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Postscriptum zur EVG | APuZ 44/1954 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 44/1954 Postscriptum zur EVG Die beiden Wiegen der jüdischen Freiheit. Die neue Welt und das Vaterland

Postscriptum zur EVG

Hamilton Fish Armstrong

Mit Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir aus der amerikanischen Zeitschrift «FOREIGN AFFAIRS* den folgenden Artikel des Herausgebers der Zeitsdirift, Hamilton Fish Armstrong:

Die militärische Offensive der Kommunisten im Fernen Osten hat in diesem Jahr der anti-kommunistischen Koalition im Westen schwere Schläge versetzt. Gleichzeitig hat die politische Offensive der Kommunisten im Westen die antikommunistische Koalition im Fernen Osten sehr geschädigt. Das hatte zur Folge, daß die „Große Allianz", die nach dem letzten Krieg im Westen gegründet und durch konstruktive Verteidigungsmaßnahmen wie den Marshall-Plan und die NATO gefestigt wurde, heute nicht mehr das ist, was sie einmal war. Diese Allianz ist nicht so sehr gebrochen, als vielmehr in ihrer Substanz verändert worden: Härte verwandelte sich in Weichheit. Wird daher heute an irgendeiner Stelle ein Druck ausgeübt, so besteht die Tendenz zum Nachgeben an dieser Stelle; werden an einer anderen Attraktionen angeboten, neigt man dort zum Einlenken.

Es kann auch bei festen Gegenständen oftmals die Gefahr eines Bruches bestehen, nämlich dann, wenn die Belastung zu groß wird. Wäre die Große Allianz in ihrer ursprünglichen Form der Belastung eines direkten sowjetischen Angriffes ausgesetzt worden, so ist es fraglich, ob sie gehalten hätte oder nicht. Wahrscheinlich wäre sie von Bestand gewesen. Gerade diese Wahrscheinlichkeit hat den Feind davon abgehalten, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Wenn wir aber bedenken, daß alles „Weiche“ nicht einmal die Kraft hat, abschreckend zu wirken, so ist die Frage berechtigt, ob nun die zwar „weiche“, aber in vielen ihrer Teile trotzdem noch zusammenhaltende Allianz, so wie sie sich jetzt entwickelt, noch dehnbar genug ist, um weiterbestehen und sogar eines Tages der Kristallisationspunkt für neue und wirksame Vereinbarungen zwischen einigen der nicht-kommunistischen Mächte werden zu können.

Politisch gesehen stand die freie Welt auf dem Höhepunkt ihrer Stärke zu Beginn des Korea-Krieges im Jahre 1950. Der Sicherheitsrat der UN beschloß, daß der Tatbestand eines „bewaffneten Angriffs“ auf Südkorea gegeben sei. Er folgte dieser Feststellung mit einer Empfehlung, daß die Mitgliedstaaten Hilfe leisten sollten, um diesen Angriff abzuwehren. Diese größte Nachkriegskrise seit der Entscheidung die Berliner Blockade zu brechen, sah damals die drei großen Nationen des Westens vereint.

Vom militärischen Gesichtspunkt aus war die freie Welt wahrscheinlich auf dem Höhepunkt ihrer Stärke in den unmittelbar darauf folgenden Monaten, obwohl das Kräftepotential der einzelnen Staaten noch nicht voll entwickelt war. Die Erklärung für diese militärische Tatsache war darin zu suchen, daß der Kampfeswille der freien Welt damals am stärksten war. Die Staa-ten, die dafür stimmten, daß man sich Nordkorea und seinen Hintermännern mit bewaffneter Macht entgegenstellen sollte, taten dies nur zögernd. Aber sie glaubten nicht nur, daß sia im Recht waren, sondern auch, daß sie weniger riskierten, wenn sie die Aggression auf der Stelle aufhielten, als wenn sie lediglich auf Zeitgewinn ausgingen, bis diese Aggression noch größere Formen angenommen haben würde.

Von diesem Höhepunkt ist es stetig abwärts gegangen. Dieses Abwärtsgleiten hat in dem letzten Jahr geradezu überstürzende Formen angenommen. Relativ betrachtet sind in den strategischen Positionen der Alliierten im Verhältnis zu denen des Sowjetblockes drastische Veränderungen eingetreten. Dasselbe gilt für die psychologische Haltung der westlichen Völker und für die Politik ihrer Führer; und schließlich gilt es für die öffentlich eingenommene Haltung der sogenannten „nicht-festgelegten Nationen", d. h.derjenigen, die mehr von ihrer Veranlagung als von ihrer geographischen Lage oder der ihnen innewohnenden Stärke her die Hoffnung hegen, in einem künftigen Krieg neutral bleiben und in der Zwischenzeit davon Abstand nehmen zu können, in der Position, die die kommunistische und die nicht-kommunistische Seite eingenommen haben, rechtliche oder moralische Unterschiede zu entdecken. (Sei dies nun in bestimmten Streitigkeiten oder ganz allgemein).

Die Abwärtsbewegung der Spirale

INHALT DIESER BEILAGE: Hamilton Fish Armstrong: „Postscriptum zur EVG" Cecil Roth: „Die beiden Wiegen der jüdischen Freiheit"

Die Abwärtsbewegung der Spirale begann mit den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der freien Welt. Diese waren hervorgerufen worden durch den Eintritt des kommunistischen China in den Korea Krieg, durch den langen Rückzug der UN Truppen und durch die Besorgnis, die das amerikanische Gerede von Blockade und Bombardierung Chinas hervorgerufen hatte: Schien doch durch dieses Gerede ein großer Krieg auf dem asiatischen Kontinent und damit die Wahrscheinlichkeit in Aussicht gestellt, daß sich ein solcher Krieg zu einem allgemeinen Weltbrand ausweiten würde.

