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Zwei Stimmen zu anglo-amerikanischen Unstimmigkeiten | APuZ 2/1954 | bpb.de

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APuZ 2/1954 Zwei Stimmen zu anglo-amerikanischen Unstimmigkeiten Spanien in der westlichen Verteidigung

Zwei Stimmen zu anglo-amerikanischen Unstimmigkeiten

Die Ansicht von G. F. H u d s o n

Der Korrespondent einer britischen Tageszeitung bemerkte seinerzeit in einem Kommentar über die Krise in der Vollversammlung der Vereinten Nationen über die Nominierung Indiens zur politischen Korea-Konferenz: „Dies ist das erste Mal, daß das britische Commonwealth gemeinsam mit vielen europäischen Staaten über eine Frage allgemeiner Politik offen gegen die Vereinigten Staaten opponiert hat“. Wenn er dies nach der Abstimmung geschrieben hätte, würde er unter Umständen hinzugefügt haben, daß England und Rußland zum ersten Mal ihre politischen Kräfte vereinigt hatten, um Amerika vor den Vereinten Nationen in einer Angelegenheit zu überstimmen, die die amerikanische Regierung als von lebenswichtigem Interesse für sich selbst ansah.

Diese Episode, die unmittelbar nach der Einstellung der Feindseligkeiten in Korea und kurz nach der Maßnahme Rußlands erfolgte, dem westlichen Vorschlag für eine Außenministerkonferenz über Deutschland mit der Bedingung entgegen zu treten, dabei auch die Probleme Asiens zu erörtern, ist von tiefer Bedeutung. Dieser den anglo-amerikanischen Beziehungen zugefügte Schaden kann nicht nur mit ein paar beruhigenden Reden oder Pressekommentaren abgetan werden, die die Versicherung enthalten, daß alles in Ordnung sei. Der Schaden ist natürlich nicht unreparierbar, und der Schock mag sogar letzten Endes zu einer endgültigen Besserung des Verständnisses zwischen London und Washington führen, dieses kann jedoch nur erreicht werden, wenn ernsthaft angestrebt wird, das Verhältnis wieder in Ordnung zu bringen. Da die kürzlichen Unstimmigkeiten tiefgehende Divergenzen in der Politik erkennen ließen, könnten unter Umständen ähnliche Konflikte mit noch schlimmeren Folgen auftreten. Eine derartige Beilegung der Meinungsverschiedenheiten erfordert jedoch in beiden Ländern eine leidenschaftslose zurückschauende Überprüfung der schmerzlichen Ereignisse des August 1953, um zu begreifen, wie der Disput entstand und wie eine ähnliche Situation zukünftig vermieden werden kann. Diese Überprüfung ist um so notwendiger, zumindest insoweit als die öffentliche Meinung in beiden Ländern davon betroffen ist, denn die Umstände veranlaßten beide Regierungen, ihre gegenseitigen Haltungen unter Vorwänden zu rechtfertigen, die nicht den tatsächlichen Motiven entsprachen.

Die gesamte Geschichte der Augustkrise muß im Rahmen der Welt-situation gesehen werden, so wie sie sich während der letzten Phase des Koreakrieges darstellte. In Wirklichkeit war der bewaffnete Kampf in Korea eine Ausweitung des Konfliktes zwischen der NATO und dem Sowjetblock in Europa, denn obwohl die NATO als solche nicht für den sollte.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir zwei Stellungnahmen zu anglo-amerikanischen Meinungsverschiedenheiten, erschienen in der englischen Zeitschrift: „THE TWENTIETH CENTURY" (Oktober 1953):

Fernen Osten zuständig ist und der dortige Kampf unter der Autorität der Vereinten Nationen geführt wurde, so waren die drei Großmächte der NATO — Amerika, England und Frankreich — doch tatsächlich die drei führenden Staaten der Gruppe, die aktiven Widerstand gegen die Aggression in Korea leistete. Mit anderen Worten, der koreanische Krieg war ein Abschnitt in der weltumspannenden Front, um das russisch-chinesische Bündnis abzuschwächen; der gewaltsamen Expansion des kommunistischen Machtblocks stellten sich die westlichen Demokratien in Korea entgegen, genau so wie es in den Bergen von Griechenland oder auf den Straßen von Berlin der Fall war, nur mit dem Unterschied, daß der Widerstand an den Küsten des Pazifik — so wie es in Europa nicht war — zu einem richtigen Krieg führte. In bezug auf die militärische Zusammenarbeit bestand die Koalition ihre Probe; die Alliierten operierten ohne ernsthafte Spannungen unter einem gemeinsamen Kommando, hielten schweren Angriffen stand und blieben bis zur Einstellung der Feindseligkeiten gemeinsam im Kampf. Es war daher vernunftgemäß zu erwarten, daß sie eine ähnliche Einheit in Stärke für die diplomatischen Verhandlungen in der Nachkriegsfriedenskonferenz wahren würden, um so mehr als Amerika, England und Frankreich kürzlich völlige Übereinkunft über eine gemeinsam einzuschlagende Politik erzielt hatten, falls Rußland einer Konferenz über das Deutschlandproblem zustimmen Es traten jedoch in bezug auf den Fernen Osten zwei Komplikationen auf, die in den Europa betreffenden Angelegenheiten nicht vorhanden waren. Erstens hatte die Tatsache, daß als eine der beiden Parteien im koreanischen Krieg die Vereinten Nationen als eine organisierte Körperschaft auftraten, eine ungewöhnliche, sich widersprechende (und noch nie dagewesene) satzungsgemäße Situation ergeben. Die Vereinten Nationen hatten durch ihre entsprechenden Organe militärische Unterstützung für Südkorea genehmigt und einen Oberbefehlshaber für die UNO-Streitkräfte ernannt; die am koreanischen Krieg teilnehmenden Mitgliedstaaten verkörperten daher im vollsten Sinne die Vereinten Nationen. Den Vereinten Nationen gehören aber auch Rußland und weitere kommunistische Staaten an, die während des ganzen Krieges Nordkorea und China moralische und materielle Unterstützung und insbesondere Waffen zur Verfügung gestellt hatten, ohne die letztere den Krieg überhaupt nicht hätten führen können. Ferner befand sich unter den UNO-Mitgliedern eine Reihe „Neutraler“, von denen einige die satzungsgemäß eingeschlagene Politik der Organisation moralisch unter-stützten und glaubwürdige Entschuldigungen vorbrachten, keine Truppen nach Korea entsenden zu können, während andere — und besonders Indien — eine sehr unbestimmte Haltung zwischen den beiden Lagern eingenommen hatten. Die Vereinten Nationen setzten sich daher bei Kriegsende aus Staaten zusammen, die für sie gekämpft hatten, Staaten, die ihre Feinde Unterstützt hatten und Staaten, die neutral geblieben waren. Alle verfügten jedoch über ihre gleichen und unverletzlichen Rechte als Mitglieder der Organisation. Diese Situation barg Möglichkeiten ernsthafter Schwierigkeiten in sich, wenn Versuche unternommen worden wären, als Vertreter der Vereinten Nationen auf der Friedenskonferenz Staaten zu delegieren, die die Entscheidungen der UNO bekämpft oder ignoriert hatten.

Der zweite erschwerende Faktor in bezug auf die Fernost-Angelegenheiten war die Meinungsverschiedenheit zwischen England und Amerika über die chinesische Vertretung in den Vereinten Nationen und die eng damit verbundene Frage des nationalchinesischen Regimes auf Formosa. Die englische Regierung — und in dieser Angelegenheit zog die Ablösung des Labour-Kabinetts durch ein konservatives tatsächlich keinen Unterschied in der Politik nach sich — vertrat die Ansicht, daß der Sitz Chinas in den Vereinten Nationen bedingungslos der Peking-Regierung übertragen und den Nationalchinesen auf Formosa keine Unterstützung gegeben werden sollte. Die amerikanische Regierung dagegen bestand darauf, daß die chinesischen Kommunisten keinen Sitz erhalten sollten, ohne vorher Garantien einer einwandfreien Haltung zu geben und daß die Eindämmung des Kommunismus im Fernen Osten die Frage der Belassung der nationalchinesischen Reste auf ihrer Inselfestung mit sich bringe. Es ist hier nicht erheblich, die Vor-und Nachteile der beiderseitigen Argumente zu erörtern. Es genügt, einfach darauf hinzuweisen, daß die verschiedenartige Auffassung der Politik eine Tatsache der internationalen Verhältnisse seit dem Frühjahr 1950 war. Es muß ferner darauf hingewiesen werden, daß, da Rußland sich von Anfang an energisch für die Mitgliedschaft Rotchinas eingesetzt hatte, jede diese Angelegenheit unterstützende englische diplomatische Aktivität zu einer russisch-englischen Kombination gegen Amerika führen muß — eine Gruppierung von Mächten, die sich in keiner Weise mit der Linie deckt, die durch den „Kalten Krieg“ zwischen der Sowjetunion und den westlichen Demokratien in allen anderen wichtigen Problemen gezogen wurde. Schon im Jahre 1950 hatte die Stimmenwerbung der Engländer in den Vereinten Nationen für die Aufnahme Rotchina zu beträchtlichen Spannungen zwischen London und Washington geführt. Diese waren jedoch durch die Zusicherung der Engländer, die Ansprüche Pekings während der Dauer des Krieges in Korea nicht zu unterstützen, zeitweise gelockert worden. Dies bedeutete jedoch lediglich, daß sich die Frage wieder erheben mußte, sobald die Kampfhandlungen eingestellt wurden. Die Anzeichen im Sommer 1953 sprachen dafür, daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen England und Amerika mit dem Ablauf der Zeit schärfer geworden waren und sich nicht vermindert hatten. Die Engländer waren mehr denn je davon überzeugt, daß eine Regelung mit China möglich war, wenn Peking volle internationale Anerkennung erhielte und alle Unterstützung der Nationalisten zurückgezogen würde. Die Amerikaner dagegen, nachdem sie 35mal so viel Tote wie die Engländer in Korea verloren hatten, waren gegen das Peking-Regime stark verbittert, und die amerikanische Wählerschaft hatte im November 1952 der republikanischen Partei die Macht gegeben, die sich wesentlich stärker als ihr Gegner für eine „straffe“ Politik im Fernen Osten einsetzte.

