Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Von der Deutschen Mark zum Euro | APuZ 24/1998 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 24/1998 Die Deutsche Mark und die Soziale Marktwirtschaft. Die Währungsreform als Beginn einer schöpferischen Symbiose vor 50 Jahren Die Währungsreform in Ostdeutschland und die Entwicklung des Geld-und Bankenwesens in der DDR Acht Jahre deutsche Währungsunion. Ein Beitrag wider die Legendenbildung im Vereinigungsprozeß Von der Deutschen Mark zum Euro

Von der Deutschen Mark zum Euro

Jürgen von Hagen

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Gründung der Europäischen Währungsunion zum 1. Januar 1999 vollendet einen Prozeß, dessen Anfänge bis in die fünfziger Jahre zurückreichen. Ein Rückblick auf die Geschichte zeigt, wie sehr dieser Prozeß von politischen Motivationen getragen war. Im Kern stand die Vorstellung, daß die Währungsintegration in Europa zum Vehikel einer engeren politischen Integration wird, an deren Ende die Bildung eines europäischen Bundesstaates steht. Der Weg zur Währungsunion läßt sich -da die volkswirtschaftlichen Vorteile der gemeinsamen Währung eher gering einzuschätzen sind und ihnen nicht unbedeutende wirtschaftliche Kosten gegenüberstehen können -nur aufgrund dieser politischen Motivation verstehen. Unter geldpolitischen Gesichtspunkten läßt die Europäische Währungsunion (EWU) ein hohes Maß an Preisstabilität erwarten. Diese Erwartung verbindet sich jedoch aufgrund der geringen Verantwortlichkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) mit einem beachtlichen Maß an Unsicherheit. Ein reibungsloses Funktionieren der EWU setzt voraus, daß die Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte in Europa erhöht wird. Dies erfordert vor allem höhere Mobilität der Arbeitskräfte. Kann eine bessere Anpassungsfähigkeit der Märkte nicht erreicht werden, so bedarf die EWU auf Dauer eines Transfermechanismus, der Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung der einzelnen Staaten ausgleicht, was jedoch wiederum eine größere politische Integration voraussetzt. Dasselbe gilt für die heute noch unbeantwortete Frage, ob die großen EWU-Staaten -vor allem Deutschland und Frankreich -die Notwendigkeit einer disziplinierteren Fiskalpolitik in der EWU akzeptieren werden. Hier schließt sich der Kreis: Die EWU braucht für ihr langfristiges Bestehen die politische Integration der Mitgliedstaaten. Die Zukunft wird zeigen müssen, ob die gemeinsame Währung ein genügend starker Mechanismus ist, um die politische Integration zu erzeugen.

Am 31. Dezember 1999, kurz nach der Feier zu ihrem 50. Geburtstag, wird die Deutsche Mark aufhören zu existieren. Ihr Ende markiert den Beginn eines einmaligen Experiments: des freiwilligen Zusammenschlusses nationaler Währungen zu einer einheitlichen, übernationalen Währung und zugleich der Substitution einer international hervorragend reputierten Währung, der DM, durch eine neue, unbekannte Währung, den Euro.

I. Der Weg zum Euro

1. Historische Vorläufer: die wirtschaftliche, politische und monetäre Integration Der Wunsch nach einer Währungsunion in Europa ist so alt wie die Europäische Gemeinschaft Schon 1959 schlug das Europäische Parlament die Einrichtung einer Europäischen Zentralbank vor. Väter der europäischen Integration, wie Jean Monnet, Robert Marjolin und Pierre Vigny befürworteten eine völlige Fixierung der Wechselkurse zwischen den Währungen der EG-Staaten. Tatsächlich herrschte in den ersten 15 Jahren der EG weitgehende Wechselkursstabilität aufgrund der gemeinsamen Mitgliedschaft der Sechs in dem Währungssystem von Bretton Woods, in dessen Rahmen die Länder den Wechselkurs gegenüber dem Dollar fixierten. Das Europäische Währungsabkommen von 1958 reduzierte die bilaterale Schwankungsbreite der Wechselkurse der EG-Währungen innerhalb des Bretton Woods-Systems auf drei Prozent.

Die rasche Entwicklung der Zollunion und neuer Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit in der EG wie der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verstärkte den Wunsch nach stabilen Wechselkursen. Angesichts der hohen Bedeutung für den Zusammenhalt der EG, die der Wechselkursstabilität beigemessen wurde, sprach man schon Mitte der sechziger Jahre in EG-Kreisen gern von einer „de facto“ -Währungsunion in Europa. Unterdessen geriet das Bretton Woods-System jedoch infolge steigender Inflationsraten in den USA immer mehr unter Spannungen. Sie entluden sich Ende der sechziger Jahre in Aufwertungen der DM, die das Wechselkursgefüge in Europa und besonders das Funktionieren der GAP empfindlich störten. Als die französische und die deutsche Regierung begannen, gegen die Regeln des Systems die Landwirte durch Kompensationszahlungen für die Folgen der Wechselkursänderungen zu entschädigen, schien das Ende der GAP und damit eine schwere Krise der EG unausweichlich.

Angesichts der durch die Währungskrisen verursachten politischen Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich unterbreitete Bundeskanzler Brandt dem Europäischen Gipfel in Den Haag 1969 einen Vorschlag zur Bildung einer Währungsunion, der auf französischer Seite sogleich Unterstützung fand. Die Regierungschefs erklärten erstmalig die Währungsunion zu einem offiziellen Ziel der Gemeinschaft. 1970 wurde der „Werner Bericht“ als Fahrplan für ihre Errichtung angenommen Er sah vor, in einer „ersten Stufe“ von 1971 bis 1974 das wirtschaftspolitische Instrumentarium für eine bessere Koordination der Geldpolitik in den EG-Staaten zu implementieren. In der zweiten Stufe sollten Änderungen der zentralen Paritäten innerhalb des Europäischen Währungsabkommens nur noch mit Zustimmung aller EG-Staaten möglich sein. In der dritten Stufe würde die Geldpolitik schließlich von einer Europäischen Zentralbank übernommen werden. Konkrete Folge des „Werner Berichts“ war die Gründung des Wechselkursverbundes der „Europäischen Schlange“ im Jahre 1972 und des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit im Jahre 1973. Der „Marjolin Bericht“ von 1975 empfahl, die Währungsunion erst nach Erreichen eines hohen Grads der Integration der Gütermärkte in Europa zu verwirklichen Der „MacDougall Bericht“ von 1977 diskutierte die Bedeutung der fiskalpolitischen Koordination für das Funktionieren der Währungsunion Er empfahl die Errichtung eines wesentlich größeren Budgets der EG, damit nach dem Wegfall der Wechselkursflexibilität Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedsländer durch fiskalische Transfers ausgeglichen werden könnten.

Die wirtschaftlichen Turbulenzen der siebziger Jahre in der Folge des Ölpreisschocks und des Zusammenbruchs des Bretton Woods-Systems brachten den in Den Haag begonnenen Prozeß jedoch zum Stillstand. Die „Europäische Schlange“ erwies sich als instabil und unfähig, eine Koordination der Geldpolitik in der EG herbeizuführen. Neue politische Impulse waren nötig. 1977 forderte der Präsident der Europäischen Kommission, Roy Jenkins, das Projekt der Währungsunion rasch voranzutreiben. Die Währungsunion müsse der Motor, nicht das Ergebnis der wirtschaftlichen Integration werden. 1978 schlugen Bundeskanzler Schmidt und der französische Präsident Giscard d’Estaing dem Europäischen Gipfel die Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS) vor, das als Nachfolger der „Europäischen Schlange“ die währungspolitische Kooperation in der EG stärken und den Übergang zur Währungsunion einleiten sollte. Gegenüber der „Schlange“ sollte sich das EWS durch größere „Symmetrie“ auszeichnen, d. h. durch eine weniger starke Stellung der Bundesbank in der gemeinsamen Währungspolitik. Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Schwäche der USA in den späten siebziger Jahren verstanden Schmidt und Giscard d’Estaing die europäische Währungspolitik als zentrales Element einer Außenpolitik, die auf die Behauptung Europas als weltpolitischer Größe abzielte

