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Herausbildung und Entwicklung des Parteiensystems der SBZ/DDR | APuZ 16-17/1996 | bpb.de

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APuZ 16-17/1996 Herausbildung und Entwicklung des Parteiensystems der SBZ/DDR Die Gründung der SED. Zwangsvereinigung, Demokratieprinzip und gesamtdeutscher Anspruch Entstehung und Entwicklung der Ost-CDU 1945-1989. Zum Wandlungs-und Gleichschaltungsprozeß einer Blockpartei Die LDP(D) in der DDR. Eine zeitgeschichtliche Skizze

Herausbildung und Entwicklung des Parteiensystems der SBZ/DDR

Hermann Weber

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Zusammenfassung

Die sowjetische Besatzung ließ 1945 in der SBZ vier Parteien zu (KPD, SPD, CDU, LDP), die zunächst die Tradition des deutschen Parteiensystems fortführten. Durch die Schaffung des „Blocks“ 1945, die Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED und damit die Ausschaltung der SPD 1946 sowie die Gleichschaltung von CDU und LDP entstand das sogenannte sozialistische Mehrparteiensystem. Darin waren auch die „Massenorganisationen“ (FDGB, FDJ, DFD usw.) einbezogen und somit ein kommunistisches Regime nach dem Vorbild der Sowjetunion aufgebaut. In diesem „Parteiensystem“ hat die zentralistisch organisierte SED ihre absolute Herrschaft ausgeübt -propagandistisch verschleiert durch die widersinnige Formel vom „demokratischen Zentralismus“. Sie wurde dabei von Blockparteien und Massenorganisationen unterstützt, die kritiklos Alibifunktionen, eine angeblich gesamtdeutsche Rolle sowie Mobilisierungs-bzw. Transmissionsfunktionen übernommen hatten. Heute ist unumstritten, daß die Blockparteien unselbständige, von der SED abhängige Organisationen waren. Umstritten ist der Grad ihrer Mitverantwortung für die SED-Diktatur. Die notwendige Aufarbeitung der DDR-Geschichte setzt auch eine Auseinandersetzung mit dem „Block“ voraus, -weil davon einige Parteien inzwischen im heutigen deutschen Parteiensystem aufgegangen sind.

Das politische System der DDR, die Diktatur der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ -der kommunistischen SED -entstand durch die Übertragung des sowjetischen Modells des Stalinismus auf die SBZ/DDR. Der formale Unterschied lag im Parteiensystem: Anstelle des reinen kommunistischen Einparteiensystems der UdSSR (das auch in Rumänien und Ungarn existierte) gab es in der SBZ/DDR fünf Parteien. Da jedoch die vier nichtkommunistischen Parteien im „sozialistischen Mehrparteiensystem“ die Führung der SED anerkannten und in der Praxis die gleiche Transmissionsrolle spielten wie die Massenorganisationen unterschied sich das Parteiensystem der DDR in der Realität nicht prinzipiell von dem der UdSSR. Die historische Entwicklung des Parteiensystems in der DDR beließ den vier „befreundeten“ Parteien ein größeres Gewicht, beispielsweise in den Parlamenten (Volkskammer, Bezirkstagen), als den nichtkommunistischen Parteien in Polen oder der Tschechoslowakei. Bei der Gestaltung der realen Politik war ihr Einfluß aber ebenfalls gering.

Doch auch wenn die Politik der DDR (in Übereinkunft mit der UdSSR) von der SED bestimmt wurde, hatten die Blockparteien immerhin eine wichtige Funktion als Stütze der SED-Diktatur. Dies war das Ergebnis einer Transformation des 1945 geschaffenen Parteiensystems in der SBZ/DDR Entscheidend war dabei der Prozeß der Machterringung und Herrschaftssicherung der SED im Parteiensystem sowie die Gleichschaltung der Blockparteien Im folgenden werden dazu einige Aspekte erörtert.

L Enstehung des Parteiensystems

Am 9. Juni 1945 hatte sich als oberstes Machtorgan der SBZ die Sowjetische Militäradministration, die SMAD, konstitutiert. Sie genehmigte mit ihrem „Befehl Nr. 2“ bereits am 10. Juni die Schaffung von „antifaschistisch-demokratischen Parteien“. Nur einen Tag später, am 11. Juni, bildete sich daraufhin als erste Partei im Nachkriegsdeutschland die Kommunistische Partei Deutschlands. Die KPD hatte sich in den zwanziger Jahren aus einer linksradikalen Arbeiterpartei zum außenpolitischen Instrument der UdSSR Stalins entwickelt. Wie die gesamte Arbeiterbewegung, so war auch die KPD 1933 durch das NS-Regime zerschlagen und ihre Anhänger verfolgt worden. Folgerichtig hatte die sowjetische Besatzungsmacht die deutschen Kommunisten als ihre wichtigsten Helfer angesehen. Wegen ihrer identischen politischen und weltanschaulichen Vorstellungen galten letztlich nur sie den Sowjets als „echte“ Antifaschisten. Die meisten deutschen Kommunisten ihrerseits waren dem Sowjetstaat ergeben.

Der Gründungsaufruf der KPD vom 11. Juni 1945 wirkte in vielen Teilen wie eine Abkehr von den Traditionen der Partei. Die KPD lehnte ausdrücklich die Einführung des Sowjetsystems ab und befürwortete statt dessen eine „parlamentarisch-demokratische Republik“. Sie forderte sogar die „völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative“

Die KPD-Führung (das Sekretariat mit Pieck, Ulbricht, Dahlem und Ackermann) wollte zunächst ein linientreues Funktionärskorps bilden und die Mitglieder auf die vorbehaltlose Unterstützung Stalins einschwören. Denn der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck hatte noch nach der KPD-Gründung am 21. Juni 1945 in Moskau erklärt: „Wir -unsere Partei -hat für ihre Arbeit einen großen Lehrmeister -die KPdSU und ihren Führer Stalin.“ Eine einheitliche Arbeiterpartei, die nach der Niederschlagung der NS-Diktatur breite Kreise erwarteten, eine Verschmelzung von SPD und KPD, lehnte die KPD-Spitze damals ab, sie war aber für eine „Aktionseinheit“ mit der SPD.

