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Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten des Föderalismus in Deutschland | APuZ 24/1997 | bpb.de

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APuZ 24/1997 Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten des Föderalismus in Deutschland Die Auswirkungen der EU-Integration auf den Föderalismus in Deutschland Der Finanzausgleich im deutschen Föderalismus Gestörtes Gleichgewicht: Die Gefährdung der politischen Autonomie von Ländern und Gemeinden durch Kostenverlagerungen

Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten des Föderalismus in Deutschland

Ursula Männle

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Föderalismus ist im Grundgesetz als das tragende politische Strukturprinzip unaufhebbar verankert. Zu den Besonderheiten des bundesdeutschen Föderalismus zählen insbesondere die starke Position des Bundes sowie die enge Verflechtung von Bund und Ländern in der Gesetzgebung und bei der Verteilung der Kompetenzen. Der Bundesrat ist das Verfassungsorgan, über das die Länder an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Die bundesstaatliche Ordnung hat sich im Laufe der Entwicklung gewandelt. Die beiden Elemente Unitarisierung und Kooperation haben eine immer stärkere Ausprägung erfahren. In der politischen Praxis beeinträchtigte der Zug zu einer bundeseinheitlichen Gesetzgebung und der starke Zwang zur Zusammenarbeit zunehmend die eigenverantwortlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Länder-regierungen und der Länderparlamente. Die Grundgesetzänderung von 1994 stoppte diese Entwicklung. Die Reformen in der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung haben die Befugnisse des Bundes bei der Gesetzgebung eingeschränkt. Der zentrale Punkt dieser Reform ist die Ersetzung der „Bedürfnisklausel“ in Art. 72 GG durch eine Erforderlichkeitsklausel. Den Ländern hat die Grundgesetzänderung neuen Gestaltungsspielraum gebracht. Sie eröffnet ihnen die Möglichkeit, Gesetzgebungskompetenzen vom Bund auf die Länder zu verlagern. Die Rückholung von Kompetenzen im legislativen Bereich ist für die Länder ein erster Schritt, die Vorteile des Wettbewerbs für die eigene politische Entwicklung zu nutzen. Eine Neugliederung der Länderstruktur und eine Neufassung des horizontalen und vertikalen Finanzausgleichs sind weitere Reformziele auf dem Weg zu einem modernen, kompetitiven Föderalismus.

Der Föderalismus in Deutschland hat eine lange Tradition. Abgesehen vom unitaristisch-zentralistischen Ein-Parteienstaat der Nationalsozialisten ist Deutschland fast stets ein „föderalistisches Gebilde“ gewesen. Der Föderalismus ist gewissermaßen „deutsches Schicksal“

Die lange Tradition bedeutet allerdings nicht, daß über dieses politische Ordnungsprinzip vollkommener Konsens, geschweige denn Klarheit besteht. Eine verbindliche Definition des Föderalismus gibt es nicht. Es handelt sich vielmehr um einen historischen Begriff, „als er in jeweils anderen Situationen, mit jeweils anderen Aufgaben und anderen Funktionen jeweils Unterschiedliches bedeutet“ Das herausstechende Merkmal des bundesdeutschen Föderalismus ist die doppelte Gewaltenteilung. Die zusätzliche vertikale Aufteilung der politischen Gewalten auf Bund und Länder ermöglicht mehr demokratische Mitwirkung und mehr Kontrolle der politischen Macht.

Das föderale System der Bundesrepublik ist im rechtlichen Rahmen des Grundgesetzes gefaßt. Es ist ein Indiz für die Dynamik und Flexibilität des Föderalismus, daß seit Bestehen der Bundesrepublik kein Bereich der Verfassung mehr Änderungen erfahren hat, als die Artikel über den Föderalismus. Seine Dynamik und Flexibilität sind auch heute wieder gefragt. In Deutschland stehen wir in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor neuen und großen Herausforderungen. Die Frage, die sich uns in Deutschland stellt, lautet: Hat unser föderales Ordnungssystem die nötige Bewegungsfreiheit, den veränderten Bedingungen wirkungsvoll begegnen zu können, oder müssen gar Neujustierungen an seinem verfassungsrechtlichen Rahmen vorgenommen werden?

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen

1. Parlamentarischer Rat und Verfassungskonvent Deutschland sollte nach dem Krieg ein föderal organisierter Staat werden. Das haben die Westalliierten in den „Frankfurter Dokumenten“ vorgegeben. Der Kernleitsatz in Dokument I -Verfassungsrechtliche Bestimmungen -forderte eine „Regierungsform des föderalistischen Typs“. Das war eindeutig und ließ dennoch einen weiten Spielraum.

Die Vorgaben der Alliierten entsprachen auch den deutschen Vorstellungen. Die deutschen Parteien hatten schon vor der Veröffentlichung der Frankfurter Dokumente Verfassungsentwürfe verabschiedet, in denen nicht zuletzt wegen der Erfahrungen durch die NS-Diktatur eine föderalistische Regierungsform antizipiert wurde. So unterschiedlich die Parteientwürfe waren, gemeinsam war allen Modellen eine relativ starke Position des Bundes gegenüber den Ländern.