Inzwischen war nach dem Tode Stalins und dem Wiederaufleben der westlichen Hoffnungen auf bessere Zeiten in Europa eine neue Initiative für eine Verminderung der internationalen Spannungen ergriffen worden. Die Außenminister Amerikas, Englands und Frankreichs hatten nach gemeinsamer Absprache Rußland eine Konferenz über die deutsche Frage vorgeschlagen. Die Sowjetregierung hatte in ihrer Antwort starke Einwände gegen das von den Westmächten eingeschlagene Verfahren erhoben. Die Sowjets führten in ihrer Note Klage darüber, daß der Vorschlag der drei Mächte, eine Konferenz mit einer vierten durchzuführen, nachdem sie vorher eine gemeinsame Politik abgestimmt hatten, im Gegensatz zu den internationalen Gepflogenheiten stehe. Mit anderen Worten, um einen Ausdrude zu gebrauchen, der wenige Wochen später modern wurde, die Russen forderten eine „Round-Table-Conference“

und keine „Across the Table-Conference“; sie hatten die Absicht, eine Diplomatie mit dem Ziel zu führen, die Westmächte gegeneinander aus-zuspielen. Aber die Art und Weise der westlichen Haltung war das natürliche Ergebnis mehrerer Jahre politischer Konflikte, in denen die Westmächte nur in der Lage gewesen waren, der erpresserischen Taktik Rußlands besonders in Berlin Widerstand zu leisten, indem sie untereinander eine geschlossene Einheit wahrten. Sie waren sich vollkommen darüber im klaren, daß die Verteidigung Westeuropas von der im Nordatlantischen Bündnis vereinten Solidarität der Nationen, abhinge und sie nur als ein geschlossener Block mit einer vorher festgelegten Politik mit Rußland verhandeln konnten. Amerika, England und Frankreich hatten tatsächlich über die deutsche Frage erfolgreich eine gemeinsame Politik ausgearbeitet, und sie waren entschlossen, daß jede Konferenz mit Rußland eine zweiseitige „Across the Table-Conference" sein sollte, gleichgültig, ob die Russen es mochten oder nicht.

Wenn dies nun einmal die Form für eine Erörterung der Angelegenheiten in Europa sein sollte, wo der Gegensatz der beiden Welten nicht zu einem bewaffneten Zusammenstoß geführt hatte, konnte nur erwartet werden, daß eine Friedenskonferenz, die dem Krieg in Korea folgen mußte, noch einen ausgeprägteren zweiseitigen Charakter tragen würde. Eine Friedenskonferenz war von seither ein Ereignis, bei dem die ehemaligen kriegführenden Mächte miteinander über den Tisch verhandelten, anstatt wie auf dem Schlachtfeld sich gegenseitig zu beschießen, die Fronten blieben jedoch die gleichen wie auf dem Schlachtfeld. In den Bestimmungen des Waffenstillstandsübereinkommens, das am 27. Juli 1953 unterzeichnet wurde, gab es aber keine Überraschung. Hier hieß es:

Um die friedliche Lösung der Korea-Frage zu gewähren, schlagen die militärischen Befehlshaber beider Seiten hiermit den Regierungen der beteiligten Länder auf beiden Seiten vor, daß innerhalb von drei Monaten, nachdem das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet ist und wirksam wird, eine politische Konferenz beider Seiten auf höherer Ebene mit hierzu ernannten Vertretern durchgeführt wird, um auf dem Verhandlungswege die Frage des Abzugs aller ausländischen Streitkräfte aus Korea, die friedliche Lösung der koreanischen Frage usw. ... zu regeln.

Die Formulierung „beide Seiten“ wurde im gesamten Text des Waffenstillstandsabkommens verwendet, um die kriegführenden Mächte im koreanischen Krieg zu bezeichnen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß das Abkommen auf eine Friedenskonferenz traditionellen Stils zwischen den Regierungen, die tatsächlich am Kriege teilgenommen hatten, abzielte. Da die Formulierung des Textes sehr sorgfältig erörtert worden war, und da England beim Hauptquartier General Mark Clark’s vertreten war, der als Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinten Nationen unterzeichnet hatte, muß angenommen werden, daß die englische Regierung ihr Einverständnis zu dieser Formulierung gegeben hatte, an die sie in jedem Falle rechtlich gebunden war. Zwei Tage später gab jedoch der amtierende Außenminister Lord Salisbury im Oberhaus eine Erklärung über die englische Politik ab, in der er von der Konzeption einer Konferenz „beider Seiten“ beträchtlich abwich. In einer Debatte über die internationale Lage führte er aus:

In bezug auf die Zusammensetzung der Konferenz erscheint es eindeutig, daß zu den Teilnehmern notwendigerweise gehören müssen: Die Nord-und Süd-Koreaner, die Vereinigten Staaten, die von den Vereinten Nationen mit dem gemeinsamen Oberkommando betraut worden waren, sowie die Volksrepublik China und die Sowjetunion, die beide eine gemeinsame Grenze auf der koreanischen Halbinsel haben. Natürlich glauben wir selbst, ebenfalls dabei eine Rolle zu spielen, und wir sind der Ansicht, daß auch Australien und Indien als eine bedeutende asiatische Macht mit Sonderverantwortungen für den koreanischen Waffenstillstand vertreten sein sollten.

Lord Salisbury schlug damit vor, in die Konferenz zwei Mächte, nämlich Rußland und Indien einzuschalten, die sich nicht mit Kampftruppen am koreanischen Krieg beteiligt hatten. Es könnte geltend gemacht werden, daß Rußland aus zwei Gründen eingeladen werden sollte: Einmal als eine der fünf anerkannten Großmächte (die anderen vier Groß-mächte waren ja sowieso am Koreakrieg beteiligt) und zum anderen als eine quasi-kriegführende Macht (da es zum Kriege beigetragen hatte, indem es Nordkorea und China mit unzähligen Waffen versorgt hatte). Lord Salisbury zog es aber vor, die Teilnahme Rußlands einfach aus dem Grunde zu fordern, weil Rußland ein enger Nachbar Koreas ist. Er ignorierte geflissentlich die Tatsache, daß als ein weiterer Staat Japan die gleichen Qualifikationen aufwies, dessen Teilnahme er jedoch nicht empfahl. Es war für ihn weniger einfach, einen guten Grund für die Kandidatur Indiens vorzubringen, das weder eine formell anerkannte Großmacht noch eine quasi-kriegführende Macht, noch ein Nachbar Koreas war. Indien konnte lediglich als „eine große asiatische Macht mit besonderer Verantwortung am koreanischen Waffenstillstand" nominiert werden. Diese Verantwortung trug jedoch keinen politischen Charakter. Sie hätte von jedem, beiden Seiten genehmen neutralen Staat übernommen werden können — ursprünglich hatten die Alliierten vorgeschlagen, daß das internationale Rote Kreuz mit dieser Verantwortung betraut werden sollte — und, wenn diese Verantwortung der Schweiz oder Peru übertragen worden wäre, würde niemand vorgeschlagen haben, daß davon eine Forderung auf Teilnahme an einer politischen Konferenz abgeleitet werden würde. Die einzige vernünftige Basis für die Kandidatur war in Wirklichkeit, daß Indien „eine große asiatische Macht“ darstellte. Wenn aber der Rahmen der Friedenskonferenz erweitert werden sollte, neutrale asiatische Mächte einzubeziehen — was im Waffenstillstandsabkommen nicht vorgesehen war — dann hätte Japan als eine Nation mit wesentlich größeren Interessen an der Zukunft Koreas eine ähnliche Forderung auf Teilnahme erheben können.

Der Wunsch der englischen Regierung auf Teilnahme Indiens an der Konferenz könnte als eine Geste der Solidarität im Rahmen des Commonwealth erklärt werden, als eine Maßnahme, um den englischen guten Willen gegenüber Indien zu zeigen und Delhi der Absicht der englischen Regierung zu versichern, das internationale Prestige Indiens zu steigern. In einer Angelegenheit von einer derartigen Bedeutung jedoch war kaum anzunehmen, daß England nur Indien einen Gefallen tun wollte, ohne sich der Auswirkungen bewußt zu sein, die Indiens Teilnahme an der Konferenz voraussichtlich haben würden. Natürlich sind zahlreiche Überlegungen über diesen Punkt angestellt worden und einen Tag, nachdem Lord Salisbury die Ansichten der Regierung Ihrer Majestät über die Zusammensetzung der Konferenz dargelegt hatte, deutete Mr. Butler als amtierender Premierminister dem Unterkaus in etwas indiskreter Weise an, was von der Konferenz erhofft wurde:

Es soll das Ziel und die Aufgabe der politischen Konferenz sein, in den koreanischen Problemen Fortschritte zu erzielen. Wir erhoffen jedoch noch etwas mehr... Wir hoffen, daß der zu erzielende Erfolg und die zu schaffende Atmosphäre gegen den Hintergrund der allgemeinen Situation in Asien — wo wir wie für Europa auf eine Lockerung der Spannungen hoffen — auch zu einer Erörterung der weiteren hervorstechenden wichtigsten Probleme im Fernen Osten führen werden. Dies bringt mich zu der Frage der chinesischen Vertretung in den Vereinten Nationen. Gerade diese Angelegenheit kann nur von den Vereinten Nationen und nicht von einer politischen Konferenz entschieden werden. Auf der politischen Konferenz kann man sich allerhöchstens auf Empfehlungen einigen.

Als ob er die Bedeutung der Erklärung Butlers unterstreichen wollte, gab der indische Premierminister am gleichen Tage in Delhi eine Pressekonferenz, auf der er eine „unwiderruflich positive Einstellung" zu der Notwendigkeit eingenommen haben soll, die Delegierten der Peking-Regierung zu den Vereinten Nationen zuzulassen; solange dies nicht geschehen ist, so erklärte er, könnten die Vereinten Nationen weder wirksam funktionieren noch würden die Probleme des Fernen Ostens gelöst werden.

