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Brennpunkte der Demokratieentwicklung in Lateinamerika am Beispiel Mexikos, Perus und Kolumbiens | APuZ 39/1998 | bpb.de

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APuZ 39/1998 Deutschland und Lateinamerika Für mehr als unverbindliche Freundschaft Brennpunkte der Demokratieentwicklung in Lateinamerika am Beispiel Mexikos, Perus und Kolumbiens Militär und Politik im Süden Lateinamerikas Chile als Modell für Lateinamerika? Die Wirtschaftsreformen in Argentinien, Brasilien und Chile im Vergleich Die gestaltende Macht sozialer Konflikte Vermittlungsmuster und Demokratieentwicklung in Honduras

Brennpunkte der Demokratieentwicklung in Lateinamerika am Beispiel Mexikos, Perus und Kolumbiens

Josef-Thomas Göller

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit Beginn der achtziger Jahre trat ein tiefgreifender Wandel der politischen Verhältnisse in Lateinamerika ein. Die Militärregime und Caudillos hatten aus unterschiedlichen Gründen abgewirtschaftet. In allen autoritär regierten Staaten fand ein Transitionsprozeß zur Demokratie statt. Und dennoch gibt es eine Reihe von Problemen im Demokratisierungsprozeß der Region, deren Lösung noch nicht eindeutig abzusehen ist. Die noch bis vor sechs beziehungsweise vier Jahren als stabil geltenden Staaten Peru und Mexiko haben an der demokratischen Entwicklung nicht im gewünschten Maße oder erst sehr spät teilgenommcn. Ähnliches gilt für das seit 34 Jahren durch einen Bürgerkrieg erschütterte Kolumbien. Alle drei Staaten weisen ein schweres Versagen in der Armuts-, Korruptions-und Drogenbekämpfung auf. Zudem sind sie die letzten verbliebenen Staaten der Region, die sich mit internen Aufstands-beziehungsweise Guerillabewegungen konfrontiert sehen. Deshalb ist hier auch die Neigung zu einem autoritären Regierungsstil eher vorhanden als in den übrigen Staaten der Region. Die vorliegende Analyse zeigt indes, daß für Mexiko und Kolumbien berechtigte Hoffnung besteht, bis zum Jahr 2000 demokratische und stabilere Verhältnisse im Land herzustellen. Lediglich in Peru kann seit dem Selbstputsch des ordentlich gewählten Präsidenten Fujimori im Jahr 1992 weiterhin eine Schaufensterdemokratie besichtigt werden, in der der Präsident als Caudillo alten Stils mit Unterstützung des Militärs die Rechte und Freiheiten des einzelnen mißachtet und Wahlen solange manipuliert, bis sie dem gewünschten Ergebnis entsprechen. Mit Ausnahme Perus und Kubas präsentiert sich Lateinamerika derzeit so demokratisch wie noch nie. Das Krisenmanagement mehrerer Staaten hat zudem in den vergangenen Jahren bewiesen, daß ein Rückfall der derzeitigen Demokratien in autoritäre Regime auf absehbare Zeit nicht zu befürchten ist.

„Ja, ich liebe die Freiheit. Aber mehr noch brauche ich etwas zu essen.“ Mit diesem Satz bringt der neununddreißigjährige Ricardo Avearenga aus Asuncion in Paraguay nicht nur die Stimmung der Armen in seinem Land, sondern vieler der 450 Millionen Lateinamerikaner auf den Punkt. Und so verklärt er rückblickend die Jahre der Diktatur von 1954 bis Anfang 1989, in denen es für ihn als Klempner immer genügend Rohre zu verlegen gab. Seither wird das Land mitten im Herzen des Subkontinents zunehmend nach demokratischen Spielregeln regiert. Nur -Menschen wie Ricardo geht es seit der Demokratisierung immer schlechter. Rohre reparieren oder neue verlegen zu lassen stellt für den einstigen Kundenkreis des Klempners inzwischen einen unerschwinglichen Luxus dar. Und so sitzt der ehemals vollbeschäftigte Rohrverleger heute im „Park der Helden“ -im Zentrum der Hauptstadt Asuncion -und bietet seine Dienste als Schuhputzer feil. Warum?

I. Von der Demokratie zur Diktatur und zurück

Unser Bild über Lateinamerika ist heute noch geprägt von den sechziger und siebziger Jahren, der Zeit der Auseinandersetzung zwischen „heroischen Guerilleros" und erzreaktionären Caudillos; der Zeit der weltweit angeprangerten sozialen Ungerechtigkeiten, Menschenrechtsverletzungen und Asylantenströme nach Europa.

Im Falle Chiles ist es aufgrund der langen Pinochet-Diktatur von September 1973 bis März 1990 für die jüngeren Generationen hierzulande kaum vorstellbar, daß ausgerechnet dieses Land von 1831 bis zum Sturz Allendes 1973 auf die längste demokratische Tradition Lateinamerikas zurückblicken konnte.

Mit Beginn der achtziger Jahre trat dann ein tief-greifender Wandel in der gesamten Region ein: Die Militärs hatten aus unterschiedlichen Gründen abgewirtschaftet und kehrten in achtzehn Staaten binnen eines Jahrzehnts in die Kasernen zurück. In all diesen Staaten, die jahrzehntelang mit ausdrücklicher Unterstützung Washingtons unter Regimen von Militärdiktaturen standen, fand ein dauerhafter Transitionsprozeß zur Demokratie statt.

Das Ende der Militärherrschaft kündigte sich zuerst in Brasilien an, wo ab 1979 der noch von den Streitkräften abhängige Marionetten-Präsident Joäo Batista Figueiredo eine demokratische Öffnung herbeizuführen vermochte, die 1989 in die erste freie und direkte Präsidentschaftswahl mündete. In Argentinien verlor die Generals-Junta den Falkland-Krieg gegen Großbritannien und mußte 1983 gedemütigt abdanken. In Chile unterschätzte Diktator Augusto Pinochet 1988 eine Volksabstimmung, die eigentlich seinem Machterhalt dienen sollte. Seit 1989 sind dort zum zweiten Mal freie Parlaments-und Präsidentschaftswahlen durchgeführt worden. Im Februar 1989 wurde in Paraguay der senile deutschstämmige Caudillo Alfredo Stroessner nach 35 Jahren Gewaltherrschaft von einem seiner Generäle gestürzt, der das Land in die Demokratie zurückführte.

