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Augenschein in Asien Eindrücke einer Rundfahrt | APuZ 19/1954 | bpb.de

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APuZ 19/1954 Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens Die Führung Westeuropas Großbritannien liegt in Europa Augenschein in Asien Eindrücke einer Rundfahrt

Augenschein in Asien Eindrücke einer Rundfahrt

Henry O. Brandon

Mit Genehmigung der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, veröffentlichen wir den folgenden Aufsatz von H, O. Brandon, erschienen in der Zeitschrift „AUSSENPOLITIK" (Heft 4/54).

Was den in Asien Reisenden wohl am meisten auffiel, war die Tatsache, wie sehr sich das Gefühl der Entspannung zwischen Ost und West, das sich zuerst in Europa bemerkbar gemacht hatte, im Fernen Osten ausbreitet.

Dieses Phänomen läßt sich vermutlich aus drei Hauptursachen erklären. Vor allem hat der Waffenstillstand in Korea und die Art und Weise, wie er schließlich zustande kam, die meisten asiatischen Führer davon überzeugt, daß sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch das kommunistische China irgendeine Form friedlicher Regelung einem in die Länge gezogenen Kriegszustand vorziehen. Mit Ausnahme der Drohungen Präsident Syngman Rees wird das von Zeit zu Zeit aus Washington oder Peking vernehmbare Donnergrollen durchaus nicht ernst genommen. Zweitens glaubt man hier allgemein, das kommunistische China hege für die nahe Zukunft keinerlei Absichten einer militärischen Aggression; es wünsche nicht, aufs neue mit den Vereinigten Nationen seine Stärke zu messen, vor allem aber benötige es alle seine Hilfsmittel und Kräfte zur Industriealisierung des Landes und zur inneren Festigung des Regi-mes. Diese beiden Ziele seien im Augenblick wichtiger als kriegerische Operationen, um Chinas Stellung als Weltmacht zu stabilisieren. Jedenfalls wächst in den Ländern Ostasiens der Glaube, das Ringen zwischen dem kommunistischen und dem nichtkommunistischen Asien werde auf wirtschaftlichem und nicht auf militärischem Gebiet entschieden. Zum mindesten gestatten die Gespräche mit führenden Persönlichkeiten in Pakistan, Burma, Malaya, Indochina und Japan Folgerungen dieser Art.

Die überall auf der Welt herrschende Sehnsucht nach Befreiung von der Furcht vor einer neuen Weltkatastrophe und von der chronischen Spannung des „Kalten Krieges“, die so oft eine mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit entsprechende Beurteilung der Lage erzeugt, scheint freilich auch in Asien das Denken vieler zu beeinflussen. Diejenigen, die heute noch immer von Plänen für ein „dynamisches Imschachhalten" des kommunistischen China sprechen, sind sich keineswegs darüber klar, daß sie bereits den Anschluß verpaßt haben, vorausgesetzt natürlich, daß die Erwartung, das kommunistische China beabsichtige in naher Zukunft keine neue Aggression, sich als richtig erweist.

Unterschiedliche Einstellung zum Kommunismus

Die Verschiedenheit der Beurteilung der kommunistischen Gefahr durch die westlichen und östlichen Staatsmänner wird zum wesentlichen Teil durch den Unterschied in der Einstellung zum Kommunismus als solchem begründet. Als ein amerikanischer Diplomat den Ministerpräsidenten eines kleinen asiatischen Landes fragte, ob er denn vergessen habe, was in Polen und der Tschechoslowakei geschehen sei und daß diese Staaten unter dem Kommunismus ihre Freiheit und Unabhängigkeit verloren hätten, machte dies auf den antikommunistischen Asiaten keinerlei tieferen Eindruck, denn in den Augen vieler asiatischer Menschen ist der chinesische Kommunismus durchaus nicht das gleiche wie der Stalinsche Imperialismus. Sie argumentieren, der Kommunismus in China müsse schon darum ein anderer sein als der russische, weil der Charakter der Chinesen zu allen Zeiten unwandelbar sei. Die Abneigung gegenüber den Fremden — und darum unvermeidlicherweise auch gegenüber den Russen — und der chinesische Individualismus, der dem Kommunismus fremd gegenübersteht, würden schließlich doch den Sieg davontragen.

Eine westliche Propaganda, die versuchen wollte, die Asiaten mit dem Kommunismus zu schrecken, indem sie ihnen das Schicksal Polens und der Tschechoslowakei vor Augen hielte, würde keinen Erfolg haben. Den meisten Asiaten bedeutet der Verlust der Freiheit und Selbstregierung wenig. Sie geben sich keine Rechenschaft darüber, welche Freiheiten sie verlieren könnten. Für die meisten unter ihnen bedeutet Freiheit lediglich die Freiheit, ihre Felder zu bestellen. D i e Freiheit aber, nach der die Menschen Asiens sich sehnen, ist — darüber sind wir uns viel zuwenig klar — die Freiheit von Korruption. Dies wird verständlich, wenn man beispielsweise in Saigon erfährt, daß Eltern die Beamten bestechen müssen, damit ihre Kinder zum Schulbesuch zugelassen werden. Im Gegensatz dazu herrscht die weitverbreitete Meinung, das kommunistische Regime in China habe die Korruption auf einen Stand zurückgedämmt, der zum mindesten im Orient als „normal“ betrachtet wird. In Japan wird des öfteren darauf hingewiesen — und zwar sowohl in Regierungs-wie in akademischen Kreisen —, daß das Regime Präsident Syngman Rhees in Südkorea genau so autoritär und grausam sei wie dasjenige in Nordkorea, ein Umstand, der das Vertrauen in die angebliche Förderung der Demokratie durch die Westmächte nicht eben erhöht.

