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Migration und Migrationspolitik in Österreich | Österreich | bpb.de

Migration und Migrationspolitik in Österreich

Leila Hadj Abdou

/ 10 Minuten zu lesen

Migration ist ein wichtiger Faktor der demografischen Entwicklung Österreichs und seit den 1990er Jahren ein wichtiges Thema in der österreichischen politischen Debatte.

Brunnenmarkt in der Brunnengasse in Wien, Österreich. (© picture-alliance, Rainer Hackenberg)

‘In Wien [hatte man] ständig das Gefühl, Weltluft zu atmen und nicht eingesperrt zu sein in einer Sprache, einer Rasse, einer Nation, einer Idee‘. Mit dieser Beschreibung erinnerte der im Exil lebende Schriftsteller Stefan Zweig in seinem autobiografischen Roman „Die Welt von gestern“ an den multikulturellen Charakter der Hauptstadt des Habsburgerreiches.

Denkt man an Österreich, kommen einem vielleicht Sachertorte, Mozart und andere berühmte Komponist*innen in den Sinn, vielleicht auch die Alpen und ihre (mit dem Interner Link: Klimawandel langsam verschwindenden) Skipisten oder die Rolle des Landes im Dritten Reich (deren ganze Tragweite von den politischen Eliten des Landes lange Zeit verschwiegen wurde). Es ist hingegen nicht unbedingt internationale Migration, die man als erstes mit Österreich assoziiert. Österreich ist und war jedoch über weite Strecken seiner Geschichte von internationaler Migration, Mobilität und ethnisch-kultureller Vielfalt geprägt.

Heute leben in Österreichs Hauptstadt Wien rund 180 verschiedene Nationalitäten; fast die Hälfte der Einwohner*innen – 44,4 Prozent – sind ausländischer Herkunft (d.h. im Ausland geborene Österreicher*innen und ausländische Staatsangehörige). In vier der 23 Wiener Gemeindebezirke haben sogar mehr als die Hälfte der Einwohner*innen eine ausländische Herkunft. Damit ist die Bundeshauptstadt im Hinblick auf ihre Migrationsbevölkerung mit Metropolen wie New York City oder London vergleichbar. Auch in anderen Teilen des Landes ist Migration ein verbreitetes Phänomen. In der Stadt Salzburg, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundeslandes im Westen Österreichs, sprechen zum Beispiel 34 Prozent der Schulkinder eine andere Sprache als Deutsch als Erstsprache.

Migration ist zweifellos ein unübersehbarer Faktor in der demografischen Zusammensetzung Österreichs. Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerung des Landes in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ohne Migration massiv schrumpfen würde. Es wird damit gerechnet, dass das Land Mitte der 2050er Jahre die Zehn-Millionen-Einwohner-Grenze erreicht. Dabei dürfte das künftige Bevölkerungswachstum ausschließlich auf Zuwanderung beruhen, da die jährliche Zahl der Geburten bereits seit 2020 die Zahl der Sterbefälle unterschreitet. Diese Entwicklung ist auf sinkende Geburtenraten und eine alternde Bevölkerung zurückzuführen. Migrant*innen machen in Österreich 13,2 Prozent der Wohnbevölkerung aus. Damit liegt Österreich im oberen Drittel der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Bezogen auf seine Gesamtbevölkerung zieht Österreich damit mehr Migrant*innen an als andere europäische Staaten, die typischerweise mit hoher Zuwanderung assoziiert werden, wie etwa Deutschland oder Frankreich. Die Zuwanderer*innen kommen aus verschiedenen Gründen nach Österreich, unter anderem um Schutz vor Verfolgung zu suchen, zu arbeiten oder mit Familienangehörigen vereint zu sein.

Migration ist ein zentrales Thema in der österreichischen Innen- und Außenpolitik. Sie wurde in Österreich seit den späten 1980er Jahren Teil der politischen Debatte – lange bevor dies in vielen anderen Ländern der Europäischen Union (EU) in dem Ausmaß der Fall war – und dient seither als ein wichtiges Thema in politischen Wahlkämpfen des Landes. Zusammen mit anderen EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland hat Österreich auf EU-Ebene auch eine aktive Rolle bei der Entwicklung von Politiken zur Einwanderungskontrolle eingenommen, seit die EU in diesem Bereich Mitspracherechte erhalten hat.

Geschichte der Einwanderung

Angetrieben durch die Industrialisierung und Urbanisierung im 19. Jahrhundert war Binnenmigration ein wesentliches Merkmal in der Interner Link: Habsburgermonarchie, dem Vorläufer der heutigen Republik Österreich. Zu dieser Zeit war Wien der multikulturelle Schmelztiegel, den Stefan Zweig beschrieb. Gleichzeitig verließen viele Menschen das Reich. Während die Auswanderung zuvor streng reglementiert (und vor 1832 sogar verboten) war, gewährte die neue Verfassung 1876 das Recht auf Auswanderung. Zwischen 1876 und 1910 wanderten fast zehn Prozent der Bevölkerung des Habsburgerreiches ins Ausland ab. Nach dem Zerfall der Monarchie wurde 1918 die Republik Österreich gegründet. Sie basierte, wie viele ihrer neu gegründeten Nachbarstaaten, weitgehend auf der Idee einer ethnisch homogenen Nation.

