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Demokratisierungspolitik als Instrument deutscher Sicherheitsvorsorge | APuZ 26-27/1994 | bpb.de

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APuZ 26-27/1994 Konflikte und globale Kooperation am Ende des 20. Jahrhunderts Geteilte Sicherheit in Europa? Demokratisierungspolitik als Instrument deutscher Sicherheitsvorsorge

Demokratisierungspolitik als Instrument deutscher Sicherheitsvorsorge

Reinhard Wolf

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Da Demokratien nachweislich keine Kriege gegeneinander führen, haben die Systemtransformationen in Mittel-und Osteuropa für Deutschland eine ungewöhnlich günstige Lage entstehen lassen, die eine Umgewichtung seines sicherheitspolitischen Instrumentariums erlaubt: Beim Schutz vor äußerer Aggression ist die Bundesrepublik längst nicht mehr so sehr auf defensive Maßnahmen im Rahmen von Bündnis-und Verteidigungspolitik angewiesen, sondern kann verstärkt auf eine präventive Politik setzen, die auf die Förderung und Stabilisierung dieser Systemtransformationen abzielt. Im Rahmen einer solchen Demokratisierungspolitik müssen vor allem der Aufbau politischer und wirtschaftlicher Institutionen beratend unterstützt sowie der Übergang zu wirtschaftlichem Wachstum gefördert werden. Dazu sind insbesondere westliche Investitionen in den neuen Demokratien zu forcieren und der westeuropäische Markt für osteuropäische Produkte weiter zu öffnen. Besonderes Augenmerk verdient aus sicherheitspolitischer Perspektive die innenpolitische Entwicklung Rußlands, weil es aufgrund seiner Ressourcen der einzige osteuropäische Staat ist, der im Falle einer gescheiterten Demokratisierung wieder zu einer ernsthaften Bedrohung deutscher Sicherheit werden könnte.

Die demokratischen Revolutionen, die in den letzten Jahren das sowjetische Imperium zum Einsturz brachten, haben in Europa nahezu sämtliche autoritäre Systeme beseitigt. Anders als noch vor wenigen Jahren wird heute die Überlegenheit der liberalen Demokratie westlicher Prägung von fast allen europäischen Regierungen anerkannt. Dieser tiefgreifende Wandel hat auch sicherheitspolitische Implikationen, weil die historische Erfahrung zeigt, daß Demokratien äußerst selten gegeneinander Krieg führen: .. the absence of war between democracies comes as dose as anything we have to an empirical law in international relations“ Daher scheint die Demokratisierungswelle der letzten Jahre die Chance zu bieten, eine dauerhafte Friedensordnung zu etablieren, die nicht so sehr auf internationalen Institutionen basiert, sondern primär auf den innenpolitischen Strukturen der europäischen Staaten.

Der vorliegende Beitrag untersucht, inwieweit eine aktive Demokratisierungspolitik künftig Deutschlands Sicherheit erhöhen könnte. Dabei wird von der wissenschaftlich belegten Erkenntnis ausgegangen, daß Krieg zwischen demokratischen Staaten praktisch ausgeschlossen werden kann Zuerst wird erörtert, welche Folgen ein vollständig demokratisiertes Europa für Deutschlands Sicherheit haben würde. Hierauf folgt im zweiten Abschnitt eine Untersuchung der Instrumente, die zur Förderung und Stabilisierung demokratischer Regime geeignet erscheinen. Abschließend werden Schlußfolgerungen für die deutsche Politik gegenüber Mittel-und Osteuropa gezogen.

I. Sicherheitspolitische Folgen aus deutscher Sicht

Wenn Kriege zwischen Demokratien nahezu ausgeschlossen sind, so bedeutet dies in strategischer Hinsicht, daß demokratisch verfaßte Staaten füreinander Glacis darstellen. Ein Staat, der wie die Bundesrepublik ausschließlich von demokratischen Nachbarstaaten umgeben ist, besäße somit einen natürlichen cordon sanitaire. Das Bedrohlichste, was dieser Staat von seinen Nachbarn befürchten muß, sind politische Subversionsbemühungen und wirtschaftliche Erpressungsversuche Dieser sicherheitspolitische Nutzen eines demokratischen Umfelds impliziert für alle Demokratien und insbesondere für solche, die -wie die Bundesrepublik -gegenwärtig nur demokratische Nachbarn haben, eine Umgewichtung der sicherheitspolitischen Instrumente. Auf der einen Seite gewinnt Demokratisierungspolitik, d. h. die Durchführung von Maßnahmen, die eine Verfestigung oder Erweiterung des demokratischen Umfelds bewirken, an Bedeutung. Für Demokratien entstehen Anreize, die Demokratisierung autoritärer Staaten zu fördern, labile Demokratien möglichst schnell zu stabilisieren und die Verteidigungsstärke der benachbarten Demokratien zu erhöhen, die innenpolitisch stabil sind und automatisch regierte Nachbarn haben

Auf der anderen Seite geht die Bedeutung der traditionellen Instrumente der Sicherheitspolitik in dem Maße zurück, in dem die internationale Umwelt tatsächlich von stabilen Demokratien dominiert wird. Dieser Bedeutungsverlust betrifft zum einen die nationale Abschreckungs-und Verteidigungspolitik gegenüber Nachbarn, von denen Aggressionen nicht zu befürchten sind; er gilt zum anderen auch für zwischenstaatliche Aktivitäten und Institutionen, die der Friedenserhaltung dienen sollen. Rüstungskontrollabkommen und Vertrauensbildende Maßnahmen müssen nicht vereinbart werden von Staaten, zwischen denen militärische Auseinandersetzungen ohnehin ausgeschlossen werden können. Institutionalisierte Beistandsverpflichtungen -seien es Defensivbündnisse oder kollektive Sicherheitssysteme -verlieren für einen demokratischen Staat tendenziell an Nutzen, je weiter er von autoritären Staaten entfernt liegt. Detaillierte Mechanismen zur Prävention von Krisen und Schlichtung von internationalen Streitfällen müssen nicht bereits in spannungsfreien Zeiten vorbereitet werden, weil für Demokratien, die in einen Streitfall verwickelt sind, Zeit genug bliebe, um diese Mechanismen ad hoc aufzubauen oder bedarfsgemäß zu modifizieren Schließlich entfällt auch ein gewichtiges Argument für regionale Integration, wenn Kriege zwischen den beteiligten Staaten auch ohne gegenseitige Einbindung ausgeschlossen werden können, weil sie alle demokratisch verfaßt sind.