In der Hauptfrage der Kontroverse zwischen England und den Vereinigten Staaten war die Ansicht Delhis daher entscheidend festgelegt, und die Rede Butlers bewies, daß England die Absicht hatte, gerade diese Frage zu einem bestimmten Zeitpunkt des Konferenzverlaufs aufzuwerfen. Derartige Überlegungen bestimmten die Haltung Englands über die Zusammensetzung der Konferenz. Wenn Rußland und Indien auch als kriegführende Mächte galten, würde dies das Gleichgewicht der Konferenz dankenswerterweise steigern und die englische Politik kolossal stärken, wenn die Frage der Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen aufgeworfen wurde, da sowohl Rußland wie auch Indien sich festgelegt hatten, die Aufnahme der Delegierten Pekings zu unterstützen. Indien würde aber in einer wesentlich besseren Lage als Rußland oder England sein, die Initiative in dieser Angelegenheit auf dieser Konferenz zu ergreifen. Ein russischer Vorschlag würde nämlich in Wirklichkeit als eine „Forderung von der anderen Seite“ gelten, während ein englischer Vorschlag eine zu große Schädigung des westlichen Lagers bedeuten würde; Indien könnte aber als eine freundschaftlich gesinnte unparteiische neutrale asiatische Macht eine Kompromißformel Vorschlägen, die England und Rußland dann akzeptieren und den Vereinigten Staaten zur Erwägung empfehlen könnten. Dies würde zu einem sehr starken Druck auf die amerikanischen Delegierten führen; diese würden auf der Konferenz nicht über die Phalanx der lateinamerikanischen Anhänger verfügen, die Amerika gewöhnlich eine besonders starke Stellung in der Vollversammlung der Vereinten Nationen verleiht. Die US-Delegierten würden ferner in die Gefahr einer diplomatischen Isolation verbunden mit dem Vorwurf geraten, sie würden sich gegen eine anderweitig greifbare Friedenslösung wenden. Unter solchen Umständen konnte angenommen werden, daß Amerika nachzugeben haben würde und daß die Ziele der englischen Politik in die „vereinbarten Empfehlungen" einbezogen werden würden, von denen Butler sprach.

Der Fehler in dieser sonst wohlbegreiflichen diplomatischen Absicht lag darin, daß der Erfolg von dem amerikanischen Einverständnis auf Einbeziehung Indiens in den Kreis der Konferenz abhing. Als nämlich seinerzeit Lord Salisbury zum ersten Mal die Teilnahme Indiens vorschlug, war weder das amerikanische Einverständnis nachgesucht noch war es gegeben worden. Wenn die Amerikaner sich weigerten, ihr Einverständnis zu erteilen, hätte Indien möglicherweise noch an den Konferenztisch gebracht werden können, indem Amerika in der Vollversammlung der Vereinten Nationen überstimmt worden wäre. In diesem Fall würde der Konflikt aber wahrscheinlich einen derartigen amerikanischen Widerstand heraufbeschworen haben, daß für Indien wenig Aussichten bestanden haben würden, seine beabsichtigte Rolle bei der Konferenz zu spielen. Auf der anderen Seite hatte sich die englische Regierung, als sie öffentlich die Hinzuziehung Indiens zur Konferenz vorschlug, in eine Lage gebracht, aus der sie sich nicht hätte zurückziehen können. England hätte, nachdem es einmal erklärt hatte, daß Indien bei der Konferenz dabei sein muß, sich durchsetzen müssen selbst bis zu dem Punkt, Amerika zu einer Abstimmung in der Vollversammlung herauszufordern oder sich des Vorwurfs aussetzen zu müssen, Indien zu verletzen, indem es die Kandidatur erst vorschlug und dann wieder fallen ließ.

Als die Krise sich später entwickelte, bestanden die Engländer darauf, daß sie von Washington keinen Hinweis erhalten hätten, die Kandidatur Indiens wäre für Amerika nicht annehmbar. Ein englischer Korrespondent schrieb am 22. August aus New York:

„Es ist erschütternd, daß die Amerikaner bis vor drei Tagen nichts über ihre Einstellung gegenüber Rußland und Indien verlauten ließen.

Dann traf es Amerikas Freunde und Alliierte in aller Öffentlichkeit, und es blieb keine Möglichkeit, die Meinungsverschiedenheiten hinter den Kulissen beizulegen."

Es hat den Anschein, daß in Wirklichkeit über eine Einladung Rußlands auf diplomatischen Kanälen zwischen London und Washington gesprochen worden ist. Die Vereinigten Staaten waren nicht Unwillens, Rußland zur Konferenz zuzulassen, einmal weil dies im allgemeinen Rahmen der westlichen Beziehungen zu Rußland von Nutzen sein könnte, und zum anderen, weil die Anwesenheit Rußlands den Charakter der Konferenz als eine zweiseitige Verhandlung zwischen den kriegführenden Mächten tatsächlich nicht ändern würde. Amerika unterstützte schließlich die Einladung Rußlands und beharrte nur auf der Bedingung, daß Rotchina und Nord-Korea diese fordern sollten — eine Klausel, die eindeutig darlegen sollte, daß Rußland die Feindstaaten vertrat. Die amerikanische Regierung erhob jedoch tatsächlich Einwände gegen Indien, und es besteht kein Grund zu glauben, daß England jemals zu der Annahme ermutigt worden sei, Indiens Teilnahme sei willkommen. Die Amerikaner fürchteten Indiens Haltung auf der Konferenz aus genau dem gleichen Grunde aus dem die Engländer sie wünschten — weil Indien Englands politischer Verbündeter gegen Amerika sein und es als eine asiatische neutrale Großmacht an einer Konferenz am Runden Tisch für die amerikanische Position besonders gefährlich sein würde. Der englischen Entschlossenheit, die Zusammensetzung der Konferenz zum Vor-teil der englischen Politik zu gestalten, traten die Amerikaner mit der gleichen Entschlossenheit entgegen, sie zum Vorteil der amerikanischen Politik auszunutzen, und der Streitfall führte bis zur Abstimmung vor der Vollversammlung. Die Amerikaner hätten versuchen können, die Teilnahme Indiens zu akzeptieren und zusätzlich Japan zu nominieren, und Mr. Cabot Lodge behauptete in seiner Ansprache vor der Vollversammlung tatsächlich, daß Japan das gleiche Recht wie Indien besäße, an der Konferenz teilzunehmen; dieser Kurs hätte jedoch die Gefahr in sich geborgen, daß Indien die notwendigen Stimmen der Vollversammlung erhalten hätte und Japan nicht. Die amerikanische Regierung zog es daher vor, sich der Nominierung Indiens zu widersetzen und vereinigte alle ihre politischen Hilfsquellen in der Vollversammlung, um die Kandidatur abzulehnen. Amerika gelang es in der Abstimmung, die für eine Nominierung notwendige 2/3 Mehrheit zu verhindern, konnte jedoch nicht eine einfache Mehrheit zugunsten Indiens vermeiden, das die Stimmen des sowjetischen, des asiatisch-arabischen und des Commonwealth-blödes (mit der bemerkenswerten Ausnahme Pakistans) und mehrerer europäischer Staaten erhielt.

In der öffentlichen Kontroverse enthüllten weder die englischen noch die amerikanischen Vertreter die wahren Gründe für ihre jeweilige Einstellung. Die Engländer priesen die Vorteile eines runden Tisches im Vergleich zu einem rechteckigen und verliehen ihrer Überzeugung Ausdruck, daß Indien einen wertvollen Beitrag zur Konferenz leisten würde, ohne daß sie darauf hinwiesen, welchen Beitrag sie erwarteten. Die Amerikaner zögerten, Indien und diejenigen, die cs unterstützten, mehr als unbedingt notwendig über die Ablehnung der Kandidatur anzugreifen und betonten lediglich, die Konferenz müsse eine zweiseitige Angelegenheit ohne Platz für eine neutrale Macht sein. Sie versuchten ferner, einen Teil der Unpopularität, der sie ausgesetzt waren, auf Südkorea abzuwälzen, indem sie erklärten, Präsident Sygman Rhee habe im Falle einer Teilnahme Indiens mit einem Boykott der Konferenz gedroht — sie nahmen damit eine Haltung ein, die sie dem Spott aussetzte, die Vereinigten Staaten seien augenscheinlich ein Satellit Südkoreas geworden. In Wirklichkeit war der Einwand Amerikas gegenüber Indien von der Haltung Südkoreas vollkommen unabhängig, obwohl die Ansichten der beiden Regierungen viele gemeinsame Züge aufwiesen. Der süd-koreanische Außenminister Pyun Yung-tai erklärte in seiner Rede an die Vollversammlung:

Auf einem Zweig des Freiheitsbaumes sitzend versucht Indien stets, den Stamm abzuhacken, um den Feinden der Freiheit zu gefallen . . .

Wenn Indien sich offen zu den Kommunisten bekannt hätte, würde das anders sein. Uns würde es dann sehr leid tun, Indien so endgültig zu verlieren. Wir würden dies jedoch vorziehen, als ein verräterisches und ränkeschmiedendes Indien auf unserer Seite zu haben.

Der amerikanische Delegierte bediente sich nicht einer derartig ungehemmten Ausdrucksweise, die Denunzierung Pyuns gab jedoch ziemlich richtig einer sehr weit verbreiteten amerikanischen Einstellung gegenüber Indien Ausdruck. Der UNO-Korrespondent der TIMES schrieb am 12. August aus New York, daß „Indiens Haltung in den USA aus verschiedenen Gründen mit wachsendem Mißtrauen“ beobachtet werde. Die Formulierung „aus verschiedenen Gründen" ist typisch dafür, daß die Engländer sich nicht über das Ausmaß im klaren sind, in welchem die Haltung Indiens zum koreanischen Krieg in den letzten drei Jahren Verdruß in Amerika erregte. Die Bindungen innerhalb der Commonwealth-Staaten und die grundlegende indisch-britische Übereinstimmung über die gegenüber China einzuschlagende Politik haben die englische öffentliche Meinung veranlaßt, die Weigerung Indiens, Truppen nach Korea zu entsenden, zu verzeihen, nachdem der indische Delegierte im Weltsicherheitsrat der Entscheidung zugestimmt hatte, der Aggression Widerstand zu leisten. Die Amerikaner waren jedoch nicht ohne weiteres bereit, Indien zu entschuldigen; sie haben den koreanischen Krieg wesentlich ernster genommen als die Engländer und sehen in Indien ein pflichtvergessenes und abtrünniges Mitglied der Vereinten Nationen. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Delhi und Peking, die England als vorbereitender Weg für eine Annäherung zwischen China und dem Westen billigt, erscheinen zahlreichen Amerikanern als ein heimliches Einverständnis mit dem Feinde, und in einigen Erklärungen Nehrus über die Weltpolitik erblicken sie keinen Unterschied zu den Anregungen des Weltfriedenskongresses. Selbst ohne die besondere Reaktion von Dulles auf dieses rein taktische englische Manöver könnte es in Amerika auf einen Vorschlag zur Teilnahme Indiens an einer Konferenz zur Beendigung des Koreakrieges keine günstige Antwort gegeben haben. Die Engländer mögen die amerikanische Tendenz bedauern, die Menschheit zu scharf in Freunde und Feinde einzuteilen, dies ist jedoch ein klarer Tatbestand der internationalen Beziehungen, der von der englischen Politik in Rechnung gestellt werden muß. Es ist falsch zu glauben, daß alle Amerikaner, die ihre Meinung nicht aus der WASHINGTON POST beziehen, nur Ausgeburten eines bösen Traumes darstellen.

