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Zur Geschichte und Bedeutung des 20. Juli | APuZ 39/1954 | bpb.de

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APuZ 39/1954 Partnerschaft für den Frieden Zur Geschichte und Bedeutung des 20. Juli

Zur Geschichte und Bedeutung des 20. Juli

Helmut Krausnick

Den folgenden Ausführungen liegt ein Vortrag zugrunde, der am 20. Juli 1954 im Rahmen einer Feierstunde gehalten wurde, die der Kreisjugendring in Saulgau/Württ. veranstaltete.

In seinem Buche „Geist der Freiheit“ hat Eberhard Zeller den 20. Juli das einzige sinnbildliche Ereignis unserer Zeit genannt. Wir werden zu erkennen haben, worin dieser symbolische Charakter des Ereignisses liegt. Zunächst dürfen wir eines feststellen: Es handelt sich beim 20. Juli nicht in jener Art und jenem Grade um einen „historischen" Vorgang, wie etwa bei dem 18. Januar 1871, dem 9. November 1918 oder dem 30. Januar 1933. „Der 20. Juli" enthält eine im weitesten Sinne politische Problematik, die trotz seines äußeren Fehlschlages uns als Volk und als Menschen schlechthin auch heute nicht losläßt; er ist ein zukunftsträchtiges Ereignis in der vollen Bedeutung des Wortes, das uns zur Stellungnahme zwingt. Wer aber gewissenhaft zu ihm Stellung nehmen will, muß gleichsam ein Bekenntnis ablegen. Denn das Ereignis rührt an letzte Fragen des Menschlichen überhaupt. Eine klärende Auseinandersetzung mit seinem inneren Gehalt, seinen zeitlosen Problemen ist Voraussetzung dafür, fortwirkende Konflikte zu lösen und Entscheidungen recht zu treffen, vor die wir heute oder in Zukunft gestellt werden. Der Pädagoge Erich Weniger sagt: . Lassen wir das Urteil in der Schwebe, können wir nicht in allen wesentlichen Bezügen zu einheitlichen Überzeugungen gelangen, so wird es auch schwerfallen, über die künftigen Wege des deutschen Volkes ins reine zu kommen."

Und worin liegt nun die Sinnbildlichkeit des Ereignisses? Ich meine, vor allem in dem Zeichen eines aktiven Protestes, das Männer verschiedenster politischer Einstellung vor der Welt aufgerichtet haben als bewußte Abkehr Von Wesen und Handeln ihrer sittlich entarteten Staatsführung, und zwar aufgerichtet haben ohne Gewähr für den äußeren Erfolg, ohne Rücksicht auf ihren Ruf und Nachruhm, letztlich aus einem Gebot des Gewissens heraus. Dieses Sinnbild, verschweigen wir es nicht, ist heute gefährdet. Gefährdet nicht nur durch die Trägheit des Herzens, ein schnelles Vergessen, durdi leichtfertiges Verkennen oder gar böswilliges Verzerren der entscheidenden Beweggründe der Beteiligten. Es ist, und zwar begreiflicherweise, vielleicht am meisten deshalb gefährdet, weil wir rückschauend nur schwer den einzigartigen Umständen gerecht werden können, unter welchen es zu der Tat des 20. Juli kam. Die Gefahr besteht, daß wir, je mehr wir uns zeitlich von dem Zustand der damaligen Rechts-und Staatsentwicklung entfernen, das Ereignis mit falschen Maßstäben messen. Dies gilt vor allem für eine nachwachsende Generation. Mit einem Wort: der Ausnahmecharakter der Umstände und der Gewissenslage, die zu diesem Ereignis geführt haben, muß erkannt und verstanden werden. Dabei dürfen wir die außergewöhnliche Natur der Tat selbst durch keine Umschweife beschönigen oder entstellen. Das beispiellose Faktum etwa, daß hier Offiziere gegen das Staatsoberhaupt und ihren soge-nannten Obersten Kriegsherrn, dem einen sie Eid geleistet hatten, die Waffe erhoben, muß vielmehr in seiner ganzen Bedeutung erkannt und erwogen werden. Wir wollen es uns nicht so leicht machen, darauf hinzuweisen, daß sich unter den Männern des 20. Juli solche befinden —• ich nenne nur Moltke, Yorck, Schwerin,

Schulenburg —, deren bloßer Name für Loyalität und Treue gegenüber den Forderungen des Gemeinwesens zu bürgen scheint Wir wollen auch einer aufrichtig gemeinten Besorgnis derer nicht ausweichen, die von einer positiven Würdigung der Männer des 20. Juli eine Gefährdung der Treue und Disziplin einer künftigen deutschen Wehrmacht befürchten. Gestehen wir es nur: Vielen ein Wegweiser zur inneren Erneuerung, manchen ein Ärgernis oder doch ein heikler Tatbestand — das gilt heute vom 20. Juli. Um so mehr ist der Historiker aufgerufen und verpflichtet, die rechten Maßstäbe zur Beurteilung des damaligen Handelns zu suchen. Ihm zumal fäll 1 die Aufgabe zu, die Taten der Männer Ges Widerstandes von neuem hineinzustellen . in die Einmaligkeit der konkreten geschichtlichen Situation, Umstände und Bedingungen ihres, Handelns aufzuzeigen und womöglich die einzigartige Atmosphäre heraufzubeschwören, in der jene Männer handelten. Die Erklärung der geschichtlichen Taten aus den Bedingungen und Umständen ihrer Zeit ist ja von jeher das eigentliche Anliegen historischer Betrachtung gewesen.

Die Zwiespältigkeit des Nationalsozialismus

Zum Verständnis der aktiven Widerstands-handlungen gegen die Staatsgewalt des „Dritten Reiches" ist es also erforderlich, uns die Bedingungen und Umstände des deutschen Lebens in der nationalsozialistischen Zeit in großen Zügen zu vergegenwärtigen. Das deutsche Volk war nach 1918 mit seinem Schicksal innerlich nicht fertig geworden. Mit drei Tatsachen vor allem konnten sich weite Kreise nicht abfinden: mit dem Sturz der Monarchie, mit dem verlorenen Krieg und mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Die rasch improvisierte Demokratie von Weimar aber stand von Anfang an unter ungeheuren Belastungen: dem seelischen Druck der Niederlage, den Verpflichtungen aus einem harten Friedensvertrag, und nicht zuletzt zermürbendem Kampf mit wirtschaftlicher und sozialer Not. Die Gegner der Republik belasteten sie mit der Schuld an alledem. Auf die militärische Niederlage reagierte das verletzte Selbstgefühl der Nation mit der Legende vom Dolchstoß in den Rücken eines angeblich unbesiegten Heeres. Vernunft und Geduld des deutschen Volkes reichten nicht aus, die allmählichen außen-und innenpolitischen Fortschritte der Weimarer Republik gerecht zu würdigen. So warf es sich, zumal im Sturm der Weltwirtschaftskrise, einer Bewegung in die Arme, die dem allgemeinen Unwillen den lautesten und wirkungsvollsten Ausdruck gab und die zugleich eine grundstürzende Änderung der gesamten Verhältnisse durch eine nationale und soziale Erneuerung versprach. Ohne wirkliche Kenntnis der nationalsoziali-stischen Ideologie, ohne Erkenntnis der fragwürdigen Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Führung, verknüpften die meisten mit dem Wollen der neuen Bewegung das, was ihnen selber an erwünschten Zukunftszielen vorschwebte. „Geblendet durch den Anschein höchster nationaler Energie" der neuen Staatsführung, wie Friedrich Meinecke sagt, leistete man ihr einen ungeheuren Vorschuß von Vertrauen. Nur ein Vorgang sei als Symptom festgehalten: Am Abend des 30. Januar 1933 setzte sich in Bamberg ein junger Kavallerieoffizier in voller Uniform an die Spitze eines Fackelzuges, der die Machtergreifung Adolf Hitlers feierte; es war Graf Stauffenberg, der Mann der Tat des 20. Juli.