Aber die Hauptschwierigkeiten für diejenigen, die im Fernen Osten den Menschen die Gefahr des Kommunismus zum Bewußtsein bringen wollen, liegt darin, daß es in Asien überhaupt an fundamentalen politischen Über-zeugungen fehlt. Für viele Menschen dort ist der Kommunismus einfach der rascheste Weg, die sogar von den kleinsten Ländern eifrig gewünschte Industrialisierung zu gewährleisten. Das kapitalistische System, das eine Industrialisierung auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis fordert, ist demgegenüber im Nachteil. Als wir diese Fragen mit Premierminister Nehru besprachen, erinnerte dieser an eine 1948 mit John Foster Dulles geführte Unterhaltung, in deren Verlauf der gegenwärtige Staatssekretär erklärte, er sei der Ansicht, das Ringen zwischen der freien und der kommunistischen Welt werde zugunsten desjenigen der beiden Gegner entschieden, der die Rohstoffe liefern könne. Das, so betonte Nehru mir gegenüber, stimme noch immer. Denn wenn es dem kommunistischen China gelänge, den Lebenststandard seiner Bevölkerung über denjenigen der Bevölkerung anderer Länder zu heben, so würden die asiatischen Völker, selbst auf die Gefahr hin, gewisse Freiheiten zu verlieren, für das kommunistische System gewonnen. Nehru erklärte, er vertraue darauf, daß Indien stark genug sein werde, dieser Herausforderung zu begegnen, jedenfalls zeigt es heute eine höhere industrielle Entwicklung als China.

Der Glaube, daß der wirtschaftliche Wettkampf um die Rohstoff-und Warenlieferungen mit der Zeit den militärischen in den Hintergrund drängen würde, führt die westlichen Diplomaten in Asien und mit ihnen so manche asiatische Staatsmänner zu der Meinung, das Hauptziel, das China heute auf diplomatischem Feld verfolge, sei, die Abschaffung des Handelsembargos der Vereinigten Nationen durchzusetzen. Peking habe Aussicht, angesichts des wachsenden Druckes von Seiten Japans und anderer Länder, die ihren Handel mit China zu intensivieren wünschen, dies Ziel zu erreichen.

Für einen Besucher aus dem Westen ist es erstaunlich, wie verhältnismäßig gering die Sorge ist, die man sich im Fernen Osten — ausgenommen natürlich in Korea, Formosa und Indochina — über die Expansion des chinesischen Kommunismus macht. Die chinesische Intervention in Korea wird hier nicht als Beweis einer aggressiven imperialistischen Politik angesehen; im Gegenteil wird immer wieder behauptet, daß die Chinesen sich erst gewaltsam in den koreanischen Krieg einmischten, als General MacArthur sich dem Yalu näherte. In Karachi bemerkten wir nur wenig Besorgnis hinsichtlich etwaiger chinesischer Truppenbewegungen längs der unzugänglichen pakistanischen Grenze, hingegen viel Unbehagen darüber, daß die Verhandlungen mit Indien über Kaschmir auf dem toten Punkt angelangt sind. Die Regierung von Pakistan ist an einer Allianz des Mittleren Ostens mit der Türkei, Irak und Iran nicht in erster Linie aus Furcht vor einer Verteidigungslücke im Mittleren Osten oder aus dem Bestreben, die Führung der islamischen Welt zu ergreifen, so eifrig interessiert — so verlockend dies alles auch sein mag —, sondern weil ein Mitwirken in der Verteidigungsallianz des Mittleren Ostens ihr das amerikanische Füllhorn öffnen und die Waffen verschaffen würde, die sie braucht, um in der Kaschmirfrage mit Indien mit größerem Nachdruck verhandeln zu können. Denn solange Indien eine Regelung dieser Frage ablehnt, fürchtet Pakistan, daß Delhi sich mit dem Prinzip der Teilung noch nicht abgefunden hat. Diese Feststellung soll indes die nützliche Rolle, die Pakistan zur Stärkung des Mittleren Ostens spielen könnte, nicht abschwächen.

Immerhin, mag man auch in Indien, Burma und — vielleicht etwas weniger ausgesprochen — in Pakistan die Gefahr einer kommunistischen chinesischen Expansion für übertrieben halten, so ist man mit der amerikanischen Politik des Containment dennoch stillschweigend einverstanden. Der burmesische Premierminister U Nu verläßt sich darauf, daß Peking wohl weiß, daß die Neutralitätspolitik seiner Regierung eine wohlwollende Neutralität bedeutet und daß jede offenkundige aggressive Handlung Burma unverzüglich ins Lager der Westmächte führen müßte, was China wohl nicht eben gern sehen würde.