Um eine stärkere Gewichtung der Länderinteressen bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat zu erreichen, beriefen die Ministerpräsidenten wenige Wochen vor Beginn der Tätigkeit des Parlamentarischen Rats den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee ein. Der Tagungsort und die große Zahl bayerischer Mitarbeiter dokumentieren die Bedeutung, die Bayern dem Konvent zumaß Bayern war einer der Meinungsführer im Kreis der Länder, die nach amerikanischem Vorbild eine weitgehende Trennung von Bund und Ländern und damit mehr föderale Eigenständigkeit anstrebten. Der Parlamentarische Rat entschied sich jedoch für die Lösung eines Bundesstaates, die dem Bund weitgehendere Kompetenzen einräumte, um gerade in der Aufbauphase nach dem Krieg ein einheitlichesdeutsches Rechts-, Wirtschafts-und Währungsgebiet zu schaffen.

Der Zug zur Vereinheitlichung, der dem föderalen Gedanken im Grundgesetz innewohnt, stand von Anfang an den bayerischen Vorstellungen nach mehr föderaler Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit entgegen. Das berühmte „Jein“ des Bayerischen Landtags bei der Annahme des Grundgesetzes war nur eine logische Konsequenz. Bayern fürchtete schon damals die verfassungsmäßige Einschränkung seiner eigenen Möglichkeiten durch eine dominante Bundesstaatlichkeit. Wie vorausschauend die bayerischen Einwände von damals waren, zeigt die gegenwärtige Föderalismusdebatte. 2. Bundesstaatliche Ordnung: Das Bundesstaatsprinzip im Grundgesetz Im Grundgesetz ist das Bundesstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegt. Es ist eines der tragenden Strukturprinzipien unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Folgerichtig wird es in Art. 79 Abs. 3 GG für unabänderlich erklärt. Die föderale Ordnung als rechtliche Struktur unseres Staates zieht sich durch alle Abschnitte des Grundgesetzes mit Ausnahme des Grundrechtsteils und ist durch folgende Verfassungsnormen und Grundsätze (Institute) ausgeformt:

-im Homogenitätsprinzip (Art. 28 Abs. 1, Abs. 3

GG), -im Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens (Art. 35 Abs. 1 GG, 109 Abs. 2 GG, 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, 2 GG), -in den Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder (Bundesaufsicht, Bundeszwang, Bundesintervention), -im Vorrang des Bundesrechts vor Landesrecht (Art. 31 GG), -in der Mitwirkung der Länder bei der Bundes-gesetzgebung (Bundesrat) und -in der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 30 GG, Art. 70 ff. GG)

Die Begrifflichkeit der Aufzählung spiegelt nicht nur die starke Stellung des Bundes im deutschen Föderalismus. In den beiden letzten Punkten wird ein zweites Kennzeichen des föderalen Systems in Deutschland sichtbar: die politische Verflechtung von Bund und Ländern. 3. Bundesrat: Mitwirkung der Länder bei der Bundesgesetzgebung Es gehört zum Wesen unseres Bundesstaates, daß die Länder auf die Gesetzgebung des Bundes durch den Bundesrat als föderatives Verfassungsorgan Einfluß nehmen können (Art. 50 ff. GG). Der Bundesrat hat wesentliche Mitwirkungsrechte. Dazu gehört das Recht zur Gesetzesinitiative gemäß Art. 76 Abs. 1 GG sowie die Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren bei Zustimmungs-bzw. Einspruchsgesetzen.

Zustimmungsbedürftig sind solche Gesetzesbeschlüsse, die das Bund-Länder-Verhältnis betreffen (z. B. Finanz-und Steuergesetze gemäß Art. 104 a, 105, 106, 107, 109, Gemeinschaftsaufgaben Art. 91 a GG, und Verfahren bei Gebietsänderungen Art. 29 GG). Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung der absoluten Stimmenmehrheit des Bundesrates. Gegen alle anderen Gesetzesbeschlüsse kann die Mehrheit des Bundesrates Einspruch einlegen, der jedoch durch einen nachfolgenden Beschluß des Bundestages mit absoluter Mehrheit zurückgewiesen werden kann.

Die starke Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren wird durch das Recht unterstrichen, gemäß Art. 77 Abs. 2 GG den Vermittlungsausschuß anzurufen. Der Vermittlungsausschuß kann dabei nicht nur bei Zustimmungsgesetzen, die der Bundesrat durch sein absolutes Veto sowieso zu Fall bringen könnte, sondern auch bei einfachen Gesetzen einberufen werden. 4. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern Die Aufteilung der politischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bewirkt eine weitere Verflechtung der politischen Ebenen. Im Grundgesetz ist die Verteilung lückenlos geregelt. Aber die Aufteilung führt nicht zu einer klaren Trennung der Zuständigkeiten zwischen Bund bzw. Ländern. Mit der vertikalen Kompetenzverteilung in Gesetzgebung (Art. 70 ff. GG), Verwaltung (Art. 83 ff. GG), Rechtsprechung (Art. 92 ff. GG) und der Zuständigkeit zur Erzielung von Staatseinnahmen (Art. 104 ff. GG) sowie mit der Beteiligung der Länder an der Bundesgesetzgebung über den Bundesrat haben wir in der Bundesrepublik einen interstaatlichen Föderalismus, der durch seine Verflechtung der Zuständigkeiten ein Zusammenwirken von Bund und Ländern notwendig macht.5. Gesetzgebungskompetenz Zur Zeit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 waren den Ländern im Bereich der Gesetzgebung mehr Kompetenzen zugedacht, als ihnen die Realität seit 1949 gewährt hat. Im Grundgesetz erhielten die Länder rein formal gemäß Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz, soweit nicht dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 73 GG eingeräumt worden ist oder er von der Befugnis zur Regelung der konkurrierenden Materien gemäß Art. 74 i. V. m. Art. 72 GG a. F. Gebrauch machte. Außerdem hat der Bund die Kompetenz in der Rahmen-gesetzgebung gemäß Art. 75 GG und im Bereich der Steuergesetzgebung gemäß Art. 105 GG.