Die SPD entstand nur wenige Tage später am 15. Juni 1945 mit einem Berliner Zentralausschuß unter Grotewohl, Fechner und Gniffke. In ihrem Aufruf forderte sie Demokratie in Staat und Gemeinde sowie Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Voraussetzungen dafür sahen die Berliner SPD-Führer in der Einheit der Arbeiterbewegung, also auch in der Schaffung einer Einheitspartei. Vor allem das Bekenntnis der KPD zur parlamentarischen Demokratie, die gemeinsame antifaschistische Grundeinstellung und die Erfahrungen unter Hitler schienen frühere Gegensätze verwischt zu haben. Zudem glaubten viele Sozialdemokraten, aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit die Einheitspartei dominieren zu können. Doch nachdem die SPD im Westen unter Kurt Schumacher jede Verschmelzung mit der KPD strikt ablehnte und schon bald ein Vormacht-anspruch der Kommunisten zu erkennen war, machte sich bei den Sozialdemokraten in der SBZ zunehmend Skepsis breit.

Um aus der spürbaren Isolierung herauszukommen, trat die KPD-Führung im Herbst überraschend für eine schnelle Vereinigung beider Parteien ein. Unter dem Druck der SMAD mußte die Ost-SPD nachgeben und die Zwangsvereinigung zur SED im April 1946 mitmachen. Die Gründung der SED war die erste einschneidende Veränderung des Parteiensystems, denn nun war die wichtigste Konkurrenz der Kommunisten, die SPD, beseitigt.

Nach der KPD und der SPD hatte die SMAD auch zwei „bürgerliche“ Parteien zugelassen: die Christlich-Demokratische Union und die Liberal-Demokratische Partei Am 26. Juni 1945 war die CDU mit einem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit getreten. Dem Kern der neuen Partei gehörten bekannte Politiker des früheren Zentrums, des protestantisch-konservativen Lagers und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an, unter ihnen Hermes, Kaiser, Lemmer, Friedensburg und Nuschke. Die CDU trat ein für christliche, demokratische und soziale Politik, sie bejahte das Privateigentum, war aber für Verstaatlichung der Bodenschätze und Schlüsselunternehmen

Als vierte Partei konstituierte sich am 5. Juli 1945 in Berlin die Liberal-Demokratische Partei (LDP). Koch, Schiffer und Külz (früher alle DDP) standen an der Spitze der neuen Partei, die die Erhaltung des Privateigentums, freie Wirtschaft, unabhängiges Richtertum, aber auch die Beseitigung von Faschismus und Militarismus forderte. Ähnlich wie KPD und SPD führten CDU und LDP programmatisch und personell die Tradition des deutschen Parteiensystems fort. Die Zulassung des Parteienpluralismus (außer der Rechten) deutete sowohl auf die Möglichkeit einer gesamtdeutschen Entwicklung wie auf Ansätze eines parlamentarischen Parteienstaates hin.

Allerdings beschlossen die vier Parteien in der SBZ bereits am 14. Juli 1945, einen „Block“ zu bilden, der sich zunächst „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ nannte. Die Parteiführer wollten die deutsche Nation durch Schaffung einer „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ gemeinsam „unter gegenseitiger Anerkennung ihrer Selbständigkeit“ retten. Ein Ausschuß (je fünf Vertreter aller vier Parteien) konnte als Führung des „Antifa-Blocks“ Beschlüsse fassen, aber „auf dem Wege der Vereinbarungen, somit nicht durch Abstimmungen“ Da sich der Block zum Potsdamer Abkommen der Alliierten bekannte, war es der SMAD (und auch der KPD/SED) leicht möglich, unter Berufung auf diese Konferenz die Blockparteien in die jeweils gewünschte Richtung zu nötigen. Der Block wurde zu einem brauchbaren Instrument bei der Formung des Parteiensystems. Die Kommunisten wollten zunächst mit dem Block jede Koalitionsbildung ohne oder gar gegen die KPD ausschließen, später diente er ihnen zur Beherrschung des Parteiensystems. Der Antifa-Block war aber nicht nur ein zentrales Spitzengremium, sondern er konstituierte sich auch auf Landes-, Kreis-und Orts-ebene Hier gelang es den Kommunisten mit Hilfe der SMAD, ihre Vormachtstellung auszubauen. Immerhin mußte die KPD bzw. ab 1946 die SED das von der SMAD zugelassene Parteiensystem akzeptieren, eine Alleinherrschaft war noch nicht möglich. Die Kommunisten bekämpften deshalb zunächst diejenigen Parteiführer von CDU und LDP, die auf eine traditionelle parlamentarische Demokratie drängten. Die beiden Parteien gerieten in Schwierigkeiten mit den Besatzungsbehörden, weil diese die SED unterstützten. Sie mußten Zugeständnisse machen, um selbst unter einer kommunistischen Besatzung ihre Autonomie bewahren zu können. Da alle Parteien zur antifaschistischen und demokratischen Politik verpflichtet waren, wurden diese Begriffe instrumentalisiert, konnten SMAD und SED „progressive“ Gruppen in den Parteiführungen gegen „reaktionäre“ ausspielen, wobei die Bezeichnungen der jeweiligen Situation entsprechend verwendet wurden. Die SMAD setzte z. B. bereits im Dezember 1945 die CDU-Vorsitzenden Hermes und Schreiber ab, weil beide gegen die Durchführung der Bodenreform auftraten. Ihre Nachfolger Kaiser und Lemmer einten die CDU auf der Basis des „christlichen Sozialismus“. Die CDU, die bei den Landtagswahlen in der SBZ im Oktober 1946 etwa ein Viertel der Stimmen gewinnen konnte, versuchte in Landtagen und Landesregierungen, die SED-Vorherrschaft zu verhindern. Auch die LDP (die etwa ebenso stark wie die CDU war) sah es als ihre Aufgabe an, die Veränderungen in der SBZ in Grenzen zu halten. Zwar verwarf sie als einzige Partei jede Form von Sozialismus, mußte aber die Maßnahmen der SMAD akzeptieren. Hinzu kam, daß der Konkurrenzkampf mit der CDU und innere Auseinandersetzungen ihren Aktionsradius einengten.

