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Der Friede, für den wir kämpfen, ist in Sicht - und wir können ihn gewinnen | APuZ 39/1955 | bpb.de

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APuZ 39/1955 Die amerikanische Politik und der Präventivkrieg Der Friede, für den wir kämpfen, ist in Sicht - und wir können ihn gewinnen Rußlands Kalamität

Der Friede, für den wir kämpfen, ist in Sicht - und wir können ihn gewinnen

Paul G. Hoffman

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages übernommen aus der amerikanischen Zeitschrift „LIFE", Internationale Ausgabe, 8. August 1955.

Es ist jedermann bewußt, daß das Ringen zwischen der Freien Welt und den Ländern des Kommunismus in eine neue Phase getreten ist, in eine Phase, in der sich die Spannungen bereits gelockert haben, und in der mit der Zusammenkunft auf höchster Ebene in Genf ein Schritt näher zum Frieden getan ist. Wir dürfen nicht zu viel davon erwarten, wie auch der Präsident und andere gewarnt haben, denn die fundamentalen Ursachen der Gegensätze bleiben bestehen. Aber es ist ungemein wichtig für das amerikanische Volk und seine Freunde im Ausland, zu verstehen, warum diese Entspannung erfolgt ist. Das liegt in der größten Neuigkeit unserer Zeit begründet, nämlich in der Tatsache, daß wir nach einem Jahrzehnt kostspieliger Kämpfe endgültig den Frieden gewinnen.

Wir gewinnen ihn, weil der Freien Welt führende Persönlichkeiten beschert waren, klug genug, zu erkennen, daß der Friede nur mit ebensoviel Mut, Kühnheit und Fantasie zu erringen war wie der glückliche Ausgang eines Krieges. Wir gewinnen den Frieden, weil diese Führer ir der Klarsicht miteinander arbeiteten, daß rein nationale Interessen hintanzustellen seien; und weil sie darauf sahen, daß nichts gestattet wurde, was die Freien Nationen von einer gemeinsamen Strategie zur Erringung des Friedens abgehalten hätte.

Wie erfolgreich diese Strategie war, ist vom amerikanischen Volk leider noch nicht anerkannt worden. Eine Meinungsbefragung ergab kürzlich, daß 73 °/o aller Amerikaner einen Krieg für unvermeidlich halten. Ich fand dies bestürzend und deprimierend: Denn gäbe es Krieg, so würde vermutlich die ganze Welt zerstört werden. Und könnte weiterhin dieser Pessimismus nicht allein schon zum Kriege führen, auch wenn er sonst vermeidbar wäre?

Deshalb bedrückt mich solche Einstellung auf das stärkste; — doch ich denke, daß sie falsch ist. In dem Jahrzehnt des eben beendeten Kalten Krieges haben wir so viele harte Schläge einstecken müssen, daß wir vergessen haben, wie viele wichtige Siege die Freie Welt auf ihrem Wege zum Frieden errungen hat, darunter die vielen durch die Vereinten Nationen. Um Ihr Gedächtnis aufzufrischen, habe ich die hervorragendsten Etappen ausgezeichnet:

Die Sowjetarmee wird gezwungen, den Iran zu räumen: Mai 1946.

Wirtschaftliche Gesundung Europas durch USA-Hilfe. Vom April 1948 bis zur Gegenwart. Jugoslawien besteht mit westlicher Unterstützung weiter, nachdem es sich aus der sowjetischen Einflußphäre gelöst hatte. Juni 1948 bis heute.

Die Sowjetblockade Berlins wird von der Luftbrücke durchbrochen: Juni 1948 — August 1949.

Waffenstillstand im Israelisch-Arabischen Krieg: Februar 1949.

Gründung der NATO: April 1949. Niederlage der Kommunisten in Griechenland: Oktober 1949.

Der Holländisch-Indonesische Krieg wird beigelegt: November 1949.

