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Unabhängige Universitäten in einer freien Gesellschaft | APuZ 25/1994 | bpb.de

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APuZ 25/1994 Artikel 1 Das gesamtdeutsche Haus für Forschung und Lehre Die Hochschulen in Ostdeutschland vor und nach der Einigung Universitäten im politischen Rahmen Unabhängige Universitäten in einer freien Gesellschaft

Unabhängige Universitäten in einer freien Gesellschaft

Konrad Schily

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Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs sozialistischer Gesellschafts-und Wirtschaftssysteme kommt in der Bundesrepublik Deutschland niemand auf den Gedanken, die Verstaatlichung einzelner Industriezweige oder gar der gesamten Industrie zu fordern. Vielmehr wird einer Privatisierung bislang staatlicher Bereiche wie Bahn und Post das Wort geredet. Am staatlichen Hochschulsystem nimmt demgegenüber kaum jemand Anstoß, mehr noch -es soll mit denselben Methoden kuriert werden, die sich bei den sozialistischen Systemen als untauglich erwiesen haben. Vor diesem Hintergrund wird für den Rückzug des Staates aus allen kulturellen, bildenden und künstlerischen Einrichtungen und deren Überführung in freie, wirtschaftlich und rechtlich eigenständige Einrichtungen plädiert. Gefragt ist in der Zukunft -auch in den Bereichen der Bildung -die lernfähige Organisation. Lernen kann aber nur jeder für sich selbst, in eigener Verantwortung.

I. Privat organisierte Wirtschaft, aber staatliche Bildung

Zuerst wurden im Sozialismus die landwirtschaftlichen Betriebe verstaatlicht, später die der Verarbeitenden Industrie und des Handels. Und im Verlaufe einiger Jahre gewöhnte sich die Bevölkerung daran, daß es beim Bäcker nur noch eine Sorte Brot gab, und die nicht immer. Bei den übrigen Geschäften verhielt es sich noch schlimmer: Die einen waren darauf spezialisiert, keine Hemden oder keine Bettücher -oder was jeweils nachgefragt wurde -zu haben, oder führten im Schuhgeschäft nur braune Schuhe der Größe 36, was nur für den kleineren Teil der Bevölkerung eine passende Größe war.

Dabei war dieses System erfunden worden, um die Bevölkerung mit den lebensnotwendigen Gütern zu versorgen und sozial gerechte Verhältnisse zu entwickeln. Aber so schlecht, wie es um die allgemeine Versorgung bestellt war, verhielt es sich auch mit der versprochenen sozialen Gerechtigkeit. Einige wenige konnten sich alles leisten, verfügten über begehrte ausländische Luxusgüter und hatten Zugang zu Geschäften, in denen alles zu haben war, in denen man aber nur mit ausländischer Währung einkaufen konnte. Dieser Sachverhalt, obwohl er jedem vor Augen lag und alle ihn täglich am eigenen Leibe erfuhren, durfte öffentlich nicht ausgesprochen werden, und noch gefährlicher war es, öffentlich darüber nachzudenken, ob diese Zustände im System begründet seien.

Vor diesem Hintergrund käme bei uns keiner auf die Idee, einem notleidenden Wirtschaftszweig -selbst in der allgemeinen Rezession -die Verstaatlichung eines Industriezweiges vorzuschlagen oder gar die Verstaatlichung der gesamten Industrie zu fordern. Vielen ist es ohnehin unheimlich, wie weit der Staat bereits z. B. durch Subventionen in das wirtschaftliche Geschehen eingreift.