Eine Besonderheit des politischen Regimes der SBZ/DDR wurde die Einbeziehung sogenannter Massenorganisationen in das Parteiensystem. Die 1945 bis 1947 von der SMAD zugelassenen Gewerkschaften (FDGB) und Verbände der Jugend, Frauen, Künstler, Bauern usw. boten alle ein ähnliches Bild: Sie galten zunächst als überparteilich, wurden jedoch rasch von der KPD bzw.der SED dominiert. Für ihren jeweiligen Bereich erhielten sie -im Gegensatz zur Tradition des deutschen Verbandswesens -das Organisationsmonopol. Direkt ins Parteiensystem einbezogen (durch Aufnahme in den „Block“ und später mit eigenen Fraktionen in der Volkskammer) wurden der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, die 1946 gegründete Freie Deutsche Jugend (FDJ), der 1945 geschaffene Kulturbund, der 1947 gegründete Demokratische Frauenbund (DFD) sowie die 1945 gebildete Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Schrittweise erfolgte bis 1949 die Umwandlung dieser Verbände in Massenorganisationen. Alle wesentlichen Funktionen hatten SED-Funktionäre inne, die in erster Linie der „Parteidisziplin“ unterworfen waren, also die Politik der Einheitspartei auf ihre Organisation übertrugen. Damit konnten die Massenorganisationen als Hilfsinstrumente der SED bei der Transformation des Parteiensystems mitwirken. Allerdings mußte zunächst die SED selbst einer Wandlung unterzogen werden, um sich als stalinistische Partei die Hegemonie im Parteiensystem zu verschaffen und ihre Diktatur in Staat und Gesellschaft ausüben zu können.

II. Die Entwicklung der SED zur „Partei neuen Typus“

Die Gründung der SED erfolgte unter vielerlei Zwang, aber zugleich hatten die Kommunisten auch Versprechungen gemacht (die sich ab 1948 als Betrug erwiesen). Die SED trat 1946 für den Aufbau einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland ein, berief sich auf den Marxismus, aber nicht auf den Leninismus, und proklamierte anstelle des sowjetischen Modells einen „deutschen“ und „demokratischen Weg“ zum Sozialismus. In der Organisation galt das Prinzip „paritätischer“ Funktionsbesetzung mit ehemaligen SPD und KPD-Mitgliedern. Mit der offiziellen Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typus“ stalinistischen Charakters 1948/49 wurde die „Parität“ aufgehoben, der „besondere deutsche Weg“ zum Sozialismus verworfen und nun ein Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus, zu „Marx, Engels, Lenin und Stalin“ abgelegt. Bei der Umgestaltung der Partei spielte der „Kampf“ gegen den „Sozialdemokratismus“ und „Trotzkismus“ eine wesentliche Rolle; durch „Säuberungen“ wurden „Abweichler“ aus der SED entfernt und verfolgt. Um ihre „führende“ Rolle im Parteiensystem auszubauen und zu sichern, haben die deutschen und sowjetischen Kommunisten die Einheitspartei mit den gleichen Mitteln umgeformt, die sie im politischen System anwandten: Repressalien mit der Absicht, durch verbreitete Angst Konformität zu erreichen.

In der Praxis haben die Kommunisten zwar von Anfang an in der SED den Ton angegeben, doch die Umwandlung in eine offen stalinistische Partei erfolgte nur schrittweise. Programmatisch hielt der II. Parteitag im September 1947 offiziell am „deutschen Weg“ und am Ziel einer „demokratischen Republik“ fest. Aber bereits zwei Monate später forderte Ulbricht eine Partei neuen Typus, geleitet von der „Theorie von Marx, Engels, Lenin und Stalin“ Doch erst seit dem Bruch zwischen Stalin und Tito 1948 bekannte sich die SED 1948/49 ausdrücklich zum Modell Sowjetunion, trat ein für den Leninismus und das Stalin-Regime. Rasch forcierte sie den Personenkult: „Aus Stalins Leben und Werk schöpfen wir Wissen, Zuversicht, neue Kraft im Kampf.“

Den jetzt zugänglichen Quellen ist zu entnehmen, daß die Vergötzung Stalins intern bereits erheblich früher begann. Im Januar 1947 hatte z. B. die 8. Tagung des Parteivorstandes der SED feierlich des 23. Todestages Lenins gedacht und sich dabei auf Stalin berufen Die SED als „Partei neuen Typus“ unterwarf sich kritiklos der Ideologie und Politik Stalins. Ebenso wurde die Organisationsstruktur nach dem Modell der KPdSU verändert. Obwohl der Terminus „demokratischer Zentralismus“ zunächst umgangen wurde, war die SED in der Praxis eine zentralistisch aufgebaute Partei. Noch vorhandene Ansätze innerparteilicher Demokratie wurden rasch getilgt.

Die 1 Parteikonferenz im Januar 1949 zeigte die SED bereits als eine kommunistische Partei stalinistischen Typus. Nun galt der „demokratische Zentralismus“ -eine verlogene und logisch widersinnige Propagandaformel für die strikte Unterordnung aller Organe unter die jeweils übergeordnete Führung sowie unbedingte Parteidisziplin -als verbindliches Organisations-und Leitungsprinzip. Das Bekenntnis zur KPdSU und zur Person Stalins sowie zur „führenden Rolle“ der Sowjetunion wurde für alle SED-Mitglieder verpflich­ tend. Als eine Art innerparteiliche Polizei überwachten Partei-Kontrollkommissionen das Verhalten der Funktionäre und Mitglieder. Verhaftungen sogenannter Agenten (vor allem des Ostbüros der SPD und von „Trotzkisten“) schufen selbst unter den Parteimitgliedern eine Atmosphäre der Furcht. Schließlich hat die SED die Führungsinstanzen der KPdSU kopiert: Im Januar 1949 wurde ein Politbüro eingerichtet, das mit Sekretariat und ZK-Apparat den zentralistischen und hierarchischen Aufbau der Organisation zu gewährleisten hatte. Zugleich wurde das „Nomenklatur“ -System eingeführt; das bedeutete, daß allein die jeweils übergeordnete Leitung für die Besetzung der Funktionen, den Einsatz und die Karriere der Kader zuständig war. Ebenso rückte nun der Generalsekretär als dominierende Person an die Spitze der Partei -diese Funktion erhielt Walter Ulbricht, über den es in einer sowjetischen Geheiminformation vom Dezember 1945 allerdings noch geheißen hatte: „Ulbricht ist ein guter Organisator, sehr initiativ, aber er hat viele Fehler.“

Unter Stalins Anleitung war die deutsche Parteiführung bemüht, Konformismus und Zentralisierung der SED einerseits durch Indoktrination und andererseits durch Einschüchterung der eigenen Funktionäre zu sichern. Sie sollten so diszipliniert werden, daß sie ohne „Schwankungen“ jeden Befehl der Führung befolgten. Insbesondere Sozialdemokraten und frühere kommunistische „Abweichler“ gerieten ab 1948 und vermehrt seit 1950/51 als Opfer in die Mühlen der Säuberungen. Nach dem Schauprozeß mit Todesurteilen gegen Rajk und andere führende Kommunisten in Budapest (September 1949) wurden die Säuberungen in der SED auch gegen Kommunisten forciert. Das „Kleine Sekretariat“ beschloß am 21. Oktober 1949, die „feindliche Agententätigkeit in Partei und Staatsapparat“ sei ebenso zu enthüllen wie der „Objektivismus“ als „Waffe der feindlichen Agenturen“ Der Schnüffelei und Intoleranz in der SED waren Tür und Tor geöffnet.

