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DDR-Israel: Anatomie eines gestörten Verhältnisses | APuZ 4/1993 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 4/1993 Zur Aufarbeitung des SED-Unrechts Politische Strafjustiz im SED-Staat Die geheimen Lager der Stasi Aufklärung und Ahndung totalitären Unrechts: Die Zentralen Stellen in Ludwigsburg und in Salzgitter' DDR-Israel: Anatomie eines gestörten Verhältnisses

DDR-Israel: Anatomie eines gestörten Verhältnisses

Angelika Timm

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Verhältnis zwischen der DDR und dem Staat Israel entwickelte sich einerseits im Kontext des Kalten Krieges bzw.der Nahostpolitik der Staaten des Warschauer Vertrages; es wies andererseits eine aus der jüngsten deutschen Geschichte resultierende Eigenart auf. Die DDR-Führung lehnte die Forderung des Jüdischen Weltkongresses und Israels nach materieller Wiedergutmachung für die jüdischen Opfer nationalsozialistischer Herrschaft aufgrund ihres antifaschistischen Selbstbildes stets ab. Sie fand in ihrem Bemühen, die Hallstein-Doktrin zu durchbrechen, in einigen arabischen Staaten die gewünschte Unterstützung und nahm zunehmend eine antiisraelische Haltung im Nahostkonflikt ein. Das Kapitel der offiziellen Beziehungen oder „Nichtbeziehungen“ DDR -Israel endete 1990, ohne daß sich beide Seiten völkerrechtlich anerkannt hatten. Auf eine erste von israelischer Seite aktiv gestaltete Etappe bilateraler Kontakte von 1948 bis 1956 folgte eine Phase offener und verdeckter Konfrontation, die bis 1985 währte. Sie war seitens der DDR durch prinzipielle Ablehnung und Verurteilung israelischer Politik, durch einseitige Stellungnahmen im israelisch-arabischen Konflikt und zur Palästinenserproblematik, durch Ignorierung jeglicher Wiedergutmachungsansprüche Israels und durch Diskreditierung des Zionismus charakterisiert. Erst Ende der achtziger Jahre kam es zum Versuch beider Seiten, die Beziehungen zu normalisieren und in diesem Prozeß auch die Fragen der Wiedergutmachung zu klären. Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen wurden erst nach der Wende in der DDR aufgenommen, blieben aufgrund des deutschen Vereinigungsprozesses jedoch ohne Ergebnis.

I. Vorbemerkung

Am 12. April 1990 bekannten sich die Abgeordneten aller Fraktionen der erstmals frei gewählten Volkskammer der DDR „zur Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte und ihre Zukunft“. Sie erklärten: „Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Land... Wir erklären, uns um die Herstellung diplomatischer Beziehungen und um vielfältige Kontakte zum Staat Israel bemühen zu wollen.“

Die Chance, den Worten und guten Absichten politische Taten folgen zu lassen, war jedoch bereits vertan. Das Kapitel der Beziehungen zwischen beiden Staaten endete 1990, ohne daß sich beide Seiten völkerrechtlich anerkannt hatten. Die Aufarbeitung der vierzigjährigen politisch-diplomatischen „Nichtbeziehungen“ macht die Auswertung einer Vielzahl zeithistorischer Dokumente erforderlich, von denen heute nur ein Teil zugänglich ist. Viele offene Fragen werden daher erst in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten eine umfassende Antwort finden

II. Äußere und innere Komponenten der Israelpolitik

Das Verhältnis zwischen der DDR und Israel kann nicht losgelöst von den Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene dargestellt und gedeutet werden. Es bewegte sich im Kontext der Außenpolitik der Sowjetunion und der übrigen Staaten des Warschauer Vertrages, wies darüber hinaus jedoch eine aus der jüngeren deutschen Geschichte resultierende Eigenart auf. Das führte zur Ausbildung mehrerer Wirkungslinien, die miteinander verknüpft waren und einander ergänzten, mitunter aber auch gegeneinander standen und damit Widersprüche schufen.

Die Beziehungen zwischen den osteuropäischen Staaten und Israel waren in erster Linie durch den Kalten Krieg geprägt, der nach dem Zweiten Weltkrieg sehr bald das internationale Klima bestimmte und im Verlauf der fünfziger Jahre die militär-strategisch, wirtschaftlich und politisch bedeutsame Nahostregion erfaßte. Im Ringen um Einflußsphären waren sowohl die Westmächte als auch die Sowjetunion bemüht, Verbündete zu gewinnen. Nachdem David Ben Gurion 1950 im Koreakrieg die USA unterstützt und damit die Politik der „Nichtidentifikation“ verlassen und sich dem westlichen Lager zugewandt hatte, setzte die UdSSR zunehmend auf die arabischen Staaten und auf Distanz zu Israel. Sie unterstützte arabische Regimes, die sich aus der einseitigen Abhängigkeit von Westeuropa zu lösen suchten und daher an einem Zweckbündnis mit den Warschauer Vertragsstaaten interessiert waren. Politische und gesellschaftliche Veränderungen in Ägypten, Syrien, Irak, Algerien und Jemen ließen einen Machtzuwachs des „realen Sozialismus“ erhoffen. Die machtpolitischen Zielstellungen wurden durch militär-strategische und wirtschaftliche Erwägungen verstärkt.

