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Die Türkei als regionale „Großmacht“. Hoffnungen und Illusionen einer weltpolitischen Umwälzung | APuZ 38-39/1993 | bpb.de

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APuZ 38-39/1993 Die Türkei als regionale „Großmacht“. Hoffnungen und Illusionen einer weltpolitischen Umwälzung Islam und Nationalstaat in Zentralasien Ökonomie und Ökologie in Zentralasien Zentralasien zwischen Nationalbewegung und Autokratie Krisenherd Aserbaidschan: Der Krieg um Berg Karabach

Die Türkei als regionale „Großmacht“. Hoffnungen und Illusionen einer weltpolitischen Umwälzung

Wolfgang Günter Lerch

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor zwei Jahren sind unter anderem die turksprachigen Republiken des Kaukasus und Mittelasiens unabhängig geworden: Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan und Kyrgystan. Fünfzig Millionen Muslime blicken auf die Türkische Republik und erwarten von ihr Hilfe. Wie Deutschland ist auch die Türkei von der politischen Entwicklung überrascht worden, da noch in den achtziger Jahren niemand mit diesem weltgeschichtlichen Umbruch gerechnet hatte. Die Probleme der neuen Länder Mittelasiens sind vielfältig und komplex. Zunächst hat der Zusammenbruch der alten sowjetischen Strukturen zu krisenhaften Situationen der jeweiligen Volkswirtschaften geführt. Ankara, das seine Außenpolitik neu definieren muß, hat schon geholfen und will auch weiter helfen. Im Westen gilt die Türkei auch als Modell für die Entwicklung von säkularisierten islamischen Staaten. Doch als Schwellenland sind die ökonomischen Mittel der Türkei begrenzt. So scheinen Träume von einer türkischen Vormachtstellung im Kaukasus und Mittelasien schwerer zu verwirklichen zu sein, als viele geglaubt haben, zumal der Türkei in der Islamischen Republik Iran ein einflußreicher Konkurrent erwachsen ist.

I. Einleitung

© F. A. Z. -Karte Sturm

Als im Jahre 1991 die Sowjetunion nach mehr als siebzig Jahren kommunistischer Herrschaft zusammenbrach, glaubten viele im Westen, auch die Türkei habe ihre bis dahin wichtige strategische Bedeutung als Wächter an der Südostflanke der Nato und als traditioneller „Hüter der Meerengen“ verloren; zwar brauche man das Land nach wie vor als Mittler zwischen Orient und Okzident, aber diese Aufgabe habe die Türkei ohnehin schon immer wahrgenommen, so daß sich ein weiteres Interesse an ihrer künftigen Entwicklung in Grenzen halte. Doch wer so dachte, wurde rasch eines Besseren belehrt: Mit dem Fall der Sowjetunion stürzte nicht nur das vorläufig letzte Großreich der Weltgeschichte ein, sondern zahlreiche Völker wurden praktisch über Nacht unabhängig. Es dauerte eine Weile, bis man im Westen realisierte, daß die fünfzig Millionen Nicht-Russen im Kaukasus, in Transkaspien und Mittelasien zu neunzig Prozent Türken und Muslime und darüber hinaus turksprachig sind.

Die Türkei ist mit dem Beginn der neunziger Jahre, im übertragenen Sinne, fünf Millionen Quadratkilometer größer geworden. Darin besteht ihre neue, wichtigere Rolle für die internationale Politik. Der Westen, vor allem die Amerikaner wollen, daß Ankara engen Kontakt zu den türkischen Brudervölkern im Kaukasus und in Zentralasien herstellt, diesen Völkern bei der ökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklung hilft und darüber hinaus auch für politische Stabilität in einer Region sorgt, die aus einem langen historischen Schlaf erwacht und in eine möglicherweise turbulente Epoche ihrer Geschichte eintritt. Als besonders wichtig gilt auch die immer wieder zu hörende Vorstellung, die kemalistisch, das heißt säkularistisch und laizistisch geprägte Republik Türkei müsse zum Modell werden, nach dem die übrigen Länder Mittelasiens ihr neu zu ordnendes Verhältnis zur Religion, dem Islam, gestalten sollten. Die unabhängig gewordenen Turkvölker der früheren Sowjetunion sind allesamt Muslime, wobei die Sunniten gegenüber den Schiiten eine überwältigende Mehrheit bilden. Schon heute ist deutlich sichtbar, daß die Türkei mit Saudi-Arabien, vor allem jedoch mit der Islamischen Republik Iran in Mittelasien wetteifern muß. Iran, das in der Vergangenheit die Geschichte und Kultur Mittelasiens tief beeinflußt hat, möchte seine Form des stark politisierten, des „fundamentalistischen" Islams in der Region verbreiten. Es macht aus diesem Ziel keinen Hehl und verbindet wirtschaftliche Hilfe mit religiöser und politischer Propaganda.