Den Auftakt für eine umfassende Parteisäuberung gab schließlich der III. SED-Parteitag im Juli 1950. Er forderte den „Kampf gegen Spione und Agenten“, vor allem gegen das Ostbüro der SPD, die „Tito-Clique“ und die „Trotzkisten“; sie waren zu „entlarven und auszumerzen“ Nach einer Über-prüfung durch die Partei-Kontrollkommissionen wurden 1950/51 über 150 000 Mitglieder aus der SED ausgeschlossen Die Veränderungen von Ideologie, Organisationsstruktur und personeller Zusammensetzung des Funktionärskorps der SED begannen, wie heute zugängliche Quellen zeigen, bereits vor 1948, und sie waren bis 1951 weitgehend abgeschlossen Mit den Säuberungen und dem gleichzeitig bis zum Exzeß gesteigerten Personenkult um Stalin -vor allem ab seinem 70. Geburtstag im Dezember 1949 -wurde deutlich, daß damals nicht nur der Stalinismus als gesellschaftspolitisches System -der Machtkonzentration bei der Führung, der straffen, allumfassenden Diktatur der SED -auf die SBZ/DDR übertragen wurde, sondern auch der Stalinismus im engeren Sinne mit Repressalien gegen die Bevölkerung, Säuberungen in den Reihen der SED und Personenkult.

III. Transformation der „Blockparteien“

Von der Stalin-Führung angeordnet, ist die Umwandlung der Einheitspartei von den meisten deutschen Kommunisten bereitwillig befolgt worden. Ziel war es, aus der SED eine stalinhörige Kopie der KPdSU zu machen und die Partei zugleich auf ihre Rolle als Staatspartei in der DDR ab 1949 vorzubereiten. Dazu war das Parteiensystem so zu verändern, daß es von der SED völlig beherrscht werden konnte. Das gelang mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsbehörden, die bis 1949 die absolute Macht ausübten und dafür sorgten, daß CDU und FDP von eigenständigen Parteien zu Blockparteien transformiert wurden. Auch hierbei verschleierten die Kommunisten zunächst ihre tatsächlichen Ziele. Auf dem Grün-dungsparteitag der SED 1946 hatte Wilhelm Pieck versichert, die neue Partei werde keineswegs die „Diktatur des Einparteiensystems aufrichten“ Noch im September 1947 hatte der II. Parteitag der SED in seiner Entschließung behauptet: „Entgegen allen Verdächtigungen lehnt die SED jede Alleinherrschaft ab.“

Solange die Deutschlandpolitik der Sowjetunion eine gesamtdeutsche Variante berücksichtigte, blieben die deutschen Kommunisten nach außen bei ihrer „demokratischen“ Tarnung. Ihr Hegemoniestreben hat die SED zunächst nur intern den eigenen Funktionären angedeutet, unter sich haben sie ihren Führungsanspruch früh thematisiert und sofort erhoben. Bereits auf der 2. Tagung des Parteivorstandes der SED am 14. /15. Mai 1946 betonte Franz Dahlem, der SED als „staatsaufbauender Partei“ gehöre „als Partei der Arbeiterklasse die Führung beim demokratischen Neuaufbau Deutschlands auf allen Gebieten: in der Politik, der Selbstverwaltung, der Wirtschaft und in der kulturellen Entwicklung des Landes“ Die Rede dieses Spitzenfunktionärs wurde aber damals nicht veröffentlicht.

Die eigentliche Veränderung des Parteiensystems und die endgültige Schwächung von CDU und FDP erreichte die SED 1948, und zwar zum einen durch die Bildung von zwei neuen Parteien und zum anderen durch die „gleichberechtigte“ Einbeziehung von Massenorganisationen in den Block. Im Juni 1948 ließ die SMAD die Nationaldemokratische Partei Deutschlands zu. Die NDPD unter der faktischen Leitung von Bolz (der vor 1933 Mitglied der KPD war) organisierte ehemalige Offiziere und NSDAP-Mitglieder sowie bürgerliche Schichten. Welche taktischen Freiheiten der NDPD gestattet wurden, zeigte eines ihrer Gründungsplakate mit der Losung „Gegen Marxismus -für die Demokratie“. Natürlich war der Text „mit Genehmigung der SMAD“ gedruckt worden und entsprach deren Intentionen. Die andere Neugründung war die Demokratische Bauernpartei Deutschlands. Der DBD-Vorsitzende Goldenbaum, der vor 1933 für die KPD dem Mecklenburger Landtag angehört hatte, war nun für diese Tätigkeit in die Bauernpartei „delegiert“ worden. Von Anfang an wirkten die beiden neuen Parteien als Satellitenorganisationen der SED.

Der Volksrat, ein vom II. Deutschen Volkskongreß im März 1948 geschaffenes und von der SED gelenktes ständiges Gremium, nahm die beiden neuen Parteien sofort auf. Nachdem der Widerstand von CDU und EDP gebrochen war, konnte die DBD im August 1948 und die NDPD im September 1948 auch dem Antifa-Block beitreten. Nach und nach kamen dann sogar Massenorganisationen in den Block, der FDGB als erster bereits im August 1948. Sie waren nun ebenfalls integrierte Bestandteile des Parteiensystems.

Den nichtkommunistischen Parteien kam im Parteiensystem eine spezifische Bedeutung zu. Sie hatten eine Alibifunktion (Verschleierung der kommunistischen Einparteienherrschaft und Vortäuschung demokratischer Verhältnisse), eine gesamtdeutsche Funktion (Kontakte zum Westen) sowie eine Transmissionsfunktion (Verbreitung der Vorstellungen der SED in anderen Bevölkerungsgruppen, z. B. durch die CDU in christlichen Kreisen). Vermutlich aus diesen Gründen wurden die vier Parteien in der Periode nach 1949 nicht aufgelöst (also das sowjetische Modell nicht bis in alle Einzelheiten nachgeahmt), sondern das soge-nannte sozialistische Mehrparteiensystem geschaffen. Damit war zugleich neben dem „Antifaschismus“ und der Berufung auf die Ideologie und Geschichte („Die Partei hat immef recht“) ein weiteres Instrument der Legitimation der Herrschaft gefunden

Bereits im Juni 1949 war der Antifa-Block in „Demokratischer Block“ umbenannt worden. Während einer Sitzung der zentralen Leitung des Blocks am 19. August 1949 verpflichteten sich alle Parteien nochmals auf die Verteidigung der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“; nun sollten Beschlüsse des zentralen Gremiums verbindlich für die unteren Block-Organe sein Auf diesem Weg konnte die SED ihre Vormachtstellung nicht nur im zentralen Block, sondern auch in nachgeordneten Instanzen festigen. Bei Gründung der DDR hatte es allerdings auch Widerstände von seiten einiger Vetreter der CDU und LDP gegeben, weil diese beiden Parteien noch nicht restlos angepaßt waren. Die Gleichschaltung des Parteiensystems 1949/50 erreichte die SED durch drei Maßnahmen: die erweiterte Einbeziehung von NDPD, DBD und Massenorganisationen in den Block, die Bildung der Nationalen Front und vor allem die Entfernung und Verfolgung widerstrebender CDU-und LDP-Funktionäre.