Die Geschwindigkeit der Spiralenbewegung wurde nach Stalins Tod noch vergrößert. Das Hinscheiden des russischen Despoten wurde dem Kreml zur bequemen Entschuldigung dafür, daß er so tat, als ob er seine Ziele, und nicht nur seine Taktik zur Erreichung dieser Ziele geändert hätte. In jedem Lande bedienten sich alle möglichen Gruppen eifrig dieser Tatsache. Die einen waren der Ansicht, daß die Sowjets tatsächlich ihre Ziele modifiziert hätten; die anderen hofften es nur, oder gaben sich dem Wunsche solcher Hoffnungen hin; wieder andere schließlich glaub-ten ganz einfach, daß es ihrer Popularität dienen würde, wenn sie nur vorgaben, es zu hoffen.

Die ganze Entwicklung wurde durch eine alarmierend fähige und erfolgreiche sowjetische Diplomatie und Propaganda beschleunigt. Diese Tatsache war ja schon in sich selbst ein Beweis dafür, daß die neue „Gruppenherrschaft" im Kreml keineswegs weniger gefährlich war, als es der alte Autokrat gewesen — ganz im Gegenteil. Sogar in den Vereinigten Staaten waren die hieraus entstehenden Folgen beträchtlich. Alle maßgeblichen Persönlichkeiten erklärten warnend, daß die kommunistische Bedrohung absolut die gleiche geblieben sei. Beinahe jedermann war aber höchst unwillig, dieser Tatsache Rechnung zu tragen durch weitere hohe Steuern, durch das Bereitstellen von Haushaltsmitteln für militärische Pläne, für militärische und technische Auslandshilfe, oder aber für unseren eigenen diplomatischen Dienst und die Informationsprogramme. Bei einigen unserer Verbündeten und bei einigen der sogenannten „nicht-festge-legten" Nationen war die als Folge dieser Entwicklung eintretende Verwirrung noch größer.

Kein zufälliges Zusammentreffen

Als die französische Nationalversammlung den EVG-Vertrag sterben ließ und ihm sogar die Würde eines anständigen Begräbnisses verweigerte, erklärte der Ministerpräsident Pierre Mendes-France, daß sich vielleicht 18 Monate früher eine Mehrheit für die EVG gefunden hätte. Was war eigentlich in der Zwischenzeit passiert? Wenn wir rückwärts zählen, kommen wir zum Früjahr 1953. Im nächsten Monat starb Stalin und es begann die „weiche Strategie" des Kreml. Es kann kein zufälliges Zusammentreffen gewesen sein, daß der französische Ministerpräsident, der das Abdanken der Franzosen in Indochina vertraglich festgelegt hatte, derselbe war, der die darauf erfolgende französische Ablehnung der Europa-Armee mit der neuen sowjetischen Strategie in eine Gedankenverbindung brachte. Schließlich hingen ja beide Aktionen ganz eindeutig zusammen.

In Genf erlangte M. Mendes-France viel vorteilhaftere Bedingungen, als diese durch die tatsächliche Lage der französischen Streitkräfte in Indochina gerechtfertigt waren. Er muß gewußt haben, daß das Nachlassen des kommunistischen Druckes in Asien den letzten Vorstoß der sowjetischen politischen Offensive in Europa mit dem Ziel einer Vernichtung der westlichen Verteidigungsgemeinschaft vorbereiten sollte. Wir brauchen gar nicht einmal anzunehmen, daß die Umgebung des Herrn Molotow mit der des Monsieur Mendes-France in Genf über die Früchte eines sowjetisch-französischen „Arrangements“

tuschelte. Es gibt dennoch Anzeichen dafür, daß beide Seiten die Logik der Lage stillschweigend anerkannten. Eins dieser Anzeichen war, daß M.

Mendes-France erklärte, es stünde in seiner Macht, die vertraglichen Vereinbarungen zur Wiederherstellung der deutschen Souveränität zu ratifizieren, daß er dann aber anschließend versprach, diese seine Macht nicht auszunutzen.

Ein weiteres Anzeichen war die von ihm proklamierte, neutrale Haltung gegenüber der EVG in der Kammer-Debatte. Durch diese zwei Entscheidungen stellte der französische Ministerpräsident sicher, daß er tatsächlich nichts tun konnte.

Das polnische ßündnisangebot

Wenn Herr Mendes-France auch nur für einen Augenblick angenommen hatte, daß es die Überlegenheit seiner Argumente gewesen war, die Herrn Molotow dazu bewogen hatte, ihn in Genf inmitten einer nationalen Katastrophe zu einem persönlichen Triumph zu verhelfen, so folgte die Ernüchterung auf der Stelle. Die wahre Bedeutung und Stoßrichtung der sowjetischen Anstrengungen wurde offenbar, als Polen 24 Stunden vor dem angesetzten Beginn der Kammerdebatte über die EVG Frankreich einen zweiseitigen Bündnis-und Beistandspakt anbot, gleichzeitig aber davor warnte, daß die Bildung einer europäischen Armee zu einem dritten Weltkrieg führen würde.