Der Bereich derjenigen Materien, die der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegen, ist hingegen relativ klein. Aufzuzählen wären hier insbesondere das Landesverfassungsrecht, die kulturellen Angelegenheiten einschließlich Schul-und Bildungswesen (mit Ausnahme der Regelungsmöglichkeiten des Bundes gemäß Art. 74 Nr. 13, Art. 75 Nr. 1 a GG), das allgemeine Polizei-und Ordnungsrecht einschließlich des Bauordnungsrechts sowie das Kommunalrecht. Darüber hinaus verbleiben die Bereiche, für die der Bund nur eine Rahmenkompetenz gemäß Art. 75 GG hat, wie z. B. das Hochschulrahmengesetz und das Beamtenrechtsrahmengesetz. Die Wahrnehmung der Rahmengesetzgebungskompetenz durch den Bund hat den Ländern oft keinen oder wenig Raum zur Ausfüllung mit Regelungen von substantiellem Gehalt gelassen.

Die Befugnis des Bundes erschöpfte sich nicht in einer Art Richtlinienkompetenz. 6. Verwaltungskompetenz Die bedeutsamste Konkretisierung der Befugnisse der Länder enthält Art. 83 ff. GG, wonach die Länder die Bundesgesetze „als eigene Angelegenheit“ ausführen, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch bundeseigene Behörden erfolgt nur in Ausnahmefällen und wird in Art. 87 Abs. 1 GG auf wenige Bereiche beschränkt. Nur in einigen Fällen (Bundesautobahn, Bundesstraßen) werden die Länder verpflichtet, Bundesgesetze im Auftrag des Bundes auszuführen (Art. 85 GG). Der Regelfall ist hingegen die Ausführung der Gesetze als eigene Angelegenheit (Art. 83, 84 GG). Ein Vereinheitlichungsinstrument sieht das Grundgesetz allerdings auch hier vor. Nach Art. 84 Abs. 2 GG kann der Bund allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen und gemäß Art. 84

Abs. 3 ff. GG die Rechtsaufsicht bei der Ausführung von Bundesgesetzen ausüben.

II. Die bundesstaatliche Ordnung im Wandel

Die bundesstaatliche Ordnung, wie sie im Grundgesetz vorgegeben ist, hat sich im Laufe der Entwicklung gewandelt. Zwei Merkmale, die schon in der Verfassung erkennbar sind, kennzeichnen diesen Wandel: Unitarisierung und Kooperation. Beide Elemente haben eine immer stärkere Ausprägung erfahren. 1. Unitarisierung Hesse beschreibt schon 1962 das „Zurücktreten regionaler Besonderheiten zugunsten fortschreitender Angleichung des Rechtszustandes und der Lebensverhältnisse innerhalb des ganzen Bundesgebietes“ als Unitarisierung. Eine Vereinheitlichung des Rechtszustandes bewirkte die Eingliederung neuer Rechtsgebiete, die als Bundeskompetenzen in das Grundgesetz eingefügt wurden. Zu nennen wären als Beispiele die Kernenergie oder die Landesverteidigung. Diese Bereiche wurden richtigerweise aus unterschiedlichen sachlichen Gründen dem Bund zugeteilt, da sie im gesamtstaatlichen Interesse liegen. Der Einfluß der Länder in diesen Fällen ist gewahrt, weil diese Gesetzgebungskompetenzen für zustimmungspflichtig erklärt wurden. Über den Bundesrat besitzen die Länder die Möglichkeit, an der Ausgestaltung der entsprechenden Gesetze mitzuwirken. Anders als die Kompetenzerweiterung durch neue Rechtsgebiete hatte die extensive Ausweitung der konkurrierenden Gesetzgebung und Rahmengesetzgebung durch den Bund schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Beispiele, wie weit der Bund seine Kompetenz zur Rahmengesetzgebung auslegte, liefern das Hochschulrechtsrahmengesetz von 1976 oder das Beamtenrechtsrahmengesetz von 1957. In beiden Fällen wird den Ländern die Gesetzgebung bis ins kleinste Detail vorgeschrieben. Das Ergebnis ist eine Einheitlichkeit der Regelungen in diesen Bereichen im gesamten Bundesgebiet. Die Länder haben keinerlei Gestaltungsspielraum mehr.In diesem Zusammenhang kann man zu Recht von einer Aushöhlung der Länderzuständigkeiten sprechen. Indem sich der Bund auf die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ berief, war die Bedürfnis-klausel der bis November 1994 gültigen Fassung des Art. 72 GG wirkungslos Legitimiert wurde diese Vorgehensweise des Bundes durch die Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unterstützte den Bund durch eine sehr großzügige und weite Auslegung der Formulierungen des Grundgesetzes In der Forschung wird der „Abbau und die Schwächung territorial oder funktional differenzierter öffentlicher Gewalten zugunsten einer zentralen öffentlichen Gewalt“ auch als Zentralisierung bezeichnet. 2. Kooperativer Föderalismus Die Forderung des Grundgesetzes nach einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bei einem gleichzeitigen wirtschaftlichen und finanziellen Ungleichgewicht zwischen Bund und Ländern bzw. innerhalb der Länder machte eine Zusammenarbeit zwischen den föderalen Partnern notwendig, die seit den sechziger Jahren mit dem Begriff „kooperativer Föderalismus“ beschrieben wird. In der Praxis ist der kooperative Föderalismus ein „weitausgreifendes Verbundsystem [zwischen Bund und Ländern, bzw. zwischen den Ländern; U. M. ] in der Wahrnehmung der Aufgaben und Zuständigkeiten, das das im Grundgesetz von 1949 vorgesehene Trennsystem überlagerte und teilweise verdrängte“

