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Deutsche Außenpolitik: Vom Teilstaat mit begrenzter Souveränität zum postmodernen Nationalstaat | APuZ 1-2/1997 | bpb.de

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APuZ 1-2/1997 Die neue Bedeutung des nationalen Interesses für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland Deutsche Außenpolitik: Vom Teilstaat mit begrenzter Souveränität zum postmodernen Nationalstaat Die Erwartungen der neuen Clinton-Administration an Deutschland Jenseits von „Normalisierung“ und „Militarisierung“: Zur Standortdebatte über die neue deutsche Außenpolitik Die Neuordnung Europas. Was leisten NATO und OSZE für die Kooperation mit Osteuropa und Rußland? Rußlands Erwartungen an Deutschland

Deutsche Außenpolitik: Vom Teilstaat mit begrenzter Souveränität zum postmodernen Nationalstaat

Gottfried Niedhart

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Welche Auswirkungen haben das Ende des Ost-West-Konflikts und die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaats auf die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland? Diese Frage wird im Licht der wichtigsten außenpolitischen Etappen gestellt, die seit der Gründung der Bundesrepublik unterschieden werden können, so daß die Wende 1989/90 im Hinblick auf die Rolle der Bundesrepublik in der internationalen Politik weniger als dramatischer Bruch denn als Weiterentwicklung bekannter Muster erscheint. Als Grundmuster war seit der Ära Adenauer das Verlangen nach Gleichberechtigung in Verbindung mit der Bereitschaft zu Selbsteinbindung in internationale Kontrollmechanismen bestimmend. Auf die Gewinnung eines eigenen außenpolitischen Aktionsradius in den fünfziger Jahren folgte Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre seine deutliche Erweiterung, die sich u. a. in der „neuen“ Ostpolitik und in der größeren Selbständigkeit gegenüber den westlichen Siegermächten niederschlug.

I. Deutschland in Europa als historisches Problem

„Germany is back.“ So umschreibt Gregor Schöllgen lapidar die neue deutsche Stellung in Europa und der Welt Seit 1990 ein in seiner Souveränität wieder vollständig hergestellter Nationalstaat, ist Deutschland, wie es Hans-Peter Schwarz bildhaft ausdrückt, „auf die Weltbühne“ zurückgekehrt Betreten hat es diese Bühne 1871, als der deutsche Nationalstaat im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles proklamiert wurde, demselben Ort, wo ihm 1919 ein Friedensvertrag diktiert wurde, der die Deutschen als eine vorerst „gescheiterte Großmacht“ zurückließ.

Der Versailler Vertrag verdrängte das Deutsche Reich, wie es sich auch im Zeichen der republikanischen Verfassung von 1919 immer noch nannte, nur für wenige Jahre aus dem Kreis der Groß-mächte. Schon Mitte der zwanziger Jahre war es der Politik Gustav Stresemanns gelungen, wichtige Schritte zu einer gleichberechtigten Rolle Deutschlands in Europa zu tun, wenn auch unter Voraussetzungen, die im Reichstag zwar mit Mehrheit gebilligt wurden, in der deutschen Politik aber nicht wirklich konsensfähig waren. Stresemann zielte nämlich nicht nur auf die Revision des Versailler Vertrags und die Wiederherstellung einer deutschen Großmachtstellung, er betonte auch die Notwendigkeit, die deutsche Großmacht in internationale Kooperationszusammenhänge einzufügen. Anders als vor und im Ersten Weltkrieg sollten die Existenz einer deutschen Großmacht und eine stabile europäische Friedensordnung miteinander vereinbar sein

Es war nicht nur die Weltwirtschaftskrise mit der damit allgemein einhergehenden Wende der Industriestaaten nach innen und einer zunehmenden Tendenz zu nationalen Alleingängen, die Stresemanns Politik der kooperativen Einbindung in Weltmarkt und Weltpolitik scheitern ließ. Sein außenpolitischer Ansatz hatte von Anfang an mit erheblichen Widerständen in Deutschland zu kämpfen, wo die Entspannungspolitik von Locarno vielfach als Ausverkauf deutscher Interessen diskreditiert wurde. Seit 1930 setzte sich dann Schritt um Schritt eine außenpolitische Denkschule durch, die weniger auf die Interdependenzen des europäischen Mächtesystems achtete, vielmehr eine „nationalistische Außenpolitik“ als geeigneter für die endgültige Rückkehr Deutschlands zum Status einer gleichberechtigten Großmacht ansah. Wie es schließlich zur Zusammenarbeit zwischen traditionellen Nationalisten und Nationalsozialisten und danach zur nationalsozialistischen Rassen-und Eroberungspolitik in einem neuerlichen Krieg kam, ist hier nicht darzustellen. Festzuhalten ist nur das Ergebnis. Im Unterschied zu 1918 mußte Deutschland 1945 nicht nur militärisch, sondern auch politisch-staatlich kapitulieren. Es büßte als besetztes und geteiltes Land nicht nur seine Souveränität ein, es verlor auch seine Nationalstaatlichkeit. Seine Rolle als weltpolitischer Akteur wurde ihm genommen.

II. 1990: Weder Rückkehr zu etwas Altem noch völliger Neubeginn

All dies hat es heute wieder zurückerlangt, und es fällt auf, daß vielfach wieder von „Deutschland“ gesprochen wird und nicht von der „Bundesrepublik Deutschland“, wie der Name dieses Staa-tes lautet. Spricht man gar von der Rückkehr Deutschlands, so könnte dies zu Mißverständnissen und falschen Assoziationen Anlaß geben, auch wenn damit ganz offensichtlich nicht die Rückkehr zu irgendeiner früheren Form deutscher Außenpolitik gemeint ist. Zwar ist der souveräne Nationalstaat in Deutschland wiederhergestellt, doch handelt es sich nicht um den Nationalstaat der Reichsgründungszeit oder der Zwischenkriegszeit, sondern um seine „postmoderne“ Variante. Der postmoderne Nationalstaat hat seine autonome Handlungsfähigkeit aufgegeben bzw. eingebüßt. Er agiert in einem internationalen Geflecht, ist in internationale Regimes und in Europa auch supranationale Institutionen eingebunden und steht in Konkurrenz zu transnationalen Organisationen

