Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Zur Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt. Empirische Ergebnisse aus dem Frühjahr 1992 | APuZ 2-3/1993 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 2-3/1993 Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse als Ursachen von fremdenfeindlicher Gewalt und politischer Paralysierung Rechtsextremismus und Anti-Rechtsextremismus in der modernen Industriegesellschaft Gewalt in Deutschland -Eine psychologische Analyse Artikel 1 Jugendliche in Brandenburg -Signale einer unverstandenen Generation Zur Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt. Empirische Ergebnisse aus dem Frühjahr 1992

Zur Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt. Empirische Ergebnisse aus dem Frühjahr 1992

Karl-Otto Richter/Bernhard Schmidtbauer

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Ergebnis einer empirischen Analyse zur Akzeptanz von Asylbewerbern in der Stadt Rostock, die im Frühjahr 1992 -also vor den Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen -durchgeführt worden ist, kann festgehalten werden: Entschieden restriktive Haltungen gegenüber der Aufnahme von Asylbewerbern gehörten zwar keineswegs zu den Randerscheinungen, aber eine deutliche Mehrheit hat sich gegen einen Stopp oder wesentliche Einschränkungen in der Aufnahme von Asylbewerbern ausgesprochen. Ein Teil der insgesamt 200 Befragten ging in der Distanz zu Asylbewerbern allerdings über Forderungen nach einer stark restriktiven Asylpolitik hinaus: Sie zeigten sich außerdem kaum berührt von den Berichten über gewalttätige Angriffe auf Asylbewerber und sahen eigene Interessen durch Asylbewerber bedroht. Ungeachtet einiger sozialstruktureller Besonderheiten belegt die Untersuchung, daß Akzeptanzprobleme für Asylbewerber kein sozialstrukturell eindeutig eingrenzbares und etwa auf spezifische „Problemgruppen“ reduzierbares Phänomen sind. Die Distanz, die die Befragten zu Asylbewerbern erkennen ließen, hängt mit wichtigen Differenzierungen von Haltungen und Meinungen zusammen. Das gilt insbesondere für die jeweils subjektive Gewichtung der Asylproblematik und für das Verständnis der Ursachen von Feindlichkeit gegen Asylbewerber. Die aus dem Urteil der Befragten folgende Rangordnung von Ursachen für eine feindliche Haltung gegenüber Asylbewerbern in Ostdeutschland verweist auf soziale Sorgen, auf die andauernde Asyldiskussion, auf Erfahrungs-und Kenntnisdefizite sowie auf ostdeutsche Besonderheiten. Für die Politik ergeben sich aus der Untersuchung die folgenden sechs Aufgaben: 1. Entwicklung wirkungsvoller Programme gegen Arbeitslosigkeit und Wohnungsmangel; 2. Einbeziehung relevanter Ängste der Bevölkerung in einen politischen Diskurs jenseits von Nationalismus, Rassismus und Rechtsextremismus; 3. Sachliche Information über die Asylproblematik, frei von Parteienkalkül und Marktinteressen der Medien, in der auch Asylbewerber selbst zu Wort kommen; 4. Bestimmung spezifischer Zielgruppen für entsprechende Informationen, und zwar mit prophylaktischer Absicht; 5. Berücksichtigung der Tatsache, daß Akzeptanzprobleme inzwischen Teil des Asylproblems geworden sind; 6. Förderung eines Austausches zwischen Deutschen und Ausländem, in dem auch die Stimme der Ausländer zu hören ist und in den der Osten und der Süden einbezogen sind.

I. Vorbemerkungen

Abbildung 1: Gruppierung der Probanden nach ihrer Haltung zu Asylbewerbern Quelle: Eigene Grafik des UCEF

Die Eruption von Haß und Gewalt vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAST) in Rostock-Lichtenhagen im September 1992 hat die Öffentlichkeit zwei Wochen lang in Atem gehalten. Danach sind vergleichbare Bilder anderenorts -in Deutschland Ost und West -zum deutschen Fernsehalltag geworden. Erst die jüngsten Brand-anschläge auf Ausländerunterkünfte im schleswig-holsteinischen Mölln dürften unmißverständlich gezeigt haben, wie sehr rechtsradikale Gewalt ein gesamtdeutsches Phänomen geworden ist.

Sofern die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen nicht einfach im Interesse einer Verschärfung des Asylrechts instrumentalisiert wurden, werden Fragen nach den Ursachen zu oft nur vage beantwortet: An vorderster Stelle stehen soziale Verunsicherungen der „Verlierer der Einheit“. Beklagt wird Jugendgewalt als Ergebnis mangelnder Erziehung, als stünde der „Jugendgewalt“ eine „gewaltfreie Welt erzogener Erwachsener“ gegenüber. Unvermeidlich scheint auch der Verweis auf Demokratiedefizite der Ostdeutschen oder auf deren fehlende Vertrautheit mit Ausländern zu sein. Dabei haben die Exzesse doch erst durch die Logistik neonazistischer Gruppen aus dem Westen Deutschlands an „Profil“ gewonnen; haben doch in der abgefackelten ZAST seit vielen Jahren Ausländer unbehelligt gelebt.

