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Probleme der Zuwanderung am Beispiel Berlins | APuZ 46/1997 | bpb.de

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APuZ 46/1997 Asyl für politisch Verfolgte und die Eindämmung von Asylrechtsmißbrauch Illegale Einreise und internationale Schleuserkriminalität. Hintergründe, Beispiele und Maßnahmen Probleme der Zuwanderung am Beispiel Berlins Zusammen leben: Die Integration der Migranten als zentrale kommunale Zukunftsaufgabe Was kann ein Einwanderungsgesetz bewirken?

Probleme der Zuwanderung am Beispiel Berlins

Hans-Burkhard Richter

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Berlin (West) erlebte wie die übrige Bundesrepublik seit den sechziger Jahren die Zuwanderung von „Gastarbeitern“, die dann entgegen ursprünglicher Vorstellungen mehrheitlich dauerhaft in der Stadt blieben und ihre Familien nachholten. Der Berliner Senat unternahm in der Folgezeit erhebliche Anstrengungen mit dem Ziel der Integration dieser an Zahl stetig wachsenden Bevölkerungsgruppe. 1981 wurde erstmals in einem Bundesland das Amt einer Ausländerbeauftragten geschaffen. Die Integrationsergebnisse blieben trotz günstiger Rahmenbedingungen jedoch insgesamt hinter den Erwartungen zurück. Die Grenzöffnung 1989 führte zu einem erheblichen Anwachsen der Zuwanderung bei gleichzeitiger Verschlechterung der wirtschaftlichen, finanzpolitischen und sozialen Verhältnisse. Kaum mehr vorhandene Integrationschancen für die Neuzuwanderer bei sichtbaren Integrationsdefiziten in Teilen der seit Jahren in Berlin lebenden ausländischen Bevölkerung stellen die Stadt schon heute vor große Probleme. Gleichzeitig wird ein weiteres deutliches Wachstum der Ausländerpopulation prognostiziert. Um so wichtiger ist für die Zukunft eine realistische, an den Interessen des Gemeinwohls orientierte Ausländerpolitik, die die Begrenzungsfrage in den Mittelpunkt rückt und auch humanitäre Fragen nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext betrachtet. Nur eine für die Mehrheit der Menschen verstehbare ausländerpolitische Konzeption vermag die für erfolgreiche Integrationspolitik unerläßliche Akzeptanz der Zuwanderer bei der deutschen Bevölkerung langfristig zu sichern.

I. Entwicklung der Zuwanderung und deren Probleme bis zur Wiedervereinigung

Die Ausländer-, Flüchtlings-und Asylpolitik zählt seit Jahren zu den zentralen Themen der innenpolitischen Auseinandersetzung in Deutschland. Das gilt auch und gerade für die deutsche Hauptstadt Berlin. In kaum einer anderen Stadt finden ausländerpolitische Themen eine derart breite politische und publizistische Beachtung. Im folgenden wird vor dem Hintergrund speziell der Entwicklung seit den frühen achtziger Jahren und mit Blick auf spezifische Problemfelder die integrationspolitische Situation in der Bundeshauptstadt skizziert. Bis zur Wiedervereinigung 1990 wird dabei -da es aufgrund der politischen Sonderfaktoren eine vergleichbare Ausländersituation in Ostberlin nicht gegeben hat -der Blick auf die Entwicklung im Westteil der Stadt beschränkt.

In Berlin gab es in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst keine signifikante Zahl von Ausländern. Wie die übrige Bundesrepublik erlebte der Westteil der alten Reichshauptstadt dann mit Beginn der sechziger Jahre den verstärkten Zuzug angeworbener ausländischer Arbeitskräfte. Die Ausländerzahl stieg binnen eines Jahrzehnts von 22 000 im Jahre 1960 auf 130 000 im Jahre 1970. Der 1973 verkündete Anwerbestopp vermochte diese Entwicklung nur begrenzt zu verlangsamen. Lediglich ein geringer Teil der „Gastarbeiter“ ging, wie ursprünglich gedacht, auch tatsächlich zurück in die Heimatländer. Die Mehrheit blieb in Berlin und holte die Familie nach. Im Ergebnis stieg die Ausländerzahl im nächsten Jahrzehnt um weitere 100 000 Personen. Es reifte die Erkenntnis, daß ein gewisser Ausländeranteil nicht nur eine vorübergehende Erscheinung sein würde. Auch die Politik in Berlin sah sich gezwungen, verstärkt auf die mehr und mehr sichtbar werdenden Probleme der gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Eingliederung der Zuwanderer einzugehen. Integrationsbemühungen, Begrenzungsversuche, weitere Zuwanderung Ab Mai 1981 bestimmte nach Jahrzehnten sozialdemokratisch geprägter Nachkriegsregierungen zu-nächst ein christlich-demokratischer Minderheits-, ab März 1983 dann ein christlich-liberaler Koalitionssenat unter Richard von Weizsäcker die Geschicke Berlins. Die ausländerpolitischen Aussagen waren klar und eindeutig. Richard von Weizsäcker in seiner Regierungserklärung am 2. Juli 1981 im Abgeordnetenhaus von Berlin: „Die Zahl der ausländischen Mitbürger ist auf rund 233 000 gestiegen.. . Die Zahlen wachsen weiterhin schnell. Verantwortliche Zusammenarbeit aller Beteiligten ist dringend geboten, um zu verhindern, daß ein immer größerer Konfliktstoff heranreift. Notwendig ist, daß unsere ausländischen Mitbürger Lebensentscheidungen treffen. Notwendig für uns ist es, wirkliche Lebensbrücken zu den integrationswilligen Ausländern zu bauen. Gelingen kann dies aber nur dann, wenn die Zahl nicht weiter wächst. Nach Auffassung des Senats müssen unsere ausländischen Mitbürger auf die Dauer zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder Rückkehr in die alte Heimat. Hierzu wird der Senat materielle Anreize und Hilfestellung geben. Oder Verbleib in Berlin; dies schließt die Entscheidung ein, auf die Dauer Deutscher zu werden. Keine Dauerlösung ist dagegen ein dritter Weg: nämlich hierzubleiben, aber nicht und nie Berliner werden zu wollen. Dies würde zu einer ständigen und wechselseitigen Isolierung der Bevölkerungsteile führen. Mehrere Städte würden in einer Stadt wachsen, und das muß fehlschlagen." 1

Spannungsvermeidung durch Integration, als deren wesentliche Voraussetzung die zahlenmäßige Begrenzung sowie der Integrationswille bei der ausländischen Bevölkerung zu nennen sind -das ist unverändert auch heute Eckpfeiler verantwortungsbewußter Ausländerpolitik.

