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Arbeitsmarktpolitik nach dem Wohlfahrtsstaat Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung | APuZ 26/1996 | bpb.de

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APuZ 26/1996 Standort Deutschland -neue Herausforderungen angesichts veränderter Wettbewerbsbedingungen? Arbeitslosigkeit oder ungleiche Einkommens-verteilung -ein Dilemma? Das Beschäftigungsproblem der Industriegesellschaften Arbeitsmarktpolitik nach dem Wohlfahrtsstaat Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung

Arbeitsmarktpolitik nach dem Wohlfahrtsstaat Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung

Jürgen Neyer/Martin Seeleib-Kaiser

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das globale Zusammenwachsen der Märkte hat nicht lediglich zu neuem ökonomischem Wohlstand geführt, sondern ging mit einer tiefgreifenden Erschütterung der sozialen und politischen Fundamente unserer Nachkriegsgesellschaften einher. Immer weniger agiert der Staat heute als eine Vermittlungsinstanz zwischen den Anforderungen des Weltmarktes und den sozialen Bedürfnissen der Gesellschaften. Immer mehr scheint er sich hingegen als ein verlängerter Arm des Weltmarktes zu verstehen, der umverteilende Sozialpolitik, die in der frühen Nachkriegszeit als wesentliches Element der Legitimation staatlicher Herrschaft empfunden wurde, lediglich als Belastung postmoderner Ökonomie versteht. Dieses neue staatliche Selbstverständnis wirkt sich jedoch nicht gleichmäßig über alle Bereiche von Sozialpolitik aus, sondern konzentriert sich vielmehr auf die ungeschützte und institutionell kaum abgesicherte Gruppe der Arbeitslosen. Dieses wird am Beispiel der neuen Arbeitsmarktpolitik der USA, Japans und Deutschlands aufgezeigt und als Prozeß der „Re-Kommodifizierung“ von Arbeit interpretiert. Es wäre heute zwar bestimmt verfrüht, den Wohlfahrtsstaat in seiner Gänze für überholt erklären zu wollen. Doch ohne gravierende Veränderungen in der Ausbalancierung von Marktkräften und regulativer staatlicher Kompetenz muß es zumindest als naheliegend erscheinen, daß die Transformation der Arbeitsmarktpolitik nur der Anfang einer langen Folge weiterer Transformationen des modernen Wohlfahrtsstaates ist.

I. Einleitung

Empfänger von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Prozent von allen Arbeitslosen 1 Quelle: Martin Seeleib-Kaiser, Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung im deutsch-japanischen Vergleich, in: Dietrich Thränhardt (Hrsg.), Japan und Deutschland in der Welt nach dem Kalten Krieg -Neue Herausforderungen zweier Wirtschaftsmächte, Opladen 1995; Marion Nichols/Isaac Shapiro, Unemployment Insurance Protection in 1994, Center on Budget and Policy Priorities, Washington, D. C., 1995, S. 7.

Kaum ein anderes gesellschaftliches Phänomen hat in den letzten Jahren in den Medien und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit eine ähnlich breite Aufmerksamkeit gefunden wie das der Globalisierung. Aus der Perspektive der Ökonomen beschreibt Globalisierung zuerst einmal nichts anderes als das Zusammenwachsen ehemals nationaler Märkte in einen globalen Markt, mit dem Resultat effizienterer Allokation -Verteilung von Ressourcen. Ein lediglich ökonomisches Verständnis dieses umfassenden Prozesses der Restrukturierung sozialer Beziehungen übersieht jedoch nur zu leicht, daß das globale Zusammenwachsen der Märkte nicht nur zu neuem ökonomischen Wohlstand geführt hat, sondern auch mit einer tiefgreifenden Erschütterung der sozialen Fundamente unserer Nachkriegsgesellschaften einhergeht

Staaten sind des weiteren nicht nur einem Prozeß der steigenden ökonomischen Integration unterworfen, sondern Staatlichkeit selbst befindet sich unter dem Einfluß globaler ökonomischer Prozesse in einer umfassenden Transformationsphase. Während sich moderne Staatlichkeit seit dem 17. Jahrhundert entlang von territorialen Grenzen konsolidierte und als wesentliche Elemente die interne Herrschaftsdurchsetzung und das externe Alleinvertretungsmonopol gesellschaftlicher Interessen beinhaltete, lassen sich diese staatlichen Ansprüche in der heutigen entgrenzten Weltwirtschaft kaum noch aufrechterhalten. Staatliche Politik muß vielmehr dem Umstand Rechnung tragen. daß die Spielregeln der Weltwirtschaft heute von einer Vielzahl äußerst heterogener Akteure bestimmt werden und zwischenstaatliche Regel-werke nur noch begrenzten Einfluß haben.

Welche Konsequenzen haben diese Trends für den Wohlfahrtsstaat? In den Sozialwissenschaften gibt es derzeit zwei wesentliche Strömungen hinsichtlich der Bewertung der möglichen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen; Einmal wird argumentiert, daß wir gegenwärtig einen Paradigmenwechsel unter dem Motto „Vom Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbsstaat durchlebten, dadurch gekennzeichnet, daß die Sozialpolitik eindeutig den Erfordernissen der Arbeitsmarktflexibilisierung und/oder den Zwängen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet sei. Anhänger der zweiten Strömung betonten, daß die Globalisierung bisher kaum einen negativen Einfluß auf den Wohlfahrtsstaat gehabt habe. Allenfalls handele es sich bei den sozialpolitischen Veränderungen der letzten drei Dekaden um marginale Einschnitte bzw. um Veränderungen, die erst in Zukunft zum Tragen kommen würden

Ziel unseres Beitrages ist es zum einen, die Debatte über den Zusammenhang zwischen weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen und wohlfahrtsstaatlicher Kompetenz auf den Boden empirisch fundierter Analyse zu stellen Zum anderen wollen wir zeigen, daß die unter dem Stichwort der Globalisierung subsumierten weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen seit Anfang der siebziger Jahre -in den vergangenen zwei Dekaden -gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik in den USA, Japan und der Bundesrepublik Deutschland tiefe Spuren hinterlassen haben.

II. Die neue Weltwirtschaft

Bevor im Verlauf dieses Beitrages auf die Tendenzen in der Arbeitsmarktpolitik eingegangen wird, sollen in groben Zügen die wesentlichen weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen seit den frühen siebziger Jahren geschildert werden.

