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Der Marshall-Plan in Europa 1947-1952 | APuZ 22-23/1997 | bpb.de

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APuZ 22-23/1997 Der Marshall-Plan in Europa 1947-1952 50 Jahre Marshall-Plan in Deutschland Der Marshall-Plan und die ökonomische Spaltung Europas

Der Marshall-Plan in Europa 1947-1952

Günter Bischof

/ 41 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Marshall-Plan hatte viele Väter, vor allem aber eine Gruppe junger Ökonomen in den Wirtschafts- und Handelsabteilungen des amerikanischen State Department, die mit der Integration der europäischen Volkswirtschaft vor allem Deutschland in die Völkerfamilie zurückbringen wollten. Das Angebot des Außenministers George C. Marshalls vor fünfzig Jahren am 5. Juni 1947 führte allerdings indirekt zur Teilung Europas, da der Kreml das Europäische Wiederaufbau Programm (ERP) als Versuch ansah, ihm seine Einflußzone in Osteuropa streitig zu machen, wie jetzt auch aus der neuen, auf russischen Archiven basierenden Literatur klarer hervorgeht. Die 16 europäischen Teilnehmerstaaten profitierten vom Marshall-Plan ganz unterschiedlich: Die einen stabilisierten ihre Finanzen und trugen die Staatsschuld ab; die anderen setzten die Mittel zum Wiederaufbau ihrer Industrien ein, wie aus zwei Fallstudien zu Frankreich und Österreich gezeigt wird. Diese zwei Länder zeigen aber auch, daß die Gelder des Marshall-Plans nur eine „schwache Waffe“ waren, in die oft problematische Wirtschafts-und Finanzpolitik der Empfängerstaaten direkt zu intervenieren. Österreich profitierte vom Marshall-Plan wie kein anderer Staat. Aber auch hier hatten die amerikanischen Produktivitätskampagnen zur Steigerung der Effektivität nur einen mäßigen Erfolg. Wie in Frankreich obsiegten in Österreich trotz massiven Drucks der Amerikaner meist heimische Prioritäten und die Traditionen der eigenen politischen Ökonomie. Neben den Lichtseiten der großzügigen Hilfe und den Anstößen zur europäischen Integration hatte der Marshall-Plan auch Schattenseiten -etwa daß die Amerikaner nicht immer selber praktizierten, was sie den Europäern rieten, oder daß sie den einzelnen Volkswirtschaften allzusehr ihre eigenen ökonomischen Prinzipien zu vermitteln suchten.

Dieser Aufsatz ist dem Marshall-Biographen Forrest C. Pogue gewidmet, der zwei Generationen von Marshall-Plan-Historikern Freund und Mentor war. Pogue ist am 6. Oktober 1996 im Alter von 84 Jahren gestorben.

I. Die konzeptionellen Grundlagen und die intellektuellen Väter des Marshall-Plans

Why Should We Help? The Leak is in the End of the Boat

Talburt. World Journal Tibune (New York).

Der Marshall-Plan basierte auf zwei Grundpfeilern: Zum einen existierte ein grundsätzlicher Konsens zwischen beiden maßgeblichen politischen Lagern in den USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, daß es eine humanitäre Verpflichtung der Amerikaner sei, dem zerstörten Europa wieder auf die Beine zu helfen. Der traditionelle Missionarismus der Amerikaner kam in Bildern vom „Guten Samariter“ zur Sprache, wie ihn der einflußreiche „Papst“ der Nachrichtenmagazine Time/Life, Henry Luce, predigte: „Es ist die selbstverständliche Pflicht dieses Landes, alle Menschen dieser Welt zu ernähren, die auf Grund des weltweiten Zusammenbruchs der Zivilisation Hunger leiden und sich in Armut befinden.“ * Weniger hochtrabend meinte Präsident Trumans Handelsminister Henry Wallace, die Amerikaner hätten den Hottentotten Milch zur Verfügung zu stellen

Zum anderen grassierte unter amerikanischen Eliten die Furcht, das Kriegsende könnte zu Rezession und erneuter großer Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit, Autarkiebestrebungen bei den wichtigsten Handelspartnern und Zusammenbruch der Welthandelsströme, Währungs(Dollar)

knappheit bei potentiellen Abnehmern und Instabilität der Finanzen führen. Ein wirtschaftliches Chaos in der Welt würde die Folge sein und daraus könne nur politische Instabilität erwachsen. Ein solches Chaos aber würde die potentielle amerikanische Hegemonie nach dem Krieg gefährden und überhaupt die Überlegenheit des Kapitalismus als sozioökonomisches System in Frage stellen. Wirtschaftliche Auslandshilfe sei deshalb eine Sache des „enlightened self-interest".

Die USA hatten sehr große Finanzmittel eingesetzt, um während des Zweiten Weltkrieges Diktatoren und Militaristen zu besiegen: insgesamt 50 Milliarden Dollar an Lend-Lease-Hilfsmitteln weltweit. In der Übergangszeit vom Krieg zum Frieden (1943-1947) finanzierten die USA weitere 2, 7 Milliarden Dollar Hilfsmittel der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) zur weltweiten Bekämpfung von Hunger und Seuchen. In den deutschen Westzonen wurden 1, 6 Milliarden Dollar an Militärhilfe (GARIOA) zur Bekämpfung von „disease and unrest“ ausgegeben

Das wohlhabende Amerika sah sich -trotz interner Kritik -durchaus in einer Verantwortung für die Probleme der Welt. So warnte der scheidende Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, Georg C. Marshall -der Mann, dem als „Organisator des Sieges“ im Zweiten Weltkrieg in Amerika und weltweit Bewunderung gezollt wurde -vor einem Rückfall in den Isolationismus und ermahnte seine Nachfolger im Pentagon bei seiner Abschiedsrede am 26. 11. 1945 an ihre Pflichten: „Ihr müßt Verständnis für die besondere geographische, finanzielle, militärische und wissenschaftliche Position der Vereinigten Staaten in der heutigen Welt entwickeln und einen Sinn haben für die Verpflichtungen, die daraus erwachsen. Die besondere Herausforderung an Eure Generation ist es, Verantwortung für die Stabilität und Sicherheit in der Welt zu übernehmen und ein Bewußtsein für die überragende Bedeutung der Handlungsweisen und Fehlleistungen unseres Landes für die zukünftige Weltordnung schaffen.“

Eugene Meyer, der Herausgeber der Washington Post, ging zur selben Zeit von einem ähnlichen Gedanken aus: Bei den Problemen, mit denen sich die verantwortlichen amerikanischen Eliten im Jahre 1947 konfrontiert sehen, ginge es nicht so sehr darum, was in der Macht der Amerikaner stünde, zu tun, um die Probleme der Welt zu lösen, sondern „what we can’t affort not to do“

II. „Der Marshall-Plan hat viele Väter“

Die Genesis des Europäischen Wiederaufbauprogramms {European Recovery Program, ERP) wird in der Literatur gewöhnlich in den außergewöhnlichen Herausforderungen des Frühjahrs 1947 gesehen. Als Protagonisten auf der großen Washingtoner Bühne, auf der jetzt Weltpolitik gemacht wurde, figurierten Dean Acheson, Will Clayton und George F. Kennan als die Hauptberater des im Januar 1947 berufenen neuen Außenministers Marshall, dem Präsident Harry S. Truman keineswegs die wohlverdiente Pension vergönnte. Im März und April verrichtete Acheson die täglichen Geschäfte in Washington, während der Außenminister in den kritischen Wochen des Frühjahrs die USA auf der Moskauer Außenministerkonferenz vertrat. Der klassische Moment der Übergabe der Weltherrschaft von den Briten an die Amerikaner kam, als der britische Botschafter in Washington die Amerikaner bat, die Unterstützung der monarchistischen Kräfte in Griechenland im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten zu übernehmen. Der Kongreß verabschiedete rasch eine Übergangshilfe zur Eindämmung des Kommunismus in Griechenland und der Türkei -basierend auf Trumans Eindämmungsdoktrin. Die britische Wirtschaft war im außergewöhnlich kalten Winter von 1946/47 zum Stillstand gekommen -der riesige 3, 75 Milliarden US-Kredit aus dem Jahre 1946 wurde in der Notstandsbeseitigung viel zu schnell aufgebraucht. Der harte Winter erzeugte überall auf dem Kontinent Kohleknappheit -besonders in Frankreich und Österreich -und brachte unzählige Industrie-betriebe zum Stillstand. Der zögerliche europäische Wiederaufbau kam in vielen Ländern bereits wieder zum Erliegen

Es bestand also dringender Handlungsbedarf. In Washington ging man zunächst daran, die notwendigen Gremien einzurichten (Policy Planning Staff -PPS, National Security Council -NSC, Central Intelligence Agency -CIA), die die weltpolitisch eher unerfahrene Supermacht USA durch die Unbilden des ausbrechenden Kalten Krieges steuern sollten. Im März beauftragte Acheson das War-Navy Coordinating Committe (SWNCC) -das noch im Krieg eingerichtete einzige interministerielle Planungskomitee in Washington, das den Blick über den eigenen Kirchturm hinauswarf -damit, ein Grundsatzmemorandum über die globalen Wirtschafts-und Finanzprobleme vorzulegen samt ihren möglichen Auswirkungen auf die amerikanische Sicherheit

Nachdem 1946 bereits außer dem 3, 75 Mrd. Dollar-Kredit an die Briten 840 Millionen Dollar an die Franzosen und ebenso viele Millionen GARIOA-Hilfe an die deutschen Westzonen gegeben worden waren, lagen dem Kongreß nun kurzfristig insgesamt weitere Hilfsersuchen in Höhe von 1, 85 Milliarden Dollar zur Entscheidung vor. Neben den 400 Millionen Dollar für Griechenland und die Türkei lagen Ersuchen über 350 Millionen Dollar an post-UNRRA Hilfe, 75 Millionen für die Internationale Flüchtlingsorganisation und 40 Millionen für den Internationalen Kinder-Fonds auf dem Tisch. Daneben fielen in den Gebieten, in denen die Amerikaner noch Besatzungstruppen hielten, 1, 025 Milliarden an Kosten an. Auch China, Korea und Palästina wollten Geld von den Amerikanern, und Frankreich und Österreich noch zusätzliche Hilfeleistungen Bei solchen gigantischen Forderungen an die amerikanischen Steuerzahler kann es wohl kaum verwundern, daß der Kongreß ein grundsätzliches • Überdenken der amerikanischen Auslandshilfe verlangte. Washington konnte nicht dauerhaft ,. Santa Claus’* spielen und fortwährend Wirtschaftshilfe ohne umfassendere geostrategische Zielsetzungen vergeben.

