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Die Kaukasus-Politik der Europäischen Union | APuZ 42/1999 | bpb.de

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APuZ 42/1999 Strukturschwächen der russischen Innenpolitik Die Wirtschafts-und Finanzlage Rußlands vor den Dumawahlen 1999 Politische Konstellationen im Südkaukasus Die Kaukasus-Politik der Europäischen Union

Die Kaukasus-Politik der Europäischen Union

Detlev Wolter

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die EU hat aus geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gründen strategische Interessen im Kaukasus. Insbesondere muß sie vermeiden helfen, daß es in dieser aufgrund der widerstreitenden Interessen Rußlands, des Iran und der Türkei geopolitisch äußerst sensiblen und zugleich aufgrund der Öl-und Gasvorkommen sowie der Bedeutung als Verkehrsroute zwischen Europa und Asien wirtschaftlich wichtigen Region am südöstlichen Rand Europas zu einer Krisenentwicklung wie auf dem Balkan kommt. Die EU gilt inzwischen als einer der Hauptakteure im Kaukasus. Durch den im Rahmen der Partnerschafts-und Kooperationsabkommen vorgesehenen politischen Dialog auf regionaler Ebene verfügt die EU auch über beträchtliche politische Einflußmöglichkeiten. Dies wurde zuletzt auf dem unter deutscher Ratspräsidentschaft abgehaltenen Kaukasusgipfel der 15 EU-Staaten mit den Staats-ZRegierungschefs von Armenien, Aserbaidschan und Georgien am 22. Juni 1999 in Luxemburg deutlich.

I. Einleitung

Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist die EU bemüht, ihren Beitrag zur Stabilisierung des Kaukasus zu leisten und den schwierigen Prozeß der Herausbildung lebensfähiger, unabhängiger Staaten in den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan und Georgien zu unterstützen. Sie setzt dafür beträchtliche Finanzmittel ein. Die jungen Staaten tragen schwer an dem sowjetischen Erbe. Als Sowjetrepubliken verfügten sie über keinerlei unabhängige staatliche oder gesellschaftliche Institutionen. In allen Entscheidungsgremien wirkten Russen als Vollstrecker des Willens Moskaus. Ihre Wirtschaftssysteme, die vollständig auf die Bedürfnisse Moskaus und der sowjetischen Planwirtschaft ausgerichtet waren, standen nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 vor dem völligen Ruin. Das schwerste Erbe besteht jedoch in den zahlreichen ungelösten ethnischen und territorialen Konflikten in der Region. Sie sind unmittelbare Folge der divide et impera-Politik Stalins, der im Interesse einer besseren Kontrolle Moskaus über die kolonisierten Völker nicht davor zurückschreckte, ganze Volks-gruppen umzusiedeln, auseinanderzureißen oder mit anderen Minderheiten zu vermengen. Diese Konflikte wurden jahrzehntelang von Moskaus Militärmacht im Zaum gehalten. Sie entluden sich aber noch während der Schlußphase der Sowjetunion unter Gorbatschow in einem offenen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die überwiegend armenisch besiedelte, aber ganz auf aserischem Territorium liegende Enklave Berg-Karabach. Seit der staatlichen Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepubliken geht es um einen echten zwischenstaatlichen Konflikt, um deren Beilegung sich die internationale Staatengemeinschaft bislang erfolglos bemüht hat. Einer Lösung harren auch die ethnischen Konflikte innerhalb Georgiens in den Regionen Abchasien, Adscharien und Südossetien, die alle drei auf Unabhängigkeit oder zumindest größere Autonomie drängen. Der Verfasser arbeitet im Auswärtigen Amt. Der Artikel gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.

II. Die Interessen der EU und anderer Länder

Die EU ist aus mehreren Gründen dringend daran interessiert, daß es in dieser strategisch wichtigen Nachbarregion nicht zu einer Krisenentwicklung wie auf dem Balkan kommt. Sie hat sowohl strategische und ökonomische, als auch kulturell-historische Interessen an der Stabilisierung der jungen Staaten und an einer gedeihlichen Entwicklung der Region insgesamt. Als Wiege der mittelöstlich-europäischen Zivilisation verbinden uns auch gemeinsame kulturelle Wurzeln. Die strategische Bedeutung des Kaukasus an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien und als Tor zu Mittelasien und Transitroute nach China und Japan wird durch die geopolitische Lage der Region, in der die großen Nachbarn Rußland, Türkei und Iran widerstreitende Interessen geltend machen, noch verstärkt. Die USA treten aus diesem Grunde ebenfalls auf den Plan, wobei das Hauptinteresse Amerikas zweifellos in der Sicherung zumindest einer Mitkontrolle über die kaspischen Öl-und Gasvorkommen liegt. Anders als das „Great Game“ um den Kaukasus und Zentralasien im letzten Jahrhundert, in dem England und Rußland die Hauptkonkurrenten waren, spielt sich der jetzige Wettstreit um Einfluß im Kaukasus hauptsächlich zwischen Rußland, den USA, der EU, der Türkei und dem Iran ab, wobei zunehmend auch Japan Wirtschafts-und Handelsinteressen geltend macht. Auch die Ukraine mit ihrer Schwarzmeer-Gegenküste zum Kaukasus hat regionale Ambitionen. Sie ist mit Georgien und Aserbaidschan in der als Gegengewicht zu der von Moskau dominierten GUS gegründeten sogenannten GUUAM-Gruppe verbunden, der darüber hinaus Moldawien und neuerdings Usbekistan angehören.