Ideologisch verbrämt, wurde die Nahostpolitik der Sowjetunion mit der These der „nichtkapitalistischen Entwicklung“ bzw.der „sozialistischen Orientierung“ einiger arabischer Staaten sowie mit der Eingliederung der arabischen Nationalbewegung in den „dritten revolutionären Hauptstrom“ begründet. Gleichzeitig negierten bzw. diskredi-tierten die in Osteuropa regierenden kommunistischen Parteien den Zionismus, der als eine jüdische Antwort auf Unterdrückung und antisemitische Verfolgung entstanden war und das Recht des jüdischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung in Form der Eigenstaatlichkeit zu verwirklichen suchte. Sie charakterisierten die zionistische Pro-grammatik und Politik -den Einschätzungen ihrer Theoretiker seit Anfang des 20. Jahrhunderts folgend -als großbürgerlichen Nationalismus und Chauvinismus, der auf die Schwächung und Spaltung der Arbeiter-und nationalen Befreiungsbewegung gerichtet und daher entschieden zu bekämpfen sei.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war die innenpolitische Komponente des Israel-und Zionismus-Feindbildes in den osteuropäischen Staaten. Um von inneren Problemen -nicht zuletzt mit eigenen jüdischen Bevölkerungsgruppen, die nationale und kulturelle Rechte forderten -abzulenken, wurde versucht, ein Freund-Feind-Bild zu vermitteln, das von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden konnte. Die Solidarität mit den Palästinensern stand hierbei in einer Linie mit der Unterstützung von Vietnamesen (während des Krieges in Indochina), Chilenen (zur Zeit der Pinochet-Diktatur) und der unter der Apartheidpolitik leidenden schwarzen Bevölkerung Südafrikas. Die politische und ideologische Auseinandersetzung mit dem „imperialistischen System“, als dessen „aggressivste Vertreter“ die USA, Chile, Südafrika und Israel, zeitweilig auch die Bundesrepublik, galten, führte nicht nur zu Pauschalurteilen und starren Stereotypen, sondern vielfach auch zur unrealistischen Einschätzung internationaler und nationaler Entwicklungstendenzen. Über die skizzierten Grundlinien hinaus, die für die DDR wie für die meisten anderen Staaten des Warschauer Vertrages zutrafen, wirkten im ostdeutschen Staat spezifische, historisch bedingte Faktoren. So sah sich die DDR-Führung veranlaßt, ihre politische Identität und Existenzberechtigung in ständiger Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik nachzuweisen. Sie verstand sich als antifaschistische Kraft in einem Staat, zu dessen Gründern nicht wenige Kommunisten, Sozialisten und Demokraten gehörten, die die Konzentrationslager überlebt hatten oder aus dem Exil in die sowjetische Besatzungszone zurückgekehrt waren. Die SED akzeptierte aus ihrem Grundverständnis von Faschismus und Antifaschismus keine gesamtdeutsche Schuld für die Verbrechen des Nationalsozialismus; sie negierte den besonderen Stellenwert, der den Judenverfolgungen im nationalsozialistischen Herrschaftskonzept zukam. „Mit den Massakern gegen jüdische Menschen“, schrieb Honecker 1978 in einem Schreiben an das Präsidium des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, „sollten alle Antifaschisten getroffen werden“ „Antisemitismus, Rassen-und Völkerhaß“ galten im ostdeutschen Staat als „mit der Wurzel ausgerottet“

Der zunehmend zum Dogma erstarrte Antifaschismus war einerseits mit dem offiziellen Verbot und der gerichtlichen Ahndung direkter rassistischer und antisemitischer Hetze und Aktivitäten verbunden. Er leugnete andererseits die Verantwortung aller Deutschen, damit auch der Bürger der DDR, für die Schoah und verhinderte somit die Entwicklung eines spezifischen Verhältnisses zu Israel als dem Staat, in dem Hunderttausende Überlebende des Holocaust Zuflucht gefunden hatten.

Eine wichtige Rolle spielten überdies Forderungen des Jüdischen Weltkongresses (WJC) und Israels nach materieller Wiedergutmachung für die von den deutschen Nationalsozialisten am jüdischen Volk begangenen Verbrechen. Die prinzipielle Ablehnung dieser Verpflichtung durch die politische Führung der DDR belastete dauerhaft ihr Verhältnis zu Israel; sie behinderte staatliche Beziehungen noch zu einem Zeitpunkt, da die Mehrzahl der osteuropäischen Staaten schon Botschaften und Konsulate in Israel unterhielt.

Eine aus der deutschen Nachkriegsgeschichte und insbesondere aus dem Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten resultierende Linie war schließlich die zwei Jahrzehnte währende Suche der DDR nach internationaler Anerkennung. Die Führung der machtausübenden SED fand in ihrem Bemühen, die Hallstein-Doktrin zu durchbrechen, in einigen arabischen Staaten die gewünschte Unterstützung. Die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Irak, Sudan, Syrien, Südjemen und Ägypten im Jahre 1969 bildete den Auftakt für die weltweite Anerkennung der DDR. Das Ringen um internationales Prestige war mit der Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen in den politisch einflußreichen bzw. erdölexportierenden arabischen Staaten verbunden und führte zu einer einseitigen proarabischen und antiisraelischen Positionsbestimmung im Nahostkonflikt. Eine ähnliche außenpolitische Konstellation, die das Verhältnis zum Staat Israel beeinflußte, wirkte in den achtziger Jahren, nunmehr freilich mit anderen Zielsetzungen, als die Führung der DDR ihre wirtschaft-liehen und politischen Beziehungen zu den USA zu erweitern suchte.

III. Diplomatische Kontakte zur Frage der Wiedergutmachung

Obwohl die inneren und äußeren Komponenten, die die Außen-und Nahostpolitik der DDR in den vier Jahrzehnten ihrer Existenz bestimmten, in ihren Grundwirkungen gleichblieben, unterlag das konkrete Verhältnis zum Staat Israel durchaus partiellen Veränderungen. Als die UNO-Vollversammlung am 29. November 1947 die Gründung eines jüdischen und eines arabischen Staates auf dem Territorium Palästinas beschloß bzw. am 14. Mai 1948 der Staat Israel proklamiert wurde, existierte die DDR noch nicht. Offizielle Verlautbarungen aus jener Zeit lassen jedoch erkennen, daß die führende politische Kraft in der sowjetischen Besatzungszone, die SED, die Gründung des jüdischen Staates begrüßte. So konnte das Politbüro-Mitglied Paul Merker am 24. Februar 1948 im Zentralorgan der Partei schreiben: „Der jüdischen Bevölkerung gehören die Sympathien und die tatkräftige Hilfe aller fortschrittlichen Kräfte. Besonders die demokratischen Kräfte Deutschlands haben die Verpflichtung, ihre Sympathien und Hilfsbereitschaft zum Ausdruck zu bringen.“

