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Der Krieg zwischen Irak und Iran | APuZ 11/1995 | bpb.de

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APuZ 11/1995 Das „Gaza-Jericho-Abkommen". Eine Zwischenbilanz des Friedensprozesses im Nahen Osten Konflikte um Wasser -ein Fallstrick für den Friedensprozeß im Nahen Osten? Der Krieg zwischen Irak und Iran

Der Krieg zwischen Irak und Iran

Harald Möller

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Krieg zwischen Irak und Iran begann am 22. September 1980. Saddam Husseins Coup mißlang jedoch. Aus dem geplanten kurzen „Blitzkrieg“ entwickelte sich einer der längsten Stellungskriege der neueren Geschichte. Dieser Konflikt forderte einen hohen Blutzoll auf beiden Seiten und verursachte große Zerstörungen. Den Konfliktparteien schien nicht bewußt gewesen zu sein, auf was sie sich eingelassen hatten. Innergesellschaftliche Konflikte in beiden Staaten trugen maßgeblich zur kriegerischen Auseinandersetzung bei. Auf internationaler Ebene war dieser Krieg Ausdruck einer globalen symmetrischen Konfliktstruktur, für die Begriffe wie Ost-West-und Nord-Süd-Konflikt als Synonyme stehen.

Der Krieg Irak-Iran begann am 22. September 1980. Saddam Husseins Luftwaffe versuchte in den Morgenstunden dieses Tages, die iranische Luftwaffe auf ihren Flugplätzen zu zerschlagen. Und die irakische Armee überschritt anschließend die Staatsgrenzen, um die iranische Erdöl-provinz Khuzestan zu erobern. Doch der Coup mißlang. Aus dem kurzen „Blitzkrieg“, den Saddam Hussein und seine Generalität geplant hatten, entwickelte sich einer der längsten Stellungskriege der neueren Geschichte. Hunderttausende irakischer und iranischer Soldaten starben in diesem Krieg. Millionen Menschen wurden obdachlos. Ganze Provinzen des westlichen Irans wurden weitgehend verwüstet. Die iranische Grenzstadt Khorram-shahr wurde völlig zerstört. Die ökonomischen Kosten dieses Krieges werden auf mehrere hundert Milliarden Dollar geschätzt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß sich Saddam Hussein der möglichen Folgen des Krieges bewußt war.

Es ist ebenfalls nicht klar, ob die iranische Führung wußte, was ihr bevorstand, als sie 1982 die irakischen Friedensangebote ausschlug und damit den Krieg gegen den Irak verlängerte. Das aber wirft um so mehr die Frage auf, was die Führungen des Iraks und des Irans eigentlich dazu bewog, diesen Krieg zu beginnen und ihn fortzuführen.

I. Endogene Bestimmungsfaktoren im Irak

Drei längerfristig wirkende Entwicklungstendenzen und Strukturmerkmale der irakischen Gesellschaft erklären, warum ein zwischen dem Irak und dem Iran bestehender Konflikt ab 1979 von irakischer Seite weiter zugespitzt wurde und warum der Irak im September 1980 im Iran intervenierte. Da sind erstens die historischen Traditionen der Konfliktlösung in der irakischen Gesellschaft, zweitens die Ambitionen der irakischen Staatsführung gegenüber ihren regionalen Nachbarn und drittens die Auseinandersetzungen zwischen Staat und Opposition im Irak. Militärverschwörung Grundlegende politische Traditionen der Konfliktlösung innerhalb der irakischen Gesellschaft sind die Militärverschwörung und der Militärputsch. So gab es von 1932 bis 1980 allein elf erfolgreiche und etwa ein Dutzend nicht erfolgreiche Verschwörungen und Putsche des Militärs zur Veränderung der politischen Machtverhältnisse. Die erfolgreichen Verschwörungen des Militärs konzentrieren sich dabei in den Jahren 1936 bis 1941 und 1958 bis 1968. In den 17 Jahren von 1941 bis 1958 und in den zwölf Jahren von 1968 bis 1980 erlebte der Irak hingegen zwei Perioden, die durch die scheinbare Abwesenheit von entsprechenden Aktivitäten des Militärs und die relative Stabilität autokratischer Regime gekennzeichnet waren. Dieser Schein trog jedoch. Denn es gab auch in diesen Perioden eine Vielzahl von Verschwörungen des Militärs, die nur deshalb einer breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt wurden, weil sie meist keinen Erfolg hatten 1.

Diese Verschwörungen waren zum einen Ausdruck von Bestrebungen der neuen Führungsschicht des Iraks, mehr Macht und damit auch mehr Unabhängigkeit gegenüber der Kolonialmacht Großbritannien zu erringen. Zum anderen waren sie Ausdruck von Kämpfen verschiedener nationalistischer Militärgruppen untereinander, die entweder verschiedene Varianten nationalistischer Politik verfolgten oder schlicht nicht miteinander zurechtkamen. Und schließlich waren sie Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der Politik.

Später hatte die Militärverschwörung dann jedoch auch Auswirkungen im „äußeren“ Vorfeld des Iraks: das erste Mal 1980 mit der irakischen Besetzung Khuzestans, das zweite Mal 1990 mit der Besetzung Kuwaits. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Formen militärischer Politik dürfte sehr einfach sein: Die Militärverschwörung diente anfangs dazu, einen Führungsanspruch des Mili-tärs im Bereich der Innenpolitik durchzusetzen. Da dieser Machtanspruch jedoch von anderen Militärs bestritten wurde, kam es zu Machtkämpfen, in deren Verlauf sich schließlich eine Tradition der Militärsverschwörung herausbildete. Nachdem der innere Machtanspruch der Militärs durchgesetzt worden war und sich eine Autokratie herausgebildete hatte, die sich auf das Militär und die Sicherheitsdienste stützte, gingen die Militärs dazu über, einen regionalen Führungsanspruch durchzusetzen. Dabei griffen sie „natürlich“ auf ihre verschwörerische und putschistische Tradition zurück. Politische Probleme waren von ihnen schließlich schon immer mit militärischen Mitteln und auf verschwörerische Art und Weise gelöst worden. Regionaler Führungsanspruch Daß der Irak überhaupt Ambitionen gegenüber seinen Nachbarn entwickelte, hat allerdings noch zwei historische Wurzeln: erstens die Unzufriedenheit der alten Führungsschicht des 1932 unabhängig gewordenen Staates Irak mit den Grenzziehungen, die Großbritannien und die anderen Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg vorgenommen hatten, ohne dabei Rücksicht auf ihre Vorstellungen zu nehmen, und zweitens die Auffassung, daß Bagdad und der Irak immer schon eine besondere Rolle in der arabischen Welt gespielt hätten. Die 1958 an die Macht gekommene neue Führungsschicht des Iraks hat diese Auffassungen ihrer bisherigen Regierungen faktisch übernommen, sie jedoch etwas anders formuliert und begründet, als diese es getan haben. Die Ba’th-Partei erklärte 1974, daß es das Hauptziel der Partei sei, die Führung der arabischen Revolution zu übernehmen, und daß sie auch die Hauptverantwortung für den Schutz des arabischen Golfes zu tragen habe. Sie hat außerdem Kuwait und Khuzestan immer als Bestandteile der arabischen Nation begriffen, die im Grunde zum Irak gehören 2.