Es gibt in Indochina keine Beweise, daß China auch in dieses Land „Freiwillige“ gesandt hätte, die an der Seite Ho Chi Minhs kämpfen. Die Unterstützung von Seiten des kommunistischen China beschränkt sich auf die Schulung von Vietminh-Offizieren und die Lieferung von Kriegsmaterial. Ob Peking darüber hinaus Hilfe gewähren würde, falls das Kriegsglück sich gegen die Kommunisten entscheiden sollte, bleibt abzuwarten; doch nimmt man im allgemeinen nicht an, daß China sich aktiv einmischen werde. Noch ist dieser Krieg ja kein Bürgerkrieg, wie es in Korea der Fall war, wo die Südkoreaner gegen ihre nördlichen Brüder ausgesprochene Haßgefühle hegen. Zwischen den gegnerischen Vietnamesen besteht kein Haß. In Thailand können sich die Vereinigten Staaten noch auf die Amerika-freundlichkeit der gegenwärtigen Regierung verlassen, nicht aber auf ihre öffentliche Unterstützung, und diese Regierung scheint — nicht wegen ihrer Amerikafreundlichkeit, sondern unter anderem wegen der Korruption in diesem Lande — so unsicher zu stehen wie ein Kartenhaus. Genau wie es mit Deutschland in Europa der Fall war, so erholt sich in Asien Japan rasch vom Elend des Krieges. Das Volk, das in mancher Hinsicht den Deutschen ähnelt, liebt harte Arbeit und Disziplin und befindet sich hinsichtlich der Aufrüstung noch in einer verworrenen Lage, genau wie die Deutschen vor zwei Jahren.

Als ich Premierminister Yoshida fragte, ob nicht die Furcht vor dem kommunistischen China in der Öffentlichkeit ein Ansporn für eine Wiederaufrüstung sein könnte, antwortete er mir mit einem überzeugten „Nein“. Er sagte: „Wenn es einen Ansporn dafür gibt, so ist es Präsident Rhees Willkür gegenüber den japanischen Fischern“. In Yoshida besitzt Japan einen führenden Staatsmann, der in mancher Hinsicht mit Dr. Adenauer verglichen werden darf. Beide haben die gleiche Neigung, möglichst viele Kompetenzen ihrer amtierenden Regierung in die eigenen Hände zu nehmen, doch ist Yoshida weniger erfolgreich in der Einigung der konservativen Parteien zur Unterstützung seines Regierungsprogramms gewesen. Die Folge davon war, daß es seiner Regierung — genau wie der französischen —, nicht gelungen ist, die Zustimmung des Parlaments zu den drastischen Finanzmaßnahmen zu erhalten, die nötig wären, um Japan aus einer wirtschaftlichen Sackgasse herauszumanövrieren.

Japan hat seine wichtigen Bergwerke und landwirtschaftlichen Hilfsquellen in der Mandschurei und in Korea verloren und ist gezwungen, Kohle und Erze aus den Vereinigten Staaten zu importieren. Die Besetzungspolitik General MacArthurs hat die Gewerkschaften gestärkt, und die Arbeitslöhne sind beträchtlich gestiegen, ebenso die Preise. Die Japaner, deren wirtschaftlicher Wohlstand von ihrem Export abhängt, haben es heutzutage schwer, mit der Konkurrenz auf den Weltmärkten zu wetteifern, und so winkt ihnen der verlorene Markt in China — obgleich niemand weiß, wie er sich unter dem Kommunismus entwickeln würde — verheißungsvoll wie eine verbotene Frucht.

Mehr gefährdet als Europa

Das Prestige des kommunistischen China als wachsender Militärmacht ist in Asien im Steigen, doch herrscht weitherum die Ansicht, Mao Tse-tung habe noch immer große Schwierigkeiten mit der inneren Einigung und Industrialisierung des Landes. Da er selber bäuerlicher Herkunft ist, scheint er sich bewußt zu sein, daß eine überstürzte Einführung der Kollektivwirtschaft im Land die Opposition der Bauern hervorrufen würde, die gemeinsam mit der Bürokratie sein Rückgrat bilden. Als der bäuerliche Unwille über die unbarmherzige Besteuerung drohend wurde, führte er Erleichterungen ein. Anderseits aber läßt sich, nach zuverlässigen Berichten, der Fünfjahrplan nur äußerst langsam verwirklichen. Und wenn die Steuern herabgesetzt werden, beginnt ein circulus vitiosus, denn es wird der Regierung schwer fallen, das nötige Geld zur Investierung für den Fünfjahrplan aufzutreiben. Man glaubt, daß die Regierung in Peking angesichts dieser internen Probleme neue militärische Abenteuer vermeiden will.

Doch weder Nehru noch irgendein anderer führender Staatsmann in Asien gibt sich einer Illusion darüber hin, daß der Kommunismus nicht den Versuch mache, die Herrschaft Asiens mittels langsamer Zersetzung, psychologischer Kriegführung und Förderung der „Volksfronten“ schließlich doch noch zu erringen. Die so-genannten freien Völker Asiens — auch die Japaner möchten sich zu ihnen rechnen — würden sich am liebsten abseits vom Ringen zwischen den Kräften des asiatischen Kommunismus und derjenigen Amerikas halten, das noch lange die Situation im Fernen Osten bestimmen wird.

