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Informationen zur politischen Bildung Nr. 335/2023

Medienkompetenz und Medienbildung

Stefan Iske

/ 12 Minuten zu lesen

Bei der Analyse medialer Phänomene spielen die Begriffe Medienkompetenz (Frage nach Fähig- und Fertigkeiten) und Medienbildung (Frage nach Bildungsprozessen und -potenzialen) eine zentrale Rolle.

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder stereotype Darstellungen von bestimmten Bevölkerungsgruppen in Kinderbüchern kritisiert und diskutiert. Blick in eine Bücherei in Oberhaching, Bayern, im Jahr 2018 (© Süddeutsche Zeitung Photo: Sebastian Gabriel)

„Medienkompetenz“ und „Medienbildung“ sind zwei unterschiedliche medienpädagogische Fachbegriffe. Beide Begriffe können als Antworten der Medienpädagogik auf gesellschaftlich-technologische Entwicklungen und Herausforderungen verstanden werden und darauf, dass Medien eine zentrale Bedeutung für Menschen und Gesellschaft zukommt.

Medienbildung und Medienkompetenz als unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven

Medialer Wandel und gesellschaftlicher Wandel gehen Hand in Hand und beeinflussen sich wechselseitig: Neue Medien werden auf neuartige, vielfältige und unterschiedliche Art und Weise im Alltag von Menschen genutzt. Gleichzeitig verändern sich Medien und werden (permanent) weiterentwickelt. Beispielhaft für diese wechselseitige Beeinflussung sozialer und medialer Entwicklungen können soziale Medien wie Instagram oder Tiktok genannt werden, die sich in einem ständigen und unabgeschlossenen Prozess der Weiterentwicklung befinden.

Was ist über diese Entwicklungen und Zusammenhänge von Menschen und Medien bekannt? Wie können solche Zusammenhänge wissenschaftlich untersucht werden? Wie können zum Beispiel Potenziale, Herausforderungen oder Risiken wissenschaftlich analysiert und beurteilt werden? Welche gesellschaftlichen, technologischen und pädagogischen Konsequenzen und Forderungen können aus solchen Analysen abgeleitet werden?

Bei einer solchen Analyse kommen wissenschaftlichen Fachbegriffen wie Medienkompetenz und Medienbildung eine zen­trale Bedeutung zu (weitere Begriffe sind z. B. Medienerziehung, Mediensozialisation und Mediendidaktik), die wie Geräte und wie Hilfsmittel verwendet werden. Unterschiedliche optische Geräte – wie beispielsweise Mikroskop oder Fernglas – stellen dabei unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung und erfüllen unterschiedliche Zwecke und Funktionen. In diesem metaphorischen Verständnis können Fachbegriffe als Brillen verstanden werden, die aufgesetzt werden, um bestimmte Dinge besser und genauer erkennen zu können.

In diesem Zusammenhang ist wichtig zu verstehen, dass wissenschaftliche Fachbegriffe nicht von allen Forschenden einheitlich und in gleicher Weise verwendet werden. Dies ist kein Manko, sondern eine Grundbedingung von Wissenschaft. Da sich Gesellschaft und Technologien verändern, werden auch Begriffe weiterentwickelt und angepasst. Sie spiegeln damit einen Wettstreit wider, mit Begriffen bestimmte Phänomene besser (als mit anderen Begriffen) erklären zu können. Und dies gilt auch für die Begriffe der Medienkompetenz und der Medienbildung, für die viele unterschiedliche Begriffsverständnisse bzw. Definitionen entwickelt wurden und werden.

Aus Gründen der Verdeutlichung wird in diesem Artikel auf das Konzept der Medienkompetenz nach Dieter Baacke Bezug genommen, auf den dieser Begriff zurückgeht. Das Konzept der Medienbildung wird am Ansatz der Strukturalen Medienbildung dargestellt, wie er von den Erziehungswissenschaftlern Winfried Marotzki und Benjamin Jörissen mit bildungswissenschaftlichem Bezug formuliert wurde. Auch hier gibt es vielfältige Weiterentwicklungen und unterschiedliche Begriffsverständnisse, die – mit spezifischer Zielrichtung – z. B. stärker didaktisch, soziologisch oder kommunikations- und medienwissenschaftlich argumentieren.

Nehmen wir als Beispiel für ein solches soziales und mediales Phänomen gegenwärtig populäre Online-Netzwerke (Social Network Sites, SNS) wie Instagram oder Tiktok (oder alternativ, aber gegenwärtig weniger populär: Pixelfed oder Signal). Diese Online-Netzwerke sind im Alltag weit verbreitet und werden mit vielfältigen Absichten genutzt: Kontakt zu Freund:innen, Geschwistern, Eltern, Großeltern, Verwandten oder Kolleg:innen; um auf dem Laufenden zu bleiben auf der Grundlage von Text, Fotografie und Video; zur Pflege von Freundschaften und Bekanntschaften; zum Erkunden von Neuem und Aktuellem; zur Teilhabe an einer Community und vielem anderen mehr.