Die ersten Jahre des EWS waren durch wiederholte Krisen und Abwertungen einzelner Währungen gegenüber der DM gekennzeichnet. Die in der Gründungsakte anvisierte Währungsunion erschien schon bald wieder unrealistisch. Erst nach den Initiativen der Gemeinsamen Europäischen Akte und dem Programm zur Vollendung des Binnenmarktes kam auch der Prozeß der Währungsintegration wieder in Gang. 1988 schlug Außenminister Genscher eine neue Initiative zur Währungsunion vor, die die französische Regierung unter Präsident Mitterrand positiv aufgriff. 1989 nahm der europäische Rat in Madrid den „Delors Bericht“ als Fahrplan zur Währungsunion an. Wie der „Werner Bericht“ sah er die Verwirklichung der Währungsunion in einem dreistufigen Prozeß vor. Monetäre und wirtschaftliche Integration sollten parallel zueinander vorangetrieben werden. Der Bericht forderte ebenfalls die Koordination der Fiskalpolitik in der EG. Die Vorstellungen des „Delors Berichts“ fanden ihren weitgehenden Niederschlag in dem Vertrag von Maastricht, mit dem die Regierungen der EG 1991 die Errichtung der Währungsunion bis spätestens zum 1. Januar 1999 beschlossen.

Die historische Rückschau zeigt, wie stark der Weg zur Währungsunion von politischen Impulsen geprägt war. Die Vorstellung, daß die gemeinsame Währung zu einem Symbol der Einigung Europas werden und die Staaten zusammenschweißen würde, ist grundlegend für das Verständnis der europäischen Währungsintegration. Sie entspricht der Grundthese der „kumulativen Logik der Integration“, daß eine enge Integration in einem Bereich der Wirtschaftspolitik enge Integration in anderen Bereichen nach sich zieht, bis am Ende eine vollständige Integration erreicht ist In dieser Sichtweise ist die Währungsunion letztlich Vehikel einer politischen Union, die sich auf direktem Wege nicht verwirklichen läßt. Jacques Rueff faßte diese These schon 1950 in einem berühmten Zitat zusammen: „L’Europe se fera par la monnaie, ou ne se fera pas.“

Die Regierung Kohl trieb nach der Deutschen Einigung das Projekt voran, um die feste Einbindung der Bundesrepublik in die Europäische Union zu zementieren. Ihr propagiertes Ziel war, mit der Währungsunion zugleich die politische Union in Europa voranzubringen. Auch Deutschlands Partner sahen nach der Deutschen Einigung in der Währungsunion die Möglichkeit, der Gefahr einer Abwendung Deutschlands von der Europäischen Integration zu begegnen Außerhalb Deutschlands traten andere Motive hinzu. Entgegen der ursprünglichen Konzeption wurde das EWS vor allem von Frankreich zunehmend als von der DM dominiert empfunden. Die Unabhängigkeit der Bundesbank bedeutete aus der Sicht der anderen EWS-Teilnehmer, daß die europäischeGeldpolitik zuwenig Rücksicht auf deren nationale wirtschaftspolitische Interessen nahm. Für diese Länder bedeutet daher die EWU nicht zuletzt auch den Abbau der Vorherrschaft der Bundesbank und die Erlangung von mehr Einfluß auf die europäische Geldpolitik

In der Vorbereitung des Maastrichter Vertrages wurde die Verbindung von Währungsunion und politischer Union in Europa durch die Einberufung von Regierungskonferenzen zu beiden Themen betont. Angesichts der unbefriedigenden Ergebnisse des Vertrags in bezug auf die politische Einigung einigten sich die Regierungen auf die Einrichtung einer Nachfolgekonferenz, die sich der weiteren Entwicklung der politischen Einigung in Europa und den dringenden institutioneilen Reformen der Gemeinschaft widmen sollte. Die mageren Ergebnisse dieser Konferenz, die 1997 mit dem Vertrag von Amsterdam beendet wurde, belegen die Reformunfähigkeit der Europäischen Union und die Schwierigkeiten ihrer weiteren politischen Integration. Da die Bundesrepublik mit der Aufgabe der DM den höchsten geldpolitischen Preis für die EWU zahlt, macht der mangelnde Fortschritt in der politischen Integration die deutsche Regierung zum eigentlichen Verlierer der EWU.

Der maßgebliche Grund für diese Lähmung ist eng verknüpft mit dem Verhältnis zwischen monetärer und politischer Union einerseits und dem mangelnden Konsens der europäischen Staaten über die langfristigen Ziele der europäischen Integration andererseits. Im Kern geht es um den Konflikt zwischen dem Verständnis der EU als einer supranationalen Organisation, die sich allmählich zu einem souveränen, europäischen Bundesstaat entwickeln wird, und der EU als einer besonders intensiven Form der Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten Die Vertreter der ersten Position sehen die EWU als den nächsten großen Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat; Vertreter der zweiten fürchten die damit verbundene Aufgabe nationaler Souveränität zugunsten der Union. Die britische Regierung unter Margaret Thatcher vertrat diese Position besonders deutlich, aber auch in der dänischen und der schwedischen Entscheidung, nicht an der EWU teilzunehmen, spielte die Ablehnung einer bundesstaatlichen Vision eine Rolle. Mit der Spaltung der EU in die Gruppe der EWU-Teilnehmer und die

Gruppe der übrigen Länder deutet sich an, daß die Währungsintegration letztlich die politische Integration der gesamten Union auch behindern kann. Wie weit dies der Fall sein wird, wird davon abhängen, ob und wie der grundlegende Konflikt über die Vision der europäischen Integration gelöst werden kann 2. Konvergenz zum Euro Der Maastrichter Vertrag verlangte von allen Regierungen die Aufstellung von Konvergenzprogrammen, die ihre wirtschaftspolitischen Programme zur Erreichung der Konvergenzkriterien darlegen sollten. Die Einhaltung der Konvergenz-kriterien war ausschlaggebend für die Qualifikation eines Landes zur Teilnahme an der EWU. Die fünf Kriterien sind: (1) die rechtliche Unabhängigkeit der Zentralbank von der Regierung; (2) die Teilnahme am EWS ohne eine von der jeweiligen Regierung initiierte Abwertung der eigenen gegenüber den anderen Währungen und bei Einhaltung der normalen Schwankungsbreiten der Wechselkurse im EWS; (3) die Realisierung einer Inflationsrate, die das Mittel der drei niedrigsten Inflationsraten in der Europäischen Union nicht um 1, 5 Prozent übersteigt; (4) die Realisierung eines langfristigen Zinssatzes, der das Mittel der langfristigen Zinsen in denselben drei Ländern nicht um zwei Prozent übersteigt, und (5) die Abwesenheit eines „übermäßigen Defizits“. Das Konvergenzverfahren sollte sicherstellen, daß sich die Volkswirtschaften vor allem im Hinblick auf die Inflationsentwicklung zu Beginn der EWU einigermaßen im Gleichschritt entwickeln und zugleich im Hinblick auf die Stellung der Zentralbank die rechtliche Grundlage der EWU sicherstellen. Zu Beginn des EWS herrschten in der EG Inflationsraten zwischen 5, 8 Prozent in Deutschland und 20, 4 Prozent in ‘ dien. Infolge des zweiten Ölpreisschocks nahmen diese Unterschiede in den ersten Jahren des EWS noch zu, bevor die Inflationsraten ab 1982 gegen niedrigere Werte konvergierten. 1992, zur Verabschiedung des Maastrichter Vertrages, betrug die höchste Inflationsrate in der EG 15 Prozent (Griechenland), die niedrigste lag bei 1, 6 Prozent (Luxemburg) 1997 schließlich betrug die höchste Rate 6, 0 Prozent (Griechen-land), die niedrigste 1, 3 Prozent (Finnland); Italien wies eine Rate von 2, 2 Prozent, Deutschland von 2, 1 Prozent auf. Inflationskonvergenz auf einem sehr niedrigen Niveau ist zweifellos der große Erfolg des Maastrichter Konvergenzprogramms. Parallel dazu sanken ebenfalls die langfristigen Zinsen in Europa. Besonders die Staaten mit relativ hohem Schuldenstand, Italien und Belgien, wurden dadurch von ihren hohen Zinszahlungen im Staatshaushalt entlastet, so daß die Inflationskonvergenz auch zur Erfüllung des Defizitkriteriums beitrug. Bezogen auf das Inflations-und das Zinskriterium erfüllte 1997 lediglich Griechenland die Bedingungen für die Währungsunion nicht.