Amerika wird dank seiner Überlegenheit Asien zum mindesten militärisch, möglicherweise auch politisch beherrschen können, falls die amerikanische Politik mit jener Subtilität geführt würde, die gegenüber Völkern, deren Unerfahrenheit in der Weltpolitik sie doppelt empfindlich gegenüber den „Stockschlägen“ des Überlegenen macht, vonnöten ist. Sie haben alle noch viel über die Gefahren ihres Rassen-Chauvinismus und des Kommunismus zu lernen. In manchen Ländern wird der Kommunismus als eine starke, vielleicht gefährliche, radikale interne Bewegung angesehen, in anderen erscheint er als eine versteckte Drohung des chinesischen Imperialismus.

Für Japan bedeutete er die alte russische Gefahr in neuer Form. Niemand aber hält ihn für eine gründlich vorbereitete Verschwörung zum Zwecke der Erringung der Weltherrschaft. Die Versuche der Westmächte, diesen Tatbestand aufzuzeigen, werden oft nur für eine List gehalten, die Asien, dem man auf diese Weise ein nichtvorhandenes Schreckgespenst an die Wand male, enger an den Westen binden wolle. Aus allen diesen Gründen ist Asien heute durch die kommunistische Expansion bedeutend mehr gefährdet als Europa.

Vorbeugende Politik der Westmächte

Angesichts der Bedrohung Asiens durch das kommunistische China wird die Frage, welche verbeugende Politik die Westmächte demgegenüber verfolgen sollten, immer akuter. Bis jetzt wurden in dieser Hinsicht zwei Pläne ins Auge gefaßt und in der Öffentlichkeit diskutiert: einmal die sogenannte Radford-Doktrin, deren Ziel es ist, eine Konsolidierung des kommunistischen Regimes zu verhindern. Sie beruht weitgehend auf dem Festhalten an möglichst strengen Handelsembargos gegenüber dem kommunistischen China und betrachtet die Seeblockade der chinesischen Küste als wirksamstes Mittel. Der zweite Plan stellt eine neue Version der Nordatlantik-paktorganisation, also eine Pazifikorganisation, dar.

Die Radford-Doktrin des „dynamischen In-schachhaltens" könnte nur dann uneingeschränkt angewandt werden, wenn China neue Akte offenkundiger Aggression beginge. Da der Wettbewerb um die asiatischen Märkte zwischen Deutschland, Japan, den Vereinigten Staaten und Großbritannien immer intensivere Formen annimmt, so dürfte auch der Druck, die Handels-schranken gegenüber China zu lockern, über kurz oder lang unwiderstehlich werden. In Japan, das geographisch China am nächsten liegt und in der Vergangenheit naturgemäß die meisten Handelsbeziehungen mit diesem Lande unterhielt, sind die Forderungen der Industrie nach einer Wiederaufnahme dieser Beziehungen besonders dringend. Eine führende Persönlichkeit einer japanischen Stahlfirma hat den japanischen Standpunkt in dieser Frage mir gegenüber wie folgt formuliert. „Es geht nicht an, daß die Vereinigten Staaten einerseits ihre wirtschaftliche Hilfe herabsetzen und es ablehnen, ihre Tarif-schranken abzubauen, und andererseits versuchen, uns vom Handel mit China, unserem wichtigsten Rohstofflieferanten und unserem traditionellen Absatzmarkt fernzuhalten". Als eine Politik auf weite Sicht — unter der Voraussetzung natürlich, daß China kriegerische Handlungen vermeidet — hat daher die Politik der Rad-ford-Doktrin keine große Aussicht, die notwendige Unterstützung durch die wichtigsten Alliierten der Amerikaner zu finden.

Aber auch hinsichtlich der Verwirklichung eines Pazifikpaktes bestehen keine großen Hoffnungen. Bereits gibt es ja ein — wenn auch unvollkommenes — Netzwerk von Verteidigungsabkommen im Pazifik, den sogenannten „Anzus“ -Vertrag an dem die Vereinigten Staaten und Neuseeland, die Philippinen und Japan beteiligt sind, während der gegenseitige Beistandspakt zwischen den Vereinigten Staaten und Südkorea vom Kongreß noch nicht wurde. ratifiziert Bis jetzt scheinen die Vereinigten Staaten sich mit diesen Abkommen begnügen zu wollen und betrachten deren Erweiterung als möglicherweise eher hemmend denn fördernd. Sie besitzen Stützpunkte in Japan, Südkorea, auf Formosa und den Philippinen, und ebenso ist ihnen für den Notfall der freie Zugang nach Indochina und Thailand gesichert. Nach Ansicht der militärischen Führer Amerikas, die den letzten Krieg im Pazifik im Grund allein zu führen'hatten, würde dagegen ein Pazifikpakt ihnen eher die Hände binden, als Vorteile verschaffen. Vom politischen Standpunkt aus wäre freilich eine Art pazifischer Gemeinschaft erwünscht, doch bringt die Verschiedenheit der politischen Standorte der einzelnen asiatischen Länder Probleme mit sich, die — jedenfalls im gegenwärtigen Augenblick — nicht gelöst werden können.