Bezeichnenderweise ging die Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 weder mit einer Welle von Nationalismus einher, der in der deutschen Gesellschaft randständig blieb, noch mit einer Renationalisierung der deutschen Außenpolitik. Statt von der Rückkehr Deutschlands sollte man also lieber von einer Erweiterung des Handlungsspielraums der Bundesrepublik und ihrer Rolle in der internationalen Politik sprechen. Das klingt nicht so eingängig, ist der Sache aber angemessener. Die Bundesrepublik ist nicht zu etwas Älterem zurückgekehrt. Vielmehr hat sie sich seit ihrer Gründung unter jeweils veränderten internationalen Rahmenbedingungen in ihrem Rollenverständnis und in ihrer Interessenartikulation sukzessive entfaltet. Dabei ist sie zu keinem Zeitpunkt nur ein „Trittbrettfahrer“ auf dem Zug der internationalen Politik gewesen, wie dies in Abgrenzung von „Bonner“ und „Berliner“ Republik manchmal suggeriert wird Weder in den außenpolitischen Methoden noch in den Zielsetzungen war die Bundesrepublik nur ein angepaßter Akteur. Vielmehr entwickelte sie als Handelsstaat, der den wilhelminischen bzw. nationalsozialistischen Militärstaat ablöste, geradezu modellhaft das Prinzip der multilateralen Verflechtung und verfolgte zugleich das Ziel der Gleichberechtigung im westlichen Bündnissystem und der Wahrung der Interessen der Nation als Ganzem. Die Bonner Außenpolitik war durch “ -nicht so sehr ge „Machtvergessenheit prägt als durch realistische Interessenwahrung in der Verflechtung mit Westeuropa und NATO. An diesem Grundprinzip hat sich bis heute nichts geändert, so daß die Kontinuitätslinien bundesrepublikanischer Außenpolitik seit den fünfziger Jahren unübersehbar sind und auch die „neue“ deutsche Außenpolitik bestimmen

III. Internationale Rahmenbedingungen im Wandel

Was sich geändert hat, sind die internationalen Rahmenbedingungen. Sie bringen seit Anfang der neunziger Jahre wachsenden Handlungsspielraum und neue Aufgaben für die deutsche, aber nicht nur für die deutsche Außenpolitik mit sich. Über die Jahrzehnte hinweg war die Bundesrepublik, die als Produkt des Kalten Kriegs ein „penetriertes System“ darstellte von Faktoren der internationalen Politik und vom internationalen Konstellationswandel abhängig. In Entsprechung dazu war im außenpolitischen Meinungsstreit diejenige Richtung erfolgreich, die realitätsgerecht argumentierte, d. h., die die von Bonn aus nicht zu ändernden Realitäten des internationalen Systems angemessen verarbeitet hatte. Rollensuche, Rollenentfaltung und Rollenerweiterung der Bundesrepublik sind funktional zum Stand bzw. zum Wandel der internationalen Politik -genauer: des Ost-West-Konflikts -zu verstehen.

In der Mitte Europas an der Nahtstelle der weltpolitischen Blockkonfrontation gelegen, mußte sich die Bundesrepublik realitätsbezogen auf die jeweiligen Trends und Formen des Ost-West-Konflikts einstellen, um ihrerseits die bestehenden Trends im Sinne west-oder gesamtdeutscher Interessen beeinflussen und um „fortschreitend mehr staatliche Macht“ erlangen zu können. Im Prozeß der außenpolitischen Rollenentfaltung der Bundesrepublik können drei Hauptphasen unterschieden werden:

1. die Phase der dezidierten Westbindung der Bundesrepublik unter dem Vorzeichen des Kalten Kriegs, 2. die Phase der „neuen“ Ostpolitik („Westbindung plus Ostverbindungen“) unter dem Vorzeichen der Detente und 3. die Phase der Vereinigung der beiden deutschen Staaten unter dem Vorzeichen der Beendigung des Ost-West-Konflikts.

IV. Die Ära Adenauer: Internationale Verflechtung als Rückkehr in die internationale Politik

In der ersten Phase wurde unter der prägenden Führung Konrad Adenauers ein neues Muster deutscher Außenpolitik dauerhaft entwickelt. In Anknüpfung an Versuche, die in den zwanziger Jahren noch gescheitert waren, lernte das „Deutschland im Westen“ eine außenpolitische Rolle, die bis heute verbindlich geblieben ist. Adenauer kritisierte die historische Großmachtpolitik des Deutschen Reiches, weil sie die „Einbettung in das System der Großmächte“ habe vermissen lassen Insbesondere machte er seinen Landsleuten deutlich, daß die europäischen Nachbarländer, die noch unter dem Eindruck des Krieges standen, auch gegenüber einem entmachteten Deutschland in erster Linie danach strebten, in Sicherheit vor Deutschland zu leben. Dies schien am besten dadurch gewährleistet zu sein, daß die Bundesrepublik eine dezidierte Westbindung anstrebte. Die Wiedererlangung der nationalen Einheit wurde zwar gefordert und als Resultat der Westintegration illusionärerweise auch erhofft, in der praktischen Politik wurde die nationale Frage aber zurückgestellt. Für Adenauer war die Frage der Einheit weniger wichtig, weil weniger machbar als die politische, wirtschaftliche und militärische Anbindung der Bundesrepublik, also des Weststaats, an den von den USA geführten Westen. Diese Prioritätensetzung fand nicht nur den Beifall der westlichen Siegermächte, sondern im Laufe der fünfziger Jahre auch die mehrheitliche Zustimmung der westdeutschen Wähler. Spätestens seit 1960 unterstützte auch die SPD die Politik der dezidierten Westbindung. Sie richtete die Bundesrepublik nicht nur nach Westen aus, sondern verschaffte ihr auch einen respektablen Platz im Westen. Es wurde zum Konsens, was Adenauer von Anfang an vertreten hatte.