Von den EU-Staaten ist zu England und Frankreich auch Italien, dessen Ölgesellschaften ebenso wie die britisch/niederländischen und französischen Firmen in Baku präsent sind, sowie immer stärker auch Deutschland als wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor hinzugetreten, dem sich die Kaukasusländer, insbesondere Georgien, auch kulturell eng verbunden fühlen. Auch Griechenland ist präsent, vor allem um sich durch enge Beziehungen zu dem mit der Türkei wegen des Genozids von 1915 in sehr schwierigem Nachbarschaftsverhältnis befindenden Armenien regionale Vorteile gegenüber Ankara zu verschaffen. Diese fünf EU-Staaten sind inzwischen auch mit Botschaften in der Region vertreten, davon Deutschland als erstes bereits 1992 mit eigenen Botschaften in allen drei Kaukasusstaaten. Europa wird seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluß jedoch nur erfolgreich geltend machen können, wenn es geschlossen und nicht im politischen Widerstreit seiner Hauptmächte auftritt. Auch die weiterhin unterschiedlichen Außenhandelsinteressen werden allmählich in einer gesamteuropäischen Interessenkonvergenz aufgehen. Mit Hilfe der von der EU mit den drei Kaukasusstaaten im April 1996 Unterzeichneten Partnerschafts-und Kooperationsabkommen ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer einheitlichen EU-Politik im Kaukasus geschaffen worden. Die EU hat zunächst mit Nahrungsmittel-und humanitärer Hilfe, anschließend auch durch von der Kommission klug ausgewählte Projekte der regionalen Zusammenarbeit ihren Einfluß stetig ausbauen können. Letztlich werden diese Kaukasusrepubliken ihre Unabhängigkeit gegen die übermächtigen Nachbarn nur durch ihre stärkere Integration in der Region sichern können. Die drei südkaukasischen Staaten schauen daher mehr denn je auf die EU in der Hoffnung, daß Europa mittels dieser wichtigen Regionalprojekte auch eine stärkere politische Rolle bei der Lösung der Regionalkonflikte spielen wird, zumal die seit Jahren im Rahmen der OSZE (Minsk-Gruppe zum Berg-Karabach-Konflikt unter Co-Vorsitz von USA, Rußland und Frankreich sowie Mission für Südossetien) sowie der Vereinten Nationen (Beauftragter für Abchasien) zur Beilegung der Konflikte unternommenen Anstrengungen bislang erfolglos blieben.

Die Hinwendung Armeniens, Georgiens und Aserbaidschans nach Europa ist nach jahrhundertelanger Isolation und Unterdrückung zunächst durch das Zarenreich und später das Sowjetimperium auch ein tiefes zivilisatorisches Bedürfnis dieser Völker. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion um die Gewährung eines Beitrittsstatus für die Türkei und auch die Balkanländer sowie der bereits erfolgten Aufnahme Georgiens im April 1999 in den Europarat äußern die drei südkaukasischen Staaten offen ihren Wunsch nach einer Perspektive für einen EU-Beitritt, den sie realistischerweise aber nicht in einigen Jahren, sondern Jahrzehnten erwarten. Das georgische Parlament hat sich in einer Entschließung von Anfang September 1999 für eine Assoziierung Georgiens mit den Beitrittsländern aus Mitteleuropa abgeschlossenen Europaabkommen ausgesprochen. Eher geringen Einfluß wird die EU auf längere Sicht im Nordkaukasus ausüben können. Dessen Konfliktregionen Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan gehören zur Russischen Föderation, so daß die EU ohne das Plazet Moskaus kaum Einwirkungsmöglichkeiten hat. Die ethnischen Probleme dort greifen allerdings auch auf den Süd-kaukasus über und umgekehrt. So hat die Status-frage zu dem zu Georgien gehörenden Südossetien Auswirkungen auf das in der Russischen Föderation liegende Nordossetien und wegen der Flüchtlingsströme auch auf die soziale und wirtschaftliche Lage im benachbarten Dagestan. Eine Gesamtbefriedung der Region kann auch vor diesem Hintergrund nur durch eine enge Zusammenarbeit mit Rußland erreicht werden. Rußland ist seinerseits wiederum insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen an einem guten Verhältnis zur EU gelegen. Rußland schätzt die EU -vor allem seit den beiden letzten Jahren -zunehmend auch als politischen Machtfaktor ein. Letztlich könnte Rußland bereit sein, im Interesse eines Zurückdrängens des als Welthegemonie bewerteten US-Einflusses mit der EU auch bei der Stabilisierung und Lösung der offenen Konflikte im Kaukasus enger zusammenzuarbeiten. Washington dürfte ähnlich wie bei der Förderung einer „Führungsrolle“ der EU beim Wiederaufbau im Kosovo eine noch stärkere wirtschaftliche Unterstützung der EU für die Kaukasusstaaten befürworten, solange dies seine eigenen Wirtschaftsinteressen an den kaspischen Energie-ressourcen nicht beeinträchtigt. Ob die USA auch eine stärkere politische Rolle der EU oder gar eine Abstimmung zwischen der EU und Rußland gutheißen könnte, wird vor allem davon abhängen, inwieweit die strategischen Interessen der USA insbesondere an einer angemessenen Berücksichtigung der regionalen Rolle des NATO-Partners Türkei und an einem Zurückdrängen des Iran dabei genügend berücksichtigt werden.