Für Deutschland bedeutet die Demokratisierung seiner östlichen Nachbarn einen weitestgehenden Schutz vor militärischen Angriffen. Da die Bundesrepublik nur noch von demokratischen Staaten umgeben ist, ist eine Invasion deutschen Territoriums auf absehbare Zeit praktisch ausgeschlossen. Indes wäre es mehr als voreilig, angesichts dieser günstigen Situation künftig auf die traditionellen sicherheitspolitischen Instrumente zu verzichten. Dagegen sprechen zwei Gründe: die unsichere Zukunft Osteuropas und Deutschlands Sicherheitsinteressen gegenüber Staaten außerhalb Europas.

Die Stabilität der neuen Demokratien in Mittel-und Osteuropa kann noch keineswegs als gesichert gelten. Wirtschaftskrisen und ethnische Konflikte könnten in einigen dieser Länder durchaus zu autoritären Umstürzen führen. Besonders ungewiß erscheint die Zukunft der russi-sehen Demokratie. Infolgedessen ist es keineswegs undenkbar, daß ein autoritäres und revisionistisches Rußland sein militärisches Potential künftig wieder expansiv einsetzen könnte. Trotz der momentan sehr günstigen Lage können deutsche Verantwortliche (noch) nicht davon ausgehen, daß der Faktor militärische Macht in Europa auf Dauer seine Bedeutung verloren hat.

Militärische Bedrohungen aus dem außereuropäischen Raum können ebenfalls nicht ganz ausgeschlossen werden. Sollten autoritäre Staaten in Nordafrika oder Mittelasien in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und weitreichenden Flugkörpern gelangen, ließen sich diese Systeme unter Umständen nutzen für Erpressungsversuche gegen andere Staaten. Folglich erscheint es aus der Sicht europäischer Staaten ratsam, Abschreckungskapazitäten und -garantien aufrechtzuerhalten.

Angesichts dieser Unsicherheiten wäre die Bundesrepublik schlecht beraten, wenn sie auf Verteidigungsvorkehrungen und Beistandsgarantien verzichten würde. Bis auf weiteres bleibt die Mitgliedschaft im westlichen Bündnissystem ein notwendiges Element deutscher Sicherheitspolitik, weil sie Schutz gegenüber allen denkbaren Bedrohungen bietet. Zweckmäßig ist auch die Weiterentwicklung von Vertrauensbildenden Maßnahmen und Krisenmechanismen im KSZE-Rahmen, da sie aus deutscher Sicht verstärkt benötigt würden, falls in den östlichen Nachbarstaaten wieder neue Autokratien entstünden.

Gleichwohl sollte Demokratisierungspolitik in Zukunft ein integraler Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik sein. Die Verbreitung und Stabilisierung der Demokratie in Europa dient in zweifacher Hinsicht der Sicherheitsvorsorge: Erstens bietet die Demokratisierung Europas der Bundesrepublik besseren Schutz für den Fall, daß sich das westliche Bündnissystem auflösen sollte. Zweitens würde die mit der Demokratisierung einhergehende Pazifizierung der europäischen Politik dafür sorgen, daß der Bündnisfall -wenn überhaupt -nur sehr selten eintreten würde. Mithin könnten die NATO-Mitglieder ceteris paribus die Verteidigungsanstrengungen reduzieren und würden kaum noch zu Beistandsleistungen herangezogen werden.

Die gegenwärtige Lage bietet Deutschland also die Chance, seine territoriale Integrität und Freiheit der Eigenentwicklung dauerhaft zu sichern, indem es die Demokratisierung Europas weiter vorantreibt. Die Bundesrepublik müßte dazu eine Politik verfolgen, die auf die Stabilisierung der neuen Demokratien und die Demokratisierung der verbliebenen Diktaturen abzielt. Somit stellt sich die Frage, welche Instrumente hierfür geeignet sind.

II. Instrumente der Demokratisierungspolitik

Es fehlt nicht an Empfehlungen, wie die Ausbreitung der Demokratie gefördert werden könnte. Verschiedene Autoren haben eine Vielzahl von plausiblen Vorschlägen unterbreitet Umfangreiche Forderungskataloge bieten für sich genommen indes noch keine stringente Handlungsanleitung. Hierzu müßten diese Empfehlungen erst auf ihre absolute und relative Wirksamkeit überprüft werden. Dies setzt wiederum eine kohärente Theorie der Demokratisierung voraus, die sich in empirischen Tests bewährt hat. Bedauerlicherweise ist eine solche Theorie noch nicht in Sicht; allerdings gibt es plausible Anhaltspunkte dafür, welche Faktoren Demokratisierung erschweren. Diese Faktoren lassen sich ihrerseits in langfristig und in kurzfristig wirkende unterteilen. Aus diesen Faktoren können dann die Instrumente abgeleitet werden, die langfristig und punktuell am wirksamsten wären. 1. Langfristig wirkende Faktoren und Instrumente Als wichtigste Faktoren, die langfristig die Demokratisierung eines Staates begünstigen, können die folgenden Strukturen und Tendenzen gelten: ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, Marktwirtschaft, eine breite Mittelschicht, soziale Normen und Werte, die individuelle Rechte und Freiheiten betonen, sowie rapides Wirtschaftswachstum. Die Entwicklung der Volkswirtschaft ist der wichtigste Bedingungsfaktor einer dauerhaften Demokratisierung. Das nationale Pro-Kopf-Einkommen ist der Faktor, der in der Demokratisierungswelle der letzten 15 Jahre am stärksten mit der Ablösung von Diktaturen korrelierte. 76 Prozent der autokratischen Staaten, deren jährliches Pro-Kopf-Einkommen 1976 zwischen 1000 US-Dollar und 3000 US-Dollar lag, wurden bis 1989 demokratisiert. Von den 23 Ländern, die Mitte der siebziger Jahre ein Pro-Kopf-Einkommen von über 3000 US-Dollar hatten, wurden damals ohnehin bereits 18 demokratisch regiert. Von den übrigen fünf Staaten wurden bis 1989 zwei zu Demokratien

