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Kaufkraft Ignorieren die Präsidentschaftsbewerber ein Thema, das den Franzosen besonders wichtig ist?

Nina Henkelmann

/ 5 Minuten zu lesen

Die Preise steigen, die Kandidaten schweigen: Obwohl sich die Französinnen und Franzosen um nichts so sehr sorgen wie um ihre Kaufkraft, ist es in den Verlautbarungen der Präsidentschaftsbewerber auffällig still um das Thema. Warum ist das so?

Eine französische 1-Euro-Münze liegt auf einer 5-Euro-Banknote. (© picture-alliance, Zoonar)

Für die französische Bevölkerung ist sie das zentrale Wahlkampfthema – jedenfalls war sie es, bevor aus der Externer Link: Ukraine-Krise ein Externer Link: Krieg wurde: die Kaufkraft. Mit 54 Prozent lag sie Mitte Februar in den Externer Link: Umfragen weit vor anderen Sorgen wie Gesundheit, Zuwanderung, Sicherheit und Umweltschutz. Ihrer Besorgnis verleihen die Franzosen auch auf der Straße Ausdruck: Am letzten Samstag im Januar wurden im ganzen Land nicht weniger als 170 Protestmärsche zur Forderung nach höheren Löhnen Externer Link: gezählt. Der beachtliche Bedeutungszuwachs von über 20 Prozent im Vergleich zum Präsidentschaftswahlkampf 2017 hat handfeste Gründe: Die Inflation ist auf 3,6 Prozent gestiegen und die ungewissen Aussichten, wie sich die Energiepreise weiter entwickeln könnten, tragen das Ihre dazu bei, auch wenn die Regierung bereits Externer Link: angekündigt hat, gegenzusteuern.

Frankreichs Presse nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass die Kandidaten um den Einzug in den Élysée-Palast dem Thema deutlich weniger Gewicht beimessen: "Es schafft es kaum, als zentrales Mittel zum Abbau von Spannungen anerkannt zu werden, wie sich an den wenig aussagekräftigen Stellungnahmen der Präsidentschaftskandidaten zeigt", beobachtet etwa das Wirtschaftsblatt Externer Link: Les Echos (16.02.2022). Für die kommunistische Tageszeitung Externer Link: L'Humanité (25.02.2022) darf sich vor allem Präsident Macron den wirtschaftspolitischen Debatten nicht einfach entziehen: "Der Präsident muss dringend vor den Bürgern Stellung zu seiner Bilanz nehmen. Denn nach fünf Jahren ist die Lage alarmierend." Dass dieses Thema für ihn kein Schaulaufen bedeutet, kann Externer Link: L'Obs (24.02.2022) hingegen nachvollziehen: "So wenig Arbeitslose wie nie, starkes Wachstum: Emmanuel Macron hatte gehofft, durch seine wirtschaftlichen Erfolge gestärkt anzutreten. Irrtum. Der starke Preisanstieg der vergangenen Monate versalzt ihm seine Bilanz und beunruhigt die Franzosen sehr."

Kein Thema, um sich zu profilieren?

Externer Link: Le Figaro (11.02.20222) glaubt, einen Grund gefunden zu haben, wieso auch Macrons Konkurrenten Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft nicht stärker ins Zentrum rücken – anders als vor fünf Jahren: "Das Thema Wirtschaft, das 2017 alle Wahlprogramme durchdrang, sorgt kaum mehr für Kontroverse. … Diejenigen, die derzeit Aussicht auf einen Einzug in die Stichwahl haben, teilen im Wesentlichen alle eine gemeinsame Diagnose zur Lage des Landes und die durchzuführenden Reformen."

Externer Link: Les Echos (14.02.2022) hingegen sieht zwar „die Kandidaten von Rechts und Links, ohne die extremen zu vergessen, mit Vorschlägen rivalisieren, um die Kaufkraft zu stärken: Steuer- und Abgabensenkungen, Preisdeckelung, Rentenanhebung, etc. Die Zeitung erklärt jedoch, dass überzeugende Lösungen diesmal noch schwerer zu finden seien als in der Vergangenheit, aufgrund der vergrößerten Kluft zwischen Arm und Reich, der internationalen Ursachen des Spritpreisanstiegs und der Kosten für die ökologische Wende.