Die Teilung Deutschlands war eine Realität, aus der die Notwendigkeit der Westintegration der Bundesrepublik mit all ihren Implikationen folgte. Dabei war Adenauer keineswegs überwiegend der „Kanzler der Alliierten“, wie ihm in einer hitzigen Debatte von Kurt Schumacher unterstellt wurde, sondern ein Bundeskanzler, der von den Gegebenheiten eines nichtsouveränen Staates ausging. Unter implizitem Bezug auf seinen eigenen Kampf um die Anerkennung von Realitäten führte Willy Brandt dazu in den siebziger Jahren aus, daß Adenauer „in der Politik nach Westen der erste war, der das Wort von der Anerkennung der Realitäten'für sich in Anspruch nehmen durfte“

Der Anerkennung der Status-quo-Reaiität lag sowohl in den fünfziger als auch in den siebziger Jahren ein Kalkül zugrunde, das als Paradoxie formuliert war. Ihre Zurückweisung führte ins außenpolitische Abseits, in den fünfziger Jahren für die SPD und in den siebziger Jahren für die CDU/CSU. Einerseits wurde auf etwas verzichtet, was es in der Realität schon nicht mehr gab. Andererseits konnte nur eine realistische Sicht der Dinge aus den Zwängen der Realität herausführen. Nur die Bereitschaft zum partiellen Souveränitätsverzicht, also der Verzicht auf etwas, worüber die Bundesrepublik ohnehin nicht verfügte, konnte in den fünfziger Jahren zum Status der Souveränität zurückführen. Nur die Bereitschaft zur Respektierung bestehender Grenzen in Europa, also die über Adenauers Position hinausgehende Akzeptanz zweier Staaten in Deutschland durch die 1969 gebildete sozialliberale Regierung, konnte die Voraussetzung für friedlichen Wandel eröffnen.

In den fünfziger Jahren stand die Bundesrepublik an der Spitze derer, die nationale Souveränitätsrechte zugunsten supranationaler Integration aufzugeben bereit waren. Die westdeutsche Außenpolitik erhielt dadurch spezifisch „moderne“ Züge Gleichzeitig verschaffte eine Politik der Verflechtung mit anderen Staaten der Bundesrepublik schon relativ kurze Zeit nach Kriegsende die Möglichkeit zu Mitsprache und Einfluß. War und ist die Europapolitik vielleicht nur eine Tarnung deutscher Machtpolitik? Ohne Zweifel enthält die deutsche Integrationspolitik eine Ambivalenz Es handelt sich aber nicht um einen Widerspruch oder um ein Täuschungsmanöver, sondern um zwei Seiten derselben Sache. Integrationsbereitschaft ist nötig, um die Verträglichkeit von deutscher Stärke und europäischer Ordnung zu gewährleisten. Durch ihre Selbstbindung in Europa und durch militärische Selbstbeschränkung leistete die Bundesrepublik einen wesentlichen und unersetzbaren Beitrag zur Schaffung einer westeuropäischen Zone des Friedens. Die früheren Kriegsgegner konnten sich in ihrem Verlangen nach Sicherheit vor Deutschland dadurch zufriedengestellt sehen, daß die Bundesrepublik ihr wirtschaftliches und militärisches Potential in internationale und supranationale Organisationen einbrachte und sich dadurch kontrollieren ließ.

Integration und multilaterale Verflechtung führten infolge der Größe des deutschen Potentials aber auch zu erhöhter deutscher Einflußnahme auf Europa. Für Adenauer handelte es sich dabei nicht nur um einen funktionalen Zusammenhang, sondern auch um ein Kalkül. Die europäische Integration war für ihn schon 1948 „die einzige Möglichkeit, irgendwie mal wieder in der Welt etwas wirken zu können“ Seinem Wirtschaftsminister verdeutlichte er 1956, Europa sei das „notwendige Sprungbrett“, „um überhaupt wieder in die Außenpolitik zu kommen“ Europa bedeutete also auch die Rückkehr zur Macht, allerdings zu einem gewandelten -man könnte auch sagen: modernen -Verständnis von Macht. Macht gründete sich nicht mehr primär auf Militär und Kriegsfähigkeit, sondern auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Verbund entwickelter Industriestaaten. Macht war nicht mehr die Macht des Militärstaats, sondern die Macht des Handelsstaats Zu den grundlegenden Wandlungsprozessen der Nachkriegszeit gehörte es, daß in West-Deutschland die ökonomische Variante von Machtpolitik an die Stelle der militärischen trat

V. Gleichberechtigung als Ziel

Schon sehr früh war in der Ära Adenauer erkennbar, was die Bundesregierung als unverzichtbares Ziel vor Augen hatte: Gleichberechtigung. Für Adenauer stand fest, daß Deutschland wieder eine „Großmacht“ werden mußte. Wenn er schon 1951 diesen Begriff in den Mund nahm meinte er die Erweiterung von Handlungsspielraum bis hin zum Status der Gleichberechtigung für die Bundesrepublik in Westeuropa und im nordatlantischen Verbund. Dieses auf den ersten Blick und vor allem aus deutscher Sicht legitime, für viele sogar selbstverständliche Ziel war freilich alles andere als selbstredend oder harmlos. Aus der Sicht der Siegermächte und der kleineren Nachbarstaaten stellte sich die Frage, was die Deutschen mit ihrer Gleichberechtigung anfangen würden. Schließlich diente die NATO, was in der Bundesrepublik eher verdrängt wurde, nicht nur der Eindämmung der Sowjetunion, sondern auch Deutschlands Lord Ismay, enger Vertrauter Churchills im Zweiten Weltkrieg und erster Generalsekretär der NATO, umschrieb sehr genau die Funktionen des Bündnisses, wie sie sich aus britischer Sicht damals dar-stellten: „To keep the Americans in, the Russians out, and the Germans down.“ Mit dieser Wahrnehmung Deutschlands im Ausland war das deutsche Beharren auf Gleichberechtigung nur schwer und nur allmählich in Einklang zu bringen. Zwar stieg das Vertrauen in die Friedfertigkeit der Bundesrepublik und in ihre Loyalität gegenüber dem Westen kontinuierlich, doch beeinflußte die noch nicht lange zurückliegende Erfahrung des Krieges in erheblichem Maß das Deutschland-Bild. Noch im Übergang von den sechziger zu den siebziger Jahren war eine deutliche Unsicherheit vorhanden, wie weit die Bundesrepublik tatsächlich in ihrem Prozeß der Westverankerung und Verwestlichung vorangeschritten war. Nur ein Beispiel sei hier genannt: die überaus nervöse Reaktion Henry Kissingers, seit Anfang 1969 Sicherheitsberater von Präsident Nixon, auf die „neue“ Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung. Einen ihrer Vordenker, Egon Bahr, hielt Kissinger für einen „altmodischen Nationalisten“