III. Die Entwicklung der bilateralen Beziehungen der EU zu den drei Kaukasusstaaten

Bereits unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion haben die Mehrzahl der Mitgliedstaaten der EU, an erster Stelle Deutschland, die Unabhängig­keit der südkaukasischen Staaten anerkannt. Wegen der Bürgerkriege in Georgien, des Berg-Karabach-Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie des Tschetschenien-Krieges sah sich die EU sogleich vor die Entscheidung gestellt, ob sie die dringend benötigte humanitäre Hilfe für die Millionen von Flüchtlingen bereitstellen soll. Sie hat nicht gezögert und zügig mit Hilfe des European Community Humanitarian Office (ECHO) in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen beträchtliche Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus hat sie auch in größerem Maßstab Nahrungsmittelhilfe geleistet. Schließlich begann die EU bereits 1992 Mittel der technischen Zusammenarbeit unter dem für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die Mongolei entwickelten TACIS-Programm (Technical Assistance for the CIS) bereitzustellen. Die Projekte zielten zunächst auf Maßnahmen der Nothilfe und nachfolgend verstärkt auf die Unterstützung bei der Herausbildung staatlicher und wirtschaftlicher Strukturen sowie die Förderung von Infrastruktur-maßnahmen. Dabei hat die EU von vornherein großen Wert darauf gelegt, die drei Staaten unter Berücksichtigung ihrer jeweils besonderen Bedürfnisse nach denselben Maßstäben und mit denselben Instrumenten zu behandeln. Die vertraglichen Beziehungen waren mittelbaf zunächst auf das 1989 noch mit der UdSSR abgeschlossene Abkommen über Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit gestützt. Die drei Staaten haben zwar eine förmliche Übernahme dieses Abkommens aus prinzipiellen Gründen abgelehnt („Keine Übernahme alter Verträge der UdSSR!“). Sie haben aber die Anwendung der darin von der EU gewährten Meistbegünstigungsklausel sowie den in Form von Gemischten Ausschüssen vorgesehenen institutionalisierten Dialog mit der EU dankbar angenommen. Die EU hat daher -beginnend im Dezember 1994 -mit allen drei Staaten jeweils vier Sitzungen der Gemischten Ausschüsse abwechselnd in Brüssel und in der Region abgehalten, die zunehmend über die reinen Handels-und Wirtschaftsfragen auch Themen der regionalen Zusammenarbeit und des Politischen Dialogs sowie der Abwicklung der Hilfsprogramme umfaßten. 1994 begann die Kommission im Rahmen des TACIS-Programms mit den von den Kaukasusländern sofort begrüßten regionalen Infrastrukturprojekten, die eine Anbindung Zentralasiens über den Kaukasus an Europa im Energiesektor (Öl-und Gas-Pipelines) und im Transportbereich („Wiederbelebung der historischen Seidenstraße“) vorsehen. Die Kommission gab einen weiteren maßgeblichen Anstoß zum Ausbau der Beziehungen durch die Vorlage einer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament im Juni 1995 über eine Strategie für die Beziehungen der EU mit den drei Kaukasusrepubliken. Darin schlug sie den zügigen Abschluß von Partnerschafts-und Kooperationsabkommen (PKA) mit den drei Staaten vor. Diese erstmals 1992 mit Rußland und inzwischen mit allen NUS mit Ausnahme von Tadschikistan abgeschlossenen Abkommen stellen die Beziehungen auf eine qualitätsmäßig völlig neue Stufe. Sie umfassen alle Bereiche der mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 erweiterten Handlungsfähigkeit der EU, also neben dem klassischen Außenhandel der EG im Bereich der Außenwirtschaftsbeziehungen und Entwicklungszusammenarbeit auch die neuen „Säulen“ der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) sowie von Justiz und Inneres. Es handelt sich daher um sogenannte Gemischte Abkommen, die sowohl die EG als auch die Mitgliedstaaten binden und sowohl vom Europäischen Parlament als auch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssen. Die Aushandlung der Abkommen mit den drei Staaten durch die Kommission und den Rat erwies sich als weitgehend unproblematisch, da sie überwiegend dem Modell der zuvor mit Rußland, der Ukraine und Weißrußland abgeschlossenen Abkommen folgten. Sie enthalten allerdings in zweierlei Hinsicht wesentliche Unterschiede. Erstens sehen sie anders als die mit den drei slawischen Ländern vereinbarten PKAs keine Perspektive der Errichtung einer Freihandelszone mit der EU vor. Im Unterschied aber zu den Abkommen mit den zentralasiatischen Staaten sind sie deutlich auf das Ziel angelegt, die zu Europa gehörenden kaukasischen Länder ebenso wie die slawischen NUS in „einen europaweiten Raum der Zusammenarbeit“ einzubeziehen. Diesem Ziel kommt vor dem Hintergrund des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, der die Perspektive von Stabilisieruhgs-und Assoziationsabkommen der EU mit den Balkanländern eröffnet, sowie der geplanten Erweiterung der EU um die Schwarzmeeranrainer Rumänien und Bulgarien und möglicherweise die Türkei besondere strategische Bedeutung zu, da damit die Kaukasus-staaten zu unmittelbaren Nachbarn der erweiterten EU werden.

