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Spannungen zwischen Serbien und Kosovo | Hintergrund aktuell | bpb.de

Spannungen zwischen Serbien und Kosovo

Redaktion

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Seit der Unabhängigkeit des Kosovo kommt es immer wieder zu Streit mit Serbien. 2022 wurden Kompromisse zu Reisepässen und Kennzeichen geschlossen. Zuletzt drohte der Konflikt erneut zu eskalieren.

Ein kosovarischer Polizist bewacht einen Kontrollpunkt in der Nähe des nördlichen Grenzübergangs Jarinje an der kosovarisch-serbischen Grenze. (© picture-alliance, ASSOCIATED PRESS | Marjan Vucetic)

Im Interner Link: Kosovo kommt es seit Monaten zu teils gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der albanischen Bevölkerungsmehrheit und der serbischen Minderheit im Norden des Landes. Kosovo hatte sich 2008 für unabhängig von Interner Link: Serbien erklärt, doch Serbien erkennt dies bis heute nicht an. Durch gegenseitige militärische Drohungen bekam der Streit Ende letzten Jahres erneut eine sicherheitspolitische Bedeutung. Insbesondere die Europäische Union bemüht sich um Vermittlung zwischen Kosovo und Serbien – mittlerweile sind beide Staaten Interner Link: EU-Beitrittskandidaten.

ChronikAuf einen Blick

  • August 2022: Unter Vermittlung der EU Interner Link: legen Kosovo und Serbien ihren Streit um Reisedokumente am 27. August bei. Beide Staaten verzichten darauf, Einreisende aus dem jeweils anderen Land mit provisorischen serbischen bzw. kosovarischen Pässen auszustatten.

  • September 2022: Die kosovarische Regierung kündigt an, dass in Serbien ausgestellte Kfz-Papiere und Nummernschilder für Fahrzeuge aus Städten im Kosovo zum 1. November ihre Gültigkeit verlieren. Es drohen Geldstrafen. Der seit Jahren schwelende Streit um die Autokennzeichen spitzt sich dadurch zu.

  • November 2022: Nachdem serbische Autokennzeichen im Kosovo ihre Gültigkeit verloren haben, ziehen sich Vertreterinnen und Vertreter der serbischen Minderheit aus den gemeinsamen kosovarischen Institutionen zurück. Auch serbische Polizistinnen und Polizisten verweigern ihren Dienst. Am 6. November kommt es zu Protesten in der teilweise von Serben bewohnten Stadt Mitrovica. Medien berichten, dass serbische Truppen nahe der kosovarischen Grenze stationiert wurden. Am 23. November wird unter Vermittlung Frankreichs und der EU eine Einigung erzielt: Der Kosovo unternimmt keine weiteren Schritte gegen die in Serbien ausgestellten Autokennzeichen und Serbien verzichtet künftig darauf, neue Autokennzeichen für den Kosovo auszustellen.

  • Dezember 2022: Wegen der Festnahme eines ehemaligen serbischen Polizisten eskalieren die Spannungen erneut. Im Nordkosovo errichten Serbinnen und Serben Straßensperren, die kosovarische Regierung schickt Polizistinnen und Polizisten aus dem Süden. Serbien fordert die "Rückkehr" serbischer Sicherheitskräfte in den Nordkosovo und erklärt die höchste Kampfbereitschaft seiner Streitkräfte. Die kosovarische Regierung schließt daraufhin den wichtigsten Grenzübergang zu Serbien. Am 29. Dezember erklären sich die Serbinnen und Serben im Kosovo bereit, ihre Straßenbarrikaden abzubauen.

  • Januar 2023: Der kosovarische Präsident Albin Kurti fordert Anfang Januar 2023 eine Verstärkung der NATO-Truppen in seinem Land und kündigt den Ausbau der kosovarischen Streitkräfte an. Am 6. Januar kommt es zu einem weiteren Zwischenfall, bei dem ein kosovarischer Soldat außerhalb seines Dienstes zwei Serben, einen 11-Jährigen und einen 21-Jährigen, angeschossen haben soll. Am 8. Januar lehnt die internationale Schutztruppe im Kosovo (KFOR) das Ersuchen der serbischen Regierung nach der "Rückkehr" von 1.000 Sicherheitskräften in den Kosovo ab. Inzwischen kündigt der serbische Präsident Aleksandar Vučić an, dass er den deutsch-französischen Kompromiss zur Normalisierung des serbisch-kosovarischen Verhältnisses annehmen könnte.

Streit um Reisepässe und Autokennzeichen

Vorangegangen war ein Streit um Einreisedokumente im Sommer 2022. Die kosovarische Regierung unter Albin Kurti hatte angekündigt, bei der Einreise in den Kosovo keine serbischen Personalausweise mehr zu akzeptieren – eine Regelung, die vor allem die serbische Bevölkerungsgruppe im Norden des Kosovo betraf. Die Regeln beim Grenzübertritt waren laut Kurti eine sogenannte Reziprozitätsmaßnahme dafür, dass Serbien seinerseits kosovarische Dokumente nicht anerkannte. Der Streit konnte unter Vermittlung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am 27. August 2022 mit einem Kompromiss beigelegt werden: Der serbische Präsident Aleksandar Vučić stimmte zu, die provisorischen Dokumente für die Ein- und Ausreise von Menschen mit kosovarischem Pass abzuschaffen. Kurti sagte seinerseits zu, keine solchen Auflagen für Menschen mit serbischem Pass einzuführen.