Sowohl der Westen als auch die Türkei mußten sich auf die neue Situation erst einstellen, ein Prozeß, der längst nicht abgeschlossen ist. Es ist auch ein Lernprozeß, denn um die vielen Völkerschaften des einstigen Sowjetreiches hatte man sich vor dem Zerfall der Sowjetunion kaum gekümmert. Dabei entdeckten manche politische Beobachter überrascht, daß die türkische Welt, die sich vom Balkan bis nach China hinzieht, einen wahrhaften Kosmos darstellt, der weitgehend unbekannt geblieben ist. Nur einige wenige Spezialisten hatten sich mit den dortigen Verhältnissen befaßt. Dies gilt sogar für die Türkei selbst. Zwar beschworen türkische Politiker immer wieder die brüderlichen Bande, die zwischen den Türken der Türkischen Republik, Mittelasiens und des Kaukasus bestehen; zwar besuchten auch Ministerpräsidenten wie Süleyman Demirel in den sechziger Jahren gelegentlich die eine oder andere der asiatischen Sowjetrepubliken, aber die Bindung blieb doch relativ lose, das Wissen um die türkischen Brüder gering.

Diese relative Abstinenz hat eine Vorgeschichte. Länger als drei Jahrhunderte waren das Osmanische Reich und das zaristische Rußland Erzfeinde gewesen. Zahlreiche Kriege, deren Verlierer in der Zeit des Verfalls zunehmend der Sultan in Istanbul/Konstantinopel gewesen war, hatten das Verhältnis zwischen den beiden Staaten schwer belastet. Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges das universalistische islamische Reich der Türken zusammenbrach und Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) aus seiner Konkursmasse einen modernen türkischen Nationalstaat schuf, setzte er sich bewußt mit dem früheren Angstgegner der’ Osmanen ins Benehmen. Er normalisierte das Verhältnis zu dem mächtigen russischen Nachbarn und setzte sich sogar erfolgreich für freundschaftliche Beziehungen ein. Zwar lehnte er die kommunistische Ideologie ab; aber er anerkannte, daß die Russen wie die Türken dabei waren, ein gesellschaftliches Experiment zu wagen, einen gänzlichen Neuanfang. Hinzu kam, daß er auf jede Form des Pantürkismus verzichtete. Auch mit dieser Haltung setzte er sich von den anderen Jungtürken ab, die in den letzten zwei Jahrzehnten des Osmanischen Reiches starke pantürkische Ambitionen gehabt hatten. Enver Pascha zum Beispiel, der Heeresminister und Befehlshaber der Osmanen im Ersten Weltkrieg, war noch 1922 bei Buchara im Kampfe gefallen, als er dort den militärischen Widerstand der Bevölkerung gegen die Russen organisierte. Dieser Widerstand der Muslim-Völker ist unter dem wenig glücklichen Namen „Basmatschen-Aufstand“ in die Geschichte eingegangen. Mustafa Kemal wollte keine pantürkischen Abenteuer, schon gar nicht militärische. „Yurtta sulh, cihanda sulh -Frieden zu Hause, Frieden in der Welt!“ wurde eine seiner wichtigsten Maximen. Sie gilt auch noch heute.

Die Frage nach einer Neuorientierung des türkischen Geschichtsverständnisses und damit der Politik hat jedoch parallel zum Zerfall des Sowjet-reiches noch eine andere Komponente erhalten. Die noch immer andauernde Balkan-Krise -es ist die dritte in unserem Jahrhundert -hat deutlich gemacht, daß sich die Türkei in irgendeiner Form wieder stärker mit ihrer osmanischen Geschichte identifizieren muß. Man sollte nicht voreilig von einer „Neuauflage“ des Osmanischen Reiches in modernem Gewände reden; doch richtig ist, daß die Kämpfe in und um Bosnien gezeigt haben, wie stark das osmanisch-türkische Erbe in diesen Gebieten siebzig Jahre nach dem Ende der Osmanenherrschaft noch immer ist. Dies könnte noch deutlicher werden, wenn die Kämpfe von Bosnien auf das Kosovo, auf Albanien und Mazedonien übergreifen sollten. Eine solche Ausweitung der balkanischen Wirren ist ziemlich wahrscheinlich. Auch der stärkere Rekurs auf das Osmanische Reich, der sich in der Bevölkerung und in Teilen der türkischen Publizistik schon vor Jahren angekündigt hatte, bedeutet einen gewissen Bruch mit der kemalistischen Tradition. Nach dem Willen Atatürks sollte die von ihm neugeschaffene Türkische Republik mit dem Osmanischen Reich nichts mehr gemeinsam haben. Die islamische Universalmonarchie wurde durch die Republik ersetzt; das Kalifat wurde abgeschafft, die Religion von der Politik, getrennt. Westliche Reformen, von der Kleidung über die Sprache und Schrift bis zum politischen und gesellschaftlichen Leben, sollten die Türkei zu einem westlich-zeitgenössischen Nationalstaat machen. Dahinter stand eine philosophische und politische Vision, die von einer gänzlichen Abkehr von allem Osmanischen getragen war. Das Osmanische wurde abgewertet, das Türkische aufgewertet. Die sechs Jahrhunderte währende Epoche des Osmanischen Reiches, in der die Türken im Zeichen des Islams Weltgeltung erlangt hatten, wurde zu einer beliebigen, wenn auch nicht unwichtigen Epoche innerhalb einer umfassenderen türkischen Gesamtgeschichte degradiert. Bei der Schaffung dieser Ideologie, die der neuen Republik zugrunde lag, bediente sich Atatürk unter anderem der Werke Ziya Gökalps (1876-1924), der eine nationale Wende, gepredigt hatte, die man am besten mit den Schlagworten „Türkisierung und Verwestlichung“ zusammenfassen kann. Die Türkei sollte ihre eigene, urtürkische Kultur entwickeln, sich aber ganz in die westliche Zivilisation einfügen, das heißt in die einzige Form von Zivilisation, die es überhaupt gab.

