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Existenzgründer in Ostdeutschland Pioniere einer neuen Wirtschaftskultur | APuZ 15/1996 | bpb.de

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APuZ 15/1996 Existenzgründungen in Ostdeutschland Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in Sachsen-Anhalt " ..., daß man noch da ist!“ Schwierigkeiten bei der Suche nach einem ostdeutschen Mittelstand Existenzgründer in Ostdeutschland Pioniere einer neuen Wirtschaftskultur

Existenzgründer in Ostdeutschland Pioniere einer neuen Wirtschaftskultur

Frank W. Heuberger/Dirk Tänzler

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Es sind lebensweltliche Voraussetzungen in Form von Handlungsdispositionen, die die Gründung einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz in Ostdeutschland ermöglichen. Sehr häufig lassen sich in der Biographie der Existenzgründer verborgene unternehmerische Eigenschaften nachweisen, die bereits vor der Wende in Nischen selbstbestimmten Lebens erprobt wurden. Die Untersuchung des Gründungsgeschehens in Ostdeutschland fördert bestehende lebensweltliche Defizite zutage, die den unternehmerischen Erfolg der Existenzgründer beeinträchtigen. Vielfach verharren diese -trotz Übernahme des Konzepts marktwirtschaftlicher Rationalität -in alten Denk-und Lebensgewohnheiten, die sie noch nicht haben eins werden lassen mit ihrer neuen Berufsrolle. Die Praxis einer selbständigen Existenz vermittelt Erfahrungen, welche die überkommenen Deutungsmuster und Habitusformationen verändern, so daß sich sukzessive ein neuer Klassenhabitus herausbilden kann. Ob dieser zur Gestaltung eines ostspezifischen Typus mittelständischen Lebens beitragen wird, ist gegenwärtig noch nicht abschließend zu beurteilen.

I. Wirtschaftskultur: Die lebensweltliche Verankerung ökonomischen Handelns

Der sich nicht selten rasch einstellende berufliche Erfolg ostdeutscher Existenzgründer steht in Widerspruch zu ihrer häufig zu beobachtenden eher pessimistischen Lebenseinstellung, gilt Optimismus doch gemeinhin als Grundrequisite beruflicher Selbständigkeit. Trotz Stolz und Freude über den geschäftlichen Erfolg sind von den ostdeutschen Existenzgründern jedoch immer wieder Klagen über die Schwierigkeiten zu vernehmen, mit den neuen Lebensumständen fertig zu werden. Warum gelingt diesen Menschen fast problemlos der Übergang in die berufliche Selbständigkeit, während ihnen gleichzeitig die Integration in eine neue Gesellschaftsordnung ausgesprochen schwer zu fallen scheint? Offenbar verharren sie in alten Denk-und Lebensgewohnheiten, die sie noch nicht haben einswerden lassen mit ihrer neuen Berufsrolle.

Eine Analyse der Interdependenz ökonomischen und kulturellen Wandels unter Modernisierungsdruck muß sich im speziellen Falle der ehemaligen DDR durch die Anpassungsimperative an eine neue ökonomische Rationalität leiten lassen. Zugleich muß die historisch-kulturelle, politische und soziale Einbettung: die DDR-spezifische Sozialisation der neuen Bundesbürger, in den Blick genommen werden, die ihre zeitübergreifende Bedeutung für die sozialen Akteure noch lange nicht eingebüßt hat.

Rational kapitalistisches Wirtschaften setzt spezifische Handlungsmotivationen voraus. Die Bedingungen, unter denen diese heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erbracht werden, sind mit einem Erbe verbunden, das sich im expliziten Gegenentwurf zur privatwirtschaftlichen Handlungslogik und parlamentarischen Demokratie definierte. Mit der Wende trat eine neue Elite auf den Plan, die sich aus westdeutschen Politikern, Verwaltungsfachleuten, Managern und Unternehmern rekrutierte und die zum sichtbaren Träger ökonomischer und bürokratischer Rationalität westlichen Zuschnitts avancierte. Damit deutete sich eine Auseinandersetzung an zwischen den Trägern einer am westlichen Modell des Homo oeconomicus orientierten formalen Rationalität, wonach das Streben nach Nutzenmaximierung als handlungsbestimmend angenommen wird, und den ostdeutschen Kräften, die sich gegen die rasche „Einsozialisierung“ dieses als perfekt angepriesenen westdeutschen Habitus sperrten.

Unsere Studie der ostdeutschen Existenzgründer folgt einem von Max Weber inspirierten Forschungsprogramm der Wirtschaftskultur. Die Analyse des Verhältnisses von Wirtschaft und Kultur setzt an der inneren Natur des die Moderne prägenden rationalen Kapitalismus an. Der Kapitalismus als normfreies Handlungssystem unter den Imperativen des Rationalitätskriteriums ökonomischer Rentabilität besitzt keine Kapazität, aus sich heraus Legitimationen zu erzeugen. Ein deterministischer Einfluß von ökonomischen Prozessen auf Werthaltungen ist ebenso auszuschließen wie eine ethische Steuerung des Kapitalismus Skepsis ist auch angebracht hinsichtlich der Möglichkeit, zu adäquater Analyse von Markthandeln mit Hilfe des Konstrukts vom Homo oeconomicus zu gelangen. Zweckrational entscheidet und handelt ein ökonomischer Akteur nur idealiter; realiter fließen immer auch materiale Entscheidungsgründe in sein Handeln ein, die von ihm zum Teil kontrolliert, zum Teil aber auch unwillkürlich berücksichtigt werden. Daß Gewinn nicht verpraßt, sondern gespart und reinvestiert wird, ist eine ökonomische Notwendigkeit, aber es bedarf dazu entsprechender kultureller Einstellungen. Die Durchsetzung dieses Triebverzichts ist selbst Resultat eines langen Kulturprozesses. Wirtschaftskultur versucht daher den soziokulturellen Kontext zu definieren, innerhalb dessen wirtschaftliches Handeln und wirtschaftliche Institutionen existieren. Bewußtseinsstrukturen wie religiöse und ideologische Vorstellungen (z. B. Nationalismus), soziale Werte und moralische Normen sowie Institutionen (z. B. Familie und Religion) beeinflussen den Erfolg oder Mißerfolg von Marktökonomien ganz entscheidend Untersucht man aus kultursoziologischer Perspektive den Modernisierungsprozeß in Ostdeutschland -so wie er, forciert durch die Wende, alle Facetten der ostdeutschen Gesellschaft zu durchdringen begonnen hat -, dann darf das Problem des Passungsverhältnisses von westeuropäisch kapitalistischer Modernisierung und osteuropäisch sozialistisch geprägten sozialen, politischen und kulturellen Institutionen nicht aus dem Auge verloren werden.

Unter Kultur wird hier die Gesamtheit gesellschaftlicher Wissensbestände verstanden, die für den einzelnen einen als sinnvoll erfahrbaren Zusammenhang seiner Handlungen stiftet. Sie ist im ostdeutschen Transformationsprozeß einem ebenso starken Wandel unterworfen wie die überkommenen Formen wirtschaftlichen Handelns. Als erste Einsatzstelle zur Analyse dieser Umorientierung konnte gelten, wie es den Subjekten durch die Interpretation ihrer Erfahrungen im Alltags-handeln gelingt oder mißlingt, die durch den Untergang des „real existierenden Sozialismus“ entstandene und durch die unmittelbaren Folgen der Wiedervereinigung zunächst verstärkte ökonomische und soziale Krise zu überwinden. Die alten Verarbeitungs-und Deutungsmuster der Vergangenheit einerseits, die als schockartig erlebte Begegnung mit der marktwirtschaftlichen Ordnung, der kapitalistischen Produktionsweise, dem demokratischen Rechtsstaat und der Parteiendemokratie in einer pluralistischen Gesellschaft andererseits sind es, welche zusammen die neue soziale Realität in Ostdeutschland konstituieren.

II. Wirtschaftlicher Erfolg und lebensweltliche Krise

Die Schaffung einer autonomen materiellen Existenzgrundlage und die Bildung eines von Optimismus und Gestaltungswillen geprägten Habitus -so unsere erste These -sind die Grundelemente eines sich in Ostdeutschland neu konstituierenden Mittelstands als soziale Klasse. Während jedoch das Konzept marktwirtschaftlicher Rationalität von den Mitgliedern dieser Klasse schnell angeeignet und erfolgsorientiert umgesetzt wird, hinken -wie ihr Pessimismus zeigt -ihre lebensweltliche Orientierung und ihr Lebensstil der ökonomischen Rationalität hinterher.

Unser Definitionsversuch der neuen Selbständigen geht zugleich von der Annahme aus, daß einerseits der berufliche Erfolg des selbständigen Unternehmers zur Bewältigung der durch den Zusammenbruch der DDR erzeugten Lebensweltkrise beiträgt und daß andererseits die Ausbildung eines stabilen Lebensführungsstils eine Professionalisierung der Berufsrolle als Unternehmer fördert. Diese Synthese ist den ostdeutschen Existenzgründern bislang nicht gelungen, die neu gewählte Existenzform des Seibständigseins zwingt sie jedoch zur Bearbeitung und Lösung dieses Problems. Gewollt oder ungewollt, fungieren sie als wirtschaftskulturelle Pioniere, ohne daß der diese Rolle tragende Habitus bereits zu voller Entfaltung gelangt wäre. Dort wo es gilt, sich die disparaten systemischen Rollenanforderungen eines marktwirtschaftlichen Stils unternehmerischen Handelns anzueignen -eines Stils, den der westdeutsche Mittelständler bruchlos über Generationen hinweg ausbilden konnte -, wo es heißt Abschied zu nehmen von den Normen und Werten, mittels derer bisher die reibungsarme Sozial-integration in das alte System erfolgte, dort treten die Hauptprobleme ihrer Eingliederung ins neue System auf.