Vielleicht würde das Bündnisangebot eines russisch-kontrollierten Polen zu jedem anderen Zeitpunkt ein so durchsichtiges Propaganda-Manöver gewesen sein, daß es wie ein Boomerang mit verletzender Wirkung auf den Vater des Gedankens zurückgefallen und dabei von einem beißenden Schauer gallischen Witzes begleitet gewesen wäre. Die Franzosen hätten in ihreErinnerung die Umstände zurückgerufen, unter denen ihr letzter Vertrag mit Polen nach dem ersten Weltkrieg unterzeichnet worden war. Sie hätten sich dann weiter an die Geschichte dieses Vertrages erinnert; daran nämlich, daß dieser Vertrag unterzeichnet wurde, nachdem Frankreich durch die Vereinigten Staaten und England im Stich gelassen und somit der erste Schritt zum 2. Weltkrieg getan worden war. Wir hatten uns geweigert, den Versailler Vertrag zu ratifizieren, genau so wie wir uns geweigert hatten, den Völkerbundpakt oder — was in der Erinnerung der Franzosen am wichtigsten war — den Drei-

mächte-Vertrag zu ratifizieren, dem sowohl Wilson wie Lloyd George ursprünglich zugestimmt hatten und durch dessen Garantien Frankreich gegenüber einem neuen deutschen Angriff gesichert worden war. Die Briten hatten sich ganz unabhängig von den Vereinigten Staaten geweigert, die eingegangene Verpflichtung zu honorieren.

So wurde Frankreich in beängstigender Weise exponiert und im Stich gelassen. Es tat daher das einzige, was ihm zu tun übrig blieb:

es fing an, ein Netz von zweiseitigen Beistandspakten mit den „neuen“ Ländern in Osteuropa auszubauen.

Nach dem Scheitern des Genfer Protokolls vom Jahre 1925 wurde die französische Lagesogar noch gefährlicher; denn dieses Protokoll stellte eindeutig die Umkehr der britischen Politik dem Kontinent gegenüber heraus. Diese Umkehr war unmittelbar auf die Übernahme der englischen Regierung durch Baldwin eingeleitet worden. Mit der Aufgabe des Versuches, die Verpflichtungen der kollektiven Sicherheit zu präzisieren, endete alle Hoffnung darauf, daß der Völkerbund auf wirklich wirksame Weise Aggressionen verhindern oder niederschlagen würde. Der Vertrag von Locarno war der Ersatz für das Genfer Protokoll. Durch die Garantien dieses Vertrages sicherte England mit bemerkenswerter Unparteilichkeit sowohl Frankreich gegenüber einem deutschen Angriff wie Deutschland gegenüber einem französischen. Osteuropa wurde ungeschützt gelassen. Dort fing dann auch schließlich der Krieg an.

In der Zwischenzeit wurde Frankreich in zunehmendem Maße durch die englische Annäherung an-Deutschland isoliert, eine Annäherung, die sogar hoch nach Hitlers Machtübernahme anhielt und noch ganz besonders durch den englisch-deutschen Marinevertrag vom Jahre 1935 unterstrichen wurde. Frankreich war wie gelähmt, als die Nazis das Rheinland im darauf-folgenden Jahr besetzten. In München traten Frankreich und England zusammen den Rückzug an. Sie taten dasselbe, als Hitler in offenkundiger Verletzung des Münchener Abkommens zur Besetzung von Prag schritt. Dann endlich begriffen die Engländer, daß die Verhinderung der Aggression in Osteuropa tatsächlich in ihrem ureigensten Interesse lag: Chamberlain gab sein Versprechen an Polen ab. Dieses Versprechen wirkte jedoch auf Hitlers Gemüt niemals glaubwürdig; er hatte nicht die geringste Ahnung von dem englischen Charakter und von der Bedeutung eines Versprechens, wenn es sein mußte, zu den Waffen zu greifen. Sowohl England wie Frankreich lösten ihre Obligationen ein, als Hitler in Polen einfiel. Zwei Jahre und 3 Monate später . bewirkte der japanische Kriegseintritt, daß die Vereinigten Staaten diesen beiden Ländern zu Hilfe kamen.

Das Vertragsangebot des kommunistischen Polen am Vorabend der EVG-Debatte, die nie abgehalten wurde, scheint den französischen Gegnern einer Europa-Armee niemals den Unterschied in der Lage ihres Landes heute und im Jahre 1920 zum Bewußtsein gebracht zu haben. Diesmal sind amerikanische Truppen noch neun Jahre nach Ende der Feindseligkeiten in Europa. Präsident Eisenhower sicherte am 16. 4. 1954 zu, daß diese Truppen in einer Stärke dort verbleiben, die es den Vereinigten Staaten erlauben würde, ihren „angemessenen Beitrag" zur Verteidigung des atlantischen Raumes zu leisten, solange dieser Raum noch weiter bedroht ist. Außenminister Anthony Eden gab eine ähnliche Erklärung ab, derzufolge England eine genügende Anzahl von Streitkräften auf dem Kontinent belassen würde, um auch seinerseits diesen „angemessenen Beitrag" zu denselben Verteidigungsanstrengungen zu leisten. Ein Vertrag zwischen England und den EVG-Staaten legte im einzelnen den Modus fest, durch den „die Integration der englischen mit den EVG-Truppen im Rahmen der NATO sichergestellt“ wurde. All dies ergänzte die Dreimächte-Erklärung des Vorjahres, wonach sich England und die Vereinigten Staaten verpflichteten, eine Bedrohung der EVG als eine Bedrohung ihrer selbst anzusehen.