Das ursprüngliche Vertrauen, das Millionen dem Nationalsozialismus entgegenbrachten, machte im Laufe der Zeit einer Zwiespältigkeit des Empfindens Platz, und diese Zwiespältigkeit des Empfindens entsprach nur der Zwiespältigkeit des Wesens und Handelns der neuen Staatsführung selbst. Einige Gegenüberstellungen mögen sie kennzeichnen: Sogenannte nationale Erhebung im Frühling 1933 auf der einen Seite — zwangsweise Einheitspartei mit willkürlicher Einweisung Widerstrebender in Konzentrationslager auf der anderen; Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums — in Wahrheit Besetzung der führenden Staats-und Kommunalstellen durch Parteifunktionäre; Nationalfeiertag des 1. Mai und Vernichtung der Gewerkschaften; Bekenntnis zum positiven Christentum und schamloser Propagandafeldzug gegen christlichen Kirchen, die Außerkraftsetzung persönlicher Gewissensbindungen zugunsten ausschließlicher Verpflichtung gegenüber der totalen Partei; Wiederherstellung der allgemeinen Wehrpflicht und am gleichen Tage Verhaftung von hunderten ihrem religiösen Bekenntnis treuer Pfarrer;

Proklamierung der Wehrmacht zum einzigen Waffenträger der Nation und fortschreitende Bewaffnung der SS; Ziel einer organischen Volksgemeinschaft und Erstickung des freien Gemeinsinns durch staatlichen Zwang auf allen Gebieten. Unterdessen planmäßige Zersetzung des Rechtsstaates. Mit dem Grundsatz „Recht ist, was dem Volke nützt" wird der Rechtsgedanke überhaupt geleugnet. Obendrein ist für das, was dem Volke nützt, die Meinung des Staatsoberhauptes allein maßgeblich. Mit der willkürlichen Ermordung politischer Gegner ohne Gerichtsverfahren am 30. Juni 1934 prägt das Regime sich endgültig aus, rückt die SS in die Stellung der mächtigen Organisation, der weiteren die Entwicklung des nationalsozialistischen Staates ihr Gesicht gibt. Eine „Atmosphäre des Argwohns” breitet sich aus. Der wahre Sinn des totalen Staates aber enthüllt sich, wie Bundespräsident Theodor Heuss es ausgedrückt hat, in der „Verstaatlichung des Menschen" mit Hilfe einer in schlimmster Weise mißbrauchten modernen Technik. Ein Parteiidol wird zum Maß aller nationalen Dinge. Soweit wirklich noch eine Ideologie dem allen zugrunde liegt, ist es die des engsten biologischen Materialismus.

„Säuberung" unter SS Vorherrschaft

Auf die Spitze aber treibt das alles der schließlich von der Staatsführung entfesselte Krieg. Denn dieser Krieg enthob das Regime ja aller Rücksichten auf die Außenwelt und schuf so Bedingungen, unter denen sich die im Nationalsozialismus wirksamen Tendenzen vollends entfalten konnten. Er eröffnete gleichsam der Experimentierfreiheit der Machthaber einen Raum, der auf dem Höhepunkt des Kampfes fast das gesamte kontinentale Europa umfaßte. In den besetzten Gebieten kam dies teilweise noch klarer zum Ausdruck als in Deutschland selbst, wo die Staatsführung den Erfolg der Anstrengungen eines ganzen Volkes im Dienste des Krieges nicht durch seelische übermäßige Belastung -gefähr den wollte. So trat Hitler beispielsweise in der Kirchenfrage kürzer, obgleich zeitweilig sich nichts seiner an Entschlossenheit änderte, die Kirchen eines Tages zu beseitigen und das Volk aus seinem deutsche christlichen Herkommen zu lösen: „Wenn die äußeren Feinde am Boden liegen“, so erklärte der Gauleiter Robert Wagner am 12. Juni 1941 in Karlsruhe, „kommen die inneren Feinde dran-, es laufen noch solche mit Hermelin und Purpur in deutschen Landen herum." Ein Jahr darauf bemerkte Hitler selbst zu Alfred Rosenberg, daß er nach dem Kriege mit entsprechenden Maßnahmen gegen die Kirche vorge-hen werde; er glaube, er könne mit seiner Autorität noch tun, was einem anderen später schwerfallen würde.

Seit Kriegsbeginn stand die innere Entwicklung Deutschlands im Zeichen zunehmender Vorherrschaft der SS. Himmler hat sie im Sinne verschwommen-romantischer Vorstellungen als rassisch ausgelesene politische und militärische Elite zu einem Orden von Herrenmenschen gestalten wollen. Damit verknüpfte sich das andere Ziel, die SS personell und organisatorisch mit den verschiedenen Polizei-formationen von Staat und Partei zu einem großen „Staatsschutzkorps" zu verschmelzen. Im sogenannten Reichssicherheitshauptamt hatte Art die ebenso skrupellose wie in ihrer überlegene Intelligenz Heydrichs ein Zentral-organ geschaffen, das Deutschland das und besetzte Netz von Unter Ausland mit einem -organen überzog, die alle Lebensbereiche kontrollierten Allein und die Geheime Staatspolizei zählte in den Jahren 1943— 45 mehr als 40 000 Angehörige. Dazu kam die planmäßige Vermehrung der Waffen-SS, mit der das nationalsozialistische Regime sich eine eigene Wehrmacht geben wollte. Sie zählte bei Kriegsende über 800 000 Mann, und niemand konnte daran zweifeln, daß s i e nach einem Siege das stehende Heer bilden würde, dessen Vorposten nach den vermessenen Plänen der Staatsführung die Wacht am. Ural halten sollten, während seine Hauptmacht die sogenannte „Ordnung“ eines nationalsozialistisch beherrschten Europa garantierte. Der in der SS gepflegte Geist des Herrentums aber hatte einen zunehmenden Verzicht auf menschliche Rücksichten gegenüber der Umwelt notwendig im Gefolge.

Seit der Zeit der „wilden" Konzentrationslager der SA von 1933/34 mit ihren improviesierten Terrorakten hatten die Konzentrationslager der SS längst ein System moralischer oder physischer Vernichtung des politischen Gegners entwickelt. Im Kriege stellte die Staatsführung Häftlinge für geheimste medizinische Versuche zur Verfügung; sie hatten in vielen Fällen einen kaltblütigen Mord zur Voraussetzung ihres kriegswichtigen Nutzeffekts. Gegner dieser Menschenversuche bedrohte Himmler als Hoch-und Landesverräter.