In der Umsetzung dieser Überlegungen übernahm Berlin eine Schrittmacherfunktion. Erstmals in einem Bundesland wurde das Amt einer Ausländerbeauftragten geschaffen. Ihre Aufgabe ist, als Anwältin für die Belange der Ausländer und in Abstimmung mit den anderen Ressorts primär den Integrationsprozeß zu fördern, wo gewünscht aber auch die Rückkehr zu unterstützen.

Zu den Elementen des Integrationskonzeptes, fortgeführt unter den christlich-liberalen Nachfol-gesenaten unter Eberhard Diepgen, zählten ferner u. a.der Aufbau eines berlinweiten Netzes ausländerspezifischer Projekte mit Schwerpunkten für allgemeinbildende, berufliche Qualifizierung, für Beratung sowie für Kontakt-und Kommunikationsmöglichkeiten, ferner die intensive Förderung selbständiger Erwerbstätigkeit ausländischer Zu-wanderer und die Einführung einer 15prozentigen Mindestquote für Ausländer bei der Vergabe von Sozialwohnungen zur Milderung der Folgeprobleme räumlich konzentrierten Wohnens (Versuch der Vermeidung von Ghettobildung). Daneben wurden verstärkt öffentliche Mittel zur Förderung von Organisationen, Initiativen und Selbsthilfeeinrichtungen der verschiedenen Zuwanderergruppen bereitgestellt. Mit Kampagnen der Ausländerbeauftragten unter dem Motto „Miteinander leben“ wurde -und wird -in der Öffentlichkeit für Integration, Offenheit und Verständigungsbereitschaft geworben.

Des weiteren wurde in Berlin als erstem Bundesland ein parlamentarischer Ausschuß eigens für Ausländerfragen geschaffen, der erst im Zuge jüngster, durch Sparzwänge diktierter Parlamentsreform seine Eigenständigkeit wieder verlor

Begünstigt durch die rückkehrfördernden Maßnahmen des neuen Senats blieb die Gesamtzahl der Ausländer in der Folgezeit mit ca. 245 000 zunächst relativ stabil, zeitweise sogar mit leicht abnehmender Tendenz. Ab 1986 begann sich aber wieder der vorherige kontinuierliche Anstieg fortzusetzen.

Welche innenpolitische Sprengkraft das Ausländerthema entfalten kann, wurde erstmals Ende der achtziger Jahre deutlich. Erheblich gestiegene Zugangszahlen von Asylbewerbern förderten eine erste massive Diskussion der Asyl-und Ausländer-problematik. Im Gefolge gelang 1989 den rechtsradikalen Republikanern mit gezielt ausländerfeindlichen Parolen zum ersten -und bislang einzigen -Male der Einzug in das Berliner Landesparlament.

Die nicht zuletzt durch die Stimmengewinne der Republikaner verursachte Wahlniederlage des bürgerlich-liberalen Senats ermöglichte die Bildung einer rot-grünen Koalition unter Walter Momper. Der nun propagierte neue Kurs sollte erklärtermaßen alle Politikfelder erfassen. Die veränderte Schwerpunktsetzung in der Ausländerpolitik verdeutlichte der neue Regierende Bürgermeister am 13. April 1989 im Abgeordnetenhaus: „Wir wollen ein Klima schaffen, in dem Deutsche und Ausländer gern miteinander leben, miteinander reden und miteinander arbeiten. Unsere Politik ist getragen-von der Solidarität mit den hier lebenden Ausländern und vom Bekenntnis zu einer multikulturellen Gesellschaft ohne Zwang zur Assimilation ... Ich weiß wohl: Es gibt Grenzen in allen Gesellschaften für die Fähigkeit zur Aufnahme Fremder, aber diese Grenzen sind auch bestimmt von der Offenheit des eigenen Bewußtseinsstandes und dem eigenen guten Willen.“ Ein Ergebnis war die Einrichtung einer -rechtsstaatlich bedenklichen -Härtefallkommission, in der seitdem unter Beteiligung gesellschaftlicher Organisationen problematische ausländerrechtliche Einzelfälle beraten und gelöst werden. Zur weiteren Realisierung ihrer Vorstellungen blieb dem neuen Regierungsbündnis jedoch nicht die Zeit. Die atemberaubenden Umbrüche in der DDR und Osteuropa diktierten die neuen Prioritäten. 2. Zäsur Grenzöffnung Die Grenzöffnung am 9. November 1989 sowie die Wiedervereinigung Deutschlands und Berlins bedeuteten auch integrationspolitisch eine erhebliche Zäsur. Nach Jahrzehnten insularer Randlage war Berlin plötzlich wieder zur politischen und geographischen Mitte Europas geworden. Der Fortfall der Grenzen durch Berlin, Deutschland und den europäischen Kontinent öffnete neue Wege in Richtung Westen. Die radikale Umstellung der osteuropäischen Volkswirtschaften mit den damit verbundenen Verarmungsprozessen und das ohnehin hohe Wohlstandsgefälle ließen Deutschland und das geographisch exponierte Berlin gerade für Menschen aus den osteuropäischen Regionen in hohem Maße attraktiv erscheinen. Ergebnis war ein massives Anwachsen der Zuwanderung. Zwischen 1989 und 1996 stieg die Gesamtzahl der amtlich erfaßten, insbesonde der ost-und südosteuropäischen Ausländer um weitere 125 000 Zuwanderer, d. h. um 40 Prozent.