So betreffen die Klagen der Unzufriedenheit mit der. sozialen Situation in der Regel das eigene neue Selbstbild und damit zusammenhängend den Verlust stabiler Vertrauensbeziehungen. Zerstört sind vor allem die alten Solidaritätsvorstellungen, die nach der Wende in den Sog neuer Vergesellschaftungsprozesse geraten sind. Eine neue soziale Positionierung auf Basis einer distanzierten Form der Autonomie und eines abstrakten Systemvertrauens gelingt bisher nur bruchstückhaft. Das Erbe personalisierter sozialer Beziehungsmuster wirkt in seiner Zähigkeit immer noch nach Die neue Lebensform fordert die Akzeptanz eines Prozesses innerer Rationalisierung, dem der neue Selbständige insgesamt skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Schon früh haben viele Ostdeutsche hierin bei den Westdeutschen die Quelle ihrer Kälte und Abgebrühtheit gesehen. Und hierin sehen sie auch den Grund dafür, daß es vielen Unternehmensberatern und Versicherungsagenten, die im Jahr Eins dem Ruf „go east“ folgten, keine Schwierigkeiten bereitete, ihre Brüder und Schwestern aus dem Osten über den Tisch zu ziehen. So haben denn bei allem Mut zur Existenz-gründung viele gleichwohl die erste Phase der Transformation als einen wesentlich von außen in sie eindringenden Prozeß, als Schicksal und sich selbst als Opfer empfunden. „Wir wurden wie Katzen ins kalte Wasser der Marktwirtschaft geworfen^,so ein später sehr erfolgreicher Gründer der ersten Stunde.

Gegenwärtig ist noch nicht auszumachen, was im Verlauf dieses Selbsterfahrungsprozesses der neuen Selbständigen von ihrer DDR-Identität auf der Strecke bleiben wird. Zumindest theoretisch besteht die Möglichkeit, daß sich eine spezifische lebensweltliche Resistenz gegen die neuen Rollenerwartungen ausbilden könnte, die es erst noch bewußt zu entdecken und zu verteidigen güt.

Offen ist auch, ob sich die Fähigkeiten zu Eigeninitiative und unternehmerischem Handeln, die sich im ersten Jahr nach der Wende und auch danach in so zahlreichen Unternehmensgründungen offenbarten, trotz oder wegen 40 Jahren Sozialismus so gut ökonomisch funktionalisieren und einsetzen ließen. Hier bleibt genauer zu prüfen, was an der Berufs-und Lebenserfahrung im Sozialismus sich positiv für unternehmerisches Handeln beerben läßt. Denkbar ist auch, daß sich vor allem bei den älteren Existenzgründern ein Handlungspotential bewahren ließ, das auf die Zeit vor dem Sozialismus verweist und das nun in Gestalt des Homo oeconomicus endlich die Zeit seiner eigennutz-orientierten Reife erlebt. Dazu würde passen, daß die überwiegende Zahl der neuen Selbständigen kaum zu den systemkritischen Initiatoren geistiger, kultureller oder politischer Erneuerung gehörte, sondern vielmehr der großen Zahl gut Angepaßter zuzurechnen ist, die sich ohne Selbst-aufgabe mit dem System recht gut zu arrangieren wußten.

Ein anderer Aspekt des Gründungsgeschehens betrifft die Annahme daß die von uns exemplarisch behandelten Existenzgründer aus der Gruppe der Arbeiter und Handwerker -aber nicht nur diese -den Schritt in die Selbständigkeit nur zur Abwehr vorhandener oder drohender Arbeitslosigkeit gewagt hätten. Dieses Motiv mag zu einem gewissen Prozentsatz ausschlaggebend (gewesen) sein, unsere Ergebnisse belegen jedoch, daß die Unternehmensgründung sehr häufig die Verwirklichung eines lang gehegten Wunsches ist, der mit der als Chance begriffenen Wende realisiert werden konnte. So gaben über 61 Prozent der von uns Befragten an, daß sie bereits zu DDR-Zeiten ein Unternehmen gegründet hätten, wäre dazu die Möglichkeit vorhanden gewesen

Die Gründungsmotivierung muß -so unsere zweite These -als ein primär innengeleiteter Prozeß verstanden werden, dem eine veränderte ökonomische, soziale und politische Realität zu unerwarteten Handlungs-und Optionsspielräumen verhilft. Arbeitslosigkeit kann als äußerer Anlaß oder verstärkender Faktor zum Gründungswunsch hinzutreten, ist aber nicht selbst das entscheidende Motiv. Dieses ist lebensweltlich tiefer verankert und läßt sich als Element eines Sets von Handlungsdispositionen rekonstruieren, dem unseres Erachtens sowohl ausschlaggebende Bedeutung für die Entscheidung zur Existenzgründung als auch für die Erfolgsabschätzung des Unternehmens zukommt.

Dabei darf nicht vergessen werden, daß die normativen Wurzeln ökonomischen Verhaltens in Ostdeutschland nicht dieselben waren wie in Westdeutschland. Es kann daher nicht von einer Affinität zwischen den materiellen Interessen von Trägerschichten der Umgestaltung und ihrer wirtschaftsethischen Gesinnung ausgegangen werden, die unter den neuen Bedingungen privatwirtschaftlichen Handelns nur reaktiviert werden müßte, um ein erfolgreiches Bestehen am Markt zu ermöglichen. Die zur ökonomischen Rationalität passende Handlungslogik und die diese tragenden ethischen Prinzipien sind gänzlich neu zu lernen. Personalisierte Vertrauensverhältnisse, wie sie sich in Ostdeutschland in expliziter Abkehr vom Staat herausbildeten, müssen erst in eine Form anonymen Systemvertrauens umgewandelt werden, damit man sich an der Gewißheit gesetzeskonformen Verhaltens aller sozialen Akteure überhaupt orientieren kann.

Beim Übergang zum privatwirtschaftlichen und konkurrenzorientierten Handeln, auch innerhalb eines einzelnen Unternehmens, war daher einiges an „Reibungsverlusten“ zu erwarten. Andererseits ist aber auch der sich in den westlichen Industrienationen bereits seit den fünfziger Jahren vollziehende Übergang von der industriellen zur sogenannten postindustriellen Gesellschaft nicht nur durch Veränderungen in der Kultur-sphäre gekennzeichnet, sondern vor allem auch durch tiefgreifende Umbauten im Produktionsbereich selbst, Umbauten, die permanente Anpassungsprozesse und innerbetriebliche Restrukturierungsmaßnahmen erzwingen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie die neuen Bundesländer quasi in einem Zug die ökonomische Transformation vollziehen und gleichzeitig dem weltweiten Trend des Übergangs von der Produktions-zur Dienstleistungsgesellschaft folgen können.

III. Die ökonomische und soziale Rolle des Mittelstandes

Massenproduktion und Automation in Großunternehmen und deren Überführung in die rechtliche Gestalt der Aktiengesellschaft führten im 20. Jahrhundert dazu, daß die vormals in personaler Einheit liegenden Funktionen von Eigentümer, Betriebsleiter und Manager auf verschiedene Personen verteilt wurden. Was Firmenentscheidungen betrifft -sei es Marktchancen zu erkennen, Kosten zu senken, Investitionen durchzuführen oder die Produktion auszudehnen -, trat die Verfügungsgewalt über das Kapital an die erste Stelle gegenüber dem Eigentumstitel an der Firma. Dennoch hat das klassische Bild des Unternehmers, Eigentümer und Betriebsführer zugleich zu sein, bis heute in der Gestalt des Mittelständlers überlebt. Joseph Schumpeters Begriff vom dynamischen Unternehmer, der es versteht „Dinge in Gang zu setzen“ und „neue Kombinationen von Produktionsfakto-ren durchzusetzen“, bildet zusammen mit Max Webers Modell vom bodenständigen Unternehmer, der in arbeitsethischer Hingabe an sein Geschäft Pflicht mit Verantwortung paart, nach wie vor das positive Leitbild für den Typus „freier Unternehmer“. Damit wird eine deutliche Unterscheidung zum Typ „Spekulant“, dem es risiko-reich um das schnelle Geld geht, wie zum Typ „Manager“, der rein sachrational, aber mit gebremstem persönlichen Engagement das Unternehmen leitet, erkennbar.

Der Klein-und mittelständische Unternehmer, so zeigen unsere Ergebnisse, muß also in einer doppelten Perspektive betrachtet werden: als ein unter den besonderen Bedingungen der DDR-Gesellschaft geprägter Novize im privatwirtschaftlichen Geschäft und als prägender Neuerer, der bereit ist, viele Entbehrungen im sozialen und persönlichen Bereich auf sich zu nehmen, um den Wunsch nach eigenverantwortlichem Handeln und Selbstverwirklichung in die Tat umzusetzen.