Online-Netzwerke durch die Brille der Medienkompetenz:

Ein Blick auf Online-Netzwerke durch die Brille der Medienkompetenz rückt die Frage nach Fähigkeiten und Fertigkeiten des Mediengebrauchs in den Mittelpunkt. Ausgehend vom Modell der Medienkompetenz steht dabei die folgende Frage im Zentrum: Über welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollten Nutzende verfügen, um Online-Netzwerke kritisch und kreativ zu nutzen – und darüber hinaus an der gegenwärtigen Mediengesellschaft insgesamt teilzuhaben?

Zentrale Begriffe: Medienkompetenz (© Eigene Darstellung Stefan Iske)

Diese zentrale Frage kann in weitere Teilaspekte der Medienkompetenz untergliedert werden:

  • Medienkritik: Gibt es Aspekte in Online-Netzwerken, die als problematisch eingeschätzt werden müssen? Was bedeuten diese problematischen Aspekte für die Nutzenden? Was bedeuten diese problematischen Aspekte für die Gesamtgesellschaft? Als beispielhafte Aspekte könnten genannt werden: Wie unterscheidet sich in Online-Netzwerken personalisierte Werbung für Mädchen von der für Jungen? Welche Schönheitsideale für Mädchen und für Jungen werden transportiert und reproduziert? Wie verhalten sich Nutzende zu diesen Idealen? Was bedeuten diese Schönheitsideale für die einzelne Person und für die Gesellschaft insgesamt, in der sie leben?

  • Medienkunde: Was sollten Nutzende über die Plattform wissen, um diese kritisch und kreativ im alltäglichen Leben nutzen zu können? Beispielhaft könnten genannt werden: Was sollten Nutzende über das zugrundeliegende Geschäfts- und Finanzierungsmodell wissen? Was über die Eigentumsverhältnisse? Was über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte und darüber, wie unterschiedliche Plattformen miteinander zusammenhängen, weil sie zum gleichen Internetkonzern gehören? Oder dass Plattformen auch keinem Internetkonzern gehören können, wie z. B. Plattformen des Fediverse (der Begriff Fediverse ist ein Kunstwort aus der Kombination von „Federation“ und „Universe“. Er steht für ein System unabhängiger dezentraler Dienste).

  • Mediennutzung: Welche Kompetenzen sind erforderlich, um Online-Netzwerke aktiv zu nutzen? Als beispielhafte Aspekte könnten genannt werden: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sind erforderlich, um selbst Inhalte zu erstellen und zu veröffentlichen? Um sich aktiv zu beteiligen, zum Beispiel in Diskussionen? Um sich mit Freund:innen zu verbinden und Freundesgruppen einzurichten?

  • Mediengestaltung: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sind erforderlich, um sich in Online-Netzwerken innovativ und kreativ zu bewegen? Auf welche innovativen, neuartigen Weisen können zum Beispiel Online-Netzwerke konkret genutzt werden, die über gewohnte Handlungsweisen hinausgehen? Wie können sich Nutzende innovativ, kreativ und auch kritisch durch eigene Beiträge zur Frage typischer Schönheitsideale positionieren, beispielsweise in Form von Tiktok-Videos oder Internet-Memes?

QuellentextSchönheitsideale auf Social Media

Alicia mag Kylie Jenner. Auf ihren Selfies posiert sie wie die Influencerin: Die Beine überkreuzt, der Kopf zur Seite und nach oben gereckt. Oder den Kopf auf ihrer Hand abgestützt und mit ihren Fingern die Lippen berührend. Die Ähnlichkeit ist nicht nur in den Posen erkennbar: langes schwarzes Haar, viel Make-up, enge Kleider. Zwei- bis dreimal am Tag wischt sich Alicia durch die Storys von Stars und Freund*innen auf Instagram. Deutlich mehr Zeit verbringt sie auf TikTok. Dort postet sie zwar nichts, klickt sich aber durch die kurzen Videos. „Social Media macht junge Menschen schon irgendwie krank“, sagt die 19-Jährige.

Alle schienen immer reine Haut, die perfekten Nasen, das perfekte Leben zu haben. Wenn man sich dann selbst im Spiegel sehe, schaue die Realität anders aus, meint Alicia. „Manchmal vergesse ich kurz, dass es auch nicht deren Realität ist, was ich auf den Fotos sehe. Sondern nur ihre besten Momente.“

[…] Alicia sagt über sich: Mein Aussehen ist mir wichtig. Damit war sie auch immer zufrieden. Sie mochte alles an sich. Alles bis auf das eine: ihre Nase. Jedes Foto, das Alicia postet, bearbeitet sie mit der App Facetune. Während sie davon erzählt, tippt sie sich auf die Nase, als wäre sie gerade in der App. Dann führt sie die Handgriffe auf dem Telefon vor: Zweimal auf die Nase tapsen und schon ist sie auf die Hälfte geschrumpft und gerade gerichtet. So sieht sie Kylie Jenners Nase deutlich ähnlicher.