Anfang April 1948 kam es zum ersten offiziellen Kontakt zwischen einem Vertreter der SED und einem Repräsentanten des Jischuv, der jüdischen Bevölkerung in Palästina. Otto Grotewohl, der ehemalige Vorsitzende des Zentralausschusses der SPD und zu jener Zeit gemeinsam mit dem Kommunisten Wilhelm Pieck Ko-Vorsitzender der SED, traf sich mit Chaim Jachil, dem in München tätigen israelischen Konsul. Die Begegnung fand in der Wohnung des Vorstandsmitgliedes der Jüdischen Gemeinde von Berlin, Julius Meyer, statt. Zu einer Zeit, da die USA-Regierung ihre Zustimmung zum UNO-Teilungsbeschluß und damit zur Ausrufung des jüdischen Staates vorübergehend zurückgenommen hatte, versicherte Grotewohl, daß „die Sowjetunion und die Volksdemokratien einen jüdischen Staat anerkennen werden, selbst wenn er nicht entsprechend des UNO-Beschlusses, sondern kraft eigenen Rechts entstünde“ Er lehnte eine individuelle Rückgabe des durch die Nationalsozialisten „arisierten" jüdischen Eigentums ab, sprach -dem Bericht Jachils zufolge -jedoch von der Möglichkeit einer kollektiven Entschädigung an den zu gründenden jüdischen Staat.

In den ersten Jahren des Bestehens des Staates Israel und der DDR gab es keine offiziellen Kontakte zwischen beiden Seiten. Erst im Zusammenhang mit der Forderung des Jüdischen Weltkongresses und Israels an beide deutsche Staaten, materielle Wiedergutmachungsleistungen zu erbringen, fanden in Moskau Gespräche israelischer und ostdeutscher Diplomaten statt. Am 12. März 1951 hatte die israelische Regierung den vier Siegermächten eine Note mit der Forderung nach finanzieller Entschädigung für die von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen am jüdischen Volk übergeben. Sie beanspruchte 1 Mrd. US-Dollar von der Bundesrepublik und 500 Mio. US-Dollar von der DDR. Während die Westmächte direkte deutsch-israelische Verhandlungen für notwendig erachteten, antwortete die sowjetische Seite am 25. März 1952, erst nach Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit Deutschland könne über eine eventuelle Wiedergutmachung verhandelt werden.

Nachdem im März 1952 offizielle Gespräche zwischen israelischen und westdeutschen Politikern über materielle Entschädigungen bereits begonnen hatten, erklärte der Vizepräsident der DDR und zeitweilige Landwirtschaftsminister, Emst Goldenbaum, Mitte des Jahres auf einer Pressekonferenz in Berlin, seine Regierung sei zu Verhandlungen bereit, sollte sich Israel mit einer diesbezüglichen Bitte an sie wenden. Daraufhin übergab der israelische Repräsentant in Moskau am 15. September 1952 erneut eine Note an die sowjetische Regierung, in der auf die Wiedergutmachungsforderungen gegenüber der DDR verwiesen wurde; Kopien des Schreibens gingen an alle Botschaften der osteuropäischen Staaten Die DDR blieb die Antwort schuldig; die Erklärung Goldenbaums wurde als nicht autorisiert dementiert.

Von Herbst 1952 bis Frühjahr 1953 standen die Beziehungen zwischen den osteuropäischen Staaten und Israel im Schatten des Slansky-Prozesses in Prag und der Ärztebeschuldigungen in Moskau. Die antisemitischen Kampagnen Stalins blieben nicht ohne Auswirkungen auf die DDR. Am 20. Dezember 1952 faßte das Zentralkomitee der SED einen Beschluß über die „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörertum Slansky“, in dem behauptet wurde, daß „der amerikanische Imperialismus über den Staat Israel seine Spionage-und Diversantentätigkeit mit Hilfe zionistischer Organisationen in den volksdemokratischen Län-dem organisiert und durchführt“ „Die zionistische Bewegung“, so hieß es, „hat nichts gemein mit Zielen der Humanität und wahrhafter Menschlichkeit. Sie wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschließlich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten.“ Das SED-Führungsmitglied Paul Merker wurde beschuldigt, Leiter einer zionistischen Agentengruppe gewesen zu sein, „der die Entschädigung der jüdischen Vermögen nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen“ Merker war von 1952 bis 1956 in Haft.

Die „Säuberung“ des Parteiapparates und der Behörden von „Titoisten, Trotzkisten und Zionisten“ war mit der Entlassung vieler jüdischer Bürger aus dem Staatsdienst und teilweise auch mit Verhaftungen verbunden. Hunderte Juden, die nach 1945 in die sowjetische Besatzungszone zurückgekehrt waren, verließen die DDR aus Angst vor weiteren Repressionen, unter ihnen mehrere Vorsitzende jüdischer Gemeinden. Bedingt vor allem durch den Tod Stalins kam es nicht zu einem Schauprozeß in Berlin. Dennoch bestimmten antizionistische und antiisraelische Stellungnahmen noch die 13. Tagung des Zentralkomitees der SED im Mai 1953

Zu Kontakten zwischen Vertretern der DDR und Israels kam es in diesem Zeitraum verständlicherweise nicht. Erst in Zusammenhang mit dem Außenministertreffen der vier Siegermächte in Berlin, das über das künftige Schicksal Deutschlands entscheiden sollte, ergriff die Regierung Ben Gurion 1954 noch einmal die Initiative und schlug der DDR erneut Verhandlungen über Wiedergutmachungsleistungen vor. Von 1954 bis 1956 begegneten sich daraufhin offizielle Vertreter Israels und der DDR in Moskau. Die Gespräche blieben letztlich ohne Ergebnis.