Obwohl der Begriff des Mittelstands wissenschaftlich nicht eindeutig definiert ist, halten wir an ihm fest, weil er aus der Mittelschicht jene Gruppe der Klein-und mittelständischen Unternehmer her-ausgreift, die dem Habitus dieser Klasse verhaftet ist, zugleich aber den sozialen Aufstieg sucht. Klein-und mittelständische sowie Großunternehmen unterscheiden sich rein formal durch die Unternehmensgröße und durch Jahresumsatzzahlen. Danach gilt als Kleinbetrieb ein Betrieb, der bis zu neun Personen beschäftigt und nicht mehr als eine Million DM Umsatz pro Jahr erreicht. Als typisch mittelständisch wird ein Unternehmen mit 10 bis 500 Beschäftigten und einem Grundumsatz bis zu 100 Millionen DM betrachtet. Alle Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz über 100 Millionen DM gelten als Großunternehmen. Zwischen Klein-und mittelständischen Betrieben wird von uns im folgenden nicht unterschieden, weil es sich dabei im wesentlichen um ökonomische Größenunterschiede handelt, die soziokulturell kaum zu Buche schlagen. In sozialer und kultureller Hinsicht unterscheiden sich diese beiden Gruppen wenig, aber beide grundsätzlich von Großunternehmen. Das wird insbesondere deutlich bei einem Vergleich der Unternehmensführung.

Klein-und mittelständische Unternehmen sind in der Regel im Besitz und stehen unter der Leitung von selbständigen Unternehmern, Großbetriebe werden dagegen meist durch angestellte Manager gefühlt. Kurz: Mit der Bezeichnung Mittelstand betonen wir, der Alltagssprache folgend, den Tat-bestand des freien Unternehmertums in seiner ökonomischen und soziokulturellen Bedeutung. Der Mittelstand erfüllt aus unserer Perspektive zumindest zwei Funktionen: eine im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die andere im Kontext einer an Leistung, Verdienst und Status orientierten Gesellschaftsordnung. Das der sozialen Schichtung der bürgerlichen Gesellschaft zugrundeliegende Leistungsprinzip steht dabei in einem Passungsverhältnis zum Wettbewerbscharakter der marktwirtschaftlichen und politischen Ordnung. Dies verweist historisch auf den Zusammenhang zwischen rationalem Kapitalismus und pluralistischer Demokratie, da beide Systeme eine Dezentralisierung von Entscheidung und Macht bewirken.

Demgegenüber war der Realsozialismus durch den Primat der Politik über die Wirtschaft (und alle anderen Lebensbereiche) bestimmt. Von daher war der Mittelstand als Träger sozialer und politischer Unabhängigkeit stigmatisiert und politischer Repression ausgesetzt. Unseres Erachtens hat die Renaissance des Mittelstands in Ostdeutschland über die rein ökonomische Funktion hinaus „Kulturbedeutsamkeit“ für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Als soziale Schicht ist der Mittelstand definiert durch die Eigenschaften einer Besitzklasse und eines durch Konsumgewohnheiten und Lebensstile bestimmten Klassenhabitus.

Auch in den westlichen Industrieländern ist ein Gründungsboom Klein-und mittelständischer Betriebe festzustellen. Existenzgründungen erscheinen vor diesem Hintergrund nicht nur als spezifisches Phänomen der Restrukturierung, das heißt als nachholende Modernisierung ehemals stark zentralisierter Wirtschaftssysteme, sondern auch als Ausdruck der Abkehr von der Ideologie tayloristischer Massenproduktion in den westlichen Wirtschaftsdemokratien. Dieser Trend kann unter anderem mit dem weltweiten Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft in Zusammenhang gebracht werden. Komparative Vorteile der Klein-und mittelständischen Betriebe gegenüber Großbetrieben sind unter anderem ein hoher Beschäftigungseffekt (in den alten Bundesländern ca. 53 Prozent mit zunehmender Tendenz), ein hoher Leistungs-und Motivationsgrad der Beschäftigten, geringere Bürokratisierungstendenzen, hohe Inno-vationsbereitschaft sowie ein geringeres soziales Konfliktpotential.

Bei kleinen und mittleren Unternehmen handelt es sich häufig um Betriebe an nur einem Produktionsstandort. Sie sind ein wesentlicher Teil des endogenen, das heißt des in einer Region vorhandenen Potentials. Dies gilt sowohl mit Blick auf das Produktionspotential als auch auf das Potential an Beschäftigten. Insbesondere Aus-gründungen und Neugründungen gehören dazu und sind oft durch die Person des Unternehmers in besonderem Maße mit dem entsprechenden Ort oder der Region verbunden. Ein Mittelständler ist vielfach in der Region verwurzelt und an ihrer Entwicklung stark interessiert, da er hier arbeitet und lebt. Infolge der fast völligen Deindustrialisierung Ostdeutschlands nach der Wende spielt der Mittelstand eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau der Wirtschaft. Für viele Regionen in den neuen Bundesländern, und auch in Sachsen-Anhalt, wird deutlich, daß die wirtschaftliche Entwicklung hauptsächlich durch die Mobilisierung dieses endogenen Potentials getragen werden muß, da die Ansiedlung von Großinvestoren bisher nur ungenügend erfolgt ist und wohl auch zukünftig nicht im einst erhofften Maße erfolgen wird.

Neben dieser wichtigen ökonomischen Funktion der Klein-und mittelständischen Unternehmer in Ostdeutschland ist soziologisch gesehen insbesondere die Berufspassage in die Selbständigkeit -der Übergang vom bisherigen Beruf in den des selbständigen Unternehmers -von großem Interesse. Unsere empirischen Befunde deuten darauf hin, daß es spezifische Milieus gibt, aus denen sich die ostdeutschen Existenzgründer rekrutieren und in denen die Voraussetzungen für den Übergang schon ausgebildet waren Die Berufspassage selbst ist zugleich Ausdruck des Entstehens einer neuen Mittelklasse in Ostdeutschland als Trägerschicht einer neuen Wirtschaftskultur.

Obwohl die Existenzgründer sich aus unterschiedlichen Schichten rekrutieren, belegen verschiedene Studien hier eine eindeutige Tendenz. Unter den Existenzgründern sind Haus-und Grundstückseigentümer häufiger vertreten, Handwerker überrepräsentiert, Ingenieure und Unqualifizierte unterrepräsentiert In dieser Hinsicht ist die soziale Herkunft (Besitz, Bildung) der ostdeutschen Existenzgründer der vieler westdeutscher , Kollegen 1 nicht unähnlich und kann als aufstiegs-orientiert und typisch mittelschichtspezifisch etikettiert werden. Unter der Annahme, daß die dominierende Gruppe unter den Existenzgründern dereinst einmal Habitus und Bewußtsein der neuen Mittelklasse bestimmen wird, haben wir unsere Analyse insbesondere auf diese Gruppe gerichtet, die sich vornehmlich in Handel und Dienstleistungen einschließlich Handwerk engagiert hat Personen aus diesem Milieu besitzen -so unsere dritte These -die Voraussetzung für eine Passage in die Selbständigkeit, wenn die Bedingung erfüllt ist, daß die Fähigkeit zu autonomer Entscheidung bereits schon zu DDR-Zeiten in irgendeiner Lebenssphäre, sei es im Beruf oder der Privatsphäre, dauerhaft unter Beweis gestellt worden ist. Autonomie und Verantwortung wurden von diesen Existenzgründern bereits als persönliche Leitideen erprobt und haben sich bei ihnen auch bewährt. Die Gewißheit ihres wiederholt erfolgreichen Einsatzes verstärkt die Gründungsabsicht erheblich. Es überrascht daher auch nicht die hohe Bewertung von Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit als Gründungsmotiv.

Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß ostdeutsche Existenzgründer einen Sozialtypus repräsentieren, der verschiedene Eigenschaften in sich vereint, welche die materiellen und ideellen Voraussetzungen für die Berufspassage darstellen und auf ein bestimmtes Rekrutierungsmilieu verweisen. Mit der Existenzgründung wird ein Übergang in die Selbständigkeit als eine spezifische Erwerbs-klasse (Abgrenzung nach „unten“ gegen Arbeiter und Angestellte, nach „oben“ gegen „Kapitalisten“ und Manager) und eine spezifische Existenz-form (durch Selbständigkeit geprägten Habitus) beschritten. Der ökonomische Erfolg schafft und sichert die finanzielle Basis dieser Lebensform; die Praxis einer selbständigen Existenz vermittelt Erfahrungen, welche die überkommenen Deutungsmuster und Habitusformationen verändern, so daß sich sukzessive ein neuer Klassenhabitus herausbilden kann. Erst wenn sich die materielle Basis und der Klassenhabitus stabilisiert haben, kann von der Existenz eines neuen Mittelstandes gesprochen werden.

Auffallend ist, daß der Übergang in die Selbständigkeit trotz aller „Heterogenität“ (Bögenhold) zumindest in einem entscheidenden Punkt fast durchweg gleichförmig verläuft. Jenseits der unmittelbar die berufliche Selbständigkeit betreffenden Probleme war für alle Akteure das Thema Solidarität beruflich wie generell lebensweltlich von großer Brisanz. Häufig wird der Verweis auf die alte Solidarität unter den Ostdeutschen als nachträgliche Stilisierung machtgestützter Innerlichkeit und Flucht aus der Gegenwart gedeutet. Dies trifft zumindest für die von uns untersuchten Existenzgründer nicht zu. Hier findet tatsächlich eine Problembearbeitung statt, die eine Verschiebung alter Solidaritätsvorstellungen durch einen damit nicht zu vereinbarenden Modus einleitet. Solidaritätsvorstellungen bilden keinen gesellschaftlichen Überbau von Sozialstrukturen. Vielmehr regeln sie die soziale Positionierung des Subjekts in einem gesellschaftlichen System gegenseitiger Leistungen und sozialer Anerkennung, gehören also zu seiner Identität als dem Entscheidungs-und Handlungszentrum seiner Lebenspraxis So besteht ein zentrales lebenspraktisches Problem eines jeden Ostdeutschen darin, von einem auf persönliche Beziehungen und Bindungen basierenden Solidaritätsverständnis zu einer distanzierten und vermittelten Form der Solidarität überzugehen. Bei den Existenzgründern spitzt sich dieses allgemeine Strukturproblem noch zu. Ihre Erfahrung der Entpersönlichung sozialer Beziehungen verschärft sich im Unternehmen durch die Praxis des freien Arbeitsvertrags und des Konkurrenzdrucks. Die Lösung, die sie diesem Problem in ihrer exponierten Stellung geben, wird richtungweisende gesamtgesellschaftliche Bedeutung haben.