1. Bis in die siebziger Jahre war der internationale'Rohstoff-und Warenhandel die treibende Kraft der ökonomischen Integration in der Welt(markt) gesellschaft. Seit Anfang der achtziger Jahre wird der internationale Handel in seiner Bedeutung für die grenzenüberschreitende Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen jedoch zunehmend von einem transnationalen System aus langfristigen Kapitalverflechtungen überlagert. Die Verkäufe ausländischer Niederlassungen von transnationalen Konzernen haben den internationalen Handel in seiner Bedeutung weit überholt und betragen heute mehr als das Doppelte des grenzüberschreitenden Vertriebs. Die großen Unternehmen der westlichen Welt wie General Motors, Toyota. Exxon oder Siemens sind nicht länger lediglich „national Champions“, sondern wurden in den siebziger und achtziger Jahren vielmehr zu „global players“, deren Abhängigkeit vom nationalen Markt sich nachhaltig reduziert hat. Die wachsende Bedeutung von langfristigen Kapitalverflechtungen spiegelt sich ebenfalls in ihrer strategischen Bedeutung für die Innovation von Produktionsprozessen, in der Bereitstellung von Arbeitsplätzen und der Stimulierung von volkswirtschaftlichem Wachstum wider. Aufgrund dieser beiden Faktoren befinden sich Staaten heute oftmals in einem wechselseitigen Wettlauf um die Schaffung von immer höheren Anreizen für Investoren und die Reduktion von Lohn-(neben) kosten. Dieses drückt sich entweder in Steuererleichterungen, der Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur oder sogar, wie in Großbritannien, in dem Verweigern des Beitritts zur Sozial-charta der Europäischen Union aus. 2. Global mobiles Kapital beschränkt sich jedoch nicht lediglich auf Direktinvestitionen. Sehr viel mobiler sind kurzfristige Kapitalverflechtungen mit einer Investitionsperspektive von nur wenigen Wochen oder Monaten. Diese hatten insbesondere in den achtziger Jahren ein enormes Wachstum zu verzeichnen und betragen heute ein Vielfaches langfristiger Kapitalverflechtungen. Während langfristige Kapitalverflechtungen noch einen relativ hohen Grad an „Trägheit“ aufweisen, da Produktionskapazitäten nur unter hohen Kosten verlagert werden können, trifft dieses für die kurzfristigen Investitionen von institutionellen Investoren wie Investmentfonds oder Versicherungen nicht zu. In der hochliberalisierten Welt globaler Finanzbeziehungen ist Kapital flüssig wie Quecksilber und reagiert innerhalb weniger Minuten auf veränderte Rahmenbedingungen. Die Ankündigung expansiver Staatsausgaben, steigender Haushaltsdefizite oder einer sich verschlechternden Zahlungsbilanz kann innerhalb kürzester Zeit zu einer Umorientierung von Investoren und einem Run aus der jeweiligen Währung führen. Dieses wiederum zwingt die betroffene Regierung zu Zinserhöhungen, um den Kapitalabfluß zu stoppen. Expansive staatliche Ausgabenprogramme werden nicht zuletzt deswegen heute nur noch so selten von Regierungen benutzt, um konjunkturelle Depressionen zu überwinden, da sie sich nur zu leicht lediglich in Inflation übersetzen würden, ohne die beabsichtigten positiven Beschäftigungseffekte hervorzurufen.

3. Die gestiegene Mobilität von Kapital führt weiterhin dazu, daß Regierungen immer größere Probleme haben, ihre Ökonomien zu besteuern und somit die Grundlagen des Wohlfahrtsstaates zu gewährleisten. Eine umverteilende Sozialpolitik kann nur dort hinreichend funktionieren, wo die Mobilität von Kapital ein begrenztes Phänomen und Kapital grundsätzlich territorial verhaftet bleibt. Genau dies wird jedoch immer fragwürdiger, da die Liberalisierungen des Kapitalverkehrs und die effektive Außerkraftsetzung zwischenstaatlicher Grenzen für Geld und Kapital die Grundlage der „Solidargemeinschaft“ des Wohlfahrtsstaates aufzuheben drohen. Die hohe Attraktivität, Geld außerhalb der nationalstaatlich regulierten Sphäre anzulegen, gilt jedoch nicht lediglich für die Bezieher hoher Einkommen, sondern mindestens ebensosehr für Unternehmen.

Das Phänomen, daß die hohen Profite, die viele Unternehmen in den achtziger Jahren erwirtschafteten, nicht zu einem entsprechenden Anstieg des Angebotes an Arbeitsplätzen geführt haben, ist nicht nur auf die umfassenden Rationalisierungen und die hiermit zusammenhängende Freisetzung von Arbeitern und Arbeiterinnen zurückzuführen. Ein zweiter wesentlicher Grund findet sich darin, daß Unternehmen es oftmals attraktiver fanden, spekulative Geschäfte an den internationalen Börsen vorzunehmen, anstelle in neue Produktionskapazitäten zu investieren. Mit guten Gründen wird hier argumentiert, daß die globalen Geldmärkte mit ihrem täglichen Umsatz von über einer Billion US-Dollar genau das Kapital aufsaugen, das binnenwirtschaftlich für neue Investitionen und Arbeitsplätze benötigt würde 4. Während der internationale Handel sich lange Zeit ganz überwiegend aus stofflichen Produkten zusammensetzte (Agrargüter, Rohstoffe, Haibund Fertigwaren), die gemessen, gewogen und besteuert werden konnten, ist die Revolution des Kommunikationswesens dabei, dem internationalen Handel den gesamten Bereich der professionellen Dienstleistungen zu erschließen. Dienstleistungen konnten lange Zeit kaum international gehandelt werden, da sie nicht lagerfähig waren und Produktion und Konsum zur gleichen Zeit erfolgen mußten. Seit Mitte der achtziger Jahre wächst der internationale Handel mit Dienstleistungen jedoch in Raten, die weit über denen des Warenhandels liegen und beträgt heute (ohne Einkommen aus Kapitalanlagen) fast 30 Prozent des Welthandels. Im Gegensatz zum Warenhandel handelt es sich hierbei um einen weitgehend „unsichtbaren“ Handel, der konzernintern und zwischen Computerterminals erfolgt und nur äußerst schwer zu erfassen bzw. zu regulieren ist. 5. Während die neuen Techniken der Datenverarbeitung und -Übermittlung schon die Perspektive einer internationalen Dienstleistungsgesellschaft und somit eine völlig neue Dimension des internationalen Konkurrenzdrucks eröffnen, verweist der massive Bedeutungsgewinn internationaler Kapitaleinkommen auf ein wahrscheinlich noch weitreichenderes Phänomen: In einer Anzahl von OECD-Staaten erreicht das Volumen der Einkommen aus Kapitalanlagen im Ausland heute schon annähernd das Volumen der Einkommen, das diese aus dem Export von Fertigwaren erzielen. Bei einer Fortsetzung der bisherigen Trends dürften Staaten wie Großbritannien oder auch Belgien innerhalb der nächsten zehn Jahre de facto zu Rentiersgesellschaften werden, die von den Einkommen ihrer im Ausland getätigten Investitionen einen Großteil ihrer Importbedürfnisse befriedigen können. Selbst Japan, das gemeinhin vor allem als Exporteur von PKWs. Elektronik und Maschinen gilt, erzielt heute schon Einnahmen aus ausländischen Kapitalanlagen, die knapp der Hälfte seiner Einkommen aus dem Warenexport entsprechen (Großbritannien 61 Prozent, Belgien 74 Prozent, G-25 30 Prozent).