Die signifikante Korrelation zwischen Demokratisierung und hohem Pro-Kopf-Einkommen ist offenbar auf dessen Sekundärfolgen zurückzuführen. Eine positive Folge eines hohen Pro-Kopf-Einkommens ist zumeist eine breite Mittelschicht. Die Überwindung sozialer Polarisierung ist wichtig, weil ohne sie verteilungspolitische Entscheidungen kaum das nötige Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz finden können. Ohne eine starke Mittelschicht sind zudem Eliten eher in der Lage, ihre soziale Überlegenheit durch politische Herrschaft zu zementieren

Marktwirtschaftliche Ordnung trägt zum Wachstum bei und verhindert die Konzentration wirtschaftlicher Macht in wenigen Händen. Sie ist zwar keine notwendige Bedingung für Demokratisierung, wie nicht zuletzt die Revolutionen in Osteuropa verdeutlicht haben; indes scheint eine Marktordnung notwendig zu sein, um auf Dauer das Wachstum zuzulassen, das zur Stabilisierung einer Demokratie erforderlich ist. Insofern erscheint es nicht als Zufall, daß alle stabilen Demokratien marktwirtschaftlich organisiert sind

Wirtschaftswachstum begünstigt aber auch die Entwicklung individualistischer Normen und Werte. Wohlstand fördert das Selbstwertgefühl, die persönliche Kompetenz, zwischenmenschliches Vertrauen und das allgemeine Ausbildungsniveau -Faktoren, deren Auftreten stark mit demokratischen Gesellschaftsordnungen korreliert. Eine Phase rapiden Wachstums verstärkt nicht nur manche der oben aufgeführten Faktoren, sie erhöht auch die gesellschaftlichen Erwartungen, akzentuiert soziale Spannungen und fördert dadurch die politische Mobilisierung der Bevölkerung. Auf diese Weise entsteht in Autokratien zusätzlicher Druck zugunsten politischer Veränderungen

Langfristig wirksame Faktoren, die hingegen zum Zusammenbruch von Demokratien führen können, sind vor allem: -strukturelles Versagen der Demokratie bei der Erbringung essentieller staatlicher Leistungen, -mächtige antidemokratische Interessengruppen und -attraktive antidemokratische Ideologien.

Von einem grundsätzlichen Versagen einer Demokratie wäre zu sprechen, wenn es ihr auf Dauer nicht gelänge, Wohlstand, Gerechtigkeit sowie innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. Erweist sich der Staat über längere Zeit unfähig zur Erbringung dieser Leistungen, so leidet darunter seine Legitimität.

Solch eine Krise würde verstärkt durch die Existenz starker Interessengruppen, die sich von der Abschaffung der Demokratie Vorteile versprechen. Bei diesen Gruppen kann es sich um unzufriedene Militärs handeln, um wirtschaftliche Eliten, aber auch um ethnische Gruppen, welche ihre Vorherrschaft institutionalisieren wollen.

Die Erfolgsaussichten solcher Gruppen würden steigen, wenn sie zur Legitimierung ihres Vorhabens eine plausible ideologische Alternative zum Liberalismus anbieten könnten. Eine antidemokratische Ideologie würde es erlauben, das Versagen des Staates auf seine demokratische Form zurückzuführen und eine andere Staatsform zu propagieren, die diese Mängel angeblich nicht aufwiese.

Diese beiden Gruppen von Faktoren legen insbesondere die folgenden langfristigen Programme nahe, um die Ausbreitung und Stabilisierung der Demokratie in Mittel-und Osteuropa zu fördern: -Hilfsprogramme für den Übergang zu prosperierenden Marktwirtschaften, -Verbreitung demokratischer Werte und Normen und Hilfe bei der demokratischen Einbindung mächtiger Interessengruppen.

Zentrale Bedeutung kommt dem Übergang zur Marktwirtschaft und der Förderung des Wachstums zu. Fast alle neuen Demokratien in Mittel-und Osteuropa haben ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1000 US-Dollar und 3000 US-Dollar. Damit liegen sie zwar in dem Bereich, in dem der Übergang zur Demokratie möglich ist, aber immer noch deutlich unter dem Pro-Kopf-Einkommen der stabilen Demokratien des Westens Eine Hebung des allgemeinen Wohlstands ist also dringend erforderlich, um die neuen Demokratien in dieser Region zu stabilisieren. Sie ist ferner notwendig, um den Übergang zur Marktwirtschaft erfolgreich zu gestalten. Ohne einen raschen Übergang zu dauerhaftem Wachstum würde der gesellschaftliche Druck steigen, die ökonomischen Reformen abzuschwächen oder zeitweilig auszusetzen

Folgende Maßnahmen des Westens würden diesen Zielsetzungen dienen: Westliche Märkte sollten für Exporte aus dem Osten geöffnet werden, vor allem in den Bereichen Landwirtschaft, Stahl-und Textilindustrie Größere Exportchancen würden den neuen Demokratien mehr Devisen erbringen, um moderne Investitionsgüter einzukaufen. Dem gleichen Zweck dienen die Neuvergabe günstiger Kredite und Umschuldungen oder Stundungen alter Kredite. Noch wichtiger sind oft westliche Förderungsmaßnahmen und Garantien, die Anreize für Direktinvestitionen westlicher Firmen schaffen. Besondere Bedeutung kommt nach wie vor der aktiven Hilfe und Beratung beim Aufbau von Institutionen zu. Dies betrifft nicht allein die langfristige Beratung von wirtschaftlichen und sozialen Institutionen wie dem Bank-und Finanzsystem, Börse und Verbänden, sondern gilt genauso für Rechtssystem und öffentliche Verwaltung. Funktionierende Institutionen sind unverzichtbar für die Schaffung der Erwartungsverläßlichkeit, die private Investoren benötigen.