II. Integrationspolitische Bestandsaufnahme

Auch für die seit 1990 das wiedervereinigte Berlin regierende Große Koalition aus CDU und SPD bleibt die Integration der auf Dauer in Berlin lebenden Ausländer ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel. In seiner Regierungserklärung vom 7. Februar 1991 sagte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zur Ausländerpolitik u. a.: „Wir wollen ein weltoffenes, tolerantes und liberales Berlin. Ausländer, die in unserer Stadt leben, sollen ihre Kultur und Tradition pflegen können ... Wir wissen aber auch, daß das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern aus verschiedenen Kulturen vielfältige Schwierigkeiten mit sich bringt. Eine Stadt kann nur eine begrenzte Zahl von ausländischen Zuwanderern in einem bestimmten Zeitraum friedlich eingliedern. Alles andere führt zu sozialen Spannungen und auch zu Fremdenfeindlichkeit. Und beides wollen, müssen wir vermeiden. Berlin kann gerade jetzt in einer Situation des Umbruchs und großer finanzieller Probleme keine Einwanderungsstadt werden. Die Integration der Ausländer, die auf Dauer hier leben, ist dabei eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Unsere Ausländerpolitik zielt auf ein lebendiges und friedliches Miteinander von Deutschen und Ausländern.“ 1. Verschlechterte Rahmenbedingungen Die Verwirklichung des Integrationszieles ist durch die veränderten Bedingungen allerdings nicht einfacher geworden. Wesentliche Grundvoraussetzungen haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Die erheblich weiter gestiegene Zuwanderung hat dazu geführt, daß heute offiziell registriert in Berlin über 440 000 Menschen mit ausländischem Paß leben -die größte absolute Zahl von Ausländern in einer deutschen Stadt überhaupt. Bei einer Gesamtbevölkerung von 3, 4 Millionen entspricht dies einem Ausländeranteil von (1996) 13 Prozent. Angesichts der Prozentsätze anderer deutscher Großstädte wie Frankfurt am Main mit (1994) 29, 2 Prozent, Stuttgart mit (1993) 23, 6 Prozent, München mit (1993) 22, 7 Prozent oder Köln mit (1994) 19, 4 Prozent erscheint diese Größe auf den ersten Blick noch relativ unproblematisch. Prozentsätze allein sind jedoch nur bedingt aussagekräftig. Notwendig ist eine differenzierte Sicht, der Blick auf den Gesamtrahmen wie auf die Feinstruktur.

Zu beachten ist beispielsweise, daß Berlin die erste Anlaufstelle für illegale Zuwanderer bildet, die über die Grenze an Oder und Neiße nach Deutschland eingeschleust werden. Die Zahl dieser illegalen -und damit nicht in dem angegebenen Prozentsatz berücksichtigten -Ausländer, die sich allerdings insbesondere in der Kriminalitätsstatistik bemerkbar machen, dürfte sich in einem höheren fünfstelligen Bereich bewegen.

Vor allem aber ist die deutsche Hauptstadt eine Großmetropole in einer einzigartigen, westdeutschen Städten völlig unbekannten gesellschaftlichen Umbruchsituation. Die Probleme des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Ostens und der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse müssen in Berlin innerhalb der Stadtgrenzen gelöst werden. Die allein daraus erwachsenen wirtschafts-, finanz-und und sozialpolitischen Probleme sind gewaltig und haben auch erhebliche Auswirkungen auf die Integrationschancen der ausländischen Bevölkerung. Im Bereich der östlichen Bundesländer mit zumindest ähnlicher Problemlage gibt es -historisch bedingt -keine Stadt mit auch nur annähernd vergleichbarer Ausländer-quote.

Berlin liegt mit einer Gesamtarbeitslosigkeit von ca. 17 Prozent weit über den Durchschnittszahlen westdeutscher Länder. Von der verschlechterten Wirtschaftslage sind die grundsätzlich weniger qualifizierten und daher vornehmlich in vom Arbeitsplatzabbau besonders tangierten Bereichen beschäftigten Ausländer erheblich stärker betroffen als die deutsche Bevölkerung. Für Neu-Zuwanderer haben sich gleichzeitig die Möglichkeiten drastisch verringert, überhaupt Arbeit zu finden. Arbeitsmarktintegration als Basis jeder gesellschaftlichen Integration wird damit immer weniger möglich. Im Ergebnis gehen die jüngsten Zuwächse bei der Ausländer-Zuwanderung weitgehend zu Lasten der -ohnehin schon stark angespannten -Sozialsysteme.

So hat sich die Arbeitslosenquote bei der ausländischen Bevölkerung seit 1990 mehr als verdoppelt und damit wesentlich stärker erhöht als bei der deutschen Einwohnerschaft. Sie liegt inzwischen bei über 30 Prozent, d. h., sie ist etwa dreimal so hoch wie bei den deutschen Berlinern. Auch bei den Sozialhilfeempfängern stellen die Ausländer einen gerade in den letzten Jahren massiv gewachsenen überproportional hohen Anteil.

Die Wiedervereinigungslasten bei gleichzeitigem Abbau der während der Teilungszeit erheblichen Bundesunterstützung -sie deckte 1990 noch mehr als 50 Prozent der Landesausgaben -sowie die nachlassende Konjunktur haben in Berlin zu beispiellosen finanzpolitischen Engpässen geführt. Die Deckungslücke für den Berliner Haushalt 1998 -Gesamtvolumen 45 Milliarden Mark -beträgt 12 Milliarden Mark. Die Folge ist eine drastische Sparpolitik, die alle gesellschaftlichen -insbesondere die sozialen und kulturellen -Bereiche erfaßt. Ergebnis sind letztlich Einschränkungen auch bei den integrationsfördernden Maßnahmen und Förderprogrammen. 2. Integrationsprobleme Hinzu kommt, daß die vielfältigen Bemühungen der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte um Integration der schon lange und dauerhaft in Berlin lebenden ausländischen Bevölkerungsgruppen bei weitem nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt haben. Trotz dieses Bemühens und langjähriger günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen ist es nicht gelungen, alle Gruppen der Gastarbeitergeneration und ihrer Nachkommen vollständig zu integrieren. Zu den selten genannten Fakten zählt, daß es praktisch kein allgemeines „Ausländerproblem“ gibt, wohl aber problematische und weniger problematische Ausländergruppen. Dies hängt jeweils vom kulturellen Hintergrund, dem durchschnittlichen Bildungsstand, dem Integrationswillen sowie der Homogenität und der zahlenmäßigen Stärke ab. Wer über Ausländerfragen diskutiert, denkt dabei beispielsweise kaum an Franzosen, Italiener, Holländer oder andere EU-Bürger -ein Personenkreis, der in Berlin allerdings auch nur 15 Prozent der nichtdeutschen Bevölkerung stellt. Integrationsprobleme gibt es hier angesichts der engen kulturellen Verwandtschaft und des vergleichbaren sozialen und wirtschaftlichen Hintergrunds nicht bzw. nicht mehr.