Aus der letzten Krise muß nun die Lehre gezogen werden, daß zwischen London und Washington engere Verbindungen notwendig sind und jede Regierung in Zukunft sich vorsichtigerweise nicht öffentlich auf einen Kurs festlegen sollte, ohne mit der anderen vorher eine Absprache getroffen zu haben. Es genügt jedoch nicht, nur dann sich zu beraten, wenn die politischen Ziele grundsätzlich verschieden liegen. Äußerste Anstrengungen sind erforderlich, um die Fernostpolitik der beiden Länder auf einen Nenner zu bringen. Denn wenn dies nicht der Fall ist und wenn ihre Meinungsverschiedenheiten erneut in den Vereinten Nationen oder in einer internationalen Konferenz zutage treten, so wie es bereits indirekt bei der Nominierung Indiens der Fall war, so kann die Folge nur eine empfindliche Schwächung des anglo-amerikanischen Bündnisses bedeuten, von dem letzten Endes die Sicherheit der freien Welt abhängig ist. England kann nicht in einer Zeit globaler Konflikte weiterhin zwei getrennte Linien der Außenpolitik verfolgen: Eine für das nordatlantische Gebiet und eine andere für den Pazifik. Es kann sich nicht mit Amerika vereinen, um der sowjetischen Expansion in Europa entgegenzutreten und gleichzeitig mit dem sowjetischen Block zusammengehen, um die amerikanische Politik im Fernen Osten zu durchkreuzen. Die englische Regierung mag mit der Unterstützung der beiden Parteien vollkommen davon überzeugt sein, daß ihr Ziel, Rotchina in die Vereinten Nationen aufzunehmen, richtig und sie berechtigt ist, ihre Ansicht mit äußerster Tatkraft in direkten Verhandlungen mit Amerika durchzusetzen; solange jedoch Amerika nicht überzeugt worden ist, den gleichen Kurs einzuschlagen, können Manöver, einen Druck durch die Bildung diplomatischer Kombinationen einschließlich der kommunistischen Staaten gegen Amerika auszuüben, nur zum Verderben führen. Lord Salisbury bemerkte klugerweise in der Debatte vom 29. Juli, daß „das Ziel der Außenpolitik, der Diplomatie und der Verhandlung zwischen den Ländern darin besteht, Meinungsverschiedenheiten beizulegen und zu versuchen, eine Politik zu führen, die man durchzuführen wünscht". Aber seine Praxis glich nicht seiner Konzeption, denn er erhielt nicht das, was erwünschte und anstatt die Differenzen mit Amerika beizulegen, vergrößerte er sie. Mögen er oder sein Nachfolger das nächste Mal über mehr Glück und über ein besseres Urteilsvermögen verfügen.

Die Ansicht von Sebastian Haffner

In zwei Tatsachen und einer politischen Frage stimme ich mit Mr. Hudson nicht überein.

Eine der beiden strittigen Tatsachen ist seine Feststellung, daß der Koreaksieg im wesentlichen eine Ausweitung des Konfliktes zwischen NATO und sowjetischem Blöde in Europa wäre und daß das Verhalten der Vereinten Nationen nur zur Verwirrung dieser Grundtatsache beigetragen habe. Nach meiner Ansicht stellt das die Tatsachen auf den Kopf: Die einzig gesetzlich und diplomatisch sachlich richtige Ansicht über den Koreakrieg ist meiner Auffassung nach die, daß es sich um eine Aktion der Vereinten Nationen handelt; ideologische Fragen und Bestrebungen, die Russen aufzuhalten, mögen sich unter den persönlichen Motiven einiger kriegführender Mächte befunden haben, aber sie kön-nen keine Rolle spielen in der Frage, wie die Vereinten Nationen als solche — die in dieser Sache allein ausschlaggebend sind — den Koreakrieg zu Ende bringen und sein Wiederaufleben verhindern.

Die zweite strittige Tatsache ist Mr. Hudsons Annahme, daß es zur Schwächung der russisch-chinesischen Allianz eine weltweite Front gibt, ’ die auf einer anglo-amerikanischen Allianz beruht, von der letztlich die Sicherheit der freien Welt abhängt! Diese-Annahme bringt das, was (vielleicht) sein sollte (oder gewesen sein sollte) mit dem durcheinander, was ist. Es ist sehr leicht zu beweisen, daß keine weltweite, auf einer anglo-amerikanischen Allianz beruhende Front zur Eindämmung der Russen vorhanden ist oder je vorhanden war; man sieht die Beziehungen zwischen England und Amerika und auch ihre Beziehungen mit anderen Ländern von vorneherein in einem falschen Licht, wenn man von der erdichteten Annahme ausgeht, es bestände eine weltumfassende angloamerikanische Allianz gegen den kommunistischen Block.

Die strittige politische Frage geht schließlich am klarsten aus Mr. Hudson’s Feststellung hervor, daß die englische Regierung bei Meinungsverschiedenheiten mit Amerika in einer wichtigeren politischen Frage (wie z. B. die Aufnahme Rotchinas in die Vereinten Nationen) berechtigt ist, seinen Standpunkt nur in direkten Verhandlungen mit Amerika nachdrücklich zu vertreten, , aber so lange sich Amerika nicht zur gleichen Ansicht entschließen kann, können Bemühungen, auf Amerika mittels diplomatischer Kombination mit Einschluß auch der kommunistischen Staaten einen Druck auszuüben, nur zu einer Katastrophe führen.'Dies läuft auf die Behauptung hinaus, daß England auf seine in der nationalen Souveränität liegenden diplomatischen Freiheit verzichten und den Status eines freiwilligen amerikanischen Satelliten annehmen sollte; hierzu müßte bewiesen werden, daß das offenbare englische Interesse an guten Beziehungen mit Amerika jedem anderen englischen Interesse vorangeht — gegebenenfalls selbst dem englischen Interesse an der Wahrung des Friedens. Ich zweifele, daß dieser Beweis erbracht werden kann.

I Jeder größere Krieg wird von den in ihn verwickelten verschiedenen Nationen und Staaten unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, und es steht den Staaten frei, den einen oder anderen für ihre internen -wecke zu betonen, um ihre Kampfmoral aufrechtzuerhalten oder um ihre besonderen Kriegsziele zu verfolgen; aber die Staatsmänner, die den Frieden aushandeln, müssen von allen persönlichen Auslegungen Abstand nehmen und dürfen sich nur an den klaren gesetzlichen und diplomatischen Rahmen halten, in dem der Krieg ausgetragen wurde.

Der zweite Weltkrieg z. B. war für viele westliche Völker ein Krieg zwischen Demokratie und Faschismus. Diese Ansicht ist nicht ganz falsch, denn in vielen Ländern hing der Bestand demokratischer oder faschistischer Einrichtungen ausschließlich vom Ausgang des Krieges ab. Nichtsdestoweniger ist der zweite Weltkrieg gesetzlich und diplomatisch nicht zwischen Demokratie und Faschismus ausgetragen worden, sondern zwischen den Regierungen einer Anzahl geographisch bestimmter Staaten und könnte oder kann nur durch einen Vertrag zwischen diesen Regierungen oder ihren gesetzlichen Nachfolgern beendet werden.

In ähnlicher Weise hat der Koreakrieg für die einzelnen kriegführenden Staaten verschiedene Bedeutung, und es würde vom historischen Gesichtspunkt aus faszinierend sein, diese verschiedenen Ansichten zu entwirren. Selbst unter diesem Gesichtspunkt jedoch würde es eine übermäßige Vereinfachung sein zu behaupten, daß der Koreakrieg nur oder im wesentlichen eine Ausweitung des Ost-Westkonfliktes in Europa darstellte. Viele europäische NATO-Mitglieder hielten ihr Interesse durch den Koreakrieg für nur sehr gering und indirekt berührt. Dementsprechend trugen sie nur zögernd oder überhaupt nicht zur Unterstützung der UN-Streitkräfte bei. Selbst bei den'Amerikanern wurde das Eingreifen in Korea nicht in erster Linie von jenen allgemeinen Bestrebungen die Russen zurückzudrängen, bestimmt, die zum Truman-Doktrin und zum Abschluß des Nordatlantikpaktes geführt hatten. Auf die Parallele der Berliner Luftbrücke und der Militärhilfe an Griechenland wurde niemals besonders hingewiesen, noch wurde sie in Amerika volkstümlich. Schließlich hatten die Amerikaner vor dem Juni 1950 beschlossen und öffentlich verkündet, daß Südkorea außerhalb des Sicherheitsbereiches lag, in dessen Grenzen sie beabsichtigten, dem Kommunismus Einhalt zu gebieten. Die Hauptmotive für Amerikas Eingreifen im Jahre 1950 — abgesehen von seiner Loyalität gegenüber den Vereinten Nationen, die ein wirklicher Beweggrund war — war das Gefühl der Verantwortlichkeit für das Schicksal der koreanischen Republik, die unter amerikanischem Beistand und amerikanischer Besatzung errichtet worden war, seine strategische und politische Sorge um Japan im Falle eines erfolgreichen nordkoreanischen Angriffes und auch die Hoffnung, daß der Koreakrieg die Gelegenheit dazu bieten würde, den Ausgang des chinesischen Bürgerkrieges grundlegend zu ändern. Keiner dieser Gründe spielte für England eine Rolle, dessen Hauptinteresse es war, die Forderungen auf amerikanischen Beistand im Falle eines Angriffs auf Hongkong oder — im weiteren Felde — auf Malaya zu sichern, abgesehen von seinem ernsthaften Begehren, die Vereinten Nationen sollten durch ihr Gewicht abschreckend auf jede Aggression wirken. Das bestimmende Motiv Frankreichs (das kaum unter die . führenden Nationen'der Gruppe gerechnet werden kann, die sich aktiv dem Angriff in Korea widersetzten) zur Leistung eines Beitrages zur Verteidigung Südkoreas war die Hoffnung, Amerika zu überzeugen, Indochina hinfort als zweite Front im Koreakrieg anzusehen.