Am 28. Dezember 1955 übergab der Botschaftsrat der DDR in Moskau, Seitz, dem israelischen Botschafter Eljaschiw ein Aide Memoire als offizielle Antwort seiner Regierung auf das israelische Ersuchen um Wiedergutmachung. In dem Dokument hieß es: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat bisher alles in ihren Kräften Stehende getan, um den deutschen Faschismus mit seinen Wurzeln zu vernichten und Bedingungen zu schaffen, die ausschließen, daß von Deutschland nochmals eine Bedrohung der Sicherheit und Existenz anderer Völker -auch des jüdischen Volkes -ausgeht. Den auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik wohnhaften Opfern des Faschismus wurde in großzügiger Weise Unterstützung und Hilfe gewährt. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat die von den vier Alliierten festgelegten Reparationsleistungen zur Wiedergutmachung des von dem deutschen Faschismus angerichteten Schadens erfüllt.“ Diese Antwort wurde 1956 erneut in einer persönlich übergebenen Note bestätigt. Sie enthielt die charakteristischen Grundargumente der DDR, die bis 1989 in offiziellen und inoffiziellen Stellungnahmen wiederkehrten. Der israelische Vorschlag, in direkte Verhandlungen einzutreten, wurde strikt abgelehnt.

IV. Hallstein-Doktrin und Abgrenzung von der Bundesrepublik

Ab Mitte der fünfziger Jahre erweiterten sich die außenpolitischen Wirkungsräume der DDR im Nahen Osten; gleichzeitig verstärkte sich die Einbindung der Warschauer Vertragsstaaten in die internationale Interessenwahrnehmung und konkrete Außenpolitik der UdSSR. Für offizielle Gespräche zwischen ostdeutschen und israelischen Diplomaten fehlten nunmehr alle Voraussetzungen. Während des Suezkrieges 1956 stellte sich die DDR eindeutig auf die Seite Ägyptens. In öffentlichen Statements prangerte sie zunächst vorrangig die Politik Großbritanniens und Frankreichs an, „die den von ihnen selbst inszenierten Angriff Israels als Vorwand für ihren Überfall auf Ägypten benutzten“ Etwa sechs Wochen nach dem Krieg, am 22. Dezember 1956, sicherte der DDR-Außenminister Bolz Ägypten „weiterhin politische und materielle Unterstützung“ zu; im gleichen Atemzug forderte er von der Bundesrepublik, „die soge-nannte Wiedergutmachung, die der Aufrüstung des israelischen Aggressors diente, der Republik Ägypten zur Wiedergutmachung der durch israelische Truppen angerichteten Schäden zu überweisen“ Die Gleichsetzung der Opfer der Schoah mit den Schäden des Suezkrieges zeugte von der Nicht-akzeptanz historischer Tatsachen und war Ausdruck der Ignoranz gegenüber der gesamtdeutschen Verantwortung für den Holocaust.

Von 1958 bis 1965 war die Außenpolitik der DDR durch Auseinandersetzung mit der Hallstein-Doktrin, Bemühen um internationale Anerkennung und Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik bestimmt. Obwohl sie in erster Linie in den arabischen Staaten Fuß zu fassen suchte, können für diese Jahre durchaus weitere Kontakte zu israelischen Politikern sowie Handelsbeziehungen in geringem Umfang registriert werden. Es gab Gespräche auf konsularischer Ebene in verschiedenen osteuropäischen Ländern, in denen beide Seiten Botschaften unterhielten; diplomatische Noten, die die Haltung der DDR zur Entwicklung im westdeutschen Staat darlegten, wurden 1958 den israelischen Vertretungen in Sofia und Warschau zugesandt, und vereinzelt fanden 1960 und 1961 in Prag und Warschau Begegnungen zwischen ostdeutschen und israelischen Diplomaten auf Empfängen des jeweiligen Gastgeberlandes oder von Drittstaaten statt. DDR-Verlage forderten israelische Wissenschaftler zur Mitarbeit an Publikationen auf

Die politische Zielsetzung des vorsichtigen Bemühens der DDR um Israel lag in den Jahren 1960/61 auf der Hand; sie war vorrangig darauf gerichtet, die Bundesregierung zu diskreditieren und NS-Aktivisten wie Globke, die sich in verantwortlichen Positionen befanden, zu „entlarven“. In einem Brief des Politbüro-Mitglieds Albert Norden an das Partei-und Staatsoberhaupt Walter Ulbricht war beispielsweise von Bemühungen die Rede, „den Fall Eichmann, der international großes Aufsehen erregt, maximal gegen das Bonner Regime zuzuspitzen“ Ganz in diesem Sinne erklärte Volkskammerpräsident Dieckmann am 12. April 1961 auf der 17. Tagung des DDR-Abgeordnetenhauses: „Der Prozeß gegen Eichmann ist mehr als nur ein Gericht über die hitlerfaschistische Vergangenheit. Er ist zugleich eine Anklage gegen das auf westdeutschem Boden fortbestehende militaristische System.“ Die DDR entsandte einen ihrer prominentesten Rechtsanwälte, Friedrich Karl Kaul, nach Jerusalem. Kaul nahm als Beobachter an den Verhandlungen gegen Eichmann teil; er wurde vom israelischen Justizminister und vom israelischen Generalstaatsanwalt empfangen.

Handelsbeziehungen zwischen der DDR und Israel entwickelten sich ab 1958. Wie aus einem Gesprächsvermerk des Direktionsbereichs Übersee I des DDR-Ministeriums für Außenhandel hervorgeht, war jedoch „die Entwicklung eines Direkt-handels mit Israel... auf Grund der Aufgaben und der Situation mit den arabischen Ländern nicht möglich“. Der Warenaustausch konnte „nur über 3. Länder, z. B. Liechtenstein oder Österreich, geleitet werden“ Sowohl in den kommerziellen Dokumenten als auch bei der Verpackung der Waren durfte der jüdische Staat als Handelspartner nicht erkennbar sein. Während die DDR aus Israel vor allem Zitrusfrüchte, Säfte und Fruchtkonzentrate importierte, lieferte sie u. a. medizinische Geräte, Düngemittel und Kleineisenwaren.