Bereits am 21. 4. 1947 lag ein ausführliches Memorandum des SWNCC-Ausschusses vor. Darin wurden Griechenland, die Türkei. Iran. Italien, Korea. Frankreich (aus politischen, nicht wirtschaftlichen Gründen), Österreich und Ungarn als die dringlichsten Problemfälle eingestuft. Das Memorandum atmete bereits den Geist des anstehenden Konfliks mit dem Weltkommunismus, indem die Priorität weit mehr auf sicherheitspolitische Überlegungen zu legen sei (in Anlehnung an die Truman-Doktrin .. Widerstand gegen Druck und Subversion von bewaffneten Minderheiten" -sprich Kommunisten). Die Analyse der wirtschaftlichen Grundprobleme kam aber nicht zu kurz. Allein im Jahr 1947 würden die USA mit einem Handelsbilanzüberschuß von 7. 5 Milliarden Dollar konfrontiert werden, das aus amerikanischen Finanzhilfen und Krediten gedeckt werden müßte, da die amerikanischen Handelspartner kaum mehr Gold oder Dollarreserven hätten. Der europäische Kontinent werde im kommenden Jahr von einer gewaltigen Güterknappheit geplagt werden, und zwar einem Defizit von neun Millionen Tonnen Getreide. 36 Millionen Tonnen Kohle, einer großen Knappheit an Düngemitteln. Stahl und Investitionen -es galt vor allem diese „bottlenecks" zu stopfen. Es wurde in der Analyse vage angedeutet, daß die Empfängerländer von amerikanischen Hilfsmitteln eine Zusammenarbeit der Volkswirtschaften ihrer Region anstreben sollten, um ihren Wiederaufbau zu beschleunigen und ihre Importe selber zu finanzieren.

Daß man in Washington im Frühjahr 1947 die von den Sowjets mittlerweile dominierten Gebiete in Osteuropa noch nicht aufgeben wollte, sieht man daran, daß man noch einen .. substantiellen Ausbau” des Handels mit diesen Gebieten empfahl. Die Grundausrichtung künftigen amerikanischen Engagements ist also hier bereits erkennbar. Amerikanische Hilfeleistungen hätten primär wirtschaftliche Stabilität und geordnete politische Verhältnisse zu erzeugen; politische Integrationseffekte seien zu erzielen (die Teilung Europas war Ende April 1947 noch nicht vorauszusehen); Chaos und Extremismus seien einzudämmen, das Vordringen des kommunistischen Einflusses zu stoppen. Kurzum: Die Vereinigten Staaten brauchten Freunde in der globalen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, und sie würden sich diese Freundschaft viel kosten lassen. Die USA waren nicht länger bereit, ohne ein politisches Ziel Unsummen in die schwarzen Notstandslöcher der Welt zu stecken. Neue US-Dollarhilfen würden mit Auflagen verbunden werden („Strings attached“)

Im Mai 1947 gingen dann die konzeptionellen Vorarbeiten zügig voran, vor allem im von Marshall neu eingerichteten Policy Planning Staff des State Department unter der Leitung des Europa-kenners und Rußland-Experten George F. Kennan. Das Ziel des Policy Planning Staff und Kennans war es. das Gewicht auf die Bedeutung der westeuropäischen Zusammenarbeit zu legen und mit entschiedenem Voranschreiten der Amerikaner psychologische Erfolge zu erzielen („energetic and incisive American action to be undertaken at once in order to create in Europe the impression that the United States has stopped talking and has begun to act"). Ein umfassendes Programm für die amerikanische Wirtschaftshilfe hätte von den Europäern selbst auszugehen und vor allem die europäische Integration anzuregen, wollte es langfristige Wirkungen erzielen. Als Antikommunisten.der lange in Moskau gelebt hatte, war Kennan wenig an der Teilnahme der Sowjets gelegen. Das Programm w ar so zu konzipieren, daß sich die Sowjets selbst ausschlossen. Die Tür für die Tschechen und Osteuropäer wäre allerdings offen zu lassen. Kennan war bereit, den Sowjets ihre Einflußzone zu konzedieren und rechnete daher kaum mit einer Teilnahme der Osteuropäer In Washingtongab es aber auch Politiker, die hofften, mit ausgiebiger Wirtschaftshilfe die osteuropäischen Staaten von Moskaus Vorherrschaft zu befreien -und die beginnende Teilung Europas entlang des Eisernen Vorhangs rückgängig zu machen.

Vor allem eine Gruppe brillanter jüngerer Ökonomen im State Department spielten eine von der Forschung bislang meist übersehene Rolle in der Genese des Marshall-Plans. Walt Rostow und Charles Kindleberger, die in der Division on Germanand Austrian Economic Affairs des State Department arbeiteten, erkannten schon im Frühjahr 1946, daß vor allem im alliierten Kontrollrat in Berlin die Kräfte in Richtung Teilung Deutschlands und Europas arbeiteten. Sie schlugen deshalb dem damaligen Außenminister James Byrnes vor, bei der Pariser Friedenskonferenz im Sommer 1946 einen gesamteuropäischen Rat einzusetzen, um „die zögerliche Rekonstruktion Europas voranzutreiben und langfristig eine größere Einheit in Europa zu erzielen“. Byrnes sollte Molotow klar zu erkennen geben, daß „amerikanische Sorgen um die Zukunft Europas dauerhaft und nicht nur vorübergehend seien“ -also eine sichtbare Abkehr vom Isolationismus. In den politischen Abteilungen des State Department wurden aber die Weichen schon in Richtung Eindämmung des Kommunismus gestellt und die Teilung Deutschlands und Europas als Faktum hingenommen. Berater wie der Deutschland-Experte James Riddleberger rieten Brynes davon ab, die gesamteuropäische Zusammenarbeit zu forcieren. Statt dessen kam es im September zur berühmt gewordenen Stuttgarter Rede von James Byrnes und am 1. 1. 1947 zur Gründung der Bizone. Der amerikanische Historiker Martin Weil faßte diese inneramerikanischen Unterschiede so zusammen: Während die politischen Abteilungen im State Department „sich für den Kampf mit dem dämonischen Kommunismus einrichteten“, versuchten die Wirtschaftsexperten in Claytons Abteilung „die Menschheit unter der Ägide von Adam Smith zu einen“ Der Historiker Gunther Mai hat zurecht betont, daß die Weichen zur Teilung Deutschlands und Europas bereits im Sommer 1946 gestellt wurden

Kindleberger hat später immer wieder betont, daß das Integrationskonzept der Wirtschafts-und Handelsexperten im State Department gesamteuropäisch war und nicht auf Teilung hinauslief -die Sorge galt Europa, und dazu gehörte auch Deutschland . Neben Kindleberger und Rostow dachten auch Edward Mason, Harold van Buren Cleveland, Ben Moore, Clair Wilcox, George Rogers, Paul Nitze -alles Ökonomen, die Clayton zuarbeiteten -in dieselbe Richtung. Marshalls Idee von einem „Europa bis zum Ural“, wie er es nach seiner Rede am 5. Juni 1947 definierte, schien auf die Vorstellungswelt seiner Wirtschaftsexperten zurückzugehen, obwohl Will Clayton einige Wochen später den Briten zu verstehen gab, daß die Sowjets ihre Einstellung zum europäischen Wiederaufbau zu verändern hätten, wollten sie von den Amerikanern Geld erhalten

Aber auch in anderen Elitekreisen -wie dem New Yorker Council on Foreign Relations -wurden schon 1946 Stimmen laut, daß der europäische Wiederaufbau nicht ohne den Motor Deutschland möglich sei. In vielen Verträgen und Diskussionen in den Studiengruppen „Reconstruction of Europe“ und „The Problem of Germany“ kam man immer wieder auf dasselbe Thema zurück -ein rascher Wiederaufbau der Wirtschaft Europas sei ohne den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nicht möglich. Es sei höchste Zeit, sich von den Potsdamer Restriktionen bezüglich der deutschen Industrie und der Handelsbeschränkungen abzuwenden. Vor allem müßte die Kohle-und Lebensmittelknappheit überwunden werden. Der Harvard-Ökonom John Kenneth Galbraith machte u. a. die ungenügenden Lebensmitteltransporte der USA nach Europa für die Misere verantwortlich. „We have eaten too much“, warf er seinen amerikanischen Landsleuten vor. Es ist das Verdienst des jungen deutschen Historikers Michael Wala, die die wichtige Rolle von Allen W.

Dulles und des Council on Foreign Relations beim Abbau von Vorurteilen in der amerikanischen Öffentlichkeit über die zentrale Rolle der deutschen Wirtschaft bei der Rekonstruktion Europas herausgestellt zu haben

Dazu kommt, daß im Frühjahr 1947 auch wichtige Meinungsführer wie die Kolumnisten Walter Lippmann, James Reston und die Brüder Alsop ein massives amerikanisches Engagement in Europa anregten, um den Kontinent vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu bewahren. Auch Lippmann hoffte, die Sowjets würden die Osteuropäer teilnehmen lassen, falls genug Geld zur Verfügung gestellt würde. Auf jeden Fall war eine große amerikanische Geldtransfusion notwendig, ein neues Lend-Lease-Programm zur Bildung einer europäischen Union, die sich über den gesamten Kontinent erstreckte. Lippmann, der mit den meisten Entscheidungsträgern im State Department im täglichen Kontakt stand, sprach in seinen „Cassandra Speaking“ -Kolumnen schon Ende März aus, was die Offiziellen noch nicht in der Öffentlichkeit zu sagen wagten. An der amerikanischen Meinungsbildung für ein europäisches Wiederaufbauprogramm hatte er einen wichtigen Anteil

Beachtet man diesen erstaunlichen Wandel bei den amerikanischen Eliten in ihrer Einstellung zu Deutschland und zu einem integrierten gesamteu. ropäischen Konzept, so konnte die vom ehemaligen Präsidenten Herbert Hoover verfaßte Analyse zur Lage in Deutschland und Österreich in Washington nurmehr auf offene Ohren stoßen, wenn es da hieß: „Die Produktivität Europas kann ohne die Wiederherstellung Deutschlands und seinen Produktivitätsbeitrag nicht erneuert werden.“

Ebensowenig überraschen dann die Ideen von Kennan und Clayton vom Mai 1947, die einen wichtigen Beitrag zur Rede Marshalls in Harvard bildeten. Claytons Beitrag wird wie der Kennans allgemein überschätzt -wohl auch, weil er und seine Biographen immer wieder seine Patenschaft für den Marshall-Plan überbetonten. Für den vormaligen Baumwollhändler und Exporteur Clayton wurde bald nach dem Krieg klar, daß amerikanischer Wohlstand ohne die Genesung der europäischen Wirtschaft nicht möglich wäre. Claytons Memorandum vom 27. Mai -das er nach einer Europareise verfaßte, wo er mit Entsetzen den zunehmenden wirtschaftlichen und ökonomischen Zerfall des Kontinents feststelle -war lediglich ein weiterer Mahnruf an die Washingtoner Machtelite, doch endlich rasch zu handeln. Die ihm zuarbeitenden Wirtschaftsexperten im State Department hatten jedoch sicherlich nicht die Zerstörung der europäischen Wirtschaft „grotesk unterschätzt“, wie es dort hieß.

