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Eine Zweiparteienpolitik für Asien | APuZ 20/1955 | bpb.de

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APuZ 20/1955 Die Vereinigten Staaten und China. Unsere Aussichten für die Zukunft Eine Zweiparteienpolitik für Asien Zur anti-imperialistischen Bewegung in China

Eine Zweiparteienpolitik für Asien

Chester Bowles

entspricht, kann von einer wirklichen Befreiung des chinesischen Volkes gesprochen werden. Technisch würde also eine amerikanische „Befreiungspolitik" gegenüber China ein Widerspruch in sich selbst sein. Während eines langen Zeitraumes können die Vereinigten Staaten vielleicht zum Prozeß der Selbstbefreiung des chinesischen Volkes einen Beitrag leisten, aber auch diesen ganz bescheidenen Beitrag können wir nur leisten, wenn der chinesische Kommunismus erfolgreich auf seine gegenwärtigen Grenzen beschränkt und seines aggressiven Charakters entkleidet wird. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Auch eine Tausend-Meilen-Reise beginnt mit einem einzigen Schritt“. An diesen Grundsatz sollten wir immer denken, wenn wir den fernen Stern der Freiheit sehen. Aber wenn wir unsere Reise antreten, dann tun wir besser daran, ihn zunächst als Navigationshilfe zu unserem nächsten Hafen zu benutzen.

Den Artikel von Chester Bowles entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages HARPER & BROTHER, New York, der amerikanischen Zeitschrift „HARPER'S MAGAZINE“ (Mai 1954). Copyright 1954 by Harper & Brother, New York.

In Europa hat uns logisches Denken, verbunden mit kühner Phantasie den Weg geführt, der durch den Marshall-Plan und die Nordatlantische Verteidigungsorganisation gekennzeichnet ist. Dieser Kurs hat die kommunistische Expansion auf dem europäischen Kontinent zum Stillstand gebracht und dazu beigetragen, der westeuropäischen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Wenn diese Politik auch vielleicht nicht hundertprozentig erfolgreich war, so stimmen doch die meisten Amerikaner darin überein, daß sie sich in der richtigen Richtung bewegte.

In Asien jedoch, wo die Lage komplizierter und ebenso dringlich gewesen ist, haben wir dagegen wenig logisches Denken und Phantasie angewandt. Mit dem Ergebnis, daß unsere Ziele: Stabilität, Friede und wirksame Verteidigung gegen die Aggression, ernstlich in Gefahr sind. Es ist an der Zeit, daß wir den Tatsachen unumwunden ins Auge sehen. Ich sage dies nicht als ein kleinlicher Kritikaster, sondern als ein amerikanischer Bürger, der der Meinung ist, daß die Geschichte — sei es zum Guten oder zum Schlechten — in den kommenden Jahren hauptsächlich in Asien geschrieben werden wird und als ein Mensch, der sich große Sorgen um den augenblicklichen Verlauf der Dinge macht.

Das eine wenigstens steht fest: die Zukunft Asiens wird nicht auf der Halbinsel Korea oder auf der Insel Formosa oder in Thailand oder den Philipinen entschieden. Diese vier, uns freundlich gesinnten Länder mit einer Gesamtbevölkerung von nur 70 Millionen haben nicht einmal die Hälfte der Macht, um die Zukunft Asiens zu formen, welche die industriell mächtigen 8 5 Millionen Japaner besitzen, die keineswegs als unsere Verbündeten angesehen werden können. Und südlich davon liegt das „neutralistische“ Indonesien, liegen Burma und Indien mit einer Gesamtbevölkerung von 500 Millionen Menschen, die anscheinend von unserer augenblicklichen Strategie fast vollkommen ignoriert werden.

Als Nationalchina fiel, erlitten die Vereinigten Staaten eine vernichtende Niederlage. Aber noch besorgniserregender ist die Tatsache, daß wir uns diese Lektion bis jetzt nicht zu Herzen genommen haben. Stattdessen haben wir unsere Energie in einer parteigebundenen Suche nach den Sündenböcken vergeudet. Dies hat nicht nur unser Nachdenken über China gelähmt, sondern uns auch daran gehindert, in dem noch übrig-gebliebenen Zweidrittel von Asien, dessen Schicksal noch in der Schwebe ist, konstruktiv zu handeln.

Wenn wir neue und noch größere Katastrophen verhindern wollen, müssen wir jede parteigebundene Politik beiseite lassen und den Willen aufbringen, diese Lähmung zu überwinden, ehe es zu spät ist. Im folgenden seien einige diese Situation beleuchtende Tatsachen genannt, über deren Richtigkeit, so glaube ich, die erfahrensten Beobachter in Asien mit mir einer Meinung sind. Ob diese Tatsachen nun angenehm sind oder nicht, man wird sich bald mit ihnen auseinandersetzen müssen. 1. Die kommunistische Macht ist in China fest im Sattel.