Das Handelsvolumen war sehr gering; die höchste Summe für israelische Exporte in die DDR weist die Statistik des Gesamtzeitraums von 1958 bis 1967 für das Jahr 1962 mit 309900 US-Dollar aus; das Volumen israelischer Importe aus dem ostdeutschen Staat war generell niedriger (höchste Summe 1965 mit 18400 US-Dollar). Eine wesentliche Zunahme des Außenhandelsumsatzes erfolgte erst in den Jahren von 1975 bis 1978 -die Exporte erhöhten sich z. B. auf 3358000 US-Dollar im Jahre 1978. Die Importe blieben für diesen Zeitraum gering und beliefen sich 1975 lediglich auf 157000 US-Dollar

V. Kooperation mit arabischen Staaten und antiisraelische Polemik

Eine Zäsur in der Nahostpolitik der DDR stellte der Besuch des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht in Kairo vom 24. Februar bis 2. März 1965 dar. Diese Reise, mit deren Ankündigung die ägyptische Regierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel verhindern wollte, bedeutete für den ostdeutschen Staat einen großen Erfolg auf internationalem Parkett. Sie leitete eine Phase enger Zusammenarbeit mit mehreren arabischen Staaten, bis zum Tode Nassers insbesondere mit Ägypten, ein. In der „Gemeinsamen Erklärung“ vom 1. März 1965 hieß es: „Beide Seiten verurteilen die aggressiven Pläne des Imperialismus, nach denen Israel als gegen die Rechte des arabischen Volkes und dessen Kampf für Befreiung und Fortschritt gerichtete Speerspitze geschaffen wurde, um seinen Zielen zu dienen.“ Diese Position negierte nicht nur die Rolle der Sowjetunion beim Zustandekommen des UNO-Teilungsbeschlusses von 1947, sondern stellte auch die völkerrechtliche Grundlage für die Gründung des Staates Israel in Abrede.

A Im Zusammenhang mit dem Junikrieg 1967, in dessen Verlauf alle osteuropäischen Staaten (außer Rumänien) die diplomatischen Beziehungen zu Israel abbrachen, und während des Oktoberkrieges 1973 nahm die antiisraelische Polemik seitens offizieller Vertreter der DDR an Intensität, Breite und Schärfe zu. Es wurde u. a. versucht, jüdische Persönlichkeiten der DDR zu bewegen, Stellungnahmen abzugeben. So erschien im Neuen Deutschland am 11. Juni 1967 eine Erklärung jüdischer Bürger zum Sechs-Tage-Krieg, in der es hieß: „Es ist die Tragik der jüdischen Bevölkerung Israels, daß die Machthaber dieses Staates eine Politik betreiben, die sich in den Dienst der strategischen Interessen imperialistischer Großmächte am Suezkanal und an den arabischen Ölquellen gestellt hat. Leider trifft das nicht nur auf das Jahr 1967 zu. Schon die Geburt Israels ist behaftet mit Wortbruch und Annexion.“ Professor Heinz Kamnitzer, der Schriftsteller Peter Edel, die Sängerin Lin Jaldati und der Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden Helmut Aris hatten sich geweigert, diese Erklärung zu unterschreiben. Über Arnold Zweigs Haltung beklagte sich Politbüro-Mitglied Albert Norden in einem Brief an Walter Ulbricht: „Arnold Zweig hat rundheraus erklärt, daß er mit dem Inhalt der Erklärung nicht einverstanden sei. Das ist angesichts seiner althergebrachten prozionistischen Einstellung nicht erstaunlich.“

Offizielle Stellungnahmen der DDR-Führung zur Nahostproblematik brachten ab Mitte der sechziger Jahre neben der Verurteilung Israels stereotyp die „uneingeschränkte Sympathie und Unterstützung“ für „das arabische Volk von Palästina“ und dessen „Kampf um die Wiedererlangung seiner unveräußerlichen nationalen Rechte“ zum Ausdruck 23 . Standen hinter der proarabischen Haltung der DDR im Nahostkonflikt vor allem wirtschaftliehe Interessen und die Suche nach internationaler Anerkennung, so waren die Beziehungen zur PLO, die sich seit dem ersten Besuch Jassir Arafats in der DDR 1971 rasch intensivierten, vor allem ideologisch motiviert. Die DDR gab der Palästinensischen Organisation umfangreiche politische, materielle und militärische Hilfe.

In den Kontext der generellen außenpolitischen Linienführung und der Nahostpolitik ist das Verhältnis der DDR zum Staat Israel einzuordhen. Es war bis 1985 durch prinzipielle Ablehnung und Verurteilung israelischer Politik, durch einseitige Stellungnahme im israelisch-arabischen Konflikt und zur Palästinenserproblematik, durch Ignorierung jeglicher Wiedergutmachungsansprüche Israels und durch vollkommene Negation bzw. Diskreditierung des Zionismus charakterisiert. Das antiisraelische Agieren erreichte anläßlich der Abkommen von Camp David 1978 und des Libanonkrieges 1982 propagandistische Höhpunkte.

VI. Erneute Gespräche über Wiedergutmachung

Die Frage staatlicher Beziehungen bzw.der Wiedergutmachungsleistungen wurde seitens Israels gegenüber der DDR nach 1956 für einen langen Zeitraum nicht mehr aufgeworfen, da die Voraussetzungen ihrer Verhandlung fehlten. Eine indirekte Rolle spielte sie lediglich in den 1974 vom Jüdischen Weltkongreß initiierten Gesprächen mit dem Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR. Die israelische Regierung verfolgte die Bestrebungen des Präsidenten des Weltkongresses, Nachum Goldmann, den ostdeutschen Staat zu Wiedergutmachungsleistungen zu veranlassen, mit großem Interesse. Wissend, daß die DDR-Führung vital an einer Verbesserung der Handelsbeziehungen zu den USA interessiert war, schlug das Finanzministerium in einem Brief an den World Jewish Congress am 16. Juni 1975 vor, die US-Regierung sowie einige Senatoren in die Vorbereitung der Gespräche einzubeziehen