Claytons Beitrag war auch insofern wichtig, als er die Auswirkungen des Zusammenbruchs des Handels zwischen Stadt und Land in Europa konstatierte. Aus Preisgründen wollten die Bauern ihre Nahrungsmittel nicht mehr an die Städte liefern, was die Städter in den Hunger trieb. Wie Galbraith vor dem Council on Foreign Relations ermahnte auch Clayton die Amerikaner, den Gürtel enger zu schnallen, um mehr Nahrungsmittel und Rohstoffe nach Europa schicken zu können; er empfahl, die US-Finanzhilfe müsse das Dollar-defizit in der europäischen Handelsbilanz ausgleichen (er veranschlagte es aber mit fünf Milliarden Dollar niedriger als das SWNCC); wie Kennan empfahl er, ein Plan für den europäischen Wiederaufbau müsse von den Europäern selbst ausgehen

Die amerikanischen Planer, von denen die meisten Wirtschaftsfachleute, Anwälte oder Industrielle waren -also durchweg der international gesinnten Business Bourgeoisie angehörten -, gingen von einer Philosophie aus, die der amerikanische Marshall-Plan-Experte Charles S. Maier als die „politics of productivity“ zusammengefaßt hat. Dieses Produktivitätskonzept repräsentierte die spezifisch amerikanische Erfahrung mit der Entwicklung eines reifen Industriekapitalismus und war Amerikas Alternative zum Marxismus. Man ging davon aus, daß rationale Wirtschaftsplanung zu größerem Reichtum einer Nation führen würde. Die Zusam-menarbeit von Kapital und Gewerkschaften führe zu einer Vergrößerung des volkswirtschaftlichen Gesamtprodukts und somit zu mehr Wohlstand für alle. Die technokratische Vision eines solchen „produktiven Gemeinwohls“ würde die Arbeiterschaft am größeren Wohlstand teilhaben lassen, sie somit dem Kommunismus entfremden und Klassenkämpfe sowie politische Destabilisierung der europäischen Gesellschaften verhindern

Kindlebergers Urteil, die Ursprünge des Marshall-Plans seien im zweiten Glied der Experten der Wirtschaftsabteilungen des State Department zu finden, während Clayton und Kennan erst später eine Rolle spielten ist nur insoweit zu revidieren, daß offensichtlich schon 1946 bei den meisten Beobachtern der europäischen Szene klar wurde, der Wiederaufbau Europas könne nur mit Deutschland stattfinden.

III. Die Rede Marshalls am 5. Juni 1947 und die Reaktionen in Europa und in der Sowjetunion

Außenminister George Marshall hatte die Harvard Universität erst kurz vor der Verleihung informiert, daß er das ihm angebotene Ehrendoktorat entgegennehmen wolle. Marshall war neben General Omer Bradley, dem Dichter T. S. Eliot und dem „Vater der Atombombe“ Robert Oppenheimer einer der Geehrten. Die Rede, die Marshall vor ca. 7000 Zuhörern im Havard Yard hielt, präsentierte die seit Monaten von seinen Beratern im State Department ausgearbeiteten Ideen: Das amerikanische Angebot zur Hilfeleistung für Europa. Die Initiative müsse von den Europäern selbst ausgehen; ganz Europa hätte die Chance, am Programm teilzunehmen; nur Länder oder Gruppen, „die menschliches Leiden perpetuieren oder davon profitieren wollen“, seien ausgeschlossen. Im Kontext der Truman-Doktrin war klar, daß damit Kommunisten gemeint waren. Zum Abschluß improvisierte Marshall noch einen Absatz, der nicht im Entwurf des von Charles Bohlen verfaßten Redemanuskripts stand. Er erinnerte die Amerikaner an ihre Verantwortung für die Lösung der gewaltigen Probleme in der Welt, wenn die USA auch noch so weit von diesen Notsituationen entfernt lebten. Hier tauchte wiederum der antiisolationistische Gedankengang seiner Pentagon„Abschiedsrede“ auf

Die Zuhörer waren von der Rede nicht beeindruckt. Der Kolumnist Joe Alsop, der auf der Bühne saß, schrieb in seinen Memoiren: „Ich habe General Marshall aus nächster Nähe zugehört und muß gestehen, der Text der Rede war so vage und die Präsentation bar jeglicher Dramatik. Ich hatte nicht die geringste Ahnung davon, was der Außenminister ausdrücken wollte, und noch viel weniger eine Vermutung, daß er ein Angebot machte, das die Welt verändern sollte. Meines Wissens maß auch sonst keiner der an jenem Nachmittag im Harvard Yard Anwesenden der Rede besondere Bedeutung zu -zumindest leitete ich das aus dem höflichen, aber bescheidenen Applaus ab.“

Viel wichtiger als diese eher gleichmütigen Reaktionen war, daß Acheson in Washington bereits die Mühlen der großen Politik in Bewegung gesetzt hatte, indem er die Briten auf Marshalls Intentio-» nen im vorhinein aufmerksam machte. Derart vor-gewarnt, konnte Außenminister Ernest Bevin in London zusammen mit dem französischen Außenminister Georges Bidault intensiv beraten, um die Koordination einer raschen, europaweiten Reaktion in Bewegung zu setzen. In diesen ersten britisch-französischen diplomatischen Kontakten wurde schnell klar, daß man die Sowjets nicht als Teilnehmer wünschte, würden sie doch nur in gewohnter Manier alle Verhandlungen verzögern und die Chance einer raschen Bewilligung der Mittel durch den US-Kongreß gefährden. Will Clayton wurde in dieser Vorbereitungsphase nach London geschickt, um die genaueren Intentionen von Marshalls Angebot zu verdeutlichen. Die Briten würden diesesmal keine Bevorzugung erhalten, sondern hätten sich in ein gesamteuropäisches Programm einzuordnen. Mit einer sowjetischen Teilnahme rechnete man bei den amerikanischen Konditionen einer Offenlegung der gesamten volkswirtschaftlichen Statistiken zur Beweisführung der Hilfebedürftigkeit nicht. Bevin und Bidault gaben dem amerikanischen Botschafter in Paris, Jefferson Caffery, auch klar zu erkennen, daß sie „auf die Ablehnung der Sowjets hofften“ Damit aber war die Stoßrichtung „Teilung Europas“ vorgegeben, denn es mußte allen Beteiligten klar gewesen sein, daß Stalin den osteuropäischen Klientelstaaten kaum erlauben würde, an einem europaweiten Wiederaufbauprogramm teilzunehmen ohne sowjetische Partizipation und Kontrolle.

Nach der partiellen Öffnung der russischen Archive wissen wir nun auch besser Bescheid über die Motivation der Kremlführung bei der Ablehnung von Marshalls Angebot. Die ersten Reaktionen waren zögerlich und von großer Skepsis gekennzeichnet, aber durchaus nicht gänzlich negativ. Botschafter Nikolai Novikov telegraphierte aus Washington, hinter Marshalls Rede stehe die Bildung „eines Westeuropäischen Blokkes“ gegen die Sowjetunion. Molotow vermutete lediglich ein US-Selbstinteresse dahinter und wurde in dieser Ansicht von Stalins Paradeökonomen Eugen Varga bestätigt, der in einer Schnell-studie hinter Marshalls Angebot einen Versuch sah, die bevorstehende Krise des Kapitalismus zu verhindern (darauf hatten Stalin und die Kreml-führung nach dem Krieg gewartet). Der Kreml bewegte sich also in den üblichen, ideologisch bestimmten Denkkategorien. Molotow und Vertreter der osteuropäischen Klientelstaaten kamen aber trotz dieser Verdachtsmomente Ende Juni nach Paris, um an den gesamteuropäischen Beratungen teilzunehmen. Ablehnen wollte Molotow das amerikanische Angebot doch nicht, ohne den Versuch zu unternehmen, es zum Vorteil der Sowjets zu wenden -hatte man doch in der Sowjetunion und in ihrer Einflußzone die amerikanische Ausbauhilfe dringend nötig

Die Wende zur Ablehnung und zur danach schnell anlaufenden Propagandakampagne gegen den „amerikanischen Dollar-Imperialismus“ und die „Unterwerfung des Kontinents durch den amerikanischen Monopolkapitalismus“ erfolgte erst in Paris. Molotow kam mit einer Delegation von 100 Mitarbeitern nach Paris, was auf eine ernsthafte Überprüfung des Marshall-Angebots hindeutete. Die schriftlichen Instruktionen an die Delegation waren aber negativ gehalten, da man sich nicht an irgendwelche amerikanischen Konditionen binden lassen wollte. Die Sowjets hofften also, Wirtschaftshilfe für sich und ihre Einflußzone in der

Art von Lend Lease zu erhalten, „without strings attached“. Sie verlangten, daß jedes Land seine Erfordernisse nach Washington sende, die dann als europäische Forderungen aggregiert werden könnten, ohne mit dem Aufbau multinationaler Institutionen zu beginnen. Zudem verlangte Molotow, daß die Teilnahme der deutschen Westzonen ihre Industriekapazität nicht vergrößern bzw. ihre Reparationszahlungen nicht gefährden dürfe. Molotows Bedingungen waren also den amerikanischen diametral entgegengesetzt. Er arbeitete gezielt auf einen Selbstausschluß der sowjetischen Einflußzone hin. Nach seiner Ablehnung der amerikanischen Vorstellungen in Paris und seiner „Abschiedsrede“, in der er den Westen der Blockbildung anklagte, war es allen klar, daß die anwesenden Osteuropäer nicht teilnehmen könnten. Molotows späteres Fazit, er habe sich in Paris nicht „als Untergebener in die Gesellschaft der Imperialisten ziehen lassen“ wollen, faßt seine persönliche wie politische Perspektive adäquat zusammen

Aus detaillierten Spionageberichten wurden Stalin und Molotow die britisch-französische Absteckung der Ziele in Richtung Ausschluß der Sowjets rasch klar. Molotow erhielt noch während der Pariser Tagung eine Zusammenfassung der geheimen britisch-französischen Absprachen, den wirtschaftlichen Wiederaufbau der deutschen Westzonen in den Mittelpunkt des europäischen Wiederaufbaus zu stellen und deshalb keine weiteren Reparationen aus laufender Produktion an die Sowjetunion zuzulassen. Zudem wurde aus diesen Agentenberichten klar, daß man in London und Paris von Anfang an auf den Ausschluß der Sowjetunion und die Teilnahme Osteuropas hinarbeitete. Die Logik der sowjetischen Ablehnungsstrategie in Paris wird daraus klar sichtbar: Man würde dem Westen nicht erlauben, in der sowjetischen Einflußsphäre in Osteuropa Fuß zu fassen. Und obwohl der Kreml Anfang Juli 1947 noch einige Tage zögerte, die osteuropäischen Klientelstaaten „auf Vordermann zu bringen“, ist klar, daß die Ablehnungsstrategie Moskaus auf Marshalls Angebot endgültig zur Teilung Europas führte Das war vom Westen größtenteils auch so intendiert, um die westeuropäische Koordination und Integration nicht zu verzögern.