Abbildung 2: Anteile von Gruppen mit geringer Akzeptanz von Asylbewerbern an allen Probanden Quelle: Eigene Grafik des UCEF

Die Ergebnisse einer empirischen Analyse vom Frühjahr 1992 über die Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt 1, deren Ziel es war, sowohl Gefährdungspotentiale als auch spezifisch ostdeutsche Ursachen für Ausländerfeindlichkeit zu hinterfragen, sollten nachdenklich stimmen. Anliegen des vorliegenden Beitrages ist es nicht, Antworten

Abbildung 3: Soziale Profile von Gruppen mit geringer Akzeptanz von Asylbewerbern Quelle: Eigene Grafik des UCEF

auf Fragen zu geben, die ja im übrigen mit den Gewaltakten und der Gewalttoleranz von Teilen der Bevölkerung in Rostock-Lichtenhagen nicht aufgeworfen, sondern zugespitzt wurden. Es geht vielmehr um die Suche nach den Wurzeln der inzwischen alltäglichen Gewalt, die sich derzeit an „Sündenböcken“ -den Asylbewerbern -entlädt. Angesichts einer spürbar aggressiver werdenden Feindseligkeit zwischen Ost-und Westdeutschen drängt sich die Frauge auf, was werden wird, wenn keine Asylbewerber mehr da sind?

II. Prämissen der Untersuchung

Abbildung 4: Gewicht des Themas „Aufnahme von Asylbewerbern“ in Abhängigkeit von der Distanz zu Asylbewerbern (in Prozent) Quelle: Eigene Grafik des UCEF

Die Untersuchung basiert auf folgenden fünf Überlegungen:

Die Aufnahme von Asylbewerbern bringt eine Reihe von Problemen mit sich, deren Existenz nicht einfach geleugnet werden kann. Anzunehmen war insofern, daß das Thema „Asylbewerber“ in der Reflexion der Bevölkerung generell eine Rolle spielt, die -in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Schicht -größer oder kleiner sein kann.

2. Nur ein Teil der Bevölkerung fühlt sich von diesem Thema so stark betroffen, daß es für ihn zu einem Problem wird. Dabei waren zwei grundverschiedene Arten von Betroffenheit zu berücksichtigen: Zum einen ging es um Betroffenheit im Sinne einer angenommenen Gefährdung eigener Interessen durch Asylbewerber. Zum anderen ging es um (emotionale) Betroffenheit über Gewaltakte gegen Asylbewerber.

Tabelle 1: Ursachen für Feindlichkeit gegen Asylbewerber in Ostdeutschland, die nach Meinung der Probanden wichtig oder weniger wichtig sind

3. Sowohl der Stellenwert, den das Thema „Asylbewerber“ in der Reflexion der einzelnen besitzt, als auch Ausmaß und Art individueller Betroffenheit sind nicht monokausal zu erklären, sondern resultieren aus vielschichtigen Ursachen. 4. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber Asyl-bewerbern wird durch das Verhalten von Politikern und Parteien, von Verwaltungen und Behör-den sowie durch die Medien beeinflußt. Man kann daher davon ausgehen, daß die andauernde Asyl-debatte in Teilen der Bevölkerung ausländerfeindliche Denkweisen und Reaktionen gefördert hat.

5. Ausländerfeindlichkeit in den alten und neuen Bundesländern artikuliert sich in vergleichbaren Erscheinungsformen. Von daher ließen sich gleiche oder ähnliche Ursachen unterstellen. Die Untersuchung stützte sich jedoch auf eine stärker differenzierende Annahme: Es wurde davon ausgegangen, daß es in Ost-und Westdeutschland in gleicher Weise wirkende Ursachen von Ausländer-feindlichkeit gibt, die in Ostdeutschland aber von weiteren Einflußfaktoren überlagert werden. Vermutet werden mußte, daß dazu sowohl spezifische Sozialisationsbedingungen in der DDR zählen, als auch Erwartungen, die in die deutsche Einheit gesetzt und enttäuscht worden waren, sowie die desillusionierende bis demütigende Art, in der sich der Vereinigungsprozeß vollzieht.

III. Methodische Aspekte der Befragung

Die Studie ist das Ergebnis einer explorativen Untersuchung, mit der ein konkretes Problemfeld genauer umrissen wird. Im Vordergrund stand die Gewinnung von Informationen über Argumente, die in der Bevölkerung zum Thema „Asylbewerber“ vorhanden sind. Um dabei Ansichten aus unterschiedlichen sozialen Gruppen erfassen zu können, wurden 200 Testpersonen (Probanden) durch eine Quotenauswahl bestimmt. Die Quotierung entsprach der Alters-und Geschlechterstruktur der erwachsenen Rostocker Bevölkerung.

Die Befragung erfolgte schriftlich -als Straßenbefragung anhand eines standardisierten Fragebogens -im Februar 1992 im Stadtzentrum und in den Neubaugebieten des Nordwestens, zu denen auch Lichtenhagen gehört.

Die Zahl derer, die es ablehnten, sich zu beteiligen, blieb mit 15 Prozent relativ gering. Ein Teil der Verweigerer ließ in Äußerungen zu der Befragung ausländerfeindliche Haltungen erkennen. Insofern muß vermutet werden, daß die anschließend eingegrenzten Gruppen mit geringer Akzeptanz von Asylbewerbern real wahrscheinlich noch etwas größer sind als die im Rahmen der Untersuchung ermittelten.

Die vorgestellte empirische Analyse erhebt nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. Angesichts der gewählten Methode, der 200 Befragten und der Vorgabe von Quoten für die Alters-und Geschlechtergruppen ist jedoch auszuschließen, daß etwa eine Vielzahl exotischer Sonderfälle befragt wurden. Das anhand der Befragung zu zeichnende Bild würde durch repräsentative Untersuchungen gewiß genauer, es müßte in den Grundproportionen aber kaum korrigiert werden müssen.

