgeführt hat. Abg. Heuss (FDP), Parlamentarischer Rat, Hauptausschuß, 8. 12. 1948, S. 264.

  2. Vgl. Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Tübingen 1960 (Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Nr. 12).

  3. Vgl. Otmar Jung, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Die Fälle „Aufwertung“, „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzerverbot“ und „Youngplan“, Frankfurt a. M. 1989, S. 15-47. Ferner die speziellen Untersuchungen: ders., Plebiszitärer Durchbruch 1929? Zur Bedeutung von Volksbegehren und Volksentscheid gegen den Youngplan für die NSDAP, in: Geschichte und Gesellschaft, 15 (1989), S. 489-510; ders., Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall dfcr Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, Hamburg 1990; ders., Rüstungsstopp durch Volksentscheid? Der Fall „Panzerkreuzerverbot“ 1928, in: Parlamentarische und öffentliche Kontrolle von Rüstung in Deutschland 1700-1970. Beiträge zur historischen Friedensforschung, hrsg. von Jost Dülffer, Düsseldorf 1992, S. 151-167. Dagegen ist nicht mit Fromme zu argumentieren, der es gar nicht als seine Aufgabe angesehen hatte, „die Diagnose der Weimarer Republik zu stellen“ (Anm. 2), S. 14.

  4. Auch hier bietet Fromme keinen Halt, wenn er sich darauf beschränkte, anhand der veröffentlichten Materialien „die Entwicklung so (zu zeigen), wie der Parlamentarische Rat sie sah“ (Anm. 2), S. 21.

  5. Im Protokoll hielt der Verfassungsausschuß fest, „daß die Ablehnung nicht erfolgt, weil man gegen diese Volksabstimmungen an sich ist, sondern um die Verhandlungen (sc. mit der Besatzungsmacht über die Genehmigung des neuen Entwurfs) nicht zu erschweren“ (Verfassungsausschuß 18. 4. 1947, Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 1/1, Bl. 154).

  6. Vgl. Otmar Jung, Unmittelbare Demokratie für Niedersachsen? Vor dem Ende eines Sonderweges, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 64 (1992), S. 421-443.

  7. Vgl. Art. 2II, 311, 391, 49 der Verfassung vom 1. 9. 1950 in der bis 1974 geltenden Fassung.

  8. Nicht dagegen, wie oft behauptet wird, in Hessen und Nordrhein-Westfalen, vgl. Otmar Jung, Volksbegehren auf Verfassungsänderung in Hessen und Nordrhein-Westfalen?, Typoskript.

  9. Vorläufige Volksvertretung, Verfassungsausschuß, 20. 5. 1946, Prot. S. 7 (Landtag von Baden-Württemberg, Parlamentsarchiv, Stuttgart).

  10. Vgl. Wolfgang Benz, Konzeptionen für die Nachkriegsdemokratie. Pläne und Überlegungen im Widerstand, im Exil und in der Besatzungszeit, in: Deutschland nach Hitler. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949, hrsg. v. Thomas Koebner/Gert Sautermeister/Sigrid Schneider, Opladen 1987, S. 201-213 (203).

  11. Vgl. Michael G. M. Antoni, Sozialdemokratie und Grundgesetz, Bd. 1: Verfassungspolitische Vorstellungen der SPD von den Anfängen bis zur Konstituierung des Parlamentarischen Rates 1948, Berlin 1991 (Politologische Studien, Bd. 34), S. 163; zu optimistisch Karl A. Otto, Sozialdemokratie und plebiszitäre Demokratisierung, in: Geschichte in Wissenschaft Und Unterricht, 42 (1991), S. 369-389 (377-380).

  12. Errechnet aus den acht Landesversammlungs-und Landtags-bzw. Bürgerschaftswahlen 1946 und den acht Landtags-bzw. Bürgerschaftswahlen 1947. Daten nach Heinrich Potthoff/Rüdiger Wenzel, Handbuch politischer Institutionen und Organisationen 1945-1949, Düsseldorf 1983 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 1), S. 334-341.

  13. Volksentscheid für die Einheit Deutschlands. Erklärung des Parteivorstands vom 1. 3. 1947, in: Dokumente der SED. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralsekretariats und des Parteivorstandes, Bd. I, Berlin 19512, S. 162-167 (166).

