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Zeit lassen. Ein Plädoyer für eine neue Zeitpolitik | APuZ 31/1999 | bpb.de

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APuZ 31/1999 Die Zeiten ändern sich Vom Umgang mit der Zeit in unterschiedlichen Epochen Die innere Uhr Im Geschwindigkeitsrausch Die Welt der Wochenenden. Auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft Zeit lassen. Ein Plädoyer für eine neue Zeitpolitik

Zeit lassen. Ein Plädoyer für eine neue Zeitpolitik

Fritz Reheis

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ausgangspunkt des Beitrags ist die Beobachtung, daß der politische Prozeß einem zunehmenden Zeitdruck ausgesetzt ist, der mehr und mehr seine demokratische Qualität bedroht. Der Beitrag stellt zunächst einen noch wenig bekannten interdisziplinären Ansatz vor, der das Haushalten mit Zeit als universelles Muster auf der individuellen, sozialen/kulturalen und naturalen Ebene begreift, und er analysiert sodann die gegenwärtige Beschleunigungslogik. In einem zweiten und dritten Teil werden Möglichkeiten einer Zeitpolitik vorgeschlagen. Gemeint ist damit eine Politik, die sich bezüglich ihrer Inhalte und ihrer Verfahren am Prinzip des Zeitlassens orientiert, um Eigenzeiten sowohl von Mensch, Kultur/Gesellschaft und Natur als auch des demokratischen Prozesses selbst zu schützen.

Unternehmer klagen mit zunehmender Vehemenz über die Langsamkeit der Politik: über langwierige Genehmigungsverfahren, weitläufige Klagemöglichkeiten, den aufwendigen Föderalismus und die arbeitsplatzvernichtende „Konsens-Demokratie“ Deutschlands. Politiker kontern mit dem Vorwurf, die Wirtschaft sei zu wenig innovationsfreudig In Wirtschaft und Politik besteht offenbar Konsens darüber, daß im globalen Wettlauf nur der Schnellste gewinnen kann. Die Erhöhung der Geschwindigkeit gilt weithin als Gebot der Stunde.

Im Gegensatz dazu lautet die These dieses Beitrags: Beschleunigung wirkt zunehmend destruktiv in einem umfassenden Sinn. „Entschleunigung“ ist daher existentiell nötig, und sie ist auch möglich. Voraussetzung dafür ist ein neues Verständnis von Ökonomie und Politik. Die theoretische Basis für ein Leitbild des „Zeitlassens“ skizziere ich in einem ersten Schritt. Als zentral erweist sich dabei die Kategorie der „Eigenzeiten“ von Systemen sowie die Erkenntnis, daß diese vor allem durch die herrschende Ökonomie hochgradig bedroht sind. In einem zweiten und dritten Schritt zeige ich exemplarisch, wie durch die explizite Orientierung von Politik auf die Dimension der Zeit, also durch Zeitpolitik, den Eigenzeiten grundsätzlich Respekt zu verschaffen wäre

I. Die Ökologie der Zeit

Ausgangspunkt der folgenden Zusammenfassung einer politökonomisch erweiterten Ökologie der Zeit ist eine relativ banale Erkenntnis: Um leben zu können, braucht der Mensch -wie andere Lebewesen auch -Energie/Materie, die er in Nahrung, Kleidung etc. umwandelt, wobei er Müll hinterläßt. Dazu greift er auf Informationen zurück und hinterläßt neue Sachverhalte als Stoff für neue Informationen. Umwandlungsprozesse erfordern bestimmte Zeiträume und folgen in der Regel bestimmten Rhythmen, haben also Eigenzeiten. Man denke zum Beispiel an die Atmung, die Ernährung, den Schlaf-Wach-Rhythmus. Die Eigen-zeiten umfassen jenen Zeitraum, den ein System braucht, um nach einer von außen auferlegten Belastung wieder ungefähr in seinen alten Zustand zurückzukehren. Zu Analysezwecken ist es sinnvoll, drei Arten von Systemen mit jeweils system-spezifischen Dimensionen von Eigenzeiten zu unterscheiden: das Individuum, die außermenschliche Natur, die Kultur bzw. Gesellschaft. Die Biographie eines Individuums kann zugleich als Produkt der und als Beitrag zur Kultur-bzw. Gesellschaftsgeschichte begriffen werden, die Kultur-bzw. Gesellschaftsgeschichte als Produkt der und als Beitrag zur Naturgeschichte Diese Produkte bzw. Beiträge bleiben in jene Zusammenhänge, aus denen sie hervorgegangen sind und die sie erweitern, zutiefst eingebettet, so wie Blätter mit Ästen und Äste mit dem Stamm des Baumes verbunden sind. Wie die Systeme selbst so sind natürlich auch ihre Eigenzeiten Produkte der Evolution und werden grundsätzlich durch die jeweilige Umwelt festgelegt: Die Sonneneinstrahlung bestimmt letztlich die Eigenzeiten der Natur, die Natur die Eigenzeiten der Kultur bzw. Gesellschaft, diese die Eigen-zeiten des Individuums. Im Laufe der Zeit haben die Systeme Natur, Kultur bzw. Gesellschaft und Individuum gelernt, diese Umwandlungsprozesse zu optimieren, und das Gelernte als Ressourcen gespeichert. Naturale Systeme haben in der Evolutionsgeschichte für diese Lernprozesse zigmillionen Jahre benötigt, kulturale bzw. gesellschaftliche Systeme immerhin Jahrtausende, individuale Systeme lernen in Zeiträumen von Jahren bis zu Sekunden.