IV. Ergebnisse

1. Gruppen mit geringer Akzeptanz von Asylbewerbern Einer der Ausgangspunkte der Analyse war, daß das Thema „Asylbewerber“ für einen Teil der Bevölkerung zum Problem wird, weil mit der Aufnahme von Asylbewerbern eigene Interessen gefährdet scheinen. Die Bestimmung der Größe von Gruppen unter den Befragten, die durch eine geringe Akzeptanz von Asylbewerbern auffielen, und Aussagen über deren soziale Struktur und über deren Erklärungsmuster für ihr ausländer-feindliches Verhalten sind insofern von Bedeutung, als sie auf Ursachen der Entstehung von Ausländerfeindlichkeit verweisen.

Unter den Probanden konnten drei spezifische Gruppen bestimmt werden, die sich einerseits in ihrer restriktiven Haltung gegenüber der Aufnahme von Asylbewerbern gleichen, sich andererseits aber dadurch unterscheiden, daß die Ablehnung von Asylbewerbern verschieden stark ausgeprägt ist. Für die Gruppenbildung wurden drei Indikatoren herangezogen: erstens die Haltung zur Asylpolitik in Deutschland überhaupt, zweitens (emotionale) Betroffenheit über Gewaltakte gegen Asylbewerber und drittens die Beziehung zwischen eigenen Interessen und der Aufnahme von Asylbewerbern. Ein Bild der Differenzierungen, die sich unter den Testpersonen ergeben, wenn alle drei der oben genannten Indikatoren miteinander kombiniert werden, liefert die Abbildung 1.

Wie Abbildung 1 zeigt, fühlten sich keineswegs alle Probanden, die starke Einschränkungen bei der Aufnahme von Asylbewerbern forderten (vgl. Gruppei innerhalb des gepunkteten Rahmens), durch diese in ihren Interessen bedroht oder von den an Asylbewerbern verübten Gewaltakten emotional unberührt. Stark restriktive Haltungen gegenüber der Aufnahme von Asylbewerbern wurden also von einer -hinsichtlich ihrer Eigeninteressen und ihrer Haltung zu Gewaltakten -durchaus heterogenen Gruppe geteilt. Diese Heterogenität kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich erstens der größere Teil der zu dieser Gruppe gehörenden Probanden in seinen Eigeninteressen bedroht fühlte und daß sich zweitens der größte Teil derer, die Eigeninteressen bedroht sahen, von Gewalt gegen Asylbewerber kaum berührt fühlte.

Tatsächlich belegten im Rahmen der Untersuchung vorgenommene Korrelationsrechnungen hochsignifikante Zusammenhänge (die Irrtums-wahrscheinlichkeit betrug 0, 1 Prozent) zwischen der Haltung zur Asylpolitik, der emotionalen Betroffenheit durch Gewalt gegen Asylbewerber und der Meinung, daß die Aufnahme von Asylbewerbern eigene Interessen berührt. Von den Probanden, die durch die Aufnahme von Asylbewerbern ihre Eigeninteressen nicht bedroht sahen, drückten 70 Prozent vorbehaltlos Betroffenheit wegen der Gewalttätigkeiten aus; unter denen, die ihre Interessen bedroht sahen, waren es nur 40 Prozent. Generell läßt sich auf kausale Zusammenhänge schließen: Wer durch Asylbewerber eigene Interessen tangiert sieht, gehört eher zu den „asylpolitischen Hardlinern“ und fühlt sich seltener von Gewalttätigkeiten gegen Ausländer betroffen als jene, die nicht von entsprechenden Interessenkollisionen ausgehen.

Die nachgewiesenen Korrelationen rechtfertigten eine weitergehende Gruppenbildung auf der Grundlage der zuvor benannten Kriterien. Diese Gruppenbildung basierte auf der Erwartung, daß die Heterogenität in der Distanz zu Asylbewerbernvon Gruppe zu Gruppe abnimmt. Innerhalb der Gruppe 1 („asylpolitische Hardliner“) ließ sich zunächst Gruppe 2 abheben, d. h. die Gruppe jener asylpolitischen Hardliner, die sich von den gewalttätigen Aktionen gegen Ausländer kaum betroffen fühlten. In Gruppe 3 schließlich wurden jene Probanden aus Gruppe 2 zusammengefaßt, die sich zugleich darum sorgten, daß die Aufnahme von Asylbewerbern in Rostock eigenen Interessen entgegensteht (vgl. Abbildung 1).

Natürlich können auch die zu Gruppe 3 gehörenden Probanden nicht ohne weiteres als rechtsextrem oder gewaltbereit klassifiziert werden. Wenn diese Gruppe dennoch als besonders problematisch erscheint, dann erklärt sich dies daraus, daß in ihr militant ausländerfeindliche Haltungen eher als in den anderen hier definierten Gruppierungen vermutet werden müssen. Die Anteile der jeweiligen Gruppe unter allen 200 Probanden zeigt Abbildung 2. Es wird deutlich, daß eine entschieden restriktive Haltung gegenüber der Asylpolitik in Rostock keineswegs zu den Randerscheinungen gehört -im Februar 1992 wurde sie immerhin von etwa einem Drittel aller Befragten geteilt. Das bedeutet aber zugleich, daß restriktive asylpolitische Maßnahmen bei rund zwei Dritteln auf wenig Gegenliebe stießen. Wie die Verhältnisse inzwischen liegen, läßt sich ohne weitere empirische Untersuchungen allerdings schwerlich einschätzen.