Das fast einstimmige obwohl bedauerliche Urteil von Asiaten, Europäern und Amerikanern, die China verlassen haben, lautet, daß das kommunistische Regime durch rücksichtslose Organisation eine nie dagewesene Machtposition auf dem chinesischen Festland errungen hat. Mit der kommunistischen Partei von fünf Millionen Mitgliedern, einer Roten Armee von ungefähr 175 Divisionen und einer fast zwei Millionen starken Sicherheitspolizei hat Maos Regierung jene straffe, zentralisierte Herrschaft errichtet, wie sie China seit vielen Generationen nicht gekannt hat.

Der Krieg in Korea hat das Nationalgefühl angestachelt und die Bindung zwischen China und Rußland gefestigt. Wenn es der Sowjetunion und ihren osteuropäischen Satelliten gelingt, die gemeinsame Außen-und Wirtschaftspolitik mit China aufrechtzuerhalten, wird der Westen sich einem fast autarken Koloß von 800 Millionen Menschen gegenübersehen, der sich von Kanton nach Prag erstreckt und der sein Ziel darin sieht, die freien Regierungen überall zu vernichten.

Etwa anzunehmen, daß das kommunistische System nicht funktionieren wird, weil es moralisch im Unrecht ist, hieße die Gefahr nur vervielfachen. Das schnelle Emporwachsen der Sowjetunion innerhalb von 30 Jahren zur zweitgrößten Industriemacht der Welt, zeigt allzu deutlich, was totalitäre Methoden in dem weiten chinesisch-russischen Kernland erzielen können, wenn die endgültige Konsolidierung eintritt. 2. Militärische Maßnahmen gegen China selbst würden äußerst kostspielig und wahrscheinlich wirkungslos sein.

Sowohl Chiang Kai-schek als auch Syngman Rhee haben uns wiederholt dringend darum gebeten, in einem offenen Krieg gegen China einzutreten und erklärt, daß sie beabsichtigten, China ohne uns anzugreifen. Viele Amerikaner glauben ernsthaft, daß Chiang Kai-schek in der Lage sein würde, erfolgreich in das chinesische Festland vorzudringen.

Aber bei sorgfältiger Überprüfung fällt diese Annahme in sich selbst zusammen. 400 000 kampferfahrene amerikanische und UN-Truppen auf einer begrenzten Front in Korea, zusätzlich 600 000 südkoreanische Truppen mit eindeutiger Luftüberlegenheit, deren beide Flanken unter dem Schutz der amerikanischen Flotte standen, brachten es nicht fertig, einen entscheidenden Sieg herbeizuführen. Wie können wir dann erwarten, daß eine nationalchinesische Armee mit weniger als der halben Stärke (und einem Durchschnittsalter von 29 Jahren) den Zusammenbruch der gesamten rotchinesischen Armee herbeiführen könnte, selbst mit der Unterstützung unserer Luftwaffe und unserer Flotte? Japans Erfahrung in den dreißiger Jahren sollte uns Anlaß geben, ein solches Abenteuer zu bedenken. Mit einer mechanisierten Armee von drei Millionen Mann und der vollen Vorherrschaft in der Luft konnten die Japaner nach 13 traurigen Kriegsjahren nicht mehr erreichen, als chinesische Städte zu besetzen und die Haupteisenbahnlinien zu beherrschen. Hinter den japanischen Linien entwickelten sich Mao Tse-tungs Guerillastreitkräfte zur Roten Armee, die schließlich das ganze Land beherrschte.

Man könnte argumentieren, daß diese Vergleiche nicht stichhaltig sind, denn wenn erst einmal Chiang Kai-scheks Truppen das Festland erreichten, würde das chinesische Volk gegen die Kommunisten aufstehen. Aber mir ist kein objektiver Beweis bekannt, der diese Hoffnung berechtigt erscheinen ließe.

Wie steht es nun mit der Verwendung von Atomwaffen, gerichtet auf das Zentrum der kommunistischen Macht, eine nicht kostspielige Methode, um die kommunistische Regierung in China zu vernichten? Auch hier scheint nur der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein.

Die Atombombe würde eine verheerende Wirkung ausüben, wenn sie gegen ein konzentriertes, zusammenhängendes Industrieland wie Japan, England, Rußland oder die Vereinigten Staaten angewandt würde. Aber wie wirksam wäre sie gegen ein weites ausgedehntes Agrarland, das kaum Industrie hat und wo ungefähr Dreiviertel aller Leute in Dörfern wohnen. Was würde man erreicht haben, wenn man Mao los würde? Lind würde nicht die Sowjetunion in Einhaltung ihres Militärpaktes mit dem kommunistischen China sofort an uns „Vergeltung"

üben?