Berlin ist in seiner Geschichte immer eine Stadt der Zuwanderung gewesen. Dabei haben die verschiedenen Zuwandergruppen -wie die aus Böhmen oder die Hugenotten -stets ihr anfängliches ethnisches Eigenleben im Laufe der Zeit aufgegeben und sich mit der einheimischen Bevölkerung zu einem neuen Gefüge verbunden, in dem die unterschiedliche Herkunft allenfalls noch am Nachnamen erkennbar war. Was diese historische Zuwanderung jedoch wesentlich von der Migration in den letzten Jahrzehnten und in der Gegenwart unterscheidet -und eine vergleichbare Entwicklung erschwert -ist die Tatsache, daß ein erheblicher Teil der Nachkriegs-wie auch der heutigen Zuwanderer über einen völlig anderen zivilisatorischen, sozialen und kulturellen Hintergrund verfügt als die ortsansässige deutsche Bevölkerung.

Insgesamt leben in Berlin mittlerweile Menschen aus über 180 Ländern und damit beinahe aus jedem Land der Erde. Die Vision einer weltoffenen und internationalen Metropole ist damit in dieser Hinsicht längst Realität. Im Stadtbild am sichtbarsten ist zweifellos der ca. 180 000 Personen umfassende muslimische Bevölkerungsanteil. Mehrheitlich sind dies Türken, mit 138 000 Personen und damit knapp einem Drittel auch die mit weitem Abstand größte, fast ausschließlich im Westteil Berlins lebende Ausländergruppe. Nicht nur wegen ihrer hohen Zahl, sondern vor allem aufgrund ihrer grundverschiedenen sozialen und kulturellen Prägung galten die türkischen Zuwanderer, die in Berlin (West) über Jahre etwa die Hälfte der Ausländer-Population stellten, lange Zeit als das Ausländerproblem schlechthin. Hier lag stets der Schwerpunkt aller Integrationsanstrengungen.

In Teilen waren diese sicher nicht ohne Erfolg. Die Vielzahl der etablierten türkischen Gewerbebetriebe mag hier als Beispiel dienen. Festzustellen ist auch eine gestiegene Einbürgerungsbereitschaft. Dies erklärt, daß die Zahl der ausländer-rechtlich erfaßten türkischen Berliner trotz der allgemein weiter gestiegenen Zuwanderungsquote der letzten Jahre statistisch relativ konstant geblieben ist. Zwischen 1992 und 1996 erhielten über 17 000 Berliner Bürger türkischer Herkunft einen deutschen Paß.

Es gibt allerdings Entwicklungen, die sehr nachdenklich stimmen müssen. In Teilen gerade der türkischen Bevölkerungsgruppe sind Integrationsrückschritte und Abschottungstendenzen nicht zu übersehen. Vielfach wird auch heute noch ein völliges Eigenleben geführt. Insbesondere erschwert die weiterhin kontinuierliche Zuwanderung aus den Herkunftsregionen die Integration. Oft sind die Kinder nicht in Deutschland geboren, werden Ehepartner aus familiären oder religiösen Gründen direkt in den Herkunftsgebieten ausgewählt. Gerade auch bei der bereits in Berlin aufgewachsenen türkischen Zuwanderergeneration werden verstärkt Hinwendungen zu den eigenen Wurzeln erkennbar, scheint es ganz offensichtlich am Integrationswillen zu fehlen. Wie sonst ist zu erklären, daß 30 bis 40 Prozent der türkischen Kinder bei ihrer Einschulung faktisch kein Deutsch sprechen. Diese schon bestehenden Isolierungstendenzen -bis hin zur Hinwendung zum islamischen Fundamentalismus -drohen durch die verschlechterten ökonomischen Rahmenbedingungen noch verstärkt zu werden.

Wesentlich für diese problematische Entwicklung verantwortlich ist die in Berlin massiv uneinheitliche Verteilung der ausländischen Wohnbevölkerung. Im Ostteil -bis zur Wiedervereinigung außer einigen tausend Vertragsarbeitnehmern faktisch ohne Ausländerpopulation -beläuft sich ihr Anteil auf (1996) gerade 5, 6 Prozent, im Westteil hingegen auf 17, 3 Prozent -immerhin ein höherer Wert, als z. B. Hamburg mit (1994) 15, 3 Prozent aufweist. Auch innerhalb des Westteils ist die Verteilung sehr unterschiedlich. Vier der zwölf westlichen Bezirke weisen Spitzenwerte von deutlich über 20 Prozent auf: Kreuzberg 33, 9 Prozent, Wedding 29, 2 Prozent, Tiergarten 26, 7 Prozent und Schöneberg 22, 7 Prozent; beachtlich ist auch noch Neukölln mit 19, 8 Prozent.

In diesen Migrationsschwerpunkten, in denen u. a. auch der türkische Bevölkerungsteil hauptsächlich lebt, lassen sich die unterschiedlichen Integrationsprobleme exemplari Prozent; beachtlich ist auch noch Neukölln mit 19, Prozent.