Der zweite wesentliche und von der EU gezielt aufgenomme Unterschied zu den anderen PKA liegt darin, daß besonderer Wert bei den drei Kaukasusstaaten auf einen politischen Dialog auf regionaler Ebene gelegt wird. Hiermit wollte die EU ihre von Anfang an verfolgte Politik der Unterstützung der regionalen Stabilisierungen undregionalen Integration, ohne die Unabhängigkeit und wirtschaftliche Prosperität dieser Staaten kaum gesichert werden können, auch vertraglich festschreiben. Die drei Regierungen haben diesen regionalen Ansatz von vornherein akzeptiert. So kamen die drei Staatspräsidenten Schewardnadse, Alijew und Ter-Petrosian auf Einladung der EU zur Unterzeichnung der Abkommen am 1. April 1996 nach Luxemburg zu einem ersten gemeinsamen Kaukasus-Gipfel mit den Außenministern der fünfzehn EU-Mitgliedstaaten zusammen. Die Bemühungen der EU, bereits zu diesem Zeitpunkt ein gemeinsames politisches Dokument in Form einer feierlichen Gemeinsamen Erklärung zu verabschieden, scheiterten jedoch an den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Armenien und Aserbaidschan hinsichtlich der territorialen Lösung für Berg-Karabach. Die EU hat diesen regionalen Ansatz seitdem dennoch konsequent weiterverfolgt.

IV. Regionale Infrastrukturprojekte

Der Regionalansatz der EU kommt insbesondere in den von ihr initiierten großen Infrastrukturvorhaben INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe) und TRACECA (Transport Corridor Europe Caucasus Central Asia) zum Ausdruck. Nicht nur die unmittelbar begünstigten Staaten der Region und die anderen NUS, sondern auch die südosteuropäischen Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien, aber auch Polen und Ungarn sowie die Türkei und Rußland messen diesen Vorhaben große politische und wirtschaftliche Bedeutung bei. So fand im September 1998 unter Teilnahme der Präsidenten bzw. Regierungschefs von Armenien, Aserbaidschan, Georgien, der Ukraine, von Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und Moldawien ein TRACECA-Gipfel in Baku statt, bei dem ein Rahmenabkommen über die Wiedererrichtung der alten Seidenstraße unterzeichnet wurde. An diesem von der EU geförderten Treffen nahmen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten sowie die Beitrittsländer, die Türkei und Rußland als Beobachter teil. Die EU-Präsidentschaft Unterzeichnete zusammen mit den Teilnehmerstaaten eine politische Erklärung zur Unterstüzung des Abkommens. Es wurde außerdem beschlossen, mit Unterstützung aus TACIS-Mitteln ein TRACECA-Sekretariat in Baku einzurichten. Die potentielle Bedeutung von TRACECA, für das die EU bisher 45 Mio Euro eingesetzt hat, für die Stabilisierung der Region, die Wiederherstellung der erschütterten Volkswirtschaften, die Anbindung Mittelasiens an Europa sowie den Handels-und Wirtschaftsaustausch zwischen der EU und Südosteuropa mit dem Kaukasus und Mittelasien ist kaum zu überschätzen. Dies gilt möglicherweise in noch höherem Maße für das INOGATE-Programm. Dieses-1994 ebenfalls im Rahmen des TACIS-Programms begonnene Vorhaben sieht überwiegend technische Hilfe für die Rehabilitierung, Modernisierung und Ausweitung der Öl-und Gaspipelines in der Region und ihre Anbindung nach Osten an die Produktionsstätten in Mittelasien sowie nach Westen zu den Abnehmern im Schwarzmeerraum (vor allem die Türkei) und in Europa vor. Es zielt insbesondere auf die Entwicklung alternativer, von Moskau unabhängiger Routen und will damit zugleich zur Erschließung der hydrokarbonischen Energiequellen des Kaspischen Meeres und Zentralasiens beitragen. Damit dient das Programm letztlich auch der Verbesserung der immer noch zu über 80 Prozent von Rußland und dem Nahen Osten abhängigen Energieversorgung Westeuropas. Das Interesse an einer Diversifizierung der europäischen Energieversorgung wird verstärkt durch die EU-Osterweiterung, denn die mittelosteuropäischen Beitrittsländer sind in noch stärkerem Maße als die jetzigen EU-Mitgliedstaaten von den Energieimporten aus Rußland abhängig. Der Erfolg dieses bislang mit 50 Mio. Euro geförderten Programms zeigt sich auch daran, daß neben den NUS als eigentlichen Nutznießern inzwischen alle mittelosteuropäischen Beitrittsländer sowie auch die Balkanländer und die Türkei als Beobachter daran teilnehmen. Bei den Sitzungen im Rahmen des INOGATE-Programms sind außerdem die internationalen und europäischen Finanzinstitutionen, namentlich IWF, Weltbank und Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) präsent, welche die angestrebte Beteiligung des Privatsektors an den künftigen Investitionsprojekten mitfinanzieren sollen. Auch Rußland hat seine anfängliche Zurückhaltung zugunsten einer zunehmend aktiveren Beteiligung mit Beobachterstatus aufgegeben. Inzwischen zeigt sich auch der Iran an dem Programm interessiert. Die EU hat beschlossen, den Iran bei der nächsten INOGATE-Konferenz als Beobachter zuzulassen. Im Rahmen von INOGATE hat die EU bereits zahlreiche wichtige Beiträge zur Wiederherstellung und Schaffung neuer Routen zwischen dem Kaspischen und Schwarzen Meer und dem europäischen Markt (u. a. für das sogenannte „early oil“ aus den neuen kaspischen Förderquellen) geleistet. Darüber hinaus wurde mit Hilfe von INOGATE ein institutionelles Rahmenabkommen für die Errichtung zwischenstaatlicher Öl-und Gas-Verbindungen ausgearbeitet, das am 17. Februar 1999 in Brüssel von den NUS paraphiert wurde. Ziel des Abkommens ist die Schaffung verläßlicher Rahmenbedingungen für die Errichtung der Transportverbindungen zwischen den Herstellern um das Kaspische Meer, den Transitländern und den Verbraucherländern in Europa. Es sieht internationale Standards für Herstellung und Management der Infrastruktursysteme vor, die insbesondere auch die Einhaltung der im Kyoto-Abkommen festgelegten Umweltkriterien verlangen. Dieses Abkommen wurde in Anwesenheit der EU-Präsidentschaft und der Kommission sowie von Vertretern der fünfzehn Mitgliedstaaten am 22. Juli 1999 in Kiew auf Ebene der Premierminister unterzeichnet. An dem Gipfeltreffen nahmen außerdem hochrangige Vertreter aus Rußland, Polen, Rumänien, Bulgarien und der Türkei teil. Die Ukraine hatte sich im Vorfeld mit großem Nachdruck um die Abhaltung dieses INOGATE-Gipfels bemüht, um ihre Rolle als künftiges Schlüsselland sowohl für den Transport (u. a. Ausbau des Ölterminals Odessa) als auch als potentiell großes Verbraucherland zu unterstreichen. Wie bereits bei TRACECA wird ein von der Kommission finanziell und logistisch unterstütztes eigenes INOGATE-Sekretariat in Kiew eingerichtet. Der Rat hat die mit dem INOGATE-Programm verfolgte Diversifizierung der Energieversorgung Westeuropas durch Schaffung multipler Pipelinerouten ausdrücklich unterstützt. Auf der Grundlage eines vertraulichen Arbeitspapiers über die Kaspische Energie verabschiedete er am 18. Mai 1998 öffentliche Schlußfolgerungen, in denen er sich für ein System multipler Pipelines ausspricht. Für die EU sind insbesondere die transkaukasischen Routen, die eine Weiterleitung über das Schwarze Meer nach Südosteuropa in die europäischen Leitungsnetze ermöglichen, von Interesse. Zugleich stellte der Rat klar, daß die Entscheidung über die jeweils ausgewählten Strekken die beteiligten Unternehmen überwiegend nach geschäftlichen Erwägungen bestimmen.