Die gleichen Menschen aber, die dem Staat empfehlen, sich aus der Wirtschaft herauszuhalten und einer Privatisierung von Bahn und Post das Wort reden, sehen in staatlich betriebenen Schulen und Hochschulen das Heil der Welt. Sie wissen, daß die freie Marktwirtschaft ein vielfarbiges und reichhaltiges Angebot hervorbringen kann, und sie begeistern sich gleichzeitig für Einheitsschulen, Klassennormen, Zentralabitur, Curricularnormrichtwerte, Kapazitätsverordnungen, Soll-und Pflichtstundenzahlen der Lehrer und Hochschullehrer usw. Sie glauben, daß die staatliche Einheitskost von genehmigten Lehrbüchern, die in vorgeschriebenen Zeitabständen von Schülern unter der Aufsicht ihrer Lehrer zu konsumieren seien, die Kreativität und Phantasie der Kinder beflügeln würde. Einige glauben auch daran, daß man sich im Parlament (wo denn sonst?) darüber verständigen müsse, was jeder Studierende an einer Hochschule über sein Fach hinaus zu lernen habe; das Ganze nennt man dann Kerncurriculum.

Wieder steht dahinter die ernstzunehmende und zu bejahende Sehnsucht nach einer allgemeinen sozialen Gerechtigkeit, nach Chancengleichheit, der Wunsch, daß alle das Brot der Bildung genießen möchten -und sei es um den Preis des einheitlichen Brotes. Die anderen sagen, und auch diese kann man völlig verstehen, daß die Wirtschaft funktionieren müsse, denn sie stelle immerhin die Grundversorgung unseres menschlichen Lebens dar. Also hätte auch der Bildungsbereich den wirtschaftlichen Bedürfnissen zu dienen, und es werden dem Staat bestimmte Maßnahmen empfohlen, z. B. sich auf die Bedarfslage der Wirtschaft einzustellen, die Studierenden als „marktfähige Produkte“ zu entlassen.

So schreibt denn auch Professor Joachim Starbatty in einem Artikel im Rheinischen Merkur vom 27. März 1992: „Wir sind Zuschauer eines bemerkenswerten Schauspiels: Der erste Akt zeigt das Zusammenbrechen sozialistischer Systeme. Im zweiten lernen wir die Ursachen dafür kennen und erfahren, wie schwierig es ist, den sozialistischen Schutt im Osten beiseite zu räumen. Im dritten Akt versucht ein großes westliches Industrieland, sein Universitätssystem mit eben den Methoden zu kurieren, die gerade so jämmerlich versagt haben. Im vierten Akt kollabiert dieses System, und im fünften Akt stellen wir fest, wie schwer es zu sanie ren ist, weil die Metastasen einer verfehlten Hochschulpolitik den gesamten volkswirtschaftlichen Körper durchdrungen haben.“

II. Wege zur Sanierung des Bildungssystems

Die Sanierung ist aber nicht nur wegen der „volkswirtschaftlichen Metastasenbildung“ so kompliziert, sondern die Schwierigkeit liegt auch darin, daß wir Bildung, insbesondere die Schul-und Hochschulbildung, seit jetzt über 600 Jahren in Deutschland als eine staatliche Aufgabe ansehen. Die inhaltlichen Probleme des deutschen Universitätswesens lassen sich weit in die Jahrhunderte zurückverfolgen, und „die Probleme des deutschen Hochschulsystems zu Beginn der neunziger Jahre harren weiterhin ihrer Lösung... Das Hochschulwesen ist -vielleicht anders als andere gesellschaftliche Bereiche -beharrlich und weniger empfänglich für den Wandel von externen Werten, Kulturen und politischen Prozessen. Und all jene, die das Hochschulsystem ändern könnten, sind in dieses System, in dessen interne Prozesse, Werte, Kulturen und Politik irgendwie involviert. Somit vollzieht sich ein Wandel im Hochschulsystem nur langsam, und Ungeduld zahlt sich nicht aus. Vielleicht muß man in der Bundesrepublik Deutschland über die Hauptprobleme des Hochschulwesens zuerst einen Konsens finden, bevor Diskussionen über Lösungen dieser Probleme beginnen können.“ 1. Was Bildung ist Voraussetzung eines solchen Grundkonsenses wäre, daß wir die Bildung begreifen als etwas, das auf das engste zusammenhängt mit unserer Person, mit dem Individuum. Bildung ist einer jener Begriffe, mit denen wir etwas zusammenfassend beschreiben wollen, was wir an einzelnen Personen wahrnehmen. Es hat etwas mit der ganzen Persönlichkeit zu tun, wobei sich der Blickwinkel unserer Wahrnehmung in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Wohl bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein verstand man darunter vorwiegend akademisches Wissen und formale Kenntnisse. Heute verbinden wir mit dem Begriff Bildung eher Erfahrung, Sprachfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Weite des inneren Horizontes.