VI. Die Ära Brandt oder: Die „erwachsen“ gewordene Bundesrepublik

Die „ernsthaften Vorbehalte“ der Nixon-Administration gegen die „neue“ Ostpolitik hingen damit zusammen, daß auf diesem Weg die Frage der Wiedervereinigung neu aufgerollt wurde und die Bundesrepublik ein größeres Maß an Handlungsspielraum erlangte. Entgegen allem Anschein spielte das Ziel der Wiederlangung der Einheit eine zentrale Rolle in den Überlegungen der ostpolitischen Protagonisten Nationalstaatliches Denken blieb aber untrennbar mit der Vorstellung internationaler Verflechtung verbunden. Unzweifelhaft war auch, daß die USA als Garant deutscher Sicherheit unersetzbar waren Zudem schien 1969/70 eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten, auch wenn die deutsche Frage „offengehalten“ wurde, innerhalb der überschaubaren Zukunft unerreichbar zu sein. Was aber erreichbar schien und nicht nur bei Kissinger Unruhe auslöste war ein Zuwachs an Handlungsspielraum für die Bundesrepublik im Ost-West-Konflikt und auch gegenüber der Dritten Welt.

Schon zur Zeit der Großen Koalition ließ sich die Bundesregierung davon leiten, daß die deutsche Frage bis zur nicht absehbaren Überwindung der Ost-West-Teilung Europas auf Eis gelegt war. Zugleich sprach Bundeskanzler Kiesinger von einer „Schlüsselrolle“ der Bundesrepublik in Westeuropa, die sie „aus sichtbar souveränem nationalem Interesse“ angehen solle Ende der sechziger Jahre wurde erkennbar, was zunehmende Gleichberechtigung bedeutete. Eine gleichberechtigt agierende Bundesrepublik kam notwendigerweise in eine europäische Schlüsselposition hinein. Knapp zehn Jahre später notierte Bundeskanzler Helmut Schmidt, die Bundesrepublik sei „zwangsläufig und wider unseren eigenen Willen“ zu einem „Führungsfaktor“ geworden, zur „zweiten Weltmacht des Westens“. Damit beschrieb er einen Zustand, von dem er wußte, daß er Besorgnisse bei „anderen Regierungen“ auszulösen geeignet war Gleichzeitig handelte es sich um einen zwangsläufigen Vorgang, der sich seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre abzeichnete und der mit der gleichberechtigten Rolle der Bundesrepublik im Rahmen der europäischen Integration und westlichen Bündnispolitik zu tun hatte.

Als Willy Brandt Außenminister in der Regierung der Großen Koalition wurde, knüpfte er ganz gezielt an Adenauers Gleichberechtigungstopos an. Schon als Berliner Regierender Bürgermeister hatte er 1963 erklärt, die Bundesrepublik sei „erwachsen genug“, um „als Gleicher unter Gleichen“ „im Konzert des Westens“ eine selbständige Rolle spielen zu können Als Außenminister wählte er Formulierungen, die in bemerkenswerter Weise an außenpolitische Standortbestimmungen der neunziger Jahre erinnern und die Kontinuitätslinien bundesrepublikanischen Rollenverständnisses über die Wende von 1990 hinweg demonstrieren. Brandt sprach von der gestiegenen „weltpolitischen Verantwortung“ eines „mittleren westlichen Staates“ wie der Bundesrepublik. Die Zeit des bloßen „Mitagierens im Rahmen einer westlichen Bündnispolitik“ sei vorüber: „Es gibt eine deutsche Politik, weil es deutsche Interessen gibt, auch außerhalb der Bündnispolitik und des traditionellen Ost-West-Gegensatzes.“

Nachdem Brandt Bundeskanzler geworden war, trat er selbstbewußt auf und ließ seine Absicht deutlich erkennen, die Bundesrepublik „, gleicher 1 als zuvor“ erscheinen zu lassen Damit rührte die Bundesregierung an das oben erwähnte Axiom der Nachkriegsordnung, denn sie gab zu erkennen, daß sie die im NATO-Bündnis implizierte Strategie der Eindämmung der Bundesrepublik als „veraltet“ betrachtete Wie Adenauer von Gleichberechtigung gesprochen hatte, wurde in der Zeit der sozial-liberalen Regierung die Vorstellung von der erwachsen gewordenen Bundesrepublik zu einem Topos der außenpolitischen Selbstwahrnehmung und -darstellung. Egon Bahr hatte schon 1967 in der ihm eigenen pointiert-präzisen Weise zum Ausdruck gebracht, worum es ging. Die Bundesrepublik sei „erwachsen“ geworden und habe begonnen, „ihre eigenen Interessen zu definieren, ihre Möglichkeiten und ihre Rolle zu analysieren und in praktische Politik umzusetzen“

VII. Ostpolitik als Ausweis erweiteamrten Handlungsspielraums Brandt

Die Ostpolitik war in diesem Kontext als „eigenständiger deutscher Beitrag zu einer umfassenden Außen-und Sicherheitspolitik des Westens“ konzipiert und sollte „das politische Selbstbewußtsein und den Einfluß der Bundesrepublik stärken“ Die Bundesregierung versäumte es nicht, die Verbündeten über ihre ostpolitischen Schritte zu informieren. Aber als Bahr noch vor der Wahl von Brandt zum Bundeskanzler bei Kissinger in Washington seinen Antrittsbesuch machte, wollte er primär das Weiße Haus unterrichten, nicht jedoch um ausdrückliche Zustimmung für die * bevorstehende Politik bitten Nach zwei Jahren sozialliberaler Regierungszeit war Verteidigungsminister Helmut Schmidt, obwohl er stets vor ostpolitischer „Euphorie“ warnte doch sichtlich stolz, daß der Begriff „Ostpolitik“ ein weltweites Markenzeichen geworden war und die operative Phase dieser Politik vor Präsident Nixons außen-politischem Bericht für den Kongreß vom Februar 1970 begonnen hatte, in dem Nixon von der neuen „Ära der Verhandlungen“ mit einer Ablösung der „Konfrontation“ durch „kontinuierliche Kommunikation“ gesprochen hatte