Alicias Wunsch nach einer neuen Nase ist nicht erst durch die sozialen Medien aufgekommen. Als Kind sieht sie sich zum ersten Mal auf einem Familienfoto, auf dem sich ihre Nase plötzlich in die andere Richtung krümmt, als sie es vom Spiegel gewohnt war: „Da wurde mir klar, wie schief sie wirklich ist.“ Von diesem Augenblick erzählt sie wieder und wieder. […]

In Deutschland legen sich immer mehr Menschen freiwillig unters Messer. Vor der Pandemie stieg die Anzahl der sogenannten Schönheitsoperationen stetig an. Von 2017 auf 2018 um neun Prozent. Nur zu Beginn der Pandemie sanken die Eingriffe erstmals, weil sie an vielen Orten temporär nicht mehr stattfinden konnten. Insgesamt gab es 2020 in Deutschland 81.516 Eingriffe. […] Mittlerweile weiß man, dass die Pandemie das Geschäft mit der Schönheit einmal mehr zum Boomen gebracht hat. […]

Was hat also Social Media mit diesem Wunsch zu tun? Bei Alicia war dieser doch längst vor dem Handy da. Und trotzdem sagt sie: „Ohne Social Media würde ich mich selbst sicher mehr akzeptieren und hätte heute weniger Probleme mit meiner Nase.“

Wer wissen möchte, woher der Boom kommt und was er mit Social Media zu tun hat, ist bei Elisabeth Lechner richtig. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin und hat zu weiblichen Körpern und Body Positivity an der Universität Wien promoviert. Kürzlich veröffentlichte sie das Buch Riot, don't diet!. Lechner sagt, dass der Schönheitsdruck ansteige, weil immer neue Möglichkeiten der Visualisierung, Selbstdarstellung und Vernetzung über soziale Medien dazukämen. Dadurch rücke das Aussehen noch ein Stück weiter in den Vordergrund.

[…] Die Schönheitsindustrie erfinde außerdem neue Makel und werbe beispielsweise für Jawliner gegen die falschen Kieferknochen oder Cremes gegen sogenannte Pralinentaschen bei den Achseln. Einige der neuen Eingriffe setzen genau hier an. Die Kardashians haben beispielsweise den Brazilian Butt Lift, also eine Vergrößerung des Hinterns mit Eigenfett, erst richtig populär gemacht. […]

Im Mai überweist Alicia 8.150 Euro. Das Geld hat sie sich über ihre Jugend zusammengespart. Einen Teil hat sie geerbt. Anstatt sich ein Auto zu kaufen oder eine Wohnung einzurichten, entscheidet die 19-Jährige, ihr Geld für eine neue Nase auszugeben.

„Selbst als ich den Betrag eingegeben habe und auf Überweisen geklickt habe, musste ich grinsen“, sagt Alicia.

[…] Ihr Arzt öffnet für den Eingriff die Fotos mit der Wunschnase im OP. Vier Stunden dauert es, bis er die Nase gerade und kleiner gemacht hat. Als Alicia aufwacht, postet sie ein Bild: über der Nase ein fetter Verband, darunter eine Drainage mit noch mehr Verband. Der Kopf abgestützt, die Augen müde und nur einen Spalt geöffnet. „Geht's dir gut?“, kommentiert jemand. Alicia schreibt: „Bisschen benommen von der Narkose, aber sonst super!!!! Ich warte auf den Tag seit ich 10 Jahre alt bin.“ […]

In unterschiedlichen Apps kann man längst alles bearbeiten: größere Brüste, vollere Lippen, höhere Wangenknochen, kleinere Nasen oder angehobene Augenbrauen. Das führt aber nicht dazu, dass Menschen weniger machen lassen. Ganz im Gegenteil: 85 Prozent der Chirurg*innen sind der Meinung, dass bearbeitete Selfies die Ansprüche von Patient*innen an den eigenen Körper verändern. […]

Für jemanden ohne Leidensdruck mag es schwer zu verstehen sein, warum eine Person so viel Geld bezahlt und die Risiken einer OP in Kauf nimmt, für eine neue Nase, größere Brüste oder weniger Fett. „Wenn du wirklich sehr unter etwas leidest, kannst du dir noch so oft sagen, ich finde mich damit ab, ich liebe mich und meine Nase. Jedes Foto und jeder Blick in den Spiegel sind eine Qual“, sagt Alicia.

Geht es also um weit mehr als um eine neue Nase? Aus vielen Studien weiß man: Schöne Menschen haben es im Leben leichter. Sie gelten als erfolgreicher, bekommen Jobs eher sowie Partner*innen, gelten schneller als sympathischer und geselliger. Das zeigen unzählige Studien, das Phänomen nennt sich Lookismus. Der Begriff meint die Bewertung und Diskriminierung von schönen und hässlichen Körpern. „Frauen stehen unter einem viel größeren Druck mit ihrem Aussehen der Norm zu entsprechen, weil wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, in der über unerreichbare Anforderungen an die Optik von Frauen und queeren Menschen Kontrolle ausgeübt wird“, sagt auch Lechner. Frauen entscheiden sich sechsmal häufiger für einen ästhetischen Eingriff als Männer. […]