IV. Eckdaten des Gründungsgeschehens in Ostdeutschland am Beispiel des Landes Sachsen-Anhalt

Die Rolle der ostdeutschen Selbständigen als wirtschaftskulturelle Pioniere ist Folge der System-transformation nach dem Untergang des real existierenden Sozialismus. Grundsätzlich geht es bei der Entwicklung in den neuen Bundesländern in bezug auf die Entstehung von Klein-und mittelständischen Unternehmen daher nicht bloß um neue Entwicklungstendenzen oder um eine Trendwende wie etwa in Westdeutschland, sondern zunächst um das Problem, mit dem fundamentalen Einschnitt in die alte Wirtschaftsform überhaupt fertig zu werden. In der Wirtschaftspolitik der DDR spielten die Klein-und mittelständischen Unternehmen nur eine marginale Rolle. Ihre Existenz wurde allein aus der „Notwendigkeit zur Versorgung der Bevölkerung“ toleriert. Wie kaum andere Zahlen, so belegen die der großen Vergenossenschaftlichungs-und Verstaatlichungswellen von 1960/61 und 1971 die mittelstandsfeindliche Politik in der DDR. In Sachsen-Anhalt verminderte sich die Zahl der Selbständigen (einschließlich mithelfender Familienangehöriger) von ca. 500 000 im Jahre 1946 auf ca. 28 000 im Jahre 1989. Im Jahre 1988 waren in der gesamten DDR nur 2, 1 Prozent der Erwerbstätigen beruflich selbständig Zu Beginn des Transformationsprozesses existierten nur Restbestände von Klein-und mittelständischen Betrieben im Handwerk, Handel und im Gastronomiebereich. Damit bestehen völlig andere Ausgangsbedingungen für die Entwicklung von Klein-und mittelständischen Unternehmen als in den alten Bundesländern.

Kurz nach der Wende, im Jahr 1991, war die Zahl der Gewerbeanmeldungen im Land Sachsen-Anhalt (wie in den übrigen vier neuen Bundesländern auch) mit 45 000 Eintragungen am höchsten. Dieser „Gründerboom“ ließ dann nach; die Anmeldungszahlen fielen 1992 auf 36 336, 1993 auf 32 357. Für 1994 kann ein Rückgang in etwa gleicher Größenordnung veranschlagt werden. Während die Anmeldungen von 1991 bis 1993 stetig gefallen sind, nahmen die Abmeldungen stark zu (1991: ca. 15 500; 1993: ca. 21 000), /so daß die saldierten Anmeldungen von ca. 30 000 im Jahre 11 1991 in 1992 fast um die Hälfte (16 705) und dann in 1993 auf fast ein Drittel des Ausgangswertes zurückgegangen sind.

Da ein großer Teil der Existenzgründungen im Dienstleistungssektor vorgenommen wurde, trägt der Mittelstand ganz erheblich zur Restrukturierung der an Überindustrialisierung und dem Mangel an Dienstleistungsbetrieben leidenden Wirtschaftsstruktur des Landes bei. Zum einen trifft die Deindustrialisierung das Land Sachsen-Anhalt besonders stark, zum anderen gibt es noch Entwicklungspotentiale im Dienstleistungsbereich, liegt Sachsen-Anhalt doch hier, wie beim Gründungsgeschehen insgesamt, unter dem Durchschnitt aller neuen Bundesländer. * Die Entwicklung beim Handwerk ist aufgrund des -wenn auch verhaltenen -Baubooms weitgehend stabil (Anteil an den saldierten Anmeldungen in Sachsen-Anhalt für die Jahre 1991 9, 8 Prozent und 1994 15, 8 Prozent), beim Handel rückläufig (46, 1 Prozent zu 25, 5 Prozent) und bei den „Sonstigen“

wie zum Beispiel Dienstleistungen positiv (40, 4 Prozent zu 52, 4 Prozent). Die realen Zuwächse im Bereich Sonstige/Dienstleistungen haben über 50 Prozent erreicht und damit erheblich an Bedeutung für das Wirtschaftswachstum des Landes gewonnen. Darüber hinaus bestehen noch unausgeschöpfte Potentiale bei den unternehmens-

und personenbezogenen Dienstleistungen.

Die stabile bis positive Entwicklung im Handel ist darauf zurückzuführen, daß Gründungen hier eine sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweisen.

Die Umsatzentwicklung verlief für 80 Prozent der Betriebe positiv, und es wurden in jedem Betrieb durchschnittlich 350 000 DM an Investitionen getätigt. Auch wirtschafts-und beschäftigungspolitisch spielen die rund 25 000 Handwerksbetriebe mit durchschnittlich sieben Beschäftigten (in Westdeutschland acht) eine entscheidende Rolle. Die Zahl der Betriebe des industriellen Mittelstandes in Sachsen-Anhalt wird auf ca. 11 000 geschätzt. Damit ist das westdeutsche Niveau etwa zur Hälfte erreicht (Anteil an den saldierten Gewerbeanmeldungen 1994 6, 3 Prozent).

Die durchschnittliche Unternehmensgröße liegt mit 57 Mitarbeitern noch deutlich unter westdeutschem Niveau mit ca. 74 Mitarbeitern.

Eine wichtige, aber -was das soziale Profil betrifft -etwas anders geschnittene Gruppe unter den Mittelständlern sind die Freiberufler wie Ärzte, Anwälte, Wirtschafts-und Steuerberater, Kultur-schaffende usw. Die Entwicklung in diesem Bereich verlief wegen des hohen Nachholbedarfs sehr sprunghaft. Anfang 1994 gab es in Sachsen-39 Anhalt ca. 13 500 Freiberufler mit 30 000 Angestellten und 6 500 Auszubildenden. Der Frauenanteil unter den Freiberuflern ist mit 44 Prozent, bei den Heilberufen sogar mit über 50 Prozent, überdurchschnittlich hoch. Günstig ist die Entwicklung bei den baunahen Berufen, insbesondere bei Architekten, Planern und Ingenieuren, den wirtschafts-und steuerberatenden sowie Heilberufen, eher schlecht bei den nicht bauplanenden Ingenieurberufen. 1994 waren von den rund 1, 2 Millionen Erwerbstätigen in Sachsen-Anhalt (Herbst 1993) ca. 730 000 oder 62 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben unter 200 Mitarbeitern tätig. Das entspricht etwa dem Bundesdurchschnitt von 66 Prozent. Der Mittelstand ist aber nicht nur der weitaus größte Arbeitgeber, sondern auch der größte Anbieter für berufliche Ausbildungsplätze des Landes geworden. Aufgrund seiner regionalen Verwurzelung wird im Mittelstand ein wichtiges endogenes Wirtschaftspotential gesehen, das einen entscheidenden Beitrag zu einer selbsttragenden Regional-entwicklung leisten kann. Die Klein-und mittelständischen Unternehmen konnten im Zeitraum 1992/93 ihren Jahresumsatz von 400 Millionen DM auf über 980 Millionen DM steigern und je Beschäftigten von rund 6 300 DM auf 14 500 DM mehr als verdoppeln, also auch eine erhebliche Produktivitätssteigerung erreichen.

V. Typische Merkmale eines ostdeutschen Existenzgründers

Die ökonomischen Strukturdaten ergeben in der Summe ein positives Bild von der Entstehung eines leistungsfähigen Mittelstands in Ostdeutschland Gründerstudien für Westdeutschland verwiesen in der Anfangsphase auf ein ansteigendes Risiko, das in der nächsten Phase bis zu einem Maximum wuchs, um erst danach abzufallen. Nach rund fünf Jahren waren etwa die Hälfte aller im Beobachtungszeitraum gegründeten Betriebe wie-der abgemeldet Von den in Sachsen-Anhalt befragten Existenzgründern hatten zur Zeit der Befragung 79, 1 Prozent die erste kritische Phase der Betriebsentwicklung hinter sich und bestätigten den positiven Trend Insolvenzen und Abmeldungen sind gleichwohl in relevanten Größenordnungen anzutreffen.

