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Großbritannien liegt in Europa | APuZ 19/1954 | bpb.de

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APuZ 19/1954 Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens Die Führung Westeuropas Großbritannien liegt in Europa Augenschein in Asien Eindrücke einer Rundfahrt

Großbritannien liegt in Europa

Woodrow Wyatt

Deutschlands in der Entwicklung zurückgebliebener Gebiete einzuspannen sucht und der vielmehr eine Erweiterung der Produktion und des gegenseitigen Handels mit dem gesamten Sterling-Block anstrebt als einen internationalen Kampf um die Absatzmärkte, zeigt den Weg auf. Er wurde von der Commonwealth-Konferenz vernachlässigt, wird jedoch noch von der OEEC in Erwägung gezogen. Die NATO hat bereits ihr vordringlichstes Ziel erreicht, das in der Wiederherstellung des Gleichgewichts der Weltmächte lag. Durch gemeinsames Einverständnis hat sie hervorragende Arbeit geleistet. Die Betonung lag jedoch immer noch auf der herkömmlichen Bodenverteidigung, während die neuen Waffen in eine andere Richtung weisen. Darüber hinaus gibt es kein zentrales Organ, das über die Politik oder militärische Strategie in globaler Weise entscheidet, und dies ist in einer Periode des „kalten Friedens" notwendig.

Zusammenfassend besteht kein Interessenkonflikt zwischen den Ländern des Europa-Rates, dem Commonwealth und der Atlantischen Gemeinschaft und als einziges Land, das allen drei Gremien angehört, hat Großbritannien eine lebenswichtige Rolle dabei zu spielen, sie zu einer organischen Union zu formen, die stark genug ist, der kommunistischen Herausforderung zu widerstehen und den Weltfrieden zu erhalten. Es ist in der Tat für einige von uns schon seit langem offensichtlich, daß soweit es Europa betrifft, nur unter britischer Führung Fortschritte in irgendeiner Richtung gemacht werden können. Es ist für Großbritannien noch nicht zu spät, die Führung Westeuropas zu übernehmen. Wenn wir das tun, werden wir noch einmal zu einer großen Weltmacht werden. Wenn wir versagen, werden zukünftige Historiker unsere Europapolitik in der dem Zweiten Weltkrieg folgenden Dekade als nicht weniger katastrophal als die britische Politik gegenüber den amerikanischen Kolonien unter der Herrschaft Georg III. betrachten.

Es war Sir Winston Churchill, der im August 1950 in Straßburg sagte: „Jene, die der höchsten Sache dienen, dürfen nicht das in Erwägung ziehen, was sie erhalten, sondern was sie geben können ... Wir sollten die praktische und konstruktive Anleitung geben, indem wir uns zu Gunsten der Schaffung einer europäischen Armee unter einem gemeinsamen Kommando erklären, in welcher wir alle eine wertvolle und ehrenvolle Rolle spielen sollten."

Seine Rede stellte die Hauptinspiration für den Gedanken einer europäischen Armee dar. Für den Vorschlag, das Großbritannien dieser Armee angehören sollte, erhielt er beträchtliche Unterstützung im Lande. Kurz darauf unterbreitete M. Pleven seine Ideen, wie eine europäische Armee aussehen könnte und sollte. Aber Großbritannien unter einer Labour-Regierung hielt sich zurück. Heute unter einer konservativen Regierung will es sich noch immer nicht in die Europa-Armee begeben.

Von Anfang an bestand unter den militärischen Führern Großbritanniens ein großer Widerstand gegenüber dem Schema der Europa-Armee. Sie hatten eine Abneigung gegen alles, was sie über die Vorschläge M. Plevens hörten: daß es eine gemeinsame Rekrutierung geben sollte, eine gemeinsame Besoldungsordnung, gleiche Uniformen und andere Vorschläge, die eine vollständige Verschmelzung der britischen Armee mit den Streitkräften des Kontinents bedeutet haben würde. Es sieht so aus, als wenn die Engländer alles vermeiden wollen, um mit Ausländern in Berührung zu kommen. Der kleinste Hinweis, daß möglicherweise die alten Regimenter, alte Bräuche und Feierlichkeiten verschwinden könnten, war ausreichen t, um jeden Soldaten im Königreich zu einem entschlossenen Gegner der Europa-Arniee zu machen.