Die herrschende ökonomische und politische Praxis muß als kapitalistische gekennzeichnet werden Das Wesen des Kapitalismus besteht im Produzieren um der Produktion willen, und zwar letztlich um der , Produktion von Geld willen. Konkrete Waren und Dienste sind dabei lediglich Mittel. Dieser Logik entsprechend wurden alle Umwandlungsprozesse enorm beschleunigt und entrhythmisiert, nach und nach alle Hindernisse der Geldvermehrung beseitigt: naturale zum Beispiel durch Planierung (Förderung des Transports der Waren/Dienste), kulturale/gesellschaftliche durch Kreditierung (Förderung der Kaufkraft für den Erwerb der Waren/Dienste) und individuale durch Werbung (Förderung der Bedürfnisse nach den Waren/Diensten). Gegenwärtig zeigen sich die destruktiven Wirkungen der kapitalistischen Programmzeiten überdeutlich im neoliberalen „Verschlankungskonzept“ zur Verbesserung der Chancen im „Standortwettbewerb“.

Eine solche Produktionslogik vernachlässigt notwendigerweise die Reproduktion-, Erstens wird das Individuum schneller mit energetischen/materiellen Stoffen und informationellen Reizen bombardiert, als es seine körperliche und psychische Immunabwehr darauf einstellen kann. Dies zeigt sich in der Zunahme bestimmter Krankheiten wie Allergien, Krebs, Angst-und Suchtstörungen. Zweitens werden die Naturkräfte schneller verbraucht, als sie nachwachsen. Die Konsequenz sind versiegende Naturressourcen. Und drittens wird auch die Kultur/Gesellschaft durch die wachsende Kluft zwischen den Schnellen und den Langsamen schneller mit Konflikten belastet, als sie diese lösen kann. Ein Indikator ist der wachsende Gegensatz zwischen Arm und Reich sowie zwischen Jung und Alt. Fazit: Wenn seit Beginn der Moderne, insbesondere aber in den letzten Jahrzehnten, in der Welt auf allen drei Ebenen schneller neue Sachlagen geschaffen werden und mehr Informationen anfallen, als verarbeitet werden können, wird Lernen unmöglich. Denn Lernen setzt voraus, daß Altes und Neues in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, so daß das Neue in das Alte integriert werden kann. Wo dies nicht der Fall ist, führt jeder Lernversuch ins Bodenlose. Dann werden die im Laufe der Evolution entstandenen und bewährten Grenzen der Austauschprozesse zwischen den Systemen und ihren Umwelten systematisch übertreten. Die Folge ist, daß diese Systeme nicht nur ihre Kreativität verlieren, sondern auch existentiell gefährdet werden. Bezogen auf die Zeitmuster der Austauschprozesse heißt dies: An die Stelle der schrittweisen Erhöhung der Freiräume der Umwandlungsprozesse gegenüber den äußeren Zeitprogrammen tritt schließlich ihr Zusammenbruch. Wenn sich zum Beispiel ein Computerprogramm schneller ändert, als das Individuum es einüben kann, wenn sich Klimazonen schneller verschieben, als Pflanzen und Tiere nachwandern können, oder wenn durch Maschinen schneller Arbeitsplätze vernichtet werden, als die Gesellschaft neue Perspektiven für die freigesetzten Menschen entwikkeln kann -dann ist der Evolutionsprozeß an diesen Stellen gescheitert.

Während sich Eigenzeiten in voraufklärerischen Zeiten mehr oder minder als Resultat der Traditionen ergaben, müssen sie heute gezielt geschützt werden. Die Eigenzeiten des Menschen betreffen nicht nur die Reaktion des Körpers auf mechanische Belastungen, sondern auch die Reaktionen des Körpers auf stoffliche und der Psyche auf nichtstoffliche Reize. Von besonderer Bedeutung für die Verarbeitung psychischer Reize ist der rhythmische Charakter des menschlichen Handelns. Der Mensch setzt sich ein Handlungsziel, wählt die Mittel aus, wendet diese an und blickt zum Schluß auf sein Ziel zurück, um dessen Erreichung oder Verfehlen festzustellen Die Möglichkeit der Abschließung von Handlungsepisoden ist zudem Voraussetzung für die Selbstkontrolle im Handeln und letztlich für die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit Insgesamt müssen die Austauschprozesse zwischen dem Individuum und seiner Umwelt seinen körperlichen und psychischen Bedürfnissen gerecht werden, mithin -in umfassendem Sinn -jenem Zustand entsprechen, den die Weltgesundheitsorganisation als Gesundheit bezeichnet, nämlich als „vollständiges physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden“