In diesen Migrationsschwerpunkten, in denen u. a. auch der türkische Bevölkerungsteil hauptsächlich lebt, lassen sich die unterschiedlichen Integrationsprobleme exemplarisch studieren, die grundsätzlich überall dort entstehen, wo hohe Konzentrationen von sozial eher schwierigen Ausländergruppen auftreten. Sie reduzieren u. a. das Bewußtsein für die Integrationsnotwendigkeit und fördern im Gegenteil gerade bei weniger integrationswilligen Gruppen die Tendenz zum Eigenleben. 3. Die Situation ausländischer Jugendlicher Die ausländische Bevölkerung ist größtenteils erheblich geburtenfreudiger als die deutsche; ihre Geburtenrate ist im Durchschnitt annähernd doppelt, bei den Türken sogar fast dreimal so hoch. Im vergangenen Jahr waren in Berlin 20, 3 Prozent der Lebendgeborenen nichtdeutscher, davon wiederum etwa 40 Prozent türkischer Herkunft. Dementsprechend liegt der Ausländeranteil in der jungen Generation höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. In den genannten Berliner Bezirken mit hoher Ausländerkonzentration -insbesondere in Kreuzberg -führt das im Schulbereich zum Teil zu krassen Ergebnissen. Schulklassen mit einem Schüleranteil von 50 Prozent, in manchen Fällen sogar bis zu 80 Prozent, der Deutsch nicht als Muttersprache gelernt hat, sind dort die Regel. Hier stellt sich dann tatsächlich die Frage, wer eigentlich wen integrieren soll. Leistungsorientiertes Lernen ist in Klassen mit einem erheblichen Schüleranteil ohne ausreichende Sprachkenntnisse nur sehr bedingt möglich 5. Ergebnis ist, daß in den Stadtgebieten mit hoher Ausländerpopulation einer der Kernpunkte Berliner Integrationsanstrengungen zunehmend beeinträchtigt wird. Erklärtes Ziel war, die Bildungs-und Ausbildungsbedingungen so zu verbessern, daß mehr ausländische Schüler als bisher schulische Abschlüsse erreichen können, die ihnen Berufs-und damit zugleich verbesserte Integrationschancen eröffnen. Die in den achtziger Jahren erzielten Ergebnisse sprechen immerhin für sich: Der Anteil der ausländischen Schüler ohne Abschluß konnte innerhalb der Schuljahre 1980/81 bis 1990/91 von 39 Prozent auf 24 Prozent gesenkt, gleichzeitig der Anteil mit erreichter allgemeiner Hochschulreife von 6 auf 12, 3 Prozent gesteigert werden.

Seit 1990/91 haben sich die Zahlen trotz aller Anstrengungen allerdings kaum verändert. Noch immer ist der Anteil der ausländischen Schulabgänger ohne Abschluß etwa doppelt so hoch, der Anteil mit Abitur dreimal geringer als bei den deutschen Schülern 6. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, daß die angespannte Situation auf dem Ausbildungssektor vor allem zu Lasten ausländischer Jugendlicher geht. 1996 wurden nur noch 7 Prozent der Ausbildungsverhältnisse in Berlin mit nichtdeutschen Jugendlichen abgeschlossen.

Erkennbar ist -wie die Ausländerbeauftragte in ihrem Bericht zur Integrations-und Ausländer-politik 1995 feststellte -ein sozialer Differenzierungsprozeß: einerseits zunehmende Bildungserfolge bei langer Aufenthaltsdauer zugewanderter und integrationswilliger Familien, andererseits weiterhin Schwierigkeiten von Kindern aus Migrantenfamilien mit sozialen Defiziten sowie Kindern von Neuzuwanderern, die Schule überhaupt erfolgreich zu absolvieren 7. Diese'letztgenannte Gruppe, hier insbesondere türkische und arabische Jugendliche, droht mittelfristig zum sozialen Sprengsatz zu werden.

Besorgniserregende Tendenzen sind schon heute feststellbar. Neben Anzeichen einer zunehmenden Ethnisierung von Jugendkonflikten 8 -es existieren diverse, national relativ geschlossene Jugendgangs verschiedener Ausländergruppen wie Türken, Araber oder Jugoslawen, aber auch, ein Sonderproblem, von aus Rußland stammenden deutsch-stämmigen Aussiedlern -ist insbesondere die Entwicklung im Bereich der Jugendkriminalität alarmierend.

Ein zusätzliches Jugendproblem eigener Art ist die weitgehend organisierte massive Zuwanderung unbegleiteter minderjähriger „Asylbewerber“. Da unbegleitete Jugendliche unter 16 Jahren nicht in das bundesweite Verteilungsverfahren für Asylbewerber einbezogen werden, geben diese Personen -in aller Regel ausweislos -überwiegend ein Alter von unter 16 Jahren an, um so während der Verfahrensdauer in Berlin bleiben zu können. In den letzten beiden Jahren haben sich jeweils ca. 2 400 Minderjährige unter 16 Jahren als „Asylsuchende“ in Berlin gemeldet, für deren jugendgerechte Unterbringung die Stadt jährlich ca. 70 Millionen DM aufbringen muß. Rund ein Drittel dieser Personen werden später als wesentlich ältere Doppel-oder Mehrfachantragsteller festgestellt, andere tauchen während des Asylverfahrens unter.

Gezielt eingeschleust werden gerade auch Jugendliche unter 14 Jahren, die dann -nach Asyl-antragstellung sozial bestens versorgt -in Berlin Straftaten begehen, aufgrund ihrer Strafunmündigkeit jedoch nicht belangt werden können. 4. Ausländerkriminalität Daß Vergleiche der Kriminalität von Ausländern und Deutschen auf der Grundlage der Bevölkerungs-sowie der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik nicht problemfrei sind, ist bekannt. Beispielsweise enthält die Bevölkerungsstatistik bestimmte Ausländergruppen nicht, die aber in der Kriminalitätsstatistik als Tatverdächtige erfaßt werden, so ausländische Touristen oder Personen, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Auch gibt es eine Reihe von Delikten wie Straftaten gegen das Ausländer-und Asylverfahrensgesetz, die in der Regel von Deutschen nicht begangen werden. Dennoch lassen sich, insbesondere bei ausdifferenzierter Zählweise, gewisse problematische Grundtendenzen erkennen. 1996 waren insgesamt 33, 1 Prozent der in Berlin ermittelten Tatverdächtigen Ausländer. Daß sich dahinter ein erheblicher Anteil Reisekriminalität verbirgt, belegt besonders die Zahl von 40, 5 Prozent ausländischer Tatverdächtiger ohne Wohnsitz in Berlin 14, 7 Prozent der nichtdeutschen Tatverdächtigen waren Touristen, 18, 8 Prozent Asylbewerber, 19, 9 Prozent Illegale. 46 Prozent der Tat-verdächtigen wurden statistisch als „Sonstige“ zusammengefaßt, worunter sich neben ausländischen Erwerbslosen zu erheblichen Teilen abgelehnte, aber geduldete Asylbewerber sowie Flüchtlinge verbergen.

