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Weiterentwicklung eines Bürgerhaushalts Ein Gespräch zur Neukonzeption des Unterschleißheimer Bürgerbudgets

/ 5 Minuten zu lesen

Franziska Falk verantwortet das Bürgerbudget in Unterschleißheim und gibt Einblicke in die umfangreiche Neukonzeption des Beteiligungsprojektes.

Die oberbayerische Stadt Unterschleißheim führte 2015 ihren ersten Bürgerhaushalt ein. Seitdem sammelten die Verantwortlichen zahlreiche Erfahrungen und haben das Konzept stetig weiterentwickelt. Seit 2020 betreut Franziska Falk die Neukonzeption des Bürgerbudgets und berichtet im Interview über das Projekt.

Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit Unterschleißheim (© Franziska Falk)

Frau Falk, der Unterschleißheimer Bürgerhaushalt wurde im Jahr 2015 erstmalig durchgeführt. Sie haben seitdem viele Erfahrungen gesammelt. Was waren Ihre wichtigsten Lehren aus den Anfangsjahren des Unterschleißheimer Bürgerhaushalts?

Der Start war schlicht. 2015 lief der Bürgerhaushalt über eine Postwurfsendung an alle Haushalte und Rückmeldung in Form von Formularen und E-Mails. Die Auswertung war sehr mühsam – mit einer Excel-Liste. Aber die Mühe hat sich auch gelohnt: Der Bürgerhaushalt kam sehr gut an. Im ersten Jahr gab es über 230 Vorschläge aus der Bürgerschaft. Dass wir hier den Prozess verändern mussten, war schnell klar. 2016 entwarfen wir also ein umfassendes Konzept mit Prozess und einer Online-Plattform. Was wir aber auch schnell merkten: Unser Bürgerhaushalt war ein sehr zeitintensives Projekt für die Verwaltung. Damit meine ich nicht nur die Durchführung der Beteiligung, sondern auch die Umsetzung der jährlich rund 20 neuen Gewinnerprojekte. Diese Querschnittsaufgabe beschäftigte sehr viele verschiedenen Fachstellen im Rathaus. Manche Siegervorschläge waren sehr schwer umsetzbar. Beispielsweise stellte sich bei Vorschlägen, die nur in Zusammenarbeit mit Dritten möglich waren, nach viel investierter Zeit heraus, dass sie doch nicht machbar waren. Das war am Ende für Verwaltung, Stadtrat, aber vor allem diejenigen, die den Vorschlag gemacht haben, sehr ärgerlich. Häufig scheitern Bürgerbudgets daran, dass sie nur Frustration auf allen Seiten produzieren. Ein gutes Konzept versucht stattdessen, eine positive Beteiligungserfahrung auf Seiten von Verwaltung und BürgerInnen zu schaffen. Wir haben definitiv in den Jahren gemerkt: Der Handlungskorridor einer Stadt muss klar kommuniziert werden. Und die Prüfung eines Vorschlages durch die Verwaltung braucht Zeit, damit die Stellungnahme anschließend Hand und Fuß hat und sich im Nachhinein nicht alles als deutlich teurer oder doch unmöglich herausstellt. Außerdem: Dauerhafte Öffentlichkeitsarbeit ist entscheidend!

Seit 2020 haben Sie einige Neuerungen umgesetzt. Allem voran hat sich der Name geändert: von Bürgerhaushalt zu Bürgerbudget. Was haben Sie konkret im Verfahren verändert und warum?

Nach sechs Jahren Bürgerhaushalt war es an der Zeit, unser Verfahren zu evaluieren. Wir haben uns intensiv angesehen, was schlecht und was gut gelaufen ist, und darauf aufbauend dann den Prozess angepasst. Wir wollten insgesamt sicherstellen, dass das Verfahren für die Stadtgemeinschaft einen Mehrwert schafft und Leuchtturmprojekte entstehen. Die Beteiligung sollte niedrigschwelliger werden und die Durchführung für die Verwaltung einfacher. So gibt es nun nur noch eine Abstimmungsphase statt der zwei zuvor. Bei der zweiten Abstimmung, die früher die Gewinner festlegte, machten immer deutlich weniger Menschen mit als bei der ersten. Wir haben unser Konzept also an diejenigen angepasst, die beim Bürgerbudget mitwirken wollen. Wir haben außerdem eine „Ausschlussliste“ entwickelt, um bereits in der Phase der Vorschlagsabgabe transparent die Grenzen des Bürgerbudgets aufzuzeigen. Das Bürgerbudget findet nun nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre statt – es bleibt dadurch etwas Besonderes und geht nicht im Alltag unter. Durch den neuen Rhythmus kann das doppelte Budget von 200.000 Euro für Projekte ausgegeben werden. Damit sind größere Projekte als bisher möglich wie z. B. der Abenteuerspielplatz für 180.000 Euro und zwei Bodentrampoline für 20.000 Euro, die 2022 gewonnen haben. Außerdem sind wir umgestiegen auf eine neue Online-Plattform: Wir haben nun eine zentrale Beteiligungsseite unter consul.unterschleissheim.de auf Basis der Open-Source-Option Consul geschaffen. Dort findet nicht nur das Bürgerbudget statt, sondern neben weiteren umfangreichen informellen und formellen Beteiligungen, sowie Umfragen, hat auch der Mängelmelder dort sein Zuhause. Somit wissen die BürgerInnen: An diesem zentralen Ort melde ich mich an und kriege mit, was rund um Beteiligung und Stadtplanung in Unterschleißheim passiert. Die Namensänderung war mehr eine Anpassung an die Realität. Auch vorher schon war der Bürgerhaushalt mehr Bürgerbudget: Ein Budget wurde der Bevölkerung zur Verfügung gestellt zur gemeinsamen Verwendungsentscheidung.