Ob diese historische Wende angesichts der heutigen Verhältnisse ganz geglückt ist, ist schwer zu sagen; bedenkenswert bleibt, daß sich in unseren Tagen infolge weltgeschichtlicher Umwälzungen Themen und Strukturen wieder zu Wort melden, die man historisch für überholt hielt. Die Geschichte ist, entgegen den Behauptungen der Ideologen, wohl offen, aber anscheinend nicht unbegrenzt manipulierbar; sie rächt sich an ihren ideologischen Vergewaltigern.

Doch nun zurück zu den konkreten Entwicklungen in Mittelasien und im Kaukasus. Es sind zunächst einmal fünf Staaten, um die sich Ankara dort kümmern muß, ob es will oder nicht: Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan und Kyrgystan. Tadschikistan gehört nicht zu diesen Ländern, da die Tadschiken zwar Muslime sind, aber der ostiranischen Kultur angehören. Ihre Affinität zu den Persern und der Republik Iran ist größer als zu den Türken. Alle diese Länder sind seit etwa zwei Jahren unabhängig, wobei es in Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan und Kyrgystan vorläufig gelungen ist, ohne größere Turbulenzen und Irritationen einen eigenen Weg zu gehen. In Tadschikistan hingegen herrscht noch Bürgerkrieg, und in Aserbaidschan wird die Konsolidierung eines Regimes durch Machtkämpfe sowie den Krieg um die Enklave Nagornyj Karabach mit Armenien erschwert. In allen Ländern der Region hat sich gezeigt, daß die anfangs sich abzeichnende Entwicklung zu mehr Demokratie ins Stocken geraten ist.

II. Staaten und Völker-Der Kosmos der Türken

Die beiden ethnisch homogensten Turkrepubliken sind vermutlich Aserbaidschan und Turkmenistan. Extrem unhomogen sind dagegen Usbekistan und Kasachstan, mit etwa hundert verschiedenen Ethnien. In Aserbaidschan, mit der Hauptstadt Baku, leben sieben Millionen Menschen, von denen etwa 75 Prozent dem Aseri-Volk angehören. Die Aseri sprechen eine Turksprache, die den Dialekten im Osten der heutigen Türkei sehr ähnlich ist. Türken und Aserbaidschaner haben kaum Verständigungsschwierigkeiten. Da die Mehrzahl der Aseri dem schiitischen Islam anhängt und Iran bis zum Jahre 1828 über große Teile des Kaukasus herrschte, ist auch der iranische Einfluß auf die Aseri immer groß gewesen, doch überwiegt die Hinwendung zur türkischen Kultur. Nicht nur die geographische Nähe, sondern auch die kulturellen Faktoren haben dazu geführt, daß sich die Regierung in Ankara seit Beginn der neunziger Jahre am entschiedensten um Aserbaidschan gekümmert hat. Baku ist von Istanbul aus mit dem Flugzeug in zweieinhalb Stunden zu erreichen; in Gestalt der Exklave Nachitschewan, die zu Aserbaidschan gehört, grenzen beide Länder sogar auf wenige Kilometer aneinander. Neben der Auseinandersetzung um Nagornyj Karabach ist die Teilung Aserbaidschans das größte politische Problem des Landes, denn die Mehrzahl des Aseri-Volkes lebt seit 1828 jenseits des Grenzflusses Araks im Nordwesten Irans, und zwar im Gebiet um Täbris. Wer die Politik Aserbaidschans zwischen Ankara und Teheran verstehen will, muß diese Teilung berücksichtigen. ökonomisch hat Baku lange Zeit vom Öl gelebt, eine Einnahmequelle, die mit Hilfe westlicher Technik neu belebt werden soll.