Diese objektiven Strukturdaten erklären jedoch nicht hinreichend, wie es zu diesem insgesamt positiven Verlauf hat kommen können. Stichhaltige Aussagen darüber sind erst dann möglich, wenn die Persönlichkeit des Gründers, seine Motive, seine soziale Herkunft, sein beruflicher Werdegang und andere seine Biographie charakterisierenden Momente in den Blick genommen werden. Untersucht man die Herkunftmilieus zum Beispiel an Hand der erlernten Berufe, so stellt man fest, daß unter den Existenzgründern in Sachsen-Anhalt die Arbeiter mit einem Anteil von über 40 Prozent dominieren. Dies scheint in Widerspruch zu den obigen Angaben bezüglich der Schichtzugehörigkeit von Existenzgründern zu stehen. Ingenieure sind mit fast 20 Prozent ebenfalls stark vertreten und auch Industrieberufe, auf Kosten handwerklicher und Dienstleistungsberufe, überrepräsentiert. Der Grund dafür liegt nicht nur in der im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern verzerrten Wirtschaftsstruktur Sachsen-Anhalts mit einem Überhang in der industriellen Produktion. Nach der Deindustrialisierung bieten sich diesen Personen in großer Zahl (und mit relativ einfachen Mitteln) Möglichkeiten einer selbständigen Existenz in Handel und Dienstleistungen sowie im Handwerk. Hinsichtlich des Anteils der Handwerker an den Existenzgründern ist daher im Vergleich mit westdeutschen Daten zu bedenken, daß ein Großteil handwerklicher Tätigkeiten in den Instandhaltungs-und Reparaturabteilungen der Industriebetriebe angesiedelt war. Aus diesen Reihen rekrutieren sich daher viele der sich selbständig machenden Handwerker. Selbst Ingenieure haben Meistertitel nachgemacht, wenn sie einen entsprechenden Gewerbebetrieb gründen wollten. Signifikant hoch ist mit 70 Prozent der Anteil der ehemaligen Führungskräfte -technischer oder kaufmännischer Natur -aus den alten volkseigenen Betrieben. Nur ein geringer Teil der über 40 Prozent ausgebildeten Facharbeiter waren tatsächlich als Arbeiter beschäftigt. Diese Gruppe von Selbständigen rekrutiert sich damit zwar zum größten Teil aus der aufstiegsorientierten Arbeiterschaft, hatte in ihrer Arbeitsfunktion aber bereits deutlich andere Aufgaben übernommen.

Faßt man die mehrheitlich genannten biographischen Merkmale der von uns Befragten zusammen, so entsteht folgendes Bild des typischen Existenzgründers: Ein Existenzgründer in Sachsen-Anhalt -ist zwischen 35 und 54 Jahren alt mit einem leichten Schwergewicht in der Altersgruppe 45 bis 54 Jahren, -ist männlichen Geschlechts, -ist verheiratet, -hat Kinder (mehrheitlich bis zu 2 Kinder), -strebt nach eigenverantwortlicher und befriedigender Arbeit, -ist, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, häufiger im christlichen Glauben erzogen worden, hat eine starke Bindung an die jeweilige Region des Wohnortes, -ist Mitglied in Vereinen bzw. Fachverbänden, ohne eine Funktion auszuüben, -hat einen Fach(hoch) schul-oder Hochschulabschluß, -arbeitete vor der Gründung des eigenen Unternehmens als Führungskraft und -hatte vor 1989 nicht den Wunsch, die DDR dauerhaft zu verlassen.

Allein die Altersstruktur der Existenzgründer deutet bereits darauf hin, daß es sich um eine Personengruppe handelt, die bereits eine lange Zeitspanne beruflicher Tätigkeit hinter sich gebracht hat und über entsprechende Erfahrungen verfügt. Daß die Mehrheit älter als 45 Jahre ist, bedeutet aber auf der anderen Seite auch, daß diese Menschen in der zweiten Hälfte ihres Lebens durch die Wende einen existentiellen Bruch erfahren haben und in ihrem Von-vorn-Anfangen altersspezifisch benachteiligt sind. Vielfach handelt es sich um Personen, die auf dem Arbeitsmarkt mit Schwierigkeiten zu rechnen hätten, die also auch vor der Alternative zwischen der Entscheidung für die Selbständigkeit oder der Arbeitslosigkeit standen.

Die Gründer sind „Kinder der DDR“. Sie gehören zu den beiden am stärksten in die DDR integrierten Generationen. Unabhängig davon, ob sie das System akzeptierten oder innerlich ablehnten, richteten sie sich im Status quo ein Nicht nur das Alter, sondern auch die beruflichen Karrieremuster der Existenzgründer deuten auf eine stabile soziale Integration hin, was insbesondere für Führungspositionen gilt. Damit ist ein Personenkreis angesprochen, der ein höheres Maß an Systemintegration und Anpassung repräsentiert als etwa der Arbeiter oder Angestellte ohne herausgehobene Funktion. Dies läßt sich durch die einfache Überlegung stützen, daß fortwährendes nichtkonformes Verhalten durch den Leiter (etwa einer Abteilung, Brigade, Werkstatt oder ganzen Betriebs) nur kurzfristig denkbar war und schnell zum Wechsel an der Spitze führte. Es muß hier hinzugefügt werden, daß der Erfahrung in Führungspositionen nicht auch zugleich ein höherer Ausbildungs-oder Studienabschluß entspricht. Das heißt, daß Führungserfahrungen über weite Bereiche des Arbeitslebens und/oder der Politik verstreut gesammelt werden konnten. Die Vermutung, daß es sich bei einer Vielzahl der Existenzgründer um einen Personenkreis handelt, der sich durch ein relativ systemkonformes Verhalten „auszeichnete“, läßt sich noch durch ein anderes Ergebnis der Befragung abstützen: die relativ hohe Zufriedenheit mit der früher ausgeübten Tätigkeit. Auf die Frage, ob (und in welchem Maß) die Unzufriedenheit mit der bisherigen Tätigkeit ausschlaggebendes Motiv für die Unternehmensgründung war, antwortete bejahend eine überraschend geringe Anzahl der Befragten: nur 38, 6 Prozent. Ein solches Ergebnis ist allerdings weniger überraschend, wenn man davon ausgeht, daß ein großer Teil der Befragten mit Leitungsaufgaben betraut war.

Diese Konformität mit dem System schließt aber persönliche Unabhängigkeit nicht aus. Untersucht man den Solidaritätsmodus, der hinter dieser Konformität steckt, erkennt man, daß in der DDR in hohem Maße traditionelle Formen der Vergemeinschaftung in persönlichen Beziehungsnetzwerken wirksam waren. Diese Retraditionalisierung der DDR-Gesellschaft war Folge der sozialistischen Mangelökonomie, welche die Menschen zwang, . näher zusammenzurücken’. Die Allokationsprobleme der Mangelwirtschaft bewirkten eine Aufwertung und Stärkung verwandtschaftlicher, nachbarschaftlicher und anderer Beziehungsnetzwerke sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Privatsphäre. Konformität bezieht sich im wesentlichen auf die Normen dieser familialen und betrieblichen Beziehungen und nicht auf die „offizielle“ Gesellschaft. Wenn eine Mehrheit unter den befragten Existenzgründern angibt, vor 1989 nicht den Wunsch gehabt zu haben, die DDR zu verlassen, dann kann das nicht zwangsläufig als Bekenntnis zum Gesellschaftssystem gewertet werden. Berücksichtigt man die große regionale Verbundenheit der Befragten, muß das Bleiben eher als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer Schicksalsgemeinschaft verstanden werden. Nicht die Gesellschaft, schon gar nicht die sozialistische, sondern die Gemeinschaft ist das Objekt emotionaler Fixierung. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache von Bedeutung, daß die Existenzgründer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung häufiger im christlichen Glauben erzogen worden sind. Im historischen Kontext kann diese Aussage dahingehend gedeutet werden, daß sie häufiger Sozialisationsbedingungen unterworfen waren, die gegen die gesellschaftlichen Mächte die Internalisierung von Prinzipien autonomer Lebensführung ermöglichten, als das in anderen Milieus der Fall war.

Offizielle, formalisierte Beziehungen hatten im Realsozialismus den Makel, Teil eines staatlichen Herrschaftsapparats zu sein, der in alle Bereiche des sozialen Lebens einzudringen versuchte. Von daher waren Vertrauensbeziehungen überlebenswichtig sowohl im Sinne der Beschaffung materieller Mangelgüter als auch zur Sicherung autonomer Lebenswelten. Kein Wunder, daß diese Vertrauensbeziehungen eine fundamentale Ressource für die Unternehmensgründung darstellen Die Distanzhaltung gegenüber den Institutionen des Staates und die in scharfem Kontrast dazu stehende stabile Einbindung in informelle Netze vertrauensbasierter Solidaritätsbeziehungen wird auch deutlich daran, daß man heute zwar Mitglied von Vereinen ist, aber allgemeine Aufgaben oder gar formelle Ämter nicht übernehmen will.

Während die „entfernten Bekannten“ stärker für betriebliche Zwecke „eingesetzt“ werden, bilden insbesondere die Familienangehörigen das emotionale Rückgrat der Existenzgründer. Fast 90 Prozent der Befragten gaben an, daß ein intaktes Familienleben für sie eine wichtige Rolle spiele. Berücksichtigt man jetzt noch die Anteile der verheirateten oder in Partnerschaft lebenden Existenzgründer (knapp 92 Prozent) und die Haushalte mit Kindern (64, 4 Prozent), kommt man zu dem Schluß, daß familiäre Geborgenheit eine der wichtigsten Komponenten positiver Beeinflussung für Existenzgründer darstellt. Die ökonomischen Pioniere sind alles andere als eine soziale Avantgarde im Sinne der Erprobung neuer Lebensstile, sondern eher Anhänger traditioneller Lebensformen. Bedenkt man aber den historischen Rahmen der hier untersuchten Existenzgründer in einer Transformationsgesellschaft, so scheint es rational, das Abenteuer der beruflichen Selbständigkeit in einem problematischen Umfeld nicht noch durch soziale Experimente weiteren Risiken auszusetzen. Die stark zum Ausdruck gebrachte Familienbindung muß als lebensweltlicher Hintergrund verstanden werden, der dem Existenzgründer die notwendige emotionale Sicherheit und Unterstützung bereitstellt, um sein risikobehaftetes Unternehmen beruflicher Selbständigkeit erfolgversprechend in Angriff nehmen zu können.