Die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben durch die Verfassungsänderung 1969 markiert hier eine wesentliche Zäsur. Durch die neu in der Verfassung verankerte Mitwirkung des Bundes an Länderaufgaben (Art. 91 a/b GG) wurde die ursprünglich klare Aufgabenverteilung in Bereichen wie Hochschulbau, regionale Wirtschaftsstruktur, Agrarstruktur, Bildungsplanung und Bildungsförderung verwässert und zugunsten einer gemeinsamen Verantwortung aufgelöst.

Die Zusammenarbeit zwischen den föderalen Partnern vollzieht sich heute nicht nur auf den im GG vorgeschriebenen Gebieten, sondern auf freiwilliger Basis in einer ungeheuer großen Zahl von Gremien und Zusammenschlüssen. Eine Aufstellung des Landes Nordrhein-Westfalen ergab 1989 rund 330 Bund-Länder-Kommissionen und etwa 130 reine Ländergremien. Die Kooperation zwischen den Ländern findet dabei auf unterschiedlichsten Ebenen statt. Neben der Ministerpräsidentenkonferenz gibt es die Treffen der Chefs der Senats-und Staatskanzleien (CdS), Fachminister-konferenzen und Koordinationsarbeiten auf ministerieller Ebene.

Die Auswirkungen der Arbeit der Kommissionen und Gremien auf die politischen Entscheidungen ist nur schwer meßbar. Vieles vollzieht sich im Informellen. Ein wichtiger Punkt dieser freiwilligen Kooperation ist aber, daß Entscheidungen einstimmig herbeigeführt werden. Auch wenn bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern eine qualifizierte Mehrheit ausreichend wäre, die Gleichberechtigung der Länder untereinander wie auch zwischen Bund und der Gesamtheit der Länder machen faktisch die Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips erforderlich. Diese Form der Kooperation erzwingt nicht selten einen Konsens auf der Basis eines Minimalkompromisses. Die Kehrseite der Medaille: Je enger die Kooperation ist.desto größer ist auch die Einschränkung der Gestaltungsspielräume der einzelnen Länder.

Die enge Zusammenarbeit zwischen den föderalen Partnern hat sich durch die fortschreitende europäische Integration weiter verdichtet. Die Öffnungsklausel in Art. 24 Abs. 1 GG ermöglichte es dem Bund, Hoheitsrechte der Länder auf die EG zu übertragen. Das schränkte die Einflußmöglichkeit des Bundesrates und damit der Länder wesentlich ein. Sie hatten weder Sitz noch Stimme bei den Beratungen und Entscheidungen der EG. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 gelang es den Ländern, in Art. 2 eine gesetzliche Verankerung ihrer innerstaatlichen Mitwirkungsrechte zu erreichen. Seit der Gründung der Europäischen Union (EU) regelt das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der EU das Verfahren. In Art. 23 GG ist die Beteiligung des Bundesrates an der Willensbildung kodifiziert.Die Mitwirkung der Länder in europäischen Angelegenheiten war das erste Reformthema der Gemeinsamen Verfassungskommission. Die Hoffnung, hier schnell zu einer Einigung zu kommen, war allerdings trügerisch. Die schwierigen Verhandlungen endeten in einem Kompromiß. Das zeigt sich schon an der bloßen Länge des Artikels und an der Notwendigkeit zu einem gesonderten Ausführungsgesetz. Trotz seiner Ausführlichkeit regelt der Art. 23 GG (neu) in der politischen Praxis nicht alle Fälle zweifelsfrei, wann und in welchem Umfang die Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken können.