Zahlreiche Deliktsgruppen werden massiv von Ausländern dominiert. Beteiligt sind ausländische Tatverdächtige beim Taschendiebstahl mit 88 Prozent, bei Sozialleistungsbetrug mit 73, 9 Prozent, Geld-und Wertzeichenfälschung mit 61, 3 Prozent, Urkundenfälschung mit 56, 1 Prozent, Laubeneinbruch mit 56 Prozent, im Bereich der Drogen-Delikte mit 45, 6 Prozent, aber auch bei Mord mit 57, 3 Prozent sowie insgesamt im Deliktsbereich der sogenannten Organisierten Kriminalität (OK) mit 64, 2 Prozent.

Gerade der OK-Bereich (Menschen-, Drogen-, Zigarettenhandel, Urkundenfälschung etc.) gefährdet aufgrund des hohen Brutalisierungsgrades zunehmend die öffentliche Sicherheit. Erinnert sei nur an die bundesweit beachteten erbitterten Kämpfe innerhalb der vietnamesischen Zigaretten-Mafia mit 1995 und 1996 insgesamt 28 Toten. Neben Vietnamesen sind vor allem Chinesen, libanesisch-kurdische Großfamilien, Russen, Polen und Rumänen im OK-Bereich aktiv.

Die größte nationale Gruppe ausländischer Tat-verdächtiger stellten im vergangenen Jahr die Türken mit 19, 7 Prozent vor den Polen mit 14, 9 Prozent, Jugoslawen mit 13, 5 Prozent und Vietnamesen mit 6, 4 Prozent.

Kaum mit Verweis auf vergleichsverzerrende Faktoren abschwächbar und daher ein untrügliches Indiz für offensichtliche Integrationsdefizite ist der Stand der Jugendkriminalität unter Ausländern. 31, 4 Prozent der tatverdächtigen Jugendlichen sind Ausländer (bei einem Bevölkerungsanteil von 14, 7 Prozent). Im Bereich der sogenannten Jugendgruppengewalt (Sachbeschädigung, Bedrohung, Körperverletzung, Raub) stellten die ausländischen Tatverdächtigen 1996 sogar einen Anteil von 39, 5 Prozent. Und bei den Heranwachsenden (Bevölkerungsanteil 17, 5 Prozent) fällt der Anteil mit 41, 4 Prozent sogar noch höher aus. Die Deliktsschwerpunkte bilden Diebstahl und Rohheitsdelikte

Wichtig ist die Feststellung, daß die Kriminalitätsbelastung der dauerhaft in Berlin lebenden und gesellschaftlich integrierten Ausländer nicht höher liegt als bei der deutschen Bevölkerung 5. Politisch-religiöser Extremismus Ein nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotential für die innere Sicherheit stellt in Berlin der politisch-religiöse Extremismus von Ausländern dar, der sich dabei fast ausschließlich aus den muslimischen Bevölkerungsteilen rekrutiert. Dem extremistischen Lager waren laut Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz 1996 5 400 nichtdeutsche Personen zuzurechnen, was ca. 10 Prozent des in Deutschland insgesamt vorhandenen ausländerextremistischen Potentials entspricht. Neben Arabern/Palästinensern bilden Türken und Kurden mit 90 Prozent den Hauptteil.

65 Prozent des Ausländerextremismus ist islamisch-fundamentalistisch geprägt. An erster Stelle zu nennen ist in Berlin mit ca. 3 000 Mitgliedern die „Islamische Gemeinschaft -Milli Görüs“, die für eine fundamentalistische islamische Staatsordnung nach dem Vorbild des Iran kämpft. Auch die Terrororganisationen „Bewegung des islamischen Widerstandes“ (HAMAS) und „Partei Gottes“ (Hizb Allah) sind in Berlin präsent. Besonders bedrohlich sind ferner die marxistisch-leninistisch orientierten türkischen bzw. kurdischen Organisationen. hier insbesondere die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit 800 Aktivisten

Diese verbotene Gruppierung bildete im vergangenen Jahr auch das zahlenmäßig bedeutendste Konfliktfeld politisch motivierter Ausländerkriminalität. Spektakulärste Aktion der letzten Jahre war 1995 ein Hungerstreik zur Unterstützung von in der Türkei inhaftierten PKK-Kämpfern, die mit einem Todesfall und anschließendem Demonstrations-Trauermarsch von über 10 000 aus ganz Deutschland angereisten Kurden endete. 6. Zur Akzeptanz von Ausländern Die Integration von Ausländern setzt in erster Linie natürlich Integrationschancen -wie Arbeitsplätze und Wohnungen -sowie den Integrationswillen bei den zugewanderten Ausländern selbst voraus. Darüber hinaus kann sie allerdings nur gelingen, wenn die deutsche Gesellschaft integrationsoffen, d. h. bereit ist, die Zuwanderer als vollwertige neue Gesellschaftsglieder zu akzeptieren. Öffnungsbereitschaft und Akzeptanz waren bisher, gestützt und gefördert durch die Senatspolitik, in der deutschen Hauptstadt in hohem Maße vorhanden. In Berlin hat es trotz hoher Zugangszahlen im Asylbereich nie gravierende Anschläge oder Übergriffe gegen Ausländer gegeben wie in anderen deutschen Städten. Auch nahm die Stadt trotz der schwierigen Gesamtlage noch zusätzlich 40 000 Flüchtlinge mit jährlichen Kosten von über 500 Millionen DM aus dem ehemaligen Jugoslawien auf. Das ist eine humanitäre Leistung besonderer Art, kamen allein nach Berlin doch mehr Bosnien-Flüchtlinge als nach Frankreich und Großbritannien zusammen, eine Leistung allerdings, welche -da die erwartete freiwillige Rückkehr auch fast zwei Jahre nach Ende der Kampfhandlungen nur schleppend stattfindet -die finanziellen Möglichkeiten der Stadt bald zu übersteigen beginnt.