Die Abwesenheit der Engländer bei allen Erörterungen, die einem Entwurf für einen Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft galten, bedeutete unvermeidbar, daß die endgültige Form des Abkommens eine eindeutig kontinentale Angelegenheit sein würde. Da Großbritannien hierbei kein Mitglied sein sollte, gab es überhaupt keinen Grund, warum gegenüber den britischen Ansichten irgendwelche Konzessionen gemacht werden sollten. Der Vertrag stand im Zeichen formeller juristischer Konzeptionen. Während der gesamten Verhandlungen schwebte der Geist des Föderalismus in glücklichem Einverständnis zwischen Kommata, Semikolons und Unterabschnitten. Mit jedem Schritt zu einer anscheinend unlösbaren Verbindung „supranationalen“ Charakters wurde es den Engländern ein bißchen unbehaglicher. Wie könn-ten sie sich einer Organisation anschließen, bei der es eine Politische Versammlung gab, die sich in Budgetfragen einmischen und versuchen würde, eindeutige und direkte Anweisungen an eine Armee zu geben, und die außerdem die Basis für ein föderales Europa bilden sollte? Wie könnten sie zulassen, daß irgendein fremder Gerichtshof Entscheidungen fällte, wenn Meinungsverschiedenheiten auftraten? Wie könnten sie erlauben, daß ein Kommissariat englische Offiziere für Kommandos — selbst von subalterner Natur — ernannte oder nicht ernannte? Die ganze Angelegenheit entsprach nicht dem informellen und ein wenig großzügigen Wesen der Engländer.

Wenn das die Angehörigen des Kontinents so wollten, so sollten sie ruhig weitermachen. Die Engländer würden nach besten Kräften helfen, ja sogar ihre Mitarbeit anbieten, sie könnten jedoch kein Mitglied dieser geplanten Armee werden.

Missverständnisse

Auf diese Weise wuchsen die Mißverständnisse. Im allgemeinen versuchten die sechs Länder lediglich formell durchzuführen, was sich in der Praxis in jeder internationalen Organisation ereignen muß. Kürzlich besuchten einige Unterhausmitglieder die NATO in Paris und SHAPE (das Oberste Hauptquartier der Atlantischen Streitkräfte in Europa) bei Paris. Im Verlaufe unserer Gespräche fragte ich den holländischen stellvertretenden Generalsekretär der NATO, ob er uns erklären könnte, wie die Europäische Verteidigungsgemeinschaft auf der Grundlage eines Ministerrates und eines Kommissariats mit großen Vollmachten unter dem Ministerrat arbeiten würde. Er beschrieb uns genau, wie der Verwaltungsgang es vorsah. Ich fragte dann danach, wie die NATO gegenwärtig arbeitet. Der hauptsächlich in der Exekutivverwaltung tätige Stabsoffizier gab uns eine eingehende und genaue Erklärung.

Die NATO verfügt über einen Rat für ihre 16 Mitgliedsstaaten. Dieser Rat beschließt alles einstimmig, in der Praxis ist er jedoch eine zu schwerfällige Körperschaft, um — so wie es oft notwendig ist — rasch Maßnahmen zu ergreifen.