Der Westen konzipierte den Marshall-Plan also in Richtung Selbstisolierung der Sowjetunion. Daß dies zur Teilung Europas führen würde, war voraussehbar und wird jetzt durch die neue Forschung zur sowjetischen Haltung auch bestätigt. Für Stalin war der Marshall-Plan der „Wendepunkt“, wie es die beiden jungen sowjetischen Historiker Vladislav Zubok und Constantine Pleshakov ausdrücken. Der amerikanische Kapitalismus war nicht in eine Krise geschlittert, und die USA würden sich nicht aus Europa zurückziehen. Im Gegenteil, die Amerikaner machten nun den Versuch, dauerhaften Einfluß in Europa zu gewinnen. Dies führte mit zur Blockbildung in Europa und zu einer neuen Welle von Säuberungen in der sowjetischen Einflußsphäre Der amerikanische Historiker Vojtech Mastny, einer der besten Kenner Stalins und der sowjetischen Archive meint, daß das langfristige amerikanische Engagement in Europa Stalins „hegemoniales Konzept der internationalen Ordnung“ unterwanderte, in dem „die Sicherheit seines Landes auf Kosten aller anderen ging“. Mastny kommt zu dem Schluß, daß der Westen damit Stalin in die Lage versetzte, seine Klientel-staaten zu zwingen, das amerikanische Angebot abzulehnen. Mit dieser Politik des Westens „leitete er gegen seinen Willen die Teilung des Kontinents in feindliche Blöcke ein“ Die Gründung des Kominform und die Blockbildung in der Ära des Marshall-Plans waren eine logische Konsequenz der Grundsatzentscheidungen von Paris; sie drückten einer historischen Epoche ihren Stempel auf.

Nach der raschen Koordination der Antwort der Westeuropäer war es klar, daß nunmehr das amerikanische Volk vom Vorhandensein der amerikanischen Ressourcen und vom Eigeninteresse der USA überzeugt werden mußte. Marshalls wahrscheinlich wichtigster Beitrag zum Gelingen des Europäischen Wiederaufbauprogramms, das zusehends mit seiner Person identifiziert wurde, kam mit dem totalen Einsatz seiner Autorität beim „Lobbying“ des Kongresses. Die Bewunderung, die ihm das ganze Land entgegenbrachte, war ein Vertrauensvorschuß, den es in die Akzeptanz für ein 14 Milliarden-Dollar-Projekt umzusetzen galt. Als ob die Westeuropäer auf Kooperation einzuschwören sowie sie von ihren ursprünglichen 28 Milliarden-Dollar-Forderungen auf die Hälfte herunterzubringen nicht schon genug Herausforderung gewesen wäre, war der Widerstand des amerikanischen Volkes gegen die Großzügigkeit der Truman-Regierung ein noch größeres Hindernis, das es nun zu überwinden galt. Im März 1948 standen nur knapp die Hälfte der Amerikaner dem Marshall-Plan positiv gegenüber -trotz einer unermüdlichen Publicity-Kampagne unter der Mitwirkung von Marshall selbst, seiner Mitarbeiter im State Department und einer Reihe sehr prominenter Bürgerkomitees, die alle die öffentliche Meinung für die Verabschiedung der Gesetzgebung im Kongreß zu beeinflussen versuchten. Das wichtigste Bürgerkomitee war das Committee for the Marshall Plan to Aid European Recovery, das vom früheren Außen-und Kriegsminister Henry Stimson geleitet wurde. Politiker wie Allen Dulles brachten ihre Beziehungsnetzwerke zur Geschäftswelt und ihren Organisationssinn ein, um diese Wende zum vollen und kostspieligen internationalen Engagement einer bis dahin eher provinziell orientierten Bevölkerung schmackhaft zu machen

Marshall reiste Monat für Monat im ganzen Land herum und hielt Reden vor allen möglichen Business-, Farmer-und Bürgergruppen, um ihre oft isolationistische Einstellung zu wenden. Unzählige Male erschienen er und seine Mitarbeiter vor den wichtigsten Kongreßausschüssen, um sie von der Notwendigkeit des Hilfsprogramms zu überzeugen. Marshall selbst bearbeitete unermüdlich den einflußreichen Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des Senats, Arthur Vandenberg. Die Hauptargumente waren immer wieder dieselben: Es sei im ureigenen Interesse der amerikanischen Wirtschaft, den Welthandel mit US-Hilfe zu beleben; eine mehrjährige Infusion von US-Geldern in die europäischen Industrien und ihre Infrastruktur zur Ankurbelung der europäischen Produktivität sei von größerer Langzeitwirkung als das bisherige Stückwerk der Notstandshilfen. Diese Kampagne zur Durchsetzung des Marshall-Plans war am Ende wahrscheinlich nur erfolgreich, weil sie zunehmend auf die Rhetorik des Antikommunismus ausgerichtet wurde. Am Ende war das Bedrohungsszenario am wirksamsten, daß die Ausbreitung des Kommunismus einem Zusammenbruch Westeuropas auf dem Fuße folgen würde. In der amerikanischen Provinz war eben das manichäische Weltbild vom Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit am schlagkräftigsten

Wie so oft in der Geschichte des Kalten Krieges kamen die Sowjets zur Hilfe und bestätigten die westlichen Ängste. Der „Prager Putsch“ vom Februar 1948 wurde in Washington als von Moskau ausgehende Unterwanderung und Sturz einer frei gewählten Regierung perzipiert; er war das auslösende Moment im Kongreß, das riesige Gesetzgebungswerk, das den Marshall-Plan in die Tat umsetzte, zügig zu verabschieden. Der Kreml hätte der Publicity-Kampagne keinen größeren Gefallen tun können, als das Image des schleichenden, subversiven Weltkommunismus zu schärfen. Dean Acheson hat später einmal gegenüber Harry S. Truman festgestellt, „wenn alles schiefzulaufen schien, konnten wir uns immer darauf verlassen, daß uns die Russen mit einer ihrer Narreteien aus der Klemme helfen würden“ Das taten sie mit der Nichtteilnahme am Marshall-Plan und mit dem Prager Umsturz.

IV. Fallstudien zur Wirkung des Marshall-Plans in europäischen Ländern

Die gesamte Komplexität des Marshall-Plans kommt voll zur Geltung, wenn man seine Wirkung auf die Volkswirtschaften der 16 Teilnehmerstaaten in Erwägung zieht. „What’s good for Uncle Sam is good for the world": Diese meist unausgesprochene amerikanozentrische, missionarische Sichtweise -die auch manchmal von amerikanischen Historikern perpetuiert wird, die sich nicht mit den politischen Kulturen der Empfängerländer auseinandersetzen -ist besonders im Hinblick auf die Wirkung des Marshall-Plans eher mit Vorsicht zu betrachten.

Das European Recovery Program (ERP) mit seinen an der amerikanischen Erfahrung orientierten Vorgaben stieß in jedem Land auf besondere nationale Konstellationen und Traditionen der politischen Ökonomie. Es ist deshalb müßig, über den relativen Erfolg oder Mißerfolg des Marshall-Plans zu diskutieren, ohne nicht diese nationalen Eigenheiten, die oft Widerstände gegen die amerikanischen Marshall-Planer vor Ort erzeugten, in Betracht zu ziehen Die Westeuropäer brauchten zweifelsohne die amerikanischen Hilfslieferungen und Kredite, um sich rascher aus der Wirtschaftsmisere herauszuarbeiten, und hießen deshalb wohl oder übel die Amerikaner willkommen. Gleichzeitig versuchte man aber das Ausmaß der amerikanischen Hilfeleistung zu bagatellisieren, um gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht die Abhängigkeit vom amerikanischen Geldtropf eingestehen zu müssen. Wie jede Abhängigkeit waren „Coca-Kolonialisierung“, „Kaugummiimperialismus“ oder „Marilyn Monroe-Doktrin“ ein zweischneidiges Schwert -auf der einen Seite frönte vor allem der kleine Mann unverhohlen dem von Amerika gespendeten Konsum und genoß den neuen Wohlstand mit Jazz und Hollywood; auf der anderen Seite lehnten vor allem die traditionellen Eliten die amerikanische Bevormundung ab, die aus den vom Kongreß ins ERP-Programm geschriebenen Auflagen erwuchs

Der Platz gestattet es hier nicht, ausführlicher auf die Auswirkungen des ERP auf alle 16 Teilnehmerstaaten einzugehen und noch viel weniger, das komplexe Gebäude der Integrationseffekte darzustellen (vor allem die Europäische Zahlungsunion). Die Marshall-Mittel und deren Einsatz unterschieden sich von Land zu Land. Die großen und bevölkerungsreichsten Länder Großbritannien (3, 4 Mrd. Dollar), Frankreich (2, 8 Mrd. Dol-lar), Italien (1, 5 Mrd. Dollar) und Westdeutschland (1, 4 Mrd. Dollar) erhielten die bedeutendsten Zuschüsse. Die kleinen Länder profitierten aber mehr davon (pro Kopf in US-Dollar): Norwegen (136), Österreich (131), Griechenland (128), Niederlande (111) -zum Vergleich: Großbritannien (53), Frankreich (71), Italien (30) und Westdeutschland (18) Während also die großen Länder den Löwenanteil erhielten, hatten die ERP-Mittel in Staaten wie den Niederlanden und Österreich tiefreichendere Auswirkungen, repräsentierte die US-Hilfe 1948/49 dort doch 10, 8 Prozent bzw. 14 Prozent des nationalen Einkommens (im Vergleich dazu waren es bei den Schweden 0, 3 Prozent, bei den Belgiern/Luxemburgern 0, 6 Prozent, bei den Deutschen 2, 8 Prozent und bei den Franzosen 6, 0 Prozent Die Isländer setzten 41, 8 Prozent, die Belgier/Luxemburger 35, 8 Prozent und die Norweger 25, 7 Prozent der ERP-Mittel zum Import von Maschinen, Fahrzeugen sowie Eisen-und Stahlprodukten ein; die Westdeutschen hingegen nur 3, 3 Prozent, die Briten 8, 8 Prozent und die Österreicher 11, 3 Prozent.