Außerdem könnte kaum etwas mehr dazu beitragen, das nichtkommunistische China gegen uns einzunehmen, als ein scheinbar willkürlicher Atomangriff auf dichtbevölkerte chinesische Städte, wo es fast keine militärischen Ziele gibt.

Bereits Millionen von Asiaten, die in ihrem Rassegefühl empfindlich sind, glauben die phantastische sowjetische Anschuldigung, daß wir die Atombombe auf Hiroschima abwarfen und nicht auf Berlin, weil wir die Japaner als Asiaten und damit als Menschen zweiter Klasse ansahen. Andere wiederum haben den Gedanken aufgeworfen, daß eine Seeblockade ausreichen würde, um China auf die Knie zu zwingen Eine solche Blockade würde wahrscheinlich China belasten, aber ebenso viele Schwierigkeiten für unsere Alliierten in Europa bringen und China in eine vollständige Abhängigkeit von der sowjetischen Wirtschaft zwingen. Darüber hinaus sollte man überlegen: wenn China wirklich Schaden nehmen würde, nicht geringere Unnachgiebigkeit ist das Ergebnis, sondern neue Abenteuer in Richtung auf Südasien, um die reichen Reisüberschußgebiete in Burma, Theiland und Indoebina zu erobern? 3. Daß wir nicht in der Lage sind, Rotchina anzuerkennen und seine Zulassung in die UNO zu unterstützen, ist ein zweischneidiges Schwert.

Chinas Eintritt in den Krieg in Korea macht es unmöglich für die Vereinigten Staaten, das neue kommunistische Regime anzuerkennen oder für seine Zulassung zu den Vereinten Nationen zu stimmen. Chinas dauerndes Kriegführen wird es auch unmöglich machen, von dieser Politik abzuweichen.

Unglücklicherweise hat die Tatsache, daß wir uns dauernd in der Sackgasse befinden, dazu geführt, daß China seine Bindung zu Rußland festigte und die Sowjetunion als den einzigen Sprecher für die kommunistische Welt bestätigte. „Warum glaubt Rußland davon zu profitieren, wenn es das gefühlsgeladene Problem China bei jeder nur erdenklichen Möglichkeit bei UN-Diskussionen zur Sprache bringt?“, sagte einmal ein jugoslawischer Diplomat zu mir, der die Sowjetunion sehr gut kennt. „Ganz offensichtlich, weil es glaubt, daß die Wirkung auf China die Förderung der antiwestlichen Einstellung sein wird. Und warum wirft Rußland diese Frage immer zu einem Zeitpunkt auf, wenn sie gerade zu einer besonders scharfen Ablehnung durch die Vereinigten Staaten Anlaß gibt? Ganz offensichtlich, um Zwietracht unter den westlichen Verbündeten zu säen und um die Welt zu überzeugen, daß Amerika anti-asiatisch eingestellt ist.“ ilberall im nichtkommunistischen Asien wird unsere Einstellung kaum verstanden. Wenn wir darauf hinweisen, daß die Quelle der kommunistischen Weltverschwörung der Kreml ist, so pflichten uns die meisten Asiaten bei. Und doch sehen sie, daß wir Rußland anerkennen und mit diesem Lande bei der UNO und bei internationalen Konferenzen verhandeln, während wir uns weigern, dies mit seinem jüngeren Partner, China, zu tun. Wenn also kommunistische Propagandisten behaupten, daß wir uns nur deswegen weigern, die kommunistische Regierung von China als eine vollendete Tatsache anzuerkennen, weil China asiatisch und farbig ist, so akzeptieren viele Millionen nichtkommunistischer Asiaten diese Erklärung.

Für uns Amerikaner, für die die bittere Erinnerung an die chinesische Aggression und die amerikanischen Verlustlisten noch frisch ist, stellt diese Lage ein grausames und kompliziertes Dilemma dar. 4. Das chinesisch-russische Verhältnis ist ein Novum in der sowjetischen Welt.

Niemand, der gut informiert ist, kann bezweifeln, daß Mao Tse-tung und seine Genossen überzeugte Kommunisten sind. Sie haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie an Marx, wie er von Lenin übertragen wurde, glauben. Es ist sogar möglich, daß die chinesischen Kommunisten — noch in dem ersten dynamischen Elan ihrer Revolution — kriegerischer, unverantwortlicher und in gewissem Sinne gefährlicher sind als die Bürokraten der zweiten Generation, die jetzt im Kreml sitzen und an die ausgeklügelten Kalkulationen des kalten Krieges gewöhnt sind.