Die Eigenzeiten der Natur können unterschieden werden in die Regenerationszeiten der Quellen (z. B. Wasser, fruchtbarer Boden, Bodenschätze) und die der Senken (z. B. Abfallgruben, Flüsse, Lufthülle) des Naturhaushalts. Austauschprozesse zwischen der Natur und der Kultur/Gesellschaft, die dieses Passungsprinzip beachten, werden als nachhaltig bezeichnet. Hier ist das Bewußtsein über die Bedeutung von Zeit schon am weitesten gediehen. Die Eigenzeiten der Kultur/Gesellschaft schließlich betreffen den Austausch von Leistungen zwischen Menschen im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung. Die Suche nach zwischenmenschlicher Gerechtigkeit ist so alt wie das Zusammenleben der Menschen selbst. Seit der Aufklärung ist Gerechtigkeit an individuelle Leistung gekoppelt. Ein gerechter Austausch zeichnet sich dadurch aus, daß die Austauschenden über die gleichen Chancen zur sozialen Anerkennung und damit zur Selbstanerkennung qua Leistung verfügen In bezug auf den Austausch (vor allem von Technologien) zwischen den Generationen bedeutet dies, daß keine Generation auf Kosten der anderen leben darf, daß vielmehr jede Generation sich auf den Schultern ihrer Vorfahren stehend sehen und selbst wiederum den Nachfahren ihre Schultern zur Verfügung stellen muß. Zum Schutz des Austauschs zwischen den Generationen gehört auch der Schutz der Besonderheit der einzelnen Lebensphasen: Die Mittleren müssen den Jungen Zeit zum Jungsein lassen, den Alten Zeit zum Alt-sein. Und in bezug auf den Austausch (vor allem von Einkommen) innerhalb einer Generation ist die Gleichheit der Chancen zur Anerkennung nur denkbar, wenn die Produktionsgeschwindigkeiten der Schnellen und der Langsamen nicht auseinanderdriften, sondern in der Tendenz miteinander synchronisiert werden. Die Schnellen müssen langsamer werden, damit die Langsamen schneller werden können. Nur wenn Vorsprünge zwischen Generationen und innerhalb von Generationen nicht verstärkt, sondern ausgeglichen werden, hat jeder eine realistische Chance, für seine Leistung eine adäquate Gegenleistung zu bekommen. Er erhält somit die Gewißheit, daß auf das Sorgen für andere immer wieder das Versorgtwerden durch andere folgt.

Fazit' -Der Umgang des Menschen mit sich selbst muß am oben definierten Kriterium der Gesundheit, also am umfassenden Wohlbefinden des Menschen, der Umgang des Menschen mit der außermenschlichen Natur am Kriterium der Nachhaltigkeit und der Umgang des Menschen mit anderen Menschen am Kriterium der Gerechtigkeit orientiert sein. Dadurch werden Anforderungen und Ressourcen zeitlich aneinander angepaßt. Nur eine solche Synchronisation macht es möglich, daß Eigenzeiten respektiert werden. Dies bedeutet zunächst, daß die Reproduktion des in der Produktion Verbrauchten gewährleistet wird. Und dies ist auch Voraussetzung dafür, daß immer wieder spielerisch neue Möglichkeiten ausprobiert werden, daß also Kreativität entwickelt und zugleich Fehler-freundlichkeit bewahrt wird. Wie läßt sich nun der Schutz der Eigenzeiten von Individuum, Natur und Kultur/Gesellschaft politisch organisieren? Im folgenden werden -skizzenhaft -einige Vorschläge zunächst zur inhaltlichen, dann zur verfahrens-mäßigen Dimension von Zeitpolitik unterbreitet.

II. Die Inhaltsdimension der Zeitpolitik

Politik ist die verbindliche Festlegung und Durchsetzung des Gemeinwohls, Zeitpolitik ist demnach der Versuch, dabei vor allem auf die zeitliche Dimension zu achten. Ich werde mich auf den Aspekt der Festlegung, also die legislative Funktion von Politik, konzentrieren Bisher gibt es zwar eine explizite Raumpolitik, die der Raumordnungs-und der Flächennutzungsplanung dient, aber keine explizite und systematische Zeitpolitik Gleichwohl gibt es erste Ansätze, die faktisch ein primär zeitpolitisches Anliegen haben. Sie zielen auf die bessere Koordinierung elementarer gesellschaftlicher Zeiten. Dabei geht es vor allem um die Zeiten des Arbeitens, des Einkaufens, des Verkehrs, der Erholung. Explizite Zeitpolitik wird in Ansätzen zum Beispiel auch dort betrieben, wo der Staat sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kümmert. Wenn sich Eltern zum Zweck der Kindererziehung aufgrund von staatlichen Gesetzen beurlauben lassen können und Gesetze dafür sorgen, daß dies für die Familien und die Unternehmen finanzierbar und die Rückkehr in den Beruf gesichert ist, koordiniert der Staat dabei Zeiten der Bürger

Die folgenden Vorschläge für eine auf politische Inhalte zielende Zeitpolitik gehen über solche Zeitkoordinierungsmaßnahmen weit hinaus. Generelles Ziel einer solch fundamentalen Zeitpolitik müßte es sein, grobe Verletzungen von Eigenzeiten zu verbieten, weniger grobe zu erschweren, die Annäherung an Eigenzeiten zu erleichtern und ein konsequent eigenzeitorientiertes Verhalten durch die unentgeltliche Bereitstellung der dafür erforderlichen Voraussetzungen nahezulegen oder vorzuschreiben.