Die fiskalische Konvergenz -d. h. die Einhaltung des Defizit-und Schuldenkriteriums -ist dagegen kritischer zu betrachten. 1991 betrug die mittlere Schuldenquote in der EG 60 Prozent Seit Beginn des Konvergenzprozesses stieg die mittlere Schuldenquote auf 73 Prozent. Für die EG insgesamt muß daher die fiskalische Konvergenz als gescheitert betrachtet werden.

Hinter der durchschnittlichen Entwicklung verbergen sich allerdings deutlich unterschiedliche Trends in den einzelnen Ländern. Der Anstieg der mittleren Verschuldung seit 1992 wurde praktisch vollständig getragen durch die Zunahme der Staatsverschuldung in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien -also ausschließlich in den großen Ländern der EU. In den mittleren und kleinen Staaten war die Staatsverschuldung dagegen nach 1992 konstant oder rückläufig. Einige Länder, wie Irland und Belgien, nutzen den Anlaß des Konvergenzprozesses zu einer Reform ihrer nationalen Budgetpolitik, um die fiskalische Disziplin langfristig abzusichern. Offensichtlich war die abschreckende Wirkung des Verfahrens bei übermäßigen Defiziten in diesen Ländern größer als in den großen EG-Staaten. Diese waren dagegen nur mit Hilfe besonderer Maßnahmen in der Lage, das letztlich entscheidende Defizitkriterium zu erfüllen Weder Deutschland noch Frankreich haben bis 1997 eine

Reduzierung ihrer Haushaltsdefizite erreicht, die als dauerhaft angesehen werden kann Infolgedessen kam es in der Bewertung der fiskalischen Konvergenz auch nicht zur Anwendung einer „strikten“ Interpretation der Kriterien, auf der die Bundesregierung zuvor bestanden hatte. 3. Einführungsphase Nachdem auf dem Europäischen Gipfel am 2. Mai 1998 die elf Mitglieder der EWU festgelegt wurden, müssen im Laufe des Jahres noch einige Maßnahmen ergriffen werden, um den Start der EWU am 1. Januar 1999 zu ermöglichen. Zum 1. Juli 1998 wird die Europäische Zentralbank (EZB) als Institution gegründet werden. In der zweiten Jahreshälfte wird sie ihr geldpolitisches Instrumentarium festlegen und eine Strategie für die Geldpolitik zu Beginn der EWU ausarbeiten. Vorarbeiten dazu hat bereits das Europäische Währungsinstitut in Frankfurt geleistet.

Mit dem Beginn der EWU müssen die Währungen aller teilnehmenden Staaten in Euro konvertiert werden. Dieses Konversionsproblem wird durch eine Reihe von Vorschriften des Maastrichter Vertrags und nachfolgender Beschlüsse des Europäischen Rates verkompliziert Der Vertrag legt fest, daß die Konversion den Außenwert des ECU nicht verändern darf. Zusammen mit dem Beschluß des Madrider Gipfels, den heutigen ECU im Verhältnis 1 : 1 in Euro zu überführen, bedeutet dies, daß der Konversionskurs jeder teilnehmenden Währung gleich der letzten Quotierung eines Marktkurses dieser Währung gegenüber dem ECU sein muß. Die sogenannte Dreiecksarbitrage am Devisenmarkt impliziert, daß das Verhältnis der Konversionskurse von je zwei teilnehmenden Währungen gleich der letzten Quotierung ihres bilateralen Wechselkurses sein muß. Diese Bestimmung bedeutet, daß die Konversionskurse nicht im Vorhinein bestimmt werden können. Das Konversionsverfahren birgt daher buchstäblich bis zur letzten Sekunde Unsicherheit.

Diese Unsicherheit ließe sich eliminieren, wenn die teilnehmenden Staaten im Vorlauf der EWU den Wechselkurs ihrer Währungen gegenüber dem ECU festlegen könnten. Da der heutige ECU aber mit dem britischen Pfund und der griechischen Drachme Währungen enthält, die nicht an der EWU teilnehmen, ist eine solche Fixierung nicht möglich. Bestenfalls läßt sich die Unsicherheit ver-ringern, indem die Teilnehmerstaaten sich im vorhinein auf bilaterale Konversionskurse einigen und ankündigen, daß ihre Zentralbanken diese Kurse auf jeden Fall am letzten Markttag, also am 31. Dezember 1998, durchsetzen werden. Dies erfordert die Bereitschaft der Zentralbanken, am letzten Markttag Währungen anderer Teilnehmer-staaten in unbegrenzter Höhe zu dem angekündigten Kurs zu kaufen oder zu verkaufen.

Auch für eine strikt auf Preisstabilität bedachte Zentralbank wie die Bundesbank entsteht durch diese Ankündigung kein geldpolitisches Risiko, da der Kauf oder Verkauf von teilnehmenden Währungen am letzten Tag durch eine teilnehmende Zentralbank lediglich die Zusammensetzung nach den Ursprungswährungen, aber nicht die Höhe der in Euro bezifferten Geldmenge zu Beginn der EWU verändern kann. Dies sichert die Glaubwürdigkeit der Ankündigung, die notwendig ist, um die Erwartungen der Devisenhändler zu lenken: Sofern die Händler überzeugt sind, daß am letzten Tag die zentralen Paritäten vorherrschen, werden sie auf diese Kurse spekulieren und durch entsprechende Käufe und Verkäufe diesen Kurs selbst herbeiführen, so daß die Bedingung der marktmäßigen Konvergenz erfüllt wird.

Mit Beginn der EWU am 1. Januar 1999 endet die Existenz der nationalen Währungen der Teilnehmerländer. Da jedoch bis zu diesem Zeitpunkt die EZB nicht in der Lage sein wird, ausreichend Bargeld in Euro herzustellen, werden die alten nationalen Geldzeichen, Münzen und Banknoten, noch für einige Zeit weiter umlaufen. Unterstellen wir einen Konversionskurs zum Euro von 1, 94 DM, so wird ein 10-DM-Schein dann effektiv 5, 1282 Euro wert sein. Die Einführung des Euro-Bargelds erfolgt bis zum 1. Januar 2002; am l. Juli 2002 erlischt der Charakter der alten Geldzeichen als gesetzliches Zahlungsmittel.