Die Haltung Englands

Auf diese Weise erlangte Frankreich von den Vereinigten Staaten der Substanz nach, was es 25 Jahre früher vergeblich angestrebt hatte. Was England betraf, so pochte dieses Land getreu seiner Tradition weiter darauf, daß es mehr sei als nur eine kontinentale Macht. England ist ja ein „Teil“ Europas aber nicht „in“ Europa. Immerhin bot es das an, was die Londoner Times im Anschluß an die Rede Mr. Edens eine „Partnerschaft“ nannte, die „so vollkommen und so bindend wie nur möglich“ war. Für die Mehrheit der Mitglieder der französischen Kammer waren jedoch diese englischen Verpflichtungen nicht so ausreichend, als daß sie das Risiko wettgemacht hätten, das dieser Mehrheit durch besonders enge Bindungen an einen militärisch und wirtschaftlich so mächtigen Konkurrenten'wie Deutschland gegeben schien. Sie sahen nicht ein, warum Frankreich — selbst mit einer amerikanischen und englischen Garantie — in Beziehungen zu Westdeutschland eintreten sollte, denen sich England absichtlich versagte und durch die im Kem das Problem nicht gelöst wurde, was im Falle einer deutschen Wiedervereinigung geschehen würde. Immer noch unter dem emotionalen Schock, den zwei deutsche Invasionen in einer Generation ausgelöst hatten, konnten sie nicht der Tatsache ins Auge schauen, daß sie nur zwischen zwei Dingen zu wählen hatten, die sie beide nicht mochten: nämlich zwischen einer kontrollierten und einer unkontrollierten Wiederaufrüstung Westdeutschlands. Sie waren auch nicht in der Lage, ihre Augen weit genug in die Ferne schweifen zu lassen, um so über die deutsche Gefahr hinaus die sowjetische sehen und die Unterschiede zwischen beiden einschätzen zu können. Ganz abgesehen von Unterschieden in sich selbst, stellen sich diese Gefahren für Frankreich zwangsläufig in der Hinsicht verschieden dar, daß England und die Vereinigten Staaten sie anders beurteilen als Frankreich, und daß die beiden angelsächsischen Länder ihre Haltung Frankreich gegenüber zu einem großen Teil von der Haltung abhängig machen, die Frankreich selber in bezug auf diese beiden Gefahren einnimmt.

Nationalismus

Es wäre überaus enttäuschend und bitter, wenn der Zusammenbruch der EVG das endgültige Ergebnis von beinahe einem Jahrzehnt deutscher und französischer Bemühungen sein sollte, sich ihrer engen Nachbarschaft anzupassen, oder wenn dieser Zusammenbruch das endgültige Ergebnis aller freundlichen Hilfe bedeuten würde, die andere Staaten leisteten, um es Deutschland und Frankreich leichter zu machen, sich in einer westeuropäischen Gemeinschaft als gute Nachbarn zu vertragen. Wenn man dafür sorgen will, daß weder die eine noch die andere Seite unwiderrufliche Schritte unternimmt, muß man sich in dieser Krise in erster Linie auf die großen Teile der öffentlichen Meinung in beiden Ländern verlassen, die sich nach einer neuen Ära des Verstehens sehnten. Wir Amerikaner können in dieser Situation keine Hilfestellung leisten, wenn wir den Zusammenbruch der EVG alleine dem französischen Nationalismus zuschreiben, oder wenn wir die Deutschen dafür tadeln, daß sie in ihrer Enttäuschung neue nationalistische Tendenzen entwickeln, oder aber wenn wir jeden Nationalismus als „engstirnig“ und „schlecht“ in sich selbst brandmarken. Nationalismus nach der genauen Definition des Wortes ist die Basis für jedes internationale Abkommen. Die meisten Adjektiva werden ja subjektiv bewertet. Wir nannten den französischen Nationalismus, der das Freie Frankreich vor Petain rettete, nicht „schlecht": wir sind nicht traurig darüber, daß derselbe Nationalismus Frankreich und Italien vor einer Beherrschung durch den internationalen Kommunismus bewahrt oder Jugoslawien aus dem sowjetischen Bannkreis herausgeführt hat; wir rechnen damit, daß dieser Nationalismus seinen Kampf gegen die sowjetische Marionet-

ten-Regierung in Ostdeutschland fortsetzen wird; wir hoffen, daß er heute im Zeichen des beendeten Kolonialzeitalters in Südasien genau so mächtig ist, wie dies der Fall war, als der Unabhängigkeitskampf noch mehr gegen die Westmächte, und nicht so sehr gegen die Unterjochung unter eine kommunistische Diktatur geführt wurde. Wir werden schließlich jubeln, wenn eines Tages dieser Nationalismus Osteuropa erlöst.