Was die Eigenzeiten des Individuums bzw. das Ziel der Gesundheitsförderung betrifft, muß Zeitpolitik für die Gestaltung der Lebenswelt nach Maßgabe medizinischer und psychologischer Erkenntnisse sorgen und größtmögliches körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden des Menschen als ihre Aufgabe begreifen. Daß zum Beispiel aus zeitökologischer Perspektive unsere als Lernfabriken konstruierten Erziehungs-und Bildungseinrichtungen einer fundamentalen reformpädagogischen Revision unterzogen werden müßten, daß wir eine Pädagogik des Zeitlassens bräuchten, versteht sich fast von selbst In bezug auf die Arbeitswelt wäre vorstellbar, daß zum Beispiel der Verzicht auf Schicht-/Wochenendarbeit, die gezielte Einrichtung von Büroarbeitsplätzen mit viel Bewegungs-und Ruhemöglichkeiten oder die Schaffung kreativer Arbeitsaufgaben durch Subventionen gefördert werden bzw. ungesunde Arbeitsplätze mit Extrasteuern oder Extraversi-cherungen dem Verursacherprinzip gemäß besonders belastet würden. In bezug auf das Konsumieren könnten zum Beispiel Anreize geschaffen werden, damit an die Stelle der gezielten Überrumpelung der Konsumenten durch Werbung für Produkte die Information über Produkte tritt, die auch die sozialen und ökologischen Bedingungen von Entwicklung, Produktion, Vermarktung und Transport enthält.

Was die Eigenzeiten der Natur bzw. die Nachhaltigkeit betrifft, muß Zeitpolitik vor allem auf den mittel-und langfristigen Ersatz nichtregenerativer durch regenerative Energien zielen. Umweltpolitische Strategien sind zum Beispiel um so sinnvoller, je mehr sie an der Menge und am Rhythmus der durch die Sonne unmittelbar bereitgestellten Energie orientiert sind. Daß Umweltpolitik langfristig auf ein vorsorgend-reproduktives Wirtschaften hinzielen muß, hat vor kurzem Sabine Hofmeister eindrucksvoll nachgewiesen

Was schließlich die Eigenzeiten der Kultur/Gesellschäft bzw. die Gerechtigkeit betrifft, muß Zeit-politik die Bestandserhaltung des zwischenmenschlichen Austausches zum Ziel haben, und zwar zwischen und innerhalb von Generationen. Es muß gewährleistet werden, daß die Schnelleren immer wieder auf die Langsameren warten. Bezüglich des intergenerativen Austausches müßten zum Beispiel die Lebensabschnitte, insbesondere die ökonomisch unproduktiven, in ihrer jeweiligen Besonderheit vor dem Verwertungsdruck besonders geschützt werden, damit die Perspektiven der Kinder und der Alten in den gesellschaftlichen Gesamtprozeß integriert werden können. Und bezüglich des intragenerativen Verhältnisses könnte zum Beispiel überlegt werden, wie beim Umbau des Steuersystems die Geschwindigkeit der Produktion in die Festlegung des Steuersatzes einbezogen werden kann damit die Leistungsstärkeren sich von den Leistungsschwächeren nicht immer mehr abkoppeln.

Der erste inhaltliche Schritt einer Zeitpolitik müßte darin bestehen, umfassende ökologische, soziale und gesundheitliche Bilanzen zu erstellen, aus denen die tatsächlichen Schäden und Nutzen unserer Hochgeschwindigkeits-und Nonstop-Gesellschaft ersichtlich werden. Erste Versuche mit Sozialbilanzen haben zum Beispiel ergeben, daß die Angst am Arbeitsplatz in Deutschland durch Mobbing, daß Fehlzeiten, Fluktuation, Dro-gen und psychosomatische Krankheiten jährlich einen Schaden von 100 Milliarden Mark verursachen