Selbst ohne das Aufkommen von Social Media, Selfies und Filtern würden Schönheitsideale die Gesellschaft und das Selbstbild bestimmen. Denn solange diese nicht endgültig aufgebrochen werden, beeinflussen sie unsere Leben. Auf das Streben nach perfektem Leben hat Alicia keine Lust mehr. Sie spürt das schon länger in den sozialen Medien. Nun hat sie die perfekte Nase, will aber nicht so tun, als wäre diese von allein perfekt geworden. Sie will die sozialen Medien nutzen, um offen darüber zu sprechen. […]

Eva Reisinger, „Einmal Kylie Jenners Nase, bitte!“. Online: https://www.zeit.de/zett/politik/2021-07/schoenheitschirurgie-operation-ideal-social-media-filter-kylie-jenner oder allgemein https://www.zeit.de/zett/index

Mit dem Konzept von Medienkompetenz ist ein konkretes Ziel verbunden: medienkompetente Nutzende. Dieses Ziel wird auch in der Formulierung der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) deutlich: „Kreativ und kritisch mit Medien leben“. Im Zentrum stehen dabei die Entwicklung von (individuellen) Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Teilhabe an der Gesellschaft. Dieses Ziel wird in der medienpädagogischen Praxis mit der Frage verknüpft, was genau Medienkompetenz bezogen auf neuartige und sich permanent weiterentwickelnde Medien bedeutet und wie die Entwicklung von Medienkompetenz gefördert, unterstützt und entwickelt werden kann.

Als beste Methode gilt dabei die aktive Medienarbeit, das heißt das aktive Handeln und die eigene Erfahrung mit Medien, die dann den medienpädagogischen Anknüpfungspunkt der Reflexion und Diskussion (in einer Gruppe) bilden. Medienkompetenz kann demzufolge nicht über einen bloßen Frontalvortrag oder eine Belehrung entwickelt werden; es geht nicht nur um Wissen, sondern auch um Können, Handeln und Reflektieren. Darüber hinaus ist Medienkompetenz eine Lernaufgabe und eine Fähigkeit, die beispielsweise nicht bei allen Jugendlichen in gleicher Form und in gleichem Umfang allein durch das Aufwachsen mit Medien automatisch entsteht (vgl. die Interner Link: Diskussion um Digitale Spaltung und Digitale Ungleichheit).

Online-Netzwerke durch die Brille der Medienbildung:

Ein Blick auf Online-Netzwerke durch die Brille der Medienbildung stellt die Frage der Bildung in den Mittelpunkt. Ausgehend vom Modell der Strukturalen Medienbildung steht dabei die Erforschung von Bildungsprozessen und Bildungspotenzialen im Zusammenhang mit Medien im Zentrum der Betrachtung: Wie verändert sich durch Medien die Art und Weise, wie ein Mensch die Dinge, andere Menschen und sich selbst sieht?

Und bezogen auf das Ausgangsbeispiel: Wie verändert sich durch die Nutzung von Online-Netzwerken die Art und Weise, wie Nutzende die Dinge der Welt, andere Menschen und sich selbst sehen? Wie verändert sich das Selbst- und Weltbild? Wie verändert sich das Selbstbild vor dem Hintergrund von (impliziten und expliziten) Schönheitsidealen? Wie wandelt sich beispielsweise das Verhältnis zu Freundinnen und Freunden und das Verständnis von „Freundschaft“ vor dem Hintergrund von Online-Netzwerken?

Dabei wird ein spezifisches Verständnis von Bildung zu­grunde gelegt, das sich von anderen wissenschaftlichen Verständnissen und vor allem davon unterscheidet, wie es die meisten Menschen im Alltag verstehen:

  • Bildung wird verstanden als ein spezifischer Prozess der Veränderung von Selbst- und Weltbildern, der sich über das gesamte Leben erstreckt. Insbesondere ist Bildung nicht mit dem Ende der Schulzeit oder des Studiums abgeschlossen – sie findet nur in Teilen überhaupt dort statt.

  • Bildung wird verstanden als ein spezifisches Verhältnis: dem Verhältnis eines Menschen zu Dingen, zu anderen Menschen und zu sich selbst. Insbesondere wird Bildung gerade nicht als „Kanon“ verstanden, das heißt als konkrete inhaltliche Vorgabe und Aufzählung, was man alles kennen und wissen muss, um als gebildet zu gelten.

  • Bildungsprozesse und Menschen sind miteinander verbunden und bedingen sich wechselseitig: Menschen verän­dern sich aufgrund von Bildungsprozessen, die zu neuen und veränderten Sichtweisen und veränderten Selbst- und Weltbildern führen. Diese bilden den Ausgangspunkt für nachfol­gende Bildungsprozesse. Insbesondere gibt es keinen „bildungsfreien“ Ausgangspunkt, Menschen sind von klein auf in Bildungsprozesse eingebunden.