Die Verbreitung demokratischer Normen und Werte ist wichtig, um antidemokratischen Ideologien frühzeitig entgegenzutreten und um die Stabilität der Demokratie gegenüber wirtschaftlichen und sozialen Krisen zu erhöhen. Dieser Zielsetzung kann eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen dienen, insbesondere -internationale Kontakte und Austauschprogramme, -die technische Unterstützung, Beratung und Ausbildung von unabhängigen Verbänden, Parteien und Menschenrechtsorganisationen, -die Überwachung von Wahlen, -die gezielte Förderung wichtiger demokratischer Persönlichkeiten, -die Beratung beim Aufbau demokratischer Institutionen, -internationaler Druck zugunsten der Respektierung von Menschenrechten, -die Förderung der Verbreitung westlicher Nachrichtenmedien, -Hilfe und Beratung beim Aufbau einer pluralistischen Medienlandschaft sowie -die diplomatische Unterstützung ethnischer Minderheiten, deren Rechte verletzt werden.

Derartige Programme wurden zum Teil bereits in der Vergangenheit von deutschen Parteistiftungen durchgeführt. Diese Organisation der Unterstützung ist jedoch in doppelter Hinsicht problematisch: Zum einen haben die Parteistiftungen in der Regel nur diejenigen Kräfte gefördert, die ihnen im jeweiligen Land politisch nahestanden. Dadurch ergriffen sie zwangsläufig Partei in der politischen Auseinandersetzung. Überdies blieben auf diese Weise demokratische Parteien, die keine deutsche Schwesterpartei hatten, ohne Unterstützung. Zum anderen sind die finanziellen Mittel, die den Parteistiftungen für diese Zwecke zur Verfügung stehen, sehr begrenzt und werden naturgemäß am ehesten gekürzt. Abhilfe könnte hier eine staatlich finanzierte, aber unabhängig geführte Stiftung schaffen, die in der innenpolitischen Debatte der betroffenen Länder vollkommene Neutralität zwischen den demokratischen Kräften wahren könnte. Als Modell einer solchen Stiftung könnte das „National Endowment for Democracy“ (NED) dienen, das sich in den USA bewährt hat

Bei der Einbindung mächtiger Interessengruppen ist primär an die Integration des Militärs zu denken. Die westlichen Demokratien sind hier jetzt schon beratend tätig, vor allem im Rahmen des Nordatlantischen Kooperationsrats. Darüber hinaus könnten die Kontakte zwischen westlichen und östlichen Offizieren auf allen Ebenen durch Besuche und Ausbildungsprogramme intensiviert werden. Ferner wäre es sinnvoll, die Streitkräfte der neuen Demokratien verstärkt in internationale Aktionen einzubeziehen. Die Teilnahme an Missionen zur Friedenswahrung und humanitären Hilfe, wie sie jetzt im Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden“ von der NATO vorgesehen ist, würde nicht nur zusätzliche Kontakte zu westlichen Militärs schaffen, diese Aktionen würden auch zur Professionalisierung dieser Streitkräfte beitragen und damit ihre Entpolitisierung vorantreiben.

Probleme dürfte gelegentlich die Integration der ehemaligen wirtschaftlichen Eliten bereiten. Diese verdankten ihre Position nicht persönlichem Besitz, sondern der staatlichen Postenzuweisung. In vielen Fällen konnte dieser Personenkreis daher auf administrativem Wege ausgetauscht werden. Integrationsprobleme könnten allerdings bei den Leitern derjenigen größeren Staatsbetriebe auftreten, die in der Marktwirtschaft nur mit Subventionen überleben können. Wie sich in Rußland gezeigt hat, können diese Manager ein reformfeindliches Potential bilden und sich in Krisen für die Wiedereinführung autoritärer Herrschaftsstrukturen einsetzen. Diese Gefahr läßt sich z. T. durch gezielte Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen verringern, die ein Gegengewicht schaffen 2. Kurzfristig wirkende Faktoren und Instrumente

Die wichtigsten Faktoren, die kurzfristig die Demokratisierung fördern oder gefährden können, sind innere und äußere Krisen, welche die Akzeptanz der momentanen Staatsform rapide abnehmen lassen. Da gegenwärtig fast alle mittel-und osteuropäischen Staaten einen Demokratisierungsprozeß durchschreiten, sind für diesen Beitrag primär die kurzfristig wirksamen Faktoren von Interesse, die diesen Prozeß hemmen oder umkehren könnten. Besondere Beachtung verdienen in dieser Hinsicht die folgenden Faktoren: -Wirtschafts-und Versorgungskrisen, -Zusammenbruch von Rechtssystem und Polizeiwesen, -ethnische Konflikte, -Expansion oder Intervention einer autoritären Macht sowie -„Schneeball-Effekte“ aufgrund des Zusammenbruchs anderer Demokratien