Gewisse moderne, nicht auf Deutschland beschränkte, rein naturwissenschaftliche Auffassungen der Medizin im Zeitalter des technisierten Gemeinwesens enthüllte hier ein totaler Staat in der vollen Furchtbarkeit ihrer letzten Konsequenzen. Den Krieg benutzte Hitler auch dazu, einen weiteren Plan nationalsozialistischer Gedankenwelt, das soge-nannte Euthanasie-Programm, durchzuführen.

Danach sollte unheilbaren Kranken bei kritischster ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden. Schon der zur Ermittlung des betroffenen Personenkreises versandte Fragebogen zeigte jedoch den wahren Sinn von Hitlers Erlaß; denn er machte den Grad der Arbeitsleistung und auch die Rasse zu wesentlichen Gesichtspunkten für die Gewährung des Gnadentodes.

Praktisch lief das Programm denn auch wesentlich auf die Beseitigung „unnützer Esser"

hinaus. Die tiefgehende Erregung weiter Kreise, als diese Maßnahmen ruchbar wurden, das mutige Auftreten hervorragender Kirchen-führer, zwangen Hitler in diesem Fall sogar, einen Schritt zurückzuweichen. Da er es nicht wagte, sich während des Krieges durch ein Gesetz zu seinen Handlungen zu bekennen, befahl er im August 1941 die vorläufige Einstellung der Aktion. Ihre Handlanger und ihre Mittel sollten jedoch für eine noch weit schrecklichere Aufgabe verwendet werden.

Bereits am 30. Januar 1939 hatte Hitler als Ergebnis eines neuen Weltkrieges die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa prophezeit. Einmal ging man im Reich und in den besetzten Gebieten daran, den Juden durch eine endlose Reihe von Verboten jede Existenzmöglichkeit zu nehmen. Man brandmarkte sie mit dem gelben Stern, raubte ihnen jeden Rechtsschutz, ja übertrug ihre Strafgerichtsbarkeit der Polizei. Damit nicht genug.

Mit dem Plan zum Angriff auf Sowjetrußland verknüpfte sich bei Hitler spätestens im Frühjahr 1941 die Absicht, die dabei in deutsche Hand fallende jüdische Bevölkerung summarisch und systematisch zu vernichten. Er schritt damit zum größten Massenmord der Geschichte. Nach Beginn des Rußlandfeldzuges wurden zunächst vier sogenannte Einsatzgruppen gebildet, -deren wichtigste und ge-heimste Aufgabe darin bestand, den jüdischen Männern, Frauen und Kindern Umsiedlung vorzutäuschen, um sie sodann zu erschießen.

Während dies geschah, liefen schon die Vorbereitungen für jene methodischer und unauffälliger angelegte Vernichtung von Juden, für die der Name Auschwitz zum furchtbaren Symbol geworden ist. Teilweise wurde dabei das gleiche Personal verwendet, das bei der Durchführung des Euthanasie-Programms „Erfahrungen gesammelt“ hatte. Nicht weil sie sich etwas hätten zuschulden kommen lassen oder weil sie eine ernstzunehmende Gefahr darstellten, wurden hier Menschen getötet.

Allein einer Theorie, einem irrationalen Prinzip zufolge, aber nach einer höchst rationalen Methode wurden sie, lediglich ihrer biologischen Existenz halber, wie Ungeziefer vernichtet. Die Gesamtzahl der Opfer muß auch heute noch auf 41/2 bis 6 Millionen geschätzt werden. Die Sorgfalt, mit der die nationalsozialistische Staatsführung diese Ausrottung getarnt hat, beweist, daß sie in ihrer Juden-politik längst die Grenzen dessen überschritten wußte, was eine Mehrheit des eigenen Volkes billigen würde.

„Recht ist, was dem Volke nützt"

Es konnte nicht ausbleiben, daß das, was ein totaler Staat und seine Beherrscher taten, zu Reaktionen führte, die in manchen Erscheinungsformen nun ebenfalls alle normalen Maßstäbe sprengten. Hitlers übersteigerter Nationalismus hatte die pessimistische Voraussage Grillparzers einer Entwicklung von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität Wahrheit werden lassen. Nach dem erwähnten Prinzip „Recht ist, was dem Volke nützt", wurden vollends im Kriege willkürlich Urteile gesprochen, bereits gesprochene verschärft, elementarste Grundrechte verletzt, der Gedanke der Nächstenliebe geächtet und damit die Fundamente der abendländischen Ordnung erschüttert. Die Umwertung und Entwertung aller Werte, die Hitler selbst heraufbeschworen hatte, konnte nun aber auch vor dem „spezifischen Patriotismus“ nicht halt machen: Hitlers frivolem Wort von den „lächerlichen Fesseln einer sogenannten Humanität" konnte nur jene Rückbesinnung auf das elementar Menschliche entsprechen, die das einigende Band der deutschen Widerstandsgruppen werden sollte. Wohl gab den Haupt-trägern des Widerstandes zunächst das Gefühl der Mitverantwortung für das wahre Interesse der eigenen Nation den Anstoß zum Handeln.

Doch dieses wahre Interesse der deutschen Nation stand mit einer europäischen Verantwortlichkeit für sie nicht im Widerspruch. Die Reinigung des eigenen Hauses erschien schließlich als die moralisch-politische Voraussetzung für Deutschlands Wiedereintritt in den Kreis der christlichen Völker. Ja, Idealisten erhofften in der erlebten Solidarität der verschiedenen nationalen Widerstandsbewegungen gegen totalitäre Unmenschlichkeit eine zukunftsträchtige Grundlage für ein neues Europa. Es ist diese geistige und politische Ausnahmesituation, die wir uns vergegenwärtigen müssen, wenn wir zum Verständnis des Widerstandes vordringen wollen. Nichts unhistorischer und also ungerechter, als Haltungen und Handlungen, die dem Gebot des Gewissens in einer unvergleichbaren geschichtlichen Lage in einem entarteten Staatswesen entsprangen, nach den für „normale“ Zeiten üblichen Maßstäben zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Die konsequentesten Vorkämpfer des Widerstandes selbst waren andererseits nicht geneigt, ihr Verhalten zur Richtschnur, zu einem sittlichen Prinzip für alle zu erheben. Sie blieben sich im Sinne des Pfarrers Bonhoeffer demütig bewußt, daß ein verantwortliches Handeln, wie sie es vollzogen, letzten Endes auf die Gnade Gottes angewiesen bleibt.

Vielfältige Opposition

Stets und zumal im Kriege hat das nationalsozialistische Regime es meisterlich verstanden, die Besten des Volkes in Gewissenskonflikte darüber zu stürzen, was sie ihrem ständig und allseitig gefährdeten Gemeinwesen recht eigentlich schuldeten. Es war denn auch ein Weg fortgesetzter innerer Konflikte, der eine Elite der Nation zur äußersten Konsequenz des aktiven Widerstandes, zur Verletzung formaler Loyalität und endlich zum Attentat auf das Staatsoberhaupt trieb. Die Organisation des totalen Staates und seine geschickte Behandlung der breiten, großenteils religiös indifferenten Massen bedingte es, daß es nicht zu einer eigentlichen „Bewegung" des Widerstandes kam. Die für eine erfolgreiche * Auflehnung notwendige Einmütigkeit des + . • Handelns war überdies unter dem Polizei-’ regiment kaum realisierbar. Man hat daher zutreffend von einer „Vielfalt oppositioneller Kreise" gesprochen, „die sich gegenseitig überschnitten" (Schlabrendorff). Die meisten Gegner des Regimes fanden moralischen Rückhalt und seelischen Kraftquell im Widerstand der beiden christlichen Kirchen. Doch unbeschadet des entschlossenen Protestes vieler ihrer Führer gegen Rassenwahn und Euthanasie konnte es nicht Sache der Kirchen sein, selber in den politischen Kampf einzugreifen.