Der bargeldlose Zahlungsverkehr wird dagegen schon ab dem 1. Januar 1999 in Euro abgewickelt werden. Dazu wird die EZB das europäische Zahlungssystem TARGET betreiben. Nach dem von der Europäischen Kommission propagierten Grundsatz „kein Zwang, keine Verhinderung“ haben Nichtbanken im Zahlungsverkehr die Wahl zwischen dem Euro oder ihrer alten, nationalen Währung. Wählen sie die alte Währung, so muß der Zahlungsbetrag durch die Bank zunächst in Euro umgewandelt werden, bevor er in den Zahlungsverkehr gegeben werden kann. Ursprünglich als vertrauensbildende Maßnahme gedacht, wird dieses Verfahren nicht nur die Kosten des Zahlungsverkehrs erhöhen, sondern auch Verwirrung stiften. Wie schnell sich der Euro im Zahlungsverkehr durchsetzen wird, wird letztlich vom Verhalten großer Unternehmen und des Staates abhängen. Große Unternehmen haben zur Vermeidung von Kosten ein Interesse daran, möglichst schnell einheitlich zum Gebrauch des Euro überzugehen. In einigen europäischen Ländern hat der Staat durch die Ankündigung, ab 1999 Steuererklärungen in Euro zu akzeptieren, in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle übernommen. Die Bundesrepublik liegt hier noch weit zurück. 4. Wirtschaftliche Perspektiven Die Einführung der gemeinsamen Währung wird die wirtschaftliche Integration der beteiligten Staaten erheblich vorantreiben. Auf den Güter-märkten bedeutet die Verwendung einer gemeinsamen Währung einerseits geringere Transaktionskosten, andererseits eine erhöhte Transparenz des Preissystems: Da Preisunterschiede zwischen den Ländern nicht mehr durch Wechselkurse verschleiert werden, bietet die EWU geringere Möglichkeiten für Preisdiskriminierung. Beides impliziert eine höhere Wettbewerbsintensität auf den europäischen Märkten, die letztlich dem Konsumenten zugute kommen wird. Der Einkommenseffekt durch die Ersparnis von Transaktionskosten verspricht eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und Beschäftigung. Während dieser Effekt aber quantitativ eher gering sein dürfte führt die Verschärfung des Wettbewerbs zu einer Umverteilung von Produktion und Beschäftigung in der EWU zugunsten der Länder mit den geringsten Lohnkosten und der höchsten Produktivität. Drastische Veränderungen wird die EWU im Finanzsektor nach sich ziehen. Die Umstellung aller nationalen Finanzmärkte auf dieselbe Währung schafft einen einheitlichen EWU-Finanzmarkt, der der Größe nach mit dem Finanzmarkt der USA vergleichbar sein wird. Geringere Handelskosten und höhere Liquidität auf den Aktien-und Wertpapiermärkten sind die Folge. Dies wird Anlagen in Euro-Wertpapieren und Aktien auch für Investoren außerhalb der EWU attraktiver machen als bisher Die internationale Bedeutung der Euro-Finanzmärkte wird daher zunehmen undder Euro zugleich zu einer attraktiven Reservewährung für Zentralbanken außerhalb der EWU werden. Diese Tendenz wird auch durch die Größe des EWU-Wirtschaftsraumes bestärkt, dessen Anteil am globalen Sozialprodukt 31 Prozent betragen wird (verglichen mit 27 Prozent der USA). Ein wirtschaftlicher Vorteil der EWU dürfte daher darin liegen, daß Zentralbanken und private Investoren außerhalb der EWU den Euro in großem Maß als Anlagewährung halten werden. Während die Währungen der EWU-Länder heute zusammen 20 Prozent der Währungsreserven von Nicht-EWU-Ländern ausmachen, dürfte der Anteil des Euro deutlich darüber liegen. Ob der Euro allerdings -wie Optimisten behaupten -den Dollar als die dominante internationale Währung ablösen kann, wird sich nicht zuletzt aufgrund der Qualität der Geldpolitik der EZB erweisen.

II. Die monetäre Verfassung der EWU: Garant für Stabilität?

Die monetäre Verfassung der EWU gründet sich auf zwei Prinzipien: die Verpflichtung der Geldpolitik auf das Ziel der Preisstabilität und die Unabhängigkeit der Zentralbank. Art. 105 (1) des Maastrichter Vertrags legt fest, daß das oberste Ziel der Geldpolitik des EZB die Preisstabilität ist. Art. 105 (1) fügt hinzu, daß die EZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unterstützen soll, solange das Ziel der Preisstabilität dadurch nicht gefährdet wird. Dieser Zusatz dürfte sich in der Praxis als irrelevant erweisen, da er sich allein auf die „allgemeine“ Wirtschaftspolitik bezieht und von der Wirtschaftspolitik „in der“ und nicht „der“ Gemeinschaft spricht. Selbst wenn es eine gemeinsame Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft gäbe, wäre die EZB nicht zu deren Unterstützung verpflichtet, da es immer daneben noch weitere, nationale Wirtschaftspolitiken geben wird. 1. Zentralbankunabhängigkeit Zu den großen wirtschaftspolitischen Innovationen des Maastrichter Vertrages zählt die Sicherung der Unabhängigkeit der EZB. Unabhängigkeit bedeutet, daß die Zentralbank ihren geldpolitischen Kurs frei wählen kann und nicht an Weisungen der Regierungen oder eines anderen Organs der Gemeinschaft gebunden ist. Dieser Grundsatz wurde in Art. 107 des Maastrichter Vertrags festgelegt. Zur Unabhängigkeit gehört auch, daß die EZB nicht gezwungen werden kann, die Staats-schuld eines Mitgliedstaates durch direkte Kreditvergabe an die Regierung und damit letztlich durch Gelddrucken zu finanzieren. Dieser Grundsatz wird in Art. 104 festgelegt. Er verbietet auch die Einrichtung von Kreditfazilitäten bei der EZB für die Mitgliedstaaten der EWU. Unabhängigkeit bedeutet weiter, daß die Entscheidungsträger im Zentralbankrat keinen Anreiz haben, ihre Entscheidungen an den Interessen der Regierungen auszurichten. Dies ist dadurch sichergestellt, daß die Mitglieder des Zentralbankrats nicht frühzeitig aus ihrem Amt entlassen werden können und jeweils nur für eine Amtszeit im Zentralbankrat vertreten sind. Eine Einschränkung der Unabhängigkeit der EZB könnte sich daraus ergeben, daß der Rat der Finanzminister von seinem Recht Gebrauch macht, der EWU ein Wechselkursziel mit einer anderen Währung vorzuschreiben. In der Praxis dürfte dies aber wenig relevant sein, denn angesichts der Größe der EWU käme dafür nur eine Bindung des Euro an den Dollar in Frage -eine Politik, die auf die Ablehnung der USA stoßen würde. Im Rahmen des neuen EWS-2, das den nichtteilnehmenden Ländern der EU als Wechselkursverbund mit dem Euro zur Verfügung steht, hat die EZB das Recht, Stützungskäufe anderer Währungen unilateral einzustellen, falls solche Käufe nach ihrer Ansicht das Ziel der Preisstabilität untergraben. Im internationalen Vergleich erweist sich die EZB, was ihre Statuten betrifft -als eine der unabhängigsten Zentralbanken.

Die Unabhängigkeit der Zentralbank dient der Absicherung des geldpolitischen Ziels der Preisstabilität Ausgangspunkt des Konzepts der Zentralbankunabhängigkeit ist die Vorstellung, daß der Zentralbankrat einer unabhängigen Zentralbank seine Entscheidungen an längerfristigen Zielen ausrichten kann und folglich nicht wie eine regierungsabhängige Zentralbank an kurzfristigen, politisch opportunen Beschäftigungsgewinnen interessiert sein muß. Da die Arbeitnehmer und Unternehmer das verstehen, erwarten sie von einer unabhängigen Zentralbank geringere Inflationsraten als von einer regierungsabhängigen Zentralbank, die sich, bei unverändertem Beschäftigungsniveau, auch einstellen. Der Vorteil einer unabhängigen Zentralbank besteht also darin, auf längere Sicht eine geringere Inflationsrate zu bekommen, ohne eine höhere Arbeitslosigkeit hinnehmen zu müssen. Die Ergebnisse einer Vielzahl empirischer Arbeiten haben inzwischen bestätigt, daß Länder mit unabhängigen Zentralbanken geringere Inflationsraten aufweisen

Kritiker des Konzepts wenden ein, daß die Abwägung zwischen wirtschaftspolitischen Zielen wie Arbeitslosigkeit oder Preisstabilität politisch zu bedeutsam sei, als daß man sie einer unabhängigen Behörde überlassen dürfe. Dieser Einwand ist eng verbunden mit der Frage, wem gegenüber eine unabhängige Zentralbank verantwortlich ist und wie die Mitglieder ihres Zentralbankrats zur Verantwortung gezogen werden können. Im Rahmen nationaler Geldpolitik ist diese Frage noch einfach zu beantworten: Da die Unabhängigkeit der Zentralbank durch ein Gesetz geschaffen wurde, kann sie auch durch ein Gesetz wieder abgeschafft werden. Darüber hinaus sehen sich gerade unabhängige Zentralbanken der öffentlichen Kritik ausgesetzt und sind daher bemüht, ihre Politik in den Medien zu erklären und zu rechtfertigen. Verantwortlichkeit besteht also informell auch gegenüber der Öffentlichkeit.