Nun könnte man ja argumentieren, daß es eigentlich doch gleich sei, womit eine Volkswirtschaft nun die benötigten Devisen erwirtschafte. Die Entwicklung von Rentiersgesellschaften fängt allerdings dort an problematisch zu werden, wo die primären Empfänger der Kapitaleinkommen (Investment-und Pensionsfonds, Banken und große Unternehmen) über eine wachsende Mobilität verfügen und hierüber fähig sind, einen hohen Druck auf die Staaten auszuüben, das Niveau der Besteuerung niedrig zu halten. Sogar in der konservativen Financial Times lassen sich in letzter Zeit Befürchtungen finden, daß diese Entwicklung zu einem finanziellen Ausbluten der Wohlfahrtsstaaten führen könnte.

Sowohl Geld-als auch Anlagekapital hat heute nicht nur eine sehr viel größere Bandbreite von über den ganzen Globus verstreuten Investitionsmöglichkeiten, sondern verfügt auch über die faktische Mobilität, diese wahrzunehmen. Diese Mobilität steht wiederum in direktem Zusammenhang zu den technologischen Neuerungen im Kommunikationswesen. Erst durch die Verbreitung moderner Kommunikationssysteme wurde es möglich, Investitionen nicht nur kontinentübergreifend vorzunehmen, sondern sie auch supervisorisch zu begleiten, ihren Erfolg zu überwachen und gegebenfalls zügig einzugreifen. Der Boom der grenzüberschreitenden Investitionsverflechtungen fällt von daher nicht ohne Grund in etwa den gleichen Zeitraum wie die Ausbreitung des PCs, des Internets oder der privaten Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen wie PanAm-Sat oder Cable & Wireless.

6. Abschließend ist hier noch der Aufstieg der ostasiatischen Schwellenländer Taiwan, Südkorea, Hongkong und Singapur, und in ihrem Gefolge der zweiten Generation von Schwellenländern Malaysia, China und Thailand zu erwähnen. Die hohe Produktivität und die relativ niedrigen Löhne und Sozialkosten in diesen Ländern haben zu rasant ansteigenden Warenexporten geführt, die dem internationalen Konkurrenzdruck eine neue Dynamik gegeben haben. Eine ähnliche Situation besteht seit den Jahren 1989/90 auch hinsichtlich der mittel-und osteuropäischen Staaten. Bei dem Aufstieg der ostasiatischen Schwellenländer handelt es sich nun allerdings nicht primär um eine globale Umverteilung gesellschaftlichen Wohlstandes zugunsten thailändischer oder chinesischer Arbeiter, sondern vielmehr um eine langfristige Industrialisierungsstrategie nachholender Entwicklung, die auf hohen internen Sparquoten und niedrigem Massenkonsum aufbaut. Das Problem der sozialen Anpassungskosten in den alten „Industrie“ -Ländern wird daher durch einen globalen Nachfrageausfall noch weiter verschärft, der von manchen als wesentlicher Grund für die ausbleibende nachhaltige Belebung des Wachstums angesehen wird.

III. Das Ende der Politik?

Aufgrund der skizzierten weltwirtschaftlichen Strukturveränderungen ist der Druck auf die Lohn-und Preisgefüge sowie die soziale Stabilität der Wohlfahrtsstaaten zweifellos stark gestiegen. Aber auch die wirtschafts-und finanzpolitische Autonomie der Staaten, d. h., der Grad, zu dem die verfolgte Politik auch als Ausdruck eigener Interessen -und nicht nur äußerer Rahmenbedingungen -verstanden werden kann, ist heute zweifellos bei weitem geringer, als sie es noch in den siebziger Jahren war. Die entgrenzte Weltwirtschaft legt den politischen Handlungsoptionen der Nationalstaaten ein enges Gerüst von Restriktionen auf, dessen Folgen manche Beobachter gar als ein „Ende der Politik“ interpretieren und hiervon eine tiefgreifende Legitimationskrise der westlichen Demokratien ableiten

Dieser Argumentation zufolge basiert die Legitimität von demokratischer Herrschaft nicht zuletzt auf der Prämisse, daß die demokratisch gewählten Vertreter fähig sind, das ihnen übertragene Mandat effektiv auszuüben, d. h. diejenige Politik zu betreiben, die von der Wahlbevölkerung gewünscht wird. Dieses wird jedoch dadurch erschwert, daß die faktischen Einflußmöglichkeiten von nationalstaatlicher Politik auf globale ökonomische Prozesse wie den Devisenhandel oder die Festsetzung von internationalen Zinsniveaus in den meisten Fällen eher gering sind. Globale Marktprozesse entziehen sich jedoch nicht nur der politischen Regulierung seitens einzelner Regierungen, sondern üben auch außerordentlich hohen Druck auf diese aus, ihre Haushalte zu konsolidieren, die konsumtiven (Sozial-) Ausgaben niedrig und das Zinsniveau hoch zu halten. Nur auf der Basis relativ niedriger Inflationsraten können Regierungen damit rechnen, an den internationalen Kreditmärkten dringend benötigtes Geld aufnehmen zu können, ohne einen Zinszuschlag zahlen zu müssen.