Die alten Parteien und die Gewerkschaften aber waren zerschlagen, ihre Vorkämpfer bei allem Mut gegenüber der Staatsgewalt ohnmächtig. So richteten sich die Blicke der Opposition; in der sich Angehörige der ehemaligen Parteien, der Gewerkschaften, der-Beamten--

schäft und der Geistlichkeit mit hervorragen-. den Einzelpersönlichkeiten zusammenfanden, mehr und mehr auf die Armee.

Es gab in dieser Armee nachgerade zahlreiche grundsätzliche Gegner des entarteten Regierungssystems. Doch ihr durch Hitlers Aufrüstung rasch verstärktes und verjüngtes Offizierkorps war kein einheitliches Gefüge mehr. Im übrigen setzten die soldatischen Überlieferungen politischem Handeln aus eigener Verantwortung von Hause aus enge Grenzen. Eine Armee sieht in normalen Zeiten in sich selbst mit vollem Recht das zuverlässige Instrument einer Staatsführung und bleibt dem politischen Tageskampf fern. Lange Zeit haben die höchsten Befehlshaber der Wehrmacht an diesem Grundsatz festgehalten.

Schon in den Jahren nach 1918 unter dem Generalobersten von Seeckt hatte eine gewisse Kluft zwischen ihrem Denken und ihrem Handeln bestanden. Sie hatten sich daran gewöhnt, dem innerpolitischen Leben des Volkes, der republikanisch-demokratischen Staatsform im besonderen, mit kühler Reserve gegenüberzustehen und doch um des Ganzen willen ihren Dienst zu tun. Es hieß, die Armee sei „unpolitisch" oder doch „überparteilich". Unter dem nationalsozialistischen Regime hatte sich das höhere Offizierskorps unter wachsenden inneren Vorbehalten gegen den politischen Kurs zunächst ebenfalls in die „reine Sachlichkeit des Dienstes gerettet“. Aber schließlich erkannte eine zunehmende Zahl, daß diese übersteigert unpolitische Haltung darauf hinauslief, offenkundige Verbrechen zu dulden. Indes, die Wehrmacht hatte am Todestage Hindenburgs, am 2. August 1934, nicht dem Staat, nicht Deutschland, sondern dem Staatsoberhaupt Adolf Hitler persönlich einen Treueid geleistet. Sie hatte diesen Eid zwar unter Anrufung Gottes geschworen, aber dies verstärkte für die meisten nur die Bindung an Hitler. Wenige standen fest und tief genug in der christlichen Überlieferung, um klar zu erkennen, daß ein Eid, der bei Gott geschworen ist, nie und nimmer dazu zwingen kann, Gott zu beleidigen und gegen seine Gebote zu verstoßen. Hitler aber gab durch das, was er mit seinem Handeln und seinen Befehlen der Wehrmacht zumutete, dem geleisteten Eid immer wieder einen Inhalt, der für Gott gar nicht annehmbar war. Die Anrufung Gottes im Eide sollte Hitler freiere Hand geben, über die Eid-nehmer zu verfügen, und sie gab ihm tatsächlich freiere Hand dazu, weil das christliche Element in der Haltung der Eidnehmer zur Form, zum bloßen Habitus erstarrt war. Letzten Endes band so der Gewissenlose mit dem Namen Gottes die Gewissenhaften. Man braucht die Verteidigung der Tat des 20. Juli also keineswegs mit einer Infragestellung der Heiligkeit des Eides zu verknüpfen. Es steht vielmehr durchaus mit den uralten Auffassungen, der Kirche im Einklang, wenn man darauf hinweist, daß der Eid den Menschen nicht von seinem Gewissen entbinden kann, sondern daß der Inhalt des ehrlichen Gewissens den Inhalt des erlaubten Eides begrenzt. So haben die Männer des 20. Juli ihren Eid nicht gebro-, , dien, sondern ihn unter erschwerten Umständen gehalten und verteidigt.

Und auch der Frage will ich nicht ausweichen, ob sich eine Anerkennung und Billigung der Haltung der Widerstandskämpfer mit dem Gehorsam und der Disziplin verträgt, ohne die eine Armee nicht bestehen kann. Wer diese Frage verneint, verkennt die unabdingbaren Voraussetzungen dieses Gehorsams: das Vertrauen des Gehorchenden nämlich, daß der Vorgesetzte nichts befiehlt, was offenkundig unsittlich ist oder zum Verbrechen auffordert. Der einzelne Soldat und Offizier kann nur dann vor sich selbst bestehen, wenn er das Vertrauen hat, von seinem Vorgesetzten nicht mißbraucht zu werden. Wer den Sinn des unbedingten Gehorsams darin erblickt, das Gewissen des Gehorchenden zum Schweigen zu bringen, der fördert nicht, sondern untergräbt den soldatischen Gehorsam. Eine Gewähr dafür, daß der Soldat seinerseits hier nicht vorschnell urteilt, liegt gerade in seinem sicheren Bewußtsein, daß der Befehlende selber gewissenstreu ist. Auch dies sind nicht private Meinungen, sondern die gewissenhaft erwogenen Auffassungen anerkannter Moraltheologen.

Man kann denn auch gewiß nicht sagen, daß die Männer des militärischen Widerstandes vorschnell geurteilt hätten. Schon nach der Ermordung zweier ihrer einst prominentesten Generale, Schleicher und Bredow, am 30. Juni 1934, erst recht aber nach der mit schimpflichsten Mitteln von Hitler selbst, wie wir heute wissen, inszenierten Absetzung ihres Oberbefehlshabers Fritsch, hätte man vom Offizierskorps an sich eine andere Reaktion erwarten können. Ihr Ausbleiben deutet darauf hin, daß auch für dieses, wie Hitler einmal sagte, „letzte weltanschaulich noch nicht angefressene Element“ die traditionelle Haltung an innerer Kraft verloren hatte, überdies war die Generalität von Bedenken erfüllt, ob eine Aktion ihrerseits den notwendigen Widerhall oder die wenigstens nachträgliche Billigung der Truppe und des Volkes finden würde. Es bedurfte daher einer Lage von so außerordentlichem Charakter wie die des Sommers und Herbstes 1938, einer Lage, die sie gerade als Soldaten anging, um einige der hervorragendsten Generale zu den äußersten Konsequenzen zu führen.