Mangelnde Verantwortlichkeit der EZB ist die große Schwäche des Maastrichter Vertrags. Formal ist die EZB gehalten, jährlich dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat über ihre Politik zu berichten. Sanktionsmöglichkeiten für den Fall, daß die EZB ihr Ziel der Preisstabilität systematisch verletzt, gibt es jedoch nicht. Als Produkt eines internationalen Vertrages läßt sich die EZB auch nicht -wie eine nationale Zentralbank -durch ein Gesetz abschaffen; dazu bedarf es der Revision des Europäischen Vertrags und der Zustimmung aller EU-Staaten. Auch die Verantwortlichkeit der EZB gegenüber der Öffentlichkeit wird nur schwach ausgeprägt sein, da es auf europäischer Ebene keine formierte öffentliche Meinung gibt, wie sie auf nationaler Ebene besteht. Praktisch bedeutet dies, daß die EWU ihrer Zentralbank ausgeliefert sein wird: Sollte sich die Geldpolitik der EZB als schlecht erweisen, gibt es -abgesehen von der Drohung eines Mitglieds, die EWU zu verlassen und eine eigene, nationale Währung wieder einzuführen -keine Möglichkeit, die Zentralbank zu einer Besserung zu zwingen.

Die Kombination eines hohen Grades von Unabhängigkeit mit sehr schwacher Verantwortlichkeit in der EZB bedeutet, daß die EZB zwar eine geringe Inflationsrate erwarten läßt, daß diese Erwartung aber mit einem bedeutenden Grad an Unsicherheit verbunden ist. Letztlich ist die Qualität der Geldpolitik der EZB in dieser Gestaltung in sehr viel höherem Maße als bei Zentralbanken, die stärker verantwortlich sind, von der persönlichen Motivation der Mitglieder des Zentralbank-rates zur Wahrung der Preisstabilität abhängig. Darin liegt ein Risiko, da persönliche Motivationen vor der Ernennung eines Ratsmitglieds nur schwer meßbar sind. Andererseits wird dadurch gerade die Ernennung der ersten Ratsmitglieder besonders wichtig. Das politische Gerangel um die Ernennung des ersten Präsidenten der EZB, Wim Duisenberg, das sich bis in die letzten Stunden des EU-Gipfels am 2. Mai 1998 hinzog, belegt die hohe Bedeutung, die der Persönlichkeit des Präsidenten aufgrund der Verbindung von hoher Unabhängigkeit und schwacher Verantwortlichkeit zugemessen wird. 2. Preisstabilität Trotz des hohen Stellenwerts, den die Preisstabilität in der monetären Verfassung der EWU einnimmt, gibt der Maastrichter Vertrag keine Definition dieses zentralen Begriffs. Tatsächlich haben selbst Praktiker nur vage Definitionen für Preisstabilität. Nach Greenspans Definition herrscht Preisstabilität, wenn wirtschaftliche Entscheidungsträger ihre Entscheidungen nicht von der Erwartung künftiger Veränderungen des Preisniveaus abhängig machen Diese Definition betont den erwartungsbezogenen Charakter von Preisstabilität. Eine strenge Interpretation von Preisstabilität erfordert, daß das Preisniveau im Zeitablauf stabil ist, also konstant oder in geringem Ausmaß um einen konstanten Wert schwankt. Eine alternative, weichere Definition von Preisstabilität fordert, daß der langfristige Trend des Preisniveaus Null ist. Unter einer solchen Definition würde die Geldpolitik eine geringe Wachstumsrate des Preisniveaus anstreben, einmalige Verschiebungen des Preisniveaus jedoch zulassen.

Der Bedeutung des Unterschieds in den beiden Konzepten resultiert daraus, daß Änderungen des Preisniveaus nicht nur von der Geldpolitik verursacht werden und nicht nur von exogenen Einflüssen, sondern auch durch wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung und das Verhalten der Tarifpartner. Eine Erhöhung der Verbrauchssteuern beispielsweise führt in der Regel zu einer Erhöhung der Verbraucherpreise. Unter der strengen Definition der Preisstabilität wird eine Zentralbank auf diese Erhöhung mit einer restriktiven Geldpolitik antworten, um das Preisniveau auf seinen ursprünglichen Wert zu drücken. Eine solche Antwort wird einerseits die konjunkturellen Effekte der Steuererhöhung verschärfen, andererseits ihre Verteilungseffekte zugunsten derjenigen Gruppen in der Bevölkerung verändern, die am stärksten von Preiserhöhungen betroffen sind. Unter der weichen Definition von Preisstabilität dagegen wird die Zentralbank die steuerlich bedingte Preisniveauerhöhung hinnehmen und durch eine entsprechende Ausweitung der Geldmenge ermöglichen, so wie die Bundesbank dies in den achtziger und neunziger Jahren mehrfach getan hat

Das Beispiel zeigt, daß die Verwendung einer strengen Definition von Preisstabilität Konflikte zwischen der Zentralbank und der Regierung wahrscheinlicher macht als das weichere Konzept. Aus ähnlichen Gründen führt die strenge Definition zu intensiveren und häufigeren Auseinandersetzungen zwischen der Zentralbank und den Tarifpartnern als die Alternative. Zugleich impliziert das strenge Konzept einen hohen Grad der Sicherheit über die langfristige Preisniveauentwicklung, während das weichere Konzept -in Abhängigkeit vom Verhalten der anderen wirtschaftspolitischen Akteure -zu beträchtlicher Unsicherheit führen kann.

Die entscheidende Frage in der Abwägung der beiden Konzepte ist, inwieweit die Zentralbank politischem Druck der Regierung und anderer Akteure standhalten kann. Da eine Zentralbank -wie alle großen Institutionen -Konflikte scheut, besteht die Gefahr, daß eine ständige Auseinandersetzung mit anderen wirtschaftspolitischen Akteuren dazu führt, daß die Geldpolitik am Ende deren Interessen zu Lasten der Preisstabilität nachgibt. Die EZB wird in dieser Hinsicht in einer besonderen Lage sein, da sie nicht einer, sondern mehreren Regierungen und Gruppen von Tarifpartnern gegenübersteht. Eine Erhöhung der Verbrauchsteuern beispielsweise in Deutschland wird die Preise in Deutschland erhöhen, das Preisniveau in der EWU dagegen nur geringfügig beeinflussen. Das bedeutet, daß die EZB eine strenge Definition von Preisstabilität anwenden kann, ohne politischen Druck in demselben Ausmaß fürchten zu müssen, wie eine gewöhnliche Zentralbank. So gesehen sollte die EZB ihr Ziel ehrgeiziger setzen, als die nationalen Zentralbanken in der Vergangenheit.

Zur Durchsetzung von Preisstabilität wird die EZB ihre Geldpolitik an einem Durchschnitt der Preise in allen EWU-Staaten ausrichten. Stabilität dieses Preisniveaus schließt nicht aus, daß die Preise in einzelnen Staaten deutlichen Bewegungen unterliegen. Beispiele anderer großer Währungsunionen belegen dies. So betrug die Preissteigerung im Nordosten der USA zwischen 1985 und 1991 31, 5 Prozent, im Süden dagegen nur 24 Prozent. Auch in Kanada findet man signifikante Unterschiede der Inflationsraten zwischen den Provinzen. Es ist also möglich, daß die Bürger der Länder in der EWU den Erfolg der EZB unterschiedlich beurteilen, weil sie unterschiedlichen Preissteigerungen ausgesetzt sind. Dies kann einerseits die Folge unterschiedlicher Entwicklungen von Güternachfrage und -angebotsbedingungen in den Ländern sein, andererseits auf unterschiedlichen Reaktionen der einzelnen Volkswirtschaften auf die gemeinsame Geldpolitik beruhen.