Interner Link: Zwischen den beiden Weltkriegen führten die Wirtschaftskrise und politische Unruhen zu weiterer Auswanderung. Im Zuge des Interner Link: „Anschlusses“ Österreichs an Nazi-Deutschland im Jahr 1938 flohen zwischen 1938 und 1941 etwa 128.000 Jüdinnen und Juden aus dem Land, während bis 1945 mindestens 64.459 österreichische Jüdinnen und Juden ermordet wurden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Österreich erst Interner Link: 1955 ein unabhängiger souveräner Staat. Aufgrund seiner geografischen Lage an der Grenze zum damaligen „Interner Link: Ostblock“ erlebte das Land die Ankunft von Flüchtlingen aus kommunistischen Ländern. So flüchteten beispielsweise Menschen aus Ungarn nach dem Interner Link: Volksaufstand von 1956, aus der damaligen Tschechoslowakei während des Interner Link: „Prager Frühlings“ von 1968 und aus Polen im Jahr 1981, als die damalige polnische Regierung das Kriegsrecht über das Land verhängte. Insgesamt kamen zwischen 1945 und 1989 zwei Millionen Flüchtlinge nach Österreich. Während die meisten von ihnen nur vorübergehend blieben und weiter westwärts zogen, blieben einige dauerhaft im Land.

Die allmähliche Transformation Österreichs in das heutige Einwanderungsland begann in den 1960er Jahren: die österreichische Regierung beschloss damals, auf der Grundlage bilateraler Abkommen, Arbeitskräfte aus der Türkei und später aus dem damaligen Interner Link: Jugoslawien anzuwerben. Im Jahr 1963 belief sich die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer*innen auf 21.500; 1973 – ein Jahrzehnt später – war diese Zahl auf fast 227.000 gestiegen, was mehr als eine Verzehnfachung der ausländischen Beschäftigten bedeutete. Viele dieser sogenannten Gastarbeiter*innen zirkulierten zunächst zwischen Österreich und ihren Herkunftsländern.

Die Ölkrise von 1973 und die angesichts der stagnierenden Wirtschaft getroffene Entscheidung der Regierung, die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte zu stoppen, veränderten diese Dynamik. Strengere Einwanderungskontrollen, mit denen die Neuzuwanderung nach Österreich gestoppt werden sollte, führten entgegen der beabsichtigten Intention zu einer dauerhaften Einwanderung. Statt zwischen Österreich und ihren Herkunftsländern hin- und herzuwandern, entschied sich eine beträchtliche Anzahl von Arbeitsmigrant*innen im Land zu bleiben, um zu vermeiden, nicht mehr nach Österreich zurückkehren zu dürfen. In der Folge wurde die Familienzusammenführung eine der Hauptformen der Zuwanderung.

Das Interner Link: Ende des Kalten Krieges führte zu einem weiteren Zustrom von Migrant*innen. In den 1990er Jahren entwickelten sich die Interner Link: Bürgerkriege in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens zu einem Hauptgrund für die Zuwanderung. Zwischen 1992 und 1995 nahm Österreich 86.500 bosnische Flüchtlinge auf, was 1,1 Prozent seiner Bevölkerung entsprach. Zu dieser Zeit verfügte Österreich über eines der großzügigsten Aufnahmesysteme für bosnische Flüchtlinge. Es gewährte ihnen zunächst einen vorübergehenden Schutzstatus und ermöglichte ihnen ab 1995 uneingeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt.

Mit dem EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 nahm die Zuwanderung aus den EU-Mitgliedstaaten zu. Seit Mitte der 2000er Jahre macht sie den Großteil der Zuwanderung aus. Seit 2006 bilden Bürger*innen aus dem benachbarten Deutschland die größte Gruppe Zugewanderter. Am 1. Januar 2023 lebten 225.012 deutsche Staatsangehörige in Österreich.

Im Jahr Interner Link: 2015, dem Jahr der sogenannten „Migrationskrise“ in Europa, beantragten 88.098 Menschen in Österreich Asyl – die dritthöchste Pro-Kopf-Quote in der EU in jenem Jahr. Zusammen mit Deutschland und Schweden nahm Österreich die meisten Asylanträge in der EU entgegen. Insgesamt war die humanitäre Migration in den letzten Jahren eine der wichtigsten Formen der Zuwanderung nach Österreich. War die Zahl der Asylantragstellenden nach einem Höhepunkt im Jahr 2015 zunächst wieder gesunken, so übertraf sie diesen Höchststand im Jahr 2022: so wurden 112.272 Asylanträge gestellt, womit das Land mit Blick auf die Gesamtzahl der entgegengenommenen Asylanträge in der EU an vierter Stelle lag. Darüber hinaus hatte Österreich infolge des Interner Link: russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bis Juli 2023 mehr als 100.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Dieser Gruppe wurde im Rahmen einer EU-weiten Regelung (Richtlinie 2001/55/EG) – der sogenannten Interner Link: Massenzustrom-Richtlinie – vorübergehender Schutz gewährt.

Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Am 1. Januar 2023 zählte Österreich 9.104.772 Einwohner*innen. Davon waren 19 Prozent (1.729.820) ausländische Staatsangehörige; 21,7 Prozent der Bevölkerung (1.975.860) waren im Ausland geboren worden. Zählt man zu diesem Prozentsatz die österreichischen Staatsangehörigen hinzu, die in Österreich geboren wurden, deren Eltern aber beide ihren Geburtsort im Ausland haben (d.h. die zweite Generation), so steigt der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf mehr als ein Viertel (26,4 Prozent) der Gesamtbevölkerung. In der Bundeshauptstadt Wien hat rund die Hälfte der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Die Migrationsbevölkerung des Landes spiegelt weitgehend die oben beschriebene Einwanderungsgeschichte wider. Die Hauptherkunftsländer sind Deutschland, Rumänien, Serbien und die Türkei.

Migrationspolitik

Von den 1960er bis in die späten 1980er Jahre orientierte sich die österreichische Migrationspolitik hauptsächlich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes: Je nach wirtschaftlicher Lage des Landes wurden liberalere oder restriktivere politische Regelungen erlassen. Die Dynamik der österreichischen Migrationspolitik änderte sich jedoch nach dem Ende des Kalten Krieges in den frühen 1990er Jahren und wurde zunehmend restriktiver. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs führte zu durchlässigeren Grenzen in Europa und steigender Zuwanderung, inklusive der Ankunft von Flüchtlingen. Wie die Migrationswissenschaftler Münz und Fassmann bemerkten, war die Einwanderungspolitik zu dieser Zeit von einem „unausgesprochenen Wunsch nach einem neuen Eisernen Vorhang“ geprägt. Österreich war in der Tat eines der ersten europäischen Länder, das eine Einwanderungspolitik verfolgte, die auf einem Quotensystem basierte, welches eine jährliche Obergrenze für die Zuwanderung festlegte.

Auch die politischen Parteien in Österreich begannen, das Thema Migration stark zu politisieren. Die damals neu gegründete Partei der Grünen und die aufstrebende Interner Link: rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) nutzten das Thema Zuwanderung – wenn auch in entgegengesetzter Weise –, um ihr Profil zu schärfen und ab Ende der 1980er Jahre potenzielle Wähler*innen zu mobilisieren. In der Folge haben auch die beiden Zentrumsparteien, die Interner Link: Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Interner Link: Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ), das Thema zunehmend in Wahlkämpfen genutzt, um Wähler*innen zu mobilisieren – wobei sich die SPÖ hier im Gegensatz zur ÖVP eher reaktiv verhielt.

Insbesondere Asyl und irreguläre Migration sind heiß diskutierte Themen. Im Einklang mit einem EU-weiten Trend wurde die Aufnahme- und Rückführungspolitik im Laufe der Zeit immer restriktiver. Die Integration von Zugewanderten ist ein weiteres zentrales Thema in der öffentlichen und politischen Debatte.

Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Einbürgerung ausländischer Staatsangehöriger in Österreich besonders restriktiv geregelt, einschließlich eines Verbots der doppelten Staatsbürgerschaft, das in den meisten Fällen greift. Die jährliche Einbürgerungsrate (Verhältnis von Einbürgerungen zur Zahl der in Österreich lebenden ausländischen Staatsangehörigen) lag daher im Jahr 2022 bei nur 0,7 Prozent. Vor allem in Gebieten mit hohem Migrant*innenanteil beeinträchtigt dies die Qualität der demokratischen Mitbestimmung, da die österreichische Staatsangehörigkeit eine gesetzliche Voraussetzung für das Wahlrecht ist. In Wien zum Beispiel hat ein Drittel der Bevölkerung im wahlberechtigten Alter (ab 16 Jahren) bei Bundes-, Landtags- und Gemeinderatswahlen kein Wahlrecht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Migration zweifellos ein wesentliches Merkmal der Vergangenheit und Gegenwart Österreichs darstellt. Aus verschiedenen Gründen, einschließlich demografischer und wirtschaftlicher, aber auch politischer Faktoren, ist es naheliegend, dass Migration auch zukünftig ein wichtiges Thema bleiben wird.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Weitere Inhalte

Dr. Leila Hadj Abdou ist Assistenzprofessorin (Teilzeit) am Zentrum für Migrationspolitik (Migration Policy Centre) am Robert Schuman Zentrum für Höhere Studien des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz, Italien.

[Leila Hadj Abdou ist derzeit auch politische Referentin in der Abteilung Integration und Diversität der Stadt Wien. Dieser Beitrag wurde im Rahmen ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Europäischen Hochschulinstituts verfasst.]