Die von den Zerstörungen des Krieges, dem Zusammenbruch des Aus 8 Prozent, die Belgier/Luxemburger 35, 8 Prozent und die Norweger 25, 7 Prozent der ERP-Mittel zum Import von Maschinen, Fahrzeugen sowie Eisen-und Stahlprodukten ein; die Westdeutschen hingegen nur 3, 3 Prozent, die Briten 8, 8 Prozent und die Österreicher 11, 3 Prozent.

Die von den Zerstörungen des Krieges, dem Zusammenbruch des Austausches zwischen Stadt und Land und den daraus resultierenden Schwarzmärkten besonders betroffenen Deutschen, Österreicher und Italiener bezogen indessen unverhältnismäßig hohe ERP-finanzierte Nahrungsmittelimporte (die Österreicher 1949 77, 7 Prozent der gesamten ERP-Importe; die Italiener 35, 2 Prozent und die Westdeutschen 48, 6 Prozent) 38.

Noch komplexer wird das Bild, wenn man den Einsatz der für einheimische Investitionen durch den Verkauf von Marshall-Plan-Gütern geschaffenen Gegenwertmittel in Betracht zieht. Frankreich und Westdeutschland 39 verwendeten den Großteil ihrer Mittel für Investitionen; auch Österreich und die Niederlande hatten hohe Investitionsanteile (50 Prozent bzw. 38 Prozent) 40. Die Briten 41 und Norweger setzten ihre Mittel zum Großteil zur Rückzahlung der Staatsschulden ein; Pikanterie am Rande: Norwegen hatte eine Staatsschuld, die zu einem Gutteil auf die ungedeckten Ausgaben der deutschen Besatzer während des Krieges zurückging Für die Schweizer -die, wie man heute weiß, vom Krieg profitierten und der amerikanischen Hilfe nicht bedurften -war die Teilnahme am ERP wichtig zur Einbettung ins europäische Handelsgeflecht. Die Griechen gerieten am ehesten in quasi-koloniale Dependenz, wurden doch hier die Mittel -oft versteckt -zum Einsatz im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten verwandt

Ein zeitgenössischer Beobachter hat die Leistungen des Marshall-Plans plastischer dargestellt, als dies die Statistiken können. In jedem Land gab es Großprojekte, die von den ERP-Mitteln besonders profitierten: In Sardinien wurden Sümpfe zur Malariabekämpfung trockengelegt; in den Niederlanden wurde die Zuidersee mit neuen Deichen versehen und so Land fruchtbar gemacht; Frankreich wurde mit der Mechanisierung von Kohlegruben und dem Bau von Wasserkraftwerken elektrifiziert; die Türkei wurde durch die Lieferung neuer Pflüge, Traktoren und Eisenbahnen modernisiert; selbst die afrikanischen Kolonien der Europäer profitierten von der Erschließung neuer Rohstoffe

Im folgenden soll etwas näher auf den Einsatz und die Auswirkungen der ERP-Mittel in Frankreich und Österreich eingegangen werden. Beide galten als vom Kommunismus besonders gefährdet -das große Frankreich wegen seiner mächtigen kommunistischen Partei; das kleine Österreich wegen seine geopolitischen Frontlage, da der Eiserne Vorhang -wie in Deutschland -auch hier mit der sowjetischen Besatzungszone mitten durchs Land ging. Die Bedeutung, die man diesen Staaten in Washington im wirtschaftlichen Überlebenskampf beimaß, ist daraus ersichtlich, daß man ihnen (zusammen mit Italien) im Dezember 1947 577 Millionen Dollar an Notstandshilfe zur Verfügung stellte, um die Zeit bis zum Einsatz des Marshall-Plans zu überbrücken. Frankreich Frankreich erhielt aus politischen Gründen mehr Marshall-Plan-Mittel, als es wirtschaftlich notwendig gehabt hätte. Der Marshall-Plan erlaubte es den Franzosen, über ihre Verhältnisse zu leben und harte Sparmaßnahmen vor sich herzuschieben. 1948/49 wurde jede Quartalsfreigabe von Mitteln zum Überlebenskampf der Regierung Henri Queuille, die allerdings die US-Dollar lieber dazu verwendete, Budgetdefizite zu stopfen, als unpopuläre Steuererhöhungen vorzunehmen. Man kann diese generösen Hilfeleistungen aber auch anders interpretieren: „ 1948/49 waren die schlimmsten Jahre französischer Dependenz und Machtlosigkeit“, meint Robert Frank Die amerikanischen Berater in Paris kamen aber schnell darauf, daß sie in der Beeinflussung der französischen Wirtschafts-und Finanzpolitik selber machtlos waren und die Hunderte von Millionen US-Dollar meist nicht, wie u. a. vorgesehen, zur Inflationsbekämpfung eingesetzt wurden. Die Amerikaner unternahmen in Frankreich weit größere Anstrengungen, ihr Ziel einer anti-inflationistischen Budgetkonsolidierung zu erreichen, als etwa in Großbritannien; der Erfolg war jedoch eher bescheiden. Da Frankreich für die Integration der europäischen Wirtschaft eine Vorreiterrolle spielen sollte, war sein hinhaltender Widerstand in der Verfolgung von Washingtons Zielvorgaben besonders enttäuschend

Die Amerikaner hatten mehr Erfolg damit, die Franzosen auf ihre politischen Ziele in Deutschland einzuschwören und den französischen Widerstand gegen den raschen Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zu brechen. Mit dem Beginn des Marshall-Plans wurde die französische Zone mit der britisch-amerikanischen Bizone verschmolzen und der Gründung der Bundesrepublik stand nichts mehr im Wege. Die Marshall-Gelder wurden im Grunde genommen „Ersatz für deutsche Reparationen“ und trugen dazu bei, die Rückkehr Deutschlands in die Völkerfamilie in Frankreich akzeptabler zu machen.

Es ist eine gewisse Ironie der Geschichte des Marshall-Plans, daß die amerikanischen Planer (die oft mit dem New Deal als Ideal nach Europa kamen von den Franzosen so enttäuscht wurden, als sie den Großteil ihrer Mittel in die planification des Monnet-Plans investierten. Die Amerikaner wollten eine langfristige Wirtschaftsplanung nach eigenen Vorstellungen, aber die Franzosen hatten mit dem Monnet-Plan bereits einen Konsens über klare planerische Zielvorgaben entwickelt, und zwar schon, bevor die USA sich in Europa zu engagieren begannen. Frankreich schien sich in den Augen der Beauftragten der European Cooperation Administration (ECA) in den Jahren 1948/49 dauernd am Rande des wirtschaftlichen Ruins zu bewegen. Die verschiedenen Regierungen weigerten sich in der Regel, den Marshall-Plan-Beratern nachzugeben und strikte Deflationspolitik zu betreiben, um die Finanzen zu stabilisieren. Die Franzosen weigerten sich auch, eine restriktivere Kreditpolitik zu betreiben, Steuern zu erhöhen, das Steuerwesen zu reformieren und die regelmäßigen Steuerhinterziehungen der Reichen ernsthaft zu bekämpfen, um das Budget ins Lot zu bringen. Da verließ man sich lieber auf die Noten-presse, auf die Banque de France und immer wieder auch auf die ERP-Mittel als letztem Ausweg, um den finanziellen Kollaps sowie den der IV. Republik abzuwenden.

Die ECA-Mission in Frankreich unter David Bruce mußte bald feststellen, daß sie den Franzosen nicht ihre Wirtschafts-und Finanzpolitik diktieren konnten, und sich die ERP-Gelder auch schlecht als Druckmittel verwenden ließen Die Amerikaner fanden wenig Gefallen daran, daß die staatlichen Betriebe 37 Prozent des Bruttonationalprodukts schufen, während die Produktivität der französischen Wirtschaft lediglich ein Viertel dessen erreichte, was die Amerikaner vorgesehen hatten. Die Löhne der Arbeiter blieben 28 Prozent unter dem Wert von 1938 Die französischen Regierungen leisteten hinhaltenden Widerstand gegen den amerikanischen Druck, die Löhne der Arbeiter zu erhöhen, die meist hinter den Inflations-und Preisschüben hinterherhinkten. Vor allem im Jahre 1950 begannen die ECA-Offiziellen, eine Verschiebung der Prioritäten in der Vergabe der Mittel in Richtung Konsumartikel, Wohnungen, Schulen oder Spitäler zu verlangen. In Washington glaubte man, „eine bessere Wohnungssituation und eine Überschwemmung des Landes mit Konsumgütern seien die beste Medizin gegen das Gift des Kommunismus“ Die Franzosen hielten jedoch an ihren Prioritäten der Modernisierung ihrer Wirtschaft fest, was ihnen auf längere Sicht auch mehr Unabhängigkeit gegenüber amerikanischer Einflußnahme gab. Zudem verschoben sich die amerikanischen Zielsetzungen mit dem Ausbruch des Koreakrieges dramatisch. Es kam zur Militarisierungdes Marshall-Plans. Die Prioritäten Washingtons in dieser Phase des offenen Kampfes gegen den Kommunismus in Asien wirkten sich auch in Europa aus in Richtung auf eine rasche Wiederbewaffnung des Kontinents. Auch in Frankreich wurde nun der größte Teil der amerikanischen MSA-Mittel (nach der Mutual Security Agency, der Nachfolgeorganisation des ERP benannt) ins Militärbudget gesteckt. Da Frankreich nicht nur in der NATO eine zentrale Rolle zu spielen hatte, sondern in Indochina einen Stellvertreterkrieg gegen den Weltkommunismus führte, ging die Hälfte aller MSA-Mittel an die Franzosen. Zugleich ging aber auch hier der endlose Kampf gegen den amerikanischen Interventionismus in ureigenste staatliche Belange -wie das Verteidigungsbudget -weiter. „Es war schon ironisch“, meint der amerikanische Historiker Irwin Wall, „daß der Korea-Krieg gerade in dem Moment dazwischen kam, als die ECA-Mission endlich dahingehend Erfolg hatte, wirklichen Druck zur Erhöhung der Sozialausgaben auf die Franzosen auszuüben“ Österreich In einem Witz heißt es, der Unterschied zwischen dem deutschen »und dem österreichischen Wirtschaftswunder nach dem Krieg sei, daß die Deutschen dafür gearbeitet hätten. Der Scherz sagt allerdings mehr über das Stereotyp des sprichwörtlichen Wiener laisser faire aus als über die Realitäten. Tatsache ist, daß das österreichische Wirtschaftswunder nach dem Krieg so beeindruckend wie das deutsche war. Im Falle Österreichs waren drei Hauptmerkmale entscheidend: Erstens, Hitlers und Görings Modernisierung der österreichischen Industrie während des Krieges; zweitens die amerikanischen Hilfsleistungen nach dem Krieg; drittens die große Arbeitsleistung der Aufbaugeneration, die gleichzeitig auch die Kriegsgeneration war und im Vorwärtsschauen und in der harten Arbeit wohl auch die Rückschau auf ihren Anteil an Hitlers Krieg vergessen machen wollte.