Das neue Selbstbild der ostdeutschen Existenz-gründer ist geprägt durch ein Streben nach eigenverantwortlicher und befriedigender Arbeit. Das ist an sich nicht überraschend, ist Eigenverantwortung doch eine der Grundvoraussetzungen unternehmerischen Handelns. Erstaunlich ist aber die Selbstverständlichkeit, mit der Eigenverantwortung als Grundrequisite freien Unternehmertums in diesem historischen Kontext genannt wird, sind die Existenzgründer doch in einer Gesellschaft sozialisiert worden, in der Verantwortung einen ganz anderen Inhalt hatte. Außerdem weist diese Aussage darauf hin, daß die Entscheidung für die Selbständigkeit nicht auf die Alternative zur Arbeitslosigkeit reduziert werden kann, sondern unabhängig davon auch ein innerer Antrieb zur Selbständigkeit vorhanden sein muß. Unsere Ergebnisse bestätigen, daß erfolgreiche Unternehmensgründungen in der Regel die Verwirklichung eines langgehegten Wunsches darstellen. Angst vor oder bereits eingetretene Arbeitslosigkeit kommen gegebenenfalls als auslösendes Moment hinzu, sind aber niemals ein zentrales Gründungsmotiv. Wir können daher von einer Disposition zur Unternehmerexistenz sprechen, die zwar durch objektiv begünstigende Faktoren beeinflußt, nicht aber determiniert wird.

VI. Zwei Erfolgsgeschichten

Anhand des von uns erhobenen statistischen Materials haben wir eine hohe Wertschätzung von Haltungstugenden und die Unterschätzung zentraler unternehmerischer Dispositionen bei den ostdeutschen Gründern feststellen können. Dieses Defizit in der Habitusentwicklung weist gegenwärtig auf eine spezifische Form der Blockade unternehmerischer Handlungsfähigkeiten hin.

An zwei ausgewählten Fällen lassen sich typische Berufspassagen und ihre Strukturprobleme verdeutlichen. Bei beiden Fällen gab es trotz enormer Veränderungen während der Gründungsphase (im Unternehmenskonzept und im Personalbereich) keine gravierenden Probleme bei der Betriebsführung. Es zeigte sich sehr schnell ein positiver Geschäftsverlauf bezogen auf Umsatz-und Gewinnsteigerung sowie die Expansion des Unternehmens. Beide Gründer hatten vor der Wende Leitungsfunktionen inne, waren zufrieden mit ihrer beruflichen Tätigkeit und traten als „Frühund Durchstarter“ auf, das heißt, sie gründeten ihr Unternehmen unmittelbar nach der Wende. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Berufspassagen weisen ihre professionellen und habituellen Verhaltensmuster deutliche Ähnlichkeiten auf.

Im ersten Fall, dem eines Schuhmachers, ist das Handeln geprägt durch einen handwerklichen Pragmatismus, der aber zugleich eine große Spannung zwischen beruflichem Erfolg und Lebensweltkrise aufweist. Dieser Hauptwiderspruch im Handeln ostdeutscher Selbständiger ist im zweiten Fall, dem eines gastronomischen Familienbetriebs, zwar nicht aufgehoben, aber durch Integration entschärft. Ein Familienbetrieb wird strukturell geprägt von der widersprüchlichen Einheit aus Modernisierung und Traditionsbindung, wodurch der gesellschaftliche Konflikt in den Nahverhältnissen der Familie bearbeitet werden kann. So gelingt in diesem Fall eine Entdramatisierung der Lebensweltkrise durch die familiale Einbettung und damit Retraditionalisierung des Unternehmens.

Herr Helferich -Bootsfahrer aus

Leidenschaft

Die hier auf wenige Aspekte reduziert wiedergegebene Charakteristik dieses Existenzgründers der ersten Stunde illustriert zugleich, daß die Ergebnisse, zu denen wir auf Grundlage der Auswertung quantitativ erhobener Daten gelangten, mit den aus qualitativen Interviews gewonnenen korrespondieren. Herr Helferich war zum Zeitpunkt der Gründung ca. 50 Jahre alt, ist also ein „Kind der DDR“ erster Generation. Er stammt aus dem Arbeitermilieu der Region. Sein Vater war Eisenbahner, gehörte somit zu einem seine Stadt prägenden Milieu mit ausgebildeten abgegrenzten sozialen Beziehungen und hoher Identifikation mit der Berufsrolle. Seine soziale Herkunft sowie seine Zugehörigkeit zur Generation der Kriegskinder ist gekennzeichnet durch eine relative Sicherheit in bescheidenen Verhältnissen. Die Familie vermittelte ihm damit trotz schwerer Zeiten sowohl das nötige Grund-vertrauen als auch den Wunsch zum sozialen Aufstieg. Helferich wurde Schuhmacher und bestieg damit die unterste Stufe zum Handwerk und zu potentieller beruflicher Selbständigkeit. Damit gelingt ihm auf bescheidenstem Niveau ein sozialer Aufstieg, ohne sich allzu weit vom Milieu zu entfernen.

Er verbleibt aber nicht bei dem kaum handwerkliche Meisterleistungen abverlangenden Metier der Flickschusterei, sondern spezialisiert sich auf Orthopädie, die Kunst, Gehbehinderungen durch geeignete Gehhilfen zu beheben oder zumindest zu lindern. Er wird schließlich Leiter einer Behindertenwerkstatt und avanciert damit sowohl zum verantwortlichen Lehrmeister als auch zum engagierten Sozialarbeiter. Dadurch erweiterte sich seine charakterliche und durch die Eigenarten seines Handwerks bedingte Eigenbrötelei um die Fürsorgepflicht für sozial Benachteiligte, ist er doch schon von Berufswegen stark sozial engagiert.

In seiner Freizeit geht er leidenschaftlich dem Hobby des Paddelbootfahrens nach. Er verläßt den mit sicherem Schuhwerk begangenen Boden und flieht auf das Bodenlose des Wassers. Für einen Schuster ist das ein außergewöhnliches und aufwendiges Hobby, das er mit Anstrengung, Leistung, Härte und Herausforderung verbindet und das zugleich etwas Luxuriöses an sich hat. Dieses Luxuriöse unterstreicht den Fluchtcharakter des Hobbys, das Entfliehen in eine andere Welt. Und tatsächlich formt er hier die für seine spätere Selbständigkeit nutzbaren Habituselemente. Gefragt nach seinem Selbstbild als Unternehmer äußert er die Meinung, daß die Veranlagung zum Unternehmer nicht vom Gesellschaftssystem vermittelt wird. „Autorität . . . kommt woanders her. Die kommt aus der Härte. Ich habe im Sport hart an mir gearbeitet. Ich war immer derjenige, der die meisten Trainingseinheiten notwendig hatte, um mithalten zu können. Äh, im Arbeitsleben habe ich’s ähnlich gehalten. ^ Dann fügt er hinzu: „Kleine Menschen haben nun mal den Drang nach oben, mitzurennen, und müssen sich mehr durchbeißen und müssen sich eben vielleicht mehr beweisen. “

Da in der DDR-Realität eine selbständige Existenz kaum möglich war, schuf er sie sich in seiner Freizeit. Er baute sich seine Boote selbst und damit eine eigene, selbstbestimmte Welt. Das Boot auf dem Wasser wird zur Metapher einer unabhängigen Existenzform in völliger Eigenverantwortung. Bei fast allen Existenzgründern fanden wir nicht nur Führungserfahrung im Beruf vor der Wende, sondern häufig auch Freizeitbeschäftigungen, in denen ein im Beruf unmöglicher Grad an Autonomie entfaltet werden konnte, wie zum Beispiel Bergwandern, Ralleyfahren, Segelfliegen -oder eben Paddelbootfahren.

Seine Gründung hat Herr Helferich mindestens in einem Punkt mit einer falschen Prämisse gestartet: Die sozialen Verpflichtungen, die er freiwillig eingegangen war, konnten nicht erfüllt werden. Zunächst war da seine Idee, die „Rehabilitandenwerkstatt“ in Eigenregie weiterzuführen. Mit diesem Konzept hätte er sowohl seinen Drang zur Selbständigkeit als auch sein Verantwortungsgefühl seinen Schützlingen gegenüber befriedigen können. Er mußte die Behindertenwerkstatt aber aus Rentabilitätsgründen aufgeben und seine Mitarbeiter entlassen. Diese Erfahrung war sehr schmerzhaft für ihn. Er eröffnete daraufhin einen Schuhhandel. Aus dieser Umorientierung hat er den Schluß gezogen, das „soziale GeduseD abzuschütteln, aber den Gedanken des „Wir-Verhältnisses“ beizubehalten, auch wenn ihm noch unklar ist, wie die neue Solidarität aussehen könnte. Ihm schwebt die Idee eines „sozialen Unternehmers^ vor. Damit meint er nun aber nicht mehr so sehr den sich um seine Mitarbeiter sorgenden Firmenchef. Diese Vorstellung hat er aufgegeben. Vielmehr hat er nun die Idee eines mit anderen kooperierenden Unternehmers mit dem Ziel der Ausschaltung der Konkurrenz und der Risikominimierung für den Einzelnen.