Und wie hat Hitler selbst das Problem des „militärischen Widerstandes” gegen die Staatsgewalt beurteilt? Eine Frage, auf welche die Antwort ebenso überraschend ist wie die Frage selbst. Denn sie darf lauten: Kaum einer hat besser die Haltung der Männer des 20. Juli und gerade der Offiziere im voraus gerechtfertigt als er. Ich will zum Beweis dafür nicht die bekannten Stellen aus seinem Buch „Mein Kampf" zitieren, wo es u. a. heißt: „Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volkstum dem Untergang entgegengeführt wird, dann ist die Rebellion eines jeden Angehörigen eines solchen Volkes nicht nur Recht, sondern Pflicht, Menschenrecht bricht Staatsrecht*. Ich will vielmehr einige Sätze aus einer kaum bekannten Hitler-Rede vom 15. März 1929 anführen, die genau der Problematik unseres Themas gilt. Damals, als Feind der demokratischen Republik, hat Hitler klar und zutreffend ausgesprochen, daß es für die unpolitische Haltung einer Armee eine Grenze gibt, wenn es um die letzten moralischen Werte ihres Volkes geht. Leidenschaftlich wandte er sich zunächst dagegen, daß eine Armee Selbstzweck sei, daß sie sich als toter Mechanismus jeder Regierung zurVerfügung stelle, möge diese selbst aus einem Volke Riemen schneiden. Mit beißender Ironie widerlegte er sodann die Auffassung, daß eine Armee unter allen Umständen unpolitisch bleiben müsse: „Politik und Wehrmacht“, rief er höhnend aus, „müssen getrennt, vollkommen getrennt werden, d. h. die Politik wird von Gaunern gemacht, und an die Spitze der Wehrmacht müssen unpolitische Köpfe treten, gänzlich unpolitische Köpfe. Dann allein kann das Gaunertum ein Volk mit aller Seelenruhe beherrschen, dann hat das Gaunertum die offiziellen Machtmittel zur Seite, dann kann das Parteitum eine Nation zugrunde r i c h t e n .“ Er, der später nie eine selbständige Offiziersehre gelten ließ, prägte damals den Satz: „Glauben Sie mir, es ist entsetzlich, wenn O f f i z i e r s e h r e sich nicht mehr deckt mit dem höchsten Ehrbegriff an sich. * Und diesem Satz folgen, immer aus dem Munde Hitlers, weitere gewichtige Worte: „Sobald überhaupt der Offizier", betonte Hitler, hier ins Wanken geraten kann, sobald er überhaupt nur glaubt, sich auf irgendeiner mittleren Linie mit den Zerstörern des Vater 1andes, die er tausendfach vor sich enthüllt und entlarvt sehen muß, vielleicht dochtreffen zu kö n n e n , s o b a 1 d erdastut, verläßt er seine Stellung. Im selben Augenblick.., bricht etwas zusammen, was früher fast graniten und unerschütterlich schien... entfernt er sich vom Herzen seines Volkes.“ Und Hitler verwehrte dem Offizier — wenn die höchsten moralischen Werte dieses Volkes auf dem Spiel standen — jedes Ausweichen vor der Verantwortung, indem er fortfuhr: „Man spreche sich nicht frei von Schuld! Es gibt keine Armee, die nur Selbstzweck hätte, sondern ihr Dienst heißt Dienst an der Nation. Sie brauchen zunächst ein Volk, das gesund ist. Sie als Offiziere können nicht sagen, uns ist das gleich, wie die Nation aussieht, ob sie vergiftet oder verpestet ist, ob sie an Gott glaubt oder nicht. Das können Sie nicht sagen. Sie brauchen das alles, sonst ist ihre ganze Tätigkeit nur oberflächlich, nur Scheintat. * Hitler hatte im Jahre 1929 dies im Hinblick auf eine „marxistische* Diktatur gesagt, die er seinen Zuhörern als Schreckgespenst vor-hielt. Aber es ist, als ob er das Schicksal der deutschen Wehrmacht unter seiner eigenen Herrschaft hätte prophezeien wollen, wenn er folgendermaßen schloß: „Büttel des neuen Regiments könnenSie dann sein und politische Kommissare, und wenn sie nicht funktionieren, werden Weib und Kind hinter geschlossene Riegel gesetzt (!). Und wenn Sie dann immer noch nicht funktionieren, fliegen Sie hinaus und werden vielleicht an dieWand gestellt; denn ein Menschenleben gilt wenig bei denen, die ein Volk vernichten wollen.'Das Bild entarteter Rechts-und Staatsverhältnisse unter einer totalen Parteiherrschaft, wer hätte es, mit allen Gowissenskonflikten und -geboten für den ethisch verwurzelten Offizier besser vor-auszeichnen können, als der Mann, dessen hemmungsloser Machtwille imstande war, es zu verwirklichen?

Auflehnung gegen Hitlers Kriegspläne

Doch zurück zum Herbst 1938. Damals forderte der Generalstabschef Ludwig Beck zunächst auf Grund der fachlichen Verantwortung der Generalität ihre Auflehnung gegen die Volk und Staat gefährdenden Kriegspläne Hitlers. Seine Opposition wurde jedoch über militärisch-politische Erwägungen hinaus von sittlichen Überzeugungen getragen. Er erstrebte daher auch eine Säuberungsaktion zur Wiederherstellung geordneter Rechtszustände. Der von Beck geforderte Kollektiv-schritt der Generale scheiterte indes an den Bedenken des Oberbefehlshabers von Brauchitsch. Mit dessen Duldung kam es dann nach dem Rücktritt Becks von Seiten seines Nachfolgers Halder, in Verbindung mit General von Witzleben und dem Kreis um den Staatssekretär von Weizsäcker, zu einem neuen Aktionsplan gegen Hitler. Man rechnete für den Fall, daß der deutsche Diktator kriegerisch gegen die Tschechoslowakei vorging, mit dem bewaffneten Eingreifen Englands und Frankreichs, das in der damaligen Lage Deutschlands in den Augen aller Ein-sichtigen zu seinem Verderben führen mußte. Man trat auf verschiedenen Wegen an England heran. Dort aber fehlte nicht nur die nötige Erkenntnis der Situation und der wahren Ziele Hitlers. Der britische Regierungschef Chamberlain wagte es auch nicht, seine Politik auf die ungewisse Kraft der deutschen Widerstandsbewegung aufzubauen, und zog den scheinbar größere Sicherheit bietenden Weg eines Kompromisses mit Hitler vor. Er käm Hitler so weit entgegen, daß diesem keine andere Möglichkeit blieb, als auf die nachweisbar geplante kriegerische Zerschlagung der Tschechoslowakei zu verzichten und sich einstweilen mit der Abtretung der sudetendeutschen Gebiete zu begnügen. So wurde der geplanten Aktion Halders und Becks der Boden entzogen und Hitler ein neuer, scheinbar vollständiger Triumph zuteil.