Frankreich und Österreich hatten jeweils den höchsten staatlichen Industrieanteil in Westeuropa -in Österreich betrug er ca. 50 Prozent. Das hatte auch damit zu tun, daß die Westalliierten der österreichischen Regierung erlaubten, das in ihren Zonen gelegene „deutsche Eigentum“ zu verstaatlichen, nachdem es die Sowjets in ihrer Zone im Juli 1946 an sich gerissen hatten, um es mittels „Reparationen aus laufender Produktion“ auszubeuten. Die Nationalsozialisten hatten in der „Ostmark“ vor allem in die Kriegsrüstung investiert und hinterließen daher eine modernisierte Schwerindustrie, die als „Paradeindustrie“ in die verstaatlichte österreichische Wirtschaft nach dem Krieg eingehen sollte. Folgt man dem U. S. StrategieBombing Survey, so überlebten auch in Österreich diese Industrien den alliierten Bombenhagel besser, als man ursprünglich dachte

Schon 1945 richtete die österreichische Regierung ein neues Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung sowie eine Kreditlenkungskommission ein, die (wie der Monnet-Plan in Frankreich) bis 1947 bereits Pläne für alle wichtigen Industriesektoren erstellt hatte. Österreich war deshalb -wie Frankreich -für das amerikanische Hilfsangebot besonders gut gerüstet, da die wesentliche Langzeitplanung und Prioritätenordnung bereits vor Marshalls Angebot feststand. Margarethe Ottillinger, die junge Ökonomin, die der Planungssektion vorstand (und die 1948 von den Sowjets verschleppt wurde und ihr Engagement für den Marshall-Plan in sowjetischen Straflagern „absaß“), stellte die Bedeutung der ERP-Mittel in den richtigen Rahmen: „Mit dem Wirksamwerden des Marshall-Planes hat die österrei-chische Wirtschaftsplanung die Möglichkeit, ihre Gedanken und Ideen in die Tat umzusetzen“

Selbst Alan Milward konzediert, daß Österreich ein Ausnahmefall war Der Marshall-Plan hatte wahrscheinlich in Österreich einen größeren Anteil an der Beschleunigung der wirtschaftlichen Rekonstruktion als in irgendeinem anderen ERP-Land. Obwohl die Zahlen für die österreichische Ostzone noch nicht gesichert sind, kann man sagen, daß die Amerikaner mit ihren etwa eineinhalb Milliarden Dollar wahrscheinlich ungefähr soviel in die drei Westzonen hineinsteckten, als die Sowjets aus ihrer Zone an Reparationen herausholten. Obwohl 81 Prozent der Mittel in den Westzonen investiert wurden, erhielt die österreichische Ostzone als einziges von den Sowjets kontrolliertes Gebiet in Europa ERP-Mittel. Man wollte verhindern, das Land mit den Marshall-Geldern zu teilen, da man zur selben Zeit ja schon über einen österreichischen Friedensvertrag verhandelte

Die Österreicher und die Deutschen hungerten nach dem Kriege und mußten bis 1947 mit den geringsten Lebensmittelrationen in Europa auskommen. Erst 1948 stiegen in Österreich die Tagesrationen auf über 2000 Kalorien Im Jahre 1946 produzierte die österreichische Landwirtschäft nur 60 Prozent der Nahrungsmittel (erst 1953 erreichte sie wieder ihre Produktionszahlen von 1933); die US-Hilfsmittel kamen für den Rest auf (im Jahre 1946 gab es Monate, in denen die UNRRA 80 Prozent der spärlichen Lebensmittel-rationen lieferte). Das ist auch der Grund, weshalb in Österreich drei Viertel der ERP-Lieferungen im ersten Jahr des Marshall-Plans für Lebensmitteleinfuhren aufgewandt wurden, was bei weitem der höchste A Prozent der Nahrungsmittel (erst 1953 erreichte sie wieder ihre Produktionszahlen von 1933); die US-Hilfsmittel kamen für den Rest auf (im Jahre 1946 gab es Monate, in denen die UNRRA 80 Prozent der spärlichen Lebensmittel-rationen lieferte). Das ist auch der Grund, weshalb in Österreich drei Viertel der ERP-Lieferungen im ersten Jahr des Marshall-Plans für Lebensmitteleinfuhren aufgewandt wurden, was bei weitem der höchste Anteil in Europa und keineswegs in der Intention der Marshall-Planer gelegen war, die auf reconstruction und nicht auf relief Wert legten 58.

Die ERP-Mittel waren in Österreich vor allem wichtig für die Überwindung der Engpaßbereiche. Der Energienotstand war in Österreich im Winter 1946/47 besonders drastisch, Ruhr-und polnische Kohle hielten die österreichische Industrie am Leben. Der Marshall-Plan war deshalb besonders wichtig für den Ausbau der heimischen Energiequellen 59. 1946 mußten 88 Prozent der österreichischen Importe aus Auslandshilfsmitteln finanziert werden, 1949 war es immer noch die Hälfte 60.

Wie im Falle Frankreichs waren in Österreich die Prioritäten der einheimischen Regierungen denen der ECA-Beamten oft diametral entgegengesetzt. Dementsprechend reagierte die österreichische Regierung, wenn die ECA-Beamten versuchten, direkt zu intervenieren und „wirtschaftspolitischen Nachhilfeunterricht“ zu geben. Man weigerte sich, amerikanischem Druck zur radikalen Stabilisierung der österreichischen Finanzen nachzugeben und drastische Budgetkürzungen vorzunehmen Die Regierung von Leopold Figl stemmte sich dagegen, Beamte zu entlassen, die Bundesbahn zu reorganisieren und den Geldumlauf zu beschneiden, um die Inflation einzudämmen. Die Österreicher hatten wohl ihre Lehren aus dem Fiasco mit deflationistischen Radikalkuren in den dreißiger Jahren gezogen. Der ECA-Chef in Wien mag so unrecht nicht gehabt haben, als er sich in Washington darüber beklagte, daß die Wiener Regierung „mehr um das Wohl der Beamten besorgt (sei), als um das des österreichischen Volkes“. Den amerikanischen Experten fehlte eben meist der Sinn für die dortigen Traditionen. In Wien weigerte man sich -wie in Paris -nach „einer ausländischen Pfeife zu tanzen“

Das amerikanische Verkennen der eigenständigen österreichischen Traditionen wird besonders augenfällig am Beispiel ihres Versuchs einer Produktivitätskampagne in Österreich, die im Jahre 1950 begann. Es gelang der ECA nicht, den österreichischen Kammerstaat und die Kartellmentalität abzubauen, zum Teil auch deshalb nicht, weil die ECA-Berater lieber mit den konservativen Kräften und der Industriellenvereinigung zusammenarbeiteten als mit den Sozialisten und den Gewerkschaften. So kam der productivity drive nur vereinzelt auf der betrieblichen Ebene zum Tragen, aber nie gesamtwirtschaftlich. Hier stießen die unterschiedlichen sozialpolitischen Traditionen aufeinander

Auf dem Sektor der Produktivitätskampagnen und deren Erfolg bzw. Mißerfolg in verschiedenen Ländern wird es in der zukünftigen Forschung noch weiterer Länderstudien bedürfen, um zu gesicherten Aussagen zu gelangen. Überhaupt sind differenzierende Länderstudien zu allen hier angeschnittenen Problemen der Auswirkungen des Marshall-Plans in Europa ein Desiderat der Forschung. Es wäre etwa zu untersuchen, wie sich die im Laufe der vier Jahre des Marshall-Plans oft schnell und dramatisch ändernden Ziele und Methoden der Amerikaner auf einzelne Länder ausgewirkt haben, wie dies Gerd Hardach für Deutschland erarbeitet hat (1948/49 -Wiederaufbau; 1949/50 -Integration; 1950/52 -gemeinsame Sicherheit)

Die Forschungen zum Marshall-Plan sind in den letzten Jahren auch auf Problemstellungen eingegangen, die hier nicht weiter ausgeführt werden konnten. Vor allem die Analysen über die Auswirkungen des ERP auf die europäische Integration haben bedeutende Fortschritte gemacht Wir wissen auch mehr über die Schattenseiten des Marshall-Plans, nämlich u. a. über die Unterwanderung des ERP durch die Central Intelligence Agency.

Vor allem während des Korea-Krieges mutierte das Wirtschaftsprogramm zur europäischen Rekonstruktion zunehmend zum Kampf gegen den Weltkommunismus Der Marshall-Plan spielte aber auch eine zentrale Rolle bei der Teilung Europas durch das Einfrieren des Handels mit Osteuropa über äußerst restriktive Handels-kontrollen (Stichwort COCOM) Die von den Sowjets verhinderte Teilnahme der osteuropäischen Länder wirft bis heute ihre Schattenseiten auf diese Volkswirtschaften, da sie sich immer noch nicht von ihrem Rückstand gegenüber Westeuropa erholt haben Die andauernde Faszination des Themas „Marshall-Plan“ hat wohl auch mit all diesen unterschiedlichen Sonnen-und Schattenseiten des europäischen Wiederaufbaus zu tun.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitat in: Donald W. White, The American Century. The Rise & Decline of the United States as a World Power, New Haven -London 1996, S. 190 f.

  2. Zit. ebd. Zur Fortführung dieser Tradition, die in den USA auch Exzeptionalismus genannt wird, im Kalten Krieg vgl. Geir Lundestads, Moralism, Presentism, Exceptionalism, Provincialism, and Other Extravagances in American Writings on the Early Cold War Years, in: ders., The American „Empire“ and Other Studies of US Foreign Policy in a Comparative Perspective, Oslo -Oxford 1990, S. 11-29; Götz-Dietrich Opitz, Manifest Destiny im Kalten Krieg. Die Inaugurationsreden US-amerikanischer Präsidenten im Spiegel des rhetorischen Millenialismus (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXXI, Bd. 216), Frankfurt a. M. -Berlin 1993.