Die Abbildungen! und 2 lassen weiterhin erkennen, daß die „härteren“ Gruppen 2 und 3 annähernd gleich groß sind. Auch die Anteile sind mit 18, 6 bzw. 13, 0Prozent keineswegs gering. Daß fast alle Probanden aus der Gruppe 2 auch in Gruppe 3 wiederzufinden sind, erklärt sich zum einen aus dem Zusammenhang zwischen der relativen emotionalen Unempfindlichkeit gegenüber gewalttätigen Angriffen auf Asylbewerber und der Erwartung, daß Eigeninteressen durch Asylbewerber verletzt werden. Zum anderen fällt ins Gewicht, daß in Gruppe 2 ältere Probanden überrepräsentiert sind, die kaum Eigeninteressen gegenüber Asylbewerbern (z. B. hinsichtlich Arbeitsplatz oder Wohnung) geltend machen können -sonst wären beide Gruppen faktisch identisch.Bevor nun die sozialstrukturellen Besonderheiten der Gruppen 1 bis diskutiert werden, sei auf weitere, im folgenden als „Vereinigimgsgruppen“ bezeichnete Gruppierungen verwiesen. Ausgangspunkt für deren Bildung war die Annahme, daß in Ostdeutschland auch enttäuschte Erwartungen an die deutsche Vereinigung zu den Ursachen für Feindlichkeit gegenüber Asylbewerbern gerechnet werden müssen.

Die Bildung der „Vereinigungsgruppen“ stützte sich auf eine Kombination von (erinnerter) Haltung zur deutschen Vereinigung im Frühjahr 1990 und der (heutigen) Abwägung von persönlichen Vor-und Nachteilen durch die deutsche Einheit. So wurde die Gruppe der „bestätigten Optimisten“ aus den Probanden gebildet, die für eine schnelle Vereinigung beider deutscher Staaten eingetreten waren und die angaben, daß die Vorteile, die sie aus der deutschen Vereinigung gewonnen haben, ganz deutlich überwiegen (21 Prozent). Jene Pro-banden, die für eine schnelle Vereinigung plädiert hatten und angaben, daß sich Vor-und Nachteile etwa die Waage hielten oder daß ihnen aus der Vereinigung mehr Nachteile erwachsen seien, wurden in der Gruppe der „enttäuschten Optimisten“ zusammengefaßt (31 Prozent). Analog dazu wurde die Gruppe der „bestätigten Skeptiker“ aus jenen Probanden gebildet 3, die skeptisch gegenüber einer schnellen Vereinigung waren und ebenfalls meinten, daß sich Vor-und Nachteile etwa die Waage hielten oder daß ihnen aus der Vereinigung mehr Nachteile erwachsen seien (43 Prozent). Die Drei-Prozent-Gruppe der „widerlegten Skeptiker“, d. h.der Probanden, die die deutsche Einheit mit Skepsis betrachteten und inzwischen überwiegend Vorteile genießen, kann im Folgenden außer Betracht bleiben.

Als Angaben zur Person standen Alter, Geschlecht und berufliche Qualifikation der Probanden zur Verfügung. Sozialstrukturelle Besonderheiten der Gruppen mit geringer Akzeptanz von Asylbewerbern können deshalb nur anhand dieser Merkmale überprüft werden. Zusätzlich sei jedoch der Frage nachgegangen, inwieweit jene „Akzeptanzgruppen“ in den jeweiligen „Vereinigungsgruppen“ über-oder unterrepräsentiert waren.

Abbildung 3 erleichtert durch Anwendung eines „Repräsentationsindexes“ den Überblick darüber, wie stark jede der „Akzeptanzgruppen“ in den jeweiligen sozialen Gruppen repräsentiert war -und zwar gemessen am Anteil der jeweiligen Gruppe an allen Probanden. So wird sofort deutlich, daß zwischen den Geschlechtern keine Unterschiede in der Zugehörigkeit zu den „Akzeptanzgruppen“ bestanden. Männer und Frauen waren hier genauso wie in der Gesamtheit vertreten.

Altersstrukturelle Besonderheiten der Probanden traten nur in den „Akzeptanzgruppen“ 2 und 3 auf: Für beide Gruppen gilt, daß in ihnen vor allem Jüngere stark überrepräsentiert waren. Die mittleren Altersgruppen waren dagegen deutlich unter-repräsentiert. Auffällig war weiterhin, daß zur Gruppe 2 auch überdurchschnittlich viele Ältere ab 60 Jahre gehörten. (Letzteres gilt nicht für Gruppe 3. Eine Erklärung könnte sein, daß Eigeninteressen der Älteren durch Asylbewerber kaum tangiert sind.)

Qualifikationsunterschiede waren in allen drei „Akzeptanzgruppen“ unübersehbar: Mit der Höhe der beruflichen Qualifikation sanken die Anteile der Probanden, die in eine dieser Gruppen fielen, und zwar rapide. So waren Facharbeiter vor allem in den Gruppen 1 und 2 über-, Hochschulabsolventen dagegen in allen Akzeptanzgruppen stark unterrepräsentiert.

Tendenzielle Zusammenhänge ergaben sich des weiteren zwischen der Zugehörigkeit zu den „Vereinigungsgruppen“ bzw.den „Akzeptanzgruppen“ dadurch, daß die Gruppe der „enttäuschten Optimisten“ vor allem in Gruppe 3 kräftig über-repräsentiert war. Gleiches gilt aber nicht für die „bestätigten Skeptiker“, obgleich ihr Anteil an allen Probanden deutlich größer war als der der „enttäuschten Optimisten“ und unter ihnen gleich große Anteile an „Verlierern der Einheit“ erwartet werden müßten. Die „Verlierer-These“, die gerade nach Lichtenhagen hoch im Kurs stand, bedarf also mindestens weiterer Differenzierung.