Es hängt mit diesem und weiteren Erfolgen des Diktators, mit den Hoffnungen auf die Bildung einer Friedensfront der Gegner Hitler-Deutschlands, mit dem Erfolg der deutschen Rußland-Politik und mit den Schwankungen Hitlers selbst vor der schließlichen Entfesselung des Krieges zusammen, wenn es in den elf Monaten nach München zu keiner neuen entscheidenden Widerstandshandlung kam. Persönliche Momente und vor allem die psychologischen Nachwirkungen des Fehlschlages von 1938 mögen dabei mitge-spielt haben. Pläne nach Kriegsausbruch, die Generaloberst von Hammerstein entwarf, scheiterten, wie noch oft in der Folgezeit, an Zufällen. Die Gelegenheit der schauerlichen Übergriffe der SS in Polen wurde versäumt. In dem Ringen um eine Westoffensive versagte sich die Führung des Heeres schließlich in tiefer Skepsis einer Aktion gegen Hitler. Die Bedrohung Deutschlands durch den Krieg und die Gefahr einer neuen Dolchstoßlegende mußten die Verantwortung der Opposition selbst noch steigern. Sie legten ihr nahe, in Verhandlungen mit dem Gegner günstige außenpolitische Voraussetzungen für ihr Vorgehen im Innern zu schaffen. Jede weitere Ausdehnung des Krieges durch neue Offensiven und Neutralitätsbrüche Hitlers aber drohten der Aktion „eines anderen Deutschland“ den politisch-moralischen Boden zu entziehen. Erwägungen solcher Art bestimmten die Haltung Becks und seiner Getreuen im Laufe jener Friedensgespäche mit England, die im Winter 1939/40 durch Dr. Joseph Müller in Rom geführt wurden, bis Hitlers Offensive im Westen ihnen ein Ende machte. Die darauf folgende Reihe von Siegen Hitlers entzog der Opposition weitgehend die psychologischen Voraussetzungen zum Handeln. Erst der russische Winter von 1941/42 schuf wieder Klarheit über die Lage für breitere Schichten.

Dr. Goerdeler

Allmählich haben sich verschiedene Exponenten Gruppen und des Widerstandes als solche schärfer ausgeprägt. Wenn Beck der „Kopf“ der Opposition blieb, so wurde der ehemalige Reichskommissar und Leipziger Oberbürgermeister Dr. Goerdeler ihr „Herz". Seit Jahren in verzweigten Beziehungen zu Gegnern des Nationalsozialismus im In-und Ausland, redete er, der vorgesehene Kanzler einer kommenden Regierung, namentlich den zögernden Generalen ins Gewissen. Goerdeler wollte letztlich nur eine Grenzlinie anerkennen, die zwischen „anständig" und „unanständig.“ Seine „Demokratie der zehn Gebote" forderte gegenüber dem „großen Irrtum" der materialistischen Gesinnung eine Rückkehr zu den christlich-humanistischen Überlieferungen der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Dezentralisierung und Föderalisierung sollten den politischen Bereich entmechanisieren. Goerdeler dachte an einen reformierten Reichstag und ein Oberhaus auf ständischer Grundlage. Ohne reaktionär im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu sein, entbehrte Goerdelers Zukunftsbild bei aller sozialen Aufgeschlossenheit nicht gewisser bürgerlich-konservativer Züge, namentlich in seinem Wirtschaftsprogramm. Darin unterschied sich von ihm schon der als Außenminister vorgesehene Botschafter von Hassel, Aristokrat und Berufsdiplomat, aber vor allem ein Mensch von europäischer Kultur, weltoffenem Sinn und tiefem Rechtsgefühl, auf dem die in deutschem Namen begangenen Verbrechen lasteten. Unablässig suchte er, ebenso wie der Legationsrat von Trott zu Solz, in Fühlungnahme mit England und Amerika den Umsturzplan durch Sicherung erträglicher Friedensbedingungen zu fördern. Hassel und der preußische Finanzminister Popitz, Wissenschaftler von klassischer Prägung und Verwaltungsfachmann mit autoritäten Tendenzen, vertraten mehr planwirtschaftliche und staatssozialistische Auffassungen. Mit dem politisch und sozial radikaleren Flügel des Widerstandes, den Sozialisten, berührte sich Goerdeler mindestens in allgemein menschlichen, christlichen und kulturellen Grundüberzeugungen. Goerdeler und Beck selbst fanden sich in gegenseitiger Achtung mit dem zum Vizekanzler ausersehenen Wilhelm Leuschner, der die Zellen der Gewerkschaftsbewegung wieder zu beleben suchte. In dem gewandten Organisator und Unterhändler Leuschner, dem hochbegabten, kraftvollen Carlo Mierendorff, dem tief religiösen Haubach, sowie in Adolf Reichwein, entstand eine neue, dem Gedanken der Nation mehr als bisher aufgeschlossene sozialistische Führerschaft. Nach Mierendorffs Tod (durch Luftangriff) spielte der politisch erfahrene, zum Innenminister vorgesehene Dr. Julius Leber, auch durch seinen Einfluß auf Stauffenberg, eine immer wichtigere Rolle. Neben den sozialistischen bildeten die christlichen Gewerkschaften unter Jakob Kaiser, Letterhaus, Gross und Prälat Müller für die Opposition ein Netzwerk von Zellen. Ein geistiges wie praktisches Bindeglied zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Gruppe aber bildete der politisch und sozial im besten Sinne „radikale" Kreisauer Kreis des Grafen Helmuth James Moltke, der dem Oberkommando der Wehrmacht als Berater für Internationales Recht angehörte. Männer verschiedenster Lebenskreise, Aristokraten, Sozialisten, Katholiken und Protestanten erwogen hier weniger die Beseitigung Hitlers als den künftigen Neubau Deutschlands auf christlicher und sozialistischer Basis. Moltke hat die Gefahren des nationalsozialistischen Nihilismus für die menschliche Substanz wohl am klarsten erkannt und formuliert. Er neigte dazu, den unheilvollen Prozeß im Sinne einer Läuterung ungehindert ablaufen zu lassen: Mit der Erkenntnis, daß „Sünde war, was geschah", mit der gewonnenen Einsicht, daß „das Bild des Menschen im Herzen unserer Mitbürger wiederaufgerichtet werden“ müsse, würde sich schließlich die göttliche Ordnung als der notwendige Maßstab der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern erweisen. Der Kreisauer Kreis brach mit den bürgerlich-liberalen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Er forderte nicht nur eine weitgehende Dezentralisierung des Staates, sondern auch einen „geordneten Leistungswettbewerb“ in der Wirtschaft unter Auflösung monopolistischer Bildungen und Nationalisierung der Grundindustrien, ferner weitgehende Selbstverwaltung der Betriebe unter gesteigerter Beteiligung der Arbeiter an Organisation und Ertrag. Hierin und auch in der größeren Prägnanz seines Verfassungs-Entwurfs schied sich der Kreisauer Kreis bewußt von Goerdeler, dessen Stellung überdies durch die wachsende Bedeutung Stauffenbergs und der Sozialisten beeinträchtigt wurde.

Canaris und Oster

Eine Mittlerrolle mehr praktischer Art zwischen den Widerstandsgruppen hat der Kreis der militärischen „Abwehr“ unter Admiral Canaris und General Oster gespielt. Der hochgebildete, feinnervige, in seinem vielgesichtigen Wesen schwer erfaßbare Canaris war schon als ausgesprochener, wenn auch höchst realistischer Intellektueller zum Feinde. Hitlers und seiner Gewaltpolitik vorbestimmt. Entschieden ist er gegen die völkerrechtswidrige Behandlung und Erschießung bestimmter Kategorien sowjetrussischer Kriegsgefangener aufgetreten, die, wie Hitlers ganze Ostpolitik, nach seiner Überzeugung „die Mobilisierung aller inneren Gegenkräfte“ Rußlands „zu einer einheitlichen Feindschaft" gegen Deutschland förderte. Im ganzen hat Canaris selbst, frühzeitig pessimistisch gestimmt, in eher abnehmendem Grade sich aktiv und führend am Widerstand beteiligt, sondern mehr andere wirken lassen und sie abgeschirmt. Dies kam namentlich seinem aus eigener Initiative handelnden Stabschef Oster zugute. Dieser untadelige Offizier des ersten Weltkrieges rang sich bis zur letzten Konsequenz des „objektiven Landesverrats“ — jedoch um des Vaterlandes willen, gegen seinen offenkundigen Verderber — durch. Man mag sich zu der Tatsache, daß Oster den Termin der Westoffensive dem holländischen Militärattache mitgeteilt hat, stellen, wie man will: daß er aus reinen Motiven handelte, duldet keinen Zweifel — wie er auch richtig erkannt haben wird, daß damals der Krieg die entscheidende Ausweitung zu erfahren drohte, die Deutschland ins Verderben riß.