  • Bildungsprozesse sind offen und unbestimmt: Es kann im Vorhinein nicht gesagt (oder festgelegt) werden, wie sich Selbst- und Weltbilder (zukünftig) verändern werden. Das Resultat von Bildungsprozessen ist dementsprechend grundsätzlich offen. Bildungsprozesse (im Gegensatz zu Lernprozessen, s.u.) lassen sich nicht „von außen“ lenken, entwerfen und festschreiben. Insbesondere kann es kein Bildungsziel geben, das „von außen“ (z. B. in Form von Kompetenzkatalogen) bestimmt werden könnte. Der Mensch als Subjekt ist gegenüber dem Versuch einer direkten (bildungsbezogenen) Beeinflussung „unverfügbar“.

  • Bildungsprozesse können rückblickend rekonstruiert und analysiert werden als Prozesse, in denen sich das Verhältnis eines Menschen im Laufe der Zeit verändert hat. Den Ausgangspunkt für solche Analysen bilden Methoden der qualitativen Sozial- und Biografieforschung (z. B. narrativ-biografische Interviews).

Bildung als dreifaches Verhältnis (© Eigene Darstellung Stefan Iske)

In diesen Aspekten spiegelt sich das Bildungsverständnis von Wilhelm von Humboldt (1767–1835), preußischer Gelehrter und Staatsmann, wider, nach dem Bildungsprozesse auf der Wechselwirkung und wechselseitigen Durchdringung von Ich und Welt sowie auf einer möglichst umfassenden Entwicklung der „inneren Kräfte“, also der inneren Möglichkeiten und Anlagen jedes Menschen, beruhen. Eine herausgehobene Bedeutung für Bildungsprozesse kommt bei Humboldt den (Fremd-)Sprachen zu.

Der Ansatz der Strukturalen Medienbildung greift Humboldts Verständnis von Bildung auf und aktualisiert es mit Blick auf die „Sprachen“ neuer, digitaler und vernetzter Medien:

  • Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Struktur von Medien; auf der grundlegenden Form sowie deren Bestandteilen und Eigenschaften. Und bezogen auf das Ausgangsbeispiel: Wie ist das konkrete Online-Netzwerk aufgebaut, welche Struktur und welche Funktionalität hat dieses Netzwerk? Gibt es beispielsweise Möglichkeiten der Vernetzung mit bekannten oder unbekannten Personen? Welche Reaktionsmöglichkeiten stehen zur Verfügung (z. B. Likes, Emoticons, Kommentare)? Ist die Kommunikation eher bild- oder textbetont? Sind Profile öffentlich zugänglich oder privat? An diese strukturellen Aspekte schließt sich die Frage an, welche Potenziale für Bildungsprozesse mit der Struktur und der Funktionalität verbunden sind. Dieser Fokus auf die Struktur unterscheidet sich von der Analyse von Medieninhalten und deren Nutzung; beide Schwerpunkte schließen sich jedoch nicht aus und können ergänzend kombiniert werden.

  • Mit der Brille der Medienbildung ist ein spezifischer Blick auf Medien verbunden, der unter dem Aspekt der Medialität bzw. dem Aspekt der Medien-als-Umgebung analysiert wird: Um sich auszudrücken, sind Menschen auf Medien angewiesen (wie z. B. Sprache, Schrift, Film, Fotografie oder auch Online-Netzwerke). Aufgrund deren unterschiedlicher Struktur bieten diese Medien(-umgebungen) unterschiedliche Möglichkeiten des Ausdrucks. Und bezogen auf das Ausgangsbeispiel: Gibt es eine Zeichenbegrenzung für Text? Eine Maximallänge von Bewegtbildern? Stehen Gruppenmodi zur Verfügung, Freundes- oder Abonnentenlisten? Gibt es Formen der Ästhetisierung wie etwa Bildfilter, Symbole oder Musik?

    Dieses Sich-Ausdrücken wird als Artikulation bezeichnet und steht in engem Zusammenhang mit Medialität: Artikulation ist nicht von Medialität zu trennen. Welche (strukturellen) Möglichkeiten gibt es für Nutzende, sich in einem konkreten Online-Netzwerk auszudrücken (zu artikulieren) und zum Beispiel mit anderen Nutzenden zu kommunizieren und zu kooperieren? Welche Potenziale für Bildungsprozesse sind mit unterschiedlichen Medialitäten und Artikulationsmöglichkeiten verbunden?

  • Bildungsprozesse sind unhintergehbar medial vermittelt (siehe oben, Medialität). Bei der Entwicklung eines Verhält­nisses zu Dingen, zu anderen und zu sich selbst kommt Medien eine grundlegende Bedeutung zu. Insofern können Bildungsprozesse nicht „medienfrei“ gedacht werden – wie schon Humboldt mit Verweis auf Sprache belegt.

  • Wie entwickeln und verändern sich konkrete Selbst- und Weltbilder angesichts einer komplexen und unübersichtlichen Welt? Wie orientieren sich Menschen in ihrem Alltag mit Hilfe und auf der Grundlage von Medien? Wie fügen Menschen Erfahrungen und Wissen zu einem individuellen Selbst- und Weltbild zusammen? Vor dem Hintergrund von Bildungsprozessen werden Möglichkeiten der Orientierung in unterschiedlicher Hinsicht analysiert (mit Blick auf Wissen, Handeln, Grenzen, Biografie).