Einhalt des Angriffs in Korea: Juni 1950 bis Juli 1953.

Abkommen im Kaschmir-Krieg zwischen Indien und Pakistan: August 1953.

Waffenruhe in Indochina: Juli 1954.

Der Triestkonflikt wird beigelegt: Oktober 1953.

Abkommen zur Wiederaufrüstung Westdeutschlands: Mai 1955.

Kürzlich haben wir in sehr schneller Reihenfolge vielleicht noch wichtigere Etappen passiert. Es ist uns endlich gelungen, alle Schranken niederzureißen, die der Wiederaufrüstung Westdeutschlands noch im Wege standen. Dieser Erfolg zog rasch tiefgreifende Veränderungen in der russischen Politik nach sich: Die plötzliche Bereitschaft, mit Österreich zu einem Abkommen zu gelangen; den Entschluß, den Terror gegen Tito und seinen unabhängigen Kommunismus fallen zu lassen; das Angebot, Westdeutschland anzuerkennen; die angekündigte Bereitwilligkeit, ernsthaft über die Abrüstung und über ein wirksames System der internationalen Atomkontrolle zu sprechen.

Trümpfe auf höchster Ebene

Auf Grund dieser Erfolge sah sich die Freie Welt beim Treffen auf höchster Ebene mit Trümpfen in der Hand. Trumpf-Aß aber war, daß Präsident Eisenhower als der hervorragendste Sprecher der Freien Welt fungierte.

Seine besondere Stellung beruht auf dem glücklichen Umstand, daß Präsident Eisenhower in den Augen aller Europäer mehr ist als nur ein Präsident: Er ist Europas Befreier. Als solcher hat er sich auch die Achtung der Russen erworben, die nicht vergessen, daß er es war, der gemeinsam mit Stalin auf der höchsten Plattform des Lenin-Mausoleums stand, um den Sieg der großen Verbündeten über den Nazismus zu feiern. Das machte ihn zur beherrschenden Gestalt der Genfer Konferenz. Und deswegen vermag Eisenhower mehr als jeder andere Mensch in der Welt zur Festigung des Friedens zu tun.

Zu diesem Resultat kam ich schon vor längerer Zeit. Es war bei meiner ersten Begegnung mit General Eisenhower überhaupt, zu der Zeit, als er noch Präsident der Columbia-Universität war, daß ich ihn zu meiner großen Freude ernsthaft sagen hörte, es sei die vornehmste Aufgabe vor der ganzen Welt den Frieden zu gewinnen. Zu jener Zeit drängte eine Reihe kurzsichtiger Leute zum Präventivkrieg; so etwa, „Laßt die Bombe fallen!" Als ob der Krieg dadurch verhindert werden könnte, wenn „man eine fallen ließe“.

Als ich das nächste Mal General Eisenhower begegnete, leitete er die NATO in Paris. Ich besuchte ihn im Juni des Jahres 1952, als er mit sich noch nicht im klaren war, ob er den dringlichen Bitten nachgeben sollte, sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Auf das eindringlichste versuchte auch ich, ihn dazu zu bewegen. Ich wußte, daß sein tiefster persönlicher Wunsch war, nach all den Jahren anstrengenster Pflichterfüllung einmal ein paar Jahre der Ruhe und Entspannung zu pflegen.

Ich wußte aber auch, daß keines der üblichen Argumente, die da Ruhm und Ehre des Postens heißen, ihn je zur Präsidentschaftskandidatur bewegen könnte. Kein Soldat der Welt wurde mit größerem Ruhm bedeckt oder mit höheren Ehren überhäuft von allen Nationen der Welt; beinahe alles, wozu er jetzt gelangen könnte, würde auf eine Art wie etwas Geringeres aussehen. Das größte Hindernis aber bildete seine wirkliche Bescheidenheit. Er war ganz ehrlich überzeugt, daß viele andere Männer weitaus besser für den Posten des Präsidenten geeignet seien als er — und das sagte er mir auch. Darauf baute ich dann meinen Plan.