Wie beurteilen Sie diese Änderungen aus heutiger Sicht? Konnten sie die Wirkung erzielen, die Sie sich erhofft haben?

Definitiv! Es sind drei Leuchtturmprojekte als Gewinner aus dem Verfahren hervorgegangen. Der Verwaltungsaufwand war geringer und insgesamt war die Qualität der Vorschläge höher. Deutlich mehr Vorschläge haben die Ausschlussliste bestanden, als dies in den vergangenen Jahren der Fall gewesen wäre. Es gab insgesamt aber auch weniger Vorschläge. Die neue Plattform war zu diesem Zeitpunkt noch jung, ich vermute, dass dies ein Grund dafür war. Allerdings kann man auf interaktiven Online-Plattformen auch nicht nur die Anzahl an Vorschlägen als Erfolgsindikator heranziehen. Dass sich Menschen bereits eingereichten Vorschlägen anschließen, zeigt, dass die Plattform interaktiv funktioniert. Wir werden nun bei der nächsten Durchführung 2024 versuchen, viele Menschen hybrid zu erreichen und dort aufzusuchen, wo sie sich in ihrem Alltag bewegen, z. B. am Wochenmarkt auf dem Rathausplatz.

Wie geht es nun weiter mit dem Unterschleißheimer Bürgerbudget? Sind weitere Änderungen geplant?

2024 findet das nächste Bürgerbudget statt. Danach werden wir erneut ein Fazit ziehen, ob das Verfahren vielleicht weiter angepasst werden muss. Eine selbstkritische externe Evaluation wird uns Stärken und Verbesserungsbedarf aufzeigen. Anpassung ist unserer Erfahrung nach der Schlüssel dafür, ein institutionalisiertes Beteiligungsverfahren aktuell und interessant zu halten.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Was würden Sie anderen Kommunen bei der Einrichtung eines Bürgerbudgets raten? Ausreichend Zeit und Personal! Es ist ein schmaler Grat, einen Prozess aufzusetzen, der nicht zu kompliziert ist, aber auch die Grenzen der Handlungsfähigkeit einer Stadt aufzeigt. Sonst kann viel Frustration bei BürgerInnen entstehen, weil viele gute Ideen abgelehnt werden müssen. Da keine Stadt gleich ist, lohnt es sich, ein Konzept an die eigene Stadt anzupassen, auszuprobieren und zu evaluieren.

Lohnt sich überhaupt der Aufwand für ein Bürgerbudget?

Auf jeden Fall! Unterschleißheim ist definitiv bunter und nachhaltiger geworden durch unser Bürgerbudget. Freizeitmöglichkeiten wie eine Calisthenics-Anlage und Spielplätze kamen dazu. Aber viele Menschen setzten sich auch besonders für Nachhaltigkeit ein: So stieß das Bürgerbudget kostenloses Busfahren im Stadtgebiet an, bienenfreundliche Pflanzungen wurden vorgenommen, eine Boulebahn ist entstanden, eine Ehrenamtsbörse wurde aufgesetzt, Obstbäume auf öffentlichen Flächen werden ehrenamtlich zum Abernten markiert oder ein Lastenrad kann ausgeliehen werden. Aber vor allem können die Menschen ihre Stadt mitprägen und wir merken, dass sie sich somit mehr mit ihr identifizieren.

Zur Person

Franziska Falk ist seit 2020 bei der Stadt Unterschleißheim für Bürgerbeteiligung zuständig. Sie betreute u.a. die Neukonzeption des Unterschleißheimer Bürgerbudgets und den Aufbau der zentralen Beteiligungsplattform Consul. Das Konzept „participatory governance“ beschäftigte sie bereits während ihres Masterstudiums der Politik- und Verwaltungswissenschaften in Konstanz.

Fussnoten

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