Turkmenistan ist ein vorwiegend von den nomadisierenden Turkmenen geprägtes Land, die 68 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Diese beträgt freilich nur etwa 3, 5 Millionen. In der Hauptstadt Aschqabad (früher Aschchabad) macht man keinen Hehl aus der Auffassung, daß man sich von Usbekistan bedroht fühle. Überhaupt wird das politische Bewußtsein der Turkmenen davon beeinflußt, daß sie ein kleines Volk sind, umgeben von mächtigen Nachbarn. Die jetzige politische Führung -es ist die alte, vormals kommunistische unter Präsident Saparmurad Niyazow -unterhält deshalb intensive Kontakte mit Rußland und sieht in Moskau immer noch so etwas wie eine Schutzmacht. Mit der Türkei haben die von Schafzucht und Baumwoll-Monokultur lebenden Turkmenen Kooperationsabkommen abgeschlossen, die auch eine Zusammenarbeit auf den Feldern der Erdöl-und Erdgasgewinnung sowie des Transports vorsehen. Das künftige Schicksal Turkmenistans wird mit davon abhängen, ob es gelingt, die Austrocknung des Aral-Sees aufzuhalten oder nicht; sie ist eine Folge der verfehlten Bewässerungstechnik aus der russischen, vor allem jedoch sowjetischen Zeit.

Mit diesem Problem hat auch Usbekistan zu kämpfen, das vom Kreml als wichtigster Erzeuger von Baumwolle ausersehen worden war. Doch im Unterschied zu Turkmenistan hat Usbekistan andere Pfunde, mit denen es wuchern kann: eine Bevölkerung von zwanzig Millionen, von denen die Usbeken alleine 16 Millionen ausmachen. Im Osten des Landes, im Fergana-Becken, wurden Erdölvorräte entdeckt, die ungefähr so groß sein sollen wie diejenigen Kuweits. Manches spricht dafür, daß sich Usbekistan zur führenden Macht in Mittelasien entwickeln könnte. Der gegenwärtige Staats-präsident und frühere kommunistische Parteichef Islam Karimow hat auch keinen Zweifel daran gelassen, daß dies sein Ziel sei. Seine Beziehungen zur Türkei sind gut, doch verhält er sich gegenüber den Nachbarn pragmatisch. Wenn Iran, Pakistan oder China Geld geben, ist es ihm auch recht. Die Usbeken sind ein türkisch-iranisches Mischvolk, auf dessen Staatsgebiet sich mit Buchara und Samarkand die beiden wichtigsten Kulturstädte des islamischen Mittelasiens befinden. Einen islamischen Fundamentalismus allerdings gibt es dort bis jetzt so wenig wie in den übrigen Republiken, Tadschikistan vielleicht ausgenommen.

Wichtigster Konkurrent Usbekistans ist der Nachbar Kasachstan, ein riesiges Land von fast drei Millionen Quadratkilometern, das allerdings nur von 17 Millionen Menschen bewohnt wird. Davon machen die Kasachen nur etwa 6, 5 Millionen aus. Sie haben sich im ausgehenden 15. Jahrhundert von den Usbeken abgespalten und bildeten unter Kassim Beg im 16. Jahrhundert ein Steppen-Imperium, das vorübergehend bis an das Gebiet der Tadschiken im Süden reichte. An diese große Tradition wollen sie heute anknüpfen, doch tun sie sich dabei besonders schwer. Schon die Ausdehnung des Landes, vor allem jedoch die ethnische Vielfalt machen die Schaffung eines autochthonen kasachischen Nationalismus zu einem heiklen Unterfangen. Hinzu kommt, daß die Kasachen nur eine Minderheit im eigenen Staat ausmachen. Die Russen hingegen stellen noch mehr als ein Drittel der Bevölkerung; ihr Einfluß ist sehr viel größer und ihre Fähigkeiten sind wichtig für das Land. Kasachstan hat von allen mittelasiatischen Gebieten wohl am meisten unter russischer, später bolschewistischer Entfremdung gelitten. Gleichwohl sorgt schon seine lange Grenze mit Rußland dafür,daß es zum nördlichen slawischen Nachbarn besondere Beziehungen unterhalten muß. Ein Befürworter dieses besonderen Kurses ist der Präsident Nursultan Nasarbajew, der ökonomisch allerdings auf die Amerikaner und die Japaner setzt. Auch mit Europa will er eng kooperieren, vor allem mit Deutschland, zu dem sein Land schon deshalb gute Beziehungen wünscht, weil etwa eine Million Rußlanddeutsche innerhalb der kasachischen Grenzen leben. Die Regierung in Alma-Ata will die Rußlanddeutschen unter allen Umständen im Lande halten, stellen sie doch einen besonders tüchtigen und zuverlässigen Bevölkerungsteil dar.