Gleichzeitig mit der Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 schlossen sich alle Parteien und Massenorganisationen in der Nationalen Front als Dachorganisation zusammen. Von Anfang an beherrschte die SED deren „Büros“ (d. h. Sekretariate) und konnte die anderen Parteien und die Massenorganisationen dadurch unmittelbar lenken und besser kontrollieren. Bei den Wahlen ab 1950 zur Volkskammer legte die Nationale Front die Einheitslisten mit genauer Sitzverteilung vor. Mit Hilfe der Nationalen Front wollte die SED die ihr genehmen Funktionäre von CDU und LDP fester ins Parteiensystem einspannen und gleichzeitig diese Parteien von Gegnern der SED säubern.

Nachdem die SMAD bereits 1948 Kaiser und Lemmer von der CDU-Führung abgesetzt hatte, wurden nach der Staatsgründung alle oppositionellen Kräfte ausgeschaltet. Hingegen erhielten Nuschke und Steidle von der CDU oder Loch von der LDP nicht nur Ministerposten in der ersten DDR-Regierung, sie waren auch aktiv bei der Anpassung ihrer Parteien. Es kam zu (von der SED organisierten) Massendemonstrationen gegen oppositionelle bürgerliche Politiker. Die meisten von ihnen verloren -wie der 2. Vorsitzende der CDU Hickmann -schon im Frühjahr 1950 ihre Ämter. Die Verhaftung und Verfolgung zahlreicher Funktionäre dieser Parteien darunter Spitzenpolitiker wie z. B. Minister Hamann von der LDP 1952 oder der Außenminister und CDU-Generalsekretär Dertinger 1954, sorgten für Einschüchterungen und beschleunigten die Gleichschaltung dieser Parteien.

Sie schwenkten ein auf vollständige Anerkennung der Führungsrolle der SED. Der Hauptvorstand der CDU erkannte im Juli 1952 die „führende Rolle der SED als Partei der Arbeiterklasse vorbehaltlos an“ und die LDP bekannte sich 1953 in einer neuen Parteisatzung ebenfalls zur SED. Beide Parteien hatten ihre Tradition und ihr politisches Selbstverständnis über Bord geworfen, ihre Transmissionsrolle für die SED akzeptiert und damit ihren Status als selbständige Parteien aufgegeben. Wie NDPD und DBD von Anfang an übten nun auch sie im Parteiensystem die gleiche Funktion aus wie die Massenorganisationen. Indem sie den Ausbau der SED-Diktatur unter­ stützten und legitimierten, verloren sie nicht nur viele Mitglieder und Funktionäre, sie waren zu von der SED gelenkten Massenorganisationen geworden. Diese selbst hatten die „führende Rolle“ der SED in ihren Statuten natürlich auch anerkannt, der FDGB ebenso wie die FDJ, die die „führende Rolle der großen SED auf allen Gebieten“ 1952 in ihrer „Verfassung“ festschrieb Damit war seit 1952/54 auch formal das Parteien-system der DDR in der Gestalt geschaffen, die dann 35 Jahre bis zum Ende der Diktatur 1989 existierte: Es gab im Parteiensystem keine Opposition; die SED als Führungspartei konnte sich jederzeit der vollen Unterstützung der vier „befreundeten“ Parteien und der Massenorganisationen sicher sein.

IV. Die Funktionsweise des Parteiensystems

In der ersten DDR-Verfassung von 1949 waren -in Anlehnung an die Weimarer Verfassung -Parteien nicht positiv erwähnt Es gab in der DDR auch nie ein Parteiengesetz, obwohl seit Zulassung von Parteien durch die SMAD 1945 bzw. 1948 offiziell ein Parteiensystem bestand Erst die Verfassung von 1968 bzw. 1974 hat dann den Führungsanspruch der SED festgeschrieben: In Art. 1 hieß es, die DDR sei ein Staat „unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“, also der SED. Genannt wurde (in Art. 3) auch die Nationale Front, zu der „die Parteien und Massenorganisationen alle Kräfte des Volkes“ vereinigen Die SED hat Verfassungsnormen nicht als Grundlage von Politik, sondern als Instrument ihrer Macht benutzt. Gestützt auf Artikel 1 konnte sie das Parteiensystem, ja alle Bereiche der Gesellschaft dirigieren. Bis zum Zusammenbruch der Diktatur galt als Axiom, die SED leitet „einheitlich das gesamte gesellschaftliche Leben der Republik“ und ist für den „gesamten Komplex der politischen, ideologischen, wissenschaftlichen, technischen, ökonomischen und kulturellen Arbeit verantwortlich“ Dieser totalitäre Absolutheitsanspruch kommunistischer Regime wurde von der SED mit dikatorischem Zentralismus durchgesetzt. Die Macht der Führung beruhte dabei auf dem Apparat, der freiwilligen Disziplin und der Kaderauswahl. Charakteristisch für die Struktur war ein straff hierarchischer Aufbau, sämtliche Befehlsstränge liefen strikt von oben nach unten. Dies galt für alle „Apparate“, mit denen die Führung die Herrschaft ausübte; diese waren: -der eigene Parteiapparat (mit seinen hauptamtlichen Funktionären und ehrenamtlichen Helfern);

-der Staatsapparat (Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Armee, Medien); -die Justizorgane und vor allem das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zur Überwachung und Verfolgung; -die Blockparteien und Massenorganisationen, insbesondere deren haupt-und ehrenamtliche Funktionäre.