III. Die Grundgesetzänderung von 1994

Wesentliche Gesetzgebungskompetenzen waren durch Unitarisierung und Kooperation auf Kosten der Länder vereinheitlicht und mehr und mehr auf den Bund verlagert worden. Diese Entwicklung wurde durch die Grundgesetzänderung vom 27. Oktober 1994 gestoppt. Die Vorgaben des Einigungsvertrages (Art. 5 EinigungsV) machten eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Die Länder sahen darin eine Chance, ihrer Forderung nach einer Stärkung des Föderalismus neues Gewicht zu verleihen. Auf Seiten der Länder bestand seit langem ein starkes Bedürfnis nach einer Korrektur der Verfassungsrealität. Einen besonderen Ausdruck fanden die Länderinteressen in dem gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, in dem sie mit Sorge zur Kenntnis nahmen, daß Verfassung und Verfassungswirklichkeit durch zentralistische Entwicklungen und zunehmende Aushöhlung der Kompetenz der Länder gekennzeichnet waren

Die Länder drängten vor allem auf eine Änderung von Art. 72 GG, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hatte, daß der Bund besonders im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung verstärkt seine Befugnisse ausgedehnt hatte und sich dabei auf eine extensive Auslegung der Bedürfnisklausel in Art. 72 Abs. 2 GG, gedeckt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, stützen konnte. Außerdem sollte durch eine Neufassung von Art. 75 GG sichergestellt werden, daß der Bund in der Rahmengesetzgebung den Ländergesetzgebern ausreichend Gestaltungsspielraum beläßt. Ausgangspunkt für die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) von Bundesrat und Bundestag waren im wesentlichen die Vorschläge der Kommission „Verfassungsreform“ des Bundesrates, die eine grundlegende Reform des Art. 72 GG empfohlen hatte, nämlich nicht nur die Bedürfnisklausel zu verschärfen, sondern auch alle Gesetze der Zustimmungspflicht durch den Bundesrat zu unterwerfen. Bei den Beratungen der GVK zeigte sich von Anfang an, daß nicht die üblichen Parteigegensätze die Grenzlinie markierten. Die Trennlinie verlief zwischen Bund und Ländern. Erwähnenswert erscheint die Tatsache, daß die Geschlossenheit der Länder an der Formulierung der Bedürfnisklausel bröckelte. Hier brach eine deutliche Differenz zwischen den westlichen und östlichen Ländern auf. Die neuen Länder befürchteten eine Schlechterstellung im Falle der Aufgabe der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zugunsten der Gleichwertigkeit Ergebnis der Beratungsarbeiten war eine Änderung des Bund-Länder-Verhältnisses in Art. 72 und 75 GG im Sinne der Länder. 1. Reformen in der konkurrierenden Gesetzgebung

Art. 72 Abs. 1 GG ändert die zeitliche Sperrwirkung dahingehend, daß nunmehr nicht jede Gesetzesinitiative im Bund bereits die Wirksamkeit eines Landesgesetzes der gleichen Materie verhindert. Die Sperrwirkung soll vielmehr erst nach Abschluß der Bundesgesetzgebung eintreten Daneben enthält die Norm nun auch eine inhaltliche Sperrwirkung. Eine Gesetzgebungskompetenz der Länder scheidet aus, wenn der Bundesgesetz-geber eine Materie erschöpfend geregelt hat Schwerpunkt der Grundgesetzänderung ist die Reform der „Bedürfnisklausel“ in Art. 72 Abs. 2 GG und deren Ersetzung durch eine Erforderlichkeitsklausel. Nach der alten Fassung hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts-oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Mit der Neuregelung wird nicht nur von der Wahrung der Wirtschaftseinheit abgerückt, vielmehr wird auch die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als Gesetzgebungsvoraussetzung aufgegeben. An ihre Stelle tritt die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Der Bund soll demnach lediglich dann die Kompetenz haben, wenn nicht schon die Länder von sich aus den Standard gleichwertiger Lebensverhältnisse erreichen können. Unterschiedliche Regelungen der Länder schließen somit gleichwertige Lebensverhältnisse nicht aus. Eine bundesgesetzliche Regelung wird regelmäßig zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht erforderlich sein, weil diese durch Regelungen der Länder erreichbar sind

In Art. 72 Abs. 3 GG wurde eine Rückübertragungsbefugnis eingeführt, die aus Gründen der Rechtssicherheit und der Konfliktvermeidung dem Bund die Bestimmung überläßt, ob und wann bei Wegfall der Erforderlichkeit eine bundesgesetzliche Regelung durch Landesgesetz ersetzt werden kann. Die Rückübertragung hat durch Bundesgesetz zu erfolgen, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Gleichwohl hat der Bundesrat auch hier ein Initiativrecht gemäß Art. 76 Abs. 1 GG 2. Reformen in der Rahmengesetzgebung Im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes blieb den Ländern oft nur wenig Raum zur Ausfüllung mit Regelungen von substantiellem Gehalt. Durch die Änderung des Art. 75 GG soll die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes eine schärfere Konturierung und nachhaltige Sicherung ihres Rahmencharakters etwa in Anlehnung an die EG-Richtlinienkompetenz erhalten Rahmenvorschriften dürfen nur mehr in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten. Der Bund kann Rahmenvorschriften nur unter den Voraussetzungen des Art. 72 GG erlassen. Mit dem Verweis in Art. 75 Abs. 1 GG auf Art. 72 Abs. 3 GG ist die Rückübertragungsbefugnis des Art. 72 Abs. 3 GG anwendbar. 3. Zusätzliches Normenkontrollverfahren Die Justitiabilität der Erforderlichkeitsklausel nach Art. 72 Abs. 2 GG wird durch die Einführung eines weiteren Falls der abstrakten Normenkontrollklage in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG gewährleistet. Neben dem Bundesrat und den Landesregierungen erhalten auch die Landesparlamente erstmals das Recht zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. Im Hinblick auf den vielfältigen Beurteilungsspielraum des Bundes ist die Justitiabilität allerdings faktisch beschränkt 4. Übergangsvorschriften Nach Art. 125 a Abs. 2 GG gilt das gesetzte Bundesrecht fort. Es kann nach Art. 125 a Abs. 2 Satz 2 GG nur durch Landesrecht ersetzt werden, wenn dies zuvor durch den Bundesgesetzgeber bestimmt worden ist, das nicht der Zustimmung des Bundes-rates bedarf. Gleichwohl hat der Bundesrat auch hierfür ein Initiativrecht. Auch hier ist es nicht erforderlich, daß alle Länder das Bundesrecht ersetzen, ebensowenig bedarf es gleichlautender Landesregelungen.