Kasachstan ist jedoch noch aus einem anderen Grund ein besonders wichtiger Staat im neu entstehenden Mittelasien: Es beherbergt auf seinem Gebiet Atomwaffen, eine Erblast der früheren Sowjetunion, die dem Land zusätzliches Gewicht verleiht. Zudem hegt das sowjetische Kosmodrom von Leninsk-Baikonur in Kasachstan und steht dort den Staaten der GUS, aber auch westlichen Ländern zur gemeinsamen Nutzung offen. Der politische Umbruch hat die Regierung in Alma-Ata allerdings in so große ökonomische Unsicherheiten gestürzt, daß eine weitere Finanzierung des Kosmodroms schwierig erscheint. Selbst Rußland -es trägt den Löwenanteil der Kosten -kann angesichts seiner schlechten Wirtschaftslage nur einen Teil der Gelder aufwenden, die für den weiteren Erhalt des Kosmodroms notwendig wären. Angesichts der reichen Bodenschätze und der relativ hoch entwickelten Industrie hat Kasachstan für die Zukunft keine schlechten Aussichten, doch hat auch hier die welthistorische Wende zunächst einmal zu einer Verschlechterung der ökonomischen Lage geführt. Groß ist die Gefahr einer Teilung in einen russisch dominierten Norden und einen kasachischen Süden. Eine Wanderungsbewegung gibt es schon.

Sehr schlecht ist auch die ökonomische Lage in Kyrgystan, dem kleinen Staat der Kirgisen zwischen Fergana-Becken und Tien-Schan-Gebirge. Die Kirgisen betrachten sich als Vettern der Kasachen. Noch mehr als Kasachstan und Usbekistan wurde ihr kleines, von nur 4, 5 Millionen Menschen bewohntes Land von der Sowjetregierung als Rohstofflieferant ausgebeutet. Die wenige Industrie, früher oft für die sowjetische Rüstung produzierend, kämpft heute um das Überleben. Trotzdem stellt sich das kleine Kyrgystan dem ausländischen Besucher als das reformfreudigste Land Mittel-asiens dar. In der Hauptstadt Bischkek (früher: Frunse) agiert der junge Präsident Askar Akajew, ein ehemaliger Physiker, in einer Weise, die Respekt abnötigt. Kyrgystan hat als einziges Land der Region die Rubelzone verlassen und eine eigene Währung, den Som, eingeführt. Dies wird die Selbständigkeit Kyrgystans weiter fördern, allerdings auch eine gewisse Isolierung von den Nachbarstaaten, besonders von Kasachstan, bewirken.

Stärker als alle anderen Länder muß Kyrgystan auch die politische Unruhe im benachbarten Tadschikistan fürchten. Der Bürgerkrieg dort ist allerdings ohne die Ereignisse in Afghanistan nicht zu verstehen. Sollte Afghanistan nicht zur Ruhe kommen, werden alle mittelasiatischen Turkrepubliken früher oder später davon betroffen sein. Sie alle sind fragile Gebilde, da ihre Grenzen von den Sowjets nach ihrem Gutdünken gezogen wurden. Sie durchschneiden das Siedlungsgebiet der Völker auf äußerst künstliche Weise. Alle Staaten Mittel-asiens haben potentielle Grenz-und ethnische Konflikte, die bisher trotz einiger kleiner Vorbeben noch nicht eskaliert sind. Dies könnte sich jedoch ändern, falls ihre ökonomische Situation sich weiter verschlechtern sollte.

Dieser Überblick zeigt, wie umfangreich und mannigfaltig die Probleme sind, die sich der Türkei, dem Westen und den anderen potentiellen Partnern in dieser Region stellen. Doch der türkische Kosmos ist damit noch längst nicht durchschritten. Zu den erwähnten Turkvölkern kommen all jene türkisch sprechenden und muslimischen Völkerschaften hinzu, die nicht unabhängig geworden sind, sondern sich auf dem Gebiete Rußlands, der heutigen Russischen Föderation, befinden. Bei den meisten von ihnen sind zumindest Bestrebungen nach größerer Autonomie festzustellen. Der Kosmos der Türken insgesamt reicht geographisch von der Krim bis nach Ostsibirien. In dem Standardwerk „The Islamic Peoples of The Sovjet Union“ von Shirin Akiner werden mehr als hundert türkische oder islamische Völker aufgezählt, wobei nur einige wenige dieser Ethnien nicht dem Islam anhängen, etwa die Jakuten, die Buddhisten oder Schamanisten sind, oder die Tschuwaschen und Gagauzen, die sich zum Christentum bekennen. Die übrigen jedoch sind Muslime mehr oder weniger strenger Provenienz. Zu ihnen zählen: die Krimtataren, die Tataren von Kazan an der Wolga, die Baschkiren, die Karakalpaken, die Kumüken, die Karatschaier und Balkaren, die Kabardiner, die Tschetschenen und Inguschen, die Mescheten, die Tscherkessen, Adyger und Abchasen, um nur die bekanntesten von ihnen zu nennen. All diese Völker erleben heute eine Renaissance ihres kulturellen und politischen Bewußtseins, bei dem eine mehr oder weniger starke Bindung an die Türkei als die einstige Vormacht des Islams zum Tragen kommt. Es wäre allerdings verfehlt, wollte man deshalb schon von einem rabiaten Pantürkismus, gar einer „türkischen Gefahr“ sprechen. Die Türken und Muslime in Rußland wie in Mittelasien müssen erst einmal wieder zu sich selbst finden undihren Platz in der Weltpolitik neu definieren. In gewisser Weise sind sie Teil eines historischen Prozesses, der sich dialektisch interpretieren läßt.