All dieses blieb im Bereich persönlicher Motive und Hoffnungen.

Gesetzlich und diplomatisch sind oder waren weder England noch Frankreich noch irgendein anderer Staat, der am Kommando der Vereinten Nationen in Korea teilhatte, noch nicht einmal Amerika, unabhängige, kriegführende Staaten, ausgestattet in Korea mit den herkömmlichen Rechten und dem Status einer kriegführenden Macht, noch ist der Koreakrieg ein herkömmlicher Krieg, der von einer Regierung oder mehreren alliierten Regierungen geführt und kontrolliert wird. Die Tatsache, daß weder Amerika noch irgendeiner der fünfzehn „Alliierten“ sich in ihrer Eigenschaft als Einzelstaaten in Korea im Kriege befinden oder jemals befanden, wird schlagartig dadurch veranschaulicht, daß keiner von ihnen jemals den Krieg erklärte, was in Amerika das verfassungsmäßige Vorrecht des Kongresses gewesen wäre. Noch weniger kann behauptet werden, daß sich dje NATO in Korea befand oder befindet. Die NATO hatte weder militärisch noch politisch je etwas in Korea zu sagen; vermutlich gibt es im NATO-Hauptquartier nicht einmal eine Akte „Koreakrieg“. Die einzig „kriegführende“ Macht in Korea sind die Vereinten Nationen als solche.

Die Vereinten " Nationen jedoch sind eine besondere Art „kriegführender Macht“. Sie umfassen, wie Mr. Hudson durchaus richtig darstellt, „Staaten, die für die Belange der Vereinten Nationen fochten, Staaten, die ihre Feinde unterstützten, und Staaten, die neutral blieben, alle jedoch behielten die gleichen, unverminderten Rechte als Mitglieder der Organisation“. Nach Beendigung der militärischen Maßnahmen, nach Niederschlagung der Aggression und nach Abschluß eines Waffenstilstandes können alle diese Staaten sogar einen Anteil an der Regelung des Friedens unter dem Schutze der Vereinten Nationen fordern, und sie tun es auch. Mit anderen Worten, sobald der gegenwärtige Kampf vorüber ist, hören die Vereinten Nationen auf, „Partei“ im Kriege zu sein und werden wieder zum allumfassenden Forum, wo Engel, Sünder und Neutrale sich auf gleicher Ebene begegnen, um über den Frieden zu ver-handeln. Jedoch ist das nicht etwa eine Anomalie, sondern unzweifelhaft ein Tatbestand, den die Charta der Vereinten Nationen bewußt angestrebt und in Rechnung gestellt hat. Wenn überhaupt etwas anormal ist, so nur dieses, daß die derzeitigen Regierungen Chinas und Nordkoreas zur Zeit keinen Sitz in den Vereinten Nationen haben, und daß daher überall die Ansicht hat entstehen können, daß die Vereinten Nationen als „Partei" einige außerhalb stehende „Feinde“ bekämpften.

Der von den Gründern der Vereinten Nationen angestrebte Tatbestand war zweifellos der, daß die Vereinten Nationen eine alle souveränen Staaten umfassende Organisation sein sollten. Gleichzeitig sieht die Charta der Vereinten Nationen ganz klar voraus, daß sich Aggression und andere Formen eines Friedensbruches von Zeit zu Zeit ereignen werden und in diesen Fällen die Vereinten Nationen als Körper mittels ihrer entsprechenden Organe Schritte zu unternehmen haben, um die Aggressionen , niederzuschlagen‘. Da von Angreifern oder anderen Friedensstörern kaum erwartet werden kann, daß sie ihre eigene Handlungsweise . niederschlagen*, betrachtet es die Charta deshalb ganz sachlich als ein normales Ereignis, daß sich verschiedene Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen von Zeit zu Zeit einander als kriegführende Mächte gegenüberstehen, wobei die Vereinten Nationen der einen Seite ihren Segen erteilen und ihn der anderen vorenthalten; die Charta setzt weiter voraus (Art. 48). daß einige Mitgliedstaaten in solchen Fällen neutral bleiben werden. Aber die Charta nimmt niemals an, daß durch derartige Störungen notwendigerweise die Mitgliedschaft des diesbezüglichen Angreifers endet, noch verlangt sie, daß die Angreifer über die durch die Niederschlagung des Aggressionsaktes auferlegte Bestrafung hinaus bestraft werden müssen. Ebenso wird in der Charta angenommen, daß die Vereinten Nationen als solche für ewig mit den Mitgliedstaaten identifiziert werden, die bei einer besonderen Gelegenheit auf ihr Verlangen hin einen anderen unbotmäßigen Mitgliedstaat oder mehrere unbotmäßige Mitgliedstaaten wieder zur Ordnung riefen (nächstens können sich unter unbotmäßigen Mitgliedstaaten die Angreifer und unter den ehemaligen Angreifern die ordnenden Kräfte befinden). Wenn die Aggression niedergeschlagen ist und sich der Sturm gelegt hat, soll jeder wieder seinen Sitz einnehmen, und die Vereinten Nationen sollen ihrer normalen Aufgabe nachgehen, . nämlich auf friedliche Weise und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts internationale Streitigkeiten auszugleichen oder zu regeln*. (Art. I).

Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß hiermit in großen Zügen ein Bild von den im Bereich der Vereinten Nationen geführten . Kriegen* gegeben ist, wie sie in der Charta vorausgesehen werden, und es bleibt nur die Frage übrig, ob diese Vorkehrung klug oder unsinnig ist. Ich halte sie für klug. Sie wird sicher keinen Anklang bei jenen Mitgliedstaaten finden, die jedes Mal für die Vereinten Nationen die Rolle des Polizisten spielen mußten. Sie möchten, was menschlich verständlich ist, den Zustand ihrer moralischen Überlegenheit verewigen, um sie bei der Friedensregelung in die Waagschale zu werfen. Aber gerade dieses Verlangen hat in anderen modernen Kriegen die Friedensunterhandlungen und ihr Ergebnis vergiftet.

Dieses Verlangen sollte genau so unerbittlich wie Aggressionen bekämpft werden, wenn Frieden jemals wieder in einem Verband souveräner Staaten Wirklichkeit werden soll. Früher sorgten oftmals mächtige Staaten (wie Amerika nach dem russisch-japanischen Krieg im Jahre 1905, oder Frankreich, Deutschland und Rußland nach dem chinesisch-japanischen Krieg im Jahre 1895), die gar nicht um ihre Intervention gebeten waren, dafür, daß solch einem Verlangen Einhalt geboten wurde. Dies geschah auch manchmal durch die Einberufung allgemeiner Friedenskonferenzen, in denen kriegführende und interessierte neutrale Staaten im Lichte ihrer Nachkriegsinteressen sich neuorientierten, wie z. B. Wien in den Jahren 1814— 1815, Paris im Jahre 1856 und Berlin im Jahre 1878. (Mr. Hudson hat Unrecht, wenn er glaubt, daß , bei einer Friedenskonferenz die ehemals kriegführenden Staaten nur miteinander am grünen Tisch verhandelten, anstatt sich einander auf dem Schlachtfeld totzuschießen, daß aber die alten Fronten die gleichen blieben wie auf dem Schlachtfelde.) Die Vereinten Nationen stellen nur eine moderne Spielart dieser Einrichtung dar, die fast immer für unerläßlich galt, um mit Erfolg Frieden zu schließen und gegen die enttäuschte kriegführende Staaten immer eine lebhafte Abneigung hatten und die die Rachsucht der Unterlegenen und die Selbstüberheblichkeit der Sieger auf sich zog.

Wenn es keine Vereinten Nationen gäbe und die Staatsmänner sich bei der Zusammensetzung einer Friedenskonferenz zur Beendigung des Koreakrieges und bei den Streitigkeiten in Asien, die ja den Hintergrund für ihn bilden, nur von ihrem gesunden Menschenverstand leiten lassen könnten, wen würden sie dann wohl zur Teilnahme an einer solchen Konferenz auswählen? Sicherlich die drei Weltmächte mit großen Interessen in Asien: Amerika, Rußland und England; sicherlich die drei asiatischen Großmächte: Indien, China, Japan; möglicherweise einige der mittelgroßen Mächte wie Pakistan und Indonesien und einige der mittelgroßen Mächte am Rande des Pazifik wie Kanada und Australien; und dazu die beiden koreanischen Regierungen, weil Korea ja der strittige Punkt des Konfliktes ist. Dies wäre mit der bedauerlichen Auslassung Japans, die ich nicht gutheiße, genau die Form der Konferenz, die England mit Unterstützung der Mehrheit in der Vollversammlung der Vereinten Nationen und in vollkommener Übereinstimmung mit dem Geist der Charta vorschlug und die Amerika durch Mobilisierung der Stimmen des latein-amerikanischen Blockes bis jetzt verhindert hat —eine Handlungsweise, die an den dauernden Mißbrauch des russischen Vetorechtes im Weltsicherheitsrat erinnert. Es ist geradezu phantastisch, eine solche Konferenz „parteiisch zusammengesetzt" zu nennen. Und es ist eine reine Spitzfindigkeit, gegen sie den Artikel 60 des koreanischen Waffenstillstandsabkommens anzuführen, in dem die beiden Militärdelegationen, die den Waffenstillstand abschlossen, ein Treffen der . beiden Seiten* empfehlen. Generäle sind geeignet militärische Absprachen für die Feuer-einstellung zu treffen, aber sie sind nicht geeignet, durch ihre . Empfehlungen'die Zusammensetzung der Friedenskonferenz zu bestimmen; noch weniger aber ihr durch die Art ihrer politischen Terminologie vorzugreifen.

