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Migrationspolitik – Februar 2024 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

Migrationspolitik – Februar 2024

Vera Hanewinkel

/ 7 Minuten zu lesen

Seit zwei Jahren fliehen Menschen vor Russlands Krieg gegen die Ukraine. Italiens höchstes Gericht hat entschieden: Aus Seenot Gerettete dürfen nicht nach Libyen gebracht werden. Der Monatsrückblick.

Am Berliner Hauptbahnhof kommen im März 2022 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine an. (© picture-alliance, SZ Photo | Jens Schicke)

Asylantragszahl leicht rückläufig

Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge ist in den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum leicht gesunken. Das geht aus einem Externer Link: Bericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hervor. Demnach wurden im Januar und Februar insgesamt 50.779 Asylanträge gestellt, 13,6 Prozent weniger als in den ersten beiden Monaten des Vorjahres (58.802 Asylanträge). Insgesamt wurden 2024 bislang 47.090 Erstanträge auf Asyl gestellt. Die meisten davon wurden von Schutzsuchenden aus Syrien (14.024 Erstanträge), der Türkei (7.649) und Afghanistan (6.679) gestellt. 2.786 Asylerstanträge entfielen auf in Deutschland geborene Kinder im Alter von unter einem Jahr. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 entschied das BAMF über 54.705 Asylanträge. In 24.616 Fällen gewährte die Behörde einen Schutzstatus. Damit belief sich die Gesamtschutzquote auf 45 Prozent und lag niedriger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (51,5 Prozent).

Zwei Jahre kriegsbedingte Flucht aus der Ukraine

Seit Interner Link: Beginn des russischen Überfalls auf das gesamte Gebiet der Ukraine am 24. Februar 2022 sind nach Externer Link: Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) knapp 6,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten davon in andere europäische Staaten (rund 6 Millionen) (Stand: 15. Februar 2024). Weitere Externer Link: fast 3,7 Millionen waren im Dezember 2023 als Binnenvertriebene in der Ukraine erfasst. Von den ins Ausland Geflohenen Externer Link: lebten zum selben Zeitpunkt über 4,3 Millionen mit einem temporären Schutzstatus in der EU , die meisten davon in Deutschland (1,25 Millionen), Polen (955.000) und Tschechien (373.000). Umgerechnet auf die Bevölkerungsgröße hat Tschechien die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Hier kamen Ende Dezember 2023 34,5 Kriegsflüchtlinge auf 1.000 Einwohner:innen. Auf den Plätzen zwei und drei folgten Bulgarien (26,5) und Estland (26,3).

Die Fluchtzuwanderung war vor allem in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn hoch, hat sich aber seit Sommer 2022 abgeschwächt. Externer Link: Kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Gesamtjahr 2022 netto (also abzüglich von Fortzügen) rund 960.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland, so verringerte sich die Nettozuwanderung 2023 auf 121.000. Wie auch schon 2022 waren die meisten ukrainischen Kriegsflüchtlinge Frauen und Mädchen (53 Prozent), allerdings ist ihr Anteil gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken (2023: 63 Prozent). Dennoch unterschiedet der hohe Frauenanteil diese Geflüchtetengruppe weiterhin von Geflüchteten im regulären Asylverfahren, bei denen es sich überwiegend um Männer und Jungen handelt (Externer Link: 2023 waren 71,5 Prozent aller Asylerstantragstellenden männlich). Von den nach Deutschland geflüchteten Ukrainer:innen sind Externer Link: 716.000 im erwerbsfähigen Alter (15-65 Jahre). Im Dezember 2023 gingen rund 112.000 seit Kriegsbeginn nach Deutschland gekommene ukrainische Staatsangehörige einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, weitere 44.000 einem Minijob. 124.000 erwerbsfähige Ukrainer:innen waren im Januar 2024 in einem Integrationskurs eingeschrieben, weitere 55.000 ukrainische Staatsangehörige absolvierten eine schulische, berufliche oder universitäre Ausbildung; Externer Link: rund 219.000 aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche besuchten eine allgemeinbildende oder berufsbildende Schule in Deutschland.