Daher ist dem Ständigen Ausschuß der NATO, der aus den Vertretern der Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Frankreich besteht, beachtliche Exekutivbefugnis übertragen worden. Diese Körperschaft gibt in wichtigen Angelegenheiten häufig ohne Befragung des Rates Anweisungen. Sie kann zu jeder Zeit überstimmt werden; dies ist jedoch selten der Fall. Dieses System existiert parallel in der vor-geschlagenen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. In allen wichtigen Angelegenheiten müssen die Entscheidungen des Ministerrates genau wie beim Nordatlantikrat einstimmig gefällt werden, obgleich auch verhältnismäßig unwichtige Angelegenheiten durch eineZweidrittelmehrheit entschieden werden können. Hier wiederum würde das Kommissariat genau so wie der Ständige Ausschuß des Nordatlantikrates handeln. Das Kommissariat hat weitgehende Befugnisse, kann jedoch in allem durch die Autorität des Ministerrates überstimmt werden. Es würde undenkbar sein, daß das Kommissariat ein unabhängiges Eigenleben führen könnte und Maßnahmen im Gegensatz zum Ministerrat ergreifen würde, genau so wie der Ständige Ausschuß der NATO keine Entscheidungen fällen kann, die den Wünschen des Nordatlantikrates entgegen ständen. Wenn dies klar verständlich gemacht werden könnte, so würde einer der Haupteinwände der Engländer gegen den Beitritt zur Europa-Armee hinfällig werden. Wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft „supranational“ ist, so ist es die NATO gleichfalls. In Wahrheit sind beide Körperschaften „international", und ein eigensinniges Land, das in beiden Räten vertreten ist, könnte beide Körperschaften sabotieren. Falls eine Europa-Armee funktioniert, so darum, weil kein Land sie sabotieren will, und nicht, weil sorgfältig ausgearbeitete Regeln entworfen worden sind. Keine Regel könnte irgendein Land daran hindern, die gegenwärtige Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu zerstören, genau so wenig wie verhindert werden könnte, die NATO zu zerschlagen. Wenn Europa dazu angehalten werden könnte, das Wort „international" und den Ausdrude anzunehmen „supranational" zu vermeiden, so würden zahlreiche Schwierigkeiten behoben sein. Einzig wegen „supranationaler“ äußerer Umstände ist der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft eine Politische Versammlung beigegeben worden. Sie soll der Vorläufer eines europäischen föderalen Parlaments sein und würde die Vollmacht haben, die für die Leitung der Armee sowohl in Verwaltungs-wie in Finanzangelegenheiten verantwortlichen Persönlichkeiten zu beaufsichtigen. Es ist noch nicht ganz klar, ob sie außerdem noch Aufgaben erledigen wird, und es sieht auch nicht so aus, daß sie noch Wichtiges zu vollbringen hätte, aber gerade dieser Gedanke hält die Engländer ab. Bevor sie in eine Europa-Armee eintreten würden, müßte die Politische Versammlung abgeschafft werden.

Vorzüge des Europa-Armee-Gedankens

Dieses sind run einige der wichtigsten Änderungen, die in dem gegenwärtigen Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft notwendig sein würden, wenn die Engländer zum Beitritt angehalten werden sollen. Es gibt jedoch noch ein weiteres schwerwiegendes Argument, das beseitigt werden muß. Viele Menschen glauben fest, wenn die Verteidigungsgemeinschaft auf Grund der Nichtratifizierung des Vertrages durch die Franzosen nicht zustande kommt, dann würde die direkte Aufnahme Deutschlands in die NATO eine ausreichende Sicherung gegen ein mögliches militaristisches Wiederaufstehen Deutschlands sein. Aber zunächst ist es kaum wahrscheinlich, daß die Franzosen, wenn sie die EVG schließlich doch nicht akzeptieren, Deutschland als gleichberechtigten Partner in der NATO begrüßen würden. Des weiteren wären die Sicherungen gegen den Neonazismus in Deutschland nirgendwo auch nur annähernd ausreichend. In der NATO hat jedes Land eine eigene nationale Armee. Es kann innerhalb seines eigenen Gebietes seine Truppen dort stationieren, wo es will, so wie Italien kürzlich Truppen nach Triest verlegte, bevor die Unruhen ausbrachen. Wenn diese Truppen zur Europa-Armee gehört haben würden, wäre Rom nicht in der Lage gewesen, diese Maßnahme durchzuführen. Auch gibt es für die einzelnen Staaten keine Begrenzung für die Stärke der Streitkräfte. Deutschland könnte somit eine nach Belieben große Armee unterhalten und sie innerhalb des eigenen Territoriums dort stationieren, wo es ihm gefällt. Wenn deutsche Truppen im strategischen Rahmen des Nordatlantikpaktes in irgendeinem anderen Land stationiert sein würden, könnten diese nach Lelieben der deutschen Regierung zurückgezogen werden. Es gäbe für die Bundesrepublik keine Hindernisse, Truppen an der ostdeutschen Grenze zu versammeln. Es würde keiner vorherigen Informierung anderer Nationen über irgendwelche beabsichtigten Maßnahmen Bonns bedürfen, um Ostdeutschland wiederzugewinnen oder zu einem späteren Zeitpunkt, der Gesamtdeutschlands, um die verlorenen Gebiete wiederzuerobern.