Wiederholt unterstrichen Mitglieder der sozialliberalen Regierung das neue Selbstbewußtsein. Der liberale Koalitionspartner ergänzte sich in diesem Punkt nahtlos mit der SPD. Walter Scheel, seit 1968 Vorsitzender der FDP und seit Oktober 1969 Außenminister, strebte nach einem „höheren Maß an Verantwortung“ der Bundesrepublik „für die europäische Politik“ und nach „weltweitem Engagement“. „In nüchternem Selbstbewußtsein“ wollte er „ohne Überheblichkeit“ in „weltpolitischen Fragen“ mitreden Wie Scheel sah auch Ralf Dahrendorf, für kurze Zeit Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, darin einen entscheidenden Schritt, der die sozialliberale Regierung von den Vorgängerregierungen abhob: „Mir scheint es wichtig, zu betonen und auch öffentlich zu betonen, daß wir als erste Bundesregierung seit langem eine unabhängige und selbständige deutsche Außenpolitik betreiben ... Mir liegt daran, deutlich zu machen, daß wir mehr sind als nur loyale Mitläufer, daß wir in unserer äußeren Politik eigene Ziele und Interessen verfolgen.

Der historische Ort der Ära Brandt ist nicht nur dahingehend zu bestimmen, daß eine neue Phase in den Beziehungen zur Sowjetunion und zu den Nachbarländern im Osten eingeleitet wurde. Nach den erfolgreichen Startvorbereitungen, mit denen in den fünfziger Jahren der Wiedereinstieg in die internationale Politik eingeleitet wurde, war sie darüber hinaus eine Phase des take off, die 1989/90 an ihr Ziel gelangte. Ohne Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu verletzen, hielt Bonn am unüberbrückbaren Interessengegensatz zur Sowjetunion fest. Während Moskau „die Sicherung und Legalisierung des Status quo“ in Europa anstrebte, zielte Bonn, wie Bahr herausstellte, auf „die Veränderung des Status quo“. Es handelte sich hier „um einen echten Gegensatz der Interessen.

Eine Veränderung des Status quo konnte nur durch friedlichen Wandel erfolgen. Mit der „neuen“ Ostpolitik wurde er in Gang gesetzt. Unter Verzicht auf territorialen Revisionismus setzte die Ostpolitik auf Kommunikation zwischen West und Ost, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Auf diese Weise würde es zu einer langsamen Öffnung des Ostblocks kommen und die sowjetische Hegemonialmacht zu einer Politik des friedlichen Wandels veranlaßt werden. Der sowjetische Sicherheitsbegriff, der sich an territorialen Grenzen orientierte, erschien vor diesem Hintergrund als veraltet. Man konnte ihm zustimmen, weil man die staatlichen Grenzen durchlässig machen wollte und in ihnen kein Hindernis für die allmähliche Durchdringung der anderen Seite mit westlichen Gütern, Finanzen und Ideen sah. Der territoriale Status quo wurde anerkannt, um ihn mit modernen Mitteln, die spezifisch westlich waren, zu überwinden.

In der öffentlichen Selbstdarstellung der Entspannungspolitik mußte diese Dialektik aus Gründen der west-östlichen Vertrauensbildung verschwiegen werden. Intern wurde sie jedoch ausgesprochen. Für Wolfgang Schollwer, den liberalen Vordenker der „neuen“ Ostpolitik, konnte angesichts eines unaufhaltsamen globalen technischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels Status-quo-Politik „nicht viel mehr bedeuten als . Respektierung von Grenzen und Territorien -nicht einmal . Unveränderbarkeit von Grenzen und Territorien "

Auch Egon Bahr verheimlichte nicht, welche Erwartungen er mit der Entspannungspolitik verband: „Die USA und Europa haben das Ziel, die militärische Konfrontation mit Ost-Europa abzubauen. In dem Maß, in dem dies gelingt, wird deutlicher als bisher werden, daß ihr politisches und wirtschaftliches System ihre Interessen gegenüber den kommunistisch regierten Ländern definiert. Eine systematische, aber nicht wahllose Erweiterung der wirtschaftlichen Ost-West-Beziehungen wird die Widersprüche in den kommunistisch regierten Ländern steigern und zu weiteren Modifikationen des Systems beitragen. Es liegt auch im westlichen Interesse, daß diese Entwicklung keinen explosiven und nicht kontrollierbaren Umschlag erfährt.“

Einige Zeit vorher hätte Bahr sich gegenüber Kissinger mit der Offenlegung seiner Gedanken vielleicht noch zurückgehalten. Denn aus der Sicht Washingtons war mit der Aufweichung der östlichen Fronten auch eine unberechenbare Aufwertung der Bundesrepublik verbunden. Nach einigen Jahren praktischer Ostpolitik indes war Kissinger wohl weniger besorgt über die Rückwirkungen, die diese Politik auf die Deutschen haben würde. Die Bundesrepublik anerkannte mit der Respektierung der bestehenden Grenzen nicht nur die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion, sie blieb mit ihrer eigenständig formulierten Entspannungspolitik auch innerhalb der Grenzen, die ihr durch das westliche Bündnis vorgegeben waren und die jegliches Pendeln zwischen Ost und West verboten. Als Brandt im September 1971 mit Breschnew zu einem in seiner Intensität bisher nicht gekannten Meinungsaustausch zusammentraf, ließ er keinen Zweifel an der Bündniszugehörigkeit der Bundesrepublik und der zentralen Rolle der USA in Europa aufkommen Kurz: Die sozialliberale Außenpolitik errang ein höheres Maß an Bewegungsspielraum, blieb aber zugleich in multilaterale Strukturen eingebettet.