Ich möchte noch einmal meine erste Beweisführung zu den strittigen Tatsachen zusammenfassen: Der Koreakrieg war nicht ein Krieg einer anti-kommunistischen Koalition gegen die Expansion des Kommunismus. Es handelte sich um einen Krieg der Vereinten Nationen gegen eine Aggression als solche, in dem es nur den einzigen formellen Beweggrund gab, nämlich den Versuch einer Regierung zu unterdrücken, etwas von einer anderen mit Gewalt zu erlangen. Es ist ein ganz unwichtiges Zusammentreffen von Ereignissen, daß in diesem besonderen Falle die angreifende Regierung gerade eine kommunistische war und daß deshalb die freiwilligen Polizisten, die dem Angreifer im Namen der Vereinten Nationen Einhalt geboten, größten Teils aus dem antikommunistischen Lager kamen. Wir wissen jetzt besser als jemals zuvor, daß die antikommunistische südkoreanische Regierung ebenso bereitwillig zum Angreifer geworden wäre, wie die kommunistische nordkoreanische, wenn sie nur irgendeine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte — tatsächlich liegt es durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß sie es eines Tages doch noch tut. Die Vereinten Nationen sind für diesen Fall ebenfalls an ihre Charta gebunden und werden die Mitgliederstaaten aufrufen, die Aggression zu bekämpfen. In diesem Falle werden nach der politischen Lage der Dinge wahrscheinlich hauptsächlich Rußland und einige seiner Alliierten voll Eifer dem Rufe folgen. Es wird dann den Amerikanern nicht schwer fallen einzusehen, daß solch ein den Vereinten Nationen freiwillig geleisteter Dienst Rußland nicht das Recht gibt, sich und seine Alliierten mit den Vereinten Nationen als solche zu identifizieren, Neutrale von der folgenden Friedenskonferenz auszuschließen oder vorzuschreiben, wie die Konferenz vorgehen und worüber sie reden soll oder wie lang sie dauern dürfe.

Mittlerweile leistete England dem Frieden und der Autorität der Vereinten Nationen einen Dienst durch den Versuch, die koreanische Friedenskonferenz im Geiste des gesunden Menschenverstandes und der Charta zu Wege zu bringen. Damit leistete sie auch der Aufrechterhaltung der britisch-amerikanischen guten Beziehungen in Asien nach ihrem Vermögen den besten Dienst, obgleich dies bisher kaum anerkannt wurde. Der allgemeine Wunsch nach Frieden und eine allgemeine Loyalität gegenüber den Vereinten Nationen sind das einzige Fundament, auf dem solche Beziehungen gegenwärtig ruhen können. II Diese Feststellung scheint tragisch zu sein. Denn es steht fest, daß dieses Fundament gefährlich brüchig geworden ist. Ich fürchte jedoch, es ist die volle Wahrheit. Es springt in die Augen, daß das weltumfassende englisch-amerikanische Bündnis, von dem Mr. Hudson als von einer Tatsache spricht, nicht vorhanden ist und gegenwärtig sieht es weniger denn je danach aus, als ob es jemals dazu käme.

In den Zeitungen beider Länder werden so viele unklare und ungenaue Andeutungen über das englisch-amerikanische . Bündnis'gemacht, daß es angebracht erscheint, die Grenzen dieses Bündnisses genauer zu umreißen.

Das einzige Bündnis zwischen England und Amerika besteht innerhalb des Nordatlantikpaktes, ein Defensivbündnis, das die beiden Länder ebenso wie zwölf weitere verpflichtet, einen Angriff auf irgendeinen von ihnen , in Europa oder Nordamerika'als einen Angriff auf sich selbst zu betrachten. Dieses Bündnis ist in dreifacher Weise klar begrenzt. Erstens, in seinem geographischen Rahmen: Es bezieht sich nur auf das . nord-atlantische Gebiet'; zweitens, durch seine Definition des casus foederis: es ist grundsätzlich defensiv; drittens, durch die Definition der gegenseitigen Verpflichtungen. Sie sind ausschließlich militärisch und umfassen kein politisches Bündnis. Einstmals hatte man die Hoffnung, daß die NATO einen staatenbundartigen Charakter annehmen würde, so daß ihr Rat und ihr Sekretariat in der Außen-und in der Verteidigungspolitik ko-ordinierend wirken würden, aber es kam nicht zustande, und es scheint heute weniger denn je dazu zu kommen.

Die NATO richtet sich nicht gegen irgendeinen einzelnen Staat — niemand hat dies häufiger betont als Außenminister Acheson, der den Vertrag für Amerika unterzeichnete. Der casus foederis würde ebenfalls entstehen, wenn eine der 14 Signatarmächte, sagen wir, eher von Deutschland oder Jugoslawien als von Rußland, angegriffen würde. Es stimmt, daß zur Zeit des" Vertragsabschlusses die Hauptgefahr für einen Angriff von Rußland her kam, und daß diese Gefahr dann den Hauptgrund für das Zustandekommen des Vertrages bildete. Aber die politischen Konstellationen ändern sich während der Laufzeit so langfristiger Verteidigungsverträge, und es liegt in ihrem Wesen begründet, daß ihr Schwerpunkt sich wie die Nadel des Kompasses entsprechend den Veränderungen an den vermutlichen Gefahrenherden verschieben kann. In ähnlicher Weise sind die Auswirkungen solch langfristiger Verträge während ihrer Laufzeit entsprechend der Zunahme oder dem Nachlassen der internationalen Spannungen einem Wechsel unterworfen. Es ist interessant, in diesem Zusammenhang festzustellen, daß die beiden wichtigsten Mitglieder der NATO. England und Frankreich, mit Rußland noch übereinstimmende Verträge über ein Verteidigungsbündnis haben, die in den letzten Jahren fast auf Eis gelegt wurden, die aber immer noch ebenso gültig sind wie der Nordatlantikpakt selbst und die zweifellos zu neuem Leben erwachen würden, wenn die spezifische Gefahr, gegen die sie geschlossen wurden — ein deutscher Angriff —, je wieder aufleben sollte. Sie könnten auch eine Rolle in einem umfassenden europäisch-russischen Sicherheitssystem und bei einem Austausch gegenseitiger Garantien spielen, wie sie z. B. Dr. Adenauer kürzlich anregte.

Uber den Nordatlantikpakt hinaus hat die gemeinsame Besetzung von Deutschland und Österreich zwischen England und Amerika — und auch Frankreich — eine Bindung geschaffen. Die bei diesen drei Mächten immer noch vorhandene Tendenz, ihre Politik gegenüber Deutschland und Österreich zu koordinieren, kann zurückverfolgt werden bis auf die Schaffung der Viermächte-Kontrollräte im Jahre 1945. Ob diese Gewohnheit — die auf keiner formalen Verpflichtung beruht — die Meinungsverschiedenheiten überbrücken kann und wird, die sich während des vergangenen Sommers in den grundsätzlichen Vorstellungen Englands und Amerikas über die Regelung der deutschen und europäischen Fragen gezeigt haben, bleibt abzuwarten. Ich finde es jedenfalls schwierig, Mr. Hudsons zuversichtlicher Behauptung zu glauben, daß Amerika. England und Frankreich in der Ausarbeitung einer übereinstimmenden Politik in der deutschen Frage erfolgreich gewesen waren und daß sie Rußland als Block gegenüberstehen würden. Ein Vergleich zwischen den Erklärungen englischer und amerikanischer Minister über die Deutschlandfrage seit Sir Winston Churchills Rede am 11. Mai scheint mir einen tiefen Unterschied in den Zielen zu beweisen, die durch die übereinstimmenden Kommuniques über das Julitreffen in Washington nur schwach überdeckt wurden.

Außer der NATO und den Überresten gemeinsamer Besatzungsvereinbarungen in Deutschland und Österreich gibt es nur eine formale Bindung zwischen England und Amerika: das ist ihre beiderseitige Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Die Festigkeit dieser Bindung hängt von der Aufrichtigung und Stärke der englischen und amerikanischen Treue gegenüber den Grundsätzen der Charta ab und auch davon, ob die beiden Nationen diese Grundsätze in gleicher Weise auslegen. Gegenwärtig scheint dies nicht der Fall zu sein — wie der Disput über die koreanische Friedenskonferenz zeigt.

Hiermit endet schon die kurze Liste vertraglicher Bindungen zwischen England und Amerika. Es stimmt, daß außerdem zwischen England und Amerika noch ein sehr reger diplomatischer Gedankenaustausch erfolgte — über viele Fragen , die weder etwas mit dem Nordatlantikpakt noch mit den Folgen aus der gemeinsamen Besetzung Deutschlands und Österreichs oder mit den Vereinten Nationen zu tun haben. Aber das beweist nicht das Vorhandensein irgendeiner weltweiten englisch-amerikanischen Allianz oder einer gemeinsamen Abwehrfront gegen den Kommunismus. Sie sind eher eine Folge der Tatsache, daß die auswärtigen Interessen und Bindungen Englands und Amerikas ausgedehnter sind und mehr ineinandergreifen als die anderer Mächte, und daß infolgedessen die Gefahr einer Reibung zwischen diesen beiden Staaten größer ist als zwischen anderen, wenn nicht ständig versucht wird, die gegenseitigen Interessen aneinander anzupassen und Kompromisse und Übereinkünfte zu schließen. Man könnte auf Grund dieser großen Gefahr zu dem Schluß kommen, daß ein umfassendes englisch-amerikanisches diplomatisches Bündnis geschlossen werden müßte, weil im Falle England und Amerika, wenn ich hier etwas zitieren darf, was ich selbst vor zwei Jahren schrieb, . Reibungen die einzige Alternative zur Einigkeit darstellen und Einigkeit entsteht nicht von alleine, sondern muß gewollt und geschaffen werden'. Es ist aber ganz etwas anderes zu behaupten, daß eine weltumspannende Allianz tatsächlich besteht, und politische Argumente auf dieser Fiktion aufzubauen.