III. Die Verfahrensdimension der Zeitpolitik

Ich beginne mit einer grundlegenden Vorbemerkung zum Politik-und Demokratiebegriff: Politik als die verbindliche Festlegung des Gemeinwohls ist aus zeitökologischer Perspektive eine besondere Art des Handelns. Handeln wurde oben bestimmt als eine besondere Art von energetischen/materiellen und informationeilen Verarbeitungsprozessen. Wie alle Verarbeitungsprozesse hat also auch das politische Handeln seine Eigen-zeit. Was die Demokratie betrifft, so ist sie in ihrem aufklärerischen Sinn durch die Synthese von Ratio und Voluntas gekennzeichnet Nur wo ein hohes Maß an Reflexion und ein hohes Maß an Willensfreiheit Zusammentreffen, kann sinnvollerweise von gelungener demokratischer Gemeinwohlfindung gesprochen werden In diesem letzten Abschnitt soll, ausgehend von dem bereits in der Einleitung angesprochenen zunehmenden Druck auf die Eigenzeiten demokratischer Verfahren, angedeutet werden, welche Änderungen in den Willensbildungsverfahren, wie sie in Verfassungen festgeschrieben sind, aus der Perspektive der Ökologie der Zeit nötig wären Wenn man demokratische Gemeinwohlfindung als kollektive Handlung interpretiert, die durch ihre Eigenzeit charakterisiert ist, dann muß man, wie bei anderen Eigenzeiten auch, sowohl die Dauer dieser Hand-Jungals auch ihren zyklischen Charakter untersuchen. 1. Dauer Gegenwärtig erzwingt der Zeitdruck der Ökonomie die rücksichtslose Verkürzung der Reflexionsprozesse (Ratio). Diese geht unweigerlich mit einer Verkürzung der Zeithorizonte einher, die dabei in Betracht kommen. So werden Problem-aspekte, die in mittlerer oder fernerer Zukunft liegen, einfach ausgeklammert. Bezugsgröße ist die „gedehnte Gegenwart“, wobei die Politiker einen Großteil der Zeit für Machterhaltungszwecke vergeuden In parlamentarischen Demokratien ist der Horizont typischerweise auf die Dauer der Legislaturperiode begrenzt. Bezeichnenderweise beklagt mittlerweile selbst die Industrie die Kurzfristigkeit der politischen Planung Deshalb hat man immer wieder eine Verlängerung der Legislaturperioden vorgeschlagen, um Parlamentariern mehr Zeit zum Probehandeln und Wählern mehr Zeit zur Überprüfung der Auswirkungen zu geben

Was die politischen Entscheidungsprozesse betrifft (Voluntas), so werden diese zum Zweck der Beschleunigung systematisch zentralisiert'. Das heißt, sie werden vom Parlament zur Regierung, vom Land zum Bund, vom Bund zu Europa verlagert. Damit geht die Willensbildung systematisch über die Wünsche eines wachsenden Teils der Betroffenen hinweg. Am schnellsten ist die großflächige Routine und die zentralistische Dikatur eines einzelnen. So zieht der ökonomische Wettlauf um Verwertungschancen für das Kapital einen politischen Wettlauf nach sich, in dem es um die Verkürzung von Reflexionsphasen und Zeithorizonten einerseits und die Verkleinerung der Zahl der an den Entscheidungen Beteiligten andererseits geht. Dies kann allerdings in eine politische Beschleunigungsfalle führen, wenn nämlich wichtige Aspekte unberücksichtigt bleiben, die Betroffenen die Ergebnisse hinterher nicht akzeptieren und ihre Umsetzung zu verhindern suchen. Die Konsequenz ist die Verlagerung der Entscheidung aus dem Bereich der regulären Willensbildung zum Beispiel zu Gerichten, zu symbolischer Politik oder zur Politik der vollendeten Tatsachen, womöglich mit entsprechend gewaltsamen Widerstandsreaktionen.

Die Ökologie der Zeit, die die raum-zeitlichen Dimensionen von Umwandlungsprozessen aller Art bilanziert, stellt nun die Grundlagen dafür bereit, daß dieser „Vergewaltigungsprozeß“ gestoppt werden kann. Denn aus den Bilanzen ergibt sich der Kreis der von einer Entscheidung Betroffenen, und damit kann der räumliche und zeitliche Rahmen der erforderlichen Gemeinwohlbildungsprozesse verfassungsrechtlich festgelegt werden. Am Beispiel Umweltpolitik läßt sich dies am leichtesten demonstrieren. So ist zum Beispiel für Fragen der bodennahen Umweltverschmutzung die Kommune, für Fragen der Verschmutzung fließender Gewässer das Land oder die Region, für Fragen des Klimas der Kontinent oder die Welt zuständig. Ganz ähnlich müssen die zeitlichen Dimensionen bilanziert und damit der Kreis der Betroffenen definiert werden. Fragen des Arten-schutzes etwa betreffen unzählige Generationen und müssen deshalb der demokratischen Mehrheitsfindung weitgehend entzogen werden. So ergeben sich Raum-Zeit-Skalen, aus denen die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten grundlegend abgeleitet werden können. Insgesamt folgt aus zeitökologischer Perspektive ein Plädoyer für ein vielfach gestuftes, also föderales Verfassungssystem mit vielen dezentralen Elementen in der Willensbildung und sehr unterschiedlichen, aber grundsätzlich weit in die Zukunft reichenden Zeit-horizonten