VIII. Übung in multilateraler Diplou-nd matie als Spezialisierungsvorteil

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist der vertraute Rahmen Bonner Außenpolitik weggefallen, was vielfach als scharfe Zäsur empfunden wird. Stellt man die 1989/90 entstandene Konstellation in die historische Perspektive, so wird allerdings deutlich, daß der Ost-West-Konflikt verschiedene Formen des Konfliktaustrags kannte und daß man von einer graduellen Erweiterung des Handlungsspielraums der Bundesrepublik sprechen muß. Das vereinigte Deutschland ist keineswegs urplötzlich ins Freie getreten, wo es seine Rolle und seine Interessen gänzlich neu definieren müßte. Es bleibt in seinen Handlungsmöglichkeiten auf Integration und Multilateralität festgelegt. Daß sich der Aktionsbereich deutscher Politik erweitert hat, ist geradezu eine Folge seiner Einbindung in europäische, transatlantische und UNO-Strukturen. Wollte die Bundesrepublik Deutschland weltpolitischen Herausforderungen den Rücken zukehren, müßte sie auch aus den internationalen Kooperationszusammenhängen ausscheiden, in denen sie seit ihrer Gründung steht. Die Übernahme neuer Aufgaben erfolgte nicht so sehr aufgrund der Wiederherstellung eines souveränen deutschen Nationalstaats. Vielmehr war dieser das Ergebnis internationalen Wandels, der wiederum der deutschen Politik neue Aufgaben, nicht aber eine prinzipiell neue Rolle oder neue Interessen zugewiesen hat.

Wenn die Veränderungen von 1989/90 hier in eine historische Perspektive gestellt werden und damit eine gewisse Relativierung erfahren, so heißt dies keineswegs, daß alles beim alten geblieben ist. Schon deswegen nicht, weil das vereinigte Deutschland das innereuropäische Kräftefeld gründlich verändert hat und weil die europäischen Nachbarstaaten Ende 1989 lieber weiterhin zwei deutsche Staaten gesehen hätten. Der Haupt-schlüssel zur Einheit lag allein in Washington

Sowohl aufgrund ihrer geographischen Lage als auch infolge ihrer Größe fällt der Bundesrepublik Deutschland in einem Europa, das weder durch Blöcke noch durch militärische Bedrohung diszipliniert ist, eine Schlüsselstellung zu. Die Abwesenheit von Feinden relativiert die in Frankreich oder Großbritannien vorhandene nukleare Macht schafft für den Handelsstaat Deutschland eine Konstellation, in der er seine global ausgerichteten Interessen besser verfolgen und seine Macht wirkungsvoller entfalten kann als zuvor. Was die Partner beruhigen kann, ist die Tatsache, daß die Bundesrepublik ein territorial saturierter Staat ist. Auch ist der neue Nationalstaat nicht in Gefahr, eine Re-Nationalisierung seiner Außenpolitik zu betreiben. Die europäische Rolle und die Sicherheit der Grenzen sagen jedoch noch nichts darüber aus, wo die Grenzen der deutschen Interessen liegen. Konsens scheint freilich dahingehend zu herrschen, daß es sich nicht um Sonderinteressen oder um eine „Normalisierung“ im Sinne älterer, an das 19. Jahrhundert erinnernder Großmachtautonomie handelt sondern um Interessen, die „im Verein mit den Partnern realisiert werden können“

Das Bekenntnis zu kollektiven Interessen läßt freilich die Ungleichheit der Staaten im Hinblick auf Ressourcen, Potential und Einfluß unberührt. Obwohl Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einen historisch unvergleichlichen Wandel zu einer „Zivilmacht“ vollzogen hat, ist die Kontinuität seiner Dominanz in Europa sowohl eine Tatsache als auch das beherrschende Wahrnehmungsmuster. In einem gegenüber der ersten Hälfte des Jahrhunderts gewandelten europäischen Staatensystem stellt sich „für Deutschlands Nachbarn erneut die historische Frage, wie ein vereinigtes Deutschland daran gehindert werden könnte, eine Vormacht zu werden, dieses Mal nicht in der destabilisierenden Rolle einer balancierenden Gleichgewichtsmacht, sondern in der ordnungspolitischen Rolle einer dominierenden Institutionsmacht“ Die Nachbar-staaten Deutschlands sehen sich vor einer doppelten Aufgabe. Sie müssen „die Möglichkeit einer eigenmächtigen deutschen Hegemonie“ wirksam begrenzen, können zugleich aber nicht auf „die ausgleichende ordnungspolitische Rolle der Bundesrepublik in Europa“ verzichten Umgekehrt steht die Bundesrepublik vor dem Dilemma, historisch bedingte Ängste vermeiden zu müssen und gleichzeitig auf die Übernahme einer führenden Rolle nicht verzichten zu dürfen. Aus dem Dilemma folgt ein Imperativ: Die deutsche Politik muß ihre Gestaltungsaufgaben übernehmen und zugleich glaubwürdig das Prinzip der Selbsteinbindung in europäische und atlantische Strukturen praktizieren. Dabei kann ihr ein „Spezialisierungsvorteil“ zugute kommen, der ihre Rollen-identität von Anfang an geprägt hat, die Übung in multilateraler Diplomatie

In der Forschung sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, um diese Rolle begrifflich oder metaphorisch fassen zu können. Die Bundesrepublik solle „gesamteuropäische Strukturen orchestrieren“ Sie könne ein „Konziliator im übernationalen Interesse“ sein Etwas weniger herausgehoben erscheint ihre Stellung, wenn ihr die Rolle einer „Mitführungsmacht" in einem Europa mit „wechselnden Führungsrollen“ zugewiesen wird. In jedem Fall wird der Akzent darauf gesetzt, daß die deutsche „Gestaltungsfähigkeit“ „partnerschaftlich eingesetzt“ wird

Im Kreis der europäischen Führungsmächte stellt die Bundesrepublik die entwickeltste Form des „postmodernen“ Nationalstaats dar. In der Tat liegt nach den Erfahrungen der ersten Hälfte unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts darin die entscheidende Voraussetzung, um das deutsche Gewicht in Europa nicht zu einem für andere kaum akzeptablen Übergewicht werden zu lassen. „Nur nicht , normal'werden“, hat der frühere niederländische Botschafter in Bonn den Deutschen geraten. Er meint damit die Normalität des klassischen Nationalstaats, wie er die neuzeitliche Geschichte Europas bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. Deutschland solle an seiner „postnationalen“ Identität festhalten. Sie sei keine Verschleierung der Absicht, die „Macht über Europa zu gewinnen“, sondern Ausdruck der Notwendigkeit, nationale und europäische Interessen gleichzeitig im Blick zu haben und Souveränität „gemeinsam auszuüben“. Den Nachbarländern legte er nahe, sich nicht gegen diesen Prozeß zu sperren. Sie „sollten lieber selber dem deutschen Beispiel folgen und sich um eine eigene , postna -tionale 1 Identität bemühen“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gregor Schöllgen, National Interest and International Responsibility: Germany’s Role in World Affairs, in: Arnulf Baring (Hrsg.), Germany’s New Position in Europe. Problems and Perspectives, Oxford-Providence 1994, S. 35.