Der Zusammenbruch des Wirtschafts-, Versorgungs-oder Rechtssystems könnte zur Beseitigung eines demokratischen Regimes führen, indem er diese Staatsform diskreditiert und den Ruf nach einer „starken Hand“ laut werden läßt. Gleichzeitig würde solch ein Zusammenbruch die demokratischen Kräfte verunsichern und dadurch ihre Mobilisierung gegen etwaige Putschisten erschweren. Ethnische Konflikte können die Bevölkerung so weit polarisieren, daß Wahlergebnisse letztlich nur noch die Bevölkerungsanteile der einzelnen Gruppen widerspiegeln. Die mögliche Folge wäre eine politische Konstellation, bei der die ethnische Mehrheit dauerhaft über die Minderheit herrscht, ohne daß die letztere Aussicht auf eine Teilhabe an der Macht hätte. Demokratie würde so zur Diktatur der Mehrheit. Die territoriale Expansion einer autoritären Macht könnte autoritäre Gegner der Demokratie mobilisieren und/oder einer krisengeschüttelten Regierung einen Vorwand bieten, politische Freiheiten und Partizipationsmöglichkeiten einzuschränken. Eine direkte Intervention könnte zur Beseitigung des betroffenen Staates oder zur Etablierung eines Satellitenregimes führen. Eine Verschärfung dieser Krisenfaktoren wäre schließlich zu befürchten, wenn zuvor bereits andere Demokratien zusammengebrochen wären. Di£mög-liehe Folge wäre ein „Schneeball-Effekt“, weil jedes Scheitern einer anderen Demokratie die Reformkräfte entmutigen und ihren Gegnern signalisieren würde, daß auch sie unter Umständen die Rückkehr zur Diktatur durchsetzen könnten.

Diesen Faktoren können andere Staaten bis zu einem gewissen Grad mit gezielten Maßnahmen begegnen. Dafür kommen folgende Instrumente in Frage: -Sofortprogramme zur Abwendung oder Linderung innerer Krisen, -internationale Überwachung der Behandlung von Minderheiten, -Sicherheitsgarantien für bedrohte Demokratien, -Sanktionen gegen Staaten, in denen das demokratische System beseitigt wurde, sowie -Militärinterventionen gegen Putschisten.

Mit punktuellen Hilfsprogrammen könnten akute Versorgungsengpässe beseitigt werden. Auf diese Weise kann die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Regierung und Demokratie wenigstens teilweise gedämpft werden. Die politische Polarisierung entlang ethnischer Trennungslinien läßt sich erschweren, wenn von außen auf die konsequente Respektierung von Minderheitenrechten gedrungen wird. Die KSZE hat auf diesem Gebiet einen wichtigen Schritt getan, indem sie das Amt des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten einrichtete. Der Hohe Kommissar soll frühzeitig vor eskalierenden Minoritätenkonflikten warnen und Lösungsvorschläge unterbreiten. Allerdings geht sein Mandat noch nicht weit genug, bezieht es sich doch nur auf Spannungen, „die das Potential in sich bergen, sich im KSZE-Gebiet zu einem den Frieden, die Stabilität und die Beziehungen zwischen Teilnehmerstaaten beeinträchtigenden Konflikt zu entwickeln“ Manche Minderheitenkonflikte bleiben somit außerhalb der Kompetenz des Hohen Kommissars. Diese sollte daher entsprechend erweitert werden. Außerdem erscheint es ratsam, bei Verletzung von Minderheitenrechten explizit Sanktionen in Aussicht zu stellen.

Diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen werden selten Putschisten von ihrem Vorhaben abbringen, sie könnten aber die Unterstützung für antidemokratische Umstürze verringern. Entscheidend ist dabei ihre frühzeitige und glaubwürdige Androhung. Ist der Umsturzversuch bereits geglückt, werden Sanktionen die neuen Machthaber schwerlich zum Rücktritt bewegen können. Sanktionen müssen daher nach Möglichkeit angedroht werden, noch bevor der Machtkampf entschieden ist, denn nur dann besteht Aussicht, unentschlossene Beamte, Militärs und Privatpersonen zum Widerstand zu bewegen.

Dies bedeutet keineswegs, daß Sanktionen nicht mehr durchgeführt werden sollen, wenn der Umsturzversuch geglückt ist. Vielmehr wären sie auch dann noch sinnvoll, um die Glaubwürdigkeit künftiger Drohungen zu erhöhen und etwaige Nachahmer abzuschrecken. Wirtschaftssanktionen sollten so gestaltet sein, daß sie kurzfristig die Herrschaft der neuen Machthaber gefährden, ohne damit die ökonomische Basis für die Entwicklung einer stabilen Demokratie zu untergraben. Am günstigsten wären somit Sanktionen, die zu vorübergehenden Versorgungskrisen (etwa bei Benzin) führen, jedoch langfristig nicht die Hebung des Pro-Kopf-Einkommens und die Herausbildung marktwirtschaftlicher Strukturen behindern.

Sicherheitsgarantien können Demokratien Schutz bieten, die von autoritären Nachbarn bedroht sind. Ihre Wirksamkeit hängt aber nicht zuletzt von den militärischen Fähigkeiten und perzipierten Absichten der Garantiestaaten ab. Nur wenn die Garantie sowohl dem zu schützenden als auch dem abzuschreckenden Staat glaubwürdig erscheint, kann sie eine Aggression verhindern helfen und das potentielle Opfer ermutigen, mit Entschiedenheit gegen etwaige „fünfte Kolonnen“ vorzugehen. In vielen Fällen wird diese Glaubwürdigkeit schwer herzustellen sein, weil die möglichen Garantiestaaten in der fraglichen Region keine vitalen Interessen haben.

Schließlich bleibt auch noch die Möglichkeit, eine durch Putsch gestürzte demokratische Regierung mittels einer militärischen Intervention wieder emzusetzen. Auch dieses Instrument ist problematisch. Es wäre in den meisten Fällen nicht nur mit hohen menschlichen und finanziellen Kosten verbunden; sein Gebrauch würde in vielen Ländern auch generelle Befürchtungen vor Interventionen fördern, wenn es den intervenierenden Staaten überlassen bliebe, zu definieren, wann ein Putsch vorliegt. Gerade eine deutsche Beteiligung an solchen Interventionen würde in den meisten Ländern Mittel-und Osteuropas als beunruhigend empfunden werden. Militärinterventionen zur Wiederherstellung einer Demokratie sollten daher allenfalls dann unternommen werden, wenn die gestürzte Regierung dazu auffordert und UNO oder KSZE den Eingriff legitimieren.