Als Fazit ist festzuhalten: Im Februar 1992 stellten Gruppen mit geringer Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock erhebliche Anteile an der Bevölkerung. Diese Gruppen konstituierten sich aus Jüngeren und Älteren, aus Menschen mit geringe-B rer und mit höherer beruflicher Qualifikation, aus Männern und Frauen. Insofern waren und sind Akzeptanzprobleme gegenüber Asylbewerbern -ungeachtet einiger sozialstruktureller Besonderheiten -kein sozialstiykturell eindeutig eingrenzbares und etwa auf spezifische „Problemgruppen“ reduzierbares Phänomen. 2. Die Wahrnehmung von Asylbewerbern alsThema und als Problem Ein weiterer oben genannter Ausgangspunkt der Untersuchung war, daß das Thema Asylbewerber für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen einen unterschiedlichen Stellenwert besitzt. Diese Annähme bestätigte sich. Drei der Themen, die im Fragestandard für Teile der Rostocker Bevölkerung als wichtig vorgegeben waren, wurden -nicht überraschend -von faktisch allen Probanden als wichtig anerkannt: Arbeitsmarktpolitik gegen Arbeitslosigkeit, Investitionen in die Rostocker Industrie und Angleichung der Löhne.

Bemerkenswert scheint auch, daß die Lösung von Umweltproblemen von 80 Prozent der Probanden als für sie persönlich wichtig angesehen wurde. Die Forderung nach Entlastung der Innenstadt vom Autoverkehr unterstreicht diese Folgerung an einem konkreten Beispiel. Die Bedeutsamkeit des Themas „Entwicklung der Mieten“ fiel gegenüber den vorher angesprochenen Themen etwas ab. Mieten blieben jedoch für drei Viertel der Probanden ein nicht unwichtiges Problem.

Ein ganz anderes Bild ergab sich bei der Frage nach der Aufnahme von Asylbewerbern: Für fast die Hälfte der Testpersonen war das Thema Asyl-bewerber im Ensemble der vorgegebenen Themen kaum wichtig. Weitere 28 Prozent hielten es für nicht unwichtig, und nur knapp 22 Prozent maßen ihm größere Bedeutung bei. Die Befragten schienen in der Wahrnehmung von Aufgaben und Problemen, die der Stadt aus der Aufnahme von Asyl-bewerbern erwachsen, also gespalten. Während die eine Hälfte der Aufnahme von Asylbewerbern persönlich wenig Gewicht beimaß, sah die andere Hälfte darin ein für sie zumindest nicht unwichtiges oder gar wichtiges Thema. Die naheliegende Vermutung, daß die Aufnahme von Asylbewerbern für jene größeres Gewicht hätte, die Distanz zu Asylbewerbern erkennen ließen, wurde durch die Daten jedoch nicht nur nicht bestätigt, sondern sogar widerlegt. Tatsächlich waren gerade die drei „Akzeptanzgruppen“ unter denen signifikant überrepräsentiert, für die das Thema Asylbewerber kaum wichtig war. Die Unterschiede, die in der Gewichtung dieses Themas zwischen den verschiedenen Gruppen auftraten, werden in Abbildung 4 augenfällig: Für im- merhin zwei Drittel der Befragten, die keine Distanz zu Asylbewerbern zeigten (Probanden, die keiner Akzeptanzgruppe angehören), war das Thema „Asylbewerber“ bedeutsam. Nur für ein gutes Drittel (38 Prozent) hatte es kaum Bedeutung. Bei den asylpolitischen Hardlinern (Gruppe 1) lagen die Verhältnisse dagegen genau umgekehrt -gut zwei Drittel unter ihnen hielten das Thema „Asylbewerber“ für wenig wichtig. Dieser Anteil stieg über Gruppe 2 zu Gruppe 3 stetig auf fast 80 Prozent an, d. h., er wuchs mit der „Härte“ der Ablehnung von Asylbewerbern. Konkret heißt das also, daß die Aufnahme von Asylbewerbern für die große Mehrheit gerade derer ein wenig bedeutsames Thema war, die für eine stark restriktive Asylpolitik eintraten, Eigeninteressen durch Asylbewerber bedroht sahen und sich von den Berichten über Gewaltakte gegen Ausländer kaum betroffen zeigten.

Stärker differenziert ergab die Untersuchung folgendes Gesamtbild: Für gut zwei Fünftel der Pro-banden besaß das Thema Asylbewerber ein gewisses Gewicht, war aber kein Problem in dem Sinne, daß man sich vor seinen Auswirkungen schützen müßte. Für etwa ein Drittel war es in aller Regel kein wichtiges Thema, wohl aber wurde in der Aufnahme von Asylbewerbern ein Problem gesehen, das negative Auswirkungen auf die (eigenen)