Erfahrung, wie sie kein anderer besitzt

„General", sagte ich ihm, „da ist noch etwas, das Sie ins Auge fassen müssen, ehe Sie eine Entscheidung treffen. Sie sind nämlich der Mann, der unsere Welt den Weg zum Frieden eher führen kann, als irgendein anderer Mensch der Gegenwart. Ich sage Ihnen auch, warum: Der Grund hierzu ist vielleicht gar nicht der, daß Sie nur besonders tüchtig oder dergleichen sind. Sondern Sie haben einfach eine Erfahrung, wie sie kein anderer besitzt“. Ich fuhr fort, das einzigartige Phänomen seiner Persönlichkeit zu beschreiben: Den siegreichen Heerführer, der in allen Hauptstädten gefeiert und ein Begriff für alle Welt wurde, der auch die Achtung der russischen Führer genoß und mit dem in Kollision zu geraten, sie am allerwenigsten geneigt scheinen.

„Also“, sagte ich, „wenn Sie mir nun jemanden zu nennen wissen, der ebensoviel dazu beitragen kann, den Frieden zu gewinnen, dann will ich mein Bündel schnüren und anderswohin gehen." Er erwiderte nichts aber ich spürte zum erstenmal, daß ich Eindruck auf ihn gemacht hatte.

Bis zum heutigen Tage habe ich keinen Grund gehabt, meine Argumente von damals als falsch anzusehen. Meiner Meinung nach gab es schon mehrere Gelegenheiten, von denen man sagen muß daß es allein Eisenhower war, der dieses Land vor Krieg bewahrte. Der gefährlichste Zeitpunkt waren vielleicht die Tage des französischen Zusammenbruchs bei Dien Bien Phu, als einige unserer führenden Militärs auf eine militärische Einmischung in Indochina drängten, einschließlich der Anwendung von Atomwaffen. Es waren das nüchterne Urteil Eisenhowers und seine unerschöpfliche Geduld, die eine solch überstürzte Handlungsweise zunichte machten. Er beharrte auf seiner Meinung, bis endlich ein Waffenstillstand erreicht werden konnte. Auf die gleiche Weise widersetzte er sich standhaft einem Versuch des Senators Knowland und anderer einflußreicher Männer, die eine Blockade gegen Rotchina durchgeführt sehen wollten. Eine solche Blockade würde in Amerika zweifellos Beifall gefunden haben, da ein nationales Ressentiment gegen Rotchina wegen der gefangenen amerikanischen Flieger besteht. Aber der Präsident wies auf die Tatsache hin, daß es in der Geschichte noch keine Blockade gäbe, die nicht zu Feindseligkeiten geführt hätte, und verwarf den Vorschlag nachdrücklich. Im vergangenen April wurde die Nation plötzlich von der stärksten „Kriegsfurcht“ dieses Jahrzehnts alarmiert. Verantwortliche der militärischen Führung warnten vor einer unmittelbar bevorstehenden rotchinesichen Invasion Formosas und der umliegenden Inseln und schlugen eine Bombardierung des chinesischen Festlandes vor. Wiederum war es Eisenhower, der dieser Hysterie Einhalt gebot.

Einerseits schickte er eine Abordnung zu Tschiang Kai-scheck, um ihn von jeder Provokation abzuhalten. Andererseits gab er den Rotchinesen unmißverständlich zu verstehen, daß Gewalt mit

Gewalt begegnet würde — und die gegenwärtige de facto Waffenruhe wird in der FormosaStraße eingehalten.