Die Unterredungen, die im Zeitraum von 1974 bis 1976 zwischen Vertretern der Conference on Jewish Material Claims against Germany und des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in Berlin stattfanden, machten jedoch deutlich, daß sich die prinzipielle Haltung der DDR-Führung zur Wiedergutmachungsproblematik im Verlauf von zwei Jahrzehnten nicht verändert hatte. Die DDR lehnte jegliche Einbeziehung israelischer Vertreter in die Gespräche ab. Sie unternahm lediglich gegenüber den USA einen schwachen Versuch des Einlenkens, indem Otto Funke, der Vorsitzende des Antifa-Komitees, am 22. November 1976 der Claims Conference eine Erklärung zukommen ließ, in der es hieß: „Geleitet von den Ideen der Humanität hat das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR entschieden, zur Unterstützung von Bürgern der USA jüdischen Glaubens, die vom Naziregime verfolgt wurden, einmalig einen Betrag von 1 Mio. US-Dollar zu gewähren. Diese Summe wird der Conference on Jewish Material Claims against Germany zur Verfügung gestellt, die darüber befindet, welchen bedürftigen Bürgern der USA jüdischen Glaubens, die Verfolgte des Naziregimes waren, finanzielle Mittel aus dieser Spende übermittelt werden.“ Die jüdische Organisation sandte das bereits überwiesene Geld zurück, da eine derart niedrige einmalige humanitäre Spende den Ansprüchen der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung keineswegs gerecht werden konnte. In den folgenden Jahren wurden die Gespräche auf höherer Ebene -u. a. im Außenministerium der DDR -fortgesetzt, blieben letztlich jedoch ohne Ergebnis.

VII. Modifizierungen ab Mitte der achtziger Jahre

Die offizielle Haltung der DDR zum jüdischen Staat war bis 1989 von polemischen Attacken gegen dessen Regierungspolitik begleitet. Differenzierungen hinsichtlich Machtausübung und parteipolitischem Spektrum wurden nur ansatzweise in einigen Zeitschriftenartikeln sichtbar; in Erklärungen von ostdeutschen Politikern schlugen sie sich nicht nieder. Ab Mitte der achtziger Jahre kam es zögernd -zusätzlich zu den seit Jahrzehnten gepflegten engen Kontakten mit der Kommunistischen Partei Israels -zu ersten Begegnungen mit Vertretern linkszionistischer Parteien. So wurde Kurt Seibt, Vorsitzender der Zentralen Revisionskommission der SED, im Mai 1984 von Naftali Feder, Sekretär der MAPAM, und von Israel Kessar, dem neugewählten Generalsekretär der Histadrut, in Tel Aviv empfangen. 1987 und 1988 besuchten israelische Delegationen, denen außer Kommunisten parteilose Journalisten und Künstler bzw.

Vertreter der MAPAM angehörten, auf Einladung des Friedensrates der DDR den ostdeutschen Staat.

Auch auf kulturellem Gebiet zeichnete sich eine vorsichtige Lockerung des bisherigen Reglements der „Nichtbeziehungen“ ab. Erwähnt seien die Teilnahme des Schauspielers Ekkehard Schall am Jerusalem-Festival 1986, der Auftritt der israelischen Altistin Mira Sakai in Ostberlin im August 1987 und die erste Israel-Reise des Rundfunkchors Leipzig unter Kurt Masur 1988. Ende 1987 empfing der Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Klaus Gysi, den Chefredakteur der israelischen Tageszeitung „Ha’aretz“ zu einem ausführlichen Gespräch.

Die Handelsbeziehungen, die zwischen 1979 und 1984 kaum noch existent waren, belebten sich 1985, als die DDR Waren aus Israel -vor allem Zitrusfrüchte -im Wert von 628000 US-Dollar kaufte. 1987 beliefen sich die Importe sogar auf 1, 8 Mio. US-Dollar.

Die Beispiele belegen, daß es in der Haltung der DDR gegenüber Israel eine gewisse Modifizierung gab, die zweifellos mit internationalen Entwicklungstendenzen -insbesondere mit der Politik der Perestroika in der UdSSR und mit den Bestrebungen verschiedener osteuropäischer Staaten, ihre Beziehungen zu Israel zu normalisieren -zusammenhing. In begrenztem Maße war sie auch auf differenziertere Einschätzungen hinsichtlich der internationalen Sozialdemokratie und auf innenpolitische Veränderungen in Israel zurückzuführen. Der wichtigste Impuls entsprang jedoch offensichtlich dem Interesse der DDR-Führung, mit Hilfe des Jüdischen Weltkongresses die Beziehungen zu den USA zu verbesssern. Eine derartige Überlegung hatte bereits in den siebziger Jahren bei den Gesprächen mit der Claims Conference eine Rolle gespielt.

Nach dem Skandal während des Reagan-Besuches in Bitburg 1985 wurde zielgerichtet versucht, jüdische Persönlichkeiten in den USA und in Westeuropa vom „antifaschistischen Charakter“ der DDR zu überzeugen und sie als Fürsprecher im Weißen Haus zu nutzen. So empfing Erich Honecker am 23. Juni 1987 den Präsidenten der Conference on Jewish Material Claims against Germany, Rabbi Israel Miller. Darüber hinaus wurden umfangreiche Kontakte zu jüdischen Persönlichkeiten aus den USA und Westeuropa geknüpft.

Die jüdischen Gesprächspartner der DDR-Offiziellen warfen wiederkehrend Fragen der Wiedergutmachung und der Haltung der DDR gegenüber dem jüdischen Staat auf. So brachte der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, nahm -erstmals in dieser Offenheit -dem Neuen Deutschland die Worte Galinskis: „Ich habe an den Vorsitzenden appelliert, auch in dieser Beziehung, daß die Medien der DDR mehr ausgeglichener sein sollten.“

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Miles Bronfman, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Beziehungen der osteuropäischen Staaten zu Israel generell zu verbessern und diesbezügliche Erfolge bereits in der Sowjetunion, in Polen und Ungarn vorweisen konnte, sprach sich im Oktober 1988 nach dem Empfang durch Honecker dafür aus, „Brücken... zwischen der DDR und dem Volk und der Regierung des Staates Israel“ zu bauen. Auf einer Pressekonferenz in Ostberlin erklärte er, „man habe ihm zu verstehen gegeben, daß eine gewisse Erneuerung der Beziehungen zwischen beiden Ländern hier ernsthaft erwogen werde“