Aber Mao verdankt Rußland sehr wenig. Es ist nicht nur eine Tatsache, daß Rußland Mao erst in der Endphase seines Kampfes unterstützte, sondern der Kreml hat sich in bezug auf China auch fortgesetzt getäuscht. 1923 hatte Lenins Mission nach China den Auftrag, sich, der traditionellen marxistischen Doktrin ent sprechend, auf die Organisierung des städtischen Proletariats zu konzentrieren.

Mao weigerte sich, dieser Politik zu folgen und ging in die Dörfer, wo er seine Macht aufbaute und schließlich siegte. Erst im Januar 1950 gab Moskau zu, daß Maos Politik für China und Asien die richtige gewesen sei.

Schon allein die Größe macht es unwahrscheinlich, China durch ein Auftrumpfen sowjetischer Macht gefügig machen zu können. In Polen, Ungarn, Bulgarien, der Tschechoslowakei und Rumänien ist die russische Armee an der Grenze der Kern der kommunistischen Macht. Aber die sowjetischen Armeen wären ebenso verloren in China wie die Napoleons oder Hitlers in Rußland. Wenn Rußland versuchen würde, gewaltsam nach China vorzudringen, so könnte das ein verhängnisvoller Fehler sein.

Die Stärke des chinesischen Nationalismus macht einen Umsturz durch sowjetische Agenten ebenso schwierig. Sachverständige Beobachter, die aus China kommen, stimmen darin überein, daß die Chinesen ebenso überempfindlich gegen ausländischen Druck sind wie andere Asiaten. Russische Hilfe, die nicht dazu beiträgt. China als eine unabhängige, selbständige moderne Macht aufzubauen, wird bei den Chinesen Mißtrauen erwecken. Mit der Zeit könnte sogar die Tatsache, daß sich Rußland zum Sprecher des Weltkommunismus macht, in zunehmendem Maße erbitternd wirken. Niemals wird es für Mao, den „alten Revolutionär“, leicht sein, die Führung Moskaus in der Welt einfach hinzunehmen. Zumindest werden die Chinesen immer mehr auf ihrer Vorrangstellung in der asiatischen Politik und ihrer Herrschaft über die asiatischen kommunistischen Parteien bestehen.

Es wäre gewiß töricht, wenn der Kreml die Einstellung der Chinesen ignorieren würde. Seit Generationen führten die Zaren und später die sowjetischen Führer ihre Außenpolitik ohne Berücksichtigung des ohnmächtigen und geteilten China an der asiatischen Flanke und in ihrem Rücken.

Heute wird allein die Tatsache, daß Rußland mit dem geeinten China die längste gemeinsame Grenze in der Welt hat, die Sowjetunion abgeneigt machen, sich den Haß der Chinesen zuzuziehen. Ein weiterer, für Rußland unsicherer Faktor ist der unendliche Bedarf der chinesischen Wirtschaft. Die Forderungen Maos könnten ungeheure Ausmaße annehmen und aus dieser Situation Schwierigkeiten erwachsen. Rußland hat China bereits acht Mal soviel an Unterstützung versprochen, als was die Vereinigten Staaten Indien gegeben haben und die Chinesen sagen, dies sei nicht genüg. China könnte vielleicht damit anfangen, seinen Handel mit Japan und anderen nichtkommunistischen Ländern zu erweitern, sei es auch nur zu dem Zweck, um seine Verhandlungsposition gegenüber Rußland noch weiter zu verstärken.

So sieht sich die Sowjetunion einer vollkommen neuen und komplizierten Situation •gegenüber. Es gibt jetzt zwei Pole innerhalb des kom-munistischen Bereichs, und Verhandlung und Kompromiß scheinen der einzige Weg zu sein, um die Einigkeit aufrechtzuerhalten. Aber es wäre töricht, zu vergessen, daß sich Mao Stalin freiwillig anschloß und trotz beträchtlichen Zögerns von russischer Seite. Er krönte diesen Entschluß damit, daß er seine militärische Macht entschlossen zugunsten der zusammenbrechenden nordkoreanischen Marionettentruppen im September 1950 einsetzte, um für Stalin die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Sicher wird China nicht zum Westen übertreten, wie dies Jugoslawien 1948 tat. Tito verbündete sich mit den NATO-Nationen, weil er zu schwach war, als unabhängiger Staat zwischen diesen beiden großen Blöcken zu stehen.