  14. Vgl. Gerhard Braas, Die Entstehung der Länderverfassungen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1946/47, Köln 1987 (Mannheimer Untersuchungen zu Politik und Geschichte der DDR, Bd. 4).

  15. Um Deutschlands Einheit und Lebensfähigkeit. Beschluß des Parteivorstands vom 17. 7. 1946, in: Dokumente der SED, Bd. I (Anm. 13), S. 78f.

  16. Vgl. Rolf Badstübner, „Beratungen“ bei J. W. Stalin. Neue Dokumente, in: Utopie kreativ, 1 (1990/91) 7, S. 99-116 (107) (31. 1. 1947).

  17. Vgl. Entschließung, in: Protokoll des 2. Deutschen Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden am 17. und 18. März 1948 in der Deutschen Staatsoper Berlin, Berlin 1948 (Schriftenreihe für Einheit und gerechten Frieden), S. 86.

  18. Vgl. Otto Grotewohl (SED), Deutscher Volksrat, 2. Sitzung vom 18. 5. 1948: „Pfeifen die Alliierten schon auf ihre eigenen Prinzipien, die sie ihrer eigenen Besatzung Deutschlands zugrunde gelegt haben -und sie tun es mit Ausnahme Rußlands -, dann mögen sie sich nicht wundern, wenn das deutsche Volk anfängt, auf diese Art einer Okkupation auch zu pfeifen.“ Bundesarchiv Potsdam, A-l/3304, Bl. 109.

  19. Vgl. Beschluß des Sekretariats des Ständigen Ausschusses des Deutschen Volkskongresses für Einheit und gerechten Frieden vom 4. 2. 1948 (Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung Berlin, IV 2/13/240).

  20. Genau 14775945 Unterschriften, davon 2173321 aus den Westzonen, die anderen aus der Sowjetischen Besatzungszone und aus Berlin, Bundesarchiv Potsdam, A-l/3352, Bl. 210-221, 339.

  21. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, hrsg. vom Bundesarchiv und vom Institut für Zeitgeschichte, Bd. 2: Januar -Juni 1947, bearb. von Wolfram Werner, München 1979, S. 280, 298ff.

  22. Vgl. Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 601, Nr. 215, Bl. 690.

  23. Vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv, Bd. 1: Vorgeschichte, bearb. von Johannes Volker Wagner, Boppard a. Rh. 1975, S. 12.

  24. „Entwurf 1“ vom 9. 7. 1948, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Nachlaß Pfeiffer/34.

  25. „Entwurf 2“ vom 9. 7. 1948, vgl. Anm. 23, S. 144.

  26. Vgl. Stadtrat Reuter (Berlin, SPD): „Ein Referendum ist eine Möglichkeit für kommunistische Agitation, die wir nicht wünschen und die wir meiner Meinung nach unterbinden müssen.“ (Anm. 23), S. 193; Ministerpräsident Arnold (NRW, CDU): „Wenn wir die Bevölkerung zu einem solchen Referendum aufrufen, dann geben wir nach meinem Gefühl den Kommunisten die seltene Chance, über uns herzufallen und uns als die Westpolitiker zu bezeichnen und zu sagen: diese Westpolitiker sind jetzt dabei, Deutschland endgültig in Ostdeutschland und Westdeutschland zu zerreißen.“ (Ebd., S. 195 -Hervorhebung im Original).

  27. Vgl. Ministerpräsident Lüdemann (Schleswig-Holstein, SPD): „Es ist doch so, daß, wenn wir uns einem Volksentscheid unterwerfen, die Kommunisten dann sagen: Wenn wir zu Gunsten der deutschen Einheit einen Volksentscheid durchführen wollen, dann stellen die Ministerpräsidenten der deutschen Länder zu dem Volksentscheid die Frage der Zerreißung Deutschlands. Eine solche darauf basierende Agitation wäre für uns unerträglich und eine Schädigung dessen, was wir für Westdeutschland aufbauen wollen, so daß wir in diesem Punkt keineswegs nachgeben dürfen.“ Ebd., S. 205; Bürgermeister Brauer (Hamburg, SPD) auf der Schlußkonferenz mit den Militärgouvemeuren, 26. 7. 1948: „Sie entsinnen sich alle der Kampagne mit dem Volksbegehren in der Ostzone. Wir haben uns gegen das Volksbegehren und seine Ausdehnung in den Westzonen gewehrt. Mit dem Referendum gäben wir den Kommunisten das Volksbegehren, das sie damals haben wollten. Von uns ist das eine Frage der psychologischen Taktik.“ Ebd., S. 277.