Unterschiede in den nationalen Inflationsraten werden vor allem dadurch bedeutsam, daß sie unterschiedliche Reaktionen der Tarifpartner und der Regierungen in der Fiskalpolitik nach sich ziehen werden. In existierenden Währungsgebieten richten sich die jährlichen Anpassungen von Löhnen und staatlichen Transferleistungen (z. B. Renten) in der Regel nach der durchschnittlichen Inflationsrate im gesamten Währungsgebiet. Dies ist einerseits eine Folge der Mobilität der Arbeitskräfte, andererseits eine Folge des Grundsatzes der gleichen Behandlung aller Bürger. In der EWU scheint es dagegen wenig wahrscheinlich, daß Regierungen und Tarifpartner sich nach dem europäischen Preisniveau richten werden, da beide Grundlagen hier nicht gegeben sind. Eine fortgesetzte Orientierung an nationalen Preisentwicklungen birgt jedoch ihrerseits die Gefahr, daß Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung zwischen den EWU-Staaten vertieft und perpetuiert werden. Dies würde die Durchsetzung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik für die gesamte EWU erschweren.

III. Der fiskalpolitische Rahmen der EWU

Die enge Verbindung von Geld-und Fiskalpolitik bedeutet, daß die EWU nicht nur die Geldpolitik sondern auch die Fiskalpolitik der beteiligten Länder auf eine neue Grundlage stellt. Drei Charakteristika des fiskalpolitischen Rahmens der EWU sind auffällig: die Abwesenheit von Mechanismen, die die Anpassung an Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung der beteiligten Länder erleichtern; die Begrenzung der Verschuldungsfähigkeit der Regierungen und die Abwesenheit eines Mechanismus zur Koordination der Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten. 1. Anpassungsmechanismen für asymmetrische wirtschaftliche Entwicklungen Die ökonomische Analyse von Währungsunionen befaßt sich vorrangig mit der Frage nach den Anpassungsmechanismen für asymmetrische wirtschaftliche Entwicklungen in den verschiedenen Regionen der Union Wechselkursabwertungeh bieten den Vorteil einer relativ schnellen Anpassung. Stehen sie nicht mehr zur Verfügung, muß die Anpassung auf anderem Wege vollzogen werden. Theoretisch wäre dies durch Preisanpassung möglich; in der Praxis erweisen sich Preise jedoch als starr, so daß die Effektivität dieses Anpassungsmechanismus zweifelhaft ist. In den USA erweist sich die Mobilität der Arbeitnehmer als wichtigster Mechanismus. Sinkt in einer Region die Beschäftigung, so wandern Arbeitnehmer in andere Regionen, in denen sie Arbeit finden können. Angesichts der kulturellen und sprachlichen Barrieren in Europa wird auch dieser Anpassungsmechanismus wenig effektiv sein; zudem ist die regionale Mobilität der Arbeitskräfte auch innerhalb europäischer Länder erheblich geringer als in den USA

Funktioniert auch dieser Mechanismus nicht, so bleibt zur Anpassung an unterschiedliche Wirtschaftsentwicklungen in den Teilnehmerländern der Währungsunion die schon im „McDougall Bericht“ diskutierte Möglichkeit, ein Transfersystem zwischen den Teilnehmerstaaten einzurichten. In nationalen Währungssystemen leistet das Steuer-und Transfersystem der Zentralregierung den partiellen Ausgleich asymmetrischer Entwicklungen zwischen den Regionen. Beispielsweise steigen die Nettozahlungen der amerikanischen Bundesregierung an einen Staat, dessen Einkommen relativ zum Durchschnitt der USA vorübergehend um einen Dollar fällt, um ca. 10 cent. In anderen Staaten ist die Ausgleichszahlung erheblich größer Ohne einen derartigen Ausgleich wären regionale Konjunkturschwankungen stärker ausgeprägt, als dies in der Praxis der Fall ist.

Zu beachten ist jedoch, daß derartige Transferleistungen in bestehenden Währungssystemen die Folge direkter Besteuerung und von auf Individuen und Familien ausgerichteten Ausgaben-programmen sind. Transferleistungen an eine bestimmte Region gibt es in diesem Zusammenhang nur, weil im Fall einer regionalen Rezession es in dieser Region besonders viele anspruchsberechtigte Leistungsempfänger gibt. Ein Transfersystem, das Zahlungen auf der Grundlage aggregierten Einkommens von Regionen bzw. von EWU-Staaten leistet, läßt sich zwar prinzipiell konzipieren, jedoch erweist sich ein solches System als unrealistisch kompliziert in der Berechnung der erforderlichen Transferleistungen und wenig robust gegenüber Fehlern in der Berechnung der regionalen Einkommensschwankungen . Für ein Transfersystem, das direkt an die Einkommen von Individuen gebunden ist, fehlt darüber hinaus in der EWU die Grundlage eines gemeinsamen Steuer-und Ausgabensystems.

Es bleibt also für die Anpassung an regionale Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung, vor allem die Anpassung regionaler Löhne und Beschäftigung. Angesichts der Rigidität und Überregulierung der Arbeitsmärkte, zumal in den großen Ländern der EWU, ist zu befürchten, daß Rezessionen in einzelnen Ländern zu hoher und anhaltender Arbeitslosigkeit führen können. Um dies zu vermeiden, braucht die EWU eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. 2. Fiskalische Disziplin und Stabilitätspakt Die Sorge, daß die Stabilität des Euro durch eine zu hohe Verschuldung einzelner Mitgliedsländer der EWU gefährdet werden könnte, hat den Maastrichter Vertrag besonders geprägt. Sie findet einerseits ihren Niederschlag in Art. 104, nach dem die EZB nicht gezwungen werden kann, Staatsschuld zu finanzieren, und der den Erwerb von Staatsschuld durch die EZB direkt beim Emittenten ausschließt. Art. 104 b legt weiterhin fest, daß kein Mitgliedsland der EWU und kein Organ der EU gezwungen werden kann, für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes aufzukommen. Sie findet andererseits ihren Niederschlag in dem „Verfahren bei übermäßigen Defiziten“ des Art. 104 c, das die zulässige Höhe von Haushalts-defiziten in der EWU auf drei Prozent des BIP und die zulässige Höhe der Staatsverschuldung auf 60 Prozent beschränkt. Regierungen, die diese Grenzen überschreiten, werden einem Überwachungsverfahren unterworfen, in dessen Rahmen der Europäische Rat eine Änderung ihrer Haushaltspolitik verlangen und Empfehlungen dazu aussprechen kann. Der Stabilitäts-und Wachstumspakt, der 1997 dem Vertrag hinzugefügt wurde, verstärkt die Sanktionsmechanismen für Überschreitungen der Defizitgrenze.

Hinter diesen Vorschriften steht die Überlegung, daß die EWU die fiskalische Disziplin der Mitgliedsregierungen schwächen würde, wenn diese erwarten können, daß die EZB ihre Staatsschuld finanzieren und dadurch die Inflationskosten einer zu laxen Haushaltspolitik auf die gesamte EWU abwälzen wird. Da die gemeinsame Währung die Kosten überhöhter Staatsverschuldung verringert, braucht die EWU nach dieser Ansicht zusätzliche Regeln zur Wahrung fiskalischer Disziplin.