In Mittelamerika besiegelte in erster Linie das Ende des Ost-West-Konflikts Jahrzehnte von Bürgerkriegen und militärischer Unterdrückung. Angefangen in Nicaragua, wo unter maßgeblicher Beteiligung des deutschen SPD-Politikers Hans-Jürgen Wischnewski 1987 ein Friedensabkommen zwischen den rechtsgerichteten Contra-Rebellen und den roten Comandantes, den Sandinistas, erreicht werden konnte, das 1990 in freien, demokratischen Wahlen kulminierte. Der brutalste Stellvertreterkrieg der beiden Supermächte USA und Sowjetunion nach Vietnam tobte zwölf Jahre in El Salvador, einem Mini-Staat von der Größe Hessens. Erst das Ende des Kalten Krieges ermöglichte unter Vermittlung des damaligen UN-Generalsekretärs Javier Perez de Cuellar in der Silvesternacht des Jahres 1991 einen Friedensvertrag zwischen linker Guerilla und rechter Regierung. Spät folgte Guatemala, das erst 1996 in der Lage war, den 36 Jahre währenden Bürgerkrieg zu beenden. Mit Ausnahme von Cuba und Peru bieten die übrigen zweiundzwanzig Staaten Lateinamerikas derzeit ein ähnliches Bild. Das verlorene Jahrzehnt In den einstigen Diktaturen haben die Militärs nicht besser regiert als die zivilen Regierungen, die sie gestürzt hatten, und sie haben den nachfolgenden Demokratien riesige Schuldenberge hinterlassen. Deshalb gilt den Menschen dieser Staaten die Dekade der achtziger Jahre trotz des Wandels zur Freiheit als „verlorenes Jahrzehnt“ (decada perdida). Denn die inzwischen positive makroökonomische Entwicklung des südamerikanischen Subkontinents bei überwiegend stabilen politischen Verhältnissen ist zu Lasten der Armen und weniger gut Verdienenden gegangen. Beispielsweise stiegen die Arbeitslosenzahlen in schwindelerregende Höhen, weil nach Vorgaben der Weltbank staatliche Betriebe privatisiert oder unrentable geschlossen werden mußten.

Die Mehrheit der Lateinamerikaner verbindet mit Demokratie krasse Armut, während die Reichen noch reicher geworden sind. Überall expandieren außerhalb der wie Hochsicherheitstrakte abgeschotteten Villenviertel der korrupten Machtelite immer größere Elendsviertel. Während die Reichen die Früchte der wirtschaftlichen Öffnung nach Jahren der Abschottung seitens der totalitären Regime genießen und „in Saus und Braus“ leben, wie Entwicklungshilfeminister Dieter Spranger (CSU) zu Beginn des Jahres nach einer Reise durch Guatemala, Honduras und Venezuela empört feststellte, befinden sich rund vierzig Prozent der Bevölkerung in Armut. Kein Wunder also, daß -wie eine Umfrage im vergangenen Jahr offenbarte -sich beispielsweise in Paraguay nur noch sechzehn Prozent der Befragten mit der Demokratie zufrieden zeigten 1. 2. Positives Krisenmanagement Bei der weit überwiegenden Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten kann die Demokratie allerdings entweder als konsolidiert oder im Aufbau begriffen angesehen werden. Hoffnungsvoll stimmen zum Beispiel die Bewältigungen von politischen Krisen in diesem Jahrzehnt. So scheiterte etwa 1992 ein Putschversuch in Venezuela an der Unterstützung des Militärs und bei Politikern. Im gleichen Jahr trat ohne die geringsten Anzeichen innerer Wirren der erste freigewählte Präsident Brasiliens, Color de Mello, wegen Korruptionsverdacht zurück. Aus dem gleichen Grund wurde ein Jahr später der venezolanische Präsident vom Parlament entmachtet. 1996 machte sich General Lino Oviedo in Paraguay vor dem Parlament lächerlich, als er dort vergeblich einen Staatsstreich zu initiieren versuchte. Und in Ecuador stellte sich vergangenen Jahres heraus, daß der Präsident Abdala Bucaram aufgrund einer Sinnes-Verwirrung in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt war. Das Parlament setzte ihn ab, ohne daß das Militär eingriff.

Und dennoch gibt es in den so hoffnungsvoll begonnenen neunziger Jahren eine Reihe von ernsten Problemen, deren Lösung noch nicht abzusehen ist. Die bis vor sechs beziehungsweise vier Jahren als stabil angesehenen Staaten Peru und Mexiko haben an der Demokratieentwicklung der Region nicht oder erst sehr spät teilgenommen. Ähnliches gilt für Kolumbien. Alle drei Staaten weisen ein schweres Versagen in der Armuts-, Korruptions-und Drogenbekämpfung auf. Zudem sehen sie sich mit der Bekämpfung interner Aufstands-beziehungsweise Guerillabewegungen konfrontiert und neigen deshalb zu einem autoritären Regierungsstil, der jeglicher nachhaltigen Entwicklung der Demokratie widerspricht. Deshalb sollen im Folgenden ihre spezifischen Probleme erläutert und ihre künftige Demokratiefähigkeit analysiert werden.

II. Die Erben Zapatas: Mexiko

„Ich bin der Herr, und ich bleibe der Herr, und hier wird gearbeitet und nichts als gearbeitet. Dazu seid ihr da. Zum Arbeiten und zu nichts anderem.“ Don Felix, ein mächtiger spanischer Nachfahre sagte diese Worte zu seinen indianischen Tagelöhnern in dem Welterfolgsroman „Die Rebellion der Gehenkten“ von B. Traven. In diesem und anderen Büchern schildert Traven die Lage der Maya-Nachkommen im ostmexikanischen Bundesstaat Chiapas zu Beginn der letzten mexikanischen Revolution von 1910.