Ungeklärt blieb zunächst der Streit um serbische Autokennzeichen im Kosovo. Für Menschen mit kosovarischen Nummernschildern galt schon seit mehreren Jahren, dass sie bei der Einreise nach Serbien vorübergehend ein serbisches Kennzeichen verwenden mussten. Auch der Kosovo kündigte eine solche Regelung für Menschen mit serbischem Pass an, verschob den Beginn dieser Maßnahme aber wiederholt nach hinten. Ende Oktober 2022 verloren serbische Autokennzeichen formell ihre Gültigkeit. Vor allem im serbisch geprägten Nord-Kosovo kam es zu Protesten. Auch hier vermittelte die EU am 24. November einen Kompromiss: Neuzulassungen erfolgen nur noch mit kosovarischen Kennzeichen, die alten serbischen Kennzeichen behalten jedoch ihre Gültigkeit.

Neue Spannungen im Dezember

Anfang Dezember 2022 verhaftete die kosovarische Polizei den ehemaligen serbisch-kosovarischen Polizisten Dejan Pantic. Zu den Hintergründen der Verhaftung wird unterschiedlich berichtet. Pantic soll für einen Angriff auf kosovarische Wahlhelferinnen und -helfer in Mitrovica verantwortlich sein und einen Polizisten verletzt haben. Diese sollten Kommunalwahlen im Nordkosovo vorbereiten, nachdem serbische Bürgermeister und Gemeindevertreterinnen im Nordkosovo aus Protest gegen die Kennzeichenregelungen zurückgetreten waren. Infolge der Verhaftung errichteten Serbinnen und Serben im Nordkosovo Straßensperren, es kam zu Schusswechseln mit der kosovarischen Polizei. Die kosovarische Regierung hatte Sicherheitskräfte aus dem überwiegend albanischen Süden des Landes in den Nordkosovo geschickt, nachdem dort serbische Polizistinnen und Polizisten aus Protest gekündigt hatten.

Serbinnen und Serben forderten daraufhin eine serbische Polizei- und Militärpräsenz im Nordkosovo. Rund 1.000 serbische Sicherheitskräfte sollen nach dem Willen des serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić in den Kosovo "zurückkehren". Vučić berief sich dabei auf Externer Link: die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates von 1999, die Serbien nach einem vollständigen Abzug aller militärischen Kräfte die Rückkehr einer "vereinbarten Zahl" von Sicherheitskräften in den Kosovo zugestanden habe. Ein entsprechendes Ersuchen Serbiens sei laut Vučić von der NATO-geführten Internationalen Schutztruppe im Kosovo (KFOR) Anfang 2023 abgelehnt worden.

Am 27. Dezember 2022 versetzte Serbien seine Militärkräfte an der Grenze zum Kosovo in die "höchste Kampfbereitschaft", um "das serbische Volk im Kosovo zu schützen". Die Regierung des Kosovo schloss ihrerseits den wichtigsten Grenzübergang zu Serbien. Am 29. Dezember begannen die Serbinnen und Serben im Kosovo, ihre Straßenbarrikaden wieder abzubauen. Zuvor sollen sich Serbien, Kosovo, die USA und die EU auf einen Verzicht vor Strafverfolgung gegen serbische Protestierende und einen Abzug kosovarischer Sicherheitskräfte aus dem Nordkosovo geeinigt haben.

Derzeit keine Chance auf EU-Beitritt für beide Seiten

Mitten in den Spannungen hatte Kosovo am 15. Dezember 2022 einen offiziellen Beitrittsantrag zur Europäischen Union eingereicht. Einen Tag zuvor hatten sich die EU und der Kosovo bereits darauf geeinigt, dass kosovarische Staatsbürgerinnen und -bürger spätestens ab dem 1. Januar 2024 ohne Visum für 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen in die EU einreisen dürfen. Zugleich verhandelt die EU seit 2011 über ein Abkommen zur langfristigen Beilegung aller bestehenden Konflikte zwischen dem Kosovo und Serbien, das ebenfalls ein EU-Beitrittskandidat ist. Ursprünglich sollte das Abkommen bis März oder April 2023 ausgehandelt sein.