Die Richtlinienkompetenz lag ebenso wie die Beschlußkontrolle bei der SED-Führung. Das Sekretariat des ZK der SED leitete mit seinem umfangreichen eigenen Apparat, in Abteilungen gegliedert, die einzelnen Bereiche. Beispielsweise war für die Blockparteien die Abteilung „Befreundete Parteien“ beim ZK der SED zuständig, ohne die keine wichtige Personal-oder Sachentscheidung getroffen werden durfte. Dasselbe galt für die Bezirks-und Kreisebene, wo die SED-Leitungen gleichfalls zuständig waren. Über die Zuweisung von Funktionen und Positionen in Regierung und Verwaltung auf zentraler wie regionaler und lokaler Ebene bestimmte ebenfalls die SED. Da auch in den Blockparteien der „demokratische Zentralismus“ eingeführt worden war -also die Befehlsstränge von oben nach unten liefen -, bestand überall ein engmaschiges Netz der Kontrolle, das kaum zu durchbrechen war. Seit den fünfziger Jahren waren Möglichkeiten und Grenzen der Blockparteien so eindeutig von den Funktionären eingeübt, daß diese ihre Satelliten-Rolle kaum mehr in Frage stellten. Deutlich ablesbar war dies in den von der SED beherrschten Medien. Die Blockparteien verfügten -ebenso wie die großen Massenorganisationen FDGB und FDJ -über Tageszeitungen. Doch diese verbreiteten die Themen und die Propaganda mit gleicher Sprachregelung wie die SED-Medien. Auch hierin zeigte sich für jedermann die Mitmacherrolle der „befreundeten“, und das hieß gleichgeschalteten Parteien und Massenorganisationen.

Die Strukturen waren eindeutig: Nur die SED-Führung konnte durch Weisungen und Beschlüsse den Apparaten den Kurs vorgeben und so die Durchführung kontrollieren. Zudem sicherte ihr das Nomenklatur-System, daß nur sie über die Funktionsbesetzungen in allen Bereichen und auf jeder Ebene zu entscheiden hatte. Auf diese Weise ist es der Parteiführung gelungen, mit dem Kern ihrer zwei Millionen Mitglieder, den über 300 000 Nomenklaturkadern des ZK, der Bezirks-und Kreisleitungen, ihre Diktatur umfassend auszuüben

Von den Massenorganisationen wie den Blockparteien -mit grundsätzlich den gleichen Aufgaben zur Stärkung des Regimes betraut -wurde die „führende Rolle“ der SED oder deren Politik nie kritisiert oder gar abgelehnt. Obwohl die „befreundeten Parteien“ unter Honecker etwas aufgewertet wurden, stützte sich die SED doch stärker auf die Massenorganisationen. Das lag einmal daran, daß die Millionenverbände FDGB, FDJ oder DFD weit mehr Menschen erfaßten als die Blockparteien (mit 1987 zusammen 469 000 Mitgliedern). Zum anderen konnte dort mit Hilfe der Parteigruppen der SED und bei Personalunion der Funktionäre der Einfluß der Einheitspartei einfacher durchgesetzt werden.

Mit welchen Methoden die SED die Massenorganisationen anleitete, wurde früher in der DDR so beschrieben: 1. über „die Ausarbeitung der politischen Generallinie“, 2. durch „die Auswahl, den Einsatz und die Erziehung von Kadern der Partei in den Organisationen“, 3. durch „das Wirken von Parteiorganisationen bzw. Parteigruppen sowie der Parteimitglieder“ in den Massenorganisationen, 4. gemeinsame Beschlüsse von Partei, Staat und Organisationen „auf zentraler und örtlicher Ebene“ und schließlich 5. durch „spezielle Beschlüsse, Direktiven“

Dennoch gab es auch ein Spannungsverhältnis innerhalb der Massenorganisationen, insbesondere im FDGB. Der Widerspruch, als scheinbare Interessenvertretung der Arbeiter im Betrieb zu fungie­ ren und gleichzeitig seiner Verpflichtung als Massenorganisation der SED zu dienen, schuf Konflikte. Dabei blieb der FDGB in erster Linie ein Instrument der SED, es gab keine Interessenvertretung der Arbeiter. Ähnlich sah es bei der FDJ aus. Die sollte zwar die Jugendpolitik der SED als „Helfer und Kampfreserve der Partei“ verwirklichen, mußte aber zugleich jugendgemäße Formen finden. Heute ist unumstritten, daß die Massenorganisationen ihre Rolle im Sinne der SED spielten, systemstabilisierend wirkten, ohne das Leben der Bevölkerungsmehrheit wirklich tief-greifend prägen zu können.

Im Parteiensystem hatten sie gemeinsam mit den Blockparteien die Linie der SED auch nach außen zu vertreten, etwa in den Pseudoparlamenten.

Gerade am Beispiel der Volkskammer, des angeblich „obersten staatlichen Machtorgans“, ist der Widerspruch zwischen Verfassung und Realität der DDR abzulesen und die reine Alibifunktion des „Parlamentarismus“ ebenso zu erkennen wie die Rolle von Blockparteien und Massenorganisationen im Parteiensystem:

-Sämtliche Abgeordnete erhielten ihr Mandat über die Einheitsliste; es gab keine Alternativen, so kam es bei meist „Offener Abstimmung“ zu 99 Prozent „Ja-Stimmen“.

-Auch die Sitzverteilung der einzelnen Fraktionen war seit Jahrzehnten widerspruchslos festgelegt und durch „Wählervotum“ nicht veränderbar. -In den Parlamenten hatte die SED formell keine absolute Mehrheit, ihre Volkskammer-Fraktion (127 Abgeordnete) weniger Mitglieder als die vier Fraktionen der „Blockparteien“

(jeweils 52 Abgeordnete). Mit Hilfe der vier Fraktionen der Massenorganisationen verfügte die SED aber doch über die Majorität, weil deren Mandatsträger fast alle der Einheitspartei angehörten, also deren Parteidisziplin unterstanden. -Ohnehin wurden in vierzig Jahren DDR-„Parlamentarismus“ alle Beschlüsse, Gesetze, Wirtschaftspläne, Verordnungen usw. stets einstimmig verabschiedet (bis auf die Änderung des Abtreibungsparagraphen 218 im Jahre 1972).