Der aus diesen Auffassungen resultierende Führungsanspruch des Iraks stieß bis 1979 jedoch auf Grenzen, die sich zum einen aus den naturräumlichen und zum anderen aus den politischen und ökonomischen Gegebenheiten des irakischen Staates ergaben. Erstens ist der Irak im Grunde ein Binnenstaat, der nur über einen sehr schmalen Zugang zum Meer verfügt, der zudem durch die politischen Sperriegel Kuwait und Khuzestan flankiert wird. Eine Golforientierung der irakischen Politik und Wirtschaft steht deswegen grundsätzlich vor der Alternative, entweder langfristig gutnachbarliche und friedliche Beziehungen zu Kuwait und dem Iran aufzubauen oder aber dieses Problem mit Macht-und Gewaltmitteln zu lösen. Zweitens wäre der Ba'th-Staät, selbst wenn er zu Beginn der siebziger Jahre beabsichtigt hätte, seine Ambitionen mit Macht-und Gewaltmitteln durchzusetzen, kaum zu einer solchen Politik fähig gewesen, da er in militärischer Hinsicht eindeutig gegenüber der regionalen Vormacht Iran unterlegen war. Und drittens mußte er sich zu Beginn der siebziger Jahre im „äußeren“ Bereich noch stark zurückhalten, da seine innenpolitische Stellung noch nicht abgesichert war

Am Ende der siebziger Jahre hatte sich diese Situation wesentlich geändert: Der Ba’th-Staat hatte der politischen Opposition im Innern des Landes mehrere schwere Niederlagen zugefügt. Er hatte sich außerdem durch die Verstaatlichung des irakischen Erdöls eine materielle Basis geschaffen, die ihm eine reichlich sprudelnde Finanzquelle erschloß. Er hatte ferner seine politischen Beziehungen zu den konservativen Golfstaaten und den USA verbessert. Und der Nachbar Iran war infolge seiner Revolution nicht mehr in der Lage, als Gendarm am Golf aufzutreten. Der Ba’th-Staat konnte sich deswegen daran machen, seine regionalen Ambitionen zu verwirklichen.

Daß die irakische Führung tatsächlich beabsichtigte, den regionalen Führungsanspruch des Iraks in den Jahren 1979/80 machtpolitisch durchzusetzen, läßt sich an verschiedenen Maßnahmen zeigen. Erstens rüstete der Irak weiter auf, ohne daß es hierfür nach dem Zusammenbruch der iranischen Armee irgendeine objektive Notwendigkeit gegeben hätte. Das irakische Heer stellte dennoch mehrere neue Divisionen auf und beschaffte einige hundert neue Kampfpanzer Und die irakische Marine bestellte eine moderne Flotte in Italien Diese war sehr viel „stärker“ als die Flotten der anderen Golfanrainer und somit ein wirkungsvolles Instrument der regionalen Ambitionen des Iraks in der Golfregion. Zweitens begann der Irak eine diplomatische Offensive gegenüber Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten, die darauf zielte, eine einheitliche Position eines regionalen Staatenblocks gegenüber den USA (Carter-Doktrin) herzustellen und die Vergabe von Militärstützpunkten an die USA zu verhindern Drittens begann der Irak eine Kampagne zur Rückgabe der Inseln Abu Musa, Tomb-e bozorg und Tomb-e kutschek an die Vereinigten Arabischen Emirate, die zum ersten Mal den Anspruch des Iraks offenbarte, stellvertretend für ein anderes arabisches Land gegenüber dem „Feind“ Iran zu handeln 3. Staatsmacht und Opposition Der in diesen Aktivitäten des Militärs sich äußernde Anspruch, Führung im Bereich der „inneren“ und „äußeren“ Politik auszuüben, beinhaltete immer auch die Ausschaltung konkurrierender Machtgruppierungen. Dies waren zum einen die jeweiligen Objekte eines Militärputsches und zum anderen Vertreter der politischen Opposition. Da diese Opposition allerdings relativ feste Wurzeln in der irakischen Gesellschaft hatte und meist auch innerhalb des Militärs vertreten war, handelte es sich hier um keine einseitig von „oben“ nach „unten“ betriebene Ausschaltung von Opponenten, sondern um einen beständigen Kampf zwischen Staat und Opposition.

Die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Opposition bis zum Jahre 1980 kann man in drei große Phasen unterteilen. In den ersten beiden Phasen von 1968 bis 1975 und von 1975 bis 1979 erzielte der neue Ba’th-Staat mehrere Erfolge im Kampf gegen die inneren Konkurrenten. Er konnte die Kommunisten in einen Dialog einbinden, in dem sie zunehmend an Bedeutung verloren, und es gelang ihm, den Kurden 1975 eine schwere Niederlage zuzufügen, von der sie sich bis 1979 noch nicht erholt hatten. Die zunehmend wachsende schiitische Opposition konnte vorläufig noch beruhigt werden. In der dritten Phase von 1979 bis 1980 geriet der Ba’th-Staat dann jedoch in erhebliche Bedrängnis Denn im ersten Halbjahr 1979 reaktivierten sich drei Grundprobleme der irakischen Innenpolitik, die zudem entscheidend von außen mitbestimmt wurden.