Unter den immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Bedingungen, aber auch vor dem Hintergrund relativ hoher Ausländerkriminalität und des teilweise festzustellenden Desinteresses an einer Integration in verschiedenen Ausländergruppen besteht die Gefahr, daß sich die bisherige, überwiegend tolerante Grundhaltung in der deutschen Bevölkerung Berlins verändert. Gerade die sozial schwächeren, am ehesten für Radikalisierung anfälligen Bevölkerungsteile sind es, die in erster Linie mit der wachsenden Zahl von Zuwanderern und den damit verbundenen Schwierigkeiten in täglichem Kontakt stehen und den Problemdruck aushalten müssen. Sie erleben dabei die ausländischen Nachbarn immer häufiger als Konkurrenten um knapper werdende Arbeitsplätze und bezahlbaren Wohnraum. Auch erzeugt das Wissen um die sozialen und finanziellen Folgelasten der jüngsten Zuwanderungswelle generelle und undifferenzierte Vorbehalte. 7. Integration in Gefahr Trotz des seit Jahren hohen Stellenwertes der Ausländerintegration in der Berliner Kommunalpolitik, trotz großer Bemühungen und auch beachtlicher Erfolge: Die sozial-strukturellen Probleme innerhalb und mit manchen zugewanderten Bevölkerungsgruppen werden immer unübersehbarer. Der Integrationsprozeß ist ins Stocken geraten, bisher Erreichtes gerät in Gefahr

Die Zukunft wird nicht einfacher: Die Entwicklung läuft -bedingt auch durch demographische Merkmale sowie die fortgesetzte Zuwanderung aufgrund von Familiennachzug oder die Inanspruchnahme von Asyl -auf einen weiter steigenden ausländischen Bevölkerungsanteil hinaus. Eine Senatsstudie prognostiziert für Berlin bis zum Jahre 2010 einen Anstieg der Ausländerzahl um nochmals über 40 Prozent auf 630 000, d. h. auf einen durchschnittlichen ausländischen Bevölkerungsanteil von 17, 4 Prozent. Für die Migrationsschwerpunkte Kreuzberg, Wedding und Tiergarten werden 41 Prozent, 37 Prozent bzw. 34, 4 Prozent vorhergesagt Schon allein angesichts dieser Zahlen werden die Integrationschancen weiter sinken, können die Prognosen nur düster ausfallen. Den gesellschaftlichen Integrationskräften, in den genannten Bezirken ohnehin schon überfordert, droht der endgültige Kollaps mit absehbaren negativen Folgen für die ganze Stadt.

III. Schlußfolgerungen

Angesichts dieser Perspektiven, die durchaus nicht berlintypisch sind, sondern für viele deutsche Großstädte gelten ist um so unverständlicher, als von verschiedenen politischen, aber auch gesellschaftlichen Kräften -insbesondere kirchlicher Seite und medial breit unterstützt -eine Politik eingefordert wird, die diese Realitäten offenbar bewußt ausblendet. Die vielfach beklagte Diskrepanz zwischen Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung und veröffentlichter Meinung ist auch in der deutschen Hauptstadt festzustellen.

Dabei ist gerade für die Akzeptanzfrage wichtig, daß die Ausländerpolitik für die Mehrheit der Menschen in diesem Lande verstehbar bleibt. Das schließt eigentlich Denk-bzw. Politikansätze aus, die den Interessen der einheimischen Bevölkerung nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Besonders gilt dies für die sogenannten multikulturellen Gesellschaftsmodelle. Diese vernachlässigen massiv den einzufordernden Integrationsbeitrag der Zuwanderer und sind geeignet, das Identitätsgefühl der deutschen Bevölkerung zu beeinträchtigen und dadurch Widerstände zu provozieren. Ausländerpolitik findet nicht im luftleeren Raum statt. Auch sie sollte -wie jedes Politikfeld -dem Ziel dienen, Deutschland als leistungsfähiges Gemeinwesen zu erhalten. Nur ein leistungs-und damit zukunftsfähiges Land wird letztendlich in der Lage sein, Integrationschancen für Ausländer zu sichern sowie anderen Regionen der Welt Hilfestellung zu geben.

Dringend notwendig sind also ausländerpolitische Konzepte, die endlich die Realitäten zur Kenntnis nehmen und das gesellschaftlich Notwendige und Wünschenswerte, das Interesse der Mehrheit der Menschen in diesem Land in den Mittelpunkt stellen. Konsequenz ist, daß die Zuwanderungs-und Flüchtlingspolitik, daß humanitäre Erwägungen nicht losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Interessen und Möglichkeiten diskutiert und realisiert werden können, wie dies so häufig geschieht. Gerade im Flüchtlingsbereich wird unter dem Deckmantel der Humanität von bestimmten Gruppen und Organisationen medienwirksam vielfach rücksichtslose Klientelpolitik zu Lasten des Gemeinwohls betrieben.

Moderne, pluralistische Gesellschaften sollten grundsätzlich offen sein für neue Bevölkerungsgruppen, gleich welcher Ethnie. Tatsache ist allerdings, daß die deutsche Gesellschaft in weiten Bereichen bereits an die Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit stößt. Und Tatsache ist auch, daß angesichts von möglicherweise bald fünf Millionen Arbeitslosen auch auf lange Sicht kein Zuwanderungsbedarf besteht. Schon allein aus diesem Grunde ist es absurd und unverantwortlich, Deutschland als Einwanderungsland zu propagieren. Immer mehr ins Zentrum rückt damit die Begrenzungsfrage. Gleichzeitig darf trotz leerer Kassen bei den Integrationsanstrengungen nicht nachgelassen werden.