Es ist jedoch möglich, daß sich China eines Tages seinen Weg zu einer vermittelnden Position bahnt. Der augenblickliche Stand der Dinge erweckt den Eindruck, daß es ein getreues Mitglied des sowjetischen Blocks bleibt, aber ein unabhängiges Mitglied, das immer die Möglichkeit eines Wechsels im Auge behält. 5. China ist ein Drittel Asiens: die wirkliche Entscheidung liegt im übrigen Teil Asiens.

Selbst wenn China fest bei der sowjetischen Welt bleibt, so kann diese große Macht noch kompensiert werden, wenn Stabilität in dem übrigen Asien erreicht wird. Wenn Japan, Indonesien, Indien und Pakistan insbesondere im Innern stark werden, und wenn ihre Bemühungen, das Los ihrer Völker zu bessern, mit Erfolg gekrönt sind, werden sich die Friedenschancen sichtbar bessern. Schließlich könnte ihr Erfolg einen mächtigen Sog auf die Chinesen selbst ausüben.

Aber wenn diese vier Schlüsselnationen versagen, wird das freie Asien zusammenbrechen und das Schwergewicht der Weltmacht sich in verheerender Weise nach Moskau und Peking verlagern — ohne daß ein einziger Schuß fällt. So muß der Hauptprüfstein für unsere Asienpolitik nicht in China liegen, wo unser augenblicklicher Einfluß auf die Ereignisse stark eingeschränkt ist, sondern in dem Teil, der von dem freien Asien übriggeblieben ist.

Was wir in dieser Lage tun können Was für Schlüsse sind aus dieser Analyse zu ziehen, die dazu beitragen können, richtungweisend für unsere eigene Politik zu wirken? Das eine Extrem wäre, daß wir Rot-china gegenüber nachgeben, es sofort anerkennen, seinen Beitritt in die UNO zulassen, ihm einen ständigen Sitz mit Vetorecht im Sicherheitsrat geben, und Formosa seinem Schicksal überlassen.

Wir lehnten diesen Kurs 1950 ab, als Präsident Truman beschloß, Südkorea zu verteidigen und Formosa vor einem Angriff kommunistischer Streitkräfte zu schützen. Durch diese kühne Tat geboten wir der kommunistischen militärischen Expansion Einhalt. Zu einem hohen Preis für die Welt hat Hitler uns gelehrt, daß unehrenhafte „Befriedung“ sich niemals bezahlt macht.

Das andere Extrem wäre, daß wir erklären könnten, wir seien mit nichts geringerem zufrieden als mit der vollständigen Zerstörung der Regierung Maos. Dieser Kurs könnte nur durch eine großangelegte, kostspielige Aktion versucht werden, mit der sehr wahrscheinlichen Folge, daß wir dadurch die westliche Alliance zerstören, den größten Teil der Welt gegen uns finden und den dritten Weltkrieg in die Wege leiten.

Zwischen diesen beiden unmöglichen Extremen liegt ein weites Feld für schöpferische Staatskunst.

So wie ich die Tatsachen sehe, sollte unsere Politik China gegenüber fest sein im Widerstand gegen jede weitere Aggression, aber beweglich in ihren Bemühungen, die Tür für eine Lockerung der chinesisch-sowjetischen Alliance zu öffnen. Unsere Politik sollte niemals davon abgehen, um die Freiheit und das Wohlergehen der Chinesen besorgt zu sein. Aber es sollte klar herausgestellt werden, daß wir nicht beabsichtigen, in China Krieg zu führen, um seine augenblickliche Regierung zu stürzen.

Das eigentliche Prinzip, das wir in Korea verteidigten, war, daß die Grenze zwischen der kommunistischen und nichtkommunistischen Welt niemals durch Gewalt verändert werden sollte. Eine klare erneute Erklärung, daß wir an diesem Prinzip festhalten, würde dazu beitragen, unsere Alliierten und Freunde auf der ganzen Welt zu beruhigen.

Unsere Politik muß sich dann auf das weite nichtkommunistische Gebiet konzentrieren, das sich von Tokio bis nach Casablanca erstreckt. Diese Politik sollte bestrebt sein, die freien Nationen dieses Gebietes so stark in ihrem Glauben und ihrer Unabhängigkeit zu machen — und in ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Fähigkeit, diese Unabhängigkeit zu schützen — daß weder eine kommunistische-Aggression noch ein erfolgreicher Umsturz wahrscheinlich wäre. Die Geschichte wird sich nicht mit den Unstimmigkeiten zwischen uns und Nehru über die augenblicklichen Wcltprobleme befassen, sondern mit der grundlegenden Frage: Blieb die indische Republik als freie Nation am Leben?

Wie könnte so eine allgemeine Politik in die Tat umgesetzt werden? Wie kann die augenblickliche Regierung (mit der Unterstützung der Demokraten) die Initiative in Asien noch rechtzeitig ergreifen und dort die gleiche kühne Phantasie zur Anwendung bringen, die die vorhergehende Regierung (mit Unterstützung der Republikaner) in Europa anwandte?

Eine Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten ungefähr folgenden Inhalts würde konstruktiv wirken: „Das amerikanische Volk, das mit seiner eigenen Revolution vor 175 Jahren gegen die Kolonialherrschaft kämpfte und siegte, grüßt die Völker des freien Asien, das so lange unter fremder Herschaft litt, aber jetzt aufrecht und unabhängig dasteht.

Wir wissen, daß die Völker Asiens entschlossen sind, ihr Land zu entwickeln und die moderne Wissenschaft und Technik anzuwenden, so daß jedes Kind eine faire Chance hat, in Gesundheit und Menschenwürde aufzuwachsen.

Unglücklicherweise sind diese Bemühungen durch bewaffnete Konflikte in Korea und Indochina, durch gewaltsame Umsturzkampagnen und Bürgerkriege in anderen Gegenden und durch erbitterte Zwietracht und Propaganda behindert worden.

Die Vereinigten Staaten bedauern diese Lage und geloben alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die augenblickliche Spannung zu beseitigen, so daß Asien neu beginnen kann. Unser Ziel kann ganz einfach folgendermaßen umrissen werden: der Aggression Einhalt zu gebieten und dafür zu sorgen, daß die Asiaten selbst frei und friedlich über ihre Zukunft entscheiden können.

Wir hoffen, daß die kommunistische Regierung in China jetzt bereit ist, mit uns zusammen den Frieden und die Stabilität herzustellen, die das kommunistische Vorgehen so lange verhindert hat. Wenn dies der Fall ist, so schlagen die Vereinigten Staaten folgende Basis für eine gesamtasiatische Regelung vor:

In Korea muß eine Regelung erzielt werden, die das Volk in Nord und Süd vereinigt. Diese Regelung muß ebenfalls alle berechtigten Befürchtungen beseitigen — die in der Sowjetunion und China einerseits und Japan und den Vereinigten Staaten andererseits ihren Ursprung haben — nämlich daß Korea als Ausgangspunkt für einen Angriff in entweder der einen oder der anderen Richtung benutzt wird. Wir glauben, daß unter Aufsicht der Vereinten Nationen Garantien ausgearbeitet werden könnten, die zu der Zurückziehung aller fremden Truppen, der Beseitigung der Kriegsschäden und der Wiederherstellung der Wirtschaft Koreas führen würden.

In Indochina werden wir eine Lösung unterstützen — wieder vorzugsweise unter der Aufsicht der Vereinten Nationen — die die vollständige Unabhängigkeit Vietnams, Kambodschas und Laos'garantiert, und die Menschen dieser neuen Staaten vor Kolonialherrschaft schützt oder vor der Eroberung oder Umsturz von irgend einer anderen Seite her.

Wir schlagen vor, daß in ganz Asien Abkommen getroffen werden, die den asiatischen Nationen Garantien geben gegen die umstürzlerische Tätigkeit jeder ausländischen Macht oder Weltorganisation, und daß alle Nationen sofort mit aller Propaganda aufhören, die darauf abzielt, Haß und Mißtrauen zwischen den Völkern zu säen.

Solche Abkommen können dazu führen, daß Formosa als ein getrenntes, unabhängiges Staatswesen anerkannt wird, mit einem Sitz bei den Vereinten Nationen. Wenn der Friede auf diese Weise hergestellt wäre, würden die Vereinigten'Staaten gegen die Zulassung der Pekinger Regierung in die Vereinten Nationen kein Veto einlegen, wenn die Mehrheit sich dafür ausspräche. Da der ständige Sitz im Sicherheitsrat von beiden Regierungen beansprucht werden würde, könnte dieser Sitz für unbesetzt erklärt werden. Statt dessen schlagen wir vor, daß eine große asiatische Nation, wie z. B. Indien, einen ständigen Sitz erhält. Wir schlagen ebenfalls vor, daß Japan, Ceylon und Nepal vollberechtigte Mitglieder der Vereinten Nationen werden.“

Ein Asien, das von den Asiaten verteidigt wird Wenn der Präsident ein solches Programm umreißen würde, ist es zweifelhaft, daß die kommunistischen Chinesen in ihrer augenblicklichen Stimmung annehmen würden. Sicher würden die Russen jedes nur mögliche Hindernis in den Weg legen, — denn am wenigsten würde sich Moskau eine Entwicklung wünschen, die auf Stabilität in Asien und irgendeine Art von Übereinkommen zwischen China und dem Westen hinzielt. Ein solcher Vorschlag würde jedoch mehrere klar auf der Hand liegende Vorteile haben. 1. Er würde wahrscheinlich in China zwischen den Gruppen, die vielleicht noch ziemlich mäßig eingestellt sind, und den fanatischeren überzeugten Kommunisten Zwietracht säen. 2. Er würde zu schwierigen Diskussionen zwischen Moskau und Peking führen. 3. Nach einer Ablehnung dieses Vorschlages durch China hätte Mao — allerdings unter der Voraussetzung, daß die Türe zum Westen offen-bliebe — immer eine Alternative gegenüber seiner Bindung an Rußland, die sich gelegentlich als lästig erweisen dürfte. 4. Die zwei Drittel Asiens, die noch nicht kommunistisch sind, wären überzeugt, daß-sich Amerika vernünftig und ehrlich bemüht hat, Stabilität in Asien zu schaffen und ein Nachlassen der Spannungen herbeizuführen. Ungeachtet der Reaktion des kommunistischen China würde dieser kühne Schritt vorwärts in starkem Maße dazu beitragen, das Vertrauen des freien Asiens in die Vereinigten Staaten wiederherzustellen.

Selbst in dem unwahrscheinlichen Falle, daß die Chinesen unsere Vorschläge annehmen, wäre es töricht zu glauben, daß solch ein Übereinkommen über Jahre hinaus halten würde, solange die lockenden leeren Gebiete Südasiens ungefüllt bleiben. Um abschreckend gegen einen zukünftigen Angriff oder einen inneren Umsturz in diesem Gebiet zu wirken, könnte der Präsident Vorschlägen, daß die freien asiatischen Staaten selbst eine regionale Verteidigungsgemeinschaft innerhalb der UNO bilden, aber vollkommen unabhängig von den West m ächten.

Der Präsident könnte den Ursprung und den Zweck unserer Monroe-Doktrin beschreiben, die sich gegen jedes Eindringen der europäischen Kolonialherrschaft nach Südamerika richtete. Zu der Zeit hatten wir nur eine schwache Flotte und eine Armee von 2 3 000 Mann, aber die Erklärung selbst hatte bereits abschreckende Wirkung. Wenn die Länder des freien Asien sich zu einer multilateralen eigenen „Monroe-Doktrin“ zusammenschließen würden, gegen Aggression oder Umsturz durch jede fremde Macht, Ost oder West, so sollten die Vereinigten Staaten diese nicht nur respektieren, sondern sie begrüßen. „Was die Vereinigten Staaten zu erreichen suchen," könnte der Präsident sagen, „ist nicht Euren Beifall, nicht Eure Zustimmung, gewiß nicht Eure Unterwürfigkeit. Wenn es Euch gelingt, unabhängige, standhafte, wohlhabendere Nationen aufzubauen, so wird dies Frieden und Freiheit auf Eurem so wichtigen Teil der Welt verbreiten. Das ist das einzige Ziel des amerikanischen Volkes in Asien."

Ein wesentlicher Teil dieser vorstehend umrissenen neuen Politik müßte ein Vorschlag für die wirtschaftliche Entwicklung des freien Asien sein. Ausgedehnte sowjetische wirtschaftliche Bemühungen in Asien scheinen durchaus im Bereiche des Möglichen zu liegen. Man hat bereits viel Aufhebens von dem Eintreffen von Tausenden sowjetischer Techniker in China und dem sowjetischen Versprechen, für mehr als eine Milliarde Dollar Ausrüstungsgegenstände zur Industrialisierung Chinas zur Verfügung zu stellen, gemacht.

Was auch immer die Sowjets tun, der Hauptwettbewerb zwischen dem Kommunismus und der Demokratie in Asien wird für viele Jahre auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Entwicklung liegen, denn das ist die Hauptsorge aller dieser Länder. Wenn der Präsident es will, daß Amerika Hand in Hand mit dem freien Asien geht, so muß er kühn über dieses Thema in der besten amerikanischen Tradition sprechen. Er darf an Asien nicht im Geiste der Wohltätigkeit herantreten, sondern in dem Geist eines Pioniers, der sich an einem großen konstruktiven Unternehmen beteiligt, wofür der Amerikaner besondere Fähigkeiten mitbringt. „Wir wissen, was Kolonialherrschaft bedeutet, unter der Ihr gelebt habt", könnte der Präsident hinzufügen. „Seit Generationen sind Eure Reichtümer und Eure Hilfsquellen aus Asien herausgenommen worden, um dazu beizutragen, den Wohlstand Europas und des Westens aufzubauen. Ein Teil dieses Reichtums fand seinen Weg nach Amerika und wurde in unsere Eisenbahnen investiert und zur Entwicklung unseres eigenen Landes verwandt. Einfach um der Gerechtigkeit willen wollen wir jetzt fünf Prozent unseres Militärhaushalts in Form von Anleihen und Zuschüssen, ohne daß damit irgendwelche politische Bindungen verbunden wären, verwenden."

Ein Ausweg aus der Sackgasse Präsident Eisenhower hat bereits die Welt aufhorchen lassen mit seinem Vorschlag, eine Weltbank zur friedlichen Anwendung der Atomenergie zu gründen und mit seinem vorhergehenden Versprechen, daß die Vereinigten Staaten einen großen Teil von dem, was sie an Rüstung sparen, einem Weltprogramm gegen Armut zur Verfügung stellen würden. Aber diese Ideen wären nicht lebensfähig, wenn sie von der Annahme durch die Sowjets abhängig sind. Das letzte, was die Kommunisten erleben wollen, ist, daß sich Amerika für eins dieser beiden Unternehmen einsetzt, die das Ansehen der Demokratie überall so unermeßlich stärken würden. So ist also der Prüfstein für eine neue Politik die Bereitschaft des Präsidenten, vorwärtszugehen, wenn nötig ohne Rußland oder China.

„Unsere Hoffnung besteht darin,“ könnte er sagen, „daß die kommunistischen Regierungen vielleicht den Wunsch haben, an diesen konstruktiven Plänen über die Vereinten Nationen teilzunehmen. Aber wir schlagen vor, mit dem wichtigsten Unternehmen in der Welt anzufangen in Zusammenarbeit mit jeder Regierung, die sich uns anschließen will. Vor allen Dingen wollen wir dem freien Asien behilflich sein, eine anständige Zukunft aufzubauen, mit Brot und Freiheit für alle.

Daher fordern wir die freien asiatischen Nationen auf, sich in regionalen Organisationen zur Entwicklung der Wirtschaft zusammenzuschließen, um ihre gemeinsamen Bedürfnisse aufeinander abzustimmen und ihre Hilfsquellen zu koordinieren. Das haben die europäischen Nationen getan und das kann das freie Asien tun, ganz gleichgültig, wer sie darin zu hindern versucht. Zusätzlich zu der amerikanischen Hilfe kann die Atomweltbank, die ich vorgeschlagen habe, die Atomenergie liefern, um den Bedürfnissen und nicht der Furcht der Menschheit zu dienen.“

Wenn der Tag gekommen ist, an dem ich eine solche Rede eines Präsidenten höre — ich hoffe allerdings, in besserer Sprache und mit besseren Vorschlägen, — werde ich mir dessen bewußt sein, daß Amerika endlich auf dem richtigen Wege ist, enge und freundschaftliche Beziehungen mit dem freien Asien zu pflegen und für seinen Teil zur Stärkung des . Ansehens der Demokratie auf der ganzen Welt beiträgt. In Asien gibt es keine Fernsehapparate, aber dieses Evangelium der Hoffnung würde sich schnell von Tokio nach Kairo ausbreiten.

Wenn unsere augenblickliche LIntätigkeit anhält, kann dies andererseits nur zum Unheil führen. Wenn wir es versäumen, das Punkt-Vier-Programm mutig in Angriff zu nehmen, wenn wir die Entwicklung der Welt bis zur Abrüstung aufschieben, was praktisch bedeutet, daß wir für immer und ewig warten; wenn wir dahinkommen, an Asiaten als „Bauern“ im militärischen Schachspiel zu denken und nicht als an Menschen, die darum kämpfen, ein besseres Leben zu führen; wenn wir unsere Strategie in Asien darauf beschränken, gegen dichtbevölkerte asiatische Städte Vergeltung mit Atomwaffen zu üben; wenn wir befangen bleiben in dem hypnotischen Zauber des kommunistischen China und des Kreml und es versäumen, die ungeheuren Möglichkeiten in dem Teil der Welt zu sehen, der noch frei ist, dann dürfte eine schmerzliche Prophezeiung ihre Berechtigung haben.

Man kann sich nur zu klar zukünftige Untersuchungen des Kongresses ausmalen, geführt von erbitterten, aufgeregten Männern, die eine Antwort auf die Frage suchen: „Wer verlor Südasien?“ Da wir aus der Lektion über China unsere Lehren ziehen können, wird es kaum eine Entschuldigung für solche Fehler geben und die Baumeister einer unzulänglichen Politik, so ehrlich und gut ihre Absichten auch gewesen sein mögen, werden nicht so ohne weiteres davonkommen.

Aber an dieser Untersuchung werden Amerika und die Welt sehr wenig Interesse haben, denn die alte grausige Geschichte des „Zu wenig und zu spät“ wird dann ihren letzten tragischen Abschnitt erreicht haben.

Fussnoten

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