Ziel der amerikanischen Regierung

Während die Debatte um die EVG in Europa eine Phase nach der anderen durchmachte, war es das einzige Ziel der amerikanischen Regierung, den Kräften, die auf eine westeuropäische Freundschaft und Verständigung hinarbeiteten, so viel wie möglich an Hilfestellung zu leisten. Die eben genannte Verpflichtung Eisenhowers war nur eine in einer langen Reihe von freundschaftlichen Erklärungen und ermutigenden Aktionen. Unsere Tendenz ging jedoch zu stark dahin, uns auf die Logik einer Lage zu versteifen, die nur zu einem Viertel Logik, zu Dreiviertel aber Gefühl war. Wir waren wirklich so weit gegangen, um die EVG mit zu ermöglichen, daß wir einfach nicht glauben konnten, diese EVG würde vielleicht auch dann noch nicht im Bereich des Möglichen liegen. Wir hatten uns solch beredter Argumente für die EVG bedient, daß wir uns selber in den Glauben hinein geredet hatten, keine Ersatzlösung würde ausreichen. Wir verstanden nicht voll und ganz die Bedeutung. die für M. Mendes-France in der Stärkung der rückständigen französischen Wirtschaft lag, bevor diese Wirtschaft enger mit der kräftigen und sich ausdehnenden deutschen Wirtschaft verbunden sein würde. Wir verstanden auch nicht seine Entschlossenheit, das auf eine wirtschaftliche Integration ausgerichtete Tempo nicht durch eine militärische und politische Integration zu forcieren. Vorwärtsgetrieben durch einige ihrer indiskretesten Anhänger im Senat, drang unsere Regierung auf das, was einmal ein französischer Plan zur Verwendung des deutschen Kräftepotentials im Rahmen der westlichen Verteidigung gewesen war. Plötzlich schien die EVG nicht so sehr das Kind der Herren Schuman und Pleven, wie eine amerikanische Erfindung, die das sine qua non einer weiteren Unterstützung Frankreichs durch die Vereinigten Staaten darstellte; die EVG schien dann nicht dem Wohl der beiden Länder Deutschland und Frankreich oder dem Wohl Europas als ganzem zu dienen, als vielmehr amerikanischen Interessen.

Uns hat es augenblicklich in erster Linie darum zu gehen, daß wir von den Erfahrungen, die wir gemacht haben, lernen, nicht aber darum, daß wir über die unterschiedlichen Auffassungen weiter argumentieren. Wir fangen wieder von vorne an. Anstatt daß wir den Versuch unternehmen, die EVG bis zu einem Punkt zu verwässern, wo sie für ihre französischen Gegner akzeptabel werden könnte, sollten wir lieber von unten aufbauen und auf diese Weise errei-

chen, daß soviel von dem Programm für eine westeuropäische Verteidigungsgemeinschaft durchgesetzt wird, wie dies nur irgendwie im Bereich des praktisch Durchführbaren liegen mag.

Alternativen

Die der EVG gegenüber bezogenen Stellungen hatten sich bis zu einem Grade versteift, daß sie einfach nicht mehr beiseite geschoben werden konnten. Jetzt wird die nackte Wahl, vor die Frankreich gestellt ist, vielleicht deutlicher werden. Einige Leute, die in den letzten August-tagen sicher waren, daß sie richtig daran getan hatten, die EVG abzulehnen, mögen jetzt vielleicht zögern, logische Alternativen anzunehmen.

Einer der Wege, die Frankreich offen stehen, würde in dem verzweifelten Versuch bestehen, jede nur denkbare deutsche Wiederbewaffnung zu verhindern. Dieser Weg käme aber einer Opposition gegen die westdeutsche Souveränität gleich, die sich unzweifelhaft ohne Rücksicht auf eine französische Opposition oder Zustimmung realisieren wird. M. Mendes-France hat diese Souveränität selber gebilligt und sie wird so oder so zu einem frühen Zeitpunkt verwirklicht werden. Bundeskanzler Adenauer war bestrebt, eine unabhängige deutsche Armee zu vermeiden. Diese wird es aber geben, es sei denn, die deutsche Armee wird mit den anderen westeuropäischen Armeen in demselben Augenblick koordiniert, in dem Westdeutschland seine Souveränität erlangt.

Eine andere Alternative würde darin bestehen, mit Sowjetrußland „hinter Deutschlands Rücken“ — so nannte es ein früherer sozialistischer Ministerpräsident Frankreichs dem Autoren dieser Zeilen gegenüber — einen Vertrag abzuschließen. Es sind viele Stimmen in Frankreich laut geworden, die darauf drängen, daß immer wieder neue Versuche unternommen werden, um zu einem „Einvernehmen" mit den Sowjets über Deutsch-land zu kommen. Einige Leute bringen diese Vorschläge in Beziehung zu einem Projekt für eine allgemeine Abrüstung einschließlich der Abschaffung aller atomaren Waffen. Setzen diese Leute wirklich ihre Hoffnung auf eine sowjetische Zustimmung zu irgendeinem Plan, der Deutschland auf demokratischem Wege vereinen soll, ohne daß dabei im Endeffekt das ganze Land dem Kommunismus überantwortet würde? Oder hoffen sie, daß die Sowjetunion irgendeinem Plan der Abrüstung zustimmen würde, der vorsieht, daß jeder Block feststellen kann, ob der andere tatsächlich das tut, was er versprach? Würde aber irgend etwas, das diese Voraussetzungen nicht erfüllte, von der Mehrheit der Franzosen akzeptiert werden?

Bundeskanzler Dr. Adenauer

Selbst diejenigen, die Deutschland am meisten mißtrauen, müssen anerkennen, daß die Bonner Regierung im vergangenen Jahr selbst angesichts der Enttäuschungen auf außenpolitischem Gebiet und der steigenden Unruhe im eigenen Lande Disziplin und Zurückhaltung an den Tag gelegt hat. Einige innerdeutsche Kritiker des Bundeskanzlers Adenauer, die längst von der Bühne abgetreten waren, zeigten sich plötzlich wieder am politischen Horizont, um zu demonstrieren, wie wenig sie vergessen und wie wenig sie seit Hitlers Machtübernahme gelernt hatten. Adenauer mußte auch den unvermeidlichen Versuchen deutscher Reaktionäre begegnen, die Schwierigkeiten auszunutzen, die sich einer Versöhnung mit Deutschlands traditionellem Feind in den Weg stellten. Darüber hinaus mußte Adenauer den Ehrgeiz deutscher Geschäftsleute dämpfen, die nach neuen Handelsmöglichkeiten im Osten Ausschau hielten. Gegen Adenauer standen auch die Neutralisten aller Schattierungen. Neutralismus appelliert ja nicht einfach an diejenigen, die in Deutschland das Wort „Humanität"