Der soziale Unternehmer setzt an die Stelle des Humanismus die Idee einer korporatistischen Verflechtung der Unternehmer untereinander. Diese Vorstellung eines gebändigten Kapitalismus bringt zum Ausdruck, daß sich Helferich mediengesteuerte, das heißt marktvermittelte Sozialbeziehungen nicht vorstellen kann. Er denkt sich den Unternehmer nach dem Modell des Akteurs in den Tauschnetzwerken informeller, personengebundener Sozialbeziehungen, die treffend als „funktionale Freundschaften“ (Ilja Srubar) charakterisiert wurden. Diese Form der Solidarität zwischen „entfernten Bekannten“ (Granovetter) ist zwar kompatibel mit der Verfolgung von Eigeninteressen, aber nicht mit dem Typus des Handelns individualisierter Akteure unter Marktbedingungen. Helferichs Solidaritätsvorstellung spiegelt den Grad an Egozentrik wider, wie er sowohl in der Handlungslogik seines Berufs (Eigenbrötelei des Schusterhandwerks mit sozialem Engagement) als auch in seinem Hobby zum Ausdruck kommt. Es gelingt ihm bisher nicht, sich an die individualisierten und abstrakteren Sozialbeziehungen der neuen Wirklichkeit anzupassen. Er prüft gewissermaßen verschiedene Solidaritätsmodi durch auf der Suche nach einer neuen Stimmigkeit von Berufserfolg und Alltagsleben. Wie diese neue Ausbalancierung zwischen Eigeninteresse und Solidarität aussehen wird, ist noch nicht zu erkennen.

Frau Dralle -Wir, die Familie Frau Dralle ist 50 Jahre alt, verheiratet, stammt aus dem Arbeitermilieu, ihr Vater war Kraftfahrer, ihre Mutter Hausfrau. Der Sohn lernte Schlosser und ging dann als Berufsoffizier zur Nationalen Volksarmee (NVA). Selbstverständlich geht . Frau Dralle arbeiten; sie will ihr eigenes Geld verdienen. Sie ist sehr tüchtig und belastbar und steigt zur Leiterin einer großen Kantine auf, was ihr viel Freude bereitet und Befriedigung verschafft. „Ich hab da eigentlich immer so ’n bißchen gemacht, was ich wollte, . . . Ich hab das gemacht, was gemacht werden mußte, des hab ich eingesehen, daß ebend bestimmte Sachen, sei ’s abrechnungsmäßig und so weiter, äh gemacht werden mußten . . . Ich hatte mit meinen Vorgesetzten eigentlich nie großartig Trödel oder sowas, die ha ’m das auch so akzeptiert . . . wir waren eigentlich eines von den Kollektiven, die immer als Vorbild hingestellt wurden. Wir ha ’m auch davor, vor der Selbständigkeit, auch schon so gearbeitet, als wenn das auch wirklich uns gehört..."

Sie ist eine energische und pflichtbewußte Frau, die weiß, was sie will, und Geschick beim Organisieren und bei der Führung von Menschen beweist. Aus dem Facharbeitermilieu stammend, ist ihr über den Beruf der Aufstieg in das untere Mittelschichtmilieu gelungen, in dem ihre Familie nun fest situiert ist.

Ihre Gründung schließt unmittelbar an ihre berufliche Qualifikation und Tätigkeit in der DDR an. Die Gastronomie bietet häufig und relativ problemlos Chancen des sozialen Aufstiegs. Mit der Gastronomie hat sie den im Alltag sehr wichtigen Bereich der sich schnell entwickelnden Essenskultur besetzt. Sie hat in sehr kurzer Zeit begriffen, daß Essen nicht mehr nur die Erfüllung eines Bedürfnisses ist, sondern zunehmend als Konsum-erlebnis gestaltet und arrangiert werden muß: von der „kalten Platte“ zum „Partyservice“, von der „Sättigungsbeilage“ zum „Gaumenerlebnis“. Essen ist keine betriebliche Sozialleistung mehr, sondern eine echte Dienstleistung geworden. Das erfordert sowohl neue Produkte als auch ein völlig anderes Zugehen auf den Kunden. Neben ihrem Partyservice hat sie die Marktlücke „kleine Gaumenfreuden in gediegener Atmosphäre“ für den Geschäfts-und Privatkunden entdeckt. Wurde der Partyservice noch stolz mit eigenen Mitteln auf die Beine gestellt, so hat sie das zweite Projekt im eigenen Haus mit Fremdenzimmern und einem Kredit von einer Million Mark gewagt und realisiert. Frau Dralle zeichnet ein für das Aufstiegsmilieu typischer Optimismus und eine Leistungsorientierung aus. Sie besitzt Vertrauen in die eigene Sachkenntnis und die eigene Kraft und hat einen zur Sturheit neigenden Willen. In ihrem Falle verlief nicht nur der Übergang in die berufliche Selbständigkeit relativ reibungslos; auch von einer Lebensweltkrise ist augenblicklich nichts zu verspüren. Tatkraft und Organisationstalent werden auch im Privaten unter Beweis gestellt. Die Frühverrentung des Ehemannes wird sogleich für die Existenzgründung genutzt. Er übernimmt die Abrechnung, Behördengänge und fungiert alles in allem als Kalfaktor. Entscheidend wird aber, daß ihre Kinder (Sohn und Schwiegertochter), bereits in einem anderen Bundesland ansässig, sich zur Rückkehr bewegen lassen und mit in das Unternehmen einsteigen. Die berufliche Ausweglosigkeit des Sohnes als ehemaliges Mitglied der NVA wird aufgefangen durch seinen Eintritt in den Familienbetrieb: „Ja, also mein Mann steht völlig mit dahinter, die Kinder sind da . . . die müssen umziehen . . . und umgeschult werden, aber wie gesagt, das nehmen sie nun alles mit in Kauf, um ebend äh was wir uns vorgenommen haben auch zu verwirklichen."

Die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Familie im Familienbetrieb läßt im sozialen Nahbereich keine Lebensweltkrise aufkommen. Selbst die typischen Krisensituationen der Frühverrentung und der Arbeitslosigkeit werden positiv für die Gründung des Familienbetriebes genutzt. Durch den gemeinsamen Erfahrungszusammenhang können die anstehenden geschäftlichen und lebensweltlichen Probleme gemeinsam bearbeitet werden. Ja, die Selbständigkeit -so scheint es -stärkt die Familienbande sogar, rückt man doch auch wieder räumlich enger zusammen. Ohne diese Perspektive wäre die Selbständigkeit für Frau Dralle nicht zustande gekommen und auch sinnlos. Vor diesem familialen Hintergrund wird verständlich, warum Frau Dralle das Eindringen neuer sozialer Verhältnisse weniger dramatisch erfährt als andere ostdeutsche Existenzgründer. Mit ihrem Unternehmen sichert sie sich eine kleine soziale Welt, die ihr und ihrer Familie die Chance eröffnet, sich unter den neuen Lebensverhältnissen erfolgreich und ungebrochen zu behaupten.

VII. Fazit

Die Untersuchung des Existenzgründungsgeschehens in Ostdeutschland förderte bestehende lebensweltliche Defizite zutage, die den sich abzeichnenden Erfolg der neuen Selbständigen beeinträchtigen können. Es waren aber auch lebensweltliche Voraussetzungen in Form von Handlungsdispositionen, welche die Gründung einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz in Ostdeutschland ermöglichten. Langfristig kann der Erfolg ostdeutscher Selbständiger nur gesichert werden, wenn die lebensweltlichen Stärken und Schwächen in einem neuen Lebensentwurf ausgeglichen werden.

In gewisser Weise korrigiert und bestätigt das Gründungsgeschehen in Ostdeutschland Max Webers Protestantismusthese. Kern der Weber-sehen Theorie ist bekanntlich das Argument von der Herausbildung ökonomischer Handlungsrationalität aus lebensweltlichen Zusammenhängen. Die methodische Lebensführung der Puritaner lieferte die geistigen Grundlagen für die Entstehung eines den Anforderungen des modernen Kapitalismus gerechtwerdenden unternehmerischen Habitus. Talent zur Intrige, Bestechung und Anpassung an die Obrigkeit, wie es etwa noch den Manufakturisten in der merkantilistischen Epoche auszeichnete, war nicht mehr hinreichend und durch ein zweckrational kalkulierendes Denken zu erset45 zen, das sich Methoden der doppelten Buchhaltung und der Abschreibung, aber auch der Kontrolle der Produktion und der Arbeiter bediente. Die ostdeutschen Existenzgründer stehen vor ganz ähnlichen Problemen. Auch sie müssen sich unternehmerische Methoden aneignen und einen unternehmerischen Habitus entwickeln, der nicht ihren alten arbeitsweltlichen Gewohnheiten entspricht. Der lebensweltliche Vorlauf zur Ausbildung eines entsprechenden Lebensführungsstils ist bei ihnen durch 40 Jahre Sozialismus unterbrochen. Der Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaft und der Übergang in eine kapitalistische und postmoderne Gesellschaft geschahen so abrupt und unvermittelt, daß die Menschen mit den von West nach Ost transferierten zweckrational operierenden Institutionen nicht widerspruchsfrei kooperieren konnten. Ihr Vertrauen in Institutionen generell war gebrochen.

Das Beispiel der ostdeutschen Existenzgründer zeigt aber auch, daß in Umkehrung zu Webers Protestantismusthese in dieser historischen Situation die ökonomische Rationalität zumindest bei dieser wichtigen sozialen Gruppe die Umgestaltung der Lebenswelt als Ganzes erzwingt. Konzentrierten sich die Existenzgründer in der ersten Phase völlig rational ausschließlich auf rein betriebswirtschaftliche Belange ihrer selbständigen Existenz, so wurden sie doch sehr schnell damit konfrontiert, daß ihr beruflicher Erfolg auf Dauer nur zu sichern ist, wenn sich auch eine Umgestaltung ihrer Lebenswelt vollzieht.