Wir reagieren darauf, daß enzyklopädisches Wissen nachgeschlagen werden kann oder über den Computer abrufbar geworden ist und zukünftig immer leichter zugänglich sein wird.

Weil Bildung etwas über die ganze Person aussagt, erwerben wir sie nicht nur in der Schule, der Hochschule oder in der praktischen Ausbildung, vielmehr ist sie ein Ergebnis der eigenständigen Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt und mit seinem Schicksal.

Bildung ist nicht zu erreichen durch Fortlassen von Wissen und sie ist nicht zu erreichen durch Zäune, die die besorgte Hochschulverwaltung oder Bildungspolitiker errichten, um die Hochschüler in der angemessenen Zeit auf dem richtigen Weg -dem Curriculum -durch die Universitäten zu lenken. Das ist Profilvorgabe mit einem Raster und eben keine Bildung: Bildung als individuelle geistige Formung der Persönlichkeit, die nur durch die Selbsttätigkeit, gefördert durch Anregung, nicht aber Konditionierung, möglich ist. Die Bildung des Akademikers besteht nicht im Wissen, viel wissen, besser wissen oder alles wissen -sie entsteht durch die Schritte der Selbsteinschätzung und Selbsteinsicht, also erkennende Arbeit, die der Student durch „Studium“ vollbringt, mehr ist es nicht. Aber es ist auch um keinen Deut weniger. Ein so verstandenes Studium bildet in uns eigene Urteilsfähigkeit, Einsicht und auch Willensfähigkeit, denn wir sind dabei auf uns allein gestellt, und nur aus uns selbst heraus können wir diese Fähigkeiten entwickeln.

Bildung ist der zentrale Vorgang eines wirklichen Universitätsstudiums. Die Studierenden werden zu dieser eigenen Tätigkeit veranlaßt, in dem sie auf einen lebendigen Geist in der Universität treffen. Und der lebendige Geist ist das Herzstück einer jeden Universität und eigentlich einer jeden Bildungseinrichtung. Verlieren sie diesen lebendigen Geist, sinken sie hinab in die reine Spezialisierung, erzeugen sie Fachidioten, werden sie geistig unmündig, wie Karl Jaspers ausführt: „Unsere Aufgaben sind die Wissenschaften. Es gilt als selbstverständlich, daß die Wissenschaften mit ihren in Lehrbüchern dargebotenen Ergebnissen gelernt und in den Examinas geprüft werden, daß sie nützlich sind für eine Reihe von Berufen, die akademischen Berufe, und daß jeder sich seinen Beruf und die dazugehörende Lehre wählen kann. In einem geordneten Studienplan lernt man in der gehörigen Reihenfolge, was man braucht. Um das übrige kümmert man sich nicht. Die Universität ist ein Aggregat von Fachschulen. Dieser Zustand nun, obgleich er eine Realität ist, und diese Auffassung,obgleich sie verbreitet ist, sind der Tod des lebendigen Geistes der Universität.“