III. Nomadenreiche und russischer Imperialismus

Die vergangenen zwei Jahrtausende mittelasiatischer Geschichte bewegen sich zwischen Aggression und Bedrückung. Bis zum Einbruch des „Westens“, der die Völker der Region in Gestalt der russischen Siedler, Eroberer und Kolonialisten traf, war Zentralasien das „Herzland“ jener eurasischen Steppen gewesen, aus denen immer wieder türkisch-mongolische Reiterheere in die Länder Europas und des Vorderen Orients einbrachen. Die türkischen Hunnen gelangten unter Attila bis zu den Katalaunischen Feldern, die mit ihnen verwandten Magyaren bis zum Lechfeld, die Mongolen bis nach Liegnitz. Unter Dschingis Khan und Timur Lenk erreichten die nomadisierenden Steppenvölker Asiens im 13. und 14. Jahrhundert ihre größte Machtentfaltung. Dschingis, dessen Heere schon zum größten Teil aus Türken bestanden, gründete ein Weltreich, das für kurze Zeit die „pax mongolica“ verwirklichte. Seine Nachfolger herrschten über große Teile des islamischen Orients, dessen Religion sie annahmen, über Ruß-land und über China. Timur, der Samarkand zu seiner Hauptstadt machte, wirkte wie eine Art zweiter Dschingis, so, als wolle er dessen Werk wiederholen. Im Zeichen Timurs sehen denn auch heute viele Völker Mittelasiens ihre jüngste Entwicklung. Dies gilt sogar für das Verhältnis zu den Russen, das für die Völker Mittelasiens schicksalhaft war und es auch bleiben wird. Bis zum Aufstieg des Fürstentums Moskau herrschte die türkisch-mongolische Goldene Horde über die Russen. Dann begann die welthistorisch gegenläufige Entwicklung, Zentral-asien geriet in die Defensive.

Zar Iwan IV., der „Schreckliche“, zerschlug im Jahre 1554 das Khanat von Kazan, zwei Jahre später das von Astrachan. Dies bedeutete einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der asiatischen Völker Rußlands. Die bislang als unbesiegbar eingeschätzten „Tataren“ mußten zurückweichen. In der Folgezeit drangen russische Siedler, Händler und Soldaten nach Sibirien vor. Mit Peter dem Großen setzte zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Welle von Türkenkriegen ein, deren Stoßrichtung nach Süden gerichtet war, auf die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres und gegen das Osmanische Reich. 1783 zerstörte Katharina die Große das Khanat der Krim-Tataren, viele Tataren flohen daraufhin in die Türkei. Seinen Höhepunkt erreichte der russische Kolonialismus freilich erst am 19. Jahrhundert. Unter den Generälen Woronzow, Baratynskij und Paskjewitsch begannen die Russen mit der Unterwerfung der kaukasischen Bergvölker. Die Muslime antworteten mit einem Aufstand, einem „Dschihad“ (heiliger Krieg), der dreißig Jahre dauerte. Er stand unter der Führung des Awaren Schamil und endete erst 1859 mit der Kapitulation der Kaukasier.

Ein zweiter Keil richtete sich nach Südosten. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts drangen russische Heere unter General Kaufmann „auf der Suche nach der sicheren Grenze“, wie Otto Hötzsch es genannt hat, nach Turkestan vor. Diese Eroberungen, die den Zaren in Konflikt mit Großbritannien stürzten, waren in den achtziger Jahren im wesentlichen abgeschlossen. Kaufmann wurde in Taschkent zum Generalgouverneur eingesetzt; Sankt Petersburg beherrschte nun ein muslimisches Gebiet, das bis zur afghanischen Grenze reichte und die früheren Khanate von Kokand, Chiwa und Buchara umfaßte, auch wenn ein Teil der dortigen Herrscher nominell noch an der Macht blieb. Nach der Revolution gelang es den Kommunisten, den Besitzstand des Zaren zu wahren, nun allerdings unter sozialistischen Vorzeichen. Vor allem unter Stalin erlebten die mittelasiatischen Völker ihre schlimmsten Demütigungen. Ihre selbständige Geschichte schien an ein Ende gekommen zu sein.