Als dritten Bereich regionaler Infrastrukturvorhaben hat die EU die Sanierung der alten Bahnverbindungen im Kaukasus sowie die Schaffung von Telekommunikations-und anderer Netzwerke vorgeschlagen. Konkret wird die Wiederherstellung der alten Eisenbahnlinien Baku-Nachitschewan und Eriwan-Dshulfa sowie der Nord-Süd-Strecke von Rußland nach Georgien ins Auge gefaßt. Hinzu käme die Perspektive, entlang der Eisen-bahnlinien Telekommunikationsverbindungen mit Faseroptik zu verlegen. Diesen Vorhaben käme besondere Bedeutung als vertrauensbildende Maßnahme zu, denn sie setzen voraus, daß die Beteiligten ihren guten Willen zur Lösung der Konflikte auch mit Taten unter Beweis stellen. Die erste Strecke führt über den Korridor zwischen Armenien und Berg-Karabach in Aserbaidschan, der von Armenien besetzt wird. Aus aserischer Sicht kann die Strecke nur realisiert werden, wenn sich Armenien zuvor aus dem besetzten Gebiet zurückzieht. Die Nord-Süd-Strecke Rußland-Georgien verläuft über Abchasien und würde eine Befriedung dieses Konfliktes voraussetzen. Die EU hat gezielt dieses Angebot zur Wiederherstellung der Eisenbahnverbindungen unterbreitet, um einen weiteren Anreiz zur Lösung der Konflikte zu geben.

Die Förderung dieser Regionalvorhaben steht in dem breiteren Kontext der von der Kommission in ihrer Mitteilung über die Schwarzmeer-Zusammenarbeit vom November 1997 entwickelten Politik, durch gezielte Synergien und Verbindungen zwischen den Programmen TACIS , PHARE und MEDA das Beziehungsgeflecht zwischen der EU, den mittel-und südosteuropäischen Beitrittsländern mit den NUS und den Mittelmeeranrainern und insbesondere der Türkei immer enger zu knüpfen. Damit soll vor allem der Entstehung neuer Bruchlinien in Europa im Zuge der kommenden EU-Erweiterung(en) entgegengewirkt werden. Durch den Stabilitätspakt für Südosteuropa wird es nunmehr möglich, auch die Balkanländer, die aufgrund ihres offensichtlichen Interesses als mögliche Transit-und Verbraucherländer an INOGATE sehr früh als aktive Beobachter teilnahmen, in dieses gesamteuropäische Verflechtungsnetz einzubeziehen.