Amerikas Politik des passiven Inschachhal-

tens der Kräfte in Asien erfreut sich zur Zeit der allgemeinen, wenn auch zum Teil schweigenden Zustimmung der nichtkommunistischen asiatischen Staaten. Aber es gibt viele kritische Hinweise darauf, daß es sich dabei lediglich um einen Notbehelf handle und daß die Vereinigten Staaten einfach darauf warten, daß China einige Vernunft zeigen werde, während nach der Meinung anderer Beobachter China gegenüber den Vereinigten Staaten auf das gleiche warte.

Englische Geschäftsleute, die früher einige der größten internationalen Handelsfirmen in China leiteten, sind heute geteilter Meinung hinsichtlich der besten Politik des Westens gegenüber Peking. Sie bekunden zumindest eine gewisse theoretische Sympathie für die Radford- Sie bezweifeln, daß es möglich sei, mit der kommunistischen chinesischen Regierung vernünftige geschäftliche Beziehungen zu unterhalten, und daß diese sich als genügend vorteilhaft erweisen würden, um die Bemühungen um sic zu rechtfertigen. Schließlich fragen sie sich, ob angesichts eines erstarkenden China das Anwachsen des Kommunismus in Asien zum Stillstand gebracht werden könne und ob er nicht lieber mit allen Mitteln bekämpft werden sollte.

Aber sie glauben nicht, daß eine politische und wirtschaftliche Isolierung das kommunistische Regime ernstlich bedrohen dürfte, selbst wenn dadurch seine Entwicklung verlangsamt würde.

Sie halten es für aussichtsvoller, zu versuchen, Nutzen aus den möglichen Schwächen des chinesisch-russischen Bündnisses zu ziehen. Die englische Regierung gibt sich jetzt keinerlei Illusionen hinsichtlich der zukünftigen Handelspolitik der kommunistischen chinesischen Regierung mehr hin. Sie erwartet, diese werde dem Beispiel aller andern kommunistischen Länder folgen, und das bedeutet: internationalen Tauschhandel und Handel über Regierungsämter, nicht mit ausländischen, im Lande ansässigen Firmen.

Wohl waren, so wird argumentiert, die früheren englischen Interessen in China wichtig, doch sind sie nicht so wichtig wie die englischen Experte.

Mit anderen Worten: vom Standpunkt der Engländer aus gesehen ist der Handel m i t China wichtiger als der Handel i n China.

Unsicherheitsfaktor Amerika

Ein Unsicherheitsfaktor in Asien ist die Ungewißheit über die künftige Richtung der amerikanischen Politik. Die vielen anderen widersprechenden Stimmen, mit denen die amerikanische Regierung so häufig spricht, unterminieren das Vertrauen in die führenden Persönlichkeiten Amerikas. In einer aus dem Gleichgewicht geratenen Welt, die die Macht der Vereinigten Staaten fürchtet, herrscht — und dies vor allem in Asien —die Neigung, die am schrillsten tönenden Stimmen aus Washington für maßgebend zu halten. In Japan beispielsweise, wo es eine alte Tradition der Geheimdiplomatie gibt, herrscht wenig Verständnis dafür, daß die amerikanische Demokratie das Bedürfnis hat, laut und vernehmlich zu denken.

Asiatische Nationen, von denen manche erst kürzlich ihre Selbständigkeit erlangt haben, bringen es fertig, ihre Türen zuzuschlagen, wenn sie zu impulsiv umworben werden. Oder sie sind erstaunlich rasch beleidigt, wenn man sie auf Fehler aufmerksam macht.

Doch auf weite Sicht wird das Inschachhalten des Kommunismus in erster Linie eine Ausgabe der asiatischenVölker selber sein. Von diesem Tatbestand sollten sich die Entschlüsse der westlichen Politiker leiten lassen. In der Zwischenzeit wird freilich die Politik des Westens gegenüber Asien nicht nur von den Ereignissen auf diesem Kontinent, sondern auch von anderweitigen Veränderungen beeinflußt. Da die Sowjetunion eine europäische wie eine asiatische Macht ist, könnte die russische Politik in Europa möglicherweise durch die Geschehnisse in Asien mitbestimmt werden. Deshalb haDoktrin. ben sich England und andere europäische Länder gegen jedwede Maßnahme ausgesprochen, die — wie beispielsweise eine Blockade der chinesischen Küste — Rußlands Teilnahme an einem Krieg in Asien bedingen würde, weil sie fürchteten, diese Teilnahme bliebe nicht auf Asien lokalisiert.

Beobachter in Hongkong waren der Meinung, Peking überlasse, wenn auch nur widerwillig, die Herrschaft über Port Arthur den Russen, weil dies den Westen davor abschrecke, eine Blockade gegenüber China durchzuführen.

Somit dürfte, wie mir Ministerpräsident Yoshida selbst sagte, Asien noch mehrere Jahre lang ein Vakuum darstellen, was zur Folge haben wird, daß die Vereinigten Staaten im allein Kräfte Grunde ganz das Gleichgewicht der aufrechtcrhalten müssen. Angesichts dieser Sachlage sind sie auf die China zunächst gelegenen Stützpunkte, wie Japan, Formosa, Südkorea, Thailand, angewiesen, deren Wert umstritten sein dürfte, weil sie, mit Ausnahme von Japan, von Persönlichkeiten beherrscht werden, die bei den Massen der asiatischen Völker wenig Achtung und Unterstützung genießen.