Traven machte in den fünfziger Jahren mit seinem ergreifenden Realismus Abermillionen von Lesern zu Mitwissern, wenn er detailliert die Exzesse der weißen Tropenholzgewinnler in der Selva Lacandona, dem Urwald der Lacandonen-Indianer, beschreibt; wenn er zeigt, mit welchen Unrechtssystemen die Ureinwohner von den Finqueros, den Großgrundbesitzern, in Abhängigkeit gebracht und gehalten werden; wie ihr Land mit Hilfe korrupter Staatsvertreter zugunsten der Reichen enteignet wird.

1. Der Maya-Aufstand Die Weltöffentlichkeit ist also schon seit langem über die miserable Lage der 3, 2 Millionen India-ner in Chiapas informiert. Dennoch war sie überrascht, als am Neujahrstag des Jahres 1994 zweitausend bewaffnete Indianer sechs Städte der Region in ihre Gewalt brachten. Ihre Geduld war am Ende. Lieber „im Kampf“ wollten sie sterben, als an „Cholera oder an der Unterdrückung der Großgrundbesitzer“, lautete eine ihrer Botschaften Weil sie sich keine Medikamente leisten könnten, seien in den zehn Jahren zuvor mehr als 150 000 Indianer an Krankheiten gestorben, die heilbar gewesen wären, beklagten die Aufständischen in einer Mitteilung Und der Hunger spielte ebenfalls eine Rolle. Da die Finqueros große Landstriche für ihr weitverstreutes Vieh beanspruchen, bleibt zuwenig Anbaufläche für selbständigen Ackerbau. Schon Emiliano Zapata (1883-1919), der legendäre mexikanische Revolutionsheld, führte 1911 die verarmten indianischen Bauern unter der Losung Tierra y Libertad -Land und Freiheit -in den Kampf gegen die Mächtigen. Deshalb haben sich zu Beginn des Jahres 1994 wieder Indianer erhoben, und indem sie ihrer Aufstandsbewegung den Namen „Nationale Befreiungsarmee Zapata“ (EZLN) gegeben haben, wiesen sie darauf hin, daß sich seit den Tagen des Bauernführers Zapata ihrer Meinung nach nichts geändert hat.

Das war für die mexikanische Bundesregierung peinlich, deren damaliger Präsident Carlos Salinas de Gortari gleichzeitig Chef der „Institutionalisierten Revolutionspartei“ (PRI) war. Seit dem Ende der Revolution im Jahr 1920 bestimmt die PRI die Geschicke des Landes, stellt die Präsidenten und bis vor wenigen Jahren auch alle Gouverneure der Bundesstaaten. Bis heute tritt sie als Staatspartei auf und ließ bis 1994 nur ungefährliche Oppositionsparteien zu, um Mexiko vor der Welt als Demokratie erscheinen zu lassen. 2. 1994 -ein Schlüsseljahr Doch der Druck -selbst von Seiten der „genehmen“ Oppositionsparteien -nach Freiheit und Meinungspluralismus war so stark, daß Präsident Salinas bei den vorletzten Präsidentenwahlen im Jahr 1988 nur noch mittels Wahlbetrug an die Macht gelangen konnte. Mit offiziellen 50, 4 Prozent fuhr er das knappste Wahlergebnis ein, das bis dahin je einer seiner Vorgänger erreicht hatte. Mit dem Nimbus der Manipulation behaftet, regierte Salinas dann nicht mehr so autokratisch wie die Präsidenten zuvor.

Um das angeschlagene Image der PRI wieder aufzupolieren, versuchte Salinas, dem Land zu Fortschritt und Ansehen zu verhelfen. Das von der Schuldenkrise im Jahr 1982 gebeutelte Land unternahm auf Druck der Weltbank beachtenswerte Anstrengungen, seinen defizitären Haushalt unter Kontrolle zu bringen. Staatlicher Besitz wurde unter Inkaufnahme hoher Arbeitslosenzahlen im großen Stil privatisiert. Den krönenden Abschluß seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik versprach sich Salinas durch Unterzeichnung des Vertrages zur nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) im August 1993. Der „Tratado de Libre Comercio“ (TLC), wie er in Mexiko heißt, zwischen den USA, Canada und Mexiko vereint seither 360 Millionen Verbraucher im -nach Einwohnern -größten Binnenmarkt der Welt. Die mexikanische Elite propagierte, daß Mexiko nunmehr zu „Nord“ -Amerika zähle -und damit zur besseren Hälfte des Kontinents. Man wolle künftig am Reichtum der USA teilhaben.

Genau am Tag des Inkrafttretens von NAFTA, dem 1. Januar 1994, rebellierten die Zapatisten und diskreditierten diesen Vertrag, auf den die PRI-Machtelite so stolz war, als ausbeuterisch und existenzbedrohend für die indianische Landbevölkerung im weitentfernten Südosten des Landes. Der Maya-Aufstand schockierte nicht nur Präsident und Bevölkerung, sondern vor allem auch die USA, die nunmehr erkennen mußten, daß Mexiko politisch nicht so stabil war, wie es die mexikanische Regierung darzustellen versuchte. Verwirrt und gedemütigt offenbarte Salinas nun sein wahres Gesicht. Er reagierte auf den Aufstand mit der traditionellen Härte und dem Zynismus lateinamerikanischer Diktatoren. Mit Luftangriffen wurden ganze Indianer-Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, das Gebiet der Aufständischen großräumig abgesperrt, damit das Militär dort rücksichtslos vorgehen konnte. Die Rechnung der Regierung ging jedoch nicht auf. Vertreter der Medien waren von Anfang an dabei und berichteten über die Ziele der Zapatisten. Hier konnte nichts mehr vertuscht werden.