Im Herbst 2022 wurde ein nicht-öffentlicher Kompromissvorschlag bekannt, der von Frankreich und Deutschland in die Verhandlungen eingebracht und von den USA unterstützt worden sein soll. Der Vorschlag sehe zwar keine formelle Anerkennung des Kosovo durch Serbien vor, aber ein Ende der serbischen Blockade einer Mitgliedschaft des Kosovo in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen. Diese scheiterte bislang an der ablehnenden Haltung Russlands als enger Verbündeter Serbiens. Mitte Januar 2023 deutete der serbische Präsident Vučić in diesem Punkt Kompromissbereitschaft an. Ein EU-Beitritt ist für beide Staaten erst dann möglich, wenn sie ihr Verhältnis normalisiert haben. Der Kosovo müsste zunächst innerhalb der EU und international als Staat anerkannt werden. 117 Staaten erkennen den Kosovo völkerrechtlich an, Länder wie Russland, China, aber auch EU-Mitglied Spanien bislang nicht. Für einen EU-Beitritt müsste auch Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen. Staatspräsident Vučić lehnt das kategorisch ab.

Der Kosovo hatte am 17. Februar 2008 einseitig die Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die EU hat seitdem das Ziel, den Kosovo dabei zu unterstützen, sich europäischen Standards anzunähern. Ende 2008 nahm dazu die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX Kosovo ihre Tätigkeit auf. EULEX Kosovo begleitet den Kosovo beim Aufbau einer multiethnischen Justiz, der Polizei und des Zollwesens. Die Mission ist eingebettet in die Strategie der Europäischen Union, die Länder des westlichen Balkans dabei zu unterstützen, sich schrittweise in die EU zu integrieren. Ziel der Mission ist es, Frieden und Stabilität, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der Länder zu fördern, um ihnen eine Beitrittsperspektive zu eröffnen.

Spannungen mit Vorgeschichte

Der Interner Link: Kosovo-Konflikt hat eine lange Vorgeschichte, die bis in das 14. Jahrhundert zurückreicht. Sowohl die serbische als auch die kosovo-albanische Nationalgeschichte betrachtet die Region des Kosovo als "Ursprung" ihrer Nation. Beide Länder begründen daraus ihre Ansprüche auf das Gebiet.

Im 19. Jahrhundert hatten sich im Kosovo zunehmend muslimisch geprägte Albanerinnen und Albaner angesiedelt, während viele Serbinnen und Serben aus dem weniger wohlhabenden Kosovo nach Serbien abwanderten. Der Kosovo gehörte über Jahrhunderte zum Osmanischen Reich, bis er 1912 im Balkankrieg durch serbische und montenegrinische Truppen erobert wurde.

Karte von Jugoslawiens Nachfolgestaaten
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1918 wurde Jugoslawien (damals "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen") ausgerufen, zu dem auch das heutige Serbien und der Kosovo gehörten. Nach der Eroberung versuchte Serbien die albanische Bevölkerung zu assimilieren und siedelte gezielt Serbinnen und Serben im Kosovo an. Im Zweiten Weltkrieg veränderten sich die Machtverhältnisse, der überwiegende Teil wurde Albanien (damals Satellitenstaat Italiens) zugesprochen, die Serbinnen und Serben vertrieben. 1945 erhielt der Kosovo den Status eines "autonomen Gebiets" innerhalb der Teilrepublik Serbien, 1974 wurde der Kosovo zur "autonomen Provinz" und war damit den anderen Teilrepubliken fast gleichgestellt. Das Land begann eine Phase der Modernisierung, Albanerinnen und Albaner blieben in Machtpositionen jedoch unterrepräsentiert. Parallel wuchs der albanische Bevölkerungsanteil in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark an.

Kosovo-Krieg 1999

In den 1980er-Jahren protestierte die kosovo-albanische Bevölkerung zunehmend für einen Republik-Status des Kosovo, was ein gewaltsames Einschreiten der serbischen Sonderpolizei im Kosovo zur Folge hatte. Serbien entzog dem Kosovo unter Präsident Slobodan Milošević 1990 den Status der Autonomie. In der Folge riefen kosovo-albanische Abgeordnete die Republik Kosovo aus, woraufhin Serbien den Ausnahmezustand verhängte. 1996 begann die Anfang der 1990er-Jahre gegründete Untergrundorganisation "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) ihren bewaffneten Kampf gegen Serbien, indem sie Mitglieder der Sozialistischen Partei und der serbischen Polizei angriff. Die serbische Regierung antwortete ihrerseits mit äußerster Gewalt, auch gegen die Zivilbevölkerung. Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen zwischen Kosovo-Albanern und Serben im März 1999 in Paris begann die NATO ohne UN-Mandat und unter deutscher Beteiligung am 24. März 1999 mit Luftangriffen auf strategische Ziele in Serbien und Montenegro sowie dem Kosovo. Die serbischen Truppen zogen aus dem Kosovo ab, der Krieg war beendet. Die kosovarische NGO Humanitarian Law Center Kosovo hat bislang 13.535 Tote dokumentiert.

Nach dem Krieg war die UN-Resolution 1244 die Grundlage für die Einrichtung einer Übergangsverwaltungsmission der UNO (UNMIK), die eine Zivilverwaltung im Kosovo ermöglichte. Für die Sicherheit und Überwachung der Entmilitarisierung wurde die internationale Sicherheitstruppe KFOR stationiert. Seit 1999 bis heute sind auch deutsche Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Kosovo im Einsatz.

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