Immerhin würde sich die Politik des Westens — sofern ein vernünftiges und wirksames Gleichgewicht der Kräfte in Asien geschaffen werden kann — auf lange Sicht wohl am besten auf eine indisch-japanische Entente stützen, die sich der Sympathie und Rückenstärkung der Vereinigten Staaten und Großbritannien erfreuen müßte. Eine solche Entente wäre im wesentlichen eine asiatische Angelegenheit. Sie würde von den Völkern Asiens nicht als ein feindseliges Unternehmen empfunden werden und demzufolge ihre Unterstützung genießen.

Angesichts der gegenwärtigen indischen Politik der Nichteinmischung scheint dieser Gedanke freilich nicht eben realistisch zu sein, aber ich zweifle daran, ob Indien in dem Maße, in dem es wirtschaftlich und militärisch erstarken wird, geneigt sein wird, seine heutige Politik fortzuführen. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben, nachdem sie ihre Unabhängigkeit erreicht hatten, zunächst eine Politik der Neutralität verfolgt. Daher braucht Indiens gegenwärtige Haltung die Amerikaner nicht allzu-sehr in Erstaunen zu setzen. Als die Macht Amerikas zunahm, konnte es sich der Verantwortlichkeit und Teilnahme am Weltgeschehen nicht länger entziehen. Und ebensowenig wird sich Indien dieser Teilnahme entziehen können.

Gegenwärtig verfolgt Premierminister N e h -

r u eine Außenpolitik des Nebeneinander mit dem kommunistischen China, während er innenpolitisch die Ausbreitung des Kommunismus offen und mit mehr Nachdruck bekämpft als manche westlichen Länder. Er glaubt, daß diese Politik es ihm ermöglichen werde, Indien zu einer Wirtschaftsmacht zu machen, was schließlich auch die militärische Stärke des Landes steigern würde. Auf dem Gebiet der Weltpolitik hat seine Neutralitätspolitik es ihm gestattet, eine nützliche Rolle als Vermittler zwischen den Vereinigten Staaten und China zu spielen, und die Inder sind stolz darauf, daß der Einfluß und das Prestige ihres Landes in der internationalen Politik in kurzer Zeit so beträchtlich zugenommen hat. Wie lange es Indien noch möglich sein wird, bei dieser Neutralitätspolitik zu bleiben, bleibt abzuwarten. Jedenfalls beobachten andere asiatische Staaten mit Interesse den Erfolg oder Mißerfolg dieser Politik, die auf die Haltung des übrigen Asien einen beträchtlichen Einfluß ausüben könnte. Vielleicht wird Indien früher oder später seine jetzige Politik dennoch aufgeben müssen. Vielleicht wartet es nur darauf, einen anderen asiatischen Bundesgenossen zu finden, um gemeinsam mit ihm das Gleichgewicht der Kräfte gegenüber der chinesischen Expansion zu wahren.

Japan blickt heute auf den asiatischen Kontinent in ähnlicher Weise wie England auf Europa. Es fühlt sich als Teil dieses Kontinents und betrachtet sich dennoch nicht als solchen. Seine natürlichen Interessen verweisen es auf China, doch zugleich kann es dem Gedanken gegenüber, von China in allzu große Abhängigkeit zu geraten und sich dadurch wirtschaftlicher und politischer Erpressung auszusetzen, nicht gleichgültig sein. Es wird sich deshalb gezwungen sehen, verschiedenartige Interessen zu verfolgen und seinen Blick auf Südostasien, vor allem auf Indien und Pakistan zu richten, die den anderen Pfeiler des Sicherheitssystems bilden. Es bestehen keine schwerwiegenden Gründe dagegen, daß Indien und Japan Verbündete werden.

Sie dürften manches gemeinsam haben und einander in dem, was ihnen nicht gemeinsam ist, ergänzen. Ihre Interessen decken sich entweder oder sie passen sich einander in erstaunlicher Weise an. Es besteht in Indien keine Feindschaft gegenüber Japan, wie sie in jenen Teilen Asiens, die unter der grausamen japanischen Besetzung zu leiden hatten, herrscht. Auf wirtschaftlichem Gebiet ergänzen ihre Handelsinteressen sich eher, ajs daß sie einander konkurrieren. Japan vermag viel zur Industrialisierung Indiens beizutragen, und militärisch haben beide Länder ein gemeinsames Interesse daran, die chinesische Expansion in Schach zu halten.

Wenn Europa jahrzehntelang warten mußte, bis die Vereinigten Staaen bereit und imstande waren, sich auf eine Bündnispolitik einzulassen. so ist wohl auch Indien gegenüber Geduld vonnöten. Die Herstellung des Gleichgewichts in Asien dürfte fünf bis zehn Jahre erfordern. Inzwischen stellt sich den Staatsmännern des Westens das Problem, auf welche Weise das russisch-chinesische Bündnis zugleich in Schranken gehalten und gelockert werden könne und wie man den asiatischen Völkern gegenüber mit Geduld und Festigkeit aufzutreten habe, ohne in die Rolle des Befehlenden zu verfallen oder sich von ihnen befehlen zu lassen.