Erstens scheiterten die Gespräche mit Syrien über die Vereinigung der beiden Staaten Irak und Syrien. Damit erlitt der arabische Nationalismus, die Legitimationsideologie der in Irak und Syrien herrschenden Ba’th-Parteien, einen erheblichen Verlust an Glaubwürdigkeit. Die Ba’th-Parteien redeten zwar viel von der Einheit der arabischen Nation. Sie schienen jedoch unfähig, die einfachsten praktischen Schritte zur Realisierung dieser Einheit einzuleiten. Zweitens erlangten die Parteien der schiitischen Opposition nach dem Sieg der iranischen Revolution starken Auftrieb. Das hieraus resultierende neue Selbstbewußtsein der schiitischen Opposition machte sich dann in Demonstrationen in Najaf und Kerbela Luft, die in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht mündeten. Und drittens begann die kurdische Opposition sich ebenfalls wieder zu regen. Die Kurdische Demokratische Partei (KDP) der Barzanis erhielt von der iranischen Regierung z. B. die Erlaubnis, Basen an der irakisch-iranischen Grenze anzulegen. Und seit dem Sommer 1979 infiltrierte sie auch wieder den Irak

Der irakische Staat befand sich 1979 somit in einer komplizierten Situation: Die „innere“ und „äußere“ Lage hatte sich im Vergleich mit der Situation zu Beginn der siebziger Jahre erheblich verbessert und damit waren auch die Chancen zur Durchsetzung des regionalen Führungsanspruchs des Iraks gewachsen. Die politische Opposition war jedoch trotz der schweren Niederlagen im Verlauf der siebziger Jahre keineswegs ausgeschaltet worden. Und infolge der iranischen Revolution erhielt sie sogar neuen Auftrieb und machte sich auch wieder im Irak bemerkbar. Eine unmittelbare Gefahr für das politische System des Iraks ergab sich hieraus zwar nicht, aber eine potentielle Gefahr bestand durchaus. Diese konnte auch rasch zu einer reellen Gefahr werden, wenn sich die irakische Opposition unbehelligt weiterentwickelte.

Der irakische Staat reagierte auf diese Situation mit einer „Externalisierung des internen Konfliktpotentials“. Die „Perser“ wurden zu den Feinden der „Araber“ hochstilisiert, die die Araber angeblich immer schon mit Invasionen und Aggressionen überzogen hatten Anschließend wurden die solchermaßen stigmatisierten „Perser“ und „Iraner“ dann aus dem Volkskörper des Iraks ausgetrie-ben Und schließlich wurden von irakischer Seite die Grenzkonflikte mit dem Iran durch eine systematische Politik der Provokation immer mehr angeheizt Diese neue Organisation des Widerspruchspotentials der irakischen Gesellschaft gestattete einerseits eine Eskalation zwischenstaatlicher Konflikte, deren Wurzeln eindeutig in der irakischen Gesellschaft lagen. Andererseits erlaubte sie auch, die Chancen wahrzunehmen, die diese Situation ermöglichte, d. h., die irakische Führung konnte sich endlich daranmachen, ihren regionalen Führungsanspruch durchzusetzen, den sie schon so lange aufgeschoben hatte.

Daraus ergeben sich zwei weitreichende Schlußfolgerungen: Erstens dürfte die Entscheidung für die weitere Zuspitzung des Zerwürfnisses mit dem Iran und für die Intervention in den Iran wahrscheinlich bereits ein Jahr vor dem Ausbruch des Krieges gefallen sein. Und zweitens muß das Verhalten des Iraks gegenüber dem Iran seit dem Spätsommer 1979 wahrscheinlich als Ausdruck eines „politischen Willens“ gewertet werden, einen Krieg mit dem Iran bewußt und planmäßig vom Zaune zu brechen. Ein Vertreter der Ba’th-Partei hat diese Interpretation in einem Interview mit der Zeitung Middle East direkt bestätigt: „Die aktuelle Entscheidung, einen begrenzten Krieg gegen Iran zu führen,“ erklärte er, „wurde im August 1979 gefällt, kurz nachdem Saddam Hussein die Macht von Präsident Hassan al Bakr übernommen hatte. Die aktuelle Vorbereitung wurde der Armeeführung überlassen, aber die Zeitplanung vom Revolutionären Kommandorat festgelegt.“

II. Endogene Bestimmungsfaktoren im Iran

Fast alle politischen Richtungen des Irans waren 1979/80 davon überzeugt, daß der „Imperialismus und Kolonialismus“ im Iran intervenieren könnten, um die siegreiche Revolution gegen den Schah niederzuwerfen. Alle dachten dabei jedoch an eine große militärische Operation der USA (bzw. an eine verdeckte militärische Unterstützung der inneren „Konterrevolution“ durch die USA). Einen Angriff des kleinen Iraks gegen den Iran konnte sich hingegen keiner so recht vorstellen. Der irakische Einmarsch in den Iran traf die iranische Führung deswegen auch vollkommen unvorbereitet. Khomeini z. B. hatte Warnungen der iranischen Armeeführung vor einer irakischen Intervention als Manöver von Offizieren eingeschätzt, die die äußeren Gefahren absichtlich auf-bauschten, um die Islamisierung und Säuberung der iranischen Armee zu unterlaufen. Außerdem glaubte er, daß der Irak durch eine islamische Revolution bedroht sei und wollte deswegen nichts unternehmen, was zu einer Aufwertung der irakischen Führung hätte beitragen können. Ein Versöhnungsangebot Saddam Husseins hatte er aus dem Grunde auch bewußt abgewiesen Als sich die Warnung der iranischen Armeeführung dann jedoch bestätigte, traf es die religiöse Führung des Irans wie ein tiefer Schock.

Die iranische Führung gewann nach einer kurzen Phase der Verunsicherung jedoch ihr Selbstvertrauen wieder zurück und machte sich daran, die Verteidigung des Landes gegen die irakische Aggression zu organisieren. Anfangs verfolgte sie dabei eine Politik, die sich ganz auf die Vertreibung der irakischen Truppen aus dem Iran konzentrierte. Trotz gegenteiliger öffentlicher Erklärungen wurden Verhandlungen und Kompromisse mit dem Irak jedoch keineswegs abgelehnt. Bei der Kriegsführung griff man zudem auf relativ konventionelle Kampfformen und -mittel zurück, die durchaus Menschenleben schonten. Ab dem zweiten Halbjahr 1981 kam es dann jedoch zu grundlegenden Veränderungen in der iranischen Kriegs-politik. Die iranische Führung beschränkte die Ziele ihres Kampfes nicht mehr allein auf die Vertreibung der irakischen Truppen und intervenierte ihrerseits im Irak. Die bereits 1980 verkündete Linie, alle Kompromisse im Kampf mit dem Irak abzulehnen, wurde außerdem zu der realpolitischen Linie der Islamischen Republik Iran (IRI). Und schließlich wurde bei der Kriegsführung zunehmend auf Kampfformen und -mittel zurückgegriffen, die der iranischen Bevölkerung ungeheure menschliche Opfer auferlegten.

