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Die Opposition in der Sowjetzone am 17. Juni 1953 und heute | APuZ 23/1957 | bpb.de

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APuZ 23/1957 Das Problem der Deutschen Einheit nach den beiden Weltkriegen Die Opposition in der Sowjetzone am 17. Juni 1953 und heute

Die Opposition in der Sowjetzone am 17. Juni 1953 und heute

gen das angloamerikanische Zugeständnis der Abtrennung des Saargebiets und der Bildung einer internationalen Ruhrbehörde gefügt hatte, suchten die Russen durch eine Blockade Berlins aufzulösen, um damit gleichzeitig die Bildung eines westdeutschen Staates zu verhindern. Gemäß den Vereinbarungen von Yalta war die Reichshauptstadt in vier Sektoren eingeteilt und von Truppen der vier Alliierten besetzt worden. Infolge der sowjetischen Gleichschaltungspolitik in der Ostzone wurden die drei Westzonen in Berlin zu einer vorgeschobenen westlichen Position hinter dem Eisernen Vorhang, die einmal einfach durch ihre Existenz die strenge sowjetische Abgeschlossenheit störte, zum anderen aber wegen ihrer isolierten Lage gefährdet war. Die Russen schnitten Berlin von allen Zufahrtsstraßen ab, mit dem Ziel, die Westalliierten entweder zum Abmarsch, also zur Preisgabe Berlins, oder zum Verzicht auf die westdeutsche Staatsbildung zu zwingen. Die Russen — phantasiereich in der Erfindung neuer Machtmethoden — behandelten die Zweieinhalbmillionenstadt, die noch über Lebensmittelvorräte für 36 und über Kohlenvorräte für 45 Tage verfügte, gleichsam als Geisel. Mit disziplinierter und mutiger Entschlossenheit wehrte sich die Berliner Bevölkerung gegen diese kalte Belagerung. Durch eine blockade-brechende Luftbrücke wurde Berlin von den Westmächten versorgt. In sechzehn Monaten transportierten sie in 275 OOO Flügen fast 2 Millionen Tonnen Versorgungsgüter nach Berlin. Diese Verteidigung Berlins war ebenso sehr der großartigen Zivilcourage der Berliner unter Führung des Bürgermeisters Ernst Reuter zu verdanken, wie auch der vorbildlichen Organisation der Luftbrücke unter dem amerikanischen General Lucius D. Clay. Es war die erste große gemeinsame Aktion von Westalliierten und Deutschen. Nach Verabschiedung des Grundgesetzes hoben die Russen die Blockade wieder auf, weil der von ihnen beabsichtigte Zweck nicht erreicht. worden war.

Das Grundgesetz ist zum überwiegenden Teil eine deutsche Leistung.

Die Westmächte, die sich die letzte Entscheidung über die neue Verfassung vorbehalten hatten, setzten nur einige wenige, nicht sehr erhebliche Abänderungen durch. In einem waren sich der Parlamentarische Rat und die alliierten Regierungen völlig einig, nämlich daß das Grundgesetz frei von ostorientierten Verfassungsbestimmungen bleiben sollte.

Andererseits hatten die Alliierten die deutschen Wünsche bezüglich des Besatzungsstatuts bis zu einem gewissen Grade berücksichtigt. Die Sowjetrussen und die deutschen Kommunisten bekämpften den Erlaß eines interalliierten Besatzungsstatuts fast ebenso scharf wie die Bildung eines westdeutschen Staates, weil eine Einschränkung der Besatzungsgewalt )

zu einer Machtminderung der deutschen Kommunisten führen mußte, wenn das Besatzungsstatut auch in der SBZ gegolten hätte.