Expansive einzelstaatliche Haushaltsmaßnahmen, die auf eine Belebung der Binnenkonjunktur und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen zielen, werden hierdurch genausosehr erschwert wie die weitere Expansion oder auch nur die Bewahrung hoher sozialstaatlicher Standards. Die von Arbeitgeberseite zunehmend bemühte „Globalisierungsrhetorik“ hat diese Trends schon sehr frühzeitig aufgenommen und in eine politische Kampagne transformiert, in der die sozialen Folgen der globalen Liberalisierung als zwar beklagenswerte, doch unumgängliche Anpassungskosten an die veränderte Weltwirtschaft erscheinen. Auch die wichtigsten internationalen ökonomischen Organisationen wie die Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) und der Internationale Währungsfonds (IWF) fordern immer nachdrücklicher die einzelstaatlichen Regierungen auf, den neuen Realitäten dahingehend Rechnung zu tragen, daß diese die letzten Überbleibsel nachfrageorientierter Globalsteuerung aufgeben und ihre Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitiken an angebotsorientierten Prinzipien ausrichten.

Während einerseits also der Einfluß der Märkte auf die Politik signifikant gestiegen ist und eine expansive und nachfrageorientierte Politik mit vermindert hohen Kosten versehen ist, stellen andererseits doch die sozioökonomischen Problemlagen, mit denen sich die Regierungen in den USA, Japan und Deutschland konfrontiert sehen, geradezu klassische Kandidaten für eine keynesianische Politik dar: Die in Deutschland nun schon zwei Jahrzehnte anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die in den USA und Japan sich vertiefende (und in Deutschland ebenfalls zunehmende) Segmentierung der Arbeitsmärkte und der in allen drei Ländern ständig steigende Bedarf ananspruchsvoller und berufsbegleitender, wenn möglich lebenslanger Fortbildung lassen sich mit Sicherheit nicht allein durch gekürzte Sozialleistungen und ausgeglichene Haushalte beheben. Welche Kontinuitäten und Brüche, so werden wir im zweiten Teil dieses Beitrages fragen, lassen sich in den sozialpolitischen Regimen dieser drei Staaten seit Mitte der siebziger Jahre beobachten und inwiefern lassen diese sich auf den Einfluß der ökonomischen Entgrenzung zurückführen?

IV. Die stärkere Wiederankopplung der Arbeit an die Gesetze von Angebot und Nachfrage

Ein erster Blick auf die Sozialausgaben in Kern-ländern der OECD zeigt, daß vor allem der Bereich Arbeitslosenversicherung in den vergangenen zwei Jahrzehnten von einschneidenden Veränderungen betroffen gewesen zu sein scheint. Nachdem jedoch die Sozialausgaben nur ein sehr kruder Indikator für Veränderungen sind, ist es sinnvoll zu überprüfen, inwieweit diese Ausgaben-reduzierungen tatsächlich mit qualitativen Veränderungen einhergingen.

Um die möglichen Veränderungen analysieren und bewerten zu können, bietet es sich an, einen Indikator zu wählen, der in der Vergangenheit zur Bewertung in der vergleichenden Sozialpolitikforschung herangezogen wurde. Gösta Esping-Andersen kategorisiert die Wohlfahrtsstaaten in den verschiedenen Ländern danach, inwieweit die Ware Arbeit hinsichtlich bestimmter sozialer Risiken durch staatliche Sozialpolitik vom Markt entkoppelt worden ist, das heißt nach dem Grad ihrer De-Kommodifizierung. Zum Beispiel: Beim Risiko Arbeitslosigkeit bietet die Arbeitslosenversicherung in gewisser Hinsicht eine Lohnsockelungsfunktion, d. h., unterhalb eines bestimmten (individuellen) Lohnniveaus ist ein Arbeitnehmer ökonomisch nicht gezwungen, eine Arbeit anzunehmen, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Ähnliches gilt für den Bezug von Sozialhilfe seitens erwerbsfähiger Personen.

Bereits aus diesen Beispielen wird deutlich, daß der jeweilige De-Kommodifizierungsgrad nicht anhand von allgemeinen staatlichen Ausgabenniveaus beurteilt werden kann, sondern es wichtig ist, sowohl die Berechtigungskriterien als auch die jeweilige Lohnersatzrate als Indikatoren heranzuziehen.

Auf der Grundlage dieses Bewertungsmaßstabes werden wir im Folgenden zeigen, daß die Arbeitsmarktpolitik in unseren drei Untersuchungsländern jeweils einen Prozeß der Re-Kommodifizierungerkennen läßt. Hierunter wird -analog zum Begriff der De-Kommodifizierung -eine verstärkte Wiederankoppelung der Ware Arbeit an die Gesetze von Angebot und Nachfrage verstanden. 1. Der Fall USA Staatliche Sozialpolitik spielte in den Vereinigten Staaten von Amerika über weite Strecken des „Goldenen Zeitalters“ -im Vergleich zu westoder nordeuropäischen Staaten -nur eine untergeordnete Rolle. Die ökonomische Entwicklung bis zu Beginn der siebziger Jahre schien die begrenzte staatliche Intervention zu legitimieren, nachdem die Lohnunterschiede zu einem gewissen Grad eingeebnet und über betriebliche Sozialpolitik, etwa durch Betriebsrenten bzw. betriebliche Krankenversicherungen, bestimmte soziale Risiken abgefedert wurden. Die Folge war, daß auch ein Job für un-bzw. angelernte Arbeitnehmer in den Großunternehmen der verarbeitenden Industrie den Weg zur sozialen Inklusion, das heißt in die US-amerikanische Mittelschicht, bot. Diese Unternehmenspolitik war aufgrund des komparativen Vorteils der Vereinigten Staaten in der internationalen Ökonomie der Nachkriegszeit möglich und wurde von den Industriegewerkschaften forciert.