Die häufig strapazierte Behauptung, das Begrenzungsproblem ließe sich über ein Einwanderungsgesetz lösen, ist pure Augenwischerei. Solange an den liberalen Familiennachzugsregelungen und dem Asylrecht in seiner Ausgestaltung als Aufenthaltsansprüche begründende Grundrechtsnorm festgehalten wird -die jährlichen Zugangszahlen liegen trotz Asylkompromiß noch immer bei weit mehr als 100 000 Menschen läßt sich durch ein solches Gesetz wenig kanalisieren. Auch illegale Zuwanderer werden kaum Rücksicht auf eventuelle Quotenfestlegungen nehmen.

Wichtig ist u. a., Deutschland für wenig qualifizierte Zuwanderungswillige, für die es hier keinerlei Chancen mehr gibt, unattraktiver zu machen. Daneben sollte allerdings intensiv überlegt werden, wie andererseits die Attraktivität der Bundesrepublik für Menschen mit Ideen und Kapital, d. h. für innovative Zuwanderung, erhöht werden kann Erklärte Einwanderungsländer wie die USA, Kanada oder Australien gehen so vor bzw. machen dies zur Bedingung für die Einwanderung.

Entscheidender Magnet für unerwünschte Zuwanderung war in der Vergangenheit bzw. ist bis heute das außerordentlich großzügige deutsche Sozialsystem. Ein Herunterfahren der Leistungsansprüche von Asylsuchenden während der Entscheidungsphase -die jährliche Anerkennungsquote liegt unter 10 Prozent -bzw.deren weitgehender Ausschluß bei Personen ohne Bleiberecht kann ent-scheidend helfen, diese Magnetwirkung zu mindern. Die in diesem Jahr beschlossene Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem Ergebnis gewisser Leistungseinschränkungen beim genannten Personenkreis ist, wenn auch nicht ausreichend, so doch ein Schritt in die richtige Richtung. Die aktuelle Finanzkrise -eigentlicher Auslöser dieser Maßnahme -hat insoweit auch ein Gutes. Integrationspolitik hat ohne entschlossene Begrenzung der Zuwanderung keine Chance. Das gilt erst recht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Am Beispiel der deutschen Hauptstadt lassen sich die Folgen hoher Konzentration ausländischer Problem-gruppen sowie fehlender Integrationschancen und die damit immer enger werdenden Grenzen gesellschaftlicher Integrationsfähigkeit intensiv studieren. Nur wenn daraus die realitätsgerechten Konsequenzen gezogen werden, wird sich der soziale Friede in Berlin und Deutschland auch langfristig sichern lassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 9/3, S. 119f.

  2. Ausländerthemen werden seit Jahresmitte nunmehr vornehmlich im Ausschuß für Gesundheit, Soziales und Migration sowie ferner im Ausschuß für Sicherheit und Ordnung diskutiert.

  3. Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 11/3, S. 71.

  4. Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 12/3, S. 88.

  5. Vgl. Die Ausländerbeauftragte des Senats, Bericht zur Integrations-und Ausländerpolitik, Fortschreibung 1995, Berlin, Oktober 1995, S. 10.

  6. In diesem Jahr mußten in Kreuzberg zwei Jugendtreffs aufgrund fortgesetzter gewalttätiger Übergriffe ausländischer Jugendlicher geschlossen werden; vgl.den Bericht „Kapitulation vor der Gewalt: Zwei Jugendclubs geschlossen. Betreuer machtlos -Aggression unter jungen Ausländem“, in: Berliner Morgenpost vom 23. 7. 1997.

  7. Bei den Deutschen betrug dieser Anteil 9, 9 Prozent.

  8. Quelle für die statistischen Angaben: Bericht der Senatsverwaltung für Inneres über die Kriminalitätsentwicklung in Berlin 1996, Berlin, März 1997.

  9. Zur Analyse der bundesweiten Situation mit vergleichbaren Ergebnissen vgl. Reinhard Rupprecht, Zuwanderung und Innere Sicherheit, in: Steffen Angenendt (Hrsg.), Migration und Flucht, Bonn 1997, S. 87-95.

  10. Quelle für die statistischen Angaben: Landesamt für Verfassungsschutz Berlin, Verfassungsschutzbericht 1996, Berlin, März 1997, S. 137 ff.

  11. Zum Teil wird bereits offen vom Scheitern der Ausländerintegration in Deutschland gesprochen, so im Titelbericht „Gefährlich fremd -Zeitbomben in den Vorstädten“, in: Der Spiegel, Nr. 16 vom 14. 4. 1997, S. 78 ff.

  12. Zahlenangaben aus: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie -Bevölkerungsprognose für Berlin bis zum Jahr 2010, Berlin, Januar 1997.

  13. Bevölkerungsforscher der Berliner Humboldt-Universität prognostizieren für Deutschland bis zum Jahr 2030 einen Anstieg der Ausländerzahl auf 13 Millionen bzw. auf einen Ausländeranteil von 18, 4 Prozent. Für Großstädte wie Frankfurt/M. und München werden Ausländeranteile von fast 50 Prozent vorhergesagt, vgl.den Bericht „Zahl der Ausländer wird sich verdoppeln“, in: Berliner Zeitung vom 21. 11. 1996.

  14. Meinhard Miegel wiest darauf hin, daß weitere hohe Zuwanderungszahlen von wenig qualifizierten Menschen vielmehr aufgrund der zunehmend innenpolitischen Destabilisierung zu einer Abwanderung von Wissen und Kapital aus Deutschland führen könnten. Wichtig sei, Deutschland gerade für diesen letztgenannten Bereich attraktiver zu machen, da ansonsten das gesamte volkswirtschaftliche Gefüge abzusinken drohe; vgl. Meinhard Miegel, Zuwanderung und Sozialstaat, in: S. Angenendt (Anm. 11), S. 104.

Weitere Inhalte

Hans-Burkhard Richter, geb. 1960, Assessor und M. A.; Studium der Rechts-und Geschichtswissenschaften in Berlin; mehrjährige Tätigkeit als Leitungsreferent in den Bereichen Presse, Innere Sicherheit und Ausländer; Referent für Grundsatzfragen des Ausländerrechts und der Ausländerpolitik in der Senatsverwaltung für Inneres in Berlin.