Ein Jahr nach den Erdbeben: Hunderttausende in der Türkei und Syrien weiterhin vertrieben

Ein Jahr nach den schweren Interner Link: Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet konnten viele Menschen noch nicht wieder an ihre alten Wohnorte zurückkehren. Hunderttausende leben weiterhin in Containern und Behelfsunterkünften. Interner Link: Die Erdstöße am 6. Februar 2023 und in den Tagen danach hatten allein in der Türkei mehr als 50.000 Menschenleben gefordert und 2,7 Millionen Menschen aus ihren Wohnorten vertrieben. Externer Link: 1,5 Millionen Menschen wurden obdachlos. Es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte von ihnen ein Jahr nach der Katastrophe immer noch in Containersiedlungen lebte, allein in der türkischen Provinz Hatay sollen noch mehr als 215.000 Menschen so untergebracht sein. Betroffen sind auch Interner Link: syrische Flüchtlinge, von denen vor den Erdbeben 1,75 Millionen in den betroffenen türkischen Provinzen lebten. In Syrien waren Externer Link: rund 8,8 Millionen Menschen von den Erdbeben betroffen, mehr als 5.900 starben, 11.200 wurden verletzt, 350.000 vertrieben. Ein Jahr später lebten immer noch Externer Link: rund 40.000 Menschen in Behelfsunterkünften. Die Erdbeben haben die Situation in dem Bürgerkriegsland weiter verschlechtert. Nach Externer Link: UN-Angaben werden dort 2024 rund 16,7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein, neun Prozent mehr als im Vorjahr. In der gesamten Erdbebenregion leiden die Menschen bis heute unter den wirtschaftlichen und psychologischen Folgen der Naturkatastrophe.

Kurdische Asylantragstellende erhalten seltener Schutz als türkische

Kurdisch-stämmige türkische Staatsangehörige, die einen Asylantrag in Deutschland stellen, erhalten seltener einen Schutzstatus als solche mit türkischer Volkszugehörigkeit. Das geht aus der Externer Link: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU im Bundestag hervor. Demnach lag die Gesamtschutzquote bei türkischen Asylbewerber:innen, die sich der Volksgruppe der Kurden zurechneten, im Gesamtjahr 2023 bei 4,3 Prozent (bei 51.407 Asylerstanträgen), die von türkischen Staatsangehörigen mit türkischer Volkszugehörigkeit bei 55,2 Prozent (bei 8.391 Asylerstanträgen). Menschenrechtsorganisationen wie ProAsyl kritisieren, dass die schwierige, von systematischer Benachteiligung und politischer Repression geprägte Situation von Kurd:innen in der Türkei bei Asylentscheidungen nicht angemessen berücksichtigt werde. Insgesamt wurden 2023 61.181 Erstanträge auf Asyl von türkischen Staatsangehörigen gestellt. Die Türkei war 2023 das zweitwichtigste Herkunftsland von Menschen, die erstmals in Deutschland Asyl beantragten. Die Zahl der von dort kommenden Asylsuchenden ist insbesondere seit 2021 deutlich gestiegen. Insgesamt stellten von 2021 bis 2023 92.186 türkische Staatsangehörige einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland. Hintergründe dieser Entwicklung sind der unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan erfolgte Externer Link: Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die damit einhergehenden Externer Link: Repressionen gegenüber der politischen Opposition – insbesondere auch gegen pro-kurdische politische Akteure –, aber auch die anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage mit einer hohen Inflation und die Nachwirkungen des Erdbebens im Februar 2023. Gerade im vom Erdbeben betroffenen Südosten der Türkei lebt eine große kurdische Bevölkerung, die seit langem strukturell benachteiligt wird.

Neben Asylsuchenden kamen in den Jahren 2021 bis 2023 auch 28.830 türkische Staatsangehörige im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland, weitere 20.441 erhielten in diesem Zeitraum einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Ausbildung oder Erwerbstätigkeit. Insgesamt lebten laut Ausländerzentralregister am 31. Dezember 2023 rund 1,55 Millionen türkische Staatsangehörige in Deutschland, viele davon bereits seit vielen Jahren.