Indochina

Wenn auch unter französischen Offizieren in Indochina viel von einem Waffenstillstand die Rede ist, so fand ich bei ihnen dennoch keinerlei klare Vorstellungen darüber, auf welcher Basis ein Friedensvertrag zustande kommen könnte. Falls die Genfer Verhandlungen praktisch irgendwohin führen sollten, wäre der erste weitere Schritt natürlich ein Waffenstillstand. Es könnte in diesem Falle keine Demarkationslinie geben, wie sie in Korea besteht; es müßten ihrer viele sein, die von besonderen Waffenstillstands-Kontrollkommissionen zu überwachen wären. Das würde vermutlich keine leichte Aufgabe sein. Zweifellos hätte jedoch ein Waffenstillstand gewisse Vorteile für die Franzosen. Ho Chi Minhs Truppen verfügen wohl über einige ständige Kader, bestehen jedech zum großen Teil aus Freiwilligen, die sich aus den Vorräten des Landes verpflegen und mit Reis entlohnt werden. In der Mehrzahl besitzen sie nicht einmal Uniformen. Solche aus Freiwilligen bestehende Streitkräfte während längerer Zeit mobilisiert zu halten — und es ist angesichts der endlosen Verhandlungen über den Waffenstillstand in Korea anzunehmen, daß es sich um viele Monate handeln würde ist schwierig. Es ist wahrscheinlich, daß der größere Teil von ihnen auseinanderfallen würde. Auf der anderen Seite stellen die französischen und vietnamesischen Truppen eine disziplinierte, vortrefflich organisierte Armee dar, die — selbst nach Beendigung der Kampfhandlungen — viel leichter intakt zu halten wäre.

Im übrigen vermochten sich natürlich auch die politischen Konzessionen, die die Franzosen machten, indem sie Vietnam im Rahmen der französischen Union die Selbständigkeit anboten, infolge der massiven Anwesenheit der französischen Armee noch nicht recht auszuwirken.

Dies wurde mir besonders deutlich, als mich überzeugt anti-vietminhische katholische Studenten der Universität Hanoi mit einem merklichen Unterton des Zweifels fragten, ob ich glaubte, die Franzosen meinten ihr Unabhängigkeitsangebot ehrlich. Dieser Zustand scheint mir ernstliche Nachteile mit sich zu bringen, denn es hängt viel davon ab, daß jene Vietnamesen, die sich Ho Chi Minhs Truppen angeschlossen haben, weil sie für die Freiheit, nicht aber für den Kommunismus kämpfen wollen, sich davon überzeugen, daß sie ihr eigentliches Ziel bereits erreicht haben.

Was die Bewahrung eines friedlichen Vietnam vor dem kommunistischen Einfluß anbelangt, so ist in dieser Hinsicht einer der heikelsten Punkte die Tatsache, daß KaiserBaoDai, unter dessen Aegide die Westmächte eine Wiedervereinigung der Vietnamesen erhoffen, ein verhältnismäßig schwacher Mann ist, der nur sehr beschränkte Sympathien in seinem Volk genießt, während Ho Chi Minh, ein grausamer, anmaßender, durch die kommunistische Schule gegangener Führertyp, zur legendären Figur wurde.

Wie populär er in Wirklichkeit ist, läßt sich heute nur schwer sagen, aber Kommunisten seines Schlages haben ihre eigenen, ganz bestimmten Wege, die Macht zu usurpieren. Zwar hat Bao Dai gegenwärtig an Macht gewonnen, doch als ich die Studenten in Hanoi fragte, was sie von ihm hielten, äußerten sie sich eher entschuldigend als im eigentlichen Sinne positiv. Es wäre denkbar, daß Ho Chi Minh dahin zielt, die Einsetzung einer Volksfrontierung durchzusetzen;

das aber wäre zweifellos für die Interessen des Westens das Schlimmste.

In W a s h i n g t o n ist jedenfalls der Gedanke an Waffenstillstandsverhandlungen mit Ho Chi Minh alles andere als populär. Doch genau so, wie die öffentliche Meinung Amerikas ungeduldig nach einem Waffenstillstand in Korea verlangte, fordert die öffentliche Meinung Frankreichs die Beendigung des Blutvergießens in Indochina, denn es herrscht das Gefühl, es werde dort, wie die Franzosen sagen, „pour le roi de Prusse" gekämpft. Das heißt, nicht in ihrem eigenen Interesse, sondern im Sinne eines internationalen Unternehmens, um den Kommunismus daran zu hindern, ganz Südasien zu verschlingen.

Bis vor kurzem war es für die Regierung der Vereinigten Staaten verhältnismäßig einfach, ihren Bürgern zu versichern, die Franzosen würden bis zum Endsieg kämpfen; ebenso fiel es den Franzosen nicht allzu schwer, mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung im eigenen Lande ihren Wunsch nach Verhandlungen zu betonen und zugleich das scheinbar endlose Ringen fortzusetzen.

Jetzt ist aber eine bedeutend heiklere Phase erreicht. Früher oder später könnte sich daher der Westen in Indochina einer Situation gegenübergestellt sehen, die vielleicht noch schwieriger wäre als der Stand der Dinge in Korea.

* Auf der Konferenz in Genf Ende April wird die Welt eine klarere Idee von den kommunistischen Absichten in Asien gewinnen können. Sie wird vielleicht französische Hoffnungen bestätigen, daß das Peking-Regime begierig ist, eine Milderung des Wirtschaftsembargos der Ver-einten Nationen durch „ehrenhafte" Waffen-stillstandsbedingungen für Frankreich in Indochina zu erkaufen, oder sie kann die Ansicht der Vereinigten Staaten rechtfertigen, daß China kein Interesse an einer Entspannung in Asien habe.