Aus dem unorganisierten, aber durch Tradition und Nationalbewußtsein zusammengehaltenen Bund der westdeutschen Länder war wiederum ein Staat entstanden, wenn er auch zunächst in seiner Gewalt und auf ein Teilgebiet beschränkt blieb. Dieser Staat beruhte weder ausschließlich auf alliierter Schöpfung, noch war er eine deutsche Gründung, die damals ohne alliierte Erlaubnis nicht möglich gewesen wäre. Gewiß hatten die Westmächte, vor allem Amerika, ein starkes Interesse an der Bildung des westdeutschen Staates, aber das Wesentliche war, daß deutsche und westalliierte Interessen in diesem Fall übereinstimmten. Die Staatsbildung entsprach unter den damaligen Verhältnissen deutschen Bedürfnissen, und die Deutschen hatten die eigentliche Konstruktionsarbeit weitgehend selbständig geleistet — wenn auch auf Grund eines Angebotes und mit Zustimmung der Westmächte. Die Staatsorganisation war den Deutschen von den Alliierten nicht aufgezwungen, sondern die Errichtung ihnen angeboten worden, die sie dann weitestgehend aus eigener Kraft und Verantwortung begonnen hatten. Die Verhandlungen über das Grundgesetz wurden vor aller Öffentlichkeit durchgeführt. Die Abstimmungen fanden sowohl im Parlamentarischen Rat als auch in den Landtagen, die alle, mit Ausnahme des bayerischen, das Grundgesetz annahmen, nach freier Aussprache öffentlich statt. Nicht ein einziger Abgeordneter des Parlamentarischen Rates wurde in dieser Zeit von den Alliierten in seiner Meinungsfreiheit behindert oder gar verhaftet, was im übrigen auch sonst nicht geschehen ist. Bei dem demokratischen Verfahren, dessen Anwendung die Alliierten nicht nur angeboten, sondern verlangt hatten, das im übrigen von.den Deutschen auch ohne alliiertes Zutun angewandt worden wäre, hätte eine Staatsbildung nicht gegen den Willen der deutschen Bevölkerung erfolgen können. In dieser Freiheit der Gestaltung der Staatsorganisation und der Entscheidung über sie liegt der fundamentale Unterschied zu der Art und Weise, wie der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands von Rußland geformt wurde und beherrscht wird.

Die Bundesrepublik war zunächst eine in der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten weitgehend autonome, doch unter fremder Besatzung stehende Grenzprovinz der drei verbündeten Staaten. Die Westmächte hatten deren Errichtung im Interesse des eigenen Schutzes ermöglicht, und sie selber konnte ohne den Schutz des Westens weder entstehen noch bestehen. Von dieser Grundlage aus entwickelte die Bundesrepublik sich aber zu einem weitgehend selbständigen Staat, eben zum deutschen Kernstaat.

Am 17. Juni erhob sich die Bevölkerung Mitteldeutschlands spontan gegen das stalinistische System, gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Unfreiheit. Der Aufstand wurde durch sowjetische Panzer niedergeschlagen; zahlreiche Aufständische verloren Leben oder Freiheit. Trotzdem konnte der Geist des 17. Juni nicht unterdrückt werden. Nach vier Jahren erhebt sich aktueller denn je die Frage, ob der Aufstand auch für die Gegenwart von Bedeutung und Einfluß ist. Ein wirtschaftlicher und politischer Krisenprozeß von ungeahnten Ausmaßen ist im Ostblock sichtbar geworden, der die Sowjets zu den Konzessionen des XX. Parteitages gezwungen hat und dessen vorläufige Kulmination die Erhebung von Warschau und Budapest war.

Der 17. Juni war die erste Massenaktion des Antistalinismus im Ostblock, Vorbote der Erhebung von Posen im Juni 1956 und der Revolution in Polen und Ungarn. Lind dies sind die ersten Konzessionen des Systems: die Liquidierung des Stalinkultes, Entmachtung der Geheimpolizei und Auflösung der Zwangsarbeitslager, Rehabilitierungen, Dezentralisierung der Wirtschaft, eine wenn auch geringe Freizügigkeit der öffentlichen Diskussion, größere Selbständigkeit der Satellitenstaaten, eine beweglichere, von den Prinzipien der friedlichen Koexistenz bestimmte Außenpolitik. Diese ersten, sichtbaren Erfolge sind nicht zuletzt bewirkt durch den Druck der oppositionellen Kräfte innerhalb des Ostblocks.