III. Kosten und Prioritäten*

Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, daß die Demokratisierung Europas die Sicherheit der Bundesrepublik erhöhen kann und daß Instrumente verfügbar sind, um die demokratische Entwicklung zu fördern und zu stabilisieren. Ausgespart blieben bisher die Kostenfrage und ihre Implikationen. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen sind mit Kosten für den durchführenden Staat verbunden. Manche Kosten sind so gering, daß sie kaum ins Gewicht fallen, insbesondere wenn man sie mit den üblichen Ausgaben für Verteidigung vergleicht. Zu diesen preisgünstigen Maßnahmen gehören insbesondere Programme zur Förderung unabhängiger Organisationen und des Austausches von Nachrichten und Ideen, Überwachungsmissionen oder Beratungs-und Trainingsprogramme für den Aufbau demokratischer und marktwirtschaftlicher Institutionen. Andere Maßnahmen können dagegen sehr kostspielig sein. Dies betrifft vorwiegend solche, die auf die Hebung des Pro-Kopf-Einkommens abzielen. Günstige Kredite müssen vom Geberstaat garantiert und subventioniert werden, Marktöffnungen erhöhen die Konkurrenz für heimische Produzenten, Wirtschaftssanktionen beschränken sowohl Import als auch Export. Darüber hinaus können Sanktionen und die Unterstützung von demokratischen Oppositionsbewegungen auch Gegenreaktionen provozieren. Mögliche Folgen sind die Abkühlung politischer Beziehungen und die Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen.

Diese wirtschaftlichen und politischen Kosten erscheinen immer noch relativ gering, vergleicht man sie mit den westlichen Verteidigungsaufwendungen während des Kalten Kriegs. Fraglich ist nur, ob die Kosten der Demokratisierungsprogramme auch in gleicher Weise auf die westlichen Industrienationen aufgeteilt werden wie zuvor die Verteidigungsausgaben. Offenbar ist dies nicht der Fall. So entfielen von den 130 Mrd. DM Hilfsleistungen, welche die westlichen Staaten bis 1992 der GUS zusagten, allein 73, 6 Mrd. DM auf die Bundesrepublik

Diese überproportionale Belastung Deutschlands ist kein Zufall. Sie reflektiert vielmehr die relative Größe seiner Volkswirtschaft, seine geographische Nähe zu Osteuropa und seine wirtschaftlichen Interessen in dieser Region. Deutschland würde von einer erfolgreichen Demokratisierung und wirtschaftlichen Modernisierung Mittel-und Osteuropas mehr profitieren als jede andere westliche Demokratie. Daher ist es nur zu verständlich, daß Deutschlands westliche Partner nicht daran interessiert sind, einen vergleichbar großen Stabilisierungsbeitrag zu leisten wie die Bundesrepublik. Diese Zurückhaltung wird noch verstärkt durch den relativen Umfang der deutschen Volkswirtschaft, der die anderen westeuropäischen Staaten zusätzlich ermutigt, den Großteil der Lasten auf Deutschland abzuwälzen.

Die Bundesrepublik wird ihre Partner deshalb nur dann zu einer umfassenden Demokratisierungspolitik bewegen können, wenn sie eine Führungsrolle übernimmt, die sich in überproportionalen Stabilisierungsleistungen widerspiegelt. Gerade in wirtschaftlicher Hinsicht mehren sich jedoch die Zweifel, ob Deutschland über die Ressourcen verfügt, um diese quasi-hegemoniale Rolle auszufüllen. Dieses Dilemma deutet darauf hin, daß ein umfassendes Demokratisierungsprogramm für den gesamten ehemals kommunistischen Machtbereich unter den gegenwärtigen Bedingungen undurchführbar ist. Infolgedessen kommt es darauf an, die einzelnen Demokratisierungsaufgaben sowohl in programmatischer als auch in regionaler Hinsicht zu gewichten, d. h., es muß unterschieden werden zwischen wichtigen und weniger wichtigen Maßnahmen sowie zwischen wichtigen und weniger wichtigen Staaten und Regionen.

Was die Festlegung von Prioritäten für die unterschiedlichen Demokratisierungsinstrumente angeht, so sollten Ausbildungs-und Beratungsprogramme, Maßnahmen zur Förderung internationaler Kommunikation sowie technische und finanzielle Hilfen für demokratische Organisationen Vorrang genießen. Diese Instrumente weisen gegenüber Krediten, Handelserleichterungen und anderen wirtschaftlichen Hilfsprogrammen mehrere Vorteile auf: Erstens erfordern sie nur einen Bruchteil der Kosten, der bei wirtschaftlichen und finanziellen Leistungen anfällt. Zweitens setzen sie gezielt an dem Punkt an, der den Kern der Demokratisierung ausmacht, nämlich am politischen Prozeß und den ihn bestimmenden Akteuren. Schließlich bieten, drittens, einige dieser Maßnahmen den Vorteil, die politische und wirtschaftliche Kooperation speziell mit Deutschland zu fördern, denn je mehr deutsche und ausländische Partner mit den fremden politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Systemen vertraut werden, desto eher läßt sich vertrauensvoll und effizient Zusammenarbeiten.

Angesichts des kurzfristig erhöhten Bedarfs an kompetenten Beratern können solche Beratungsmaßnahmen natürlich nicht immer sehr wirksam sein. Verschwendung von Steuermitteln ist auch in diesem Bereich nicht auszuschließen Zieht man jedoch in Betracht, wie gering der finanzielle Aufwand dieses Programms in Relation zu klassischen Verteidigungsmaßnahmen ist dann erscheinen solche Verluste nicht als triftiger Einwand gegen den Ausbau dieser Förderungsprogramme.