Nur auf Grund dieser Öffentlichkeit ließ sich Salinas relativ rasch auf einen Waffenstillstand und Dialog mit den Rebellen ein. Die Nation war erschüttert. Kurz darauf wurde am 23. März 1994 der neue Präsidentschaftskandidat der PRI, Luis Donaldo Colosio, in Tijuana bei einer Wahlkampf-veranstaltung erschossen. Mexiko schien in jenen Tagen ins Chaos abzugleiten. Während der hektischen Versuche, die Hintergründe dieses Attentats aufzuklären -sie dauern bis heute an -, traten Hinweise zutage, die vermuten lassen, daß die Hintermänner des Mordes in der Regierungspartei zusuchen sind. Denn immer endeten die Polizei-und Justizrecherchen an den Pforten der PRI. Der reformfreudige und populäre Colosio war wohl vor allem konservativen Kreisen ein Dorn im Auge und bedrohte die politische Mafia ebenso wie die wirtschaftliche. Der Ersatz-Kandidat Ernesto Zedillo errang dann bei den Wahlen im August 1994 doch noch einmal mit 49 Prozent der Stimmen einen -hauchdünnen -Sieg für die PRI. 3. Das Ende der PRI-Herrschaft ist abzusehen Die parteipolitische Entwicklung Mexikos seit 1994 läßt vermuten, daß die Jahre der PRI bis zur nächsten Präsidentenwahl im Jahr 2000 endgültig gezählt sind. Unterlag beispielsweise der sozialistische Oppositionskandidat der „Partei der Demokratischen Revolution“ (PRD), Cuauhtemoc Cardenas, 1994 noch Zedillo, hat er es bei den Kommunalwahlen 1997 geschafft, mit 48 Prozent das Bürgermeisteramt in Mexiko-Stadt zu gewinnen, das bis zu diesem Zeitpunkt mehr als siebzig Jahre lang von einem PRI-Politiker besetzt war. Der 64 Jahre alte Sohn des populären ehemaligen Präsidenten Läzaro Cardenas präsentiert sich seither als potentieller „Gegenpräsident“ und hat sich öffentlich „die Eroberung des Präsidentenamtes im Jahr 2000“ zum Ziel gesetzt Daß die Chancen dafür gut stehen, offenbarte die zeitgleiche Wahl zum Kongreß. Hier gelang es der linken PRD und der konservativen „Partei der nationalen Aktion“ (PAN), das Machtmonopol der PRI spektakulär zu brechen. In der als „historisch“ gerühmten Volksabstimmung Anfang Juli 1997 erzielte die Regierungspartei nur noch 37, Prozent, was Cardenas zu der Äußerung veranlaßte: „Das ist ein Triumph für die demokratischen Kräfte des Landes.“ 5

Bemerkenswert ist außerdem, daß diese Wahlen zum ersten Mal ohne größere Zwischenfälle verliefen und von allen Parteien unisono als „sauber“ qualifiziert wurden, ein Novum, war es doch noch 1994 üblich, Wahlurnen zu stehlen, mehrfach abzustimmen oder wie bei Salinas 1988 mittels eines mysteriösen Zusammenbruchs des Zentralrechners die Wahl zu fälschen.

Der Trend gegen die PRI setzte sich auch in diesem Jahr fort: Der Gouverneur des aufständischen Bundesstaates Chiapas, Julio Ruiz Ferro, trat im Januar zurück, weil ihn selbst Präsident Zedillo für ein Massaker des Militärs an Indianern im Dezember 1997 verantwortlich machte. Auch der Gouverneur von Morelos wich Mitte Mai dem Druck der Öffentlichkeit, weil er für die Passivität der Behörden in Entführungsfällen und bei der Drogen-bekämpfung zur Rechenschaft gezogen wurde. Und im nördlichen Zacatecas verlor die PRI Anfang Juli ganz einfach die Wahl zum Gouverneur, dessen Posten an die Cardenas-Partei PRD fiel.

In Mexiko geht die Ära der Pseudodemokratie, basierend auf einer Staatspartei, dem Ende entgegen. Die PRI hat dazu kräftig beigetragen. Dem Mord an Colosio folgte im September 1994 ein weiterer Mord an dem Generalsekretär der Regierungspartei, Jose Ruiz Massieu. Und wieder führte die Spur in die höchsten Kreise der PRI: Dieses Mal wurde Raül Salinas de Gortari verhaftet, der Bruder des Ex-Präsidenten Carlos Salinas. Raül Salinas sitzt seither im Gefängnis. Der einstige Präsident hingegen ist außer Landes geflohen. Denn die zahlreichen Ermittlungen des Jahres 1994 brachten eine Fülle an Politskandalen und persönlichen Bereicherungen der Salinas-Brüder an den Tag -eine schwere Last für den Präsidentennachfolger Zedillo.

Im Dezember 1994 erlebte Mexiko auch noch eine schwere Finanzkrise. Auslöser war eine Verschärfung des Konflikts mit den Zapatisten, auf die die Börsen heftig reagierten. Internationale Investoren zogen sich panikartig zurück. Die Landeswährung Peso fiel über Nacht ins Bodenlose. Rettung kam ausgerechnet vom NAFTA-Partner USA, die die Peso-Abwertung mit einem Zwanzig-Milliarden-Dollar-Kredit abfedern halfen. Doch die Mexikaner konnten sich darüber nicht sonderlich freuen. Von einer „Kapitulation“ vor den „Gringos“ war die Rede Denn die harten Auflagen wie etwa Verpfändung der Erdöleinnahmen, Finanz-kontrolle durch den Weltwährungsfonds sowie astronomische Zinssätze zeigen, daß Washington hier nicht uneigennützig gehandelt hat. Die Folge war zudem, daß binnen kurzem 5 000 Unternehmen in Konkurs gingen und rund 400 000 Familien ihre Existenzgrundlage verloren.