Wir mögen heute eine derartige Maßnahme als unwahrscheinlich ansehen. Aber Dr.

Adenauer wird nicht ewig regieren, und unsere Erfahrung läßt uns nicht unbedingt darauf ver-trauen, daß Deutschland niemals wieder übereilt handeln wird.

Die beiden großen Vorzüge des Europa-Armee-Gedankens sind erstens, daß eine gemeinsame Kontrolle aller Rüstungsindustrien vorhanden sein würde (eine derartige Kontrolle fehlt innerhalb der NATO vollständig, und es würde nicht ausgeschlossen sein, daß ein wiederbewaffnetes Deutschland alle Waffen, die es wünscht, in jeder Menge produzieren könnte) und zweitens, die Zusammenfassung nationaler Divisionen zu zweien oder zu dreien mit Divisionen anderer Staaten zu Armeekorps. Die Bedeutung der letzten Überlegung ist die, daß jedes Korps von einem internationalen Stab befehligt sein und Divisionen mehrerer Nationalitäten enthalten würde. Dies bedeutet eine Integrierung in bezug auf das Ziel und das Kommando in höchstem Maße. Wie unbesonnen ein deutscher Generalstab auch immer handeln würde, solange seine Streitkräfte in internationalen Korps zusammengefaßt sind, könnte er nichts Unrechtes unternehmen. Gegen jeden Versuch, seine Truppen loszulösen, würden ausreichende Vorkehrungen bestehen. Da die Aushebung von Streitkräften durch die einzelnen Länder unter ständiger Kontrolle wäre, würde es für die Deutschen unmöglich sein, Soldaten für andere Zwecke als für die Europa-Armee zu rekrutieren, ohne daß alle anderen Nationen in der Lage wären, wirksam dagegen zu protestieren. Sie könnten wirksam protestieren, weil glücklicherweise der Hauptteil der Europa-Armee in Deutschland selbst stationiert sein würde, um eine Frontverteidigung gegen die Russen zu gewährleisten. Daher würden stets ausländische Truppen auf deutschem Boden sein und jede deutsche Regierung davon abhalten, Maßnahmen zu ergreifen, die sie nicht ergreifen sollte. Auch würde die Tatsache, daß die Europa-Armee über ein gemeinsames Rüstungsbudget und -programm verfügt, eine wirksame Kontrolle der deutschen Rüstungsindustrie gewährleisten. alle anderen Nationen in der Lage wären, wirksam dagegen zu protestieren. Sie könnten wirksam protestieren, weil glücklicherweise der Hauptteil der Europa-Armee in Deutschland selbst stationiert sein würde, um eine Frontverteidigung gegen die Russen zu gewährleisten.

Daher würden stets ausländische Truppen auf deutschem Boden sein und jede deutsche Regierung davon abhalten, Maßnahmen zu ergreifen, die sie nicht ergreifen sollte. Auch würde die Tatsache, daß die Europa-Armee über ein gemeinsames Rüstungsbudget und -programm verfügt, eine wirksame Kontrolle der deutschen Rüstungsindustrie gewährleisten.

Die Unsicherheit der Franzosen

Warum verzögern die Franzosen die Ratifizierung des Vertrages, da doch diese Vereinbarungen zur Kontrolle Deutschlands so zufriedenstellend klingen? Der Grund ist klar.

Trotz aller Sicherungen fühlen die Franzosen sich in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht sicher, wenn sie und die Italiener allein sich mit einem möglichen schlechten Betragen der Deutschen befassen müßten. Da sie im vergangenen Kriege so schnell ausgeschaltet wurden, verfügen die Franzosen nur über wenig gut ausgebildete Stabsoffiziere mit Ausbildung in moderner Kriegführung, so daß die Fähigkeiten ihrer Generale und subalternen Offiziere nicht sehr groß sind. Sicherlich würden sie keine Konkurrenz für die Deutschen sein. Auch könnten sie, in Anbetracht der Tatsache, daß große Teile ihrer regulären Armee in Indochina eingesetzt sind, kein ausreichendes Gegengewicht, auch nicht mit Hilfe der Italiener, deren Truppen zum größten Teil in Italien bleiben würden. darstellen, um die Deutschen, falls nötig, zurückzuhalten.