Um der regulativen Idee der Aufklärung gerecht zu werden, um die politische Willensbildung also sowohl auf bestmöglichem Wissen des Intellekts als auch höchstmöglicher Autonomie des Willens zu fundieren, erscheinen Strategien der Entschleunigung unabdingbar. Je mehr sich durch die Bilanzierung von Eigenzeiten herausstellt, daß die Folgen heutiger Entscheidungen weit in die Zukunft reichen und schwer kalkulierbar sind, desto häufiger muß von sehr hohen Hürden bei der Mehrheitsbildung, von Einstimmigkeitsprinzipien oder gar von Ewigkeitsklauseln Gebrauch gemacht werden. Ein weiteres Verzögerungsmittel bestünde darin, den Kreis der Beteiligten zu erweitern und dafür zu sorgen, daß sie alle durch konkurrierende wissenschaftliche Beratungseinrichtungen mögliehst gleichermaßen kompetent an der anstehenden Entscheidung mitwirken können. Bei. allen Fragen mit Verfassungsrang oder primär ethischer Bedeutung können zudem heute schon in vielen Ländern Plebiszite abgehalten werden. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß alle relevanten Gesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen werden, somit also ein Maximum an Rationalität erreicht wird. Solche Entscheidungen können dann auch auf breiter Basis mit Akzeptanz rechnen und folglich konfliktfrei durchgesetzt werden Dazu muß die Eigenzeit, die die Bürger zur Verarbeitung von Informationen benötigen, genauso zum Maßstab gemacht werden wie die Eigenzeit des Kommunikationsprozesses zwischen ihnen. Beides hängt letztlich von der Komplexität des zur Debatte stehenden Sachverhalts ab. Aus zeitpolitischer Sicht müssen Willensbildungsverfahren also zeitlich so organisiert werden, daß genügend Freiräume zur Verfügung stehen, „um eine dem jeweiligen Diskussionsgegenstand angemessene Souveränität im Umgang mit Zeit zu verwirklichen“ Wenn die Zeitökologie die Anpassung von Anforderungen und Ressourcen in bezug auf demokratische Gemeinwohlfindungsprozesse fordert, dann müssen andererseits auch diese Austauschprozesse selbst langfristig auf ein Maß begrenzt werden, das eine demokratische Steuerung überhaupt noch zuläßt. 2. Zyklus Oben wurde im Zusammenhang mit der Gestaltung der Arbeitswelt festgestellt, daß Zielsetzung, Mittelwahl, Handlung und Rückblick eine organische Einheit bilden. Dieser zyklische Charakter von Handlungs-und natürlich auch Reflexionsepisoden kennzeichnet auch das kollektive Handeln. Die gegenwärtige Beschleunigungslogik zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß die Reflexion lediglich zwischen Gegenwart und verlängerter Gegenwart hin-und herpendelt und ständig Sachzwänge abgearbeitet werden, ohne daß Anfang und Ende sichtbar würden, so daß auch die Resultate nicht kontrollierbar und nicht rückholbar sind. Solche Politik wird notwendigerweise immer langweiliger, der Souverän in der Zuschauerrolle verliert das Interesse selbst an den wenigen verbleibenden Partizipationsmöglichkeiten.

Statt dessen sollte sich die Politik Zeit nehmen fürs Innehalten. Der frühere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Björn Engholm, wollte aus diesem Grund in seinem Kabinett einen Wochentag von Dienstgeschäften freihalten und ganz der Reflexion widmen. Die flächendeckende Einführung regelmäßiger Klausurwochen und Sabbat-jahre wäre eine weitere zeitpolitische Maßnahme. Ähnlich würden sich all jene Maßnahmen auswirken, die dem besseren personellen Austausch zwischen Mandatsträgern bzw. Amtsinhabern einerseits und den Bürgern andererseits dienen, die also eine rhythmische Verbindung zwischen politischen und privaten Aktivitätsphasen herbeiführen könnten. Ohne solche Reflexionsphasen finden Menschen nur schwer jene Distanz, die nötig ist, um über den Tellerrand der Augenblicks-zwänge hinauszuschauen.

Sinnvoll sind solche reflexiven Elemente allerdings immer nur dann, wenn durch das vorausgegangene Handeln keine irreversiblen Tatsachen geschaffen worden sind. Individuelles und kollektives Handeln sollte so viele Optionen wie möglich offenlassen. Erst durch die Möglichkeit der Revision entsteht Fehlerfreundlichkeit. Erst die Beschränkung ihrer zeitlichen Reichweite macht eine Entscheidung auch für die jeweilige Minderheit akzeptabel, weil diese dann hoffen kann, die Entscheidung eines Tages auch wieder kippen zu können Die Willensbildung soll also erstens prinzipiell revidierbar sein und zweitens immer wieder tatsächlich einem Revisionsversuch ausgesetzt werden. Dem sachlichen Aspekt der Zyklizität entspricht im übrigen ein personeller: der der zeitlichen Begrenzung von Herrschaft, also der regelmäßigen Koppelung politischer Mandate an Erfolgsnachweise

Zum methodischen Innehalten gehört ferner die Fähigkeit, den Blick aus der Gegenwart in die Zukunft und in die Vergangenheit und wieder zurück gleiten zu lassen, die sogenannte „Zeitelastizität“. Sie ist von zentraler Bedeutung für die Herausbildung der autonomen Persönlichkeit genauso wie für souveräne Entscheidungen bei Wahlen und Volksabstimmungen. Zeitpolitik müßte also Verfahren entwickeln, mit deren Hilfe Akte der Volkssouveränität im zeitlichen Kontinuum zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vollzogen werden. Kommunale Bürgerentscheide könnten zum Beispiel organisatorisch verknüpft werden mit Geschichts-und Zukunftswerkstätteh. In personeller Hinsicht könnte dieser Sachaspekt dadurch unterstützt werden, daß in solchen Werkstätten systematisch alle Generationen mit ihren naturgemäß divergierenden Zeitperspektiven zusammengeführt werden.