Ich möchte damit nicht behaupten, daß durch Aktionen dieser Art Eisenhower das Problem als solches gelöst habe. Aber diese Handlungen haben Zeit eingebracht, und in dieser Zeitspanne können sich die Gemüter abkühlen, können Spannungen sich lösen, Eisenhower Weiß aus seinen militärischen Erfahrungen, was für ein strategischer Faktor von ungeheurer Bedeutung die Zeit sein kann. Seine militärische Vergangenheit ermöglicht es ihm auch, Dinge zu tun, die ein Präsident, der nicht diese militärischen Erfahrungen besitzt, nicht fertigbringen würde.

Er kann in Ruhe ausgleichen, während ein anderer der Leisetreterei gegenüber dem Kommunismus bezichtigt würde. Er darf Provokationen übersehen, während man einen Zivilisten beschuldigen würde, er suche den „Frieden um jeden Preis“.

Wenn die öffentliche Leidenschaft in den USA bei einem Zwischenfall wie dem der US-Flieger entbrennt, und Demagogen versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen, darf Eisenhower es sich erlauben, leise zu sprechen, während ein solcher Druck einen Zivilisten evtl, in ein riskantes Unternehmen hineinmanövrieren könnte.

Eisenhower, der Soldat, kann weitaus wirkungsvoller für den Frieden arbeiten als irgendeiner in den Vereinigten Staaten, weil ihn seine Vergangenheit gegenüber Angriffen auf seinen Mut oder sein LIrteil in Krisen immun macht. Da er ein Erster war im Krieg, kann er auch, ohne sich entschuldigen zu müssen. Erster des Friedens sein. Und das ist wichtig in einer Zeit, in der immer wiederkehrende Krisen leicht Kriegsstimmung erzeugen können wie seinerzeit die Versenkung des Schlachtschiffes Maine im Hafen von Havanna, Kuba, die den Krieg zwischen den USA und Spanien im Jahre 1898 erzwungen hat.

Die gegenwärtige Entspannung wurde nicht herbeigeführt, weil die Sowjet-Führer eines schönen Morgens erwachten, und die Welt mit gütigeren Augen betrachteten. Es kam dazu, weil sie endlich erkannten, daß ihre Strategie des Abwartens auf einen Zusammenbruch der Freien Welt verfehlt war. Sie mußte fehlgehen, weil die Freie Welt auf die wirkungsvollste Weise den Frieden gewann, indem sie ihn an vier Fronten gleichzeitig führte: Der militärischen, wirtschaftlichen, politischen und psychologischen Front.

An der militärischen Front schien es nötig, angemessene Streitkräfte zu belassen, um jede Lust zur Aggression zu verhindern. So ist es geschehen, und so bleibt es. Die NATO ist der beste und wirksamste Niederschlag dafür und die deutsche Wiederaufrüstung deren mächtigster neuer Faktor. Auf der wirtschaftlichen Seite war es wichtig, die Freie Welt wohlhabend und gesund zu machen. Hier sind große Fortschritte erzielt worden.

Auf dem politischen Sektor haben wir gemeinsame Sache mit unseren Verbündeten gemacht, und wir können ermutigende Fortschritte in unseren Beziehungen zu Gruppen, wie sie die Colombomächte darstellen, verzeichnen (Indien, Pakistan, Birma, Indonesien, Ceylon und die drei verbündeten Staaten von Indochina, Malaya und Nepal).

An der psychologischen Front führten wir Informationsprogramme durch und achteten darauf, daß unsere Errungenschaften und unsere Sache nicht falsch ausgelegt und nicht übersehen würden. Ein Erfolg davon ist — wie das die Afro-Asiatische Konferenz in Bandung erwies — daß wir weit mehr Freunde unter diesen Völkern haben, als dies die Bürger der westlichen Welt zu hoffen wagten.

Was kostet die Friedensführung?

Die Kosten der Vierfronten-Friedensführung während der abgelaufenen zehn Jahre waren enorm: 365 Milliarden Dollar für die Vereinigten Staaten, oder nahezu 100 Milliarden Dollar mehr als unsere nationalen Schulden. Den größten Anteil dieser Summe — 300 Milliarden Dollar — beanspruchte die Verteidigung, 50 Milliarden Dollar die Wirtschaftshilfe, 13 Milliarden Dollar für politische Zwecke und 2 Milliarden Dollar für Informationsbelange. Aber den Frieden zu gewinnen, wiegt alle Kosten auf.