VIII. Bestrebungen zur Normalisierung der staatlichen Beziehungen

Im November 1988 wurden seitens der DDR-Regierung zu den Veranstaltungen anläßlich des Gedenkens an die Pogromnacht von 1938 erstmals offizielle Einladungen auch an Repräsentanten des Staates Israel ausgesprochen. Josef Burg, der ehemalige Innen-und Religionsminister, und Jizchak Arad, Leiter der Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Jerusalem, sowie weitere israelische Persönlichkeiten kamen nach Berlin. Sie führten Gespräche mit offiziellen Vertretern der DDR, u. a. mit dem neuemannten Staatssekretär für Kirchenfragen, Kurt Löffler. Arad sprach auf dem Empfang des Oberbürgermeisters von Berlin und überreichte eine Plastik der Gedenkstätte Jad Vaschem. Er bahnte Beziehungen zwischen seiner Institution und DDR-Archiven an, die sich mit der Erforschung des Nationalsozialismus beschäftigten.

Am 29. Januar 1989 reiste der Staatssekretär für Kirchenfragen zu einem offiziellen Besuch nach Israel. Obwohl nicht die israelische Regierung, sondern der Jüdische Weltkongreß und die Gedenkstätte Jad Vaschem die einladenden Gastgeber waren, befanden sich in der Delegation ein Vertreter sehen und internationalen Presse Spekulationen über die Absicht der DDR hervor, ihre Beziehungen zu Israel zu normalisieren.

In Jerusalem kam es erstmals zu einer Begegnung auf Regierungsebene -Löffler traf mit Religionsminister Zevulun Hammer zusammen. Der israelische Minister bekundete Interesse an der Entwicklung bilateraler Beziehungen, betonte jedoch, daß die Initiative hierzu von der DDR ausgehen müsse. Es fand ein „inoffizielles Gespräch auf Arbeitsebene“ im israelischen Außenministerium beim Leiter der Osteuropaabteilung statt, an dem der DDR-Staatssekretär nicht teilnahm. Dabei „wurde von israelischer Seite erklärt, die DDR nehme eine einseitige Haltung zugunsten der arabischen Staaten ein ... Man sei besorgt über die Zusammenarbeit mit bestimmten Regimes, z. B. in Libyen. ... Die Auffassung der DDR hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer historischen Verantwortung werde nicht akzeptiert.“

Auch Jizchak Arad betonte in Gesprächen mit der Delegation, „im Mittelpunkt stehe die Frage, wie sich die Deutschen -so auch die DDR -zu ihrer historischen Verantwortung für das Geschehene verhalten. Von der DDR habe man ein anderes Verhältnis zu Israel erwartet.“

Ein Durchbruch in den Beziehungen war nicht erzielt worden. Offensichtlich war es nicht zuletzt die prononciert propälastinensische Haltung der DDR-Führung -Jassir Arafat besuchte 1988 dreimal die DDR, am 15. November 1988 erkannte die DDR den „Staat Palästina“ an und am 16. Januar 1989 wurde die palästinensische Vertretung in Berlin in „Botschaft des Staates Palästina in der DDR“ umbenannt -, die den israelischen Religionsminister davon abhielt, die während des Besuchs von Staatssekretär Löffler in Jerusalem ausgesprochene Gegeneinladung anzunehmen.

Unsicherheit und Vorbedingungen auf beiden Seiten hemmten zudem den Normalisierungsprozeß. Die DDR zeigte zwar ihr Interesse an einer Intensivierung der Kontakte, machte diese jedoch weiterhin von der Haltung Israels zur Konfliktlösung im Nahen Osten abhängig. Israel wiederum hielt die Position der DDR für nicht ausreichend, mit der der zweite deutsche Staat bereit war, die Verantwortung für die Vergangenheit und die damit verbundene moralische und materielle Wiedergut-machung zu übernehmen. Während Ungarn und Polen schrittweise ihre Beziehungen zu Israel normalisierten und auch die Sowjetunion auf Konsularebene mit Vertretern des jüdischen Staates verhandelte, kamen offizielle Gespräche zwischen der DDR und Israel vor der Wende vom Herbst 1989 nicht mehr zustande.

Erst die Regierungen Modrow und de Maizire unternahmen ernsthaftere Anstrengungen, um bilaterale Verhandlungen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen in die Wege zu leiten. Es kam zu drei Gesprächsrunden, die vom 29. Januar bis 2. Februar 1990, vom 7. bis 9. März 1990 und vom 2. bis 3. Juli 1990 in Kopenhagen stattfanden. Die DDR-Regierung war im Umfeld dieser Treffen bestrebt, den Forderungen der israelischen Seite nach einem klaren Schuldbekenntnis nachzukommen. Sie ließ im März einen Brief ihres Premiers, gerichtet an den israelischen Ministerpräsidenten Schamir, übergeben. Es hieß darin: „Die DDR anerkennt die Verantwortung des gesamten deutschen Volkes für die Vergangenheit. Diese ergibt sich aus der tiefen Schuld des Hitlerfaschismus, der im Namen des deutschen Volkes schlimmste Verbrechen am jüdischen Volk begangen hat. ... Die DDR anerkennt ihre humanitäre Verpflichtung gegenüber den Überlebenden des jüdischen Volkes, die unter Naziunterdrückung gelitten haben, und bekräftigt ihre Bereitschaft zur solidarischen materiellen Unterstützung ehemaliger Verfolgter des Naziregimes jüdischer Herkunft.“ Die Zusage, über die Regelung vermögensrechtlicher Fragen, die von israelischen Bürgern gestellt würden, zu sprechen, blieb jedoch weit unter den Erwartungen der israelischen Seite.