Oberstes Gericht Italiens: Aus Seenot Gerettete dürfen nicht an Libyen übergeben werden

Das Oberste Gericht Italiens hat in letzter Instanz entschieden, dass aus Seenot gerettete Migrant:innen nicht nach Libyen gebracht werden dürfen. Eine Rückführung in das Bürgerkriegsland und eine Übergabe an lybische Behörden verstoße gegen internationale Rechtsnormen; Libyen sei kein „sicherer Hafen“, Interner Link: grundlegende Rechte, die unter anderem in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft seien, würden dort nicht geschützt. Dem Grundsatzurteil des Obersten Kassationsgerichts in Rom lag ein Verfahren gegen den Kapitän des Versorgungsschiffes Asso Ventotto zugrunde. Es hatte im Juli 2018 Migrant:innen von einem seeuntauglichen Boot aufgenommen und an die sogenannte lybische Küstenwache übergeben. In Libyen gibt es jedoch keine funktionierenden staatlichen Strukturen, Interner Link: da seit dem gewaltsamen Sturz des Diktators Gaddafi 2011 rivalisierende Konfliktparteien um die Macht im Land ringen. Mit der Entscheidung des Obersten Kassationsgerichts wurde ein Urteil der zweiten Instanz rechtskräftig, welche den Kapitän mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung belegt hatte.

Nichtregierungsorganisationen wie Sea-Eye, Sea-Watch, „Ärzte ohne Grenzen“ und SOS Méditerranée begrüßten das Urteil. Sie kündigten an, in einer Sammelklage nun sämtliche von italienischen Regierungen mit Libyen getroffenen Vereinbarungen zur Rückführung von Bootsmigrant:innen anfechten zu wollen. Nach Tunesien ist Libyen derzeit das wichtigste Transitland von Schutzsuchenden und illegalisierten Migrant:innen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Sowohl Italien als auch die EU Interner Link: kooperieren seit Jahren mit libyschen Behörden, um diese Migrationsbewegungen einzudämmen. 2023 wurden in Italien Externer Link: rund 52.000 Ankünfte von Migrant:innen und Schutzsuchenden erfasst, die von der libyschen Küste aus das Mittelmeer überquert hatten. Nach Angaben der Interner Link: Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren im gleichen Jahr rund 17.000 Menschen, die versucht hatten von Libyen aus nach Europa zu gelangen, von der libyschen Küstenwache aufgehalten und nach Libyen zurückgebracht worden.

Was vom Monat übrig blieb…

  • Der ständige Ausschuss der Vertreter:innen der EU-Mitgliedstaaten (AStV) hat die vorläufige Einigung von Rat und Parlament auf die Reform von fünf Rechtsakten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) Externer Link: gebilligt. Auf eine gemeinsame Position zu den Rechtsakten hatten sich Rat und Parlament Interner Link: im Dezember geeinigt. Sie müssen die Rechtsakte nun noch förmlich annehmen.

  • Die Zahl der politisch motivierten Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte hat sich in Deutschland 2023 gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Insgesamt wurden 2023 rund Externer Link: 2.378 solcher Angriffe erfasst (2022: 1.248). Unter den Straftaten waren 313 Gewaltdelikte, bei denen 219 Menschen verletzt wurden. Mit 180 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte wurde die höchste Zahl solcher Angriffe seit 2017 erfasst.

  • Mehr als drei Viertel der Eingewanderten und ihrer Nachkommen sprechen zu Hause auch Deutsch. Externer Link: Das teilte das Statistische Bundesamt basierend aus Daten aus dem Mikrozensus 2022 mit. Demnach spricht gut ein Viertel (24 Prozent) der insgesamt 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu Hause ausschließlich Deutsch, etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) nutzen neben Deutsch noch mindestens eine weitere Sprache. Knapp 23 Prozent der Personen mit Einwanderungsgeschichte sprechen im häuslichen Umfeld kein Deutsch. Nachkommen von Eingewanderten sprechen zu Hause häufiger Deutsch als Eingewanderte selbst. In Deutschland lebende Menschen werden in der Statistik als „Personen mit Einwanderungsgeschichte“ erfasst, wenn sie selbst seit 1950 nach Deutschland eingewandert sind oder dies auf beide Elternteile zutrifft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Hinweis: Die Angabe der Volkszugehörigkeit im Rahmen des Asylverfahrens erfolgt auf freiwilliger Basis. Da nicht alle Asylsuchenden eine Volkszugehörigkeit angeben, ist die Zahl der insgesamt von türkischen Staatsangehörigen gestellten Asylerstanträge größer als die Summe der Anträge von Menschen der beiden Volkszugehörigkeiten.

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Weitere Inhalte

Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de