Dies steht nicht im Widerspruch zur Tatsache, daß sich in der Biographie der Existenzgründer verborgene unternehmerische Eigenschaften nachweisen lassen. Die Existenzgründer hatten schon vor der Wende Nischen vergleichsweise selbstbestimmten Lebens besetzt, sei es beruflich in Leitungspositionen oder in der Privatsphäre durch selbstbestimmte Formen des Lebens wie etwa der Religionsausübung, der Mitarbeit in kirchlichen Zusammenhängen, der Kindererziehung, aber auch der Freizeitaktivitäten. Wie das Beispiel des Schuhmachers Helferich zeigt, konnten durch Freizeitaktivitäten bereits die für unternehmerisches Handeln konstitutiven Dispositionen wie Erfolgsorientierung, Selbstdisziplinierung, Selbstverantwortung und autonomer Gestaltungswille ausgebildet werden. Solche Habituselemente sind soziokulturelle Ressourcen und stellen durchaus eine Entsprechung zur methodischen Lebensführung der Puritaner im Weberschen Sinne dar.

Umgekehrt kann als Ausdruck des innerlich noch nicht hinreichend nachvollzogenen Systemwechsels bei den neuen Selbständigen gelten, daß häufig klassische Haltungstugenden (Zuverlässigkeit, Pflichtbewußtsein und Fleiß) höher bewertet werden als für unternehmerisches Handeln konstitutive Prinzipien (Risikobereitschaft, Durchsetzungsfähigkeit, Führungs-und Gestaltungswille). Unserer Ansicht nach bot insbesondere die Position des Betriebsleiters ein Stück Freiraum, der von Personen mit unternehmerischen Fähigkeiten gesucht und besetzt wurde. Obwohl dieser Personenkreis nicht zuletzt wegen seiner beruflichen leitenden Funktion vielfach auch zu den politisch Angepaßten gehörte, trafen wir besonders hier auf die (auch moralischen) Pragmatiker, die ihre gesammelten Erfahrungen kontrolliert und ziel-orientiert einsetzten und der ökonomischen Neuorientierung angstfrei entgegentraten.

Ob dies auch dazu führt, daß lebensweltliche Elemente, die den deutschen Realsozialismus überdauert und durch diesen eine spezifische Prägung erhalten haben, -wie zum Beispiel traditionelle Formen der Vergemeinschaftung -zur Gestaltung eines DDR-spezifischen Typus mittelständischen Lebens beitragen, ist eine zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin offene Frage. Eingedenk der historischen Erfahrung, daß sich Kulturen als äußerst resistent gegenüber Einebnungsversuchen erwiesen haben, sollte man diese Möglichkeit auch für Ostdeutschland nicht von vornherein ausschließen. Das Beispiel der Frau Dralle zeigt in dieser Hinsicht, wie die berufliche Selbständigkeit zur Revitalisierung traditioneller Sozialbeziehungen geführt hat. Es darf jedoch auch hier nicht übersehen werden, daß mit zunehmendem ökonomischen Erfolg die Familienmitglieder verstärkt unter den Druck zur Formalisierung ihrer sozialen Beziehungen und Rollen geraten, Konflikte somit vorprogrammiert sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 19765; Peter L. Berger, The Capitalist Revolution, Vorwort zur 2. Auflage, New York 1991, und: The gross national product and the gods: Problems of economic culture, in: Walter M. Sprondel (Hrsg.), Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Für Thomas Luckmann, Frankfurt am Main 1994; Niklas Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1988.

  2. Hierbei geht es zunächst um eine rein theoretische Frage, nämlich die nach der rationalen Erklärung wirtschaftlichen Handelns, nicht um wirtschaftspolitische Belange, also die Frage, ob man die Steuerung wirtschaftlicher Vorgänge dem Markt oder staatlicher Intervention überlassen sollte.

  3. Aus der Analyse sozialistischer Mangelökonomie folgt soziologisch gesehen die Aufwertung persönlicher Netzwerke in der Form von Nachbarschaftssolidaritäten und ethnischen Verbänden. Vgl. Jänos Kornai, Economics of Shortage, Amsterdam u., a. 1980, und Ilja Srubar, War der reale Sozialismus modern? Versuch einer strukturellen Bestimmung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 43 (1991) 3, S. 415-432.

  4. Diese Ansicht wird vertreten von Dieter Bögenhold, Die Selbständigen. Zur Soziologie der dezentralen Produktion, Frankfurt am Main 1985, S. 219 ff; ders., Die Berufspassage in das Unternehmertum. Theoretische und empirische Befunde zum sozialen Prozeß von Firmengründungen, in: Zeitschrift für Soziologie, 18 (1989) 3, S 267 ff.

  5. Alle Angaben beruhen, wenn nicht ausdrücklich andere Quellen genannt werden, auf der Studie „Auf der Suche nach der Zukunft. Zur Entfaltung neuer Lebenschancen in Ostdeutschland unter besonderer Berücksichtigung mittelständischer Existenzgründungen“, die unter der Leitung von Frank W. Heuberger in den Jahren 1992 bis 1994 in Sachsen-Anhalt durchgeführt und vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt gefördert wurde.

  6. Dieser zentrale Begriff findet sich bei Max Weber u. a. in: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, und: Asketischer Protestantismus und Kapitalistischer Geist, in: Max Weber, Soziologie -Universalgeschichtliche Analysen -Politik, hrsg. von Johannes Winckelmann, Stuttgart 1973, S. 187-262 und 357-381.

  7. Vgl. dagegen die These von Helmut Wiesenthal, der zufolge ein schockartiger Transfer westlicher Institutionen nach Ostdeutschland die „Subjektlosigkeit" der Akteure verstärkt habe. Dieser Annahme folgen auch Thomäs Koch, Michael Thomas, Rudolf Woderich, Akteurgenese und Handlungslogiken -das Beispiel der „neuen Selbständigen“ in Ostdeutschland, in: Berliner Journal für Soziologie, 3 (1993) 3 , S. 275-291. Anmerkung der Redaktion: Siehe auch den

  8. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen Felix Büchel und Markus Pannenberg, „Neue Selbständige“ in Ostdeutschland. Statusentscheidungen, Realisierungschancen und materielle Zufriedenheit, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (MittAB), 25 (1992) 4, S. 544-552.

  9. Die Konzentration der Existenzgründungen in diesem Sektor ist nicht zufällig. Der Grund ist die Unterentwicklung des Dienstleistungsbereichs in der ehemaligen DDR und ein entsprechender Nachholbedarf. Außerdem haben Klein-und Mittelbetriebe in einer Industriegesellschaft mit Serienfertigung komparative Vorteile in Bereichen handwerklicher Produktion und großer Kundennähe. Vgl. dazu Rehe Leicht/Reinhard Stockmann, Die Kleinen ganz groß? Der Wandel der Betriebsgrößenstruktur im Branchenvergleich, in: Soziale Welt, 44 (1993) 2, S. 243-274.

  10. Zum Konzept der Lebenspraxis vgl. Ulrich Oevermann,. Versozialwissenschaftlichung der Identitätsformation und die Verweigerung von Lebenspraxis, in: Burkhard Lutz (Hrsg.), Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung. Verhandlungen des 22. Soziologentags in Dortmund 1984, Frankfurt am Main 1985, S. 463-474.

  11. Die Daten in den folgenden Abschnitten sind dem Mittelstandsbericht 1994 des Landes Sachsen-Anhalt, herausgegeben vom Ministerium für Wirtschaft und Technologie des Landes Sachsen-Anhalt, sowie dem Mittelstandsbericht 1995 (Kurzbericht) der Landesregierung entnommen.

  12. „Junge Ost-Unternehmer haben ihre Feuertaufe bestanden“ meldet das Handelsblatt vom 2. Z 3. Februar 1996 und beruft sich auf eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft unter 500 ostdeutschen Gründern. Nach Auskunft des gleichen Instituts erreicht die Seibständigenrate bereits zwei Drittel des westdeutschen Niveaus. Vgl. Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, Nr. 38 vom 21. September 1995.

  13. Vgl. Josef Brüderl/Peter Preisendörfer/Axel Baumann, Determinanten der Überlebenschancen neugegründeter Kleinbetriebe, in: MittAB, 24 (1991) 1, S. 91-100.

  14. 90, 4 Prozent der 1 142 von uns befragten Gründer in Sachsen-Anhalt hatten den Schritt in die Selbständigkeit nicht bereut; 66, 3 Prozent erzielten im Vergleich zur Zeit vor der Gründung ein höheres, 22, 8 Prozent ein gleich hohes Einkommen, 67, 1 Prozent gaben an, seit der Gründung sei der Umsatz steigend bzw. leicht steigend; 49, 9 Prozent erwarteten eine Verbesserung, 37, 3 Prozent eine gleich-bleibende Entwicklung für ihr Unternehmen.

  15. Die anderen Extreme bilden zum einen die Generation der Großeltern mit Kriegserfahrungen und Erfahrungen eines anderen Gesellschaftssystems und zum anderen die Generation ihrer Kinder, die in der Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs der DDR geprägt wurde und der das System nichts mehr zu bieten hatte.

  16. Das gilt sogar für die ehemals staatstragenden Gruppen, die ihrerseits vertrauensbasierte Ingroups bilden mußten, um funktionsfähig sein zu können. Paradoxerweise waren diese Beziehungen genauso informell und inoffiziell wie die familialen und freundschaftlichen Netzwerke und werden von ehemaligen Mitgliedern etwa der Staatssicherheit in gleicher Weise für Existenzgründungen genutzt.

  17. Mark Granovetter, ‘The strength of weak ties’, in: American Journal of Sociology, 78 (1973) 6, S. 1360-1380; ders.,

Weitere Inhalte

Dirk Tänzler, Dr. phil., geb. 1955; Studium der Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Forschungsschwerpunkte: Kultursoziologie, Familien-und Ehesoziologie, Transformationsforschung in Ostdeutschland und Ostmitteleuropa.