Lebensbedingungen mit sich bringt. Insofern es als Problem wichtig ist, muß es offenbar nicht auch ein wichtiges Thema sein, da eine einfache Lösung durch die Asyldiskussion vorgegeben ist: restriktive Asylpolitik und eine strenge Haltung gegenüber Asylbewerbern. Für ein Viertel schließlich war die Aufnahme von Asylbewerbern weder als Thema noch als Problem wichtig -ihre Haltung wird vielleicht am besten als „Ambivalenz“ interpretiert. 3. Ursachen von Ausländerfeindlichkeit im Urteil der Probanden Die Frage nach Ursachen feindlicher Haltungen gegenüber Asylbewerbern in Ostdeutschland ergab erwartungsgemäß, daß Arbeitslosigkeit und Wohnraummangel ein sehr hoher Stellenwert zukommt. Etwa 70 Prozent hielten beide Gründe für wichtig (vgl. Tabelle 1). Deutlich davon abgesetzt folgten als Gründe: die Asyl-Diskussionen der Politiker, das Verhalten einiger Asylbewerber und fehlende Kenntnisse über das Leben in deren Heimat. Sie wurden von jeweils gut 40 Prozent für wichtig und von 20 bis 25 Prozent für nicht unwichtig gehalten. Knapp zwei Drittel der Probanden maßen ihnen also zumindest eine gewisse Bedeutung bei.Im Urteil von ca. 22 bis 25 Prozent der Befragten spielen -erneut deutlich abgesetzt -sowohl Demütigungen im Prozeß der deutschen Vereinigung als auch Intoleranz infolge von Abschottung in der DDR-Gesellschaft eine wichtige Rolle für die in Ostdeutschland vorhandene Fremdenfeindlichkeit, bzw. sie werden als zumindest nicht unbedeutend eingeschätzt. Das heißt, daß sie für etwa die Hälfte der Probanden einen gewissen Stellenwert besitzen. Scheu vor Fremden überhaupt rangiert dagegen am Ende der Skala.

Insgesamt erlaubte die Analyse der Ursachen von Feindlichkeit gegen Asylbewerber, wie sie von den Probanden gesehen werden, wenigstens fünf Folgerungen: Erstens zeigte sich eindeutig, daß solcherart Feindlichkeit primär auf soziale Ursachen zurückgeführt wird. Das aber ist im Grunde zu milde ausgedrückt: „Arbeitslosigkeit“ und „Wohnungsmangel“ sind ja doch Probleme, die die Wurzeln eigener Existenz bedrohen und, zumal vor dem ostdeutschen Erfahrungshintergrund relativer sozialer Sicherheit, sehr reale Ängste und Nöte verursachen können.

Grundsätzlich ändern Aufnahme oder Abweisung von Asylbewerbern an diesen letztlich ökonomischen Fakten natürlich gar nichts -durch einen Einwanderungsstopp wäre weder das Ausmaß an Arbeitslosigkeit einzudämmen, noch der Wohnungsmangel zu beheben. Um diese Probleme zu lösen oder in ihren Wirkungen wenigstens zu dämpfen, wären politische Entscheidungen jenseits aller Asylpolitik erforderlich. Da solche Entscheidungen durch den einzelnen selten überschaut und schon gar nicht beeinflußt werden können, werden Lösungen in aller Regel im Rahmen einer individualisierten Konkurrenz um Arbeitsplatz und Wohnung gesucht und gefunden. Distanz und Feindlichkeit gegenüber Asylbewerbern finden in diesem Kontext um so leichter Nahrung, je stärker der Mythos verbreitet ist, daß Asylbewerber als individuelle Konkurrenten um Arbeit und Wohnung ernsthaft ins Gewicht fielen.

Zweitens wurde deutlich, daß sich Begründungen für Feindlichkeit gegenüber Asylbewerbern keineswegs in sozialen Ursachen erschöpften. Sofern Asylbewerber im individuellen Alltagsbewußtsein tatsächlich als Konkurrenten erscheinen, müssen sie in einer Gesellschaft, deren Selbstverständnis individuelle Konkurrenz als einen Grundpfeiler freier Entfaltung einschließt, als individuelle Konkurrenten in eben diesem Bewußtsein de-legitimiert, gleichsam illegalisiert werden. So ist es nur konsequent, wenn im Urteil der Testpersonen neben sozialen Gründen für Fremdenfeindlichkeit das „Verhalten einiger Asylbewerber“ keine geringe Rolle spielte.

Mehr noch zeigte sich, daß Gründe für Fremden-feindlichkeit mit wachsender Distanz der Befragten zu den Asylbewerbern zunehmend von der eigenen Person weggeschoben und auf die Betroffenen selbst verlagert wurden. Nicht nur in fehlenden (eigenen) Kenntnissen über das Leben in deren Heimat liegt also eine der Wurzeln jener Feindlichkeit, sondern im beobachteten, über die Medien mitgeteilten oder vermuteten -stets aber verallgemeinerten -Verhalten der Fremden selbst. Anforderungen an die eigene Person resultieren daraus nicht, wohl aber Forderungen an die Fremden -Forderungen, die letztlich darauf hinauslaufen, sich entweder als Konkurrenten zumindest durch Sprache und angepaßtes Verhalten zu legitimieren oder wieder zu verschwinden.