-Die Volkskammer tagte in der Regel viermal im Jahr und blieb bloßes Akklamationsforum. Da aber alle Abgeordneten der Blockparteien und Massenorganisationen in der Volkskammer bis 1989 jedes Gesetz und sämtliche Verordnungen mittrugen, immer „ja“ sagten, ist ihre Verantwortung größer, als heute oft zugegeben. Auch wenn die Blockparteien ihrer Transmissionsaufgabe nur ungenügend gerecht geworden sind, waren sie doch Stützen des SED-Regimes. Alle ihre Parteitage (die letzten fanden 1987 statt) legten immer wieder Ergebenheitsadressen zur SED-Politik ab. Zwar wurde ihnen nicht nur die Politik, sondern auch die Klientel von der SED vorgeschrieben, konnten sie in Sicherheitsbereichen nicht tätig werden, dennoch hatten sie auch Posten und Privilegien zu vergeben. Für viele ihrer Mitglieder erfüllten die Blockparteien zwar auch eine „politische Nischenfunktion“, sie förderten aber ebenso berufliche Karrieren und konnten staatliche Positionen verschaffen. Auf dem 15. Parteitag der CDU 1982 wurde beispielsweise bekannt, daß von ihren 125 000 Mitgliedern 20 000 als „hauptamtliche Staatsfunktionäre und als Abgeordnete“ arbeiteten Andere wurden wohl Mitglied, um auf diese Weise Distanz zur SED zu halten, ohne in direkte Gegnerschaft zum System zu geraten. Allerdings wurde schon 1974 hervorgehoben, es sei „charakteristisch für die Stellung aller vier nichtkommunistischer Parteien“ zur SED, daß sie die „Grundsatzforderung an jedes ihrer Mitglieder“ stellten, nämlich die „volle Anerkennung des Führungsanspruchs der SED“ und „das entscheidende Bekenntnis zur Sowjetunion“ Wurde das schon von den Mitgliedern verlangt, so ist klar, wie „linientreu“ die Funktionäre zu sein hatten. Schließlich halfen die Blockparteien durch eine umfängliche Kaderschulung, regime-treue Funktionäre zu erziehen In diesem Rahmen haben die -wie es die SED 1982 lobend hervorhob -„über 380 000 Mitglieder zählenden Parteien DBD, CDU, LDPD und NDPD die Geschicke unserer Gesellschaft wesentlich mitbestimmt und mitgestaltet. Die mit der SED befreundeten Parteien tragen einen Teil gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und leisten zugleich spezifische Beiträge zur weiteren gesellschaftlichen Entwicklung.“ Die „mit der der SED verbündeten selbstständigen Parteien, die CDU, die LDPD, die DBD und die NDPD“, waren eben immer ein „wichtiger Bestandteil des politischen Systems“ der DDR Dafür wurden sie mit erheblichen materiellen Ressourcen ausgestattet, verfügten über riesige Partei-vermögen. Es ist heute daher unumstritten, daß die Blockparteien „unselbstständige, von der SED abhängige Organisationen“ waren Umstritten ist hingegen der Grad der Mitverantwortung sowie die Rolle der Funktionäre und Mitglieder. Die Minderheit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages verwies darauf, daß zwar im Laufe der Zeit die Alibi-Funktion und die gesamtdeutsche Funktion an Bedeutung verloren, auch die Mobilisierungsfunktion der Blockparteien nicht den „erwünschten Erfolg“ brachte, aber die „Einbindungs- und Disziplinierungsfunktion als dauerhafte und wichtige Aufgabe“ geblieben sei. Daraus wurde gefolgert: „Die Blockparteien waren somit -ohne Einschränkung seit Anfang der sechziger Jahre -ein Teil der SED-Diktatur mit wichtigen Stabilisierungsfunktionen. Sie tragen daher insgesamt und vor allem ihre Funktionäre Mitverantwortung für das Unrecht in 40 Jahren DDR Geschichte.“ Denn ernsthaftes Widerstandspotential rekrutierten die Blockparteien so wenig wie die Massenorganisationen, wie sich beim Zusammenbruch der SED-Diktatur zeigte.

Das Parteiensystem der DDR verschwand nach der friedlichen Revolution 1989/90. Die „Führungspartei“

SED wandelte sich mit der PDS zu einer Oppositionspartei. Im Verlauf des deutschen Einigungsprozesses wurde nicht nur die Ost-CDU, sondern auch der SED-Ableger DBD ein Teil der CDU, während LDPD und NDPD (letztere ebenfalls 1948 ein Produkt der Kommunisten) in der FDP aufgingen. Die SED-Massenorganisationen gibt es nicht mehr, oder sie blieben als kleine Rest-gruppen zurück, aus dem deutschen Parteiensystem sind sie wieder verschwunden. Die notwendige Aufarbeitung der Geschichte der DDR, der SED-Diktatur, setzt auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kern des politischen Systems, dem DDR-Parteiensystem, voraus -nicht zuletzt, weil Teile davon im heutigen deutschen Parteien-system aufgegangen sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter Joachim Lapp, Die „befreundeten Parteien“ der SED. DDR-Blockparteien heute, Köln 1988; Autorenkollektiv (Helene Fiedler u. a.), Gemeinsam zum Sozialismus. Zur Geschichte der Bündnispolitik der SED, Berlin (Ost) 1969; Autorenkollektiv (Ltg. Heinz Hümmler), Bündnispolitik im Sozialismus, Berlin (Ost) 1981.

  2. Vgl. u. a. Hermann Weber (Hrsg.), Parteiensystem zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Dokumente und Materialien zum Funktionswandel der Parteien und Massenorganisationen der SBZ/DDR 1945-1950, Köln 1982; Martin Broszat/Hermann Weber (Hrsg.), SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der SBZ 1945-1949, München 1990, 2. Aufl. 1993

  3. Die „Elemente und Etappen“ der Prozesse sind schon vor längerer Zeit skizziert worden, vgl. Manfred Koch/Werner Müller, Transformationsprozeß des Parteiensystems der SBZ/DDR zum „sozialistischen Mehrparteiensystem“ 1945 bis 1950, in: Deutschland Archiv, Sonderheft, Köln 1979, S. 27 ff.

  4. Hermann Weber (Hrsg.), Der deutsche Kommunismus, Dokumente, Köln 1963, S. 431 ff.

  5. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), Zentrales Parteiarchiv (ZPA), NL 36, 421, Bl. 255.

  6. Vgl. Jürgen Frölich (Hrsg.), „Bürgerliche Parteien“ in der SBZ/DDR. Zur Geschichte von CDU, LDPD, DBD und NDPD 1945-1953, Köln 1995.

  7. Vgl. Michael Richter, Die Ost-CDU 1948-1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung, Düsseldorf 1990, 2., korr. Aufl. 1991.

  8. Siegfried Suckut, Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1949. Die Sitzungsprotokolle des zentralen Einheitsfrontausschusses. Quellenedition, Köln 1986, S. 64.

  9. Vgl. Fritz Reinert (Hrsg.), Protokoll des Landesblockausschusscs der antifaschistisch-demokratischen Parteien Brandenburgs 1945-1950, Weimar 1994.