V. Der Kaukasus-Gipfel und die Gemeinsame Erklärung der EU mit den drei Kaukasusstaaten

Den bisherigen Höhepunkt auf dem Weg zu einer einheitlichen Kaukasuspolitik der EU markierte das von der deutschen EU-Präsidentschaft unter Vorsitz von Außenminister Fischer abgehaltene Treffen der Fünfzehn mit den drei kaukasischen Staats-ZRegierungschefs am 22. Juni 1999 in Luxemburg. Formeller Anlaß für das Treffen war das Inkrafttreten der PKA zum 1. Juli 1999. An dem Treffen nahmen die Präsidenten Schewardnadse (Georgien) und Kotscharian (Armenien) sowie der aserische Premierminister Rassizade anstelle des erkrankten Präsidenten Alijev teil.Die deutsche Ratspräsidentschaft und die Kommission haben dieses herausragende Ereignis mit langer Hand vorbereitet und die Mitgliedstaaten in einem frühen Stadium gebeten, die noch ausstehenden Ratifizierungen der Abkommen durch die nationalen Parlamente rechtzeitig einzuleiten, damit sie spätestens zum Ende der deutschen Rats-präsidentschaft in Kraft treten könnten. Die Kommission hat außerdem eine neue Mitteilung über die Beziehungen zum Kaukasus im Rahmen der PKA vorbereitet, die sie rechtzeitg vor dem Gipfel dem Rat vorgelegt hat. Der Rat verabschiedete dazu am Vorabend des Gipfeltreffens Schlußfolgerungen, in denen er die Mitteilung der Kommission begrüßt und es für zweckmäßig erklärt, in den kommenden Jahren große strategische Ziele für die Politik der EU gegenüber der Region festzulegen. Erstmals stellte der Rat einen ausdrücklichen Zusammenhang zwischen der Unterstützung der EU und der Lösung der Konflikte her. Die Maßnahmen der EU sollen künftig noch stärker die Fortschritte bei der Beilegung der Konflikte widerspiegeln. Aus guten Gründen ging der Rat jedoch nicht so weit, bei dauerhaftem Ausbleiben einer Lösung der Konflikte die Einstellung der EU-Unterstützung vorzusehen. Dennoch haben die Kaukasusländer das deutliche Signal, daß die Unterstützung seitens der EU den angestrebten Erfolg auf Dauer nur bei einer Beilegung der Konflikte haben und daher auch nur dann weiterhin gerechtfertigt werden kann, verstanden.

Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des Gipfels war es, daß die deutsche Ratspräsidentschaft und die Kommission frühzeitig den Entwurf der Gemeinsamen Erklärung erarbeitet und bereits zu Jahresbeginn den Abstimmungsprozeß sowohl mit den Kaukasusstaaten als auch mit den EU-Mitgliedstaaten begonnen haben. In mehreren getrennten Verhandlungsrunden mit den drei kaukasischen Regierungen konnte erreicht werden, daß Armenien und Aserbaidschan auf ursprünglich vorgebrachte Textwünsche, die offensichtlich für die andere Seite inakzeptabel gewesen wären, verzichteten. Georgien hat ohnehin von Anfang an eine sehr konstruktive Haltung zum Entwurf der Erklärung eingenommen. Die Gemeinsame Erklärung, bestehend aus fünfzehn Punkten, ist das erste substantielle politische Dokument, auf das sich die drei Kaukasusstaaten gemeinsam verständigen konnten. Ihr kommt insoweit historische Bedeutung zu. Das Zustandekommen der Gemeinsamen Erklärung wird daher allgemein als großer Erfolg für die Kaukasuspolitik der EU unter der deutschen Ratspräsidentschaft gewertet. Die Kernaussage der Erklärung ist die Feststellung seitens der EU, daß die Wirksamkeit der EU-Unterstützung von der Entwicklung des Friedensprozesses in der Region abhängt. Die EU betont, daß sie der regionalen Zusammenarbeit, der Konfliktnachsorge und dem Wiederaufbau sowie der Investitionsförderung in den früheren Konfliktgebieten besondere Bedeutung beimesse. Damit kommt auch in der Gemeinsamen Erklärung der Zusammenhang zwischen fortgesetzter Unterstützung seitens der EU und der Konflikt-beilegung deutlich zum Ausdruck. Die Hauptelemente der Gemeinsamen Erklärung sind die: -Umsetzung der PKA und Wahrung der darin festgelegten gemeinsamen Werte, Grundsätze und Ziele, die auch den Grundsatz der territorialen Integrität umfassen; -schrittweise Heranführung der südkaukasischen Republiken in einen größeren Raum der Zusammenarbeit in Europa; -baldmögliche Abhaltung der ersten Tagungen der Kooperationsräte. Um das mit dem Gipfeltreffen initiierte Momentum in den Beziehungen zu erhalten, hat sich die finnische Ratspräsidentschaft bereit erklärt, die Kooperationsräte mit den drei kaukasischen Staaten bereits im Oktober dieses Jahres abzuhalten; -Unterstützung der Konsolidierung der demokratischen Institutionen und der Schutz der Menschenrechte. Dazu soll ein regelmäßiger Menschenrechtsdialog der Regierungen mit den EU-Botschaftern geführt werden; -Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen sowie Angleichung der Rechtsvorschriften im Wirtschaftsbereich an die europäischen Standards; -die Anerkennung der Kaukasusstaaten, daß die Konflikte im Südkaukasus ihre politische und wirtschaftliche Entwicklung sowie ihre Zusammenarbeit behindern; Unterstützung der Friedensbemühungen der Parteien sowie der betreffenden internationalen Foren, insbesondere der OSZE (Minsk-Gruppe für Berg-Karabach und Mission für Südossetien) sowie der VN (Sonderbeauftragter für Abchasien); Einvernehmen darüber, daß die Konflikte nur mit friedlichen Mitteln gelöst werden können. -Betonung der Bedeutung regionaler Zusammenarbeit für die Schaffung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten der Region und für eine nachhaltige Entwicklung ihrer Wirtschaft; Einleitung eines regelmäßigen politischen Dialogs, insbesondere auch auf regionaler Ebene gemäß Artikel 5 PKA; außerdem Erhöhung der Wirksamkeit der TACIS-Unterstützung durch einen an die Bedingungen desjeweiligen Landes angepaßten dialogbestimmten Ansatz; Bekräftigung, im Rahmen von TRACECA und INOGATE den Europa-Kaukasus-Asien-Verkehrskorridor auszubauen und die Rohrleitungsnetze für Öl und Gas zu sanieren, zu modernisieren und zu erweitern. In diesem Zusammenhang bekennen sich erstmals auch die drei Kaukasusländer zu dem von der EU bereits 1997 indossierten Prinzip multipler Pipelinerouten. -Sanierung der Eisenbahnverbindungen und der Telekommunikations-und anderer Netzinfrastruktursysteme in der Region, einschließlich der Bahnverbindungen Baku-Nachitschewan und Eriwan-Dshulfa sowie der Nord-Süd-Verbindungen zwischen Rußland und Georgien als wichtige vertrauensbildende Maßnahmen. Die drei Kaukasusländer verpflichten sich, für die Wiedereröffnung der Verkehrsverbindungen schnellstmöglich günstige Bedingungen zu schaffen. -Mahnung an die Südkaukasusstaaten, die Voraussetzungen für ihren schnellstmöglichen Beitritt zu internationalen Institutionen, einschließlich des Europarates und der WTO zu schaffen. Die EU begrüßt den Beitritt von Georgien zum Europarat im April 1999. -Würdigung, daß auch die Parlamentspräsidenten der drei Staaten im März 1999 ein gemeinsames Treffen in Straßburg abgehalten haben; -Ausarbeitung detaillierter Arbeitsprogramme zur Umsetzung der in der Gemeinsamen Erklärung enthaltenen Ziele durch die EU und die Kaukasusstaaten.