Dieser Prozeß ist nicht beendet, aber er vollzieht sich gleichzeitig nicht ohne Widerstände und Hemmungen. Die Stalinisten können das Tempo seiner Entwicklung zwar verlangsamen, aber nicht mehr aufhalten. Der Terror von früher ist unmöglich geworden. Der 17. Juni war die bisher größte Widerstandsaktion in Mittel-deutschland. Von hier aus hat sich eine Opposition entwickelt, die das System heute nicht weniger bedroht als damals. Diese Opposition von heute ist nicht zu verstehen ohne die Opposition von 195 3.

Vorgeschichte und Ablauf des 17. Juni Der Streik der Bauarbeiter am 16. Juni und die folgende Erhebung der Zone am 17. 6. wurde zwar durch die obligatorische zehnprozentige Normenerhöhung ausgelöst. Die eigentlichen Ursachen aber lagen in der gesamten Wirtschafts-und Sozialpolitik begründet, die das System besonders nach der II. Parteikonferenz betrieben hatte, auf welcher der . Aufbau des Sozialismus in der DDR'verkündet wurde. Die Bevölkerung der Zone, seit zwei Jahrzehnten in Unfreiheit und Terror gehalten, seit mehr als einem Jahrzehnt von Hunger verfolgt, hatte in den ersten Nachkriegsjahren manche Entbehrung in der Hoffnung auf ein besseres Leben ertragen. Sie empfand die Befreiung vom Nationalsozialismus als eine Erlösung. Die zunächst vorhandene, relativ freie Meinungsbildung schien Ansatz einer demokratischen Entwicklung zu sein. Bald aber mußten selbst Gutwillige erkennen, daß sich die Lage der Bevölkerung auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet durch die völlige Angleichung an die Sowjetunion mehr und mehr verschlechterte. Dann leitete die II. Parteikonferenz der SED unter dem Schlagwort . Sozialismus'

die uneingeschränkte Sowjetisierung der , DDR‘ ein. Sie brachte den Arbeitern erhöhte Normen, den Bauern die Kolchosen, der Bevölkerung die Beseitigung der letzten Reste von Meinungsfreiheit, ständig sich verschärfenden Terror und das Absinken des Lebensstandards. Die formalen Rechte der Arbeiterschaft wurden fiktiv, deren Empörung wuchs unaufhörlich. Bereits Anfang 195 3 kam es zu lokalen Arbeitsniederlegungen, besonders in Magdeburg, zum Boykott politischer Versammlungen, zu Auseinandersetzungen selbst innerhalb der Grundorganisationen der SED in den Betrieben und zu tätlichen Angriffen auf besonders verhaßte SED-Funktionäre. Passiver Widerstand und das Auspfeifen von Rednern waren an der Tagesordnung.

Die Funktionärshierarchie nahm diese Entwicklung kaum zur Kenntnis. Niemand aus ihrem Apparat wagte es, die Lage wirklich zu analy-sieren. Wenige mutige Funktionäre, die objektive Berichte gaben, wurden diffamiert und als Parteifeinde betrachtet. Wie in jedem zum Untergang verurteilten System war die Führung blind gegenüber der wirklichen Situation und deshalb unfähig, der Gefahr zu begegnen. Die Stalinisten beschleunigten diese Entwicklung, indem sie immer wieder neue Opfer von der Arbeiterschaft verlangten. Nur so ist die Erhöhung der Normen um 10 °/o zu verstehen, zu einem Zeitpunkt erlassen, in dem die Unruhe der Arbeiterschaft fast den Siedepunkt erreicht hatte. Als am 9. Juni auf Befehl der Sowjets in letzter Minute der sogenannte „Neue Kurs" verkündet wurde, verfehlte dieser späte Versuch nicht nur sein Ziel — die Beruhigung der Massen —, er bewirkte vielmehr das Gegenteil. Die empörte Arbeiterschaft wertete die Zugeständnisse (Ende des Kirchenkampfes, Erleichterungen für die Bauern, Freilassung politischer Gefangener, Förderung des privaten Groß-und Einzelhandels, Erhöhung der Konsumindustrie usw.) als Beweis der Unsicherheit und Schwäche. Der noch auf harten Kurs gedrillte, starre und schwerfällige Funktionärapparat war unfähig, die unerwartete Schwenkung schnell zu vollziehen. Er geriet in Verwirrung und demaskierte sich vor den Massen, die seiner Führung völlig entglitten. Die Verbitterung der Arbeiterschaft wuchs rapide und führte in wenigen Tagen zur Explosion.