Die Änderungen am Grundgesetz sind ein erster wichtiger Schritt, das politische Ordnungssystem in Deutschland an die veränderten Bedingungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen. Die Öffnung der Grenzen und die Globalisierung der Wirtschaft zwingt zunehmend auch die Staaten in einen Wettbewerb der Standorte. Erfolgreich wird in diesem Wettstreit nur sein, wer fähig zu kreativen, flexiblen und raschen Lösungen ist.

Die Wirtschaft setzt in der Situation des verschärften Wettbewerbs auf Dezentralisierung und die Verlagerung von Verantwortlichkeit auf kleinere Einheiten. Je größer und unüberschaubarer die Strukturen, um so essentieller sind kleine Einheiten, wo rasch Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden können. Kleine regionale Strukturen gewährleisten eine bessere und übersichtliche Steuerung der Abläufe und ermöglichen differenzierte Lösungen entsprechend den Bedürfnissen des jeweiligen Landes.

Auf den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit übertragen, heißt das: Die Länder müssen in die Lage versetzt werden, schnelle staatliche Entscheidungen zu treffen, die effizient sind und den regionalen Gegebenheiten entsprechen. Der Bürger erhält zudem einen stärkeren Bezug zu den politischen Prozessen, die ihn direkt betreffen. Politische Verantwortung wird nachvollziehbar.

IV. Neue Gestaltungsmöglichkeiten für die LänderMehr Eigenverantwortlichkeit der Länder bedeutet mehr Wettbewerb zwischen den Ländern. Mit der Differenzierung der Problemlösungen wird ein Anreizmodell geschaffen, in dem die Unterschiedlichkeit der politischen Ideen und Ausgestaltungen ausprobiert und ausgetauscht werden können. Die Vorteile des Konkurrenzföderalismus liegen zum einen in dem demokratischen Potential durch die Stärkung der Landesparlamente, zum anderen in der gesteigerten Funktionsfähigkeit der politischen Prozesse Die Länder sind zukünftig in der politischen Verantwortung, vorhandene Möglichkeiten verstärkt zu nutzen. Die durch die Grundgesetzänderung möglich gewordene Rückholung von Gesetzgebungskompetenzen in die Länderhoheit schafft für die Länder neue Gestaltungsmöglichkeiten. 1. Rückholung von Gesetzgebungskompetenzen Die Grundgesetzänderung, insbesondere die Neu-fassung von Art. 72 und Art. 75 GG, hat die in Art. 70 GG verankerte Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gestärkt. Die Voraussetzungen, unter denen der Bund gesetzgeberisch tätig werden darf, wurden restriktiver gefaßt. Altes Bundesrecht gilt zwar fort, kann aber, wenn es nach der Neuregelung so nicht mehr erlassen werden könnte, durch Landesrecht ersetzt werden (Art. 125 a Abs. 2 GG). Dazu ist ein entsprechendes Bundesgesetz notwendig, das Öffnungsklauseln für den Landesgesetzgeber enthält.

Die neue Gesetzeslage allein führt jedoch nicht automatisch zur Rückgewinnung von Gesetzgebungskompetenzen für die Länder. Die Initiative zu dieser Reföderalisierung müssen die Länder selbst ergreifen, weil nicht zu erwarten ist, daß der Bundesgesetzgeber von sich aus Bundesrecht in größerem Umfang den Ländern zur Abänderung freigibt.

Die Länder sind nunmehr in der Lage, durch eine länderübergreifende Bundesratsinitiative zu artikulieren, daß ihre Klagen über die entstandene schleichende Aushöhlung der Länderkompetenzen und des föderalen Prinzips ernst zu nehmen sind. 2. Vorteile der Rückübertragung in Landesrecht Für eine Rückübertragung von Gesetzesmaterien in das Landesrecht sprechen vor allem drei Gesichtspunkte: -Der föderale Wettbewerb der Länder um innovative Lösungen wird verstärkt. Notwendige Entscheidungen des Gesetzgebers können rascher erfolgen, weil Blockaden im Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene (Bundesrat)

vermieden werden.

-Die landesrechtlichen Regelungen können den regionalen Besonderheiten angepaßt werden.

-Das Selbstverständnis der Legislativorgane der Länder wird gestärkt.