Die Labour-Regierung und ihr Nachfolger haben Frankreich aufgefordert, den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu ratifizieren. Sie haben seine Vorzüge gepriesen.

Sie haben angeboten, Beistand zu leisten, bei der Ausbildung zu helfen, sich mit dem Vertrag zu assoziieren — kurz alles — außer ihm beizutreten.

Aber warum wollt ihr nicht beitreten, fragen die Franzosen, wenn er so gut ist? Sie sehen in unserer Weigerung immer eine Nicht-bereitschaft, uns auf die Verteidigung Europas in Europa zu verpflichten. Sie sehen den Juni 1940 in einem völlig anderen Licht als wir. Für sie war dies nur ein weiterer Fall, bei dem es Frankreich überlassen wurde, selbst weiterzukämpfen.

Die Royal Air-Force zog sich zurück, die Truppen verließen über Dünkirchen Frankreich, und die Franzosen gaben nach. Seinerzeit und unter den besonderen Umständen war die Entscheidung der Engländer richtig, aber eine 8 solche Entscheidung wird uns in der Zukunft nie wieder offenstehen. Raketen, ferngelenkte Geschosse und der gesamte schreckliche Apparat der modernen Kriegsführung würden den Kanal im Hinblick auf die'Verteidigung genau so bedeutungslos machen, wie ein Bach es im letzten Krieg war. Wenn wir einen russischen Ansturm in Europa nicht aufhalten können, dann ist Großbritannien verloren. Es würde, wenn die Russen an den Kanal kommen, keine Möglichkeit geben, allein weiterzukämpfen und mit den Amerikanern Europa wiederzuerobern. Wir mögen dies wissen, aber die Franzosen können nicht glauben, daß wir davon überzeugt sind, solange wir unsere Truppen nicht einer Europa-Armee unterstellen, sondern auf dem Recht beharren, uns wie die Amerikaner zurückzuziehen, so als wenn wir nicht ein Teil Europas wären. Der Schaden, den dieser britische Widerstand der französischen Moral zufügt, ist ungeheuer.

Organischer Weg zum Föderalismus

Wir wissen jedoch, daß die vier britischen Divisionen in Deutschland niemals zurückgezogen werden können. Wir wissen, daß die englischen Lufteinheiten in Deutschland bleiben müssen, und da wir diese Dinge nun wissen, was hindert uns daran, den logischen Schluß aus unserem Wissen zu ziehen? Es wird gesagt, daß im Commonwealth eine Abneigung gegen einen Beitritt zur Europa-Armee besteht. Niemand hat jedoch bisher den Beweis vorgelegt, daß irgendein Commonwealth-Staat zu irgendeiner Zeit Einwände gegen den Gedanken erhoben hat, daß Großbritannien der Europa-Armee beiträte. Auch würden keinerlei Gründe für einen derartigen Einwand vorhanden sein. Je stärker Großbritannien in Europa ist, desto stärker wird die Verteidigung des gesamten Commonwealth sein. Es wird weiter behauptet, daß es unmöglich sein würde, unseren überseeischen Verpflichtungen nachzukommen, wenn wir mit in dieser Europa-Armee wären. Selbst in dem gegenwärtigen Rahmen wurden Sonderbestimmungen für Länder wie Frankreich mit Verpflichtungen zur Verteidigung überseeischer Territorien erlassen. Niemand hat bisher vorgeschlagen, daß Überseestreitkräfte nach Europa zurückberufen werden müßten, oder daß sie nicht in Notzeiten verstärkt werden könnten. Der Vertrag geht noch weiter: Er sieht die Notwendigkeit vor, daß Truppen von Zeit zu Zeit sowohl im Falle einer internen Krise als auch bei Gefahr in Übersee aus der Europa-Armee zurückgezogen werden können.