Dietrich Bonhoeffer

Dem Kreise Osters nahe und doch für sich allein steht der geniale Problematiker solchen „verantwortlichen Handelns“ im Widerstreit der Pflichten, der lebensfrische evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer — dem auf katholischer Seite etwa der Jesuitenpater Delp entspricht. Vergeblich hat sich Bonhoeffer bemüht, durch Vermittlung ausländischer Kirchenführer von den Alliierten die Zusage zu erlangen, daß ihre Haltung gegenüber einem Deutschland ohne Hitler eine andere werden würde. Um die Jahreswende 1942/43 sprach Bonhoeffer in einem Rechenschaftsbericht das entscheidende Wort: „Die große Maskerade des Bösen", das „in so vielen ehrbaren und verführerischen Verkleidungen" erschienen sei, habe alle überlieferten ethischen Begriffe verwirrt. So scheine es dem Deutschen, als ob aus dem Wirrsal der möglichen Entscheidungen der „sichere Weg der Pflicht", das Handeln auf Befehl, herausführen könne. In Wahrheit begnüge man sich dann aber, „statt eines guten ein salviertes Gewissen zu haben", und am Ende müsse man erkennen, daß die Bereitschaft um Dienst am Ganzen mißbraucht werde zum Bösen! Nicht mit der Reinheit eines Prinzips, so folgerte Bonhoeffer, könne man also der Macht des Bösen entgegentreten. Allein „das Wagnis der auf eigenste Verantwortung hin geschehenen Tat" vermöge „das Böse im Zentrum zu treffen und es zu überwinden".

Stauffenberg

Diese Tat auf eigenste Verantwortung hat der 35jährige, schwerkriegsversehrte Oberst Klaus Graf Schenk von Stauffenberg getan. Hochbegabt und nicht ohne Selbstgefühl, doch mit ungewöhnlichem Charme ausgestattet, hat seine lebensvolle ungezwungene Persönlichkeit sich mit einer ihr innewohnenden Natur-kraft in ihren jeweiligen Lebenskreisen durchgesetzt. Er erschien als der gegebene Führer jener jüngere-Gruppe höherer Offiziere, die im militärischen Widerstand etwa seit 1942 und namentlich seit Stalingrad in den Vordergrund trat. Bayerischer Katholik und Nachfahre Gneisenaus war Stauffenberg in der geistigen Welt Stefan Georges beheimatet. Seiner musisch bestimmten, allem Lebendigen aufgeschlossenen Art entsprach ein wesenhafter Gegensatz zu einem Regierungssystem, das statt organischer Gliederung und Entfaltung eine politische Lebensgemeinschaft zum lenkbar-seelenlosen Machtapparat abgerichtet hatte. Weitverzweigte Beziehungen verbanden Stauffenberg, der offenbar den Sozialisten Dr. Leber als Kanzlerkandidaten Goerdeler vor-zog, auch mit den meisten nichtmilitärischen Führern des Widerstandes. Durch seinen Vetter Peter Graf Yorck von Wartenburg dem Kreisauer Kreis nahe, ist Stauffenberg im Grunde auf kein Programm und keine Gruppe festzulegen. Allem Anschein nach hat auch Stauffenberg Hitlers Gewaltpolitik gegenüber den russischen Menschen als eine unverantwortliche Herausforderung des Ostens verurteilt, hat er auch jene „Bruderschaft der Unterdrückten* (Trott) gegen totalitäre Unmenschlichkeit im Hinblick auf ein künftiges Europa angestrebt. Zuletzt Stabschef beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Fromm, wäre Stauffenberg nach einer geglückten Erhebung mindestens zum Staatssekretär im Kriegsministerium ernannt, vielleicht auch mit weit größeren politischen Aufgaben betraut worden.

Es konnte für den Klardenkenden längst keinem Zweifel mehr unterliegen, daß Hitler, ungeachtet aller Opfer an Gut und Blut, den aussichtslosen Kampf bis zum Untergang Deutschlands fortzusetzen gedachte. Dem Gedanken, zur Erhaltung von Volk und Staat, von der Führung abzutreten, war er unzugänglich. Denn er hatte sich selbst zum Maß aller nationalen Dinge gemacht, durchaus im Einklang mit der scheinbar so nichtssagenden und doch so bezeichnenden Formel seiner Anhänger: „Adolf Hitler ist Deutschland, Deutschland ist Adolf Hitler!" Folgerichtig hat Hitler denn auch ausgesprochen: wenn das deutsche Volk die große Probe des Krieges nicht besteht, dann sei es seiner unwürdig und möge mit ihm untergehen. Nach immer erneuter Gewissensprüfung der Männer des Widerstandes bot daher, wie der junge General von Tresckow gesagt hat, der Anschlag auf das Staatsoberhaupt die einzige Möglichkeit, Reich und Volk „vor der größten Katastrophe ihrer Geschichte zu retten". Es war zugleich der einzige Weg, die Wehrmacht vom Eidbann zu lösen und zu neuem Handeln zu führen.

Selbst der populärste General des nationalsozialistischen Regimes, Feldmarschall Rommel, forderte am 15. Juli von Hitler, aus der militärischen Lage „unverzüglich die Folgerungen zu ziehen". Auch Rommel war schließlich in grundsätzlichen Gegensatz zu dem Diktator geraten und zusammen mit dem Militärbefehlshaber in Frankreich, General von Stülpnagel, entschlossen, in Verbindung mit der Erhebung in Berlin den Krieg im Westen, auch gegen den Willen Hitlers zu beenden, den er gerichtlich aburteilen lassen wollte. Freilich konnte man die ernstesten Zweifel hegen, ob der Sturz oder die Beseitigung Hitlers bei dem Stand der Lage noch praktische Möglichkeiten einer Rettung Deutschlands bot. Man hatte einen Appell an den Präsidenten Roosevelt gerichtet, daß die deutsche Opposition Mitteleuropa davor bewahren wolle, „ideologisch und faktisch unter russische Herrschaft zu kommen"; es gelte, durch Stellung erträglicher Bedingungen, das deutsche Volk aus der Zwangslage seiner Bindung an Hitler zu befreien, wenn die Demokratien nicht den Frieden verlieren wollten.