  3. Vgl. D. White (Anm. 1), S. 191-196; Thomas G. Paterson, Soviet American Confrontation. Postwar Reconstruction and the Origins of the Cold War, Baltimore -London 1973; Gerd Hardach, Der Marshall-Plan, Auslandshilfe und Wiederaufbau in Westdeutschland 1948-1952, München 1994, S. 221.

  4. Vgl. vor allem Forrest C. Pogue, George C. Marshall. Organizer of Victory 1943-1945, New York 1973.

  5. Zitiert in: Robert J. Donovan, The Marshall Plan and the Postwar Revival of Europe, New York 1987, S. 31.

  6. Zitiert in: Joseph W. Alsop (mit Adam Platt), „Tve Seen the Best of It“. Memoirs, New York -London 1992, S. 281.

  7. Charles S. Maier, Einleitung, in: ders. /Günter Bischof (Hrsg.), Deutschland und der Marshall-Plan, Baden-Baden 1992, S. 20.

  8. Die klassische Darstellung der Entstehung des Marshall-Plans stammt von Achesons Mitarbeiter im State Department, Joseph Marion Jones, The Fifteen Weeks. An Inside Account of the Genesis of the Marshall Plan, New York 1955; Dean Acheson, Present at the Creation. My Years in the State Department, New York 1969, S. 226-235. Vgl. auch Forrest C. Pogue, George C. Marshall. Statesman 1945-1959, New York 1987, S. 161 -217; ders., Marshall und der MarshallPlan, in: C. S. Maier/G. Bischof (Anm. 7), S. 59-87. Die wichtigste Studie aus wirtschaftshistorischer Perspektive ist Alan S. Milward, The Reconstruction of Western Europe 1945-1951, Berkeley -Los Angeles 1984; Milward mißt allerdings den Folgen des harten Winters 1946/47 auf die Rekonstruktion der europäischen Volkswirtschaften weniger Bedeutung bei. Ein zeitgenössischer Beobachter schilderte die dramatischen wirtschaftlichen Probleme des Kontinents eindrucksvoll: Thomas A. Bailey, The Marshall Plan Summer, Stanford 1977.

  9. Vgl. Acheson an Kriegsminister Patterson, 5. März 1947, in: Foreign Relations of the United States (künftig FRUS) 1947, III S. 197 f.

  10. Vgl. Memorandum von Sherman S Shepard (Bureau of the Budget) vom 7. April 1947. in: ebd.. S. 199 f.

  11. Vgl. Report of the Special -Ad Hoc” Committee of the State-War-Navy Coordinating Committee vom 21. April 1947. Die zentrale Bedeutung dieses Memorandums für die Konzeption des Marshall-Plans wurde von der Forschung bereits früh erkannt: vgl. Scott Jackson. Prologue to the Marshall Plan: The Origins of the American Commitment for a European Recovery Program, in: Journal of American Histon. 65 (1979). S. 1043-1068. Melvyn Leffler hat in seinen Arbeiten mit Recht das Gewicht auf die strategischen Dimensionen des Marshall-Plans gelegt; vgl.ders,. The United States and the Strategy Dimensions of the Marshall Plan, in: Diplomatie Histon; 12 (1988). S. 277-306. und ders.. A Preponderance of Power. National Security, the Truman Administration. and the Cold War. Stanford 1992. S. 157-64.

  12. Vgl. die PPS Kennan-Memoranden vom 16. und 23. Mai 1947. FRUS, III. S. 220-230. und George E Kennan. Memoirs 1925-1950. New York 1967. S. 325 -353. Der Intellektuelle Kennan hat wie kein zweiter amerikanischer „Kalter Krieger” das Interesse der Intellektuellen auf sich gezogen: unter den vielen Studien herausragend in ihrer Ausgewogenheit Wilson D. Miscamble, George F. Kennan and the Making of American Foreign Policy 1947-1950, Princeton 1992, S. 43-74.

  13. Charles P. Kindleberger, Zur Entstehung des Marshall-Plans: Erinnerungen an die politischen Entwicklungen in Deutschland 1945-1947, in: C. S. Maier/G. Bischof (Anm. 7), S. 106-109; Walt W. Rostow, The Division of Europe after World War II 1946, Austin 1981; Günter Bischof, Historical Introduction, in: The German Economy 1945-1947. Charles P. Kindleberger’s Leiters from the Field, Westport -London 1989, S. IX-XXII; Martin Weil, A Pretty Good Club. The Founding Fathers of the U. S. Foreign Service, New York 1978, S. 201-219. Kindlebergers in Faksimile abgedruckten

  14. Vgl. Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948: Von der geteilten Kontrolle zur kontrollierten Einheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/88, S. 3-14; ders., Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948. Alliierte Einheit -deutsche Teilung?, München

  15. Vgl. Charles P. Kindleberger, Marshall Plan Days, London 1987, S. 157 f. und passim.

  16. Vgl. F. C. Pogue (Anm. 8), S. 233.

  17. Vgl. Michael Wala, The Council on Foreign Relations and American Foreign Policy in the Early Cold War, Providence -Oxford 1994, S. 91-139; ders. (Hrsg.), Allen W. Dulles, The Marshall Plan, Providence -Oxford 1993.

  18. Vgl. Ronald Steel, Walter Lippmann and the American Century, New York 1980, S. 440 f.; Kindleberger hat in seinem wichtigen „Memorandum for the Files: Origins of the Marshall Plan“ vom 22. Juli 1947 auf die Rolle der Kolumnisten aufmerksam gemacht, FRUS, III, S. 241-247; wiederabgedruckt in ders. (Anm. 15), S. 25-32, und Stanley Hoffmann/Charles S. Maier (Hrsg.), The Marshall Plan. A Retrospective, Boulder -London 1984, S. 115-121, und ders., The American Origins of the Marshall Plan: A View from the State Department, ebd., S. 7-13.

  19. Vgl. Clayton Memorandum vom 27. Mai 1947, FRUS, III, S. 230-232; Claytons Tochter Ellen Clayton Garwood hat die zentrale Rolle ihres Vaters betont; vgl. dies., Will Clayton, A Short Biography, Austin 1958; und jüngst Gregory A. Fossedal, Our Finest Hour. Will Clayton, The Marshall Plan and the Triumph of Democracy, Stanford 1993; auch Claytons Mitarbeiter Paul Nitze hat Claytons Rolle immer wieder betont; vgl.sein Vorwort zu dem Buch von G. A. Fossedal, ferner David Callahan, Dangerous Capabilities. Paul Nitze and the Cold War, New York 1990, S. 52-55.

  20. Vgl. Charles S. Maier, The Politics of Productivity: Foundations of American International Economic Policy after World War, in: ders., In Search of Stability. Explorations in Historical Political Economy, Cambridge 1987, S. 121-152; ders., Die konzeptuellen Grundlagen des Marshall-Plans, in: Othmar Nikola Haberl/Lutz Niethammer (Hrsg.), Der Marshall-Plan und die europäische Linke, Frankfurt a. M. 1986, S. 47-58; ders., Premises of the Recovery Program, in: Comite pour l’Histoire Economique et Financiere de la France (Hrsg.), Le Plan Marshall et le Relvement Economique de l’Europe, Paris 1993, S. 15-30. Michael J. Hogan legt den „Marshall Planem“ ein ähnliches technokratisch-korporatistisches Grundkonzept zugrunde; vgl.ders., The Marshall Plan. America, Britain, and the Reconstruction of Western Europe, 1947-1952, Cambridge 1987.

  21. Vgl. C. P. Kindleberger (Anm. 15), S. 157.

  22. Für den vorgesehenen Text vgl.den am 4. Juni an die Presse ausgegebenen Text, FRUS, III, S. 237-239; Marshalls Lesetext mit dem von Marshall geänderten Abschlußabsatz ist ein Ausstellungsstück im Museum der Marshall Library in Lexington, Virginia; Forrest C. Pogue zitiert daraus in seiner Marshall-Biographie (Anm. 8), S. 210-217; vgl.ders. in: C. S. Maier/G. Bischof (Anm. 7), S. 63-69. Der Text der Rede war am 6. Juni auch auf der Titelseite der New York Times zu finden.

  23. J. W. Alsop (Anm. 6), S. 282.

  24. Am aufschlußreichsten und detailliertesten zu Bevins zentraler Rolle in der Koordination der europäischen Antwort auf Stalins Angebot vgl. Alan Bullock, Ernest Bevin. Foreign Secretary 1945-1951, Oxford-London 1985, S. 393427; E C. Pogue (Anm. 8), S. 218-236; Scott D. Parrish, The Tum Toward Confrontation: The Soviet Reaction to the Marshall Plan, 1947 (Cold War International History Project, Working Paper No. 9), Washington 1994, S. 15 f.

  25. Vgl. S. D. Parrish, ebd., S. 14-22; dazu nun auch Vladislav Zubok/Constantine Pleshakov, Inside the Kremlin’s Cold War. From Stalin to Khrushchev, Cambridge (MA) -London 1996, S. 103-108; Vojtech Mastny, The Cold War and Soviet Insecurity. The Stalin Years, New York -Oxford 1996, S. 27-29; Albert Resis (Hrsg.), Molotov Remembers: Inside Kremlin Politics. Conversations with Felix Chuev, Chicago 1993, S. 61 f.

  26. Vgl. S. D. Parrish (Anm 24), S. 22-31; A. Resis (Anm. 25), S. 62.

  27. Vgl. Mikhail M. Narinsky, The Soviet Union and the Marshall Plan, Cold War International History Project, Working Paper No. 9, Washington 1994, S. 41 -51.

  28. Vgl. V. Zubok/C. Pleshakov (Anm. 25), S. 50 f.

  29. Vgl. V. Mastny (Anm. 25), S. 27.

  30. Über die weit auseinanderklaffenden Kalkulationen über die notwendigen Mittel in Washington und den europäischen Hauptstädten vgl. Imanuel Wexler, The Marshall Plan Revisited. The European Recovery Program in Economic Perspective, Westport (CT) -London 1983, S. 9-24, 5770.

  31. Die interessantesten Arbeiten zur Durchsetzung des Marshall-Plans in der amerikanischen Öffentlichkeit stammen aus deutscher Feder, nämlich die von M. Wala (Anm. 17); vgl.ders., Selling the Marshall Plan at Home: The Committee for the Marshall Plan to Aid European Recovery, in: Diplomatie History, 10 (1986), S. 247-285.