Wenn Großbritannien seine Divisionen oder seine Luftstreitkräfte in Deutschland in eine Europa-Armee einbeziehen lassen würde, so könnte es seine Truppenteile auf Grund der Erfordernisse des Kriegs-oder Luftfahrtministe-riums auswechseln. Es müßte lediglich zulassen, daß diese Divisionen in internationale Korps einbezogen werden. Dies geschah auch im letzten Kriege, besonders in Italien. Es ist beabsichtigt, dies auch bei Ausbruch eines Krieges in Europa sofort durchzuführen. Im vergangenen Herbst wohnte ich Manövern in Deutschland bei, in deren Verlauf britische Truppenteile holländischem Kommando unterstellt und gemeinsam mit anderen ausländischen Einheiten zu einem internationalen Korps zusammengefaßt wurden, um für den Kriegsfall zu üben. Wenn dies im Kriegsfall durchgeführt werden soll, warum könnte es nicht sofort geschehen? Die britischen Divisionen am Rhein werden sowieso schon von einer 50 000 Mann starken deutschen Arbeitsorganisation bei einem großen Teil ihrer Versorgung unterstützt. Es besteht kein Zweifel, daß diese deutsche Arbeitsorganisation im Falle eines Krieges ein fester Bestandteil der britischen Armee in Deutschland werden würde. Es handelt sich lediglich um etwas mehr als eine Art Buchführung.

um die gegenwärtig in Deutschland stationierten Divisionen in eine Europa-Armee einzubeziehen. Feldmarschall Montgomery hat sich selbst für diese Maßnahme ausgesprochen, und niemand kann behaupten, daß dieser Gedanke.

der seine Unterstützung hat, militärisch undurchführbar wäre. Ich will nicht sagen, daß wir dem gegenwärtigen System beitreten sollen.

Aber wir wissen, daß dies aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern muß. Ich möchte lediglich Vorschlägen, daß Großbritannien die Initiative ergreifen und einen neuen Plan für eine andere Form der Europa-Armee einbringen sollte. Der gegenwärtige Vertrag würde dabei die Basis bilden, aber er müßte etwa im Rahmen der von mir aufgeführten Vorschläge abgeändert werden. Die eigentliche Tatsache der Bereitschaft Großbritanniens zum Beitritt würde die Länder des Kontinents zu den notwendigen Abänderungen veranlassen. Die neue Europa-Armee würde wesentlich fester als die NATO zusammengefügt und mehr im wirklichen Sinne international sein. Sie würde aber nicht so starrer Kontrolle wie die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ausgesetzt sein.

Es würde wesentlich leichter sein, als viele Politiker denken, dem englischen Volk die Notwendigkeit klarzumachen, daß Großbritannien sich auf diesem Wege mit Europa identifizieren sollte. Selbst der Daily Mirror, eine Zeitung, die meistens ziemlich genau die Gefühle der Bevölkerung zum Ausdruck bringt, befürwortete die Einbeziehung Großbritanniens in eine Europa-Armec. Für diejenigen, die eine deutsche Wiederaufrüstung fürchten, stellt dies den sichersten Weg dar, deutsche Streitkräfte zu kontrollieren, falls die Notwendigkeit für eine derartige Kontrolle auftreten sollte. Für diejenigen, die an eine internationale Polizeitruppe denken, würde eine internationale Armee dieser Art der erste Schritt hierzu bedeuten. Es ist bemerkenswert, daß auf einer kürzlichen Konferenz der europäischen sozialistischen Parteien zehn für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft stimmten und eine, nämlich die Deutsche Sozialdemokratische Partei, dagegen, die in befremdender Weise nicht bereit ist, deutsche Streitkräfte mit beschränkter Souveränität zu sehen, so wie es in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft sein würde. Dies ist ein weiterer Grund für Maßnahmen, bevor die deutsche Bereitwilligkeit schwindet, die Unterstellung deutscher Truppen unter internationale Kontrolle zuzulassen. Es könnte ein praktischer und organischer Weg zum Föderalismus sein. Auf alle Fälle entspricht dies jeder realistischen Analyse der politischen und militärischen Situation. Die Russen mit einem gemeinsamen Kommando über ihre eigenen und die Streitkräfte der Satelliten sind uns gegenüber sehr im Vorteil. Nur eine arbeitende und arbeitsfähige Europa-Armee mit Großbritannien würde uns eine den Russen entsprechende Bewegungsfreiheit geben. Europa würde auf diesem Wege stärker, weniger furchtsam vor der Sowjet-Union und weniger abhängig von Amerika werden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Woodrow Wyatt, Labour -Abgeordneter im Briti-tischen Parlament für den Wahlbezirk Ashton von Birmingham, Parlamentarischer Unterstaatssekretär und Finanzsekretär, Kriegsministerium Mai—Oktober 1951.