Zentrale Begriffe: Medienbildung (© Eigene Darstellung Stefan Iske)

Mit der Brille der Medienbildung werden Struktur und Medialität als Bedingung für den Aufbau und die Entwicklung von Selbst- und Weltbildern und damit als Bedingung für Bildungsprozesse verstanden. Struktur, Medialität, Artikulation und Orientierung haben folglich grundlegende Bedeutung für Bildung und werden in unterschiedlichen Bereichen und anhand unterschiedlicher Medien analysiert.

Auslöser und Potenziale von Bildungsprozessen

Bildungsprozesse werden als Prozesse des Aufbaus und der Entwicklung von Selbst- und Weltbildern und damit als Veränderung verstanden: Was können Auslöser, was können Startpunkte solcher Veränderungs- und Bildungsprozesse sein?

Besondere Potenziale für Bildungsprozesse liegen in der Begegnung mit anderen Menschen und deren Selbst- und Weltsichten, die sich von meinen unterscheiden. Das eigene Selbst- und Weltbild ist dann nicht mehr selbstverständlich und wird ggf. hinterfragt, irritiert oder scheitert sogar. An dieser Stelle verortet Humboldt die Bedeutung von Sprachen und des Reisens. Begegnungen mit Fremdem und Unbekanntem können zu einer produktiven Auseinandersetzung führen, die verschiedene bildungsbezogene Potenziale beinhalten:

  • Potenzial der Reflexion: Die Begegnung mit den Weltsichten anderer Menschen kann den Ausgangspunkt bilden für eine kritische Reflexion der eigenen Weltsicht. Einen weiteren Auslöser von Bildungsprozessen können Krisenerfahrungen sein, in denen das bestehende Selbst- und Weltbild eines Menschen in Frage gestellt oder erschüttert wird. In einem Schritt der Distanzierung können (zuvor) als selbstverständlich geltende Annahmen hinterfragt werden.

  • Potenzial der Flexibilisierung: Aufgrund von Reflexion und Distanzierung können eigene Weltsichten nicht nur hinterfragt, sondern auch verändert, weiterentwickelt und differenziert werden.

  • Potenzial der Dezentrierung: Neben der eigenen Weltsicht kann erkannt werden, dass weitere Weltsichten anderer Menschen mit eigenem Recht bestehen. Dieses Zulassen und Anerkennen anderer Weltsichten kann einen Ausgangspunkt für die Veränderung der eigenen Weltsicht darstellen. Diese anderen Weltsichten können sowohl aus fremden Kulturen wie auch der eigenen Kultur (aus regionalen oder sozialen Unterschieden) stammen.

Mit Blick auf diese möglichen Auslöser von Bildungsprozessen wird deutlich, dass Bildungsprozesse keine Automatismen oder Selbstläufer sind. Voraussetzung für gelingende Bildungsprozesse ist zum Beispiel eine gewisse Offenheit für Andersartigkeit und für (zunächst) Unbekanntes und Fremdes. In Auseinandersetzung mit anderen Weltsichten und Krisen können ganz im Gegensatz zu Bildungsprozessen auch Prozesse der Abgrenzung und der Schließung beobachtet werden. Dabei wird eine (produktive) Auseinandersetzung mit unbekannten Perspektiven vermieden. Bei Prozessen der Vereinfachung wird dementsprechend eine simple und pauschale Antwort auf komplexe gesellschaftliche Fragestellungen und Herausforderungen gegeben.

Unterscheidung von Lernen und Bildung

Der besondere Charakter von Bildung kann auch durch eine Abgrenzung vom Begriff des Lernens verdeutlicht werden: Ein Mensch erfährt Neues und macht neue Erfahrungen. Wenn dieses Neue als verfügbares Wissen in sein bestehendes, bisheriges mentales Netz (oder auch: mentales Modell, Weltsicht bzw. Weltbild) eingefügt wird, spricht man von Lernen. Lernen führt demzufolge zu einer (quantitativen) Zunahme von Wissen. Demgegenüber ist Bildung der Prozess, in dem das bestehende mentale Netz verändert wird. Bildungsprozesse führen zu einer (qualitativen) Veränderung des Aufbaus des mentalen Netzes.

Den Ausgangspunkt für Bildungsprozesse bildet zum Beispiel die Konfrontation mit Neuem, das nicht umstandslos in das bestehende mentale Modell eingefügt werden kann, sondern vielmehr die Veränderung (z. B. Differenzierung) dieses Modells erforderlich macht. Dieses Neue kann beispielsweise in einer spezifischen Irritation liegen: Ich erfahre etwas Neues über Klimawandel, Ernährung, Politik, Nachhaltigkeit oder soziale Netzwerke, das nicht zu meiner bisherigen Sichtweise passt und mich zu einer Veränderung (Weiterentwicklung, Differenzierung) meiner bisherigen Sichtweise veranlasst: Ich verändere meine bisherige Welt- und Selbstsicht.