  2. Hans-Peter Schwarz, Die Zentralmacht Europas. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne, Berlin 1994.

  3. Andreas Hillgruber, Die gescheiterte Großmacht. Eine Skizze des Deutschen Reiches 1871-1945, Düsseldorf 1980.

  4. So auch die neueste französische Gesamtdarstellung von Christian Baechler, Gustave Stresemann (1878-1929). De l’imperialisme ä la scurit collective, Strasbourg 1996.

  5. Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler 1871-1945, Stuttgart 1995, S. 558.

  6. Ein Vergleich der Merkmale internationaler Politik zu Beginn und am Ende des 20. Jahrhunderts findet sich bei Hans-Peter Schwarz, Die neue Weltpolitik am Ende des 20. Jahrhunderts -Rückkehr zu den Anfängen vor 1914?, in: Karl Kaiser/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die neue Weltpolitik, Bonn 1995, S. 15-33.

  7. Vgl. Roman Herzog, Die Grundkoordinaten deutscher Außenpolitik, in: Internationale Politik, (1995) 4, S. 4: „Das Ende des Trittbrettfahrens ist erreicht.“

  8. Hans-Peter Schwarz, Die gezähmten Deutschen: Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit. Stuttgart 1985.

  9. Vgl. Karl Kaiser/Hanns W. Maull (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 1: Grundlagen, München 1994; dies. (Hrsg.), Herausforderungen, Bd. 2, München 1995; Karl Kaiser/Joachim Krause (Hrsg.), Interessen und Strategien, Bd. 3, München 1996.

  10. Vgl. hierzu die zahlreichen Arbeiten von Wolfram F. Hanrieder, zuletzt: Deutschland, Europa, Amerika. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949-1994, Paderborn u. a. 19952.

  11. Vgl. Gottfried Niedhart, Deutschland in Europa: Interessenperzeption und Rollendefinition, in: ders. /Detlef Junker/Michael Richter (Hrsg.), Deutschland in Europa. Nationale Interessen und internationale Ordnung im 20. Jahrhundert. Mannheim 1997, S. 375-389. Der Beitrag faßt Ergebnisse eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts „Nationale Interessen und europäische Ordnung: Die Rolle Deutschlands in Europa. Eine historische und gegenwartsbezogene Untersuchung im Perzeptionsparadigma“ zusammen.

  12. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 246.

  13. Werner Link, Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, in: Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen/Hans-Helmuth Knütter/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa, Bonn 1987, S. 410.

  14. Alfred Grosser, Das Deutschland im Westen. Eine Bilanz nach 40 Jahren, München-Wien 1985.

  15. Adenauer vor dem CDU-Bundesvorstand am 13. 6. 1952. Adenauer: „Es mußte alles neu gemacht werden.“ Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1950-1953. Bearbeitet vom Günter Buchstab, Stuttgart 1986, S. 115.

  16. Willy Brandt, Konrad Adenauer. Ein schwieriges Erbe für die deutsche Politik, in: Dieter Blumenwitz u. a. (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Beiträge von Weg-und Zeitgenossen, Stuttgart 1976, S. 105.

  17. W. F. Hanrieder (Anm. 10), S. 157.

  18. Darauf hat nachdrücklich hingewiesen Timothy Garton Ash, Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent, München 1993.

  19. Adenauer vor dem Zonenausschuß der CDU 28. -29. 10. 1948. Helmut Pütz (Bearb.), Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone 1946-1949, Bonn 1975, S. 719.

  20. Adenauer an Ludwig Erhard 13. 4. 1956. Daniel Koerfer, Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987, S. 140.

  21. Vgl. Franz Knipping/Klaus-Jürgen Müller (Hrsg.), Aus der Ohnmacht zur Bündnismacht. Das Machtproblem in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1960, Paderborn 1995.

  22. Vgl. Gottfried Niedhart, Die ökonomische Variante deutscher Machtpolitik: Revisionspolitik und Friedenssicherung bei Stresemann und Adenauer, in: ders. /Dieter Riesenberger (Hrsg.), Lernen aus dem Krieg? Deutsche Nachkriegszeiten 1918 und 1945, München 1992, S. 84 ff. Zum historischen Kontext Volker R. Berghahn (Hrsg.), Quest for Economic Empire. European Strategies of German Big Business in the Twentieth Century, Providence-Oxford 1996.

  23. Adenauer am 1. 6. 1951 in einem Pressegespräch. Adenauer. Teegespräche 1950-1954, bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters, Berlin 1984, S. 93.

  24. Zur Strategie der Doppeleindämmung vgl. W. F. Hanrieder (Anm. 10), S. 27 ff.

  25. Zitiert u. a. bei Gustav Schmidt, Konfontation und Detente 1945-1989: Wechselschritte zur Friedenssicherung, in: ders. (Hrsg.), Ost-West-Beziehungen: Konfrontation und Detente 1945-1989, Bd. 3, Bochum 1995, S. 28.

  26. Henry Kissinger, Years of Upheaval, London 1982, S. 147.

  27. Ders., Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. Berlin 1994, S. 811.

  28. Vgl. Dieter Groh/Peter Brandt. „Vaterlandslose Gesellen“. Sozialdemokratie und Nation 1860-1990, München 1992, S. 295 f.; Andreas Vogtmeier, Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost-und Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung, Bonn 1996, S. 51 ff.; Egon Bahr, Zu meiner Zeit, München 1996.

  29. Bahr in einem Papier des Planungsstabs des Auswärtigen Amts vom 21. 9. 1969: „Unser wichtigster Partner werden nach wie vor die Vereinigten Staaten bleiben; auf dem Verhältnis zu ihnen beruht letztlich unsere Sicherheit.“ A. Vogt-meier (Anm. 28), S. 110.

  30. Vgl. Georges-Henri Soutou, L’attitude de Georges Pompidou face ä l’Allemagne, in: Association Georges Pompidou (Hrsg.), Georges Pompidou et l’Europe. Colloque 25 et 26 novembre 1993, Bruxelles 1995, S. 267 ff.