Der größte Sieg der Freien Welt bleibt bis zum heutigen Tag die Vermeidung des wirtschaftlichen Chaos und Zusammenbruchs, worauf die Sowjet-Führer die größte Hoffnung gesetzt hatten. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, daß die Auslagen, die sich Amerika machte, um diesen Zusammenbruch zu vermeiden, buchstäblich die Welt gerettet haben.

Man vergißt so leicht, wie verzweifelt, hoffnungslos und defaitistisch diese Welt schien, als sich Europa anschickte, wieder aus der Asche aufzuerstehen. Ich erinnere mich daran, denn ich weilte im Jahre 1946 in Europa, da ich als Präsident der Studebaker-Corporation die Aussichten des Automobilgeschäfts überprüfte. Was ich da zu sehen bekam, erschien mir als aussichtslos, nicht nur für das Automobil-geschäft. Überall fand ich die Menschen dem unausbleiblichen Zusammenbruch in fatalistischer Resignation verhaftet, dem der Triumph des Kommunismus folgen und wie üblich am Elend gedeihen würde.

Besucht heute einer Europa, so findet er kaum noch, daß es der gleiche Ort sei. Wie ein Wunder hat es sich aus tiefster Erniedrigung empor-gehoben zum größten Wohlstand seiner Geschichte. Großbritannien hat nicht nur ein ausgeglichenes Budget, sondern hat auch seine Gold-und Dollarreserven durch eine phänomenal erfolgreiche Exportpolitik aufgebaut. Frankreichs Produktion hat ihren Vorkriegsstand um 32 °/o überschritten. Die Niederlande konnten ihre Vorkriegserzeugung um 100% erhöhen und fließen, wie die biblichen Lande, über von Milch und Honig. Sogar das verarmte Italien steht wieder auf festen Füßen und die Wiederherstellung Westdeutschlands wird als das größte Wunder angesehen.

Das alles konnte geschehen, weil die Freie Welt Führer hat, die zum ersten Male den Frieden aktiv führen. Ex-Präsidenten Truman gebührt die Ehre, die Not erkannt und darauf geachtet zu haben, daß 400 Millionen Dollar für die Verteidigung Griechenlands und der Türkei zur Verfügung standen, was der Türkei ermöglichte, dem Druck Sowjetrußlands zu widerstehen und Griechenland, die Kommunisten im Bürgerkrieg zu besiegen.

General George Marshall, damals Staatssekretär der USA, sah wiederum die Notwendigkeit eines großangelegten Planes — die ECA vor sich.

Die Idee kam ihm, wie er mir kürzlich erzählte, während der Moskauer Konferenz 1947, als er nach Ablauf einer Reihe stürmischer und fruchtloser Verhandlungen im Kreml saß.

Hier erkannte Marshall, daß die Sowjets mit einem europäischen Zusammenbruch rechneten, und daß sie alles tun würden, ihn herbeizuführen. Truman besaß den Weitblick, den General beim Marshallplan zu unterstützen. Zu dieser Zeit führte die republikanische Partei sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus; die Führung des verstorbenen großen Senators Vandenberg sicherte die überwältigende Unterstützung durch beide Parteien innerhalb und außerhalb des Kongresses.