Jedenfalls bedeutet die Genfer Konferenz für das kommunistische China einen Fuß in der Tür zur Arena der Diplomatie der großen Mächte. Amerikas Zustimmung, den Indochinakrieg zu diskutieren, überschreitet Verhandlungen mit einem Kriegführenden, wie sie im Fall Korea erfolgen. Weder China noch die Vereinigten Staaten sind direkte Teilnehmer am indochinesischen Konflikt. Und so sehr auch die Zustimmung von Dulles, über Indochina in Genf zu sprechen, ihm durch Bidault auferzwungen war (der dieses Zugeständnis dem amerikanischen Außenminister entringen mußte, um der Abgeordnetenkammer gegenübertreten zu können), so stellt sie doch eine schweigende de facto Anerkennung des kommunistischen China durch die Vereinigten Staaten dar. Dies ist der erste Schritt auf einem langen, gewundenen Pfad, der zur Anpassung der amerikanischen Fernostpolitik an die Realitäten führt. Er bedeutet nicht, daß die Vereinigten Staaten in der nahen Zukunft China anerkennen oder sich leicht mit der Zulassung Pekings zur UNO abfinden werden. Amerika wird, wenn in Genf einiger Fortschritt zu verzeichnen ist, anfangen, nach einer Art von Beziehung zu tasten, wie es sie zu Rußland in den zwanziger Jahren unterhielt. Eine Beziehung, die auf wirtschaftliche und kulturelle Berührungen beschränkt war, aber vor der diplomatischen Anerkennung halt machte.

Die Genfer Konferenz wird wahrscheinlich Korea das gleiche bringen, was die Berliner Verhandlungen für Deutschland brachten: Die Einigung, die Spaltung des Landes fortzusetzen. Was Indochina betrifft, so ist es schwierig, sich vorzustellen, wie eine befriedigende Lösung gesunden werden kann, obwohl die Franzosen einige mächtige Karten gegen Peking auszuspielen haben. Sie könnten zum Beispiel Peking anbieten, Chinas Zulassung zu den Vereinten Nationen zu unterstützen, wenn Peking im Austausch dafür befriedigende Waffenstillstandsbedingungen mit Ho Chi Minh „vermitteln“ würde.

Solch ein Angebot würde allerdings die französische Politik in einen Gegensatz zur amerikanischen Position bringen. Mr. Dulles wird, durch den Kongreß gefesselt, nach Genf gehen. Wie Walter Lippmann es ausdrückt, werden die Vereinigten Staaten in Genf unwillig erscheinen, in Indochina zu kämpfen und unfähig zu verhandeln. Der Kongreß ist, im Gegensatz zu den Ansichten des Staatsdepartments und Verteidigungsministeriums, kaum gegen einen Waffenstillstand gerichtet, denn er ist auch besorgt, daß die Vereinigten Staaten in einen nicht zu gewinnenden Krieg auf dem asiatischen Festland hineingezogen würden; aber gleichzeitig hat der Kongreß Dulles gemahnt, daß er dem kommunistischen China keine Zugeständnisse machen dürfe. Nichtsdestoweniger wird die Genfer Konferenz einen langsamen, zögernden und unbeständigen Prozeß der politischen Anpassung an die Realitäten in Asien einleiten, und das gilt ebenso für das kommunistische China wie für die Vereinigten Staaten von Amerika. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Hans Asmussen:

„Der theologische Standort für eine evangelische Stellungnahme zum Europaproblem'1

Franziska Baumgarten-Tramer: „Charakter und Demokratie"

Bruno Brehm: „Vor vierzig Jahren"

Zur Erinnerung an Serajevo — aus österreichischer Sicht Bernhard Brodie: „Atomwaffen:

Strategie oder Taktik?"

Freiherr von der Heydte: „Freiheit und Sicherheit in der modernen Demokratie"

G. F. Hudson:

„Zwischen Berlin und Genf"

Artur W. Just: „Situation der Volksrepublik China"

Kurt Georg Kiesinger: „Haben wir noch den Bürger?

Die Problematik des Parteienstaates Adelbert Weinstein: „Die Verteidigung ist unteilbar"

Deutsche Gespräche „Die Vollmacht des Gewissens" über den Widerstand: Die Rechtslage im Terrorstaat Der Landesverrat Das Widerstandsrecht Der Eid (Europäische Publikation Nr. 4— 7)

Eine Zusammenstellung „Im Brennpunkt Zeitgeschichte"

der aktuellen politischen Literatur:

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. F. v. Globig. Der verhinderte Pazifikpakt »Außenpolitik“, Jan. 1954 u. Beilage des „Parlament" B VIII/54 3. März 1954. (Red.)

Weitere Inhalte

Henry O. Brandon ist Korrespondent der Londoner „Sunday Times“ in Washington. Die hier vorgelegten Berichte über Asien sind, mit Ausnahme des letzten Teiles über die Genfer Konferenz, zuerst in der „Neuen Zürcher Zeitung“ veröffentlicht worden.