Wie kann man diese veränderte iranische Position, die entscheidend dazu beigetragen hat, eine 1982 mögliche Beendigung des Krieges zu verhindern, und ihn noch bis 1988 verlängerte, nun erklären? 1. Die neue Führungsschicht am Beispiel Khomeini Ein erster Faktor, der die veränderte iranische Kriegspolitik mit erklären hilft, ist die Tatsache, daß 1981 eine fundamentalistische Führungsschicht die Macht im Iran übernahm. Das Konfliktverhalten dieser Schicht nach 1979, ihre politische Programmatik und ihre Einschätzung des Krieges sollen im folgenden anhand der Vorstellungen und Aktivitäten Khomeinis analysiert werden.

Khomeini war zwar bereits seit 1978/79 der unbestrittene Führer der islamischen Revolution. Diese Position war nach 1979 außerdem quasi legalisiert worden, indem Khomeini zum „Führer“ (Rahbar) des neuen Staates ernannt wurde, der die wichtigsten Unterführer der neuen Islamischen Republik Iran ernennen konnte Da Khomeini außerdem immer wieder mit eigenen Vorschlägen und Entscheidungen in die politischen Konflikte der IRI eingriff, reichte sein faktischer Einfluß weit über die Position hinaus, die er nach der Verfassung ausüben sollte. Khomeini hatte in den ersten zwei Jahren der IRI jedoch noch starke Rücksichten auf Bestrebungen der städtischen Mittelschichten und ihrer politischen Repräsentanten (wie z. B. Bazargan oder Bani Sadr) genommen. So wurden trotz der nach außen verkündeten Linie, keine Kompromisse im Krieg mit dem Irak einzugehen, insgeheim Gespräche mit der irakischen Staatsführung geführt und dabei auch eine Reihe von Zugeständnissen des Iraks erzielt. Nachdem es im ersten Halbjahr 1981 jedoch zu einem Machtkampf zwischen den islamischen Fundamentalisten und ihren Gegnern gekommen war, der mit einem klaren Sieg der islamischen Fundamentalisten endete, entfiel die Notwendigkeit, Rücksicht auf Bundesgenossen zu nehmen. Nun konnten die Fundamentalisten und Khomeini damit beginnen, ihre Vorstellungen unverfälscht durchzusetzen. Für die Fortsetzung des Krieges gegen den Irak ergaben sich aus dieser Entwicklung in drei Punkten Veränderungen:

Erstens war das Objekt dieses Krieges, Saddam Hussein, aus der Sicht Khomeinis und der islamischen Fundamentalisten nur ein anderer Schah Der Kampf gegen ihn war deshalb auch nichts anderes als eine Fortsetzung des Kampfes gegen das Schahregime. Und er konnte nur dann Erfolg haben, wenn er genauso kompromißlos und intensiv und mit denselben Methoden wie gegen das Schahregime geführt wurde. Khomeini übertrug hier die historischen Erfahrungen, die er im Kampf gegen den Schah Reza Pahlewi gesammelt hatte, auf den Kampf gegen den „Schah“ Saddam Hussein.

Zweitens muß Khomeini, nach der Macht-und Staatskonzeption, die er in seiner Programmschrift Welajat-e Fagih entwickelt hatte, grundsätzlich an einer Umwälzung der bestehenden Staatenordnung im Nahen und Mittleren Osten interessiert gewesen sein. Er bekannte sich in dieser Schrift zwar zur Notwendigkeit des Staates Die bestehenden Staatsformen lehnte er jedoch als antiislamisch ab und trat für die Bildung neuer islamischer Staaten ein, die von islamischen Rechtsgelehrten geführt werden sollten. Aus dieser Ablehnung der bestehenden Staatsformen folgte auch die Ablehnung der bestehenden nationalen Grenzen, die als Instrumente zur Spaltung der islamischen Gemeinde eingeschätzt wurden. Das wichtigste Mittel zur Durchsetzung wahrhaft islamischer Staaten seien islamische Revolutionen. Zur Durchführung derartiger Revolutionen hatte Khomeini eine hegemoniale Strategie entwickelt, die grundsätzlich die Gewaltanwendung gegen sogenannte Feinde des Islams beinhaltet und sogar die kriegerische Tradition der Schia (zweite Hauptrichtung des Islams) wiederbeleben wollte. Aus der Sicht dieser Staatskonzeption ist nicht nur die gewaltsame Verteidigung eines islamischen Staates gegen die Aggression eines nichtislamischen Staates, sondern auch die militärische Niederwerfung und Eroberung dieses nichtislamischen Staates vollkommen legitim. Ein solcher Krieg dürfte außerdem eine günstige Gelegenheit zur Veränderung der bestehenden regionalen Kräfteverhältnisse und zur Wiederbelebung der kriegerischen Tradition der Schia geschaffen haben.

Drittens gab es zwischen Khomeini und dem irakischen Staat (und Saddam Hussein) einige alte Rechnungen zu begleichen. Khomeini war 1965 in das irakische Exil gegangen. Dort hatte sich der irakische Geheimdienst sofort darum bemüht, Khomeini für eine Kooperation gegen den Schah zu gewinnen. Khomeini hatte jedoch abgewunken und sich politisch sehr zurückgehalten. Erst 1977, als eine neue Massenbewegung gegen das Schah-regime entstand, hatte er seine Aktivitäten gegen den Schah wieder aufgenommen. Der Irak, der mittlerweile an gutnachbarlichen Beziehungen mit dem Iran interessiert war, wies darauf Khomeini aus und zwang ihn so zur Emigration nach Frankreich Es ist sehr gut möglich, daß Khomeini sowohl das Angebot zur Kooperation mit dem irakischen Geheimdienst als auch die Ausweisung in das westliche Ausland als tiefe persönliche Kränkungen empfunden hat, die er zurückzahlen wollte. 2. Armee -Pasdaran Ein weiterer Faktor, der die Fortsetzung des Krieges durch den Iran ab 1982 mit erklären hilft, ist die Konkurrenz zwischen Armee und Pasdaran (Revolutionsgarden). Nach der Verfassung der IRI besteht zwischen der Armee und den Pasdaran eine Arbeitsteilung. Die Armee hat im Rahmen dieser Arbeitsteilung die Aufgabe, den Iran nach „außen“ zu verteidigen, während die Pasdaran die Aufgabe haben, das politische System der IRI nach „innen“ zu sichern In der Realität der IRI kann von einer Arbeitsteilung und einvernehmlichen Beziehungen zwischen Armee und Pasdaran jedoch keine Rede sein. So sind die Alltagsbeziehungen zwischen Angehörigen beider Organisationen durch beständige Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die sehr oft gewaltsame Formen annehmen. Außerdem zeigen die Ressourcen-ströme, die Armee und Pasdaran aus Staat und Gesellschaft zufließen, daß vor allem die Pasdaran ab 1980 zu einer mehrere hunderttausend Mann starken Großorganisation mit eigenen Teilstreitkräften ausgebaut wurden, die sehr wahrscheinlich ein Gegengewicht gegen die immer noch des Putsches verdächtigte Armee bilden sollte. Und schließlich stehen sich Armee und Pasdaran in den politischen Auseinandersetzungen der neuen Machtelite des Irans oft diametral gegenüber.