Wir verteidigen das Ideal der Freiheit in der Kultur und in der Bildung und glauben auf der anderen Seite, daß wir mit den Kategorien des Rechtes und der Wirtschaft die Bildung ausreichend beschreiben könnten. Diese Kategorien sind zwar in der Bildung nicht aufgehoben, aber sie haben untergeordneten Charakter. Und da die Kategorien des Rechtlichen und Wirtschaftlichen sich den Kategorien der Bildung unterzuordnen haben, müssen die Bildungseinrichtungen selbständig sein. 2. Für die Selbständigkeit unserer Bildungseinrichtungen Wenn Bildungseinrichtungen als gewinnorientierte Unternehmen geführt werden, diktiert das wirtschaftliche Prinzip und die Qualität der Bildung wird auf der Strecke bleiben. Führe ich die Bildungseinrichtungen unter staatlicher Verwaltung als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ oder in ähnlicher Rechtsform, wird aus der Sache heraus die Form über den Inhalt regieren, wird das rechtliche Verfahren wichtiger sein als die innere Spannung der Erkenntnisgewinnung. Dabei birgt die staatliche Verwaltung darüber hinaus immer noch die Gefahr, daß politische Interessen, d. h. private oder Gruppeninteressen, sich durchsetzen und so -oft nicht offenkundig, sondern verdeckt -die öffentliche Aufgabe der Bildung „privatisiert“ wird. Und auch dies ist kein neues Phänomen: „Die Vorgaben des preußischen Kultusministeriums erstreckten sich im Fach Philosophie jedoch nicht allein auf den politischen Bereich. So genossen philosophische Richtungen, die im Geruch des Atheismus standen, keinerlei Förderung. In der Ära Althoff betraf dies nicht nur die Anhänger Schopenhauers, sondern seit der Jahrhundertwende auch die Jünger Nietzsches. Diese ministerielle Haltung wurde von den meisten Gelehrten geteilt, welche den unwissenschaftlichen Charakter der Gedanken beider Philosophen kritisierten. Noch schärferer Widerspruch regte sich bei den Theologieprofessoren...

Hält man sich die geschilderten Fälle offenkundiger Benachteiligung jüdischer, sozialdemokratischer und areligiöser Philosophen vor Augen, so wird man Max Webers skeptische Beurteilung des deutschen Universitätsbetriebes teilen. Angesichts der Behandlung des sozialdemokratischen Soziologen Robert Michels, der in Marburg und Jem nicht zur Habilitation zugelassen wurde, konsta tierte er 1908 in einem Leserbrief an die Frankfurter Zeitung: , Tatsache ist doch, daß die angebliche Lehrfreiheit offenkundig 1) an den Besitz politisch hof-und salonfähiger Ansichten und überdies 2) daran geknüpft ist, daß man ein bestimmtes Medium kirchlicher Gesinnung betätigt und, eventuell, erheuchelt. In Deutschland besteht die Freiheit der Wissenschaft innerhalb der Grenzen dei politischen und kirchlichen Hoffähigkeit, außerhalb derselben nicht.“

Aus diesem Zitat wird verständlich, warum Du Bois-Reymond die deutsche Professorenschaft als das „geistige Leibregiment der Hohenzollern" bezeichnen konnte. Es wird auch verständlich, warum die Nationalsozialisten bereits im April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Kraft setzten, das Entlassung aller oppositionell eingestellten und aller jüdischen Lehrer bestimmte. Von diesem Gesetz war fast jeder fünfte Hochschullehrer betroffen; in Berlin waren es 32 Prozent des Lehrkörpers. Durch die Staatlichkeit hatte die nationalsozialistische Regierung auch sofort die Macht über die Universitäten und konnte dieses Gesetz -unterstützt von einem großen Teil der Professorenschaft -nahezu widerstandslos noch im Verlaufe des Jahres 1933 durchsetzen. Die wenigen freien Schulen dagegen leisteten zäh und hinhaltend bis weit in die dreißiger Jahre hinein oft bis zu ihrer Auflösung oder ihrem Verbot Widerstand gegen dieses Gesetz.