Mit der Abnahme gut bezahlter und relativ stabiler Arbeitsplätze in Großunternehmen des verarbeitenden Gewerbes, der voranschreitenden Aushöhlung betrieblicher Sozialpolitik und der Zunahme von prekären und atypischen Arbeitsverhältnissen, vor allem im Dienstleistungssektor, das heißt mit der zunehmenden Entstofflichung und Entgrenzung der US-amerikanischen Wirtschaft, führte der im internationalen Vergleich niedrige De-Kommodifizierungsgrad dazu, das Risiko der sozialen Marginalisierung für einen steigenden Anteil der Bevölkerung zu verschärfen.

Während seit den siebziger Jahren der Anteil der sozial marginalisierten Arbeitnehmer anstieg, wurde zum einen das international niedrige Niveau der De-Kommodifizierung offenkundig, und zum anderen kam es parallel dazu zu einem Richtungswechsel bundesstaatlicher Sozialpolitik. Nunmehr stand nicht mehr die Ausweitung und zunehmende, wenn auch sehr langsame Tendenz einer Neutralisierung des Lohngesetzes im Mittelpunkt, sondern eine Re-Kommodifizierung der Arbeit. Das staatliche Rentenversicherungsprogramm sowie die staatliche Gesundheitspolitik waren weitestgehend von unmittelbaren Veränderungen ausgeschlossen. Instrumente dieses Re-Kommodifizierungsprozesses in der Arbeitsmarkt-politik waren: a) die Absenkung der Transferleistungen und des Mindestlohns sowie eine Verschärfung der Berechtigungskriterien und b) die Einführung „neuer“ Instrumente, wie etwa steuerliche Anreize hinsichtlich niedrig entlohnter Erwerbsarbeit sowie die Verschärfung des „Arbeitszwangs“ in Sozialhilfeprogrammen (workfare).

Zu den Instrumenten des Re-Kommodifizierungsprozesses in der Arbeitsmarktpolitik a) In der Phase von 1970 bis 1991 sank die Leistungshöhe im bedeutsamsten bundesstaatlichen Sozialhilfeprogramm um durchschnittlich 42 Prozent. Hierbei handelt es sich um ein Politikergebnis, das maßgeblich auf eine Politik des Nichthandeins zurückgeführt werden kann, nachdem die Leistungen zuvor nicht an die Inflation gekoppelt worden waren und nunmehr nur sporadisch in den Einzelstaaten angehoben wurden. Zu Beginn der neunziger Jahre wurden allerdings auch absolute Leistungskürzungen in der überwiegenden Mehrzahl der Einzelstaaten verabschiedet. Hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung wurden die Berechtigungskriterien enger gefaßt und die maximale Dauer des Leistungsbezugs reduziert. Resultat dieser Politik war u. a., daß lediglich zwischen 30 und 40 Prozent der Erwerbslosen während der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hatten; 1970 hatten noch 76 Prozent der Erwerbslosen Leistungen bezogen.

Nachdem dem Mindestlohn in den Vereinigten Staaten aufgrund des Fehlens von Flächentarifverträgen und der geringen und zudem abnehmenden Ausdehnung kollektiver Arbeitsverträge eine besondere Bedeutung zukommt, sei an dieser Stelle auch darauf verwiesen, daß seine relative Höhe in den vergangen zwei Jahrzehnten deutlich gesunken ist. Belief sich der Mindestlohn während der siebziger Jahre noch auf etwa 46 Prozent des Durchschnittlohns, so lag er im Jahr 1993 nur noch bei etwa 39 Prozent. b) Darüber hinaus wurde in den achtziger Jahren eine Verschärfung der Arbeitsverpflichtung für Sozialhilfeempfänger aufgrund bundesstaatlicher Gesetzgebung durchgesetzt, wobei es den Einzelstaaten überlassen blieb, die Details zu definieren. Sofern bestimmte Kriterien erfüllt werden, ist nunmehr ein Sozialhilfeempfänger verpflichtet, eine Arbeit aufzunehmen oder an „Qualifizierungsmaßnahmen“ teilzunehmen. Bereits im Jahre 1975 wurde der Earned Income Tax Credit (EITC) -eine Steuergutschrift für Bezieher niedriger Erwerbseinkommen -eingeführt, um Niedrigstlohnverdiener (working poor) mittels des Steuersystems zu unterstützen. In bestimmten Fällen hat der EITC die Wirkung einer negativen Einkommensteuer. Die Intention des Gesetzgebers bestand darin, neben einer beschränkten Kompensation für die regressiven Sozialversicherungsbeiträge vor allem die Aufnahme niedrigst entlohnter Beschäftigung zu fördern. Bereits während der achtziger Jahre und schließlich zu Beginn der Clinton-Administration wurde dieses Instrumentarium weiter ausgebaut. 1996 werden schätzungsweise 20 Millionen Haushalte von diesem Instrumentarium Gebrauch machen können. 2. Der Fall Japan Um die sozialpolitischen Veränderungen in Japan während der vergangenen zwei Dekaden verstehen zu können, sei zunächst darauf hingewiesen, daß staatliche Sozialpolitik in der Geschichte Japans häufig als unabwendbare Notmaßnahme begriffen wurde. Obwohl auch die staatliche Sozialpolitik für Erwerbslose nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem aber in der ersten Hälfte der siebziger Jahre ausgeweitet wurde, basierte das „rudimentäre Wohlfahrtsregime“ Japans sehr stark auf traditionellen Formen der sozialen Sicherung, wie etwa der Familie. Zu einer universalistischen Absicherung Arbeitsloser, vergleichbar mit der Mehrzahl der europäischen Wohlfahrtsstaaten während des „Goldenen Zeitalters“, kam es nicht. Lediglich knapp zwei Drittel der Erwerbstätigen waren gegen das Risiko Arbeitslosigkeit versichert.Obwohl die sozialen Probleme in Japan, gemessen an den Indikatoren Arbeitslosigkeit oder Armut, im internationalen Vergleich als gering bewertet werden müssen, sah sich die Regierung Nippons seit Ende der siebziger Jahre dazu veranlaßt, sowohl verstärkt auf traditionelle Formen sozialer Sicherung zurückzugreifen als auch auf das stärkere Wirken der Marktgesetze zu setzen, wobei dies in den Bereichen Renten-und Gesundheitspolitik für die Leistungsbezieher nur marginale Auswirkungen hatte