Die drei Staats-/Regierungschefs haben das Gipfeltreffen und die Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung als historisches Ereignis gewürdigt, das dem Wunsch ihrer Völker nach Annäherung und schließlich Integration in Europa einen großen Dienst erwiesen habe. Präsident Schewardnadse sprach davon, daß mit der Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität Georgiens seitens der EU und dem Ausbau einer weitreichenden Zusammenarbeit gleichberechtigter Partner für das georgische Volk ein jahrhundertealter Traum in Erfüllung gehe. Georgien wolle nach über tausendjähriger Isolation und Unterjochung in die europäische Zivilisation zurückkehren. Es sehe sich mit dem Beitritt zum Europarat und dem EU-Kaukasusgipfel in dieser eurdpäischen Berufung bestätigt. Als zeitliche Perspektive für einen Beitritt von Georgien zur EU nannte Präsident Schewardnadse einen Zeitraum von 40 Jahren.

Für die EU wäre es sicherlich verfrüht, über neue langfristige Beitrittsperspektiven zu spekulieren, solange für die gegenwärtige Erweiterungsrunde mit den mittelosteuropäischen Kandidaten und die Annäherung der Balkanländer noch keine zeitliche Perspektive abzusehen ist. Außerdem müßte sich eine um zahlreiche neue Mitglieder erweiterte EU vor neuen Beitrittsofferten erst einmal sorgfältig ihrer fortdauernden politischen Handlungs-und wirtschaftlichen Konvergenzfähigkeit vergewissern.

Die Interessen der EU an der Region gebieten es allerdings, alles zu tun, um am südöstlichen Rand Europas eine weitere Destabilisierung oder gar eine Entwicklung wie auf dem Balkan zu verhindern. Die drei Staats-ZRegierungschefs stimmten mit der EU darin überein, daß bei dieser Aufgabe Rußland eine maßgebliche Rolle zukommt. Die EU hat dies in ihrer auf dem Europäischen Rat in Köln am 4. Juni 1999 verabschiedeten Gemeinsamen Strategie für Rußland auch ausdrücklich anerkannt. Auf der Grundlage dieser Gemeinsamen Strategie kann die EU erstmals auch im Bereich der GASP mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Sie könnte z. B. zusammen mit Rußland gemeinsame Maßnahmen zur Befriedung des Kaukasus beschließen. Rußland könnte daran aus mehreren Gründen interessiert sein. So würde russisches Wohlverhalten im Kaukasus zum einen das allgemeine Umfeld für eine noch engere wirtschaftlich-finanzielle Zusammenarbeit der EU zugunsten Rußlands verbessern. Eine Stabilisierung des Kaukasus mit der Aussicht einer allmählichen wirtschaftlichen Erholung hätte außerdem auch für die russischen Regionen im Nordkaukasus positive Auswirkungen. Dagegen müßte Moskau von einer weiteren Destabilisierung negative Auswirkungen auf den immer noch schwelenden Konflikt in Tschetschenien und auch auf die anderen moslemischen Förderationssubjekte im Nordkaukasus, wie sich jetzt in Dagestan zeigt, befürchten. Beim Luxemburger Treffen wurde daher die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß die schließlich gelungene Einbindung Rußlands im Rahmen der G 8 bei der Lösung der Kosovokrise auch einen Anstoß für eine konstruktivere russische Haltung zu einer engeren Zusammenarbeit mit der EU bei der Lösung der Konflikte im Kaukasus geben könnte.