Wie aber sollen beim Einsatz der anderen, wesentlich kostspieligeren Maßnahmen Schwerpunkte gebildet werden? Welche Staaten sollten vorrangig wirtschaftliche Unterstützung erhalten? Bei welchen Staaten sollte die Bundesrepublik die Kosten diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen in Kauf nehmen, um ihre Abkehr von der Demokratisierung verhindern zu helfen? Im Rahmen einer Demokratisierungsstrategie, die sich als Komponente deutscher Sicherheitspolitik versteht, sollten vor allem die folgenden Kriterien eine Rolle spielen, wenn regionale Schwerpunkte zu bilden sind: -Nähe: Es sollte eher die Demokratisierung eines Nachbarstaates gefördert werden als die eines weit entfernt liegenden. -Gefahrenpotential: Es sollte eher die Demokratisierung eines mächtigeren Staates gefördert werden als die eines schwächeren. -Förderungsbedarf: Es sollten eher instabile Demokratien unterstützt werden als solche, deren Demokratisierung bereits unumkehrbar erscheint. -Kostenwirksamkeit und Demokratisierungspotential: Es sollte eher die Demokratisierung der Staaten gefördert werden, bei denen mit bescheidenem Aufwand viel zu erreichen ist, als die Demokratisierung derjenigen, bei denen selbst kostspielige Maßnahmen erfolglos bleiben könnten. -Wirkung des Schneeball-Effekts: Es sollte eher die Demokratisierung der Staaten gefördert werden, deren Rückkehr zur Diktatur auch die Demokratisierung anderer Staaten gefährden würde, als solcher Staaten, bei denen dies nicht der Fall wäre.

Diese Kriterien legen unter den gegenwärtigen Bedingungen den Schluß nahe, daß eine Demokratisierungspolitik zur Förderung der deutschen Sicherheit in erster Linie den Reformprozeß in Rußland unterstützen sollte. Rußland ist zwar von Deutschland durch einen Gürtel anderer Staaten getrennt, aber letztlich ist es der einzige europäische Staat, der genügend Machtpotential hat, um die Sicherheit Deutschlands und seiner Bündnispartner nachhaltig zu gefährden. Zudem würde ein Scheitern des Demokratisierungsprozesses in Rußland die demokratische Verfaßtheit seiner Nachbarstaaten weitaus stärker bedrohen, als dies in der umgekehrten Konstellation möglich wäre. Dieser Vorrang für die Unterstützung Rußlands sollte nur dann aufgegeben werden, wenn das Land politisch und ökonomisch soweit destabilisiert werden sollte, daß jede Hilfe im Sande versickern würde.

Besondere Unterstützung verdienen ferner die Demokratisierung der Ukraine und Polens. Die spezielle Bedeutung ersterer resultiert aus den Nuklearwaffen auf ihrem Territorium und aus dem latenten Konflikt mit Rußland, dessen Eskalation die Reformen in beiden Republiken und vielleicht sogar über sie hinaus massiv gefährden könnte. Die Förderung der ukrainischen Demokratisierung würde beide Gefährdungspotentiale deutlich abschwächen. Polens Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft verdient besondere Beachtung, weil sein Scheitern vermutlich auch die Reformen in den anderen jungen Demokratien in Frage stellen würde. Polen bringt für diesen Übergangsprozeß günstigere wirtschaftliche und kulturelle Voraussetzungen mit als die meisten GUS-Staaten. Insofern würde ein Zusammenbruch der polnischen Demokratie zweifellos die Reformkräfte innerhalb der GUS-Region entmutigen und ihre Gegner stärken. Ähnliche Folgen könnte natürlich auch ein Kollaps der tschechischen oder ungarischen Demokratie haben. Beide Staaten haben jedoch ein so hohes Pro-Kopf-Einkommen, daß die wirtschaftliche Basis für eine stabile Demokratie ohnehin schon sehr gut ist. Überdies werden sie bereits jetzt von privaten Investoren so bevorzugt, daß eine gezielte staatliche Förderung nicht mehr so dringlich erscheint.

Allen übrigen Staaten im ehemals sowjetischen Machtbereich sollte deutsche Demokratisierungspolitik eine niedrigere Priorität einräumen. Die baltischen Republiken haben zwar in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht relativ gute Voraussetzungen für Reformen; angesichts ihrer geringen Größe sind sie für die deutsche Sicherheit aber nahezu ohne Bedeutung. Außerdem werden sie bereits von den skandinavischen Ländern nach Kräften unterstützt.

Relativ schlecht erscheinen augenblicklich die Aussichten für die Demokratisierung der transkaukasischen Republiken. Sie haben nicht nur ein niedriges Pro-Kopf-Einkommen, auch die dort virulenten ethnischen Konflikte dürften die Herausbildung einer demokratischen politischen Kultur auf absehbare Zeit verhindern. Noch ungünstiger sind die Bedingungen in Zentralasien. Seine Republiken weisen ein Pro-Kopf-Einkommen auf, das ungefähr um die Hälfte unter dem Unions-Durchschnitt von 1780 US-Dollar liegt Damit reicht es noch nicht an den Einkommens-bereich heran, in dem erfahrungsgemäß der Übergang zur Demokratie durchgeführt werden kann. Zudem sind die kulturellen Voraussetzungen hier ungünstig, weil westliche Wertvorstellungen und Lebensgewohnheiten im Schatten des islamischen Erbes stehen

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Autor dankt Günther Hellmann und Peter Rudolf für nützliche Hinweise. Jack S. Levy, Domestic Politics and War, in: Robert I. Rotberg/Theodore K. Rabb (Hrsg.), The Origin and Prevention of Major Wars, Cambridge 1989, S. 88.

  2. Stellvertretend für viele Untersuchungen vgl. Zeev Maoz/Bruce Russell, Alliance, Contiguity, Wealth, and Political Stability: Is the Lack of Conflict Among Democracies a Statistical Artifact?, in: International Interactions, 17 (1992) 3, S. 245-267, und Stuart A. Bremer, Democracy and Militarized Interstate Conflict, 1816-1965, in: International Interactions, 18 (1993) 3, S. 231-249.