In bezug auf die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherung nutzte die Regierung die Instrumentarien einer Verschärfung der Berechtigungskriterien und der Reduzierung der Leistungshöhe. So wurde während der achtziger Jahre der Zugang für bedürftige „erwerbsfähige“ Personen zur Sozialhilfe aufgrund einer Modifizierung der Durchführungsverordnung nahezu ausgeschlossen. mit der Folge, daß die Anzahl der Leistungsbezieher deutlich zurückging. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung führte eine Politik des Nichthandeins und eine sich verstärkende Segmentierung des Arbeitsmarktes, das heißt unter anderem eine Ausdehnung von Teilzeitbeschäftigungen und anderen atypischen Beschäftigungsformen. die nur einen sehr unzureichenden Schutz im Falle der Arbeitslosigkeit bedingen, dazu, daß ein zunehmender Anteil der Erwerbslosen keinerlei Ansprüche auf Lohnersatz-leistungen hatte. Zu Beginn der neunziger Jahre bezogen weniger als 40 Prozent der Erwerbslosen Arbeitslosenunterstützungsleistungen, wohingegen die Quote zu Beginn der achtziger Jahre noch um 20 Prozentpunkte höher war.

Hinsichtlich der Lohnersatzrate muß hervorgehoben werden, daß diese durch eine Veränderung der Definition des Referenzlohnes (Lohn, der zur Berechnung der Lohnersatzrate verwendet wird), nämlich den Ausschluß von Zusatzleistungen (Boni), die etwa 30 Prozent des Lohnes ausmachen, Mitte der achtziger Jahre deutlich reduziert worden ist. Im Bereich der Sozialhilfe hingegen gab es keine Leistungskürzungen. 3. Der Fall Bundesrepubik Deutschland Wie allgemein bekannt ist, baut das System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik sehr stark auf dem Prinzip der Sozialversicherung auf. Dennoch wurde durch die Reformen der Jahre 1962 und 1974 die Sozialhilfe zu einer nahezu universalistischen Grundsicherung transformiert, zumindest im Vergleich zu den USA und Japan. Auch hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung baute man den De-Kommodifizierungsgrad in den sechziger Jahren und zu Beginn der siebziger Jahre aus. Nachdem diese Programme jedoch aufgrund der ansteigenden Arbeitslosigkeit unter Druck gerieten, wurden seit Anfang der achtziger Jahre Reformen durchgesetzt, die a) eine Reduzierung der Leistungen sowie Einschränkungen hinsichtlich der Berechtigungskriterien und b) die stärkere Betonung von „Arbeitsverpflichtungen“ bzw. die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten im zweiten Arbeitsmarkt für Sozialhilfeempfänger (Hilfe zur Arbeit) beinhalteten.

Zu den Reformen im System der sozialen Sicherung a) Im Bereich der Sozialhilfe kam es zu relativen Leistungsreduzierungen, da in der Politik zunächst kein Konsens darüber hergestellt werden konnte, die Leistungen entsprechend den veränderten Lebensverhältnissen der Arbeitnehmer anzupassen, und man in der Folge in zwei Wellen -zu Beginn der achtziger und erneut zu Beginn der neunziger Jahre -den Leistungsanstieg mittels eines willkürlich festgelegten Prozentsatzes begrenzte (Deckung). Lag das Sozialhilfeniveau für einen alleinstehenden Hilfeempfänger 1972 noch bei 61 Prozent des durchschnittlichen Einkommens eines alleinstehenden Arbeiters, so sank es bis 1980 auf 51 Prozent ab, bevor es seit Mitte der achtziger Jahre bei der 55-Prozent-Marge stabilisiert wurde

Des weiteren verschärfte man zu Beginn der neunziger Jahre das Lohnabstandsgebot. Hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung haben die verschiedenen Bundesregierungen durch Veränderungen der Berechtigungskriterien darauf hingewirkt, das Arbeitslosengeld zunehmend zu beschränken. Ähnlich wie in den beiden anderen Staaten war auch hier die Abnahme der Anspruchsberechtigten unter den Arbeitslosen die Folge. Bezogen 1975 noch 66 Prozent der Erwerbslosen Arbeitslo-sengeld, so waren es 1990 nur noch 42 Prozent. Auch wenn die Höhe des Arbeitslosengeldes für Erwerbslose mit Kindern nur geringfügig gekürzt wurde von 68 auf 67 Prozent), so sank die Lohnersatzrate für Erwerbslose ohne Kinder von 68 auf 60 Prozent des vorangegangenen Nettolohns. Im November 1994 bezogen 70 Prozent der Arbeitslosen diesen niedrigeren Leistungssatz.

b) Seit Mitte der achtziger Jahre nutzen verschiedene Bundesländer verstärkt das Instrumentarium der „Hilfe zur Arbeit“, um „erwerbsfähige“ Sozialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt zu (re) integrieren. Mit der Verabschiedung des „Gesetz(es) zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms“ wurde die Verpflichtung des Sozialhilfe-empfängers, zumutbare Arbeit oder eine zumutbare Arbeitsgelegenheit aufzunehmen stärker betont, wobei ebenfalls die Verpflichtung der Sozialhilfeträger hervorgehoben wurde, entsprechende Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Die vor kurzem vom Bundesrat blockierte Sozialhilfereform der Bundesregierung zielt auf eine weitere Verschärfung dieser Vorschriften.

V. Warum Re-Kommodifizierung?

Die Fallstudien zeigen, daß es in den vergangenen zwei Jahrzehnten in allen drei Ländern zu ähnlichen sozialpolitischen Antworten gekommen ist, obwohl die Bundesrepublik Deutschland, Japan und die USA in der vergleichenden Sozialpolitik-forschung unterschiedlichen Systemtypen zugeordnet werden. Die Folge dieser Politik ist eine weitere seitens der staatlichen Arbeitsmarktpolitik unterstützte Verschärfung der unter anderem durch die Globalisierung der Wirtschaft bedingten Spaltung des Arbeitsmarktes. Das heißt, Personen, die nur über ein geringes Humankapital -Bildung, Qualifikation -verfügen, werden an den Rand des Beschäftigungssystems gedrängt und verstärkt Marktgesetzen ungeschützt ausgesetzt, mit der Folge, zunehmend Tätigkeiten annehmen zu müssen, ungeachtet der Lohnhöhe bzw. Arbeitsbedingungen (= Re-Kommodifizierung).