Im Juli 1990 konnten die bereits paraphierten Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht mehr unterzeichnet werden. Der deutsche Vereinigungsprozeß war bereits so weit fortgeschritten, daß die Neuaufnahme bilateraler Beziehungen gegenstandslos geworden war. Die DDR hatte mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs-und Sozialunion ihre Souveränität weitgehend aufgegeben. Sie konnte keine definitive Zusage mehr über die Zahlung von Wiedergutmachungsleistungen an Israel geben. Ein höchst widerspruchsvolles und belastetes Kapital deutscher Zeitgeschichte ging im Herbst 1990 zu Ende; es sollte -ob seines Erfahrungsgehaltes trotz oder gerade wegen der aktuellen Probleme im größeren Deutschland -nicht vergessen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gemeinsame Erklärung der Volkskammer der DDR, in: horizont-international, 23 (1990) 6, S. 16.

  2. Die wechselseitige Wahrnehmung und das Verhältnis zwischen der DDR und dem Staat Israel entwickelten sich auf verschiedenen Ebenen, deren wichtigste Politik und Wirtschaft, Mediendarstellung und Massenperzeption waren. Die vorliegende Analyse konzentriert sich auf die politischen Beziehungen bzw. „Nichtbeziehungen“, ohne die Verknüpfung mit dem durch die Medien vermittelten Bild völlig außer acht zu lassen. Eigenständige wichtige Forschungsgegenstände, denen hier nicht nachgegangen werden kann, wären die Widerspiegelung israelischer Realität und die daraus resultierenden Haltungen und Aktivitäten in Bevölkerungskreisen, z. B. jüdischen Gemeinden, kirchlichen Arbeitskreisen oder oppositionellen Gruppen, die aufgrund weltanschaulicher Gebundenheit oder intensiver persönlicher Erfahrung mit Israel und seinen Bürgern nicht selten im Gegensatz zu offizieller Politik und Manipulation standen.

  3. Die DDR -eine sichere Heimstatt des Humanismus. Schreiben Erich Honeckers an das Präsidium des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, in: Gedenke! Vergiß nie! 40. Jahrestag des faschistischen „Kristallnacht" -Pogroms, Berlin 1979, S. 9.

  4. Beschluß des Politbüros der SED vom 31. Mai 1988 „Maßnahmen zum 50. Jahrestag der faschistischen Pogromnacht vom 9. November 1938“, S. 1, in: Bundesarchiv Potsdam (BAP), 04/1049.

  5. Paul Merker, Der neue Staat des jüdischen Volkes, in: Neues Deutschland vom 24. Februar 1948, S. 2.

  6. Vermerk Chaim Jachils über das Gespräch mit Otto Grotewohl vom 4. November 1952, in: Israel State Archiv (I. S. A.) Foreign Ministry (F. M.), 130. 11/2511/17.

  7. Vgl. I. S. A. /F. M., 130. 11/1511/17.

  8. Hermann Matern, Über die Durchführung des Beschlusses des ZK der SED. „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörertum Slansky", Berlin 1953, S. 51.

  9. Ebd., S. 52.

  10. Ebd., S. 55.

  11. Vgl. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. IV, Berlin 1954, S. 396 u. 404.

  12. Aide Memoire, S. 3; I. S. A. /F. M., 93. 39/547/2.

  13. Erklärung der DDR zur Suezaggression, in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. V, Berlin 1958, S. 70.

  14. Erklärung des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Lothar Bolz, zum Abzug der englischen und französischen Truppen aus Ägypten, in: Wolfgang u. Angelika Bator (Hrsg.), Die DDR und die arabischen Staaten. Dokumente 1956-1982, Berlin 1984, S. 62.

  15. Vgl. u. a. I. S. A. /F. M., 3309/3.

  16. Hausmitteilung von Albert Norden an Walter Ulbricht vom 28. Mai 1960, in: Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfGA), Zentrales Parteiarchiv (ZPA), IV 2/2/2. 028/2.

  17. Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik, 3. Wahlperiode, 17. Sitzung vom 12. April 1961, Stenografische Niederschrift, S. 585.

  18. Niederschrift über ein Gespräch mit den Herren Cohen und Rabinowitsch am 26. Januar 1963, in: IfGA, ZPA, IV A 2/20/831.

  19. Zahlenangaben nach Veröffentlichungen des Israelischen Büros für Statistik, Israel’s Foreign Trade, div. Jahrgänge.

  20. Aus der Gemeinsamen Erklärung über den Freundschaftsbesuch des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, in der Vereinigten Arabischen Republik vom 24. Februar bis 2. März 1965, in: W. Bator (Anm. 15), S. 98.

  21. Erklärung jüdischer Bürger der DDR, in: Neues Deutschland vom 11. Juni 1967.

  22. SED-Hausmitteilung, Albert Norden an Walter Ulbricht vom 8. Juni 1967, in: IfGA, ZPA, NL 182/1339, Bl. 13.

  23. Vgl. Central Zionist Archive (C. Z. A.), Jerusalem, Z 6/2506.

  24. Ebd.

  25. Neues Deutschland vom 7. Juni 1988, S. 1.

  26. Neues Deutschland vom 19. Oktober 1988, S. 1.

  27. Bericht über den Aufenthalt des Staatssekretärs für Kirchenfragen der DDR, Genossen Kurt Löffler, vom 29. Januar bis 3. Februar 1989 in Israel, in: Bundesarchiv Potsdam (BAP), 04-998.

  28. Ebd.

  29. Brief des Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, an den Ministerpräsidenten des Staates Israel, Jitzhak Shamir, übergeben in Kopenhagen am 8. März 1990 an den Leiter der israelischen Verhandlungsdelegation.

Weitere Inhalte

Angelika Timm, Dr. sc. phil., geb. 1949; Studium der Hebraistik und Arabistik an der Humboldt-Universität zu Berlin; 1976 Promotion, 1987 Habilitation auf dem Gebiet der modernen Geschichte Israels; 1988 Hochschuldozentin für Hebraistik und Leiterin des Fachgebiets Hebraistik/Israelwissenschaften am Vorderasiatischen Institut der Humboldt-Universität. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit I. Glasneck) Israel. Die Geschichte des Staates seit seiner Gründung, Bonn 1992; zahlreiche Beiträge zum Nahen Osten und Israel.