Wie kann man diese Widersprüche nun erklären, und welche Bedeutung hatten sie für den Krieg mit dem Irak? Zum einen sind diese Konflikte ein Resultat des unterschiedlichen Entstehungs-und Funktionszusammenhanges beider Organisationen: Die Armee war zur Sicherung des früheren Schahregimes entstanden, während die Pasdaran zur Sicherung der neuen islamischen Republik gebildet worden waren, die dem Schahregime feindselig gegenüberstand Diese Widersprüche sind ferner Ausdruck eines tiefen Mißtrauens der Führung der IRI gegenüber der Armee, die immer noch verdächtigt wird, eines Tages einen Putsch gegen die IRI durchführen zu können. Und schließlich sind sie Ausdruck einer bestimmten Herrschaftsstrategie Khomeinis, der zwischen bestimmten Personen und Institutionen der IRI Spannungen erzeugt hat, um durch den Ausgleich dieser Widersprüche „herrschen“ zu können.

Die Beziehungen zwischen dem Krieg und den Institutionen Armee und Pasdaran sind ziemlich komplex. Einerseits hat der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran bestimmte „Auswirkungen“ auf die weitere Entwicklung von Armee und Pasdaran gehabt. So wurde die 1979 weitgehend zusammengebrochene Armee nach dem Beginn des Krieges mit dem Irak reorganisiert und gleichzeitig neben ihr eine neue Armee aufgebaut, die die Islamische Republik vor dieser alten Armee schützen sollte. Andererseits dürfte die auf diese Weise bewirkte „Festschreibung“ des Konfliktes zwischen Armee und Pasdaran wiederum Rückwirkungen auf den Krieg mit dem Irak gehabt haben. Denn vor allem der Aufbau der Pasdaran zu einer mehrere hunderttausend Mann starken Großorganisation mit eigenen Teilstreitkräften war direkt an die Fortführung des Krieges gegen den Irak geknüpft. Es ist deswegen gut möglich und auch sehr wahrscheinlich, daß die Pasdaran kein Interesse an der Beendigung des Krieges mit dem Irak hatten und auch Druck auf die Führung der Islamischen Republik ausübten, den Krieg gegen den Irak fortzuführen. Ob dies tatsächlich der Fall war oder nicht, läßt sich gegenwärtig jedoch nicht sagen, da verläßliche Analysen fehlen. 3. Märtyrertum Die Intensität und Kompromißlosigkeit des iranischen Kampfes und die hohen Verluste ab 1981 stehen darüber hinaus in engem Zusammenhang mit einer der vorherrschenden Bewußtseinsformen der iranischen Revolution, dem Märtyrertum.

Das Märtyrertum ist eine grundlegende Erscheinungsform der iranischen Revolution, die in drei Phasen der iranischen Revolution sehr stark an Bedeutung gewann: erstens im Verlauf der Protest-bewegung gegen das Schahregime, zweitens in den Kämpfen der Revolutionäre untereinander und drittens während der ab 1981 im Krieg gegen den Irak praktizierten Taktik des Angriffs in Menschenwellen. Fast alle, die im Verlauf dieser Ereignisse umkamen, starben nach ihrem eigenen Selbstverständnis als Märtyrer, d. h., sie waren bereit, ihr Leben für eine „höhere“ Sache zu opfern. Darüber hinaus ist das Märtyrertum während des Krieges auch als Mobilisierungsinstrument eingesetzt worden. Iranische Soldaten erlebten z. B. immer wieder, daß sie kurz vor Kampfhandlungen ihrem 12. Imam (religiöses Oberhaupt der Schiiten) begegneten, der sie aufforderte, den Feind zu besiegen und den Imam Hossein zu rächen. Dieses Erlebnis löste bei den Soldaten meist eine starke emotionale Erschütterung aus, in die hinein dann ein moralischer Appell erfolgte, „einfache“ Dinge zu tun, wie etwa im Kampf vorwärts zu stürmen.

III. Exogene Bestimmungsfaktoren

Neben den Akteuren in den beiden Ländern spielten im Krieg zwischen dem Irak und dem Iran auch „äußere“ Akteure eine wichtige Rolle. Nach außen hin taten diese Akteure so, als ob sie neutral und an einem möglichst schnellen Friedensschluß interessiert wären. Wenn man ihre ökonomischen und militärischen Beziehungen mit den beiden Ländern jedoch genauer analysiert, stellt man schnell fest, daß sie recht eifrig in diesem Krieg engagiert waren -sei es, indem sie über ausgedehnte „Handelsgeschäfte“ an diesem Krieg profitierten oder indem sie eine Politik zugunsten der einen oder der anderen Kriegspartei betrieben. Die ökonomischen und militärischen Beziehungen dieser Akteure zu den beiden Ländern Irak und Iran sollen im folgenden anhand von konventionellen Rüstungsprozessen sowie deren Auswirkungen auf den Kriegsverlauf analysiert werden. 1. Konventionelle Rüstungsprozesse Der Irak und der Iran wurden seit dem Beginn der siebziger Jahre massiv durch verschiedene Staaten aufgerüstet. Der Iran erhielt im Rahmen dieser Aufrüstung vor allem Waffen aus den USA und von den europäischen Verbündeten der USA. So erhielt die iranische Luftwaffe Flugzeuge der Typen F-5, F-4 und F-14, die iranische Marine Zerstörer, Fregatten und Raketenschnellboote und die iranische Armee Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Artilleriegeschütze Diese Waffenlieferungen der USA und ihrer Verbündeten waren zum einen Ausdruck einer „neuen“ amerikanischen Hegemonialpolitik in der Dritten Welt. Die US-Regierung wollte nach den negativen Erfahrungen in Vietnam nicht mehr Weltpolizist sein, der über-all die Kleinarbeit im Kampf gegen den Kommunismus erledigte, sondern sie entwickelte die Vorstellung, daß die regionalen Verbündeten der USA auch einen Teil dieser Aufgaben (und Lasten) zu übernehmen hätten. Als Prototyp eines solchen regionalen Polizisten wurde der Schah im Iran angesehen. Die Rüstungsgeschäfte mit dem Iran hatten neben diesen hegemonialpolitischen aber auch direkte ökonomische Hintergründe und Motive.