auf ihren Fahnen geschrieben haben und daher die Russen fürchten und nur auf Wege sinnen, Deutschland aus einem neuen Krieg herauszuhalten; Neutralismus zieht ja auch Nationalisten an, die hochtrabende Ideen von der Fähigkeit Deutschlands haben, als Vermittler zwischen Sowjetrußland und dem Westen aufzutreten. Diese Auffassung ist nur einen kleinen Schritt von dem Gedanken entfernt, Deutschland könne erst den einen und dann den anderen erpressen. Die Flüchtlinge und die Vertriebenen aus der Ostzone haben Bundeskanzler Adenauer deswegen kritisiert, weil er die Forderungen nach Wiedervereinigung (die für sie eine Rückkehr nach Hause bedeutet) zu Gunsten einer Integration Westdeutschland mit Westeuropa hinausgeschoben habe. Diese Leute stellen nur einen Teil der allgemeinen Sehnsucht nach Einheit und Unabhängigkeit dar. Diese Sehnsucht hat sich erst in letzter Zeit den Weg zu einer Unzufriedenheit darüber gebahnt, daß die Mächte, die Westdeutschland die Unabhängigkeit versprochen haben, diese ihr so lange vorenthalten.

Keine dieser Tendenzen kam unerwartet. Auch war es leider nicht unerwartet, daß diese Tendenzen eine eno. me Stärkung durch die französische Ablehnung einer Zusammenarbeit in der EVG erfahren würden. Das Ziel, deutsche Bedürfnisse und Hoffnungen mit einem größeren Ideal als mit Deutschland selber zu identifizieren, dieses Ziel ist ernstlich versperrt worden. Das gilt für die breite Masse des Volkes, die Bundeskanzler Adenauer gefolgt war, aber auch für ihn selber, wie sein verbitterter Kommentar zeigte. Der Nationalismus ist in Deutschland genau so wie in Frankreich eine treibende Kraft. Dennoch müssen wir, wie dies Meyer Handler in einem seiner Berichte aus Bonn uns geraten hat, unterscheiden zwischen Nationalismus und Nationalisten. Es gibt zweifellos deutsche Nationalisten. Die Aufgabe besteht daher darin, diese Leute vom Hebelarm fern zu halten. Das werden wir aber nicht tun können, wenn wir es versäumen, die nationalen Interessen Deutschlands in Rechnung zu stellen. Es gelingt nur, wenn wir den Versuch unternehmen, diese Interessen im Rahmen einer Zusammenarbeit zu befriedigen, der so weit wie nur irgendmöglich gespannt sein muß. Was wir anstreben ist die bestmögliche Sicherung dagegen, daß deutsche Nationalisten die Welt noch einmal bedrohen. Insbesondere wünschen wir sicher zu gehen, daß diese Nationalisten die Welt nicht dann bedrohen werden, wenn sie einmal mit den Sowjets eine „marriage de convenience" (Vernunftsehe) eingegangen sein sollten. Daß man gerade diesen Faktor in der ganzen EVG-Debatte in Frankreich unerwähnt ließ, war für die Menschen außerhalb Frankreichs am schwierigsten zu verstehen.

Auf unbestimmte Zeit „Gewehr bei Fuß”

Die Situation, der wir uns gegenüber gestellt sehen, besteht in der typischen Clausewitz-Lenin Konzeption eines Krieges, in dem politische und militärische Waffen vereint sind und austauschbar dazu verwendet werden, uns voneinander zu trennen und dann zu vernichten. Unser Ziel ist es, unsere Feinde an einem Erfolg dieser Politik zu hindern. Dies ist ein viel schwierigeres Problem als dasjenige, vor dem die Feinde stehen: denn unser Programm hängt von der Willenskraft und der Zurückhaltung, und nicht von Tricks und kleinen militärischen Aggressionen als Teile einer fortgesetzten politischen Offensive ab. Wenn uns der Erfolg beschieden sein soll, so müssen wir willens sein, auf unbestimmte Zeit hinaus „Gewehr bei Fuß" zu stehen, ohne daß wir zu einem Krieg entschlossen sind. LInsere eigenen Kräfte sind nicht so überwältigend, daß wir es uns leisten könnten, zögernde Bundesgenossen abzuschreiben, es sei denn, wir hätten es vorher bis zum Äußersten und ununterbrochen, aber dann vergeblich versucht, solchen Bundesgenossen das Gemeinsame unserer Interessen vor Augen zu führen und sie davon zu überzeugen, daß sie sich in die Abwehrfront einreihen sollten, damit diese so wirksam wie nur möglich verteidigt werden kann.