  31. Bundeskanzler Kiesinger bei einer außenpolitischen Klausurtagung der Bundesregierung am 2. /3. 1968, in: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (AsD), Bonn, Depositum Bahr 299/1.

  32. Aufzeichnung Schmidts vom Dezember 1976: „Erwägungen für 1977“, in: AsD, Depositum Schmidt 6567.

  33. Vortrag Brandts in der Evangelischen Akademie Tutzing am 15. 7. 1963. Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe IV, Bd. 9, Frankfurt 1978, S. 565 ff.

  34. AsD, Protokolle des Parteivorstands der SPD, Sitzung vom 1. /2. 11. 1968.

  35. Willy Brandt, Erinnerungen, Berlin-Frankfurt a. M. 1989, S. 189.

  36. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland und die USA. Partner im transatlantischen Bündnis der Nachkriegsära, in: Jürgen Elvert/Michael Salewski (Hrsg.), Deutschland und der Westen im 19. und 20. Jahrhundert. Teil 1: Transatlantische Beziehungen, Stuttgart 1993, S. 131.

  37. Bahr in einer Aufzeichnung für Brandt vom 30. 1. 1967, in: AsD, Depositum Bahr 299/3.

  38. Horst Ehmke, Mittendrin. Von der Großen Koalition zur Deutschen Einheit. Berlin 1994, S. 128.

  39. Aufzeichnung Bahrs über sein Gespräch mit Kissinger 13. 10. 1969 in Washington, in: AsD, Depositum Bahr 439/Zur Eigenständigkeit der Bonner Ostpolitik auch W. (Anm. 35), S. 189; Henry Kissinger, White House Years. Boston-Toronto 1979, S. 411, 530.

  40. So etwa in einem Brief an Brandt vom 13. 8. 1970. also einen Tag nach Unterzeichnung des Moskauer Vertrags. Willy-Brandt-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (WBA), Bonn, Bestand Bundeskanzler 18.

  41. Schmidt in einer Fraktionssitzung der SPD am 14. 12. 1971, in: AsD, SPD-Fraktion, 6. Wahlperiode, 81. Bezug genommen wurde auf den „Bericht des Präsidenten Richard M. Nixon an den Kongreß vom 18. Februar 1970“, auszugsweise abgedruckt in: Ernst-Otto Czempiel/Carl-Christoph Schweitzer, Weltpolitik der USA nach 1945. Einführung und Dokumente, Bonn 19872, S. 322 ff.

  42. Scheel in Reden auf Parteitagen der FDP am 23. 6. 1969 und 23. 10. 1972, in: Archiv des Deutschen Liberalismus (ADL), Gummersbach, Al/388 und 463. Vgl. auch Gottfried Niedhart, Friedens-und Interessenwahrung: Zur Ostpolitik der FDP in Opposition und sozial-liberaler Regierung 19681970, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, 7 (1995), S. 105 ff.

  43. Dahrendorf am 26. 4. 1970 vor dem Bundeshauptausschuß der FDP, in: ADL, A 12/88.

  44. Bahr in einem Planungspapier vom 1. 10. 1968. A. Vogt-meier (Anm. 28), S. 129.

  45. Schollwer auf einer Tagung des Politischen Clubs „Evangelische Akademikerschaft in Deutschland“, 6. -8. 10. 1972 in Berlin. Schollwer Tagebuch, in: ADL 10806/25.

  46. Bahr an Kissinger 14. 4. 1973, in: AsD, Depositum Bahr 439/1.

  47. Notizen für Krim, September 1971, in: WBA, Bundeskanzler 92.

  48. Vgl. Philip Zelikow/Condoleezza Rice, Germany United and Europe Transformed. A Study in Statecraft, Cambridge, Mass. 1995.

  49. Dazu etwa Rudolf Adam. Deutsche Interessen -Interessen Deutschlands. Ein Beitrag zur Diskussion über die deutsche Außenpolitik, in: G. Niedhart/D. Junker/M. Richter (Anm. 11), S. 75.

  50. Helga Haftendorn, Gulliver in der Mitte Europas. Internationale Verflechtung und nationale Handlungsmöglichkeiten, in: K. Kaiser/H. W. Maull. Grundlagen (Anm. 9), S. 149.

  51. Zum Begriff vgl. Hanns W. Maull. Zivilmacht Bundesrepublik Deutschland. Vierzehn Thesen für eine neue deutsche Außenpolitik, in: Europa-Archiv, 47 (1992), S. 269 ff.

  52. W. F. Hanrieder (Anm. 10), S. 447.

  53. Ebd.

  54. Michael Kreile, Verantwortung und Interesse in der Sicherheitspolitik, in: Aus deutschen Außen-und Politik und Zeitgeschichte, B 5/96, S. 11.

  55. Ludger Kühnhardt, Wertgrundlagen der deutschen Außenpolitik, in: K. Kaiser/H. W. Maull, Grundlagen (Anm. 9), S. 123.

  56. Michael W. Richter, Deutschlands europäische Rolle nach dem Ost-West-Konflikt: Konziliator im übernationalen Interesse?, in: G. Niedhart/D. Junker/M. Richter (Anm. 11), S. 48-74.

  57. H. Haftendorn (Anm. 50), S. 150.

  58. Helen Wallace, Integration von Verschiedenheit, in: Thomas König/Elmar Rieger/Hermann Schmitt (Hrsg.), Das europäische Mehrebenensystem, Frankfurt a. M. -New York 1996 (= Mannheimer Jahrbuch für europäische Sozialforschung, Bd. 1), S. 38 f.

  59. Hans-Peter Schwarz, Welches Europa? Deutschland und das europäische Staatensystem nach dem Kalten Krieg, in: Karl Schmitt/Reimund Seidelmann (Hrsg.), Deutschland und Europa, Weimar u. a. 1994, S. 77.

  60. Jan G. van der Tas, Nur nicht „normal“ werden, in: Die Zeit vom 9. 6. 1995, S. 8.

Weitere Inhalte

Gottfried Niedhart, Dr. phil., geb. 1940; Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim. Veröffentlichungen zur Geschichte der internationalen Beziehungen seit dem 18. Jahrhundert, zur neuzeitlichen englischen Geschichte und zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. 4