III. Ergebnis: Vielfalt statt staatlich verordneter einheitlicher Bildung

Mit dem Rückzug des Staates aus allen kulturellen, bildenden, künstlerischen Einrichtungen und ihrer Überführung in freie, wirtschaftlich und rechtlich eigenständige Einrichtungen würden diese zum ersten Mal in ihrer Geschichte den aufrechten Gang üben. Selbstverständlich würden sie auch Fehler machen, aber Fehler, aus denen sie lernen, die sie selber korrigieren könnten und die sie kräftigen würden. Dabei könnten sie durchaus vorerst weiter vom Staat alimentiert werden, nur dürfte die öffentliche Haushaltsordnung für sie nicht mehr gelten, sondern die Gelder müßten unter die eigene Hoheit der Einrichtung gelangen. Je eigenständiger sich Einrichtungen entwickeln, um so mehr werden sie sich jeweils voneinander abheben und um so deutlicher wird sich die Gesellschaft in ihren unterschiedlichen Facetten in den Bildungseinrichtungen spiegeln, und auch die überraschende, die wirklich neue Lösung hätte eine Chance.

Merkwürdigerweise scheinen in einem solchen System die sozialen und die wirtschaftlichen Anliegen besser zu befriedigen zu sein, als dies gegenwärtig der Fall ist. Aus der Wirtschaft heraus notwendige, aber vielleicht nur vorübergehend notwendige Spezialisierungen können unschwer eingerichtet werden, ohne daß es großer curricularer Abstimmungen, Bewertungen und des Beschlusses der Kultusministerkonferenz bedarf, und sie können ebenso unkompliziert wieder aufgegeben werden, wenn das Bedürfnis nach dieser Spezialisierung nicht mehr besteht. Die wirtschaftlich schwach gestellten Studierenden hätten die Möglichkeit, z. B. über Bildungsgutscheine, die Hochschule ihrer eigenen Wahl aufzusuchen.

Um es noch konkreter zu fassen: Die europäischen Länder sind übereingekommen, gegenseitig ihre Berufsabschlüsse anzuerkennen. Dies müßte für die deutschen Bundesländer ebenso möglich sein ohne das komplizierte, zeitraubende und zermürbende Verfahren durch die Kultusministerkonferenz. Die einzelnen Bundesländer könnten die Hochschulen oder Fachhochschulen als Stiftungseinrichtungen in die Selbständigkeit entlassen und mit entsprechenden Haushaltszusagen für die kommenden Jahre versehen. Der Staat würde sich auf die Rechtsaufsicht zurückziehen und dem Recht auch ohne Ansehen der Person zur Durchsetzung verhelfen. Die Parteien aber müßten sich davon verabschieden, die obersten Lehrer der Nation zu sein und die Bildungsdebatte im Parlament zu führen. Die Debatte würde sich in die Einrichtungen selbst verlagern. Unterschiedliche Konzeptionen würden dabei in Wettbewerb treten; aber nur die bunte Wiese gibt vielen Arten eine Chance, die Monokultur ist anfällig für die Schädlinge und führt zur Erosion des Bodens.

Was heißt nun konkret: die Debatte verlagert sich in die Einrichtungen -in unserem Falle in die Universitäten? Es bedeutet, daß die Mittel und Wege aus den vielfältigen Notständen selbst, sozusagen vor Ort, gesucht werden müssen. So lange diese strukturellen Bedingungen der eigenen Verantwortlichkeit nicht eintreten, können die Hochschulen in ihrer Gesamtheit nur nach immer mehr Geld rufen.

Sobald die einzelne Hochschule sich aus einer Einrichtung des Landesministeriums in eine eigenständige Firma wandelt, ist sie gehalten -ihre Ziele selbst zu setzen und verständlich zu formulieren;

-ihre Struktur bzw. Verfassung entsprechend zu entwickeln;

-ihre Mittel auf die Ziele hin zu optimieren;

-nicht mehr einfach in „Stellen“, sondern in Geld zu denken;

-die Zielerreichung selbst zu kontrollieren und aus dem Ergebnis Änderungen herbeizuführen; -entsprechende Verträge mit dem Land abzuschließen, auf dessen Einhalt dieses achten muß.