Im besonderen besteht über zwei Probleme gegenwärtig weder eine englisch-amerikanische Allianz noch eine diplomatische Verständigung. Hier handelt es sich erstens um die Politik im Pazifik und in Asien; und zweitens um die allgemeine Haltung gegenüber dem Auftreten des Kommunismus in der Diplomatie und in den internationalen Beziehungen. England und Amerika sind nicht nur weit entfernt von einem Übereinkommen über . eine weltweite Schwächung der russisch-chinesischen Allianz'sondern ihre Unstimmigkeiten über die gegenwärtige Asien-politik im allgemeinen und über die Beziehungen zu den kommunistischen Staaten im besonderen stellen heute die größte Belastung ihrer gegenseitigen Beziehungen dar.

Immer wieder tauchte in den englisch-amerikanischen Aussprachen der letzten Jahre die Idee auf, ein Verteidigungsbündnis in Asien und für das Gebiet des Pazifik zu schließen, das dem Plan des Nordatlantikpaktes in Europa und im Raum des Atlantischen Ozeans entsprechen sollte. Schon nach kurzem Anlauf wurde der Gedanke immer wieder fallen gelassen, weil sich die Hindernisse bald als unübersteigbar erwiesen. Amerika war nie bereit, einen Angriff auf englische Besitzungen oder Kolonien auf dem asiatischen Festland als casus foederis anzusehen und ohne eine solche Verpflichtung würde für England ein Pazifikpakt mit Amerika augen-

scheinlich wertlos sein. England seinerseits war niemals geneigt, Amerikas de facto-Bündnis mit General Chiang-Kai shek beizutreten, weil dies nach seiner Ansicht einer Intervention in die inneren Angelegenheiten Chinas gleichkam und befürchten ließ, daß der begrabene chinesische Bürgerkrieg wieder aufleben würde. Ein allgemeiner Vertrag, von dem dies ja nur ein Teil war, würde dadurch seines reinen Verteidigungscharakters entkleidet werden.

Solange jedoch die Nicht-Anerkennung der rot-chinesischen Regierung und die Hoffnung, das Ergebnis des chinesischen Bürgerkrieges ins Gegenteil verkehrt zu sehen, den Angelpunkt amerikanischer Politik in Asien bilden, würde ein Vertrag, der die Anerkennung Pekings zur Voraussetzung hat, für Amerika unannehmbar sein.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen England und Amerika über ihre Haltung gegenüber dem Kommunismus in internationalen Angele-genheiten ruhen mehr unter der Oberfläche und bildeten, so weit ich weiß, niemals den Gegenstand diplomatischer Aussprachen. Trotzdem sind sie ein Element der Trennung zwischen England und Amerika und nicht (wie Mr. Hudson annimmt) ein bindendes Element, und die Tatsache, daß sie so schwer definierbar und in klar verständliche Ausdrücke zu fassen sind, machen sie für die zwischen den beiden Mächten bestehende Freundschaft besonders gefährlich.

Natürlich lehnt England nicht weniger als Amerika den Kommunismus (oder die Form des Sozialismus, die in Rußland besteht und die allgemein unter dieser Bezeichnung läuft) als politische und wirtschaft-liehe Richtlinie zur Regelung seiner eigenen Angelegenheiten ab. England ist wie Amerika der Ansicht, daß kommunistische Parteien in anderen Ländern oft als Werkzeuge zur Ausbreitung der russischen Macht gebraucht werden und deshalb sorgfältig beobachtet werden müssen. Aber im Gegensatz zu Amerika ist England nicht der Meinung, daß die ganzen gegenwärtigen internationalen Beziehungen durch den ideologischen Kampf zwischen Kommunismus und Anti-Kommunismus beherrscht werden, und es kann deshalb den Versuch, das russische Vordringen einzudämmen, nicht zum alles beherrschenden Grundsatz seiner Außenpolitik machen. Noch weniger kann England den Umsturz auswärtiger Regierungen, seien sie kommunistisch oder nicht, als legitimes außen-politisches Ziel irgendeines Landes anerkennen. Die in den letzten Jahren mit Rußland entstandenen internationalen Spannungen sind nach englischer Ansicht nicht auf die Tatsache zurückzuführen, daß Rußland kommunistisch ist und daß Rußland die Ausbreitung des Kommunismus im Auslande begünstigte, sondern nur auf bestimmte politische Bestrebungen Rußlands, die drohten oder noch drohen — was sich noch nicht sicher sagen läßt — die sowjetische Herrschaft auf dem Gebiete Europas und des Mittleren Ostens auszudehnen. Es ist englisches Lebensinteresse, diese Gebiete frei von der Herrschaft anderer Mächte zu wissen. England hat das größte Interesse daran, daß Rußland die Bereitwilligkeit erkennen läßt, diese politischen Bestrebungen aufzugeben. Wenn sich die Möglichkeit einer friedlichen Regelung mit Rußland in Europa abzeichnen sollte, besteht nach englischer Ansicht kein Grund mehr, den . Kalten Krieg nur deshalb zu verewigen, weil Rußland kommunistisch ist oder enge Beziehungen mit ausländischen kommunistischen Parteien unterhält. Außerdem ist England überzeugt davon, daß in den Ländern, wo kommunistische Regierungen außerhalb Rußlands an der Macht sind, der natürliche und unausweichliche Druck der nationalen Interessen dauernd im Kampf liegt mit dem russischen Glauben, daß die Interessen aller kommunistischer Regierungen automatisch identisch sind, und daß objektive und rein geschäftsmäßige Beziehungen mit ihnen der beste Weg sind, diesem Drucke nachzuhelfen.

Für die amerikanische offizielle Meinung sind dies alles nicht diskutierbare Ansichten. Im Gegensatz zu England stimmt Amerika voll und ganz mit Lenins Ansicht überein, daß ein Zusammenstoß zwischen kommunistischen und kapitalistischen Staaten unvermeidlich ist. Im Gegensatz zu England hält es den ideologischen Antagonismus zwischen kommunistischen und nicht-kommunistischen Staaten und zwischen kommunistischen und nicht-kommunistischen Parteien für den bestimmenden Faktor in der gegenwärtigen Weltpolitik, dem alles andere untergeordnet werden muß. Im Gegensatz zu England hält es jeden Kompromiß mit kommunistischen Staaten für eine . Politik der Beschwichtigung'und hält den Versuch, kommunistische Regierungen auf jede Weise, ausgenommen Krieg, zu stürzen für richtig und für eine Pflicht.

Diese Unterschiede in der englischen und amerikanischen Haltung gegenüber dem Kommunismus waren so lang unbedeutend, als es sich darum handelte, sich dem aktiven russischen Druck und den Ausbreitungsversuchen zu widersetzen. Über diese Notwendigkeit waren sich England und Amerika einig. Aber die Unterschiede machen sich geltend, wenn der aktive russische Druck verschwindet; über die Frage, ob eine mögliche , auf Tatsachen beruhende'Friedensregelung anzunehmen oder zu verwerfen ist, und ob ein Gegendruck und eine politische Gegen-Aggression ausgeübt werden sollen oder nicht, bestehen zwischen England und Amerika tiefgehende, wenn auch unausgesprochene Unstimmigkeiten.

Trotz all dieser Schwierigkeiten und Unvollkommenheiten ist es richtig — und hier stimme ich ganz mit Mr. Hudson überein — daß die Aufrechterhaltung guter Beziehungen mit Amerika und die Vermeidung eines offenen politischen Konfliktes ein englisches Anliegen erster Ordnung sind. Es bleibt jedoch fraglich, ob es das wichtigste und alles andere überschattende Anliegen Englands ist. Mr. Hudson scheint dies zu bejahen, wenn er darlegt, daß England davon Abstand nehmen sollte, einen Druck auf Amerika auszuüben und gegen die USA gerichtete diplomatische Kombinationen unter Einschluß der kommunistischen Staaten zu bilden, wenn es Amerika nicht in inoffiziellen Aussprachen überzeugen könnte. Über diese Ansicht ließe sich reden, besonders wenn man, wie viele, annimmt, daß es Rußlands einziges Bestreben ist, England von Amerika mit der Absicht zu trennen, danach die unterbrochene Offensive gegen Westeuropa und den Mittleren Osten wieder aufzunehmen. Aber auch für die gegenteilige Ansicht lassen sich Argumente anführen. Es sind drei, die nachfolgend in ganz allgemeiner und abstrakter Form dargelegt werden sollen.

Erstens: England würde jede Überzeugungskraft in inoffiziellen englisch-amerikanischen Aussprachen verlieren, wenn die Ansicht zur eng-liehen Doktrin erhoben würde, daß England auch dann noch der amerikanischen politischen Linie folgen müsse, anstatt sich Amerika gemeinsam mit anderen Ländern öffentlich zu widersetzen, wenn es in inoffiziellen Aussprachen mit Amerika zu keiner Übereinstimmung kommt. Englands Stimme wird bei Verhandlungen mit Amerika nicht ins Gewicht fallen, wenn Amerika von vornherein weiß, daß England verpflichtet ist, ihm letzten Endes überall hin zu folgen und daß es überhaupt kein Risiko eingeht, wenn es inoffizielle englische Wünsche oder Begründungen mißachtet.

Zweitens: Es gibt nicht viele denkbare diplomatische Kombinationen, mit denen England hoffen könnte, Amerika im Falle einer wirklich ernsthaften und unüberbrückbaren Unstimmigkeit zu beeinflussen, wenn die kommunistischen Staaten von vornherein ein für allemal aus diesen Kombinationen ausgeschlossen sind. Es stimmt, daß durch das Wiedererstarken Deutschlands und Japans und die Konsolidierung Indiens die Idee von der . Dritten Kraft'nicht länger mehr ganz so hoffnungslos utopisch ist, wie sie es noch Ende der 4Oiger Jahre war; zweifellos schwächte die Vernachlässigung direkter englischer Beziehungen mit Japan und in geringerem Grade auch der Beziehungen mit Deutschland die gegenwärtige allgemeine englische Diplomatie in bedauerlicher Weise, was hätte vermieden werden können. Aber selbst eine Kombination England, Westeuropa, Japan und Indien würde äußerst verwundbar sein, wenn sie versuchte, zu einer Trennung von Amerika zu kommen und sich ihm zu widersetzen, während die Beziehungen mit Rußland und China unvermindert feindlich blieben. Es würde äußerst gefährlich sein, eine offene Trennung der englischen Politik von Amerika ins Auge zu fassen, wenn dies nicht gleichzeitig von einem mindestens schweigenden Einverständnis seitens der kommunistischen Mächte über das fragliche Problem begleitet wäre. Und nur die bekannte englische Geschicklichkeit und Eignung, solch ein Einverständnis herbeizuführen, wenn alles andere fehlschlägt, kann Amerika veranlassen sich zu besinnen, bevor es eine Politik verfolgt, die mit den englischen Lebensinteressen in Widerspruch steht.