Diese Politikreaktionen können grundsätzlich als starkes Indiz für ein neues soziales Regulierungsmuster verstanden werden, das durch die von der ökonomischen Globalisierung bedingte Machtverschiebung zwischen den politischen Akteuren, d. h. zunächst einmal zwischen Arbeit und Kapital, verursacht wurde Allerdings muß an dieser Stelle hervorgehoben werden, daß aufgrund unterschiedlicher institutioneller Arrangements und politischer Traditionen nicht von einer Konvergenz der sozialpolitischen Wege der drei Länder gesprochen werden kann und somit weiterhin Unterschiede bestehen. Ferner ist der Verweis auf eine monokausale Erklärung, das heißt auf die durch die Globalisierung bedingte Machtverschiebung zwischen Arbeit und Kapital, -unzureichend.

Damit wird die Frage nicht beantwortet, warum es gerade im Bereich der Transferprogramme für Erwerbslose zu den von uns beschriebenen einschneidenden Veränderungen kam und nicht etwa in der Rentenversicherungs-oder Gesundheitspolitik, die in der Regel den überwiegenden Anteil der sozialpolitischen Ausgaben ausmachen. Die Initiierung dieser Programme kann zwar -implizit trifft dies auch in den USA und Japan zu -ebenso als Errungenschaft der „Sozialdemokratie“ verstanden werden wie die Initiierung der Transfer-programme für Arbeitslose. Aber im Laufe der Geschichte bildete sich gerade in der Rentenversicherung und der Gesundheitspolitik jeweils ein starkes, kaum von parteipolitischer Einflußnahme hegemonial bestimmtes institutionelles Arrangement mit einer Vielzahl von Akteuren heraus, die ein unmittelbares Interesse an dessen Fortbestand haben und somit insgesamt ein äußerst stabiles Subsystem bilden. In den Politikfeldern der bundesrepublikanischen Gesundheits-und Renten-politik sowie im Falle der US-amerikanischen Rentenversicherung charakterisiert der Begriff „gesellschaftliche Selbstregelung“ die politischen Entscheidungsprozesse zutreffend. Gleichzeitig kommt diesen Sozialprogrammen zugute, daß es sich dabei jeweils um eine Absicherung von Risiken handelt, bei denen eine „allgemeine Problem-betroffenheit“ vorliegt, die im Falle der Arbeitslosigkeit nicht gegeben ist. Somit bieten sowohl dieRentenversicherungsysteme als auch der Bereich der Gesundheitspolitik durch ihre politisch-institutionelle wie auch gesellschaftspolitische Abschottung keine leichten Angriffsflächen zur Durchsetzung der Interessen von Unternehmen und Kapital in einer globalisierten Ökonomie.

Im Bereich der Sozialhilfe und der Arbeitsmarkt-politik sind Arrangements der institutionalisierten „gesellschaftlichen Selbstregelung“ in den drei Staaten entweder nie vorhanden gewesen, wie etwa in den USA und Japan, oder sie werden, sofern sie formal vorhanden sind, wie etwa im Falle der Arbeitslosenversicherung in der Bundesrepublik, zunehmend von hierarchischen und hoch politisierten Entscheidungsverfahren überlagert. Auf der anderen Seite sind die Erwerbslosen eine derart heterogene und nur gering in das jeweilige arbeitsmarktpolitische Regime eingebundene Gruppe, daß sie kaum dazu in der Lage sind, ihre Interessen auf Dauer zu organisieren und hinreichend im politischen Prozeß zu artikulieren. Hinzu kommt, daß die Gewerkschaften sich aus dem Dilemma von „Bestandsrationalität versus Kollektivinteresse“ nur sehr schwer befreien und somit nicht als originäre Interessengruppe für die Erwerbslosen wirken können. Als ungeschützte und institutionell kaum abgesicherte Gruppe bieten sich die Arbeitslosen daher geradezu an, die Opferrolle zu übernehmen.

VI. Jenseits des Wohlfahrtsstaates?

Während eine sich vertiefende internationale Arbeitsteilung und die Notwendigkeit struktureller Anpassung schon immer zwei Seiten einer Medaille gewesen sind, hat in der entgrenzten Weltwirtschaft nicht nur die Geschwindigkeit dieses Prozesses eine neue Qualität erlangt, sondern auch die Rolle des Staates. Immer weniger kann der Staat als eine Vermittlungsinstanz zwischen den Anforderungen des Weltmarktes und den sozialen Bedürfnissen der Gesellschaften agieren. Immer mehr scheint er sich hingegen als ein verlängerter Arm des Weltmarktes zu verstehen, der diesen internalisiert und in eine Umorientierung der Arbeitsmarktpolitik übersetzt. Sozialpolitik, die in der frühen Nachkriegszeit als wesentliches Element der Legitimation staatlicher Herrschaft empfunden wurde, erscheint heute immer weniger als integraler und notwendiger Bestandteil moderner Politik und wird zunehmend als Belastung postmoderner Ökonomien empfunden.

Es wäre heute bestimmt verfrüht, den Wohlfahrtsstaat in seiner Gänze für überholt erklären zu wollen. Doch ohne gravierende Veränderungen in der Balancierung von Marktkräften und regulativer staatlicher Kompetenz muß es zumindest als nahe-liegend erscheinen, daß die Transformation der Arbeitsmarktpolitik nur der Anfang einer langen Folge weiterer Transformationen des modernen Wohlfahrtsstaates ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gekürzte und überarbeitete deutsche Version eines gemeinsamen Arbeitspapieres der Autoren, Bringing the Economy Back, in: Economic Globalization and the Re-Commodification of the Workforce, ZeS-Arbeitspapier Nr. 16/95 (Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik). Vgl. z. B. Horst Afheldt, Wohlstand für niemand? Die MarkWirtschaft entläßt ihre Kinder, München 1995; Claus Koch, Die Gier des Marktes. Die Ohnmacht des Staates im Kampf der Weltwirtschaft, München 1995.