Bayern hat aus diesen Gründen im Frühjahr 1995 vorgeschlagen, über den Bundesrat eine Gesetzesinitiative in Form eines Artikelgesetzes gemäß Art. 125 a Abs. 2 Satz 2 GG einzubringen, mit dem in entsprechenden Rechtsgebieten durch Bundesrecht eine Öffnungsklausel für den Landesgesetz-geber angestrebt wird. Die Chefs der Staatskanzleien und Senatsverwaltungen haben Bayern beauftragt, zu diesem Zweck Möglichkeiten zur Rückübertragung von Bereichen des Bundesrechts in das Landesrecht zu prüfen und Vorschläge zu unterbreiten. 3. Rückholbare Rechtsgebiete Die in Bayern eingesetzte interministerielle Arbeitsgruppe, die mit der Untersuchung befaßt ist, hat unter anderem für folgende Bereiche eine Öffnungsklausel vorgeschlagen:

Hochschulrahmenrecht Vor allem für das Hochschulorganisationsrecht sollte eine Öffnungsklausel vorgesehen werden. Bundesrechtlich vorgegebene Einheitsmodelle für Organisation und Verwaltung sind nicht mehr geeignet, dem expandierten und differenzierten Hochschulwesen in der Bundesrepublik gerecht zu werden. Forderungen nach Wettbewerb der Hochschulen, Professionalisierung des Hochschulmanagements sowie der Flexibilität des Mitteleinsatzes müssen in Modellen erprobt werden, die von den Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes abweichen.

Sozialrecht Die Eröffnung der Zuständigkeit für die Länder sollte für Teile des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) angestrebt werden. Insbesondere sollte auf bundeseinheitliche Sozialhilferegelsätze verzichtet werden (§ 22 BSHG), um regionale Besonderheiten berücksichtigen zu können. Einheitliche Regelsätze können dem Individualisierungsgebot und dem Abstandsgebot widersprechen, weil die Sozialhilfe insbesondere in wirtschaftlichen Problemregionen mehr als bisher an die Arbeitsein kommen unterer Lohngruppen heranreicht. Außerdem wäre eine Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich der Krankenhausfinanzierung wünschenswert.

Bauplanungsrecht In den Bereichen Teilungsgenehmigung, gesetzliches Vorkaufsrecht der Gemeinden, Bodenordnung, Enteignung, Erhaltungssatzung und städtebauliche Gebote sollte den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit eröffnet werden.

Versammlungsrecht Weder zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse noch zur Wahrung der Rechts-oder Wirtschaftseinheit ist es erforderlich, daß im gesamten Bundesgebiet dasselbe Versammlungsrecht gilt. Eine bundesrechtliche Regelung wäre nur dann nötig, wenn die Bürger bei landesrechtlichen Regelungen nicht mehr unter gleichen Voraussetzungen von ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen könnten. Dies ist allerdings nicht zu erwarten, weil der Rahmen für landesrechtliche Ausführungsgesetze durch Art. 8 GG und die Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben ist.

Gentechnikrecht Die Länder sind in diesem Bereich im Vergleich zum Bund besser in der Lage, den ohnehin eng gesetzten Spielraum, den die EG-Richtlinien den Mitgliedstaaten einräumen, durch eine auf die landesspezifischen Gegebenheiten und die jeweiligen Verwaltungsorganisationen zugeschnittene normative Regelung auszufüllen. Dies gilt sowohl für die materiellen wie auch für die verfahrensrechtlichen Vorgaben.

Der von der interministeriellen Arbeitsgruppe in Bayern erarbeitete Vorschlag für ein Artikelgesetz zur Rückholung von Gesetzgebungskompetenzen ist von der bayerischen Staatsregierung bereits zustimmend zur Kenntnis genommen und den Regierungschefs der Länder vorgelegt worden. Die Chefs der Staats-und Senatskanzleien der Länder haben im Februar 1997 beschlossen, eine länderoffene Arbeitsgruppe einzusetzen, die bis Oktober 1997 auf der Grundlage des bayerischen Gesetzesentwurfs einen Vorschlag für einen gemeinsamen 16-Länder-Antrag im Bundesrat erarbeiten soll. 4. Neugliederung der Länderstruktur und Reform der Finanzverfassung Eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten im legislativen Bereich sind Voraussetzung für einen kompetitiven Föderalismus. Dieser Wettbewerb kann jedoch nur funktionieren, wenn sich die Länder als leistungsfähige und unabhängige Wettbewerbs-partner gegenüberstehen. Die Länder müssen von ihrer Größe und ihrer Wirtschaftskraft her in der Lage und willens sein, ihre Kompetenzen wahrzunehmen und ihre Interessen durchzusetzen. Eine Neugliederung der Länderstruktur und eine Neu-fassung des horizontalen und vertikalen Finanz-ausgleichs sind deshalb weitere Reformziele auf dem Weg zu einem modernen Föderalismus.

Gegenwärtig konterkariert vor allem der Finanz-ausgleich zusammen mit den Bundesergänzungszuweisungen den Wettbewerb zwischen den Ländern. Die riesigen Finanzmittel, die innerhalb des Finanzausgleichs und der Ergänzungszuweisungen umgeschichtet werden, wirken wie Subventionen auf einen Markt. Sie verzerren das Leistungsgefüge. In seiner gegenwärtigen Form bestraft der Finanzausgleich eigenverantwortliche wirtschaftspolitische Bemühungen der starken Länder, den leistungsschwächeren Ländern bietet er keine Anreize für eine verantwortliche, erfolgsorientierte Wirtschaftspolitik. Dazu legt der jährlich wachsende Ausgleichsbetrag die Schlußfolgerung nahe, daß der Finanzausgleich als Hilfsinstrument zur Herstellung ursprünglich einheitlicher, jetzt gleichwertiger Lebensverhältnisse ungeeignet ist. Als Hilfe zur Selbsthilfe hätte er sich im Laufe der Jahre selbst überflüssig machen müssen.