Drittens war der Anteil der Probanden relativ groß, die in der anhaltenden Asyl-Diskussion einen wichtigen Grund für Feindlichkeit gegen Asylbewerber sahen. Das ist ein unmißverständlicher Hinweis darauf, daß erhebliche Teile der Pro-banden Politikern und Medien anlasteten, durch ihre Art des öffentlichen Umgangs mit der Asyl-problematik auch militante Feindlichkeit gegen Asylbewerber zu provozieren. Tatsächlich läßt sich kaum bestreiten, daß durch den Tenor solcher Diskussionen der Mythos zumindest unterschwellig verbreitet und bekräftigt wird, Asylbewerber fielen als individuelle Konkurrenten um existentiell bedeutsame Güter ernsthaft ins Gewicht. Damit tragen Politiker und Medien ganz offensichtlich das Ihre dazu bei -in den Worten des vorhergehenden Abschnitts ausgedrückt -, aus dem Thema Asyl ein Problem zu machen, das für zu viele kein Thema mehr ist. Viertens ist bemerkenswert, daß die für Ostdeutschland spezifischen Begründungen für Feindlichkeit gegen Asylbewerber -„Intoleranz infolge Abschottung in der DDR-Gesellschaft“ und „Reaktionen von Ostdeutschen auf Demütigungen durch die Art und Weise der deutschen Vereinigung“ -im Urteil von etwa der Hälfte der Probanden eine zumindest nicht unwichtige Rolle spielen. Dieses Ergebnis bekräftigt zum einen die Annahme, daß Demütigungen von Ostdeutschen durch die Art und Weise der deutschen Vereinigung als eine der Ursachen von Feindlichkeit gegen Asylbewerber nicht unbeachtet bleiben dürfen. Anhaltspunkte dafür hatten sich im übrigen bereits daraus ergeben, daß „enttäuschte Optimisten“ unter denjenigen Probanden überrepräsentiert waren, die größere Distanz zu Asylbewerbernzeigten. Zum anderen war auffällig, daß Intoleranz infolge Abschottung im Staat DDR im Urteil der Befragten einen unerwartet geringen Stellenwert als wichtige Ursache von Feindlichkeit gegen Asyl-bewerber besaß. Es ist zu vermuten, daß sich in dieser Bewertung auch Selbsttäuschungen niederschlagen -weil man sich als ehemaliger DDR-Bürger nur ungern selbst in die Nähe von Intoleranz rückt. Dennoch widerspricht dieses Ergebnis den gängigen Klischees in so starkem Maße, daß es als bemerkenswert registriert werden soll.

Im übrigen muß das Argument „Intoleranz infolge Abschottung in der DDR-Gesellschaft“ im Hinblick darauf befragt werden, daß nur weniger als ein Drittel aller Probanden angaben, in DDR-Zeiten so gut wie nie mit Ausländern zu tun gehabt zu haben. Rund 45 Prozent berichteten, mit Ausländern in der Arbeit oder im Studium zusammengetroffen zu sein. Es versteht sich von selbst, daß diese Zahlen keine Rückschlüsse auf die Art und die Intensität des Zusammentreffens mit Ausländern erlauben. Zudem ist zu beachten, daß sie nicht das Leben in der DDR beschreiben, sondern in erster Linie großstädtische Verhältnisse. Insofern, und angesichts des explorativen Charakters der Untersuchung, dürfen sie gewiß nicht überinterpretiert werden. Dennoch verweisen sie darauf, daß „Abschottung in der DDR“ und daraus resultierende Intoleranz weiter zu hinterfragen sind, bevor sie als definitive Wahrheiten im Bestand von Antworten auf eine Vergangenheit verbleiben, die vielfarbiger ist, als ein graues Bild wiederzugeben vermag, das womöglich zu sehr dem Zeitgeist verpflichtet ist.

Mit diesen Argumenten sollen die in den Sozialisierungsbedingungen der DDR verwurzelten Gründe für die Herausbildung feindlicher Haltungen gegenüber Asylbewerbern in Ostdeutschland keineswegs heruntergespielt werden. Sie scheinen vor allem in einer relativ geringen Konfliktfähigkeit und in kaum geübtem tolerantem Verhalten gegenüber deutlich „Andersartigem“ zu liegen.

Fünftens zeigte sich, daß die Häufigkeit, mit der die Befragten Zusammentreffen mit Ausländern in DDR-Zeiten bestätigten, signifikant mit der Distanz zu Asylbewerbern korrelierte -die Anteile der Probanden, die mit Ausländern zusammengetroffen waren, wurden umso kleiner, je größer die Distanz zu Asylbewerbern war. Dieses Ergebnis war in solcher Eindeutigkeit nicht erwartet worden. Allerdings sind auch bei seiner Interpretation die oben bereits umrissenen Grenzen zu beachten. Es kann zwar eine Wechselbeziehung zwischen Distanz zu Asylbewerbern einerseits und seltenerem Zusammentreffen mit Ausländem andererseits konstatiert, nicht aber zwangsläufig auf eine Kausalbeziehung etwa in dem Sinne geschlossen werden, daß früheres Zusammentreffen mit Ausländern heute tolerantere Haltungen gegenüber Asylbewerbern nach sich zieht. Trotzdem darf die festgestellte Wechselbeziehung als ermutigendes Signal dafür verstanden werden, daß Kontakte zwischen Deutschen und Ausländern, die auf wechselseitiges Kennenlernen zielen, wenigstens dann Toleranz fördern, wenn sie im Vorfeld der Herausbildung feindlicher Haltungen gegenüber Asylbewerbern und Fremden überhaupt einsetzen.

V. Vorschläge an die Politik

Die nachfolgend umrissenen Vorschläge basieren ausschließlich auf den Ergebnissen der hier vorgestellten Untersuchung:

Erstens dürfte eine Politik, die wirkungsvolle Programme gegen grassierende Arbeitslosigkeit und für die Lösung der Wohnungsfrage anzubieten weiß eine der wichtigsten Teilantworten auf die Frage, wie der Feindlichkeit gegen Asylbewerber und Ausländer begegnet werden kann.