Diese Hochrüstung des Irans fand mit der iranischen Revolution 1979 ein vorläufiges Ende. Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen dem Irak und dem Iran mußte der Iran allerdings zwangsläufig ein Interesse an westlichen Waffen-und Ersatzteil-lieferungen entwickeln, weil seine Armee mit westlichen Waffensystemen ausgerüstet worden war und ohne einen beständigen Fluß von Ersatzteilen und Know-how nicht einsatzfähig gehalten werden konnte. Da die USA für den Iran aus ideologischen Gründen jedoch nicht als Lieferant in Frage kamen, wandte sich der Iran zunächst an die europäischen Verbündeten der USA, um Waffen und Ersatzteile zu erhalten. Diese wurden von den USA jedoch massiv unter Druck gesetzt, den Iran nicht mit Waffen zu beliefern, weswegen sie sich dafür entschieden, eine restriktive Rüstungsexportpolitik gegenüber dem Iran zu verfolgen, die faktisch darauf hinauslief, keine neuen Großwaffenaufträge des Irans anzunehmen, jedoch Alt-aufträge aus der Schahzeit weiter zu bearbeiten und den Iran auch mit Rüstungsmaterial niedrigeren Niveaus (z. B. Kleinwaffen, Granaten und Munition) zu beliefern. Der Iran war deswegen gezwungen, sich nach neuen Großwaffenlieferanten umzusehen. Er fand sie in Nordkorea und China .

Die Motive der chinesischen und nordkoreanischen Lieferanten von Großwaffen an den Iran sind noch nicht restlos geklärt. Im Prinzip gibt es zwei mögliche Erklärungsansätze: Erstens ist es möglich, daß die chinesischen Waffenlieferungen an den Iran in der Zeit von 1980 bis 1982 Ausdruck einer antihegemonialen Politik waren, die darauf zielte, die Supermächte aus der Golfregion zu verdrängen. Es spricht allerdings sehr viel mehr dafür, und das ist das zweite Argument, daß diese Lieferungen in der Zeit ab 1982 Ausdruck eines kommerziellen Waffengeschäfts waren, das Devisen erwirtschaften sollte, die die Volksrepublik China für ihre Politik der Öffnung nach „außen“ benötigte Die wichtigsten Folgen dieser iranischen Wendung nach Ostasien waren zum einen eine Abkehr von der vom Schah betriebenen Vormachtpolitik, d. h. ein Verzicht auf die offensive Aufrüstung der iranischen Luftwaffe und Marine, und zum anderen ein „Umstieg“ auf ein sowjetisch-chinesisches Technologieniveau der fünfziger Jahre, d. h. eine deutliche Abkehr von der Politik, dem jeweiligen Spitzenstand der östlichen und westlichen Waffentechnologie hinterherzulaufen.

Der Irak wurde von 1969 bis 1980 ebenfalls massiv aufgerüstet, allerdings nicht durch die USA, sondern durch die UdSSR und die osteuropäischen Verbündeten der UdSSR. So erhielt die irakische Luftwaffe mehrere hundert Kampfflugzeuge und die irakische Armee ungefähr 2000 Kampfpanzer und fast genauso viele gepanzerte Fahrzeuge aus der UdSSR Diese sowjetischen Waffenlieferungen an den Irak waren ebenfalls Ausdruck einer bestimmten Hegemonialpolitik. Die UdSSR, die unter Stalin „nationale Befreiungsbewegungen“ noch als „bürgerlich“ und „reaktionär“ verdammt hatte, unterstützte seit 1956 nämlich die nationalen Befreiungsbewegungen gegen den „Imperialismus“. Auf diese Weise wollte sie den Einfluß der USA in der Dritten Welt untergraben und den Einfluß des „Sozialismus“ ausdehnen Der Hauptnutznießer dieser Politik im nahöstlichen Raum war anfangs Ägypten, während die sowjetischen Beziehungen mit dem Irak eher von untergeordneter Bedeutung waren. Ab dem Beginn der siebziger Jahre stieg die Bedeutung des Iraks für die sowjetische Nahostpolitik aufgrund dreier Faktoren jedoch stark an: Erstens wechselte Ägypten in das westliche Lager über, womit sich die Bedeutung Syriens und des Iraks für die Nahostpolitik der UdSSR automatisch erhöhte. Zweitens stieg infolge der Verstaatlichung des irakischen Erdöls -und der damit gewachsenen Deviseneinnahmen -die Bedeutung des Iraks für die sowjetische Rüstungsindustrie stark an. Und drittens interpretierte die sowjetische Führung die „Reformen“ der Ba’th-Partei als Schritte zum Sozialismus und schloß deswegen einen Freundschaftsvertrag mit dem Irak ab Eine Folge dieser Politik waren ausgedehnte Waffengeschäfte, die den Irak bereits in den Jahren 1974 bis 1978 zum wichtigsten Kunden der UdSSR in der Dritten Welt werden ließen.

Nach dem Ausbruch des Krieges zwischen dem Irak und dem Iran stellte die UdSSR jedoch ihre Waffenlieferungen an den Irak ein. Sie befürchtete, daß die USA die irakische Intervention als Ausdruck des sowjetischen „Expansionsstrebens“ interpretieren und deswegen intervenieren könnten. Sie begriff den Krieg außerdem als Neuauflage von Sadats Politik der Annäherung an die konservativen Golfstaaten und die USA, was sie natürlich nicht unterstützen wollte. Und sie schätzte die politische Entwicklung des Irans im großen und ganzen positiv ein, weswegen ein Krieg des Iraks gegen den Iran aus ihrer Sicht keinen Sinn ergab.

Ab 1982 kam es dann jedoch zu einer Veränderung dieser Situation. Angesichts der iranischen Vorstöße in den Irak, einer „defensiven“ irakischen Militärstrategie und der politischen „Mäßigung“ des Iraks bestand keine Gefahr mehr, daß die USA die sowjetische Unterstützung des Iraks als Ausdruck eines sowjetischen „Expansionsstrebens“ interpretieren könnten. Da sich die sowjetisch-iranischen Beziehungen zudem ausgesprochen negativ entwickelten, nahm die UdSSR die Waffenlieferungen an den Irak wieder auf und wurde in kürzester Zeit wieder zu seinem wichtigsten Waffenlieferanten.