Fazit'. Der große Vorzug des zeitökologischen Ansatzes und seiner Umsetzung in Gestalt von Zeitpolitik besteht darin, eine Vielfalt von bisher disparat diskutierten und gestalteten Problembereichen in eine gemeinsame Sprache zu übersetzen und so einer integrativen Gesellschaftspolitik zugänglich zu machen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bei diesem Artikel handelt es sich um die gekürzte und überarbeitete Fassung eines Textes, der in der Zeitschrift ÖZP (Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft) erschienen ist. So zum Beispiel der BDI-Chef Hans-Olaf Henkel in einem SPIEGEL-Streitgespräch mit Joschka Fischer, in: Der Spiegel, Nr. 35 vom 28. August 1995 und Bundespräsident

  2. Das Thema Zeit/Beschleunigung/Entschleunigung hat in der Philosophie und Soziologie seit etlichen Jahren Konjunktur. Darstellungen von Politikwissenschaftlern dagegen sind meines Wissens spärlich: Peter Häberle, Zeit und Verfassungskultur, in: Jürgen Aschoff u. a., Die Zeit. Dauer und Augenblick (= Veröffentlichung der Carl Friedrich Siemens Stiftung, hrsg. von Heinz Gumin und Heinrich Meier, Bd. 2), München -Zürich 19892, S. 289-343; Carl Bohret. Die Zeit des Politikers -Zeitverständnis, Zeitnutzung und Zeit-mandat. Rektoratsrede anläßlich der Eröffnung des Wintersemesters 1989/90, Speyer, 6. November 1989, in: Speyerer Vorträge der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, (1989) 14; Giesela Riescher, Zeit und Politik. Zur institutionellen Bedeutung von Zeitstrukturen in parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystemen. Baden-Baden 1994; Matthias Eberling, Beschleunigung und Politik: Zur Wirkung steigender Geschwindigkeiten des ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen Wandels auf den demokratischen Staat, Frankfurt am Main u. a. 1996.

  3. Bisher sind drei Sammelbände erschienen: Martin Held/Karlheinz A. Geißler (Hrsg.), Ökologie der Zeit. Vom Finden der rechten Zeitmaße, Stuttgart 1993; dies. (Hrsg.), Von Rhythmen und Eigenzeiten. Perspektiven einer Ökologie der Zeit, Stuttgart 1995; Barbara Adam/Karlheinz A. Geißler/Martin Held (Hrsg.), Die Nonstop-Gesellschaft. Vom Zeitmißbrauch zur Zeitkultur, Stuttgart 1998. Eine ausführliche Darstellung der nachfolgenden Synthese aus Elementen der Ökologie der Zeit und der klassischen Politischen Ökonomie findet sich in Fritz Reheis, Die Kreativität der Langsamkeit. Neuer Wohlstand durch Entschleunigung, Darmstadt 19982.

  4. Vgl. Klaus M. Meyer-Abich, Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt, München -Wien 1990.

  5. Ich halte alle dem methodologischen Individualismus entspringenden Kultur-, Wirtschafts-und Politiktheorien für die Beschreibung und Analyse der herrschenden politökonomischen Praxis für ungeeignet, da sie weder im Makrobereich (Natur) noch im Mikrobereich (Individuum) genügend anschlußfähig sind (vgl. Fritz Reheis, Konkurrenz und von -als Fundamente Gleichgewicht Gesellschaft. Interdiszi plinäre Untersuchung zu einem sozialwissenschaftlichen Paradigma, Berlin 1986; ders., Ökologische Blindheit. Die Aporie der herrschenden Wirtschaftswissenschaft, in: DAS ARGUMENT 208: Popularkultur & Feminismus, (1995) 1, S. 79-90.

  6. Vgl. zum Beispiel Walter Volpert, Wie wir handeln -Was wir können. Ein Disput zur Einführung in die Handlungspsychologie, Heidelberg 1992.

  7. Vgl. Dieter Sturma, Philosophie der Person. Die Selbst-verhältnisse von Subjektivität und Moralität, Paderborn u. a. 1997.

  8. Zit. nach WHO (Hrsg.), Our Planet, Our Health. Report of the WHO-Commission on Health and Development, Geneva 1992, S. 6.

  9. Vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1992.

  10. Vgl. zum Beispiel Bernd Guggenberger, Fehler-freundliche Strukturen, in: UNIVERSITAS, (1994) 4, S. 343-355.

  11. Zum Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive im Zusammenhang mit der Zeit der Politik vgl. G. Riescher (Anm. 2).

  12. Vgl. Martin Held. Rhythmen und Eigenzeiten als angemessene Zeitmaße. Perspektiven einer öko-sozialen Zeit-politik, in: ders. /K. A. Geißler (Hrsg.), Von Rhythmen und Eigenzeiten (Anm. 3), S. 169-192. Implizit spielt die politische Gestaltung von Zeit allerdings in vielen Politikbereichen eine große Rolle, so etwa, wenn der Staat Regeln für Arbeitsund Ladenöffnungszeiten vorschreibt oder wenn die Verkehrspolitik den Verkehr und die Technologiepolitik die Innovation beschleunigen will. Beim Anschluß der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik strebte man in vielerlei Hinsicht die Anpassung der langsameren ostdeutschen Gesellschaft an das Tempo der westdeutschen an.