Mit dem Afghanistan-Krieg (1979-1989) und der Reformpolitik Gorbatschows zeichnete sich ein weiterer Wechsel in der Dialektik der zentralasiatischen Geschichte ab, die schließlich zur Gewinnung der nationalen Unabhängigkeit führte. Durch seine Unterstützung der Mudschahedin in Afghanistan war der Westen, vor allem seine Führungsmacht Amerika, an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt. Die Amerikaner unterstützten die Mudschahedin ungeachtet ihrer islamisch-fundamentalistischen Gesinnung, solange es gegen die Sowjetunion ging; nun besteht die Gefahr, daß ein schwer kontrollierbarer Islamismus auf lange Sicht bei jenen türkischen Völkern Fuß faßt, die ihre Stellung im Gefüge der Weltpolitik neu definieren müssen. Nicht zuletzt um dies zu verhindern, blicken die politischen Führer Mittelasiens -neben Moskau -auf die Türkei, von der sie Hilfe und Unterstützung erwarten. Ankara ist für sie die sozusagen natürliche Anlehnungsmacht. Aus der Sicht des Westens ist das türkische Engagement schlicht lebensnotwendig. Die postkommunistische Welt ist krisenanfälliger als die Welt des Kalten Krieges. Wenn es der pro-westlichen, an Reformen orientierten Türkei gelänge, den Kaukasus und Mittelasien zu stabilisieren, wäre der Weltgemeinschaft damit ein großer Dienst erwiesen.Die entwickelten Industrienationen Europas, dessen östlicher Teil nach der Befreiung vom Kommunismus ebenfalls mit großen politischen und ökonomischen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, leben in unmittelbarer Nachbarschaft zur islamischen Welt, die sich in innerem Aufruhr befindet. Dort werden die modernistischen Kräfte von Islamisten herausgefordert, die eine gänzliche Islamisierung des Lebens und der Politik sowie, auf lange Sicht, auch den Export der islamischen Ideologie verlangen. Mittelasien ist gewissermaßen die Nahtstelle, an der sich beide weltgeschichtlichen Entwicklungen begegnen: der Zerfall des Kommunismus und das Erstarken eines politisierten Islams. Viel wäre gewonnen, wenn laizistische, geordnete und stabile Islam-Staaten sich in Mittelasien wie ein Sicherheitsgürtel zwischen die Industriestaaten und den unruhigen Islam legen würden.

IV. Kann die Türkei ihre neue Rolle erfüllen?

Somit befindet sich die Türkei auf dem Wege zur regionalen Vormacht. Sie ist auch bereit, diesen Part in der Weltpolitik zu übernehmen. In den vergangenen zwei Jahren hat sie beträchtliche Aktivitäten entfaltet, vor allem auf den Gebieten Politik, Wirtschaft und Kultur. Folgende Schritte wurden von der Türkei eingeleitet: 1. In der Politik hat sie umgehend intensive Kontakte mit den Führungen der Turkrepubliken aufgenommen. In allen Hauptstädten Mittelasiens sowie in Baku wurden Botschaften eingerichtet und direkte Flugverbindungen geschaffen. Kooperationsabkommen mit den einzelnen Regierungen wurden abgeschlossen. Fast alle wichtigen Politiker Ankaras haben den neuen Staaten inzwischen offizielle Besuche abgestattet, zuletzt der am 17. April 1993 verstorbene Staatspräsident Turgut Özal. Umgekehrt besuchen die Politiker der „neuen Länder“ häufig die türkische Hauptstadt Ankara; besonders intensiv sind die Kontakte mit Aserbaidschan gewesen. Die jüngste Machtverschiebung in Baku hat das Klima allerdings ein wenig beeinträchtigt. Man muß abwarten, wie sich die Entwicklung in den kommenen Monaten gestalten wird. 2. Auf dem Felde der Wirtschaftspolitik hat Ankara bisher zwei Milliarden Mark für die östlichen Brüder aufgewendet, ein gigantischer Betrag, wenn man den Zustand der türkischen Wirtschaft bedenkt. Neben staatlichen Finanzhilfen ist das private Engagement besonders hoch. Nicht nur bekannte Unternehmen wie die Sabanci-Gruppe oder die Ko-Holding, sondern auch kleinere Firmen haben in Projekte in Mittelasien investiert, allerdings nicht immer erfolgreich. Der Zusammenbruch der alten ökonomischen Strukturen und Verbindungen führt zu teilweise ähnlichen Schwierigkeiten wie im Falle der deutschen Wiedervereinigung. Die östlichen Brüder ihrerseits honorieren die türkische Hilfe mit Zusagen bei der Energieversorgung. Mit Turkmenistan, um nur dieses Beispiel zu nennen, sind umfangreiche Erdgaslieferungen vereinbart worden. 3. Besonders umfangreiche Hilfe leistet die Türkei auf dem Gebiet der Kultur. Viele Jahrzehnte waren die früher selbstverständlichen Kontakte abgerissen gewesen, so daß sie jetzt erneuert werden müssen. Dies ist um so schwieriger, als sich die Türkische Republik und die Gebiete Mittelasiens in diesem Jahrhundert auch kulturell auseinander-entwickelt haben. Seit dem vorigen Jahr sendet das türkische Fernsehen im Rahmen des „Eurasia-TV" ein Programm, das bis nach Singkiang in China empfangen werden kann. Sinn und Zweck dieser Sendungen ist es, die Türken Mittelasiens mit dem modernen Türkeitürkischen, aber auch mit den Lebensverhältnissen und mit dem politischen System der kemalistischen Türkei vertraut zu machen. Über die Akzeptanz dieses Programms im Kaukasus und in Mittelasien liegen noch keine systematischen Untersuchungen vor, doch sind die Schwierigkeiten, etwa sprachlicher Art, größer, als viele meinen. Einmal sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Türksprachen stärker, als die Pantürkisten dies wahrhaben wollen; zum andern hat sich das moderne Türkeitürkisch in diesem Jahrhundert so radikal gewandelt, daß es mit dem alten Türkisch-Osmanisch nicht mehr viel zu tun hat, besonders beim Wortschatz. In die Turksprachen des Ostens sind überdies viele russische Wörter eingedrungen, in das Türkeitürkische viele englische und französische.