Europa hat das Gefühl, im Falle eines Atomangriffes mehr in der „Frontlinie“ zu sein als wir in der „Etappe“. Diese Einschätzung der Lage läßt jedoch außer acht, daß es für die Sowjets unlogisch sein könnte, den ersten Angriff gegen die Frontlinie zu führen. In einem Krieg, in dem die eröffnende Phase vielleicht die entscheidende sein wird, würde es eigentlich das erste Ziel der Sowjets sein müssen, die lebenswichtigen Kräfte ihres Feindes auszuschalten. Wo aber sind diese Kräfte zu finden? In den Vereinigten Staaten, da diese ja die Macht besitzen, einen Schlag gegen Europa mit einem Schlag gegen das russische Herz zu beantworten und darüber hinaus noch die Macht, in einem langen Krieg die sowjetischen Armeen wirtschaftlich und strategisch zu überrunden. Angesichts dieser Tatsache ist es ganz natürlich, wenn der folgende, bisher in Europa offensichtlich nicht genügend in Rechnung gestellte Gedanke Amerika in ganz besonderem Maße beherrscht: der erste Angriff kann ohne Warnung erfolgen; er kann ein Angriff auf die Vereinigten Staaten sein, kann aber auch mit einer sowjetischen Bedrohung Europas und mit einem Angebot verbunden sein, Europa die über die Vereinigten Staaten hereinbrechenden Schrecken zu ersparen, wenn sich dieser Kontinent sofort für neutral erklärt oder wenigstens eine Politik des „Abwarten und dann weitersehen“ einschlägt. Würde jede europäische Regierung, wenn sie vor solche Alternativen gestellt wäre, das Risiko einer sofortigen Verwüstung ihres Landes dem Risiko einer kommunistischen Herrschaft vorziehen? Die Europäer sind also nicht die einzigen, die sich heute über die Festigkeit ihrer Bündnisse in Zeiten töt-licher Gefahren ihre Gedanken machen.

Notwendigkeit kollektiver Verteidigungsplanungen

Solche Spekulationen führen uns nicht nur immer wieder zu der absoluten Notwendigkeit, kollektiver Verteidigungsplanungen-und -Anstrengungen zurück: (weit auseinander gezogene Streitkräfte, austauschbare Serien von Stützpunkten, Ausbau der Warnungssysteme, motorisierte Kommandotruppen für besondere Aufgaben, bereitstehende Kräfte, die einen potentiellen Angreifer in Westeuropa abschrecken würden etc.). Solche Spekulationen unterstreichen darüber hinaus auch die Notwendigkeit, ein funktionierendes kollektives Sicherheitssystem aufrecht zu erhalten. Die Vereinigten Staaten müssen eindeutig für eine kollektive Sicherheit eintreten und sehr genau darauf achten, daß die Apparaturen, die eine Politik der kollektiven Sicherheit abstützen, an keiner Stelle eine Schwächung erfahren. Insbesondere muß im Rahmen der Vereinten Nationen die Chance für kollektive Aktionen am Leben erhalten werden. Solche Chance ist etwa durch die Resolution „Vereint für den Frieden . ..“ gegeben. Auf Gedeih und Verderb sind die Vereinten Nationen zu wichtig, als daß sie in einer Krise neutral sein könnten. Wenn diejenigen Mitgliedstaaten, die den Zielen der Vereinten Nationen treu ge-blieben sind, nicht von Anfang an die Erwartungen hegen und daraufhin planen, daß sich die UN im Eventualfälle gegen Aggressionen zusammenschließt, dann werden die Zauderer die friedenstiftenden Funktionen dieser Organisation benutzen, um ihre Politik des „Abwartens“ zu entschuldigen und um dann vielleicht zu guter-letzt in die Rolle eines Vermittlers zwischen dem Angreifer und der Leiche seines Opfers zu verfallen. Von verschiedenen Seiten wurde das ja ernstlich vorgeschlagen, als der Koreakrieg für uns seinen Tiefpunkt erreicht hatte.

In Genf schien M. Mendes-France auf kommunistischen Druck in Asien hin so zu reagieren, daß er das Ableben der EVG akzeptierte. Das war ein großer Sieg für die Sowjetunion — wie es die Prawda zum Ausdrude brachte — und die größte Niederlage des Westens in einer langen Reihe von Niederlagen, um M. Spaak zu zitieren. Immerhin, dieser Sieg und diese Niederlage waren nicht das letzte Wort. Es brauchte noch einen weiteren kommunistischen Vorstoß. Peking und Moskau schickten sich an, diesen Vorstoß zu machen. Außenminister Chu En Lai gab die Entschlossenheit zu einer Eroberung der Insel Formosa bekannt: die Quemoy Inseln wurden bombardiert und Sowjetdüsenjäger schossen im japanischen Meer ein amerikanisches Marineflugzeug ab. Dieses bedrohliche Reden und Handeln mag nebenbei von der Hoffnung bestimmt gewesen sein, daß dadurch einige der Konferenz-teilnehmer in Manila vorsichtiger würden, wenn es darauf ankam, ihre Länder auf ein wirksames Verteidigungssystem in Südostasien festzulegen. Der Zeitpunkt war jedoch viel mehr mit einem Blick auf Europa gewählt worden. Dort steuerte die sowjetische Strategie auf ihre größte Entscheidung zu. (Diese Strategie sucht bekanntlich den Gegner abwechselnd von rigorosen Maßnahmen durch rigorose Schreckschüsse abzuhalten, um sie dann wieder durch ein nachgiebiges Gerede von einer friedlichen Koexistenz anzuziehen). Der endgültige Test für die Durchschlagskraft der sowjetischen Diplomatie und Propaganda in der augenblicklichen Phase des kalten Krieges wird der sein, ob es den Russen gelingt, irgendeinen Kompromiß zu verhindern, der die Möglichkeit einer französisch-deutschen Zusammenarbeit wiederherstellen und gleichzeitig das deutsche Kräftepotential in die Vorbereitungen zur Abwehr eines eventuellen russischen Angriffes einbeziehen würde.