Doch dieser Appell war ohne Edio geblieben. Indes, auch ohne Hoffnung auf bessere Friedensbedingungen, „allein schon um der moralischen Rehabilitierung Deutschlands willen", war die Opposition überzeugt, handeln zu müssen — wie bereits jene Gruppe um die Geschwister Scholl und Professor Huber an der Müchner Universität bei ihrer denkwürdigen Aktion im Jahre 1943. Ja, auch wenn das Attentat mißlang, es kam, wie Tresckow sagt, nur darauf an, „daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt" hatte, statt tatenlos der Schande zu verfallen. So handelte die Opposition am Ende unbekümmert um Nachruhm, um Verständnis oder Unverständnis einer beurteilenden Nachwelt, ohne Rücksicht auf eine neue Dolchstoßlegende. Ihre Männer hatten bewußt „das Nessushemd angezogen“.

Es ging ihnen um die aus eigener Kraft vollzogene innere Befreiung und Umkehr, auf jedes Risiko hin, „als ein von Gott verordnetes Gebot".

Nach einer Reihe vergeblicher Anläufe entschied sich Stauffenberg, trotz seiner körperlichen Behinderung, selbst das Attentat auszuführen. Es geschah gelegentlich seines Vortrages über die Aufstellung der Volksgrenadierdivisionen bei der mittäglichen Lagebesprechung im Führerhauptquartier in Ostpreussen durch Bombe mit Zeitzünder. Keine Verlegung der Konferenz in eine „Holzbaracke", von der nicht die Rede sein kann, sondern das geringe Quantum des Sprengstoffs, die Verschiebung der Aktenmappe Stauffenbergs und die Stärke des massiven Eichentisches haben, wenn man es so ausdrücken will, Hitler gerettet. In dem Glauben, der tatsächlich nur leicht verletzte Hitler sei tot, gab Stauffenberg nach Berlin das verabredete Stichwort. Jedoch erst kurz vor seiner Ankunft im Oberkommando in der Bendlerstraße wurden die wohlvorbereiteten Maßnahmen in Gang gesetzt, da nach dort eingelaufenen Meldungen der Anschlag mißglückt war. Weniger die Umstimmung des zunächst befehlsgemäß im Sinne der Verschwörer han-delnden Majors Remer durch Goebbels und Hitler selbst hat nun die Entwicklung bestimmt. Größere Bedeutung hatten die baldige Aufhebung der Nachrichtensperre im Führerhauptquartier durch Hitler, die Meldung des Rundfunks über das Mißlingen des Attentats, die Gegenbefehle Keitels und Himmlers an die Kommandostellen im Reich, Gegenaktionen der nicht kontrollierten Nachrichtenzentrale, sowie einer Offiziersgruppe irn Bendlerblock unter dem Oberstleutnant Herber und besonders das Ausbleiben der Infanterieschule Döberitz infolge zufälliger Abwesenheit ihres eingeweihten Kommandeurs. Sie hatten die Funkstellen besetzen sollen. In Paris lief einerseits das Unternehmen Stülpnagels gegen die SS erfolgreich ab, anderer-seils scheute sich der sympathisierende Ober-befehlshaber West, Feldmarschall von Kluge, durch Einstellung des Widerstandes an der Front vollendete Tatsachen zu schaffen. In Berlin endete die Aktion bald nach 23 Uhr mit der Gefangennahme und standrechtlicher Erschießung ihrer Träger auf Befehl des wieder befreiten Generalobersten Fromm. Generaloberst Beck richtete die Waffe gegen sieh selbst. Es ist, als ob eine höhere Fügung Deutschland diesmal verwehren wollte, der vollen Niederlage auszuweichen oder sie wegzuleugnen. Der gewissenlosen Propaganda der Staatsführung blieb es gleichwohl vorbehalten, die Widerstandskämpfer zum Sündenbock für ihre Fehlschläge zu stempeln.

„Gewissenlose Ehrgeizlinge"

Hatte Hitler zunächst den Anschlag einer »ganz kleinen Clique ehrgeiziger gewissenloser" Offiziere zugeschrieben, so entdeckte die zur Untersuchung eingesetzte Sonderkommission der Gestapo von 400 Beamten infolge für sie günstiger Umstände über die Männer des 20. Juli hinaus erheblich weitere Kreise der Opposition. Hitler hielt über sie alle Ge-richt, wie es seinem Wesen entsprach. Nach unsäglichen Leiden, Folterungen und Beschimpfungen durch den Volksgerichtshof-Präsidenten Freisler gingen die Widerstandskämpfer zu einem für Hitler im Bilde festgehaltenen Tode. Die menschliche Haltung, in der sie diesem Tod ins Auge sahen, zeigte noch einmal, daß es nicht Ehrgeiz sein konnte, was ihr Streben geleitet hatte. Ihr Unternehmen als solches war gescheitert. Es bedarf aber nicht einmal jener Rechtfertigung, daß in den neun Kriegsmonaten nach dem 20. Juli allein mehr Menschen umkommen sollten als in der gesamten Kriegszeit vorher. Denn ein letzter Sinn ihres Handelns blieb trotz des äußeren Fehlschlags erhalten, und dieser Sinn hat sich erfüllt: ein Zeichen des „anderen Deutschland" aufzurichten, das Hitler überdauerte, ein Zeichen, das bei rechter Würdigung durch die Nachlebenden ihnen den Weg zu innerer Erneuerung weisen mag.

Das Vermächtnis

So kann man zusammenfassend dem Urteil Hitlers kaum eine bessere Würdigung entgegenstellen als die Worte des Sozialisten Dahrendorf: „Der revolutionäre Anschlag vom 20. Juli 1944 sollte nicht als ein schlecht ausgeführtes Unternehmen von Offizieren betrachtet werden, die alle Hoffnung aufgegeben hatten und einer Zwangslage zu entkommen suchten. Es war auch kein Versuch von Seiten murrender reaktionärer Militaristen, das Band zu zerschneiden, das sie an den Faschismus fesselte. Die motivierende Kraft, die hinter allen Vorbereitungen stand, war ein fester politischer Wille." Dieser Wille, so ergänzen wir, ging dahin, die entartete Staats-führung zu stürzen, um die Substanz des Volkes zu retten, letztlich aber ein Zeichen der Abkehr von ihren Untaten und der eigenen inneren Einkehr aufzurichten. Keine einfältigen Vereinfachungen, keine böswilligen Machenschaften dürfen uns den Zugang zu dem Wollen der Männer des 20. Juli versperren. Die Einmaligkeit der praktischen Situation und ihrer eigenen Gewissenslage fordert von jedem, der urteilen will, zuvor Bereitschaft zu innerer Einfühlung und geschichtlichem Respekt. In diesem Sinne gedenken wir der Männer des 20. Juli, entschlossen, ihren Gewissenskampf und ihr Handeln als kostbares Vermächtnis für die Zukunft zu bewahren. Es ist so, wie Theodor Heuss in seiner Gedenkrede gesagt hat: „Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst." Dazu bedarf es der Anstrengung aller Gutgesinnten, zur Überwindung der Trägheit der Herzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ich verweise hierzu und zum folgenden Absatz auf die Ausführungen von Professor Dr. Ru-pert Angermair in seinem Gutachten im Remer-Prozeß im März 1952 in Braunschweig (vgl. Sonderausgabe der Wochenzeitung „DAS PARLAMENT* zum 20. 7. 52) und in seinem Vortrag zum Thema „Befehl und Gewissen" in der Scholastica in München am 15. Juli 1954.

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