Fazit

Anhand des Begriffs der Medienkompetenz und der Medienbildung wurden zwei unterschiedliche medienpädagogische Brillen bzw. Hilfsmittel zur Analyse medialer Phänomene skizziert. Beide Begriffe können als Antworten der Medienpädagogik auf gesellschaftlich-technologische Entwicklungen verstanden werden und darauf, dass Medien eine zentrale Bedeutung für Menschen und Gesellschaft zukommt. Wie bei den optischen Hilfsmitteln Mikroskop, Fernglas und Brille kann jedoch auch hier nicht gesagt werden, ob das eine Hilfsmittel grundsätzlich besser ist als das andere. In dieser Hinsicht handelt es sich bei Medienkompetenz und Medienbildung um zwei unterschiedliche und sich ergänzende Perspektiven.

Dabei beziehen sich die Begriffe Medienkompetenz und Medienbildung auf unterschiedliche theoretische Grundannahmen, und mit der Verwendung bewegt man sich in unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen und Diskussionen: Mit der Verwendung des Begriffs der Medienbildung in einem bildungstheoretischen Diskurs; mit Verwendung des Begriffs der Medienkompetenz in einem kompetenz- und lerntheoretischen Diskurs.

Dementsprechend müssen die Gleichsetzung und synonyme Verwendung der beiden Begriffe als kritisch eingeschätzt werden – insbesondere im Feld der Bildungspolitik –, bei der durch eine fehlende Differenzierung die erläuterten Unterschiede, Schwerpunkte und Potenziale nicht berücksichtigt werden und damit verloren gehen. Ausgehend vom oben Dargestellten kann auch der Begriff (bzw. die Brille) der „Digitalen Bildung“ kritisch diskutiert werden mit der Frage, was genau an Bildung „digital“ ist oder sein kann oder ob nicht genauer von „Bildung in einer digitalen Welt“ oder von „Bildung im Kontext von Digitalität“ gesprochen werden sollte. Zu kritisieren ist auch eine Verwendung beider Begriffe als reine Schlagworte ohne jeden theoretischen medienpädagogischen Bezug.

Der verwendete Vergleich mit Geräten und mit optischen Hilfsmitteln weist jedoch enge Grenzen auf: Im Gegensatz zu Geräten können Medienkompetenz und Medienbildung nicht rein instrumentell betrachtet werden; vor allem können Menschen nicht als Objekte und Gegenstände aufgefasst werden. Insbesondere können individuelle Absichten der Mediennutzung, Gründe, Bewertungen und Überzeugungen nicht direkt von außen beobachtet bzw. gesehen werden.

Durch Medienkompetenz und Medienbildung können Wechselverhältnisse von Menschen und Medien durch unterschiedliche Brillen wissenschaftlich untersucht werden. Damit können Potenziale, Herausforderungen und Risiken von Medien aus medienpädagogischer Perspektive beurteilt und insbesondere medienpädagogische Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet und begründet werden.

QuellentextMedienkompetenz – noch ausbaufähig in Deutschland

[…] Mehrere Studien und Befragungen vermitteln alle ein ähnliches Bild der Medienkompetenz in Deutschland. So hat etwa das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) die Daten des Nationalen Bildungspanels ausgewertet, einer großangelegten Studie, die über mehrere Generationen Bildungsprozesse in Deutschland untersucht. Die Studie Quelle: Internet der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) basiert auf über 4.000 Onlineinterviews, bei denen die Teilnehmer:innen einzelne Aufgaben lösen mussten, woraus ein Wert von maximal 30 erreichbaren Punkten errechnet wurde. Das BIDT [Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation] wiederum hat mithilfe des Marktforschungsinstituts Forsa eine Umfrage unter gut 9.000 Personen ab 14 Jahren durchgeführt. Es untersuchte unter anderem, inwiefern Falschmeldungen und unseriöse Quellen erkannt und ob journalistische Kommentare in Nachrichten auch als Meinungsbeiträge verstanden werden. Für die Studie UseTheNews des Hans-Bredow-Instituts wurden sowohl Gruppenbefragungen als auch Befragungen von Menschen verschiedener Altersgruppen durchgeführt. Der Fokus lag dort jedoch auf Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

[…] Wichtigste Erkenntnis [aller Studien]: Im Ganzen betrachtet, steht es um die Medienkompetenz in Deutschland nicht besonders gut. Die Teilnehmer:innen erreichen im Schnitt nur die Hälfte der möglichen Punktzahl. Grob zusammengefasst lässt sich außerdem sagen, dass die besten Ergebnisse von männlichen Teilnehmern, Menschen mit höherem Bildungsgrad und jüngeren Teilnehmer:innen kamen. Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit niedrigerem Bildungsstand erzielten, statistisch gesehen, schlechtere Resultate. […]

Den größten Einfluss auf die Medienkompetenz hat […] der Bildungsbereich – innerhalb und außerhalb der Schule. Die Autor:innen der SNV-Studie weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Medienkompetenz mit zunehmendem Alter deutlich sinkt. Die Gruppe der Teilnehmer:innen über 60 schnitt in allen Bereichen am schlechtesten ab. Digitale Erwachsenenbildung kann hier diejenigen erreichen, die bei Angeboten zur digitalen Bildung oft nicht mitgedacht werden, da es „kaum gezielte Bildungsangebote für Erwachsene“ gebe. Diese richten sich in der Regel an Schüler:innen und Jugendliche. Denkbar seien spezielle Angebot an Volkshochschulen oder berufliche Weiterbildungsmaßnahmen zu digitalen Themenfeldern. So besteht die Chance, Menschen aller Bildungs- und Qualifikationsgrade zu erreichen.