Eine gewisse Übergangsperiode muß den Universitäten gewährt werden. Und ein Fortfall der staatlichen Finanzierung muß nicht eintreten, wenn nicht völlig neue Finanzierungswege in Zukunft gefunden oder vereinbart werden. Aber schon die Austauschbarkeit der Haushaltstitel und die Übertragung von Geldern von einem Kalenderjahr in das nächste haben in den Universitäten, denen diese Möglichkeiten gewährt wurden, Erleichterung geschaffen. Nur an dem Grundsatz, „daß die Aufgabe zu finanzieren ist und nicht die Institution“ (Dieter Simon) und daß die Finanzierung längerfristig, aber nicht auf Dauer sein muß, ist festzuhalten.

Diese Grundsätze gelten für die Einrichtung insgesamt, sie gelten aber auch für die Glieder der Einrichtung, also für die Fakultäten, die Institute usw. Die Universität könnte etwa -und müßte es wohl auch, wenn sie ihre Ressourcen nicht vergeuden wollte -festlegen, daß diejenigen, die z. B. Anglistik studieren wollen, des Englischen mächtig sein müssen. Sonst würde sie die forschenden und lehrenden Professoren für Anfängerunterricht einsetzen, was mit Sicherheit eine Vergeudung von Mitteln wäre.

Das Ziel aber bleibt Forschung und Lehre im Zusammenhang mit der Gesellschaft und der Umwelt. Die Einrichtung, die diese Ziele hochhält und aus den inhaltlichen Vorgaben das wirtschaftlich richtige Verhalten und die entsprechenden sozialen Strukturen entwickeln kann, wird die größte Zukunft haben -auch weil sie zukünftige Strukturen und Inhalte teilweise antizipieren wird.

Dabei werden die Formen, Curricula, die Prüfungsordnung, die einzelnen Studieninhalte beweglich bleiben müssen, denn die Universität soll wissenschaftliche Methoden vermitteln und nicht Inhalt tradieren. Dies gilt besonders in einer Zeit, in der die „mittlere Halbwertzeit“ des positiven Wissens kürzer und kürzer wird.

Wäre es möglich, daß die allseits beklagte Konzeptionslosigkeit, die fehlende Kreativität und Bürgerfähigkeit ein Ergebnis unseres verrechtlichten und standardisierten Bildungsbereiches ist? Und werden wir uns auf das sogenannte Informationszeitalter nicht nur technisch vorbereiten, sondern werden wir nicht auch Kreativität, Flexibilität und vor allem überschauende Urteilskraft jeweils eigenständig entwickeln müssen? Ich meine ja!

Aber schwerfällige, bürokratisierte Einrichtungen werden wenig Hilfe dafür bieten. Gefragt ist in der Zukunft die lernfähige Organisation -auch in den Bereichen der Bildung. Lernen aber kann nur jeder für sich selbst, in eigener Verantwortung. Überall dort, wo die Dinge in diese Richtung hin geordnet sind, entwickeln sie sich fruchtbar. Ein Beispiel ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in der Wissenschaft sich weitgehend selbst regiert.

Hoffen wir, daß die Gesellschaft in Zukunft zu sich selber findet, als eine Gesellschaft freier Bürger in einem freien Rechtsstaat mit einem freien Bildungswesen!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Hochschulpolitik im internationalen Vergleich, Gütersloh 1993, S. 96.

  2. Karl Jaspers, Vom lebendigen Geist der Universität, Vortrag Heidelberg 1946, in: Vom neuen Geist des Universums, Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46, Schrifttum der Universität Heidelberg, Heidelberg 1947, S. 113ff.

  3. Ulrich Sieg, Althoff und die deutsche Universitätsphilosophie, in: Bernhard vom Brocke (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 299ff.

Weitere Inhalte

Konrad Schily, Dr. med., geboren 1937; Studium der Medizin in Basel, Tübingen, Hamburg; Arzt für Neurologie und Psychiatrie; Gründer und Präsident der Privaten Universität Witten/Herdecke. Veröffentlichungen u. a.: Der staatlich bewirtschaftete Geist -Wege aus der Bildungskrise, Düsseldorf 1993.