Ein weiteres Problem ist die Umstellung bei der Schrift. Die Türkei will helfen, das Lateinalphabet durchzusetzen. Zu seiner Einführung sind alle Regierungen in Mittelasien prinzipiell entschlossen, doch verläuft die Entwicklung eher langsam. Am größten ist das Tempo in Aserbaidschan. In Kasachstan wird im staatlichen Fernsehen ein Kurs in arabischer Schrift ausgestrahlt. Man schreibt in diesem Kurs das Kasachische mit arabischen Lettern. Auch in Usbekistan ist die Neigung, das arabische Alphabet zumindest zu unterrichten, nicht gering. Dies hat gewiß damit zu tun, daß Buchara und Samarkand immer große Zentren der islamischen Gelehrsamkeit gewesen sind. Ansonsten verwenden alle Turkrepubliken nach wie vor das kyrillische Alphabet; noch für lange Jahre wird dasRussische als gemeinsame Verkehrssprache in der Region dienen, nicht nur, weil man noch Russen im Lande hat, sondern auch, weil die Angehörigen der vormaligen Nomenklatura oft ihre eigene Sprache nicht können; sie wurden sprachlich ganz russifiziert. Sprache und Schrift sind jedoch die wichtigsten Faktoren bei der Stärkung des kulturellen Bandes zwischen den türkischen Völkern.

Umgekehrt müssen die Türken in der Türkei sich verstärkt um die Erforschung der übrigen Turksprachen bemühen. Allgemein kann man die Frage stellen, ob so etwas wie ein türkisches Esperanto geschaffen werden soll, oder ob man die jetzt existierende Ausdifferenzierung beläßt, wie sie ist, und das Türkische zusätzlich unterrichtet. Die Frage ist nicht akademisch, sondern betrifft die kulturelle Substanz aller Völker, die Schriftsteller, Dichter und Wissenschaftler. Ankara hat bereits Tausende von Stipendien an mittelasiatische oder kaukasische Studenten vergeben; es wird freilich Jahre dauern, bis diese Absolventen türkischer Hochschulen ihre Ausbildung in der Kultur oder im Rechtswesen, in der Politik oder in der Religion fruchtbar machen können.

Sicher ist allerdings, daß die türkische Hilfe auf kulturellem Gebiet am effektivsten sein kann. Ökonomisch stößt die Türkei schon jetzt an Grenzen, die sie nicht übersteigen kann. Sie ist ein Schwellenland, das in der Ära Özal zwar große Fortschritte gemacht hat, aber trotzdem nur über eingeschränkte Mittel zur Hilfe verfügt. Hinzu kommen innenpolitische Schwierigkeiten. Das ungelöste Kurden-Problem belastet das Land politisch wie finanziell über Gebühr. Die Ereignisse auf dem Balkan erfordern die ungeteilte Aufmerksamkeit der Türken, ebenso die Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien. Wahrscheinlich sind die Schwierigkeiten zu groß und zu vielfältig für die Regionalmacht Türkei, so daß sie bei der Aufgabe, die Staaten Mittelasiens in ein berechenbares politisches System zu integrieren, auf westliche Hilfe angewiesen ist.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Wolfgang Günter Lerch, geb. 1946; seit 1978 Mitglied der politischen Redaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und zuständig für die Entwicklungen in der islamischen Welt. Veröffentlichungen zur Türkei, zum Islam und dem Nahen und Mittleren Osten.