Drittens: Es ist klar, daß solch eine politische Linie nur ins Auge gefaßt werden kann, wenn es sich bei der Unstimmigkeit mit Amerika um eine Frage von äußerster Wichtigkeit handelt. Man könnte tatsächlich so weit gehen und sagen, daß dies nur gerechtfertigt wäre, wenn es sich schließlich um eine Frage von Krieg oder Frieden handelt. In solch einem Falle jedoch finde ich es unbillig zu behaupten, daß das englische Interesse an guten Beziehungen mit Amerika an die Stelle der englischen Friedens-interessen treten müßte, und daß England eher Amerika in einen Krieg folgen sollte, den es für vermeidbar und ungerechtfertigt hält, als sich mit den kommunistischen Mächten zu verbinden, um Amerika von einem Wege abzubringen, der zum Kriege führt.

All dies sind ganz abstrakte Überlegungen. Aber sie stehen doch in gewissem Zusammenhang mit der heutigen konkreten Situation. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe die Empfindung, daß Mr. Hudson während seines ganzen Artikels so über 1953 schreibt als wäre es 1948. Zu jener Zeit befanden sich Rußland und der Kommunismus ganz klar auf internationalem Felde in der Offensive und gefährdeten den Frieden; heute haben diese Rolle eher Amerika und der Anti-Kommunismus übernommen, während sich die Unruhestifter von vor fünf Jahren, zeitweilig wenigstens, ruhig verhalten. Mr. Hudsons Artikel scheint mir ein Symptom für jene Schwierigkeiten zu sein, welche viele haben, sich diese wichtige Veränderung zu vergegenwärtigen und sich ihr anzupassen.

Die englische Politik machte schon instinktiv und weitgehend unausgesprochen einige Reflexbewegungen; man kann wohl behaupten, daß sich unter der Oberfläche eine stillschweigende Übereinstimmung der Interessen zwischen England und den kommunistischen Mächten sowohl in Europa als auch in Asien eingestellt hat, ohne daß sich jemand bewußt darum sehr bemühte.

Heute suchen Beide, England und Rußland, unabhängig von einander in Europa nach Möglichkeiten aus der Sackgasse heraus zu einem geregelten Frieden zu kommen, während Amerika versucht, dies zu verhindern; in Asien aber ist Amerika auf dem besten Wege, einen unsicheren Waffenstillstand in einen neuen ausgedehnten Krieg zu verkehren, während England, ebenso wie Rußland und China unabhängig von einander versuchen, dies zu vermeiden. Auf beiden Kontinenten hat England andere Interessen als-Amerika und handelt unversehens in Übereinstimmung mit Rußland über die wichtigste Frage, den Frieden. Dies erledigt auch beiläufig Mr. Hudsons Behauptung, daß Englands Europapolitik unvereinbar mit seiner Asienpolitik ist.

Es kann gesagt werden, daß dies wenig damit zu tun hat, daß England die Teilnahme Indiens an der koreanischen Friedenskonferenz unterstützt. Betrachten wir die Zusammenhänge einmal näher.

Mr. Hudson hat mit großem Scharfsinn dargelegt, daß hinter Englands Beharren auf der Teilnahme Indiens an der Friedenskonferenz ein Komplott steht, Amerika in eine Lage hineinzumanövrieren, in der es zu wählen hätte zwischen der Zulassung der Peking-Regierung, Chinas Sitz in den Vereinten Nationen einzunehmen, und einer vollkommenen diplomatischen Isolierung. Ich weiß nicht, ob er nicht die machiavellistische Staatskunst des Foreign Office überschätzt. Mißt man jedoch mit Mr. Hudsons eigenen Maßen, so könnte man ebenso gut behaupten, daß hinter Amerikas Beharren auf einer , across the table'-Konferenz, an der nur die kriegführenden Mächte teilnehmen (gekoppelt mit der amerikanischen Allianz mit Rhee, mit Rhees Drohung, die Feindseligkeiten nach einem Fehlschlag der Konferenz innerhalb 90 Tagen wieder aufzunehmen, mit Amerikas Drohung, die Konferenz nach 90 Tagen zu verlassen, und mit der von Amerika angeregten 16-Nationen-Erklärung, daß aller Wahrscheinlichkeit nach ein Wiederaufleben der Feindseligkeiten nicht auf Korea begrenzt sein würde) ein Komplott steht, in Asien einen umfassenden Krieg ins Werk zu setzen, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem dritten Weltkrieg führen würde.

Ich persönlich gestehe dem State Department ebensowenig wie dem Foreign Office die Fähigkeit zu diesen Bismarck’schen Gaben zu, genau berechnete Komplotte und Intrigen zu schmieden, was für diese Art des Vorgehens notwendig wäre. Ich hege jedoch die Befürchtung, daß die gegenwärtige amerikanische Politik in Asien die Tendenz hat, einen Krieg als gegebene Folge anzusehen, und daß Amerika nicht in der Lage und vielleicht auch nur widerwillig bereit ist, seine Politik bei einer Krise zu überprüfen. Selbst wenn man unterstellt, daß die amerikanische Regierung aufrichtig entschlossen ist, Herr der Lage zu bleiben, so behält doch die Angelegenheit weiterhin ihren explosiven Charakter. Rhee prunkt mit seinen kriegerischen Absichten in einer fast komischen Offenheit, wie vor ihm noch kein Staatsmann seit Menschengedenken. Es besteht nicht der geringste Grund, seinen ernsthaften Willen zu einer Aggression zu bezweifeln. Amerika hat sich selbst durch ein mit ihm im vollem Bewußtsein dieser Tatsache geschlossenes Bündnis in eine Lage für gebracht, wo es es schwer sein dürfte, ihm die Unterstützung zu versagen, wenn er seine Worte in Taten umwandelt. Für Rhee ist ein Fehl-schlag der koreanischen Friedenskonferenz innerhalb 90 Tage der casus belli; und ein Erfolg innerhalb 90 Tage, der in jedem Falle unwahrscheinlich ist, wird nach menschlichem Ermessen unmöglich sein, wenn die Konferenz in der Weise abgehalten wird, auf der Amerika besteht. Hinter all dem steht die öffentliche Meinung Amerikas, die, obgleich sie sicher bewußt keinen Krieg wünscht, jeden wahren Schritt zum Frieden hin für eine . Politik der Beschwichtigung'hält, und die sich gewissermaßen durch den koreanischen Waffenstillstand beschämt fühlt. Sie weigert sich, die chinesische Regierung anzuerkennen, und billigt das Bündnis mit Rhee und General Chiang Kei-Shek, den einzigen beiden Staatsmännern heute auf der Welt, die ein starkes und zugegebenes Interesse an einem Kriege haben und deren Ziele tatsächlich nur durch einen Krieg zu erreichen sind. Es ist eine Lage, in der die englische Meinung mit vollem Recht alarmiert ist.

Da England in inoffiziellen Gesprächen erfolglos versuchte Amerika zu überreden, den eingeschlagenen politischen Weg zu verlassen, stellt sich die Frage, ob öffentliche Maßnahmen hinausgeschoben werden sollen, bis die Krise da ist. Zugegebenermaßen würde dies eine größere Schockwirkung haben und eine leidenschaftlichere Unterstützung durch die öffentliche Meinung im Lande in Westeuropa und im Commonwealth finden. Andererseits würden die Maßnahmen, die dann aller Wahrscheinlichkeit notwendig wären, die englisch-amerikanischen Beziehungen auf lange Zeit hinaus tatsächlich schwer belasten. Amerika sollte rechtzeitig und mit genügender Diskretion gewarnt werden. Die englische Regierung tat dies, in dem sie zu erkennen gab, die gegenwärtige amerikanische Politik in Asien sei so gefährlich, daß ein offener diplomatischer Bruch und selbst eine gemeinsame Stimmabgabe von England und Rußland gegen Amerika in den Vereinten Nationen notwendig sein könnten. Um dies zu beweisen, wählte sie solch einen scheinbar geringfügigen, esoterischen und der allgemeinen Öffentlichkeit bedeutungslos erscheinenden Anlaß, wie die Teilnahme Indiens an der koreanischen Friedenskonferenz.

Es läßt sich im Augenblick gar nichts sagen, ob das State Department diesen Wink verstanden hat. Wenn nicht, werden die nun folgenden schärferen Dispute den Zusammenstoß über Indiens Zulassung rückblickend unerheblich und unbedeutend erscheinen lassen. Wenn doch, hat das englische Verhalten seinen Zweck erfüllt und muß als eine große diplomatische Leistung betrachtet werden. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Prof.

Dr. Paul Hübinger „Abendland und Europa"

Sturm Kegel „Die Sonderheiten des rheinisch-westfälischen Industriegebietes"

Kurt Georg Kiesinger „Haben wir noch den Bürger? Die Problematik des Parteienstaates"

Prof.

Dr. Theodor Litt „Die Politische Selbsterziehung des deutschen Volkes"

Dr. Gerhard Lütkens „Die geistige und soziale Entfremdung zwischen Ost und West"

Prof.

Dr. Gerhard Ritter „Das Problem des Militarismus in Deutschland" .

Dr.

von Thadden-Tr*iegiaff „Der politische Auftrag der Protestanten in Europa"

Chester Wilmot „Die Rheinarmee und Europa"

Eine Zusammenstellung der aktuellen politischen » Literatur „Im Brennpunkt Zeitgeschichte"

Fussnoten

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