Diese Skandale haben so viele Bürger gegen die PRI aufgebracht, daß niemand im Lande ernsthaft an eine Fortsetzung ihrer Macht über das Jahr 2000 hinaus glaubt. Mexiko begibt sich zunehmend auf den mühsamen Weg zu einer echten Demokratie. Zu Pessimismus besteht deshalb kein Anlaß mehr.

III. Der „Samurai“ Fujimori: Peru

Im Andenstaat Peru, wo 1992 ein dauerhafter autoritärer Rückschlag von oben eingetreten ist, ist eher Skepsis angebracht. In diesem Land hat die Demokratie eine lange Tradition, obwohl Peru von Zeit zu Zeit in Staatskrisen geriet. 1968 putschte sich eine linksgerichtete Militärjunta an die Macht, die zwölf Jahre lang eine „Revolution von oben“ praktizierte. Sie legte ein anspruchsvolles soziales und wirtschaftliches Reformprogramm vor, das zunächst sogar international auf Sympathie stieß. Mit einer tiefgreifenden Landreform zugunsten armer Campesinos, zahlreichen Verstaatlichungen und der Mobilisierung der unteren Schichten versuchten die peruanischen Militärs, die wirtschaftlichen Grundlagen und gesellschaftlichen Strukturen des Landes nachhaltig zu verändern. Die wirtschaftlichen Miseren und sozialen Krisen jedoch blieben bestehen und spitzten sich ab 1980, als die Militärs ihre Macht wieder an eine zivile, freigewählte Regierung abtraten, sogar weiter zu. 1. Der Selbstputsch Die traditionellen Parteien von links bis rechts, aber auch das Parlament, die Justiz und die öffentliche Verwaltung verloren durch Mißwirtschaft, wuchernde Korruption und Machtlosigkeit im Kampf gegen die Terroristenorganisation „Leuchtender Pfad“ (Sendero Luminoso) derart an Ansehen daß der völlig unbekannte Alberto Fujimori mit einfachen Lösungsvorschlägen und volkstümlichen Platituden bei den Wahlen von 1990 einen Überraschungssieg gegen die etablierten Parteien feiern konnte. Trotz eines Anfangserfolges seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik mißtraute der Sohn japanischer Einwanderer den Reformkräften des von Terrorismusexzessen und Mißmanagement angeschlagenen demokratischen Systems seiner Vorgänger und setzte im April 1992 mit einem sogenannten Selbstputsch (Autogolpe) die Verfassung und das Parlament außer Kraft. Da Diktaturen derzeit in Lateinamerika unpopulär sind, ließ Fujimori seit November 1992 mehrere Wahlen nach seinen Vorgaben durchführen, darunter seine Wiederwahl 1995. Doch der demokratische Anstrich, den er seinem Regime damit geben will, ist leicht zu durchschauen. Eine Regierungskontrolle funktioniert nicht, die Justiz ist zum Willkürinstrument des Präsidenten verkommen, und wesentliche Grundrechte für die Bürger sind außer Kraft gesetzt. Fujimori hat sich inzwischen seit der erfolgreichen Bekämpfung der Terrororganisationen des Landes und dem Grenzkrieg mit dem Nachbarn Ecuador in eine völlige Abhängigkeit vom Militär begeben, mit dessen Hilfe er de facto Peru als Diktator beherrscht. Von alldem wollte und will der Westen nichts wissen. Peru wird nach wie vor als Demokratie anerkannt, wie erst kürzlich wieder auf dem zweiten Lateinamerika-Gipfel im April 1998 in Santiago de Chile festzustellen war. Während Fidel Castro als Diktator gebrannt-markt wird und auf Druck der USA wieder einmal als einziger Staatschef vom Gipfel ausgeschlossen blieb, zeigte sich der amerikanische Präsident Clinton mehrfach in angeregten Gesprächen mit Fujimori. 2. Die Geiselnahme von Lima Dabei hatte die Geiselnahme von Lima am 17. Dezember 1996 schlagartig der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt, wo die. Probleme des Landes liegen. Hatte Fujimori noch im Oktober 1996 während seines Staatsbesuches in Bonn (!) die Guerillaorganisationen seines Landes vor der Presse für „nicht mehr existent“ erklärt, wurde er acht Wochen später durch die Geiselnahme von rund vierhundert hochrangigen Gästen in der japanischen Botschaftsresidenz eines Besseren belehrt. Sin justicia social, no habra paz -Kein Frieden ohne soziale Gerechtigkeit -stand auf dem Banner der Rebellengruppe Movimiento Revolucionario Tupac Amaru (MRTA), das sie kurz nach der Residenzbesetzung an einem Fenster im zweiten Stock angebracht hatte.