Neben der UdSSR spielten auch einige andere Länder eine Rolle bei der Aufrüstung des Iraks. In den siebziger Jahren hatte der Irak z. B. Kontakte zu mehreren europäischen und brasilianischen Rüstungskonzernen aufgenommen. Als sich die Beziehungen zwischen dem Irak und der UdSSR in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verschlechterten und die UdSSR nach dem irakischen Angriff auf den Iran sogar die Waffenlieferungen an den Irak einstellte, nutzte der Irak diese Kanäle und kaufte nun in großem Umfang Waffen in Frankreich, Italien, Brasilien und China ein. So wurde eine moderne Luftflotte in Frankreich und eine hochseetüchtige Seeflotte in Italien bestellt. Des weiteren wurden Radpanzer in Brasilien und Frankreich sowie Flugabwehr-und Panzerabwehr-systeme in Brasilien, Frankreich und Deutschland gekauft Die Motive der europäischen Rüstungsfirmen für diese Waffengeschäfte mit dem Irak dürften vor allem ökonomischer Natur gewesen sein: In Frankreich beispielsweise schufen die Blockierung der französischen Verteidigungsausgaben durch die Nuklearrüstung und die Grenzen, die Sozialstaatsansprüche den staatlichen Rüstungsausgaben setzten, mächtige ökonomische Zwänge zum Rüstungsexport. Ein Komplex staatlicher Institutionen und eine bestimmte Außenhandelspolitik förderten zudem systematisch Rüstungsexporte. So schienen die Rüstungsexporte dynamische Wachstumsfaktoren zu sein, dem Ausgleich von Außenhandelsdefiziten zu dienen und ein Recycling des Petrodollars in Gang zu setzen 2. Die Bedeutung der Rüstungsprozesse Was für eine Bedeutung hatte die ausländische Waffentechnologie nun für den Verlauf des Krieges? Die massive Aufrüstung der irakischen Armee mit sowjetischen Waffensystemen ermöglichte es dem Irak, seine Offensive gegen den Iran im Jahre 1980 zu beginnen. Die Aufrüstung der iranischen Armee mit amerikanischen Waffen versetzte den Iran in die Lage, diese Offensive abzuwehren und seinerseits in den Irak vorzustoßen. Diese „Hilfe“ der USA und der UdSSR für den Irak und den Iran war von den Supermächten jedoch keineswegs beabsichtigt, sondern nur ein objektives, sozusagen nachhinkendes Resultat der sowjetisch-amerikanischen Hochrüstung der beiden Länder aus der Zeit vor 1979/80. Denn bei der Aufnahme der Waffenlieferungen an den Irak und den Iran verfolgten die USA und die UdSSR Ziele, die sich ausschließlich aus dem Konkurrenzkampf der Supermächte herleiteten. So ging es den USA um die Eindämmung des Kommunismus und der UdSSR um die Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen und die Ausdehnung des Einflusses des Sozialismus. Darüber hinaus hatten die USA nach der Geiselnahme im November 1979 alle Beziehungen zum Iran abgebrochen und bei Ausbruch des Krieges ein Waffenembargo gegen den Iran und den Irak verhängt. Die UdSSR hatte nach dem irakischen Einmarsch in den Iran ihre Waffenlieferungen in den Irak eingestellt und sich für neutral erklärt. Zwischen den Zielen, die die Supermächte bei Aufnahme ihrer Waffenlieferungen verfolgt hatten und den langfristigen Auswirkungen, die diese Rüstungsexporte nach sich zogen, bestand somit ein Widerspruch.

Die massive Unterstützung des Iraks durch die UdSSR und europäische Staaten spielte eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der -zu Lande defensiven und in der Luft offensiven -irakischen Militärstrategie ab 1982/83. Die italienische Hilfe im Bereich der Logistik garantierte das finanzielle Überleben des Iraks, die sowjetische Panzertechnologie und Artillerie halfen in starkem Maße dabei, das Land gegen den iranischen Ansturm zu verteidigen, und die sowjetischen und französischen Flugzeuge gestatteten eine Gegenoffensive aus der Luft. Auf Seiten der UdSSR und Frankreichs war diese Hilfe auch Ausdruck des politischen Willens, dem Irak in seinem Krieg mit dem Iran zu helfen. Auf Seiten der anderen europäischen Staaten spiegelte diese Hilfe zumindest die Bereitschaft wider, die objektiven Auswirkungen bestimmter Waffenverkäufe billigend in Kauf zu nehmen.

Die starke Zurückhaltung der wichtigsten Waffen-produzenten gegenüber dem Iran war ein wesentlicher Faktor dafür, daß es dem Iran ab 1982 nicht mehr gelang, seine Einbrüche in die irakische Front tief in das Landesinnere vorzutreiben und große Räume oder wichtige Städte zu besetzen. Die chinesischen und nordkoreanischen Waffenlieferungen haben dem Iran in Einzelfällen offensichtlich geholfen. Allgemeine Aussagen über die Bedeutung dieser Waffen lassen sich jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht machen.

IV. Fazit

Der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran war vor allem eine Auseinandersetzung, für die innergesellschaftliche Gründe beider Staaten maßgeblich waren. Die irakische Kriegspolitik kann man dabei als Externalisierung interner Konfliktpotentiale und internen Konfliktverhaltens beschreiben. Denn die Tradition des Militär-putsches, die Konflikte zwischen Staat und Opposition und der regionale Nationalismus der irakischen Staatsführung waren und sind längerfristig wirkende Strukturmerkmale der irakischen Gesellschaft, die mit dem Krieg 1980 nach „außen“ gelenkt wurden. Die iranische Kriegs-politik kann man hingegen während der ersten beiden Jahre des Krieges nicht als Externalisierung interner Konfliktpotentiale charakterisieren, da es angesichts der „äußeren“ Bedrohung anfangs eine „interne Kohäsion“ gab, die in gewissen Aspekten an die deutsche Burgfriedenspolitik 1914/15 erinnert. Spätestens mit der Intervention des Iraks in den Iran kann man jedoch auch im Iran eine Politik feststellen, die Ähnlichkeiten mit der Externalisierung interner Konflikte im Irak aufweist.