Eine Neustrukturierung der Länder könnte dazu beitragen, das wirtschaftliche Ungleichgewicht, das sich u. a. im unterschiedlichen Steueraufkommen pro Kopf der Landesbevölkerung zeigt, zu beheben. Kriterium einer „vernünftigen“ Länderneugliederung wäre die Schaffung von Bundesländern, die strukturell und finanziell annähernd gleich stark wären. Damit würde der Abhängigkeit leistungsschwacher Länder von Bundeszuweisungen das Fundament entzogen Die Umsetzbarkeit dieser Forderung ist jedoch, wie das Abstimmungsergebnis in Berlin und Brandenburg zeigt, in weite Ferne gerückt.

Die Zielkonzeption des Verfassungsgebers waren Länder, die die im Grundgesetz gestellten Aufgaben wirksam erfüllen können. Deshalb sieht das Grundgesetz in Art. 29 Abs. 1 GG auch die Möglichkeit zur Neugliederung der Länder vor. Diese Möglichkeit ist heute wieder eine bedenkenswerte Option.

Die Wiedervereinigung Deutschlands, die Öffnung der Grenzen, die fortschreitende europäische Integration und die wirtschaftliche Globalisierung stellen neue Herausforderungen an unser politisches Ordnungsprinzip. Die Kennzeichen dieser Herausforderungen sind Wettbewerb und Konkurrenz. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir ein politi-sches Ordnungsprinzip, in dem neben Kooperation und Konsens auch Wettbewerb, Eigenverantwortlichkeit und Unterschiedlichkeit ihren Platz haben: Wir brauchen deshalb einen kompetitiven Föderalismus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Hans Maier, Der Föderalismus -Ursprung und Wandlungen, in: Archiv für Öffentliches Recht (AöR), 115 (1990), S. 213 ff.

  2. Otto Kimminich, Der Bundesstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1987, S. 1113 ff.

  3. Thomas Nipperdey, Nachdenken über die deutsche Geschichte: Essays, München 1986, S. 60 ff.

  4. Vgl. Peter H. Merkl, Die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1965, S. 78.

  5. Vgl. Peter J. Kock, Bayerns Weg in die Bundesrepublik, München 19882, S. 281 ff.

  6. Vgl. Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, Kap. 19.

  7. Das interstaatliche Modell der USA basiert im Gegensatz dazu stärker auf den Prinzipien von Trennung und Konkurrenz.

  8. Konrad Hesse, Aspekte des Kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, in: Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970, S. 141 (143 FN 8).

  9. Vgl. Heiderose Kilper/Roland Lhotta, Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1996, S. 101 f.

  10. Danach war die Beurteilung der Frage, ob ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestehe, eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers, die ihrer Natur nach nicht justitiabel und der Nachprüfung durch das BVerfG grundsätzlich entzogen sei (BVerfGE 2, 213, 214).

  11. K. Hesse (Anm. 9), S. 141.

  12. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie, in: Politik als gelebte Verfassung. Festschrift für Friedrich Schäfer, hrsgg. von Jürgen Jekewitz/Michael Melzer/Wolfgang Zeh, Opladen 1980, S. 182 f.

  13. Vgl. Hartmut Klatt, Interföderale Beziehungen im kooperativen Bundesstaat. Kooperation und Koordination auf der Politischen Leitungsebene, in: Verwaltungsarchiv, 78 (1987), S. 186-206.

  14. Abgedruckt in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl.), (1990), S. 461.

  15. Vgl. Ursula Münch, Sozialpolitik und Föderalismus, Opladen 1997, S. 190.

  16. Vgl. Stephan Rohn/Rüdiger Sannwald, Die Ergebnisse der Gemeinsamen Verfassungskommission, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP), (1994), S. 68.

  17. Vgl. BVerfGE 20, 238 ff.

  18. S. Rohn/R. Sannwald (Anm. 16).

  19. Vgl. Rüdiger Sannwald, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesstaat, in: Bundesanzeiger, Bonn 1995, S. 68.

  20. Vgl. S. Rohn/R. Sannwald (Anm. 16), S. 69.

  21. Vgl. R. Sannwald (Anm. 19), S. 3.

  22. Vgl. Hartmut Klatt, Parlamentarisches System und bundesstaatliche Alternative Konkurrenzföderalismus als zum kooperativen Bundesstaat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 31/82, S. 3 ff.

  23. Vgl. H. Kilper/R. Lhotta (Anm. 10), S. 236.

Weitere Inhalte

Ursula Männle, geb. 1944; Professorin; seit Oktober 1994 Bayerische Staatsministerin für Bundes angelegenheiten; zuvor 13 Jahre Abgeordnete im Deutschen Bundestag; 1970-1976 wissenschaftliche Assistentin an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing; seit 1976 Professorin für Politikwissen schäft an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München.