  3. Subversive Bemühungen demokratischer Staaten, die Regierung einer anderen Demokratie zu stürzen, sind durchaus bekannt; vgl. David P. Foreythe, Democracy, War, and Covert Action, in: Journal of Peace Research, 29 (1992) 4, S. 385-395.

  4. Militärhilfe für eine labile Demokratie wäre hingegen zweischneidig, weil dieser Staat nach einem eventuellen Umsturz seine Streitkräfte wieder gegen den Geberstaat ersetzen könnte.

  5. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, daß demokratische Staaten in Konfliktsituationen mit anderen Demokratien weit eher die Vermittlungsangebote neutraler Staaten oder internationaler Organisationen wahrnehmen, als dies autoritäre Staaten tun; vgl. William J. Dixon, Democracy and the Management of International Conflict, in: Journal of Conflict Resolution, 37 (1993) 1, S. 42-68.

  6. Vgl. z. B. die Vorschläge in Samuel P. Huntington, The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century, London 1991; Graham T. Allison/Robert P. Beschei, Can the United States Promote Democracy?, in: Political Science Quarterly, 107 (1992) 1, S. 81-98; Larry Diamond, Beyond Authoritarianism and Totalitarianism: Strategies for Democratization, in: The Washington Quarterly, 12 (1989) 1, S. 141-163; ders., Promoting Democracy, in: Foreign Policy, 87 (1992), S. 25-46.

  7. Vgl. S. P. Huntington, ebd., S. 62 (Tabelle 2. 1).

  8. Vgl. ebd., S. 66.

  9. Vgl. G. T. Allison/R. P. Beschei (Anm. 6), S. 97; L. Dia-mond, Promoting Democracy (Anm. 6), S. 27f.

  10. Vgl. S. P. Huntington (Anm. 6), S. 69.

  11. Laut Berechnungen der Weltbank betrug 1989 das Pro-Kopf-Einkommen von Polen 1790 US-Dollar, das von Bulgarien 2320 US-Dollar, das von Ungarn 2590 US-Dollar und dasjenige der Tschechoslowakei 3450 US-Dollar. Die Vergleichswerte für Spanien und Westdeutschland sind 9330 US-Dollar bzw. 20440 US-Dollar (World Bank, World Development Report 1991, Oxford 1991, S. 205). Das Pro-Kopf-Einkommen der ehemaligen Sowjetunion wurde für das Jahr 1989 auf 1780 US-Dollar geschätzt (IMF/IBRD/OECD/EBRD, The Economy of the USSR. Summary and Recommendations, Washington, D. C., 19. 12. 1990, S. 51). Seither haben die Probleme bei der Einführung der Marktwirtschaft in den vormals sozialistischen Ländern zu einer deutlichen Verringerung des Bruttosozialprodukts geführt; vgl. International Monetary Fund, World Economic Outlook, May 1993, Washington, D. C., 1993, S. 138, Tabelle A 7.

  12. Vgl. Claus Offe, Das Dilemma der Gleichzeitigkeit. Demokratisierung und Marktwirtschaft in Osteuropa, in: Merkur, 45 (1991) 4, S. 279-292.

  13. Vgl. Ullrich Schur, Kein Stahlvorhang gegen Osteuropa, in: EG-Magazin, (1992) 10, S. 18f.

  14. Großbritannien hat kürzlich mit der „Westminster Foundation for Democracy“ eine ähnliche Stiftung gegründet. Für eine ausführliche Darstellung des NED vgl. L. Dia-mond, Promoting Democracy (Anm. 6), S. 38ff.

  15. Für entsprechende Vorschläge siehe Barry Ickes/Randi Ryterman, Credit For Small Firms, Not Dinosaurs, in: Orbis, 36(1992) 3, 8. 333-348.

  16. Vgl. S. P. Huntington (Anm. 6), S. 292f.

  17. Helsinki-Dokument 1992 „Herausforderung des Wandels“, Abschnitt II (3).

  18. Zwischenbilanz der westlichen Hilfe für die GUS in Lissabon, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 5. 1992, S. 4. Ein beträchtlicher Anteil der deutschen Hilfe ist allerdings im Zuge der deutschen Wiedervereinigung vereinbart worden.

  19. Vgl. Milliardengrab im Osten, in: Der Spiegel, Nr. 3/1994, S. 18-21.

  20. Für das Haushaltsjahr 1994 sieht der Etat 290 Mio. DM vor; vgl. Süddeutsche Zeitung vom 22. 12. 1993, S. 8.

  21. Vgl. die Angaben bei Jürgen Nötzold, Sozialökonomische Stabilitätsbedingungen in der bisherigen Sowjetunion: Zerfall oder neue Wirtschaftsgemeinschaft?, in: Wolfgang Heydrich u. a. (Hrsg.), Stabilität, Gleichgewicht und die Sicherheitsinteressen des vereinigten Deutschland. Analysen und Interpretationen, unveröffentlichtes Manuskript, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, Dezember 1991, S. 79-88 (Tabelle S. 88).

  22. Zu den antidemokratischen Elementen im Islam vgl. S. P. Huntington (Anm. 6), S. 307ff.

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Reinhard Wolf, Dr. phil., geb. 1960; wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politikwissenschaft der Martin-Luther-(Jniversität Halle-Wittenberg. Veröffentlichungen u. a.: Strategische Stabilität und Rüstungskontrollpolitik. Die praktische Relevanz eines theoretischen Konzepts, Berlin 1989; Abschreckungstheorie und strategische Rüstungspolitik. Die Dislozierung der amerikanischen Interkontinental-Raketen in der Reagan-Administration, Baden-Baden 1992; (zus. mit Günther Hellmann) Neorealism, Neoliberal Institutionalism, and the Future of NATO, in: Security Studies, 3 (1993) 1.