Zweitens ist offenkundig, daß Feindlichkeit gegen Asylbewerber ganz wesentlich in sehr realen Nöten und Sorgen der Bevölkerung verwurzelt ist. Angesichts dieser Sorgen ist es zunächst gleichgültig, daß mit den Asylbewerbern der falsche, aber eben schon an Äußerlichkeiten erkennbare „Sündenbock“ gesucht und gefunden wird. Wichtig scheint, daß entsprechende Ängste politisch nicht an den Rand gedrängt werden. Dem einzelnen muß es möglich sein, sie in einem politischen Diskurs wiederzufinden, der jenseits von Nationalismus, Rassismus und Rechtsextremismus angesiedelt ist. Sonst wird die Gefahr zunehmen, daß immer mehr Menschen auf einfache Antworten aus dem rechtsextremen Lager setzen.

Drittens rückt die Dringlichkeit sachlicher Information ins Blickfeld -einer Information, die möglichst unbelastet ist von Parteienkalkül und Marktinteressen der Medien. Dabei wäre nicht unwichtig, daß auch die Stimme der -in der Öffentlichkeit weitgehend sprachlosen -Asyl-bewerber selbst vernommen werden kann.

Abgesehen von der Notwendigkeit, die Diskussion zum Thema Asyl zu versachlichen, sollten viertens Informationen zum Thema Asyl gezielt und prophylaktisch dorthin gelenkt werden, wo sich feind-liehe Haltungen gegenüber Asylbewerbern und Ausländern auszuprägen drohen oder wo besondere Gefahrenpotentiale für Asylbewerber bereits erkennbar sind. Fünftens ist die Komplexität der Probleme stärker zu bedenken, die sich um die Aufnahme von Asyl-bewerbern ranken. Vor dem Hintergrund, daß die Akzeptanz von Asylbewerbern in der Bevölkerung selbst zum Problem geworden ist, müssen Problemlösungen, die der schwierigen Situation von Asylbewerbern gerecht werden sollen, Maßnahmen zur Stärkung der Akzeptanz von Asylbewerbern in der Bevölkerung einschließen. Weil die Ergebnisse der Untersuchung die Vermutung bestärken, daß in Ostdeutschland auch besondere Ursachen von Ausländerfeindlichkeit zur Wirkung kommen, scheint es sechstens politisch ratsam zu sein, das Selbstbewußtsein der Ex-DDR-Bürger zu stärken und Klischees entgegenzutreten, die geeignet sind, Lebensläufe gleich massenhaft zu entwerten. Siebtens schließlich sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Austausch zwischen Deutschen und Ausländern und ihr gegenseitiges Kennenlernen zu fördern. Ein solcher Austausch dürfte nicht auf die Europäische Gemeinschaft beschränkt bleiben, sondern müßte auch den Osten und den Süden einschließen. Vor allem aber sollten die Fremden dabei auch selbst zu Wort kommen können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl-Otto Richter/Britta Hermann/Bernhard Schmidtbauer, Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt. Ergebnisse einer empirischen Studie, UCEF-Report 1/1992, Reihe A, Unabhängiges Centrum für empirische Sozial-, Politik-und Kommunikationsforschung, Rostock 1992.

  2. Vgl. ebd.

  3. Bezeichnungen und Gruppenbildung verlangen zwei Anmerkungen: Erstens stellte sich die Bezeichnung der Gruppen als sprachliches Problem dar. Ihr sollte kein zu großes Gewicht beigemessen werden. Zweitens begründet sich die Zusammenfassung der Antwortvorgaben „Vor-und Nachteile halten sich die Waage“ sowie „es sind mehr Nachteile erwachsen“ aus der im Frühjahr 1990 bei einer Mehrheit der Bevölkerung dominanten und durch den Wahlkampf immer wieder geweckten Erwartung, die deutsche Einheit würde zumindest keine so schwerwiegenden. Nachteile bringen, daß sie sich nicht mit den erhofften Vorteilen die Waage hielten. Von daher ist plausibel, daß nicht eben kleine Teile der Bevölkerung solcherart Nachteile bereits mit Enttäuschung registrieren.

Weitere Inhalte

Karl-Otto Richter, Dr. phil. habil., geb. 1947; seit 1991 Direktor des Unabhängigen Centrums für empirische Sozial-, Politik-und Kommunikationsforschung e. V. (UCEF) in Rostock. -Veröffentlichungen u. a.: Regionale Disproportionen, die Alten -und das liebe Geld. Soziologische Anmerkungen zu den Volkskammer-und Kommunalwahlen 1990 in der DDR, Forum Politologie und Soziologie, Hefti, Hamburg 1990; Citizenship in Different Urban Contexts -Some Questions of Research, in: Rüdiger Meyenberg/Henk Dekker (Hrsg.), Perceptions of Europe in East and West, European Studies 2, Oldenburg 1992. Bernhard Schmidtbauer, Dipl. -paed., geb. 1961; seit 1989 wiss. Assistent am Institut für Politik-und Verwaltungs-Wissenschaft der Universität Rostock. -Veröffentlichungen u. a.: Tage, die die Bürger bewegten. Eine Chronik des Umbruchs in Rostock vom August 1989 bis Oktober 1990, Bandl und 2, Rostock 1991; (zus. mit Karl-Otto Richter und Britta Hermann) Akzeptanz von Asylbewerbern in Rostock-Stadt. Ergebnisse einer empirischen Studie, UICEF-Report 1/1992, Reihe A, Rostock 1992.