Wie dem auch sei, der Marshallplan wäre kein Erfolg geworden, hätte Europa nicht selbst Staatslenker gehabt, die auch über ihre eigenen Landesinteressen hinaussehen konnten. Meine erste Reise nach Europa als ECA-Leiter machte ich im Jahre 1948, halb in der Furcht, die Kritiker, die das Ganze „Operation Rattenloch“ nannten, könnten Recht behalten. Aber Männer wie Frankreichs Außenminister Robert Schuman gaben mir Mut. Er beharrte darauf, daß Europa gerettet werden könnte, aber nur, wenn die Wiederherstellung des gesamten Europas geplant würde, Deutschland miteingeschlossen. „Die Tage sind vorüber“, sagte er, „da wir es uns leisten konnten, die Energien des französischen und deutschen Volkes im Widerstand gegeneinander vergeudet zu sehen.“

Keine Zeit, zu hassen

Ich war erstaunt, das gleiche Verhalten auch bei Dr. Dirk Stikker, Außenminister der Niederlande, vorzufinden; von ihm wußte ich, daß er ein Führer der LIntergrundbewegung gewesen war, und daß er im Kampfe gegen die Nazis ungezählte Male sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Ich war überrascht, als er mit Nachdruck ausführte, daß die Wiederbelebung Westdeutschlands der Schlüssel zu Europas Wiedergesundung sei, und ich verhehlte ihm meine Überraschung nicht. Ich werde seine Antwort nie vergessen: „Es gibt in Europa viel zu viel zu tun, als daß jetzt Zeit wäre zu hassen.“

Belgiens Premierminister Paul-Henri Spaak bekannte sich zur gleichen Anschauung. Er führte aus, daß alle Länder eng zusammenarbeiten müßten, und seine Gedanken gingen weit über den heutigen Stand der Zusammenarbeit hinaus: die Vereinigten Staaten Europas ohne Grenzschranken und mit einem einzigen großen Gütermarkt.

Premier Alcide de Gasperi von Italien, ein Mann, der wahrhaft ungeheuere Lasten und Bürden zu tragen hatte, vertrat dieselben Ansichten: „Wir dürfen über der Wiederherstellung Italiens nicht blind werden gegenüber der Notwendigkeit einer-engsten Zusammenarbeit aller Nationen“.

Es war auch de Gasperi, der mir die Schranken erklärte, die dem Fortschritt in Europa gesetzt waren, hervorgerufen durch die verschiedenen europäischen Mentalitäten und das unterschiedliche Tempo. Bei unserem ersten Zusammentreffen im Jahre 1948 sagte ich ihm, daß man vom amerikanischen Volk schwerlich erwarten dürfe, Steuern zu bezahlen, um Italien zu helfen, wenn die Italiener selbst allen Steuer-zahlungen aus dem Weg gingen.

„Habt nur ein wenig Geduld“, meinte Dr. Gasperi. „Wenn unter unserem gegenwärtigen Steuersystem — und das trifft auch auf die letzten 500 Jahre zu — der einzelne Steuerzahler allen seinen gesetzlichen Steuerverpflichtungen nachkommen wollte, besäße er tatsächlich nichts. Es ist seit 500 Jahren Sitte und Brauch in Italien, dem Steuereinzieher aus dem Wege zu gehen. Es ist uns klar, daß wir hierzulande nie eine erfolgreiche Demokratie haben werden, solange wir uns nicht eine Steuermoral zu eigen machen — aber, wir werden sie erhalten. Im nächsten Jahr schon, das versichere ich Ihnen, werden wir die Steuereinnahmen dieses Jahres verdoppelt haben. Aber das alles kann nicht über Nacht geschehen“. Er hielt Wort. Während des folgenden Jahres waren die Steuereinnahmen auf das Doppelte gestiegen.

Es sind zu viele Politiker, die einen wichtigen Beitrag zur Führung des Friedens leisteten, um alle Namen nennen zu können. Aber Churchill und Eden, in Großbritannien, und John Foster Dulles von den LISA, dürfen nicht unerwähnt bleiben.