Die britische Regierung war genau so wie die amerikanische niedergeschlagen, als sie die EVG zerstört sah. Aber auch sie steht unter einem Druck von Asien her, und zwar unter einem kommunistischen Druck, der über Neu Delhi ausgeübt und dabei auf das wirkungsvollste von dem linken Labour-Flügel in England selber unterstützt wird. Die britische Regierung setzte ihr Vertrauen zunächst auf regionale Bündnisse, um Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, die durch die Pläne für direkte kollektive Maßnahmen der UN hervorgerufen worden waren. Heute muß die britische Regierung jedoch u. a., die Erfahrung machen, daß solche regionalen Bündnisse dieselben Nachteile für ein weitverzweigtes Commonwealth haben können. Diese Schwierigkeiten zeigten sich tatsächlich in ihrer extremsten Form durch Indiens erbitterten Widerstand gegen jeden Verteidigungspakt in Südostasien; denn ein solcher Pakt basierte auf der Annahme, daß die Kommunisten ihre Politik der Druckanwendung vielleicht nicht ein für alle Male aufgaben, als sie der Feuereinstellung in Indochina vertraglich zustimmten.

Es ist natürlich das volle Recht des Ministerpräsidenten Pandit Nehru, zu hoffen, daß mit jenem Ereignis der Feuereinstellung eine neue Ära in den Beziehungen der kommunistischen zu der nicht-kommunistischen Welt begonnen hat. Es ist ferner sein volles Recht, die Politik Indiens mit seinem persönlichen Vertrauen zu begründen, daß sich seine Hoffnungen als berechtigt erweisen werden. Schwierige Probleme ergeben sich für andere Nationen jedoch durch die These, daß jeder Versuch, eine Basis für zukünftige gemeinsame Aktionen gegen eine mögliche Aggression zu schaffen, schon an sich einen Affront gegenüber den Kommunisten darstellt, und daß dieser Versuch daher zu bedauern und wenn irgend möglich, zunichte gemacht werden muß. Die anderen Nationen mögen einen großen Respekt vor dem Erbe Gandhis, vor der Gewaltlosigkeit, haben; sie mögen sich der Empfindsamkeit der indischen Kolonialwunden noch so bewußt sein oder noch so große Sympathien aufbringen für die Anstrengungen, die Indiens neue Führer unternehmen, um das wirtschaftliche und soziale Niveau des Landes zu heben und es von seinen chronischen Schwächen zu heilen. Eins aber ist sicher: Diese anderen Nationen müssen sich fragen, inwieweit sie ihre Politik denen anpassen können, die die offensichtlichen Realitäten der augenblicklichen internationalen Lage einfach nicht anerkennen. England befindet sich hierbei in einem ganz besonders schwierigen Dilemma. Auf nur einer fest stehenden Grundmauer kann man leider ein starkes Haus nicht bauen. Für England aber ist eine Grundmauer Europa und eine andere Asien.

Frieden, Fortschritt, Wohlstand" />

„Eindämmung“ in ihrer eigentlich gültigen Bedeutung, d. h. in der von uns ursprünglich verstandenen, steht in keinem Widerspruch zu dem, was wir Koexistenz nennen. Aber sie steht in einem Widerspruch zu dem, was nach unserer Meinung die Kommunisten unter Koexistenz verstehen. Wir wünschen die Herstellung eines Systems der Eindämmung — Koexistenz in unserem Sinne —, die die beste Sicherheit dafür bietet, daß eine weitere kommunistische Aggression, Intervention oder Infiltration nicht mit dem Verlust der Unabhängigkeit für irgendein anderes freies Land irgendwo enden muß, sei es im Osten oder im Westen. Das ist das Ziel des südostasiatischen Verteidigungspaktes und jedes neuen Programms, das die NATO-Mächte, oder wenigstens einige von ihnen, in Europa entwickeln.

Das Schlagwort eines der großen Parteien zu Anfang der Wahlkampagne dieses Herbstes heißt: „Frieden, Fortschritt, Wohlstand“. Amen. Aber all dies darf nicht im Sinne des Schlagwortes der Wahlschlachtstrategen von Wilson im Jahre 1916 gemeint sein, wonach er uns „aus dem Krieg herausgehalten habe“, — oder im Sinne des Rooseveltschen Argumentes aus der Wahlschlacht des Jahres 1940, daß das Pacht-und Leihgesetz genügen würde. („Ich habe es schon früher gesagt und werde es immer wieder sagen: Eure Jungens werden nicht in irgendeinen ausländischen Krieg geschickt werden." Boston, am 30. Oktober 1940). In beiden Fällen dachten unsere Feinde, daß unsere Präsidenten es wirklich ernst gemeint hatten — wie dies natürlich in gewisser Weise auch der Fall war. Die Feinde bildeten sich ein, daß der Friede als solcher alles war, was das amerikanische Volk haben wollte und was es auch brauchte. Durch diesen Glauben wurden unsere Feinde darin ermutigt, uns vor Tatsachen zu stellen, die uns dann wirklich zum Kampfe zwangen.

Es ist gewiß nicht leicht, sowohl zu vermeiden, daß unseren Partnern die Angst eingejagt wird, als seien wir zu draufgängerisch, um ihr volles Vertrauen zu genießen, — als auch unseren Gegnern zu zeigen, daß sie uns fürchten müssen. Aber dazwischen liegt der goldene Mittelweg, den wir zu finden und an dem wir dann festzuhalten haben.

Fussnoten

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