Wo die Politik Armut „produziert“, wo Menschen im täglichen Überlebenskampf nichts mehr zu verlieren haben, gedeihen Haß und Gewalt gegen die herrschende Klasse. Diese Standarderkenntnis aus dem politischen Handbuch hat der peruanische Präsident Jahr für Jahr sträflich vernachlässigt, ganz konzentriert auf das militärische Niederringen des „Leuchtenden Pfades“ und des MRTA. 3. Politische Gefangene aus persönlicher Rache Es wäre indes falsch, die beiden peruanischen Terrororganisationen als Sozialrevolutionäre zu verklären. Die Senderistas erhielten beispielsweise aufgrund ihres Abschlachtens jener Andenbevölkerung, die ihnen nicht zu Willen war, den Beinamen „Rote Khmer Lateinamerikas“. Erst nach der Regierungsübernahme Fujimoris, der dem Militär alle Freiheiten ließ, konnte 1992 der Anführer Abimael Guzmän gefangengenommen werden. Heute ist der „Leuchtende Pfad“ bis zur Bedeutungslosigkeit zerschlagen. Die zahlenmäßig beträchtlich kleinere Schwesterorganisation MRTAzeigte Robin-Hood-Allüren und versuchte mit ihrer spektakulären Geiselnahme vierhundert ihrer Gesinnungsgenossen aus der Einzelhaft freizupressen. Sie machte mit ihrer Aktion auf die unmenschlichen Haftbedingungen (z. B. acht Meter unter der Erde ohne Licht in winzigen Einzelzellen bei geringer Nahrung) aufmerksam und trat für einen politischen Dialog mit der Regierung ein. Eine der nach und nach freigelassenen Geiseln, der linksgerichtete Kongreßabgeordnete Javier Dies Canseca, glaubt, „daß sich die MRTA-Leute geordnet aus der bewaffneten Aktion zurückziehen wollen. Und daß Peru diese Gelegenheit nicht versäumen sollte.“ Doch Fujimori, der den Strafvollzug an seinen politischen Gegnern als persönliche Rache ansieht, schickte am 22. April 1997 ein Sonderkommando in die japanische Residenz. Alle Geiselnehmer wurden getötet. Hätte er anders gehandelt, hätte er sicherlich die Unterstützung seiner militärischen Hausmacht verloren und Peru sähe heute anders aus. 4. Düstere Zukunft Doch selbst im eigenen Land blieb nach dieser Handstreichaktion ein bitterer Nachgeschmack: Sowohl die in Lima erscheinende Zeitung „La Repüblica“ als auch die japanische Zeitung „Mainichi Shimbun“ äußerten aufgrund von Aussagen nicht genannter Zeugen den Verdacht, daß sich die teils jugendlichen MRTA-Rebellen hätten kampflos ergeben wollen, daß sie aber an Ort und Stelle hingerichtet worden seien. Die Regierung ließ denn auch keine Autopsie der Leichen zu. Vielmehr präsentierte sich der Präsident in aufdringlicher Siegerpose, als er in archaisch anmutender Samurai-Haltung vor laufenden Kameras über die Leichname der getöteten Guerilleros stolzierte -ein einmaliger psychologischer Fall in der derzeitigen politischen Landschaft Lateinamerikas.

Walter Haubrich, einer der besten Kenner der Region, glaubt indes nicht, daß Fujimori „die Machtfülle eines Diktators“ anstrebt: „Der pragmatische und wenig intellektuelle Peruaner japanischer Herkunft will nur einfach agieren. Für ihn sind zahlreiche demokratische Grundrechte und die Kontrolle der Regierung durch Parlament und Justiz westlicher Unfug, der sich beim Regieren, beim, wie er es meint, Wiederaufbau des Landes, höchst störend bemerkbar macht.“ Auch Hartmut Sangmeister ist überzeugt, daß sich der „Fujimorismo“ in Peru „auf die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit stützen kann, wenn er wirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen autoritativ durchsetzt, um wechselseitig sich blockierende gesellschaftliche Partikularinteressen zu überwinden“

Derzeit formieren sich allerdings die demokratischen Gegner des „Anden-Samurai“. Für die kommende Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 wollen oppositionelle Parteien und Gewerkschaften einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen, um die Oppositionsstimmen nicht zu zersplittern. Außerdem haben sie mehr als die erforderlichen 1, 2 Millionen Unterschriften gesammelt, um eine Volksbefragung initiieren zu können, bei der festgestellt werden soll, ob die Mehrheit der Peruaner einer erneuten Kandidatur Fujimoris zustimmt. Hintergrund ist, daß sich Fujimori aufgrund einer von ihm 1993 manipulierten Verfassungsänderung zum dritten Mal zur Wahl stellen will. In der ursprünglich demokratisch verabschiedeten Fassung war nur eine Wiederwahl möglich. Verfassungsrichter, die Fujimoris erneutes Ansinnen vergangenes Jahr in Frage stellten, wurden vom Präsidenten kurzerhand entlassen.

Der Blick auf die politische Entwicklung Perus gibt wenig Anlaß zu Optimismus. Fujimori wird weiterhin Mittel und Wege finden, Wahlen so zu manipulieren, daß sie das von ihm gewünschte Ergebnis zeitigen. Auf Dauer wird er sich aber nicht den sozialen Sprengsätzen inmitten der peruanischen Gesellschaft entziehen können. Diese kann auch er nicht kontrollieren, wie der MRTA-Coup bewiesen hat. Wer ihm dereinst einmal folgen wird, ist derzeit völlig ungewiß.

IV. Das Ende der hundert Jahre Einsamkeit: Kolumbien

Hoffnung gibt es seit kurzem hingegen wieder in einem seit Jahren als hoffnungslos eingeschätzten Land: Kolumbien. Die New York Times hat es einmal das „Bosnien Lateinamerikas“ genannt, weil hier seit 34 Jahren ein blutiger, hinterhältiger Bürgerkrieg tobt, der rund vierzigtausend Todesopfer gefordert und etwa eine Million Menschen zur Flucht veranlaßt hat. Dabei gibt es nur selten direkte Kämpfe. Meist werden entweder von den beiden Guerillaorganisationen, die etwa die südliche Hälfte des Landes kontrollieren, oder von den rechten Todesschwadronen (Paramilitares} Dörfer zerstört, Anschläge verübt, Politiker ermordet, entführt und eingeschüchtert. Worum es bei diesem Krieg geht, wissen selbst langjährige Kenner kaum mehr zu sagen. Schon einmal erlebteKolumbien einen blutigen Bürgerkrieg, der 1958 zu Ende ging. Danach entwickelte sich der Andenstaat in einer bewundernswerten Leistung zu einer funktionierenden Demokratie, aber nur für wenige Jahre. 1. Patt zwischen Regierung und Guerilla Die soziale Ungerechtigkeit zwischen reichen Großgrundbesitzern sowie Industriemagnaten, deren Machtstrukturen teilweise noch aus der spanischen Kolonialzeit stammen, und armen Tagelöhnern ermutigte linke Guerillaorganisationen Mitte der sechziger Jahre, ihren Terror zu beginnen. Die reaktionären Kräfte Kolumbiens reagierten mit Gegenterror. Seit vielen Jahren besteht zwischen beiden politischen Machtblöcken eine Pattsituation, die zu Lasten der Bevölkerung geht. In weiten Teilen des Landes sieht sich die Regierung außerstande, mit Polizei und Militär die Sicherheit ihrer Bürger zu garantieren. Vor allem die Landbevölkerung ist deshalb gezwungen, sich ungewollt mit den Rebellen zu arrangieren -und wird dafür immer wieder von den Paramilitares, die von Großgrundbesitzern und Drogenkartellen finanziert werden, bestraft. Die innenpolitische Lage Kolumbiens ist also eher mit der in Algerien als in Bosnien zu vergleichen.