  2. Vgl. John Holloway, Reform des Staates: Globales Kapital und nationaler Staat, in: ProKla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 90 (1993) 1, S. 12-33; Bob Jessop, The Transition to Post-Fordism and the Schumpeterian Workfare State, in: Roger Burrows/Brian Loader (Hrsg.), Towards a Post-Fordist Welfare State?, London 1994, S. 13-37.

  3. Vgl. Gsta Esping-Andersen, After the Golden Age: The Future of the Welfare State in the Global Order, Occasional Paper No. 7, World Summit for Social Development. Geneva, November 1994; Geoffrey Garrett/Deborah Mitchell, Globalization and the Welfare State: Income Transfers in the Industrial Democracies, 1965-1990, Paper to be presented to: Comparative Research on Welfare State Reforms, Pavia 14. bis 17. September 1995 und Paul Pierson, The New Politics of the Welfare State, ZeS-Arbeitspapier Nr. 3/95 (Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik).

  4. Dieser Beitrag beschränkt sich dabei auf eine Zusammenfassung der empirischen Arbeit. Sehr viel ausführlichere empirische Darlegungen sowie die umfassenden Literatur-verweise können in: Jürgen Neyer/Martin Seeleib-Kaiser, Bringing the Economy Back, in: Economic Globalization and the Re-Commodification of Workforce, ZeS-Arbeitspapier Nr. 16/95 (Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik), und Jürgen Neyer, Spiel ohne Grenzen. Jenseits des sozial kompetenten Staates, Frankfurt am Main (Diss.). gefunden werden.

  5. So z. B. die Argumentation Kanadas auf dem letzten G-7-Gipfel als Begründung für die Einführung einer globalen Tobin-Steuer. Vgl. David Felix, Die Tobin-Steuer. Gegen Devisenspekulation, für einen internationalen Entwicklungsfond, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 4 (1995), S. 105-107.

  6. Das Aggregat „G-25“ bezieht sich auf den gewichteten Durchschnitt der 25 größten Volkswirtschaften (ohne Ruß-land).

  7. Vgl. Susan Strange, The Limits of Politics, in: Government and Opposition, 30 (1995), S. 291-311.

  8. Vgl. G 0sta Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism, Cambridge 1990. Das englische Wort „Commodity“ bedeutet „Ware“ im Deutschen. Sozialpolitik und ihre Mittel -Rechte, Geld und Dienste -ermöglichen dem Erwerbstätigen, zumindest teilweise der „Warenform“ seiner Arbeitskraft zu entrinnen. Gsta Esping-Andersen nennt dies De-Kommodifizierung.

  9. Unter Arbeitsmarktpolitik fassen wir hier die monetären Sozialtransfers, die aufgrund des Kriteriums Arbeitslosigkeit gewährt werden, also unter Einbeziehung der Sozialhilfe, sowie die monetären Unterstützungen, die eine Eingliederung auf dem „regulären“ Arbeitsmarkt ermöglichen sollen.

  10. Vgl. Anna Maria Thränhardt, Wohlfahrtsgesellschaft statt Wohlfahrtsstaat -Sozialpolitik der achtziger Jahre in Japan, in: Stephan Leibfried/Martin Seeleib-Kaiser (Hrsg.), Sozialpolitik in Japan, (Schwerpunktheft der) Zeitschrift für Sozialreform, Bd. 41, H. 3/4, Wiesbaden 1995, S. 210-212.

  11. Vgl. Reiner Höft-Dzemski, Zur Einkommensposition von Haushalten von Sozialhilfeempfängern in den Jahren 1972 bis 1992, in: NDV (Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge), 74 (1994) 11, S. 405-409 (Teil 1), sowie 74 (1994) 12, S. 441-445 (Teil 2).

  12. Vgl. hierzu G. Esping-Andersen (Anm. 8) und Stephan Leibfried/Martin Seeleib-Kaiser, Japans Sozialpolitik im Spiegel der Modernisierung -Eine Einleitung, in: dies. (Hrsg.) (Anm. 10), S. 129-137.

  13. Vgl. Frank Deppe, Arbeitslosigkeit, Wohlfahrtsstaat und Gewerkschaften in der Europäischen Union, in: Hans-Jürgen Bieling (Hrsg.), Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsstaat in Westeuropa -Neun Länder im Vergleich, Forschungsgruppe Europäische Gemeinschaften (FEG), Studie Nr. 7, Institut für Politikwissenschaft des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg, Marburg 1995, S. 341-368.

  14. Zum Begriff vgl. Renate Mayntz/Fritz Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, Frankfurt am Main 1995.

  15. Hubert Heinelt, Policy und Politics -Überlegungen zum Verhältnis von Politikinhalten und Politikprozessen in: Adrienne Heritier (Hrsg.), Policy-Analyse -Kritik und NeuOrientierung, PVS-Sonderheft, (1993) 24, Opladen 1993, S. 309.

  16. Karl Hinrichs/Helmut Wiesenthal, Bestandsrationalität versus Kollektivinteresse -Gewerkschaftliche Handlungsprobleme im Arbeitszeitkonflikt 1984, in: Soziale Welt, 37 (1986) 2-3, S. 280-296.

Weitere Inhalte

Jürgen Neyer, M. A.; geb. 1966; wiss. Mitarbeiter am Zentrum für europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Spiel ohne Grenzen. Jenseits des sozial kompetenten Staates, Diss., Universität Frankfurt, 1996 (i. E.); (zus. mit Mathias Albert, Lothar Brock, Stefan Hessler und Ulrich Menzel) Die postmoderne Weltwirtschaft. Entstofflichung und Entgrenzung der Ökonomie, Frankfurt am Main 1996. Martin Seeleib-Kaiser, M. A., Dr. phil., geb. 1964; Studium der Politischen Wissenschaft, Amerikanischen Kulturgeschichte und des Öffentlichen Rechts an der Ludwig Maximilians-Universität München; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Sozialpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, in: Herbert Dittgen/Michael Minkenberg (Hrsg.), Das amerikanische Dilemma: Innen-und Außenpolitik der Vereinigten Staaten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Paderborn 1996 (i. E.); Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung im deutsch-japanischen Vergleich, in: Dietrich Thränhardt (Hrsg.), Japan und Deutschland in der Welt nach dem Kalten Krieg -Neue Herausforderungen zweier Wirtschaftsmächte, Opladen 1996 (i. E.).