Als Ironie des Schicksals und dennoch ins Bild passend, war es dann nicht die Freie Welt, sondern die des Kommunismus, die einem wirtschaftlichen Chaos und einem Zusammenbruch gefährlich nahe kam. Die Sowjets sind im Augenblick in einer ernsthaften landwirtschaftlichen Krisis, so schwer, wie dies in den Dreißigerjahren die Vereinigten Staaten zur Zeit der großen Weltwirtschaftskrise waren. Der kurzlebige sowjetische Versuch, Verbrauchsgüter zu produzieren, erwies sich als ein Mißerfolg; man hat guten Grund anzunehmen, daß die gesamte russische Wirtschaft schwer unter den Anstrengungen zu leiden hat, ein „Stoßprogramm“ der Atomwaffenerzeugung durchzuführen. Hinzukommt das Stoßprogramm für schwere Bomber und zusätzlich noch die Unterstützung des kommunistischen China, und der europäischen Satelliten und diese Programme sind durchzuführen bei einer vorherrschend auf Kriegsindustrie eingestellten Wirtschaft in einem Land, dessen Stahlkapazität nur ein Drittel der Amerikas beträgt und dessen Elektrizitätserzeugung bei weitem nicht ausreicht. Es ist den Russen nicht möglich, beides, Kanonen und Butter zu erzeugen, und das Volk beginnt, störrisch zu werden.

Der günstige Augenblick

Das alles verschaffte der Freien Welt bei der Genfer Konferenz eine günstige Position. Wenn die Russen, aus welchem Grunde immer, zu einer Koexistenz bereit sind, und den Kalten Krieg zur bloßen Konkurrenz abdämpfen, dann kann ich mir nicht vorstellen, warum unsere Freie Gesellschaft diesen Wettbewerb nicht gewinnen sollte. Bislang hatten es die Kommunisten nicht eilig, einen Krieg zu beginnen, denn ihre Doktrin lehrt sie, daß die Zeit auf ihrer Seite sei, daß der morsche Kapitalismus von selbst zusammenbrechen werde. Erst jetzt beginnen sie zu entdecken, daß Karl Marx eine tote Gesellschaftsform, den Kapitalismus von 1848, kritisierte; und daß der USA-Kapitalismus von 195 5 revolutionärer ist als alles, was sich der Kommunismus je vorzustellen vermochte; und daß es vielmehr ihr eigenes gepriesenes System ist, bei dem nichts Rechtes herauskommt und aus dem nichts Rechtes zu machen ist.

Es ist ihr und nicht unser System, das den Samen der Selbstzerstörung in sich birgt. Die Zeit ist auf unserer Seite, nicht auf der ihren. Wenn wir weiter entschlossen bleiben, den Frieden zu gewinnen, dann werden sie eines Tages unsere Wege beschreiten, weil ihr eigenes Volk entdecken wird, daß ihr System nicht stimmt.

Wichtig ist nur, daß wir uns auf unserem Vierfrontenweg zum Frieden nicht in irgendeinem Augenblick nachlassender Spannkraft in kurzsichtige Wirtschaftsplänehineinlockenlassen.

Wir haben unsere militärische Kraft zu erhalten, aber gewärtig zu sein, daß sie nur dazu dient, uns Zeit zu erkaufen, die Zeit, die wir brauchen, um mit friedlichen Mitteln den Frieden zu gewinnen.

Wir müssen unsere Anstrengungen auf dem wirtschaftlichen Sektor steigern. Im kommenden Jahrzehnt haben wir in Asien unsere größten Aufgaben. Die Zukunft der Welt mag sehr wohl davon abhängen, ob die jungen Völker Asiens imstande sein werden, zu Wohlstand zu gelangen und gleichzeitig ihre Freiheit zu behalten. Wir müssen ihnen nicht nur helfen, sondern auch mit ihnen Geduld haben — selbst wenn wir nicht immer einverstanden sind; vor allem aber dürfen wir nicht darauf bestehen, daß ihre Entwicklung auf die gleiche Art erfolgen muß, wie das bei uns der Fall war, Ihre Souveränität ist ein Novum für die meisten von ihnen — und sie sind infolgedessen besonders empfindlich.