Blickt man jenseits der großen Slogans in die Wahlprogramme, finden sich in der Tat durchaus Ansätze, wie die Bewerber die Kaufkraft der Franzosen stärken wollen. Doch die vorhandenen Vorschläge, die von einer Mehrwertsteuersenkung auf Güter des täglichen Bedarfs (Jean-Luc Mélenchon) beziehungsweise auf Energie und Kraftstoff (Anne Hidalgo und Marine Le Pen) über eine Senkung von Sozialabgaben (Valérie Pécresse) bis hin zu Lohnerhöhungen reichen, sind aus Sicht der Medien aller politischen Ausrichtungen zu wenig durchdacht: Externer Link: L'Humanité (22.02.2022) stellt die Frage, wie beispielsweise geringere Sozialabgaben finanziell aufgefangen werden sollen, und ätzt: "Rechte und extreme Rechte lassen das Helikoptergeld in Strömen regnen". Aber auch die konservative Tageszeitung Externer Link: Le Figaro (17.02.2022) hält den Finger in diese Wunde und zitiert den Ökonomen Victor Poirier: "Durchfinanzierte Programme sind bisher nicht zu sehen. Die meisten vorgeschlagenen Maßnahmen führen zu großen Ausgaben und nur wenige zielen auf Einsparungen ab."

Einen Lösungsansatz für das Problem zeigt Externer Link: Le Monde (28.01.2022) auf: "Beschäftigung ist der beste Verbündete der Kaufkraft. … Indem man dieses Thema angeht, löst man die Kaufkraftsorgen, nicht indem man den Lebensstandard der Franzosen mit Schulden weiter subventioniert." Und, so Le Monde weiter, Präsident Macron habe doch eigentlich bewiesen, dass er diese Erkenntnis in praktische und erfolgreiche Politik umzusetzen weiß: "Die Senkung der Arbeitskosten dank niedrigeren Sozialversicherungsbeiträgen und Produktionssteuern hat es ermöglicht, die Zahl der Neueinstellungen zu erhöhen. … Und dem Präsidenten ist auch die gezielte Förderung der dualen Berufsausbildung anzurechnen, die sich als das effizienteste Mittel erweist, junge Menschen in Arbeit zu bringen." Just, als diese Maßnahmen beginnen, Früchte zu tragen, verschwinde das Thema aus der politischen Debatte, wundert sich das Blatt.

Derweil scheint Präsident Macron eine andere Antwort auf die Sorge um die Kaufkraft gefunden zu haben, die sein Land vor den internationalen Schwankungen der Energiepreise schützen und zudem dem Klimaschutz Rechnung tragen soll: die Förderung der Atomkraft. Mitte Februar Externer Link: bestätigte er, dass Frankreichs Energiestrategie neben erneuerbaren Quellen wieder verstärkt auf Nuklearstrom setzt. Denn Atomstrom gilt in Frankreich aufgrund seiner CO2-armen Produktion weithin als umweltschonend, und das Land verfügt mit Electricité de France über einen der weltgrößten Hersteller von Kernkraftwerken. Externer Link: Valeurs Actuelles (08.02.2022) begrüßt das Umdenken als Schritt zur Stärkung von Frankreichs Wirtschaft: "Es kann keine Reindustrialisierung ohne ausreichend günstige Energie geben, die sich nicht auf unzuverlässige erneuerbare Energien stützt. …. Frankreich verfügt mit der Atomkraft über ein Spitzen-Knowhow und scheint sich dessen nach jahrelangem Zögern wieder bewusst zu werden." Für Externer Link: Mediapart hingegen (10.02.2022) ist das Konzept eine unerfüllbare Wortakrobatik: "Realitätsverleugnung, vage bezüglich der Finanzierung, verfälschte Interpretationen von Expertendaten: Emmanuel Macron hat tief aus der rhetorischen Trickkiste geschöpft, um seine Pro-Atom-Vision zur Bekämpfung des Klimawandels aufzuzwingen."

Es geht nicht nur ums Geld

Die Diskussion um die Kaufkraft darf nicht nur auf Geld beschränkt werden, gibt der Soziologe Roger Sue in Externer Link: Libération (18.02.2022) zu bedenken: Bei den Demonstrationen für mehr Kaufkraft gehe es "um weit mehr als magere Lohnerhöhungen, die bekanntermaßen schnell von der Rückkehr der Inflation aufgefressen werden, nämlich um die Wahrung des gewöhnlichen Anstands (George Orwell) für alle, was den Lebensstandard betrifft. Leben können ist nicht oder nicht mehr ein Luxus der Reichen."
Dass sich Frankreichs Bürger um mehr sorgen als nur um Finanzielles, beobachtet auch Externer Link: Le Figaro (17.02.2022): "Die Sorge um das Monatsende wird in der breiten Öffentlichkeit von der Angst vor dem Weltuntergang begleitet. Einem klimatischen für die einen, einem kulturellen oder identitätsbezogenen für die anderen. … In die ursprüngliche Sorge um materielles Kapital mischt sich immer stärker die um immaterielle Reichtümer. Und hier zeigen sich nunmehr die echten Gräben."

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ist euro|topics-Korrespondentin für Frankreich sowie die französischsprachigen Teile Luxemburgs, Belgiens und der Schweiz. Sie hat Romanistik, Kultur- und Kommunikationswissenschaften in Deutschland und Frankreich studiert und ist im Bereich Medien und Öffentlichkeitsarbeit, Fremdsprachenausbildung und Übersetzung in Deutschland, Frankreich und Italien tätig.