Der Krieg Irak-Iran ist aber auch ein Verdichtungsfeld internationaler Politik gewesen, das in der Zeit bis 1980 entscheidend durch den Ost-West-Konflikt und in der Zeit ab 1982 in zunehmendem Maße durch den Nord-Süd-Konflikt mitbestimmt wurde. Denn die militärischen Hilfsleistungen für den Iran und den Irak waren bis 1980 Ausdruck einer globalen symmetrischen Konfliktstruktur. Der Iran wurde vor allem durch die USA und ihre Verbündeten und der Irak durch die UdSSR und ihre Verbündeten aufgerüstet. Ab 1982 gab es hingegen eine asymmetrische Konfliktstruktur. So wurde der Irak durch die wichtigsten industriellen Metropolen aufgerüstet, während der Iran von seinen früheren Waffenlieferanten weitgehend „abgekoppelt“ wurde. Wahrscheinlich ist dies ein wesentlicher Grund dafür, daß es dem Iran nicht gelang, den Irak militärisch zu besiegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. M. Khadduri, Independent Iraq: A Study in Iraqi Politics Since 1932, London 1951, S. 82-181; H. Batatu, The Old Social Classes and the Revolutionary Movements Of Iraq: A Study of Iraq’s Old Landed and Commercial Classes and of its Communists, Ba’thists and Free Officers, Princeton 1978, S. 800-1075.

  2. Vgl. U. Gehrke, Historische Aspekte des iranischen Anspruchs auf Kuwait, in: Orient, 3 (1961), S. 160f.; J. B. Kelly, Brennpunkt Golf: Die Ölstaaten und der Westen, Frankfurt/Main 1981, S. 192 f.; J. Bulloch/H. Morris, Saddams Krieg, Hamburg 1991, S. 115f.; Arabische Sozialistische Ba’th-Partei (ASBP), Der Politische Bericht, verabschiedet vom Achten Regionalen Kongreß, Bagdad 1974, S. 157-170.

  3. Vgl. M. Farouk-Sluglett/P. Sluglett, Der Irak seit 1958: Von der Revolution zur Diktatur, Frankfurt/Main 1991, S. 149ff.; verschiedene Ausgaben der Military Balance des Internationalen Institutes für Strategische Studien (IISS).

  4. Vgl. IISS, Die Armeen der Welt 1978/1979, Bonn 1978, S. 52; IISS, Streitkräfte 1980/1981, Bonn 1980, S. 122.

  5. Vgl. Middle East Economic Digest vom 6. 3. 1981, S. 19.

  6. Symptomatisch hierfür ist die Nationale Deklaration der ASBP aus dem Jahre 1980, vgl. ASBP, Für die Unabhängigkeit der Araber und ihre Einheit, Bagdad 1981, S. 11-14.

  7. Vgl. ebd. S. 32f.; S. Hussein, Irakische Politik in der Perspektive. Text der Pressekonferenz des Vizepräsidenten Saddam Hussein vom 20. Juli in Bagdad, Bagdad 1981, S. 53 f.

  8. Vgl. H. Möller, Der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran: Endogene und exogene Bestimmungsfaktoren -ein Beitrag zur Kriegsursachendiskussion, Diss., Berlin 1993, S. 119-132.

  9. Vgl. P. Hünseler, Der Irak und sein Konflikt mit dem Iran, Bonn 1982, S. 59-63.

  10. Vgl. S. Hussein, Vor der Nationalversammlung am 4. November 1980 gehaltene Rede zum irakisch-iranischen Krieg, Bagdad 1981, S. 8f.

  11. Grundlegend hierfür war ein Telegramm des Innenministeriums an die Sicherheitsbehörden (Nr. 2284 vom 10. 4. 1980; im Privatarchiv des Verfassers).

  12. Symptomatisch hierfür sind die Grenzzwischenfälle zwischen den beiden Ländern. Vgl. A. M. Trab Zemzemi, La Guerre Irak-Iran: Islam et Nationalisme, Paris 1985, S. 23-35.

  13. The Middle East, (1980) 11, S. lOf., zit. in: R. E. Bergquist, The Role of Airpower in the Iran-Iraq War, Washington, D. C. 1988, S. 37.

  14. Vgl. A. H. Bani Sadr, Le Complot des Ayatollahs, Paris 1989, S. 77.

  15. Vgl. H. P. Schreiner u. a., Der Imam: Islamische Staats-idee und revolutionäre Wirklichkeit, St. Michael 1982, S. 265.

  16. Vgl. Botschaft der Islamischen Republik Iran (IRI), Zum Irakisch-Iranischen Krieg, Bonn 1981, S. 94.

  17. Vgl. R. M. Khomeini, Der islamische Staat, Berlin 1983, S. 31-50.

  18. Vgl. B. Nirumand, Mit Gott für die Macht: Eine politische Biographie des Ayatollah Khomeini, Hamburg 1987, S. 174.

  19. Vgl. Botschaft der IRI, Verfassung der IRI, Bonn 1980, S. 80f.

  20. Vgl. F. Halliday, Iran: Analyse einer Gesellschaft im Entwicklungskrieg, S. 66f.; The Berlin 1979, S. Bakhash, Reign of the Ayatollahs, London 1985, S. 63 f.

  21. Vgl. US Senate, Military Sales to Iran, Washington,

  22. Vgl. US Arms Control and Disarmament Agency (ACDA), World Military Expenditures and Arms Transfers, Washington, D. C. 1989, S. 22.

  23. Zur chinesischen Dreiweltentheorie vgl. J. Glaubitz, China in der Weltpolitik (1971-1985), in: Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), VR China im Wandel, Bonn 1978, S. 166 ff.

  24. Vgl. Institute for International Strategie Studies (IISS), The Military Balance 1980/81, London 1980, S. 42L; dass. The Military Balance 1990/91, London 1990, S. 105 f.

  25. Vgl. O. M. Smolansky u. a., The USSR and Iraq: The Soviet Quest for Influence, Durham 1991, S. 13-33.

  26. Vgl. R. Pitty, Soviet Perceptions of Iraq, in: MERIP (1988), S. 3f., 23-27.

  27. Vgl. K. R. Timmermann, Öl ins Feuer, Zürich 1988, S. 41-92.

  28. Vgl. M. Brzoska u. a., Arms Transfers to the Third World 1971-1985, Oxford 1987, S. 78f.

Weitere Inhalte

Harald Möller, Dr. phil., geb. 1953; Studium der Geschichte und der Sozialwissenschaften in Bochum und Berlin; Staatsexamen in Sozialkunde und Geschichte; zur Zeit „gemeinnützige Arbeit“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Veröffentlichungen u. a.: Der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran: Endogene und exogene Bestimmungsfaktoren -Ein Beitrag zur Kriegsursachendiskussion, Berlin (i. E).