  13. Vgl. Manfred Garhammer, Balanceakt Zeit. Auswirkungen flexibler Arbeitszeiten auf Alltag, Freizeit und Familie, Berlin 1994, S. 240-244.

  14. Vgl. Karl Neumann, Keine Zeit für Kinder? Kinderzeit, Erwachsenenzeit und Zeiteinteilung in Tageseinrichtungen für Kinder, in: Verband Bildung und Erziehung (Hrsg.), Familie und Pädagogen -Wegbegleiter unserer Kinder. Eine Dokumentation. Deutscher Erzieherinnentag ’ 96, Arnstadt, 17. 5. 96, Bonn 1997, S. 43-58.

  15. Vgl. Sabine Hofmeister, Von der Abfallwirtschaft zur ökologischen Stoffwirtschaft. Wege zu einer Ökonomie der Reproduktion, Opladen 1998.

  16. Vgl. Peter Kafka, Gegen den Untergang. Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise, München 1994, S. 169.

  17. Vgl. Winfried Panse/Wolfgang Stegmann, Kostenfaktor Angst, Landsberg a. Lech 19963.

  18. Vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962, S. 159 f. u. 216.

  19. Wo hingegen zwar auf hohem Niveau reflektiert, aber über die Bürger hinweg entschieden wird, handelt es sich um den Herrschaftstypus des aufgeklärten Absolutismus (Dominanz der Ratio). Und wo andererseits zwar der Bürgerwille den Ausschlag gibt, aber dieser Wille auf unreflektierte Art und Weise zustande gekommen ist, handelt es sich um eine Art Populismus (Dominanz der Voluntas). Vgl. auch Fritz Reheis, Return to the Grace of God. Werner Sombart’s Compromise with National Socialism, in: Jürgen G. Backhaus (Hrsg.), Werner Sombart (1863-1941) -social scientist (Volume 1: His life and work), Marburg 1996, S. 173-191.

  20. Verfassungen können grundsätzlich als schriftliche Zeitpläne interpretiert werden, die angeben, für welche gesellschaftlichen Fragen genügend Zeit für Diskussionen und Abstimmungen unter den Bürgern oder im Parlament erübrigt werden kann und welche Fragen durch exekutive Akte, womöglich sogar ohne richterliche Überprüfungsmöglichkeit, entschieden werden sollen. Vgl. P. Häberle (Anm. 2).

  21. Vgl. C. Bohret (Anm. 2), S. 16 u. 25.

  22. Etwa der umweltpolitische Sprecher von BMW, vgl.: Süddeutsche Zeitung vom 2. Juni 1997.

  23. C. Bohret (Anm. 2), S. 32. Weitere Vorschläge, die auch auf die Ausdehnung des Zeithorizonts politischer Willensbildungsprozesse zielen, sind die Erhöhung der Kontinuität und Kompetenz von Gremien durch zeitversetzte Wahl jeweils der Hälfte der Mitglieder sowie die Gewinnung von Zeit für Parlamentarier durch Beschränkung ihrer Arbeit auf echte Gemeinwohlaufgaben. Vgl. ebd., S. 30-35. Beachte in diesem Zusammenhang auch die Diskussion über die Grenzen der Mehrheitsdemokratie (Bernd Guggenberger/Claus Offe, An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie. Politik und Soziologie der Mehrheitsregel, Opladen 1994).

  24. Im Zweifelsfall müssen die Kompetenzen der jeweils höheren Ebene gegeben werden, da mit der Sicherung großräumiger Prozesse in der Regel die kleinräumigeren mitgesichert werden, wohingegen die Sicherung kleinräumiger Prozesse die großräumigeren in der Regel ungesichert läßt.

  25. In der Schweiz bewirkt das Damoklesschwert des Plebiszits, daß Gesetze im Parlament um ein Vielfaches länger und gründlicher beraten werden als etwa in weniger plebiszitären Demokratien. Vgl. G. Riescher (Anm. 2). S. 183 ff.

  26. M. Eberling (Anm. 2), S. Ulf. Angesichts des dramatisch zunehmenden internationalen und globalen Charakters der energetischen/materiellen und informationellen Austauschprozesse wird auch die interkulturelle Kommunikation mit riichtwestlichen Kulturen (zum Beispiel dem Islam) und die internationale Kooperation zur Entschleunigung beitragen.

  27. Vgl. ebd., S. 139.

  28. Vgl. G. Riescher (Anm. 2), S. 230.

Weitere Inhalte

Fritz Reheis, Dr. phil., geb. 1949; Gymnasiallehrer für Sozialkunde, Deutsch, Geschichte und Philosophie; seit 1989 nebenamtlich Lehrbeauftragter an verschiedenen Fach-und Hochschulen, z. Z. an der Universität Bamberg und der Pädagogischen Hochschule Erfurt. Veröffentlichungen u. a.: Konkurrenz und Gleichgewicht als Fundamente von Gesellschaft, Berlin -München 1986; Ethik Abitur, München 1991; Die Kreativität der Langsamkeit, 2. Aufl., Darmstadt 1998; zahlreiche didaktische und fachwissenschaftliche Aufsätze zu wirtschafts-und umweltsoziologischen, sozialethischen und pädagogischen Themen.