Bei der Schulbildung ist es etwas schwieriger. Obwohl die jüngeren Nutzer:innen unter allen Teilnehmenden die besten Werte erzielten, bleibt dennoch festzuhalten: Auch sie erreichten nur mittlere Ergebnisse. Und wenn man diese Gruppe nach Bildungsgrad unterteilt, zeigt sich ein enormes Gefälle von höher zu niedriger gebildeten Teilnehmer:innen. Die Bildungspolitik sollte sich aber laut SNV nicht nur auf die Digitalisierung der Bildung und den technischen Umfang mit digitalen Medien beschränken, wie dies in der Praxis oft geschieht. Kinder und Jugendliche müssten lernen, wie sie Medieninhalte verstehen, einordnen und kritisieren können – mitunter wird diese Fertigkeit in Lehrplänen auch als Nachrichtenkompetenz bezeichnet. Die Umsetzung bleibt den Bundesländern und nicht zuletzt den einzelnen Lehrkräften überlassen. Diese müssen für ihre Lehre jedoch selbst erst einmal die entsprechenden Kompetenzen mitbringen – was nicht immer der Fall ist. Angesichts der Tatsache, dass nur gut ein Drittel aller Lehrkräfte jünger als 40 ist, scheint das mit Blick auf die Studien nicht verwunderlich.

Das RWI hat in seiner Auswertung noch einen weiteren entscheidenden Punkt herausgearbeitet: Kinder und Jugendliche, bei denen mindestens ein Elternteil in einem Mint-Beruf tätig ist – also einem naturwissenschaftlich-technischen –, hatten eine deutlich höhere Medienkompetenz als ihre Altersgenossen. Und auch für Erwachsene konnten die Forscher:innen nachweisen, dass ein Mint-Bezug förderlich für die digitale Kompetenz ist.

Die Vorschläge zur Verbesserung der Medienkompetenz dienen nicht nur dem sicheren Umgang mit medialen Angeboten, sondern stehen im direkten Verhältnis zum politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnis, insbesondere von jungen Menschen. In der UseTheNews-Studie des Hans-Bredow-Instituts wurde die Bedeutung von journalistischen und nichtjournalistischen Nachrichtenangeboten für Jugendliche untersucht. 46 Prozent nutzen mehrmals pro Woche journalistische Angebote, Nachrichtenangebote von nichtjournalistischen Akteuren sind mit 58 Prozent deutlich relevanter. Dazu zählen etwa Beiträge von Influencern, Stars oder Experten. Vielen Jugendlichen fehle die Motivation, sich mit journalistischen Inhalten auseinanderzusetzen. Ein Viertel der Jugendlichen findet es unwichtig, sich über aktuelle Ereignisse zu informieren. Oft wird kein Bezug der Nachrichten zum eigenen Leben gesehen. Jugendliche hingegen, die das Gefühl haben, politisch etwas bewirken zu können, haben ein größeres Interesse an aktuellen Geschehnissen. Journalistische Angebote nehmen sie häufiger in Anspruch.

Es bietet sich bei Kindern und Jugendlichen also an, die konkreten Beteiligungsmöglichkeiten an der Demokratie und der Gesellschaft aufzuzeigen. Gleichzeitig braucht es einen bildungspolitischen Fokus auf digitale Aus- und Weiterbildung. Dabei darf es jedoch nicht nur um die Bedienung der digitalen Angebote gehen, sondern entsprechende Angebote müssen auch das Verstehen und kritische Einordnen von Texten aufgreifen. Medienkompetenz wird mit der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft als eine grundlegende Fähigkeit gesehen und gefördert werden müssen, wie es aktuell für Lesen, Schreiben und Rechnen gilt.

Ole Kracht, „Medienkompetenz – Das wirksamste Mittel gegen Fake News“, in: KATAPULT, Nr. 25. Mai / Juni 2022, S. 72 ff.

Medienkompetenz-Datenbank

Die Medienkompetenz-Datenbank der bpb bietet einen Überblick zu länderübergreifenden, überregionalen und regionalen Angeboten zur Förderung der Medienkompetenz für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Prof. Dr. Stefan Iske ist Professor für Pädagogik und Medienbildung an der Fakultät für Humanwissenschaften der Otto-Von-Guericke-Universität in Magdeburg. Dort leitet er den BA- und MA-Studiengang Medienbildung: Audiovisuelle Kultur und Kommunikation. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Digitale Ungleichheit, Fotografie und Film sowie Online-Werbung.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: stefan.iske@ovgu.de