Neben den politisch motivierten gewaltsamen Auseinandersetzungen gibt es zahlreiche kriminelle Mafia-Konflikte, die Kolumbien zu einem der gefährlichsten Staaten der Erde gemacht haben. In keinem anderen Land werden, meist um Geld zu erpressen, so viele Menschen verschleppt wie in Kolumbien. 1997 wurden 1 300 Fälle von Entführung und rund 30 000 Morde registriert.

Das Militär mit rund 110 000 Soldaten hat bei seinen Fahndungen nach Rebellen ebenfalls zahlreiche tödliche Menschenrechtsverletzungen begangen und ist in der Bevölkerung weitgehend diskreditiert. Das amerikanische Verteidigungsministerium hat deshalb vor kurzem prophezeit, daß die Guerilla die kolumbianischen Streitkräfte innerhalb der nächsten fünf Jahre militärisch besiegen werde

Das Land ist zudem international in den vergangenen vier Jahren in die Isolierung geraten, da der bisher regierende Präsident Samper nicht den Verdacht zerstreuen konnte, bei seiner Wahl im Jahr 1994 nur mit Hilfe von Schmiergeldern großer Rauschgiftkartelle an die Macht gekommen zu sein. Die Guerillas, die sich durch Drogenanbau und -handel selbst finanzieren, brachen mit Bekanntwerden dieses Skandals die 1992 mit der Regierung begonnenen Friedensgespräche ab. Die USA verhängten vor mehr als zwei Jahren Sanktionen gegen Kolumbien, das als weltgrößter Produzent und Händler von Kokain und als wichtigster Lieferant für Heroin gilt. Dennoch gelang es dem schwer angeschlagenen Präsidenten Samper, seine vierjährige Amtszeit durchzustehen und sogar kurz vor Ablauf seiner Präsidentschaft auf dem Gebiet der Drogenbekämpfung einige Erfolge zu erzielen. Die Zeit der großen Drogenbarcne in Cali und Medellin scheint vorbei: Im Februar wurde der letzte noch in Freiheit befindliche Drogenboss, Jose Urrego, in der Nähe von Medellin festgenommen. Die Verhaftung Urregos werteten selbst die kritischen Vereinigten Staaten als gelungenen Schlag gegen die kolumbianische Drogenmafia und hoben ihre Sanktionen wieder auf, wohl auch in Hinblick auf die Neuwahlen Ende Mai 1998.

Seit Jahren schon gab es allerdings keine echten freien Wahlen mehr, da die Guerilla-Gruppen „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC) und das „Nationale Befreiungsheer“ (ELN) Wahllokale grundsätzlich zu „militärischen Zielen“ erklären. Vor jeder Wahl haben sie bislang mit Gewaltaktionen geantwortet. Auf diese Weise wurde jeder Urnengang zum Kräftemessen zwischen Rebellen und Regierung um die Staatsgewalt. Vor den letzten landesweiten Kommunalwahlen im November 1997 sind mehr als einhundert Kandidaten und amtierende Bürgermeister zumeist von der Guerilla, aber auch von Paramilitares ermordet worden.

2 000 Kandidaten haben unter Todesdrohungen ihre Bereitschaft, für ein öffentliches Amt zu kandidieren, wieder zurückgezogen. Mehr als dreihundert haben ihre Kandidatur aufgegeben, nachdem sie entführt und mißhandelt worden waren. Daß sich dennoch 49 Prozent der Wähler -1994 waren es zwei Prozent weniger -von den Drohungen nicht haben einschüchtern lassen, kann durchaus als deutlicher Beweis für den Demokratiewillen der Kolumbianer gewertet werden. 2. Neuer Präsident weckt hohe Erwartungen Große Erwartungen erweckt nun der neue, im Juni 1998 gewählte Präsident Andres Pastrana, der am 7. August sein Amt antrat. Pastrana, der sich schon im Wahlkampf als Garant des Wechsels präsentiert hatte, löste eines seiner wichtigsten Wahlversprechen umgehend ein: Anfang Juli traf er sich mit Führern der FARC, „irgendwo in Kolumbien“, wie es in seiner Presseerklärung hieß Zur Überraschung seiner Landsleute veröffentlichte Pastrana zudem eine Videoaufnahme der ersten Zusammenkunft eines Präsidenten mit der Guerilla, auf der er sogar den legendären FARC-Chef Manuel Marulanda umarmte. Der Friede in Kolumbien scheint mit dem neuen Mann an der Spitze des Staates plötzlich zum Greifen nahe. 3. Deutsche Bischöfe und „Los Mauss“

Während Pastrana mit den FARC Friedensverhandlungen binnen neunzig Tagen nach seinem Amtsantritt vereinbarte, verhandelte zeitgleich in Deutschland das ELN mit dem vom kolumbianischen Parlament beauftragten Nationalen Friedensrat (CNP). Die Initiative dazu ging nach offiziellen Angaben von der Deutschen und Kolumbianischen Bischofskonferenz aus. Aus anderen Quellen war indes zu erfahren, daß die Vermittlerrolle der deutschen Katholiken maßgeblich durch das Ehepaar Ida und Werner Mauss hergestellt worden war. „Los Mauss“, wie das Privatagentenpaar in Kolumbien genannt wird, sind die bekanntesten und gleichzeitig dubiosesten Deutschen Lateinamerikas. In die Schlagzeilen gerieten sie, als ihre Aktion zur Befreiung der deutschen Managergattin Brigitte Schoene aus den Händen des ELN ruchbar wurde. Los Mauss wurden im November 1996 am Flughafen von Medellin verhaftet und lösten seither Unstimmigkeiten zwischen Bogota und Bonn aus, da -bis heute -die wahre Rolle der Bundesregierung als „Auftraggeber“ des Ehepaares Mauss ungeklärt ist. Im Mai 1998 wurde allerdings gegen Los Mauss der Vorwurf der illegalen Zusammenarbeit mit der Guerrilla fallengelassen. Seither befinden sich beide wieder auf freiem Fuß.