Die Wirksamkeit dieser Vorschriften zur Verhütung übermäßiger Staatsschuld bleibt allerdings fraglich, da numerische Defizit-und Verschuldungsgrenzen unterlaufen werden können. Beispielsweise können Regierungen Verschuldungsinstrumente benutzen, die nicht von den rechtlichen Bestimmungen erfaßt werden. Die Debatten um die Behandlung von Privatisierungserlösen in Frankreich, der italienischen Euro-Steuer und der Neubewertung der Goldreserven der Bundesbank in den letzten zwei Jahren zeigt, daß auch die Bestimmungen des Maastrichter Vertrages Spielraum für „kreative“ Interpretationen lassen. Die Erfahrung anderer Länder und Währungsunionen mit numerischen Defizit-und Verschuldungsgrenzen läßt nicht erwarten, daß die Vorschriften der EWU langfristig die Staatsverschuldung effektiv beschränken werden

Kurzfristig jedoch schränken die Vorschriften des Stablitätspaktes die Reaktionsmöglichkeiten der Fiskalpolitik auf konjunkturelle Schocks und die Wirksamkeit automatischer Stabilisatoren wie der Arbeitslosenversicherung und der progressiven Einkommensbesteuerung erheblich ein. Sie zwingen die Regierungen der EWU-Staaten, entweder auf automatische Stabilisatoren weitgehend zu verzichten oder ihr Haushaltsdefizit im Mittel so gering zu halten, daß es auch in einer Rezession den kritischen Wert von drei Prozent nicht übersteigt. Ersteres impliziert, daß Konjunkturschwankungen in der EWU stärker ausgeprägt sein werden als in der Vergangenheit. Letzteres bedeutet eine weitgehende Begrenzung der Verschuldungsmöglichkeit des Staates, die zwar aktuell zum Aufbau der hohen Staatsverschuldung wünschenswert erscheinen mag, langfristig aber ineffizient ist, da die Regierungen zukünftige, steuerzahlende Generationen nicht an den Kosten staatlicher Investitionen beteiligen können. Die Folge wäre einerseits ein zu geringes Niveau öffentlicher Investitionen und andererseits ein erhöhter Anreiz, die Vorschriften des Vertrags durch „kreative“ Finanzierungsformen auszuhebeln. 3. Ein Stabilitätsrat für die EWU?

Die Vereinheitlichung der Geldpolitik in der EWU und ihre Ausrichtung allein auf das Ziel der Preisstabilität bedeutet, daß die Fiskalpolitik der Mitgliedsländer stärker als zuvor gefordert sein wird, konjunkturelle Stabilisierung zu leisten. Eine effektive Stabilisierungspolitik in der EWU erfordert jedoch eine Abstimmung zwischen Geld-und Fiskalpolitik einerseits und die Koordination der Fiskalpolitik der einzelnen Staaten andererseits. Ohne eine solche Koordination entsteht die Gefahr, daß nationale fiskalpolitische Maßnahmen sich gegenseitig widersprechen und behindern mit der Folge zu hoher Staatsausgaben und Defizite. Die EWU besitzt jedoch für eine solche Abstimmung keinen formalen Rahmen außerhalb des Rats der Finanzminister. Angesichts dieses Mangels fordert die französische Regierung die Einrichtung eines Stabilitätsrates zur Koordinierung der Fiskalpolitik -ein Vorschlag, dem sich vor allem die deutsche Regierung widersetzt hat. Eine erste Sitzung des neuen „Euro-X Rates“ -eines informellen Treffens der Finanzminister der EWU, das sich in dieser Richtung entwickeln könnte -ist für Juni 1998 geplant.

Die Opposition gegen einen Stabilitätsrat gründet sich vor allem auf die Sorge, daß ein solches Gremium Druck auf die EZB ausüben könnte, um diese zu einer laxeren Geldpolitik zu bewegen Dies würde die Unabhängigkeit der Zentralbank unterminieren. Bei genauerer Betrachtung läßt sich allerdings das Gegenteil feststellen:

Erstens würde ein Stabilitätsrat der EZB in der Auseinandersetzung mit der öffentlichen Meinung helfen. Solange nämlich die EZB die einzige europäische Institution mit einer makroökonomischen Verantwortung ist, wird sie zwangsläufig alle Kritik über die europäische Wirtschaftsentwicklung auf sich ziehen. Solange die Arbeitslosigkeit Europas dringlichstes Problem bleibt, heißt das, daß die EZB ständig der Forderung nach einer expansiveren Geldpolitik ausgesetzt sein wird. Die Einrichtung eines Stablitätsrates der Regierungen würde dagegen bedeuten, daß die Regierungen die Verantwortung für die Beschäftigungsentwicklung gegenüber der Öffentlichkeit dokumentieren und daher Kritik von einer EZB ablenken.

Zweitens würde die Einrichtung eines solchen Rates die wirtschaftspolitische Diskussion zwischen EZB und den fiskalpolitischen Entscheidungsträgern strukturieren und transparent machen. Das Fehlen eines solchen Gremiums bedeutet ja nicht, daß geld-und fiskalpolitische Entscheidungsträger nicht miteinander kommunizieren, sondern lediglich, daß diese Kommunikation spontan erfolgt und für die Öffentlichkeit undurchsichtig bleibt. Insoweit unstrukturierte Kommunikation den Verdacht heimlicher Absprachen weckt, untergräbt sie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit der EZB und ihre Politik. Auch unter diesem Aspekt würde die Einrichtung eines Stabilitätsrates die Position der EZB eher stärken als schwächen.

Für die Geldpolitik wäre also die Einrichtung eines Stabilitätsrates der EWU sinnvoll. Die kritische Frage ist, welche Aufgaben ein solcher Rat übernehmen sollte. Bleibt der Rat ein reines Diskussionsforum wie zunächst konzipiert, in dem lediglich die Finanzminister ihre Politik diskutieren, so wäre der Anreiz zu ernsthafter Arbeit gering. Die Vorstellung der französischen Regierung ist daher, ein politisches Entscheidungsgremium zu bilden, in dem die nationalen Finanzpolitiken miteinander abgestimmt werden Dies wirft jedoch die Frage auf, inwieweit seine Beschlüsse bindend für die nationale Fiskalpolitik wären. Für eine bindende Wirkung, die letztlich den Einsatz nationaler Steuergelder zugunsten der Konjunkturstabilisierung in anderen Ländern der EWU einschließt, bietet die EWU jedoch weder die nötige vertragliche noch die erforderliche politische Basis.

IV. Ausblick

Unser Rückblick auf die Vorgeschichte der EWU hat die politische Dimension des Projekts deutlich gemacht: die EWU als Vehikel der politischen Integration in Europa. Die Betrachtung der wirtschaftspolitischen Gestaltung der EWU zeigt, daß der Erfolg der monetären Integration von der Antwort auf eine Reihe kritischer Fragen abhängt: Werden die Regierungen in der EWU. in der Lage sein, trotz hoher Arbeitslosigkeit die für eine größere Flexibilität erforderliche Rückführung der Arbeitsmarktregulierung durchzusetzen? Werden die Staaten bereit sein, zugunsten der Stabilität des Euro ihre Haushaltspolitik zu koordinieren und geeignete fiskalische Mechanismen auf EWU-Ebene zu installieren? Werden sich Regierungen und Tarifpartner sowie die Entscheidungsträger in der EZB selber an der Entwicklung der EWU-Wirtschaft anstatt an nationalen Größen orientieren? Werden die großen Staaten insbesondere die für die Stabilität des Euro erforderliche Disziplin in ihrer Haushaltspolitik akzeptieren?

Alle diese Fragen weisen zurück auf den Zusammenhang zwischen monetärer und politischer Integration. Die entscheidende Frage für den Erfolg der EWU wird sein, ob eine Währungsunion auf Dauer ohne politische Union existieren kann. Die Tatsache, daß fast überall auf der Welt und in der jüngeren Geschichte Staats-und Währungsgebiet identisch sind, gibt Anlaß zu der Vermutung, daß diese Frage verneint werden muß Zwangsläufig entstehen in einer Währungsunion immer wieder Situationen, in denen die gemeinsame Währung von den Bürgern einer Region wirtschaftliche Opfer zugunsten der Bürger anderer Regionen verlangt. Die Akzeptanz solcher Situationen in der Bevölkerung und bei den Regierungen setzt voraus, daß die Bürger der EWU-Staaten füreinander Zusammengehörigkeit und Solidarität empfinden. Ihre demokratische Legitimierung erfordert letztlich eine gemeinsame politische Repräsentation. Die Errichtung der EWU wird von der Hoffnung getragen, daß die gemeinsame Währung die Völker zusammenschweißt und am Ende eine politi-sehe Union mit einer gemeinsamen Repräsentation hervorbringen wird. Erfahrungen dafür, daß dies gelingen kann, gibt es nicht.