VI. Verstärkung der Rolle der EU bei der Konfliktlösung

Vor diesem Hintergrund sollte die EU das mit dem Luxemburger Gipfeltreffen initiierte Momentum entschlossen nutzen, um ihre beträchtlichen Instrumente und Mittel für eine noch stärkereRolle in den unterschiedlichen Friedensbemühungen einzusetzen. Daß dieses Momentum bereits erste Früchte trägt, zeigt die Tatsache, daß die Präsidenten von Armenien und Aserbaidschan unmittelbar nach der Genesung Präsident Alijews am 16. Juli 1999 zu einem bilateralen Treffen in Genf zusammenkamen, mit dem ein Neuanfang bei der strittigen Grundsatzfrage zum territorialen Status des Kaukasus gemacht werden sollte. Die EU sollte verstärkt die Rolle als Ordnungsmacht ohne Dominanzanspruch ausbauen und ihre komparativen Vorteile gegenüber den anderen Akteuren wie geographische und kulturelle Nähe, Energie-und Infrastrukturinteressen und vertraglich begründete Partnerschaft mit regionalem politischem Dialog voll zum Tragen bringen. Eine verstärkte EU-Rolle hat allerdings nur bei Beachtung der Interessen der anderen Hauptakteure und insbesondere bei enger Mitwirkung der USA und Rußlands Aussicht auf Erfolg. Für die regionalen Infrastrukturprojekte, bei denen sich der EU-Beitrag im wesentlichen auf technische Hilfe beschränkt, ist die EU ebenfalls auf die Einbeziehung der anderen Akteure, insbesondere Weltbank und Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London zur Stimulierung der erforderlichen Privatinvestitionen angewiesen. Bei der Entwicklung einer einheitlichen Kaukasus-Politik der EU wird dem künftigen Hohen Vertreter für die GASP, Javier Solana, sowie dem neuen Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten, eine maßgebliche Rolle Zuwachsen. Die EU könnte erwägen, ebenso wie für den Balkan zusammen mit den USA und Rußland eine hochrangige Kontakt-gruppe einzurichten, in der anders als bei den gegenwärtig eingesetzten Vermittlungsforen von OSZE und Vereinten Nationen auch der Hohe Vertreter für die GASP und die Kommission zu beteiligen wären. Langfristig wäre im Interesse einer verstärkten GASP zu erwägen, die sich entwickelnde einheitliche Kaukasuspolitik der EU durch die Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie für den Kaukasus gemäß dem Amsterdamer Vertrag zu konsolidieren und zu vertiefen. Mit der Perspektive einer Europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik könnte die EU eines Tages sogar über die nötigen militärischen Mittel verfügen, um erforderlichenfalls friedenserhaltende Maßnahmen in der Region zu ergreifen.

Die EU sollte außerdem ihre finanzielle Unterstützung noch eindeutiger als bisher an Fortschritte bei den unterschiedlichen Friedensbemühungen knüpfen. So sollte sie verstärkt einen Teil der Gelder für Projekte der Konfliktnachsorge, des Wiederaufbaus und der Flüchtlingsrückkehr vorsehen, wobei deren Abfließen direkt an konkrete Fortschritte bei der Konfliktlösung geknüpft werden sollte. Den Kaukasusländern muß noch deutlicher als bisher vor Augen geführt werden, daß sie einen nicht unerheblichen Anteil der EU-Gelder einbüßen werden, wenn sie keine Fortschritte bei der Konfliktbeilegung machen.

Die Voraussetzungen, daß die EU als friedensstiftende Ordnungsmacht ohne Dominanzanspruch im Kaukasus wirken könnte, sind mithin gegeben. Es wird an dem Mut, der Weitsicht und der Tat-kraft der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Hohen Vertreters der GASP und des neuen Kommissars für Außenbeziehungen liegen, ob und in welchem Maße die EU diese Rolle erfolgreich ausüben wird. Sie könnte dadurch nicht nur eine „Balkanisierung“ der Konflikte in der Region mit geostrategisch unübersehbaren Folgerungen vermeiden. Sie würde zugleich die Einbeziehung der am südöstlichen Rand Europas liegenden Kaukasusstaaten in einen gesamteuropäischen Raum der Zusammenarbeit ermöglichen, die in ihrem eigenen essentiellen Interesse liegt.

Fussnoten

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Detlev Wolter, M. I. A., Vortragender Legationsrat, geb. 1957; 1996-1999 Botschaftsrat an der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel. Veröffentlichungen u. a.: Die Gemeinsame Strategie der EU gegenüber Rußland -ein neues Instrument einer verstärkten Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik, in: Internationale Politik, 54 (1999) 9.