Daß das deutsche Agentenpaar die Friedensgespräche mit dem ELN vermittelt hat, wird auch aus der Tatsache deutlich, daß bei den Gesprächen zwischen Guerilla und kolumbianischer Regierung in Mainz und im Kloster Himmelspforten bei Würzburg beide mit am Tisch saßen. Daß hier ausgerechnet die Katholische Bischofskonferenz den Gesprächsrahmen ermöglicht, verwundert nicht, wurde das ELN doch 1966 von Priestern und Studenten gegründet, die sich an der Befreiungstheologie orientierten.

Die mächtigeren FARC hingegen geben sich bis heute orthodox kommunistisch und werden es Präsident Pastrana politisch nicht leichtmachen. Dennoch zeichnet sich für das seit drei Jahrzehnten gequälte Land ein deutlicher Silberstreifen am politischen Horizont ab -einzig und allein hervorgerufen durch die Wahl eines integeren, unabhängigen Mannes. Mit Pastrana kann in den nächsten Monaten schon das Undenkbare möglich werden: das Ende des Bürgerkrieges und damit auch ein Ende des größten Teils der Drogenanbau-und -handelsstrukturen sowie die Rückkehr zur Demokratie für alle Kolumbianer.

V. So demokratisch wie noch nie

Die Beispiele Mexiko und Kolumbien, wo innerhalb der letzten zwölf Monate eine echte Trendwende zu Stabilität und Demokratie geglückt ist, lassen hoffen, daß sich in absehbarer Zeit auch die letzten beiden autoritär regierten Staaten der Region, Kuba und Peru, diesem Sog nicht entziehen können. Denn Lateinamerika präsentiert sich derzeit so demokratisch wie noch nie seit der Unabhängigkeit der meisten Staaten zwischen 1810 und 1820.

Zwischen Juni 1997 und Mai 1998 fanden in der Region zehn Präsidenten-und Parlamentswahlen statt, obwohl Millionen Lateinamerikaner wirtschaftlich unter der Demokratie leiden und Kriminalität und Massenarmut zugenommen haben. Cesar Gaviria, Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), ist überzeugt, daß Lateinamerika künftig demokratisch bleiben wird. In einem Punkt hat es Europa, respektive Deutschland sogar etwas voraus: In Lateinamerika sind viel mehr Frauen in Spitzenpositionen an politischen Prozessen beteiligt, als es hierzulande überhaupt denkbar wäre. Paradox -aber die eigentlichen „Machos“ regieren mit Hilfe von Quoten in der Alten Welt. In Mexiko hingegen ist ohne Quotenregelung eine Frau Außenministerin; einfach deshalb, weil sie dafür geeignet ist! In Bolivien und Argentinien gibt es Senatorinnen. In Bolivien gab es mit Lidia Gueiler sogar schon einmal eine Staatspräsidentin. In Honduras und Kolumbien kandidierten bei den letzten Präsidentschaftswahlen Frauen, die auf beachtliche Werte kamen. Für die Präsidentenwahlen in Venezuela im Dezember diesen Jahres gilt die unabhängige ehemalige Miss Universum, Irene Saez, mit Abstand als aussichtsreichste Kandidatin!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Anthony Faiola, Some Latin American countries look back to the good old days of Dictators, in: International Herald Tribune (IHT) vom 1. Juni 1998.

  2. „Schmutziger Krieg“ in Mexiko befürchtet, in: Süddeutsche Zeitung vom 18. Januar 1994.

  3. Vgl. Bemühungen um einen Dialog in Mexiko, in: Süddeutsche Zeitung vom 13. Januar 1994.

  4. Vgl. Rita Neubauer, Mexikos Regierungspartei büßt Vorherrschaft ein, in: Frankfurter Rundschau vom 8. Juli 1997.

  5. Ebd.

  6. Vgl. Carl D. Goerdeler, Mexiko: Zwei Morde und eine Wirtschaftskrise verunsichern die korrupte Machtelite, in: Die Zeit vom 10. März 1995.

  7. Vgl. Wilhelm Hofmeister, Die Entwicklung der Demokratie in Lateinamerika, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 4-5/94, S. 14.

  8. Walter Haubrich, Der lange Weg von der Diktatur zur Demokratie, in: Internationale Politik, 52 (1996) 7, S. 15.

  9. Hartmut Sangmeister, Demokratie und Marktwirtschaft in Lateinamerika, in: Internationale Politik, 52 (1996) 7, S. 7.

  10. Columbia already lost?, in: IHT vom 16. April 1998.

  11. Vgl. Diana J. Schemo, Colombia President-Elect meets Rebeis, in: IHT vom 11. Juli 1998.

Weitere Inhalte

Josef-Thomas Göller, M. A., geb. 1958; Studium der amerikanischen Geschichte und Politik mit dem Schwerpunkt Lateinamerika; seit 1986 Journalist für internationale Politik in Bonn; Mitglied der wissenschaftlichen Vereinigung Bonner Amerikanistische Studien (BAS). Veröffentlichungen u. a.: Auf der Suche nach El Dorado. Die Geschichte der Deutschen in Südamerika, Bergisch Gladbach 1992; Anwälte des Friedens. Die UNO und ihre sechs Generalsekretäre, Bonn 1995; George Washington. Biographie, Berlin 1998; zahlreiche politische Analysen und Hintergrundberichte über lateinamerikanische Staaten in überregionalen Zeitungen und Fachzeitschriften.