  28. Vgl. Ministerpräsident Arnold: „... wird durch ein solches Referendum von vornherein ein Unsicherheitsfaktor in die ganze Entwicklung hineingetragen. Ich könnte mir vorstellen, daß bei einer solchen Auseinandersetzung die Möglichkeit entsteht, daß das Referendum nicht angenommen wird...“, ebd., S. 195.

  29. Ministerpräsident Maier (Württemberg-Baden, FDP), ebd., S. 219; Ministerpräsident Stock (Hessen, SPD), ebd., S. 222.

  30. Ministerpräsident Ehard (Bayern, CSU), ebd., S. 225.

  31. Ebd., S. 227.

  32. Vgl. Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Heidelberg 1987, S. 219-258 (255).

  33. Der Parlamentarische Rat (Anm. 23), S. 186.

  34. Abg. Süsterhenn (CDU), Interfraktioneller Ausschuß, 4. 5. 1949, Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Sankt Augustin, 1-052-001/1, S. 267.

  35. Abg. Löwenthal (SPD), Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages Bonn, PR/O, S. 210 (20. 1. 1949).

  36. Abg. Schmid (SPD), Parlamentarischer Rat, Plenum, 8. 5. 1949, S. 320.

  37. Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages Bonn, M 70248, S. 9f.

  38. Ebd., S. 39.

  39. Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv, Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, bearb. von Peter Bücher, Boppard a. Rh. 1981, S. 387 (22. 8. 1948).

  40. Ebd., S. 447f. (23. 8. 1948).

  41. Ebd., S. 506.

  42. Hermann L. Brill, Cäsar oder Cicero? Einige Bemerkungen zum Problem der politischen Führung, Manuskript, datiert 27. 6. 1948, S. 7f. (Hervorhebung im Original), Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Brill/336.

  43. Parlamentarischer Rat, Bd. 2 (Anm. 39), S. 85 (11. 8. 1948).

  44. Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages Bonn, M 70258, S. 64; im Auszug abgedruckt in: ebd., Bd. 2, S. 210, FN 71 (19. 8. 1948).

  45. Hermann L. Brill, Wirtschaft und Politik sind eins, Manuskript, datiert 24. 9. 1948, Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Brill/337.

  46. Vgl. Parlamentarischer Rat, Hauptausschuß, 8. 12. 1948, S. 263ff.; vgl. Otmar Jung, Volksgesetzgebung in Deutschland, in: Leviathan, 15 (1987), S. 242-265 (245).

  47. Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages Bonn, PR/G, Bl. 157 (14. 10. 1948) (Hervorhebung im Original).

  48. Vgl. Claus-Henning Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Zulässigkeit und politische Konsequenzen, Köln 1986, S. 87-92.

  49. So Konrad Adenauer in einem Brief an Viktoria Steinbeiß vom 31. 5. 1948, Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Rhöndorf, Nachlaß Adenauer/07/24, Bl. 328: „Eine Volksabstimmung über das Wahlrecht halte ich durchaus für erwünscht, vorausgesetzt, daß wir endlich einmal in Zeiten hineinkommen, in denen das Volk sich wirklich mit solchen Dingen in Ruhe beschäftigen kann.“

  50. Vgl. Rainer Salzmann (Bearb.), Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion, Stuttgart 1981 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 2), 8. 347(18. 1. 1949).

  51. Vgl. „Beantragter, aber nicht aufgenommener Artikel über Volksentscheid und Volksbegehren“, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 1 (1951), S. 620f.

  52. Vgl. Peter Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 (1987), S. 313-337 (320f.).

  53. Dies steckt auch hinter Heuss* etwas ruppigem Diktum, daß es die „primitive Pflicht“ des Parlamentarischen Rates gewesen sei, „den noch so ungesicherten Staat nicht zur freien Wildbahn der wartenden Demagogen zu machen.. (Einführung, in: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, München 1960, S. 12).

Weitere Inhalte

Otmar Jung, Dr. iur. utr., geh. 1947; Privatdozent am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin; 1990/91 und 1992 Vertretyngsprofessor für Rechtsgeschichte an der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1989; Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, Hamburg 1990.