Angesichts der geringen politischen Akzeptanz, auf die Programme zur Umverteilung von Einkommen in der EU heute stoßen, wird der Erfolg der EWU entscheidend von der Fähigkeit der beteiligten Volkswirtschaften zur marktmäßigen Anpassung an Konjunkturschwankungen und unterschiedliche Entwicklungen abhängen. Je mehr dies der Fall ist, desto weniger wird der Mangel an fiskalischen Mechanismen und damit der Mangel an politischer Union in der EWU spürbar werden. Die Aufgabe der Wirtschaftspolitik in der EWU wird sein, diese Fähigkeit durch Deregulierung und die Reform überkommener sozialstaatlicher Programme zu fördern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. M. Fratianni/J. von Hagen, The EMS and European Monetary Union, Boulder 1992.

  2. P. Werner/H. Ansiaux/G. Brouwers/B. Clappier/U. Mosca/J. -B. Schöllhorn/G. Stammati, Report to the Council and the Commission on the realization by stages of Economic and Monetary Union in the Community („Werner Report“), Bulletin II -1970, Supplement, Brüssel, EC.

  3. Vgl. Europäische Kommission, Report of the Study Group „Economic and Monetary Union 1980“ (Marjolin Bericht), Brüssel 1975.

  4. Vgl. Europäische Kommission, Report of the Study Group on the Role of Public finance in European Integration (MacDougall Bericht), Brüssel 1977.

  5. Vgl. H. Schmidt, Die Bürokraten ausgetrickst, in: Die Zeit vom 24. 8. 1990, und: Kampf gegen die Nationalisten, in: Die Zeit vom 31. 8. 1990.

  6. Vgl. L. Tsoukalis, The Politics and Economics of European Monetary Union, London 1977.

  7. J. Rueff, Syntheses, Paris 1950, S. 267.

  8. Europa wird durch die Währungsunion geschaffen oder überhaupt nicht (eigene Übersetzung). Vgl. P. Jacquet, The Politics of EMU: A Selective Overview, in: CEPR (Hrsg.), The Monetary Future of Europe, London 1993.

  9. Vgl. P. Jacquet, ebd.

  10. Vgl. M. Dewatripont/F. Giavazzi/J. von Hagen/I. Harden/T. Persson/A. Sapir/G. Tabellini, Flexible Integration, London 1996.

  11. Vgl. H. Tietmeyer, Der Beitrag der Währungspolitik zur Europäischen Integration, in: Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank (Hrsg.), Hans Tietmeyer -Währungsstabilität für Europa, Baden-Baden 1997.

  12. Der Beitrag des EWS zur Desinflation in der EG ist jedoch umstritten, denn auch Länder außerhalb des EWS wiesen in den achtziger Jahren eine erfolgreiche Inflations-bekämpfung auf, die oft sogar rascher erfolgte als in den Ländern des EWS. Vgl. M. Fratianni/J. von Hagen (Anm. 1).

  13. Der Mittelwert der Schuldenquote von 60 Prozent erklärt die Festlegung des Schuldenkriteriums auf diesen Wert; bei einer angenommenen langfristigen Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsproduktes (BIP) von fünf Prozent ergibt sich daraus ein langfristig tragbares Defizit von drei Prozent.

  14. Dazu gehören in Italien die Erhebung einer rückzahlbaren, einmaligen Europasteuer, in Frankreich die Einstellung der Erlöse aus der Privatisierung der Telecom in den normalen Haushalt und in Deutschland die Herausrechnung des Krankenhaussektors aus dem öffentlichen Haushalt.

  15. Vgl. R. Perotti/R. Strauch/J. von Hagen, Sustainable Public Finances, London 1998.

  16. Vgl. D. Begg/F. Giavazzi/J. von Hagen/C. Wyplosz, EMU: Getting the End Game Right, London 1997.

  17. Die Europäische Kommission schätzte diesen Einkommenseffekt auf lediglich 0, 1 Prozent des Volkseinkommens. Vgl. Europäische Kommission, One Market One Money, European Economy Nr. 44, Brüssel 1990.

  18. Vgl. R. N. McCauley/W. R. White, the Euro and European Financial Markets, in: P. R. Masson u. a. (Hrsg.), EMU and the International Financial System, Washington, D. C. 1997.

  19. Vgl. etwa R. Portes/H. Rey, The Emergence of the Dollar as an International Currency, in: D. Begg/J. von Hagen/C. Wyplosz/K. Zimmermann, European Monetary Union, London 1998.

  20. Vgl. M. J. M. Neumann, Precommitment by Central Bank Independence, in: Open Economics Review, (1990) 2, S. 95-112.

  21. Vgl. A. Alesina/L. Summers, Central Bank Independence and Macroeconomic Performance, in: Journal of Money, Credit, and Banking, (1993), S. 51-62.

  22. Vgl. A. Greenspan, Opening Remarks, in: Federal Reserve Bank of Kansas City (Hrsg.), Achieving Price Stability, Kansas City 1997.

  23. Vgl. J. von Hagen, Monetary Policy and Institutions in the EMU, in: Swedish Economic Policy Review, (1997) 4, S. 51-116.

  24. Vgl. P. De Grauwe, The Economics of Monetary Union, Oxford 19952.

  25. Vgl. M. Obstfeld/O. Peri, Regional Non-Adjustment and Fiscal Policy, in: D. Begg/J. von Hagen/C. Wyplosz/K. Zimmermann (Hrsg.), EMU, London 1998.

  26. Vgl. J. von Hagen, Fiscal Arrangements in a Monetary Union: Evidence from the U. S., in: D. Fair/C.de Boissieux (Hrsg.), Fiscal Policy, Taxes, and the Financial System in an Increasingly Integrated Europe, Kluwer 1992.

  27. Vgl. G. Hammond/J. von Hagen, Regional Insurance Against Asymmetrie Shocks -A Empirical Study of the EC, in: The Manchester School, 66 (1998), S. 331 -353.

  28. Vgl. J. von Hagen, Fiscal Arrangements in a Monetary Union -Some Evidence from the US, in: D. Fair/C.de Boissieux (Hrsg.) (Anm. 26), S. 337-360.

  29. Großbritannien, Schweden, Dänemark und Griechenland haben sich darüber hinaus gegen einen solchen Rat ausgesprochen, da sie befürchten, dieser könne zu einem exklusiven EWU-Gremium werden, in dem finanzpolitische Beschlüsse getroffen werden, deren wirtschaftliche Folgen letztlich auch die Nichtmitglieder der EWU treffen. Diese Sorge ist durch die Zusicherung ausgeräumt worden, daß die Nichtmitglieder als Beobachter an den Treffen des „Euro-X Rates“ teilnehmen können.

  30. Vgl. R. Graham, Euro-X Council: France Plans for Economic Policy Role, in: Financial Times vom 27. 4. 1998.

  31. Vgl. B. Eichengreen, European Monetary Union, Cambridge 1997, S. 256.

Weitere Inhalte

Jürgen von Hagen, Dr. rer. pol., geb. 1955; 1987-1992 Assistant Professor und Associate Professor of Business Economics and Public Policy, Indiana University School of Business; 1992-1996 Ordinarius für Volkswirtschaft an der Universität Mannheim; seit 1996 Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Jeffrey Frieden und Barry Eichengreen) Monetary and Fiscal Policy in an Integrated Europe, Heidelberg -New York 1995; (zus. mit Barry Eichengreen) Federalism, Fiscal Restraints and European Monetary Union, American Economic Review, 86 (May 1996).