  32. Vgl. E C. Pogue, in: C. S. Maier/G. Bischof (Anm. 7), S. 76-87; ders. (Anm. 8), S. 237-257.

  33. Zitiert in: V. Zubok/C. Pleshakov (Anm. 25), S. 105.

  34. Es ist der große Verdienst von Alan S. Milward (Anm. 8), daß er auf Grundlage seiner beeindruckenden multinationalen Archivrecherchen zu differenzieren weiß und wie kein anderer die Spezifika aller Teilnehmerländer in seine Forschungen mit einbezieht.

  35. Vgl. Geir Lundestad, Empire by Invitation? The United States and Western Europe, 1945-1952; in: Journal of Peace Research, 23 (1986), S. 263-277; Reinhold Wagenleitner, Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 1991; Robert Frank, The French Dilemma: Modernization with Dependence or Independence and Decline, in: Josef Becker/Frank Knipping (Hrsg.), Power in Europe? Great Britain, France, Italy and Germany in a Postwar World, 1945-1950, Berlin -New York 1986, S. 263-281.

  36. Die Gesamtzahlen unterscheiden sich bei den verschiedenen Autoren, da diese die Statistiken verschiedener Berichtszeiträume berücksichtigen. Die USA vergaben insgesamt 13-14 Mrd. Dollar im ERP. Zu den Hilfen an die einzelnen Länder vgl. G. Hardach (Anm. 3), S. 244 f., zu den pro-Kopf -Überweisungen vgl. Günter Bischof, Foreign Aid and Austria’s Economic Recovery after World War II, in: Werner J. Feld (Hrsg.), New Directions in Economic and Security Policy, Boulder -London 1985, S. 86 (basierend auf einem weit ausführlicheren unveröffentlichten Seminaraufsatz).

  37. Vgl. A. S. Milward (Anm. 8), S. 96 f.

  38. Vgl. Henry Pelling, Britain and the Marshall Plan, London 1988.

  39. Vgl. Helge Pharo, The Marshall Plan and the Modernization of the Norwegian Economy, in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 591-606.

  40. Vgl. Antoine Fleury, Le Plan Marshall et Economie Suisse, und Georges Stathakis, The Marshall Plan in Greece, ebd., S. 549-554; 577-590.

  41. Vgl. Theodore White, Fire in the Ashes. Europe in Mid-Centruy, New York 1953, S. 67; ders., In Search of History. A Personal Adventure, New York 1978, S. 347 -402.

  42. Vgl. R. Frank (Anm. 3).

  43. Vgl. Irwin M. Wall, The United States and the Making of Postwar France, 1945-1954, Cambridge -New York 1991; William Burr, Marshall Planners and the Politics of Empire: The United States and French Financial Policy, 1948, in: Diplomatie History, 15 (1991), S. 495-552; Chiarella Esposito, America’s Feeble Weapon. Funding the Marshall Plan in France and Italy, 1948-1950, Westport (CT) -London 1994, sowie die hervorragenden Aufsätze zu Frankreich in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 129-358.

  44. Ch. Esposito, ebd., S. 6; vgl. dazu auch die Aufsätze von Michael Hogan, Thomas A. Schwartz und Raymond Poidevin in: C. S. Maier/G. Bischof (Anm. 7), S. 139-250, 371-400. Zum weit positiveren Bild der französischen Deutschland-politik, als es von John Gimbel gezeichnet wurde (The Origins of the Marshall Plan, Stanford 1976), vgl. Heike Bungert,

  45. Vgl. Michael J. Hogan, American Marshal] Planners and the Search for a European Neocapitalism, in: American Historical Review, 90 (1985), S. 44-72.

  46. Vgl. I. M. Wall (Anm. 46), S. 158-172; Ch. Esposito (Anm. 46).

  47. Vgl. J. M. Wall (Anm. 46), S. 180.

  48. Vgl. Irwin M. Wall, in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 139.

  49. Ebd., S. 139-142; Ch. Esposito (Anm. 46), S. 91-119; zur „Militarisierung“ der USA nach dem Krieg vgl. Chester J. Pach, Jr., Arming the Free World. The Origins of the United States Military Assistance Program, 1945-1950, Chapel Hill 1991; Michael S. Sherry, In the Shadow of War. The United States since the 1930s, New Haven -London 1995.

  50. Vgl. U. S. Strategie Bombing Survey, The Effects of Strategie Bombing on the Germän War Economy, October 31, 1945; ders., Over-all Report (European War), September 30, 1945

  51. Siegrid Hollerer, Verstaatlichung und Wirtschaftsplanung in Österreich (1946-1949), Wien 1974, S. 165; Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft 1938-1945, Stuttgart 1945; Hermann Freudenberger/Radomir Luza, National Socialist Germany and the Austrian Industry, 1938-1945, in: William E. Wright (Hrsg.), Austria since 1945, Minneapolis 1982, S. 96 ff.; zur „regressiven Modernisierung“ in der NS-Zeit vgl. Emst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 348-362; Günter Bischof, Der Marshallplan und Österreich, in: Zeitgeschichte, 17 (1990), S. 463-474.

  52. Vgl. A. S. Milward (Anm. 8), S. 112; zu den Vorteilen, die Österreich aus seiner „Sonderfall“ -Position erwuchsen, vgl. Florian Weiß, Die schwierige Balance. Österreich und die Anfänge der westeuropäischen Integration 1947-1957, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VJZ), 42 (1994), S. 71-94.

  53. Vgl. Wilfried Mähr, Der Marshall-Plan in Österreich, Graz -Wien 1989; Franz Nemschak, Zehn Jahre österreichische Wirtschaft 1945-1955, Wien 1955; Fritz Weber, Österreichs Wirtschaft in der Rekonstruktionsphase nach 1945, in: Zeitgeschichte, 14 (1987), S. 267-298; Günter Bischof, Between Responsibility and Rehabilitation; Austria in International Politics 1940-1950, Diss., Harvard University 1989; Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall: Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1995, Granz -Wien 1979.

  54. Es ist eine groteske Verdrehung der Geschichte und eine radikale_Umkehrung der gesamten Historiographie zu diesem Thema, das Hungerleiden in Mitteleuropa nicht den Zerstörungen des von Hitler verursachten Krieges, sondern den Amerikanern anzulasten, wie das der kanadische Publizist James Bacque tut; vgl.ders., Der geplante Tod, Berlin 1990; ders., Verschwiegene Schuld, Berlin 1995.

  55. Vgl. G. Bischof (Anm. 36), S. 84 f.

  56. Vgl. Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, (1953) 5, S. 164; F. Nemschak (Anm. 56), S. 24.

  57. Vgl. Wilfried Mähr, Der Marshallplan in Österreich: Tanz nach einer ausländischen Pfeife?, in: Günter Bischof/Josef Leidenfrost (Hrsg.), Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949, Innsbruck 1988, S. 245272.

  58. Vgl.den für die österreichische Marshall-Plan-Forschung bahnbrechenden Aufsatz von Kurt Tweraser, Marshallplan, Sozialpartnerschaft und Produktivität in Österreich, in: Thomas Albrich u. a. (Hrsg.), Österreich in den Fünfzigern, Innsbruck -Wien 1995, S. 211-236; zum sehr mäßigen Erfolg der Produktivitätskampagne in Großbritannien vgl. Anthony Carew, Labour under the Marshall Plan. The Politics of Productivity and the Marketing of Management Science, Manchester 1987; vgl. ferner Richard F. Kuisel, The Marshall Plan in Action. Politics, Labor, Industry and the Program of Technical Assistance, in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 335-358.

  59. Vgl. G. Hardach (Anm. 3), S. 164, 241 ff.

  60. Vgl. Barry Eichengreen (Hrsg.), Europe’s Post-war Recovery, Cambridge 1995; Helge Berger/Albrecht Ritschl, Die Rekonstruktion der Arbeitsteilung in Europa. Eine Sicht des Marshallplans in Deutschland 1947-1951, in: VJZ, 43 (1995), S. 472-519; die Aufsätze von Pierre Melandri und Alan Milward, in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 623-650; für Österreich die Aufsätze von Florian Weiß und Günter Bischof, in:

  61. Vgl. Sallie Pisani, The CIA and the Marshall Plan, Lawrence (KS) 1991; Richard J. Aldrich, OSS, CIA and European Unity; The American Committee on United Europe, 1948-1960, in: Diplomacy & Statecraft, 8 (1997), S. 184-228; vgl. auch die jüngst erschienenen Memoiren des stellvertretenden Direktors des ECA-Washington Bureaus Richard M. Bissel Jr., Reflections of a Cold Warrior. From Yalta to the Bay of Pigs, New Haven -London 1996, S. 30-73.

  62. Vgl. Annie Lacroix-Riz, Plan Marshall et Commerce Est-Ouest: Continuites et Ruptures, in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 651-683; für Österreich, das als traditioneller Handelspartner Ostmitteleuropas unter diesen Auflagen besonders litt, vgl. Amo Einwitschläger, Amerikanische Wirtschaftspolitik in Österreich 1945-1949, Wien -Köln 1986.

  63. Zu den osteuropäischen Volksdemokratien und dem Marshall-Plan vgl. die Aufsätze von Jifi Kosta (zur Tschechoslowakei) und Othmar Nikola Häberl (zu Jugoslawien) in: O. N. Haberl/L. Niethammer (Anm. 20), S. 165-186, 313335; Martin Goldsmith-Zaimov (Bulgarien) und Alice Teichova (Tschechoslowakei), in: Le Plan Marshall (Anm. 20), S. 99-118; Sheldon Anderson, Poland and the Marshall Plan, 1947-1949. in: Diplomatie History, 15 (1991), S. 473-494.

Weitere Inhalte

Günter Bischof, Mag. Phil. (Innsbruck), M. A. (New Orleans, Harvard), PhD (Harvard), geb. 1953; Associate Professor of History und Associate Director des Eisenhower Center, University of New Orleans; 1992-1994 Gastdozent am Amerika Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Josef Leidenfrost) Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945-1949, Innsbruck 1988; (Hrsg. zus. mit Stephen E. Ambrose) Facts against Falsehood. Eisenhower and the German POWs, Baton Rouge 1992; (Hrsg. zus. mit Charles S. Maier) Deutschland und der Marshall Plan, Baden-Baden 1993; (Hrsg. zus. mit Rolf Steininger und Jürgen Weber) Die doppelte Eindämmung. Deutsche Frage und europäische Sicherheit, München 1993; (Hrsg. zus. mit Robert Dupont) The Pacific War Revisited, Baton Rouge 1997; (Hrsg. zus. mit Anton Pelinka) Contemporary Austrian Studies (5 Bde.), New Brunswick, NJ, 1993 ff.