  10. Vgl. zu den einzelnen Organisationen die Darstellung im SBZ-Handbuch (Anm. 2), S. 621 ff.; ferner Ulrich Gill. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), Opladen 1989 ; Ulrich Mahlert, Die Freie Deutsche Jugend 1945-1949, Paderborn u. a. 1995; Magdalena Beider, Politik, Kultur, Kulturbund. Zur Gründungs-und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung 1945-1954 in der SBZ/DDR, Köln 1993; Bernhard Wernet-Tietz, Bauernverband und Bauernpartei in der DDR. Die VdgB und die DBD 1945-1952, Köln 1984.

  11. Walter Ulbricht, Die große Lehre, in: Einheit, 2 (1947) 11, S. 1075.

  12. Zirkel zum Studium der Biographie J. W. Stalins. Methodische Anleitung für Propagandisten, Hrsg. ZK der SED, Berlin 1950, S. 22.

  13. Vgl. SAPMO, ZPA, IV 2/1/7.

  14. Archiv des russischen Außenministeriums, Fonds 457 a/1/1/1, Bl. 37 ff. (Den Hinweis auf das Dokument verdanke ich Dr. Jan Foitzik.)

  15. SAPMO, ZPA, IV 2/3/58.

  16. Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der SED, Berlin (Ost) 1951, Bd. 2, S. 250 ff.

  17. Vgl. Neuer Weg, (1952) 10, S. 5; abgedruckt in Hermann Weber, DDR. Dokumente zur Geschichte der DDR 1945 bis 1985, München 19873, S. 187; Bericht über den Stand der Überprüfungen, SAPMO, ZPA, IV 2/4/47: Danach waren bis Juli 1952 von 1, 3 Millionen Mitgliedern und Kandidaten 37 000 „gestrichen“, 30 000 ausgeschlossen, 28 000 ausgetreten, und 30 000 hatten die Überprüfung verweigert. Dies wären 125 000 Personen, so daß bis Frühjahr 1952 noch weitere 25 000 Mitglieder ausgeschlossen worden sind, obwohl die „Überprüfung“ offiziell im Oktober 1951 für „beendet“ erklärt wurde.

  18. Vgl. Hermann Weber, Die Geschichte der frühen SED. Überlegungen gestern und heute, in: Gisela Helwig (Hrsg.), Rückblicke auf die DDR. Festschrift für Ilse Spittmann-Rühle, Köln 1995, S. 17 ff.

  19. Protokoll des Vereinigungsparteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) am 21. und 22. April 1946 im „Admiralspalast“ in Berlin, Berlin 1946, S. 12.

  20. Protokoll der Verhandlungen des II. Parteitages der SED, 20. -24. September 1947 in Berlin, Berlin 1947, S. 531.

  21. Vgl. Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1985, S. 133 ff.

  22. Vgl. Sigrid Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft in der DDR. Frankfurt/M. 1992.

  23. Vgl. S. Suckut (Anm. 8), S. 505 ff.

  24. Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Opposition und Widerstand in der DDR, Köln 1984, S. 47 ff.; Brigitte Kaff (Hrsg.), „Gefährliche politische Gegner“. Widerstand und Verfolgung in der sowjetischen Zone/DDR, Düsseldorf 1995.

  25. „Neue Zeit“ vom 26. Juli 1952.

  26. Dokumente zur Geschichte der FDJ, Bd. 2, Berlin (Ost) 1960, S. 405.

  27. Wie in der Reichsverfassung hieß es lediglich (Art. 39), die „im öffentlichen Dienst Tätigen sind Diener der Gesamtheit und nicht einer Partei“. Die Verfassung der DDR. Mit einer Einleitung von Otto Grotewohl, Berlin 1949, S. 14.

  28. Inzwischen ist bekannt, daß 1945 einige Anträge auf weitere Parteizulassungen abgelehnt wurden. Vgl. Gerhard Keiderling, Gruppe Ulbricht in Berlin April bis Juni 1945, Berlin 1993, S. 97.

  29. Vgl. Klaus Sorgenicht u. a. (Hrsg ), Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Dokumente, Kommentar, Bd. 1, Berlin (Ost) 1969, S. 215 ff., 265 ff.

  30. Horst Dohlus, Der demokratische Zentralismus, Berlin (Ost) 1965, S. 6.

  31. Vgl. H. Weber (Anm. 21), S. 483 ff.

  32. Handbuch gesellschaftlicher Organisationen in der DDR. Massenorganisationen, Verbände, Vereinigungen, Gesellschaften, Genossenschaften, Komitees, Ligen, Berlin (Ost) 1985, S. 15.

  33. Vgl. H. Weber (Anm. 21), S. 468.

  34. Rolf Stoekigt, Die Zusammenarbeit der SED mit den anderen Parteien der Nationalen Front, in: Deutsche Außenpolitik, 19 (1974) 1, S. 78.

  35. Vgl. dazu Martin Rißmann, Kaderschulung in der Ost-CDU 1949-1971. Zur geistigen Formierung einer Block-partei, Düsseldorf 1994.

  36. Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (Hrsg.), Erfolgreiche Jahre. Der Beitrag der SED zu Theorie und Politik der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, Berlin (Ost) 1982, S. 51.

  37. Deutsche Demokratische Republik. Handbuch, Leipzig 1979, S. 262.

  38. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Bd. 1, Baden-Baden 1995, S. 233. Vgl. auch Ingrun Drechsler/Bernd Faulenbach u. a., Getrennte Vergangenheit, gemeinsame Zukunft. Ausgewählte Dokumente, Zeitzeugenberichte und Diskussionen der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (dtv-Dokumente), München 1996.

  39. Ebd„ S. 243 ff.

Weitere Inhalte

Hermann Weber, Dr. phil., geb. 1928; emer. ord. Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim; Leiter des Forschungsschwerpunkts DDR-Geschichte im Arbeitsbereich IV des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung; Sachverst. -Mitglied der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“ des Deutschen Bundestages. Veröffentlichungen u. a.: Die Wandlung des deutschen Kommunismus, 2 Bde., Frankfurt/M. 1969; Geschichte der DDR, München 1985; Aufbau und Fall einer Diktatur, Köln 1991; Das Prinzip links, Berlin 1992; Die Gründung der KPD, Berlin 1993; Die DDR 1945-1990, München 1993; (Hrsg. zus. mit Bernd Faulenbach und Markus Meckel) Die Partei hatte immer recht. Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur, Essen 1994; (Mithrsg.) Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Berlin 1993 ff.