Der Aufstand wurde ausgelöst von den Bauarbeitern der Stalin-Allee, er erfaßte am 17. Juni alle Städte und Großbetriebe und griff auch auf eine Reihe ländlicher Bezirke über. Die Streiks und Protestaktionen aber waren keineswegs auf den 16. und 17. Juni beschränkt. Trotz des Eingreifens der Sowjettruppen dauerten sie in der Zone bis Ende Juni. Auch im Juli und August flackerten örtlich immer wieder vereinzelte Aktionen auf. Noch im September arbeiteten Betriebe in Magdeburg, Dresden und Leipzig mit halber Kraft.

Der eigentliche Träger des Juniaufstandes war die Arbeiterschaft. Sie erhob sich spontan und entwickelte der revolutionären Situation entsprechende improvisierte Organisationsformen. Die stalinistische SED-Führung machte den kläglichen Versuch, die Initiatoren des Aufstandes als faschistische Agenten und Provokateure zu diffamieren.

Die Opposition des Juni 1953 im Vergleich zur Gegenwart

Die Erhebung der Arbeiterschaft vollzog sich im wesentlichen ohne organisatorischen Plan und konkrete politische Zielsetzung. Noch bestand keine feste politische Plattform, wie sie sich nach dem XX. Parteitag, der polnischen und ungarischen Revolution kristallisiert hat. Aus der Aktion heraus entstanden die Losungen und organisatorischen Formen, die dem Aufstand das Gepräge gaben. In Görlitz und Magdeburg z. B. befolgten die Arbeiter vorbildlich die Anweisungen der Streikleitungen. Sie besetzten nach einem schnell improvisierten Plan alle strategischen Punkte der Stadt und hatten bereits mit der Wahl eines neuen Stadtparlaments begonnen, als die Sowjettruppen eingriffen.

Die politischen und sozialen Losungen, unter denen der Streik in der Zone durchgeführt wurde, waren örtlich sehr verschieden und von den besonderen lokalen Bedingungen abhängig. Infolge des Terrors hatten die Arbeiter vorher keine Gelegenheit gehabt, eine einheitliche Plattform für die gesamte Zone zu schaffen. Lim so bemerkenswerter ist es, daß trotzdem in den Schwerpunkten des Aufstandes die gleichen Grundfragen in allen Losungen wiederkehrten. Sie lauteten:

1. Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit.

2. Freie Wahlen und Selbstbestimmung.

3. Beseitigung Ulbrichts und seiner Anhänger.

4. Freiheit der Meinung und der Presse.

5. Entlassung der politischen Gefangenen, Auflösung des SSD und Einführung rechtsstaatlicher Prinzipien.

6. Beseitigung der bürokratischen Herrschaft in Staat, Partei und Gewerkschaft.

Immer wieder wurde die Forderung auf Zulassung der SPD erhoben, nach nationaler LInabhängigkeit und dem Abzug der Besatzungstruppen. Bei den wirtschaftlichen Forderungen stand an erster Stelle die Abschaffung der Normerhöhungen, die Beseitigung der Prämien und der Aktivistenbewegung und die Erhöhung des Lebensstandards. Diese Grundforderungen gehören auch heute noch zum Programm der Opposition.

Es bestehen aber wesentliche Unterschiede zwischen der Opposition des Juniaufstandes und der von heute. Die Opposition des 17. Juni erwuchs in erster Linie aus der sozialen Notlage, der spürbaren Unterdrückung und der unerträglichen Ausbeutung in den Betrieben. Sie war in ihrem Charakter spontan, unorganisiert, ohne konkrete Vorstellungen von der zukünftigen staatlichen Ordnung der Zone, ohne Beziehung zu politischen Theorien, geboren aus den