Der Ferne Osten ist Amerika noch immer wohlgesonnen. Auch wo die Presse gegnerisch eingestellt ist, wie etwa in Indien, fand ich nichts als Wohlwollen mir, dem Amerikaner gegenüber. Lind das gilt auch'für die anderen Länder. Das Prestige, das Amerika als Symbol der Freiheit genießt, sein Höhepunkt die Befreiung der Philippinen, wurde etwas herabgemindert durch unsere Unterstützung der Franzosen in Indochina — aber noch ist es vorhanden.

Fundament der Größe

Darum ist die psychologische und informative Front für die Erringung des Friedens so überaus wichtig. Die Vereinigten Staaten müssen es verstehen, den anderen Ländern ihre große Bedeutung klar zu machen. Nicht wegen ihres hohen Lebensstandards sind die Vereinigten Staaten so bedeutend. Sie sind es, weil in der amerikanischen Gesellschaftsordnung jeder Einzelne die Möglichkeit hat, so weit hinaufzukommen, als ihn seine Fähigkeiten bringen; sie sind es, weil sie die erste wirklich klassenlose Gesellschaftsordnung der Weltgeschichte darstellen. Dies ermöglichte es, den großen Wohlstand der USA zu schaffen, — aber ohne alle die Dinge, die auch den Überfluß nicht begehrenswert machen.

Die große Wiedergesundung Europas, an deren Realisierung niemand glaubte — hat bereits ihren Einfluß auf die Russen gehabt, unbeschadet des Eisernen Vorhangs. Wo es den nicht gibt, wie zum Beispiel in Berlin, hat der Wohlstand der Westdeutschen seinen dramatischen Einfluß auf die Ostdeutschen nicht verfehlt. Sie können selber den Unterschied zwischen dem kapitalistischen Wohlstand und dem kommunistischen Mangel sehen — und sich auf die Verbindung zwischen Reichtum und Freiheit, Elend und Tyrannei ihren eigenen Reim machen. Die Russen waren nicht imstande, vor ihrem eigenen Volk und den Satelliten die Diskrepanz zwischen der Not ihres eigenen Lebens und dem relativen Wohlstand jenseits des Eisernen Vorhangs zu verbergen. Die Wirkung ist kumulativ: Unruhe unter den Satelliten erzeugt Explosionsgefahr, und so sind die Russen gezwungen, Zugeständnisse zu machen, wie zum Beispiel das Abblasen des Kampfes gegen Tito. Da dieser Kampf damit begann, daß sich Tito weigerte, die Rolle eines Satelliten anzunehmen, wird Titos Erfolg die Wirkung auf die Satelliten nicht verfehlen. Auch sie werden größere Freiheiten fordern. Freiheit ist eine recht ansteckende Angelegenheit.

Man übertrage diese Verhältnisse " auf Asien, wo die Gegensätze zwischen der Sklavenwirtschaft Rotchinas und den Freien Völkern von Indien, Birma, Thailand und den Philippinen bestehen. Wenn die Letzteren mit unserer Hilfe, imstande sein werden zu beweisen, daß man in Freiheit schneller vorwärtskommt und mehr vollbringt, dann wird die Wirkung auf das chinesische Volk genau so einschneidend sein, wie die Wiederherstellung Europas die Russen und ihre Satelliten beeindruckt hat.

Das also ist die Lage, den Frieden zu gewinnen. Wir dürfen nicht erwarten, ihn über Nacht zu erringen. Aber er muß gewonnen werden, — denn die Alternative wäre zu fürchterlich. Wie hat es Senator Vandenberg ausgedrückt, als er über das Ringen um den Frieden sprach: „Hier liegt Herz und Kern aller Menschheitshoffnung für das Morgen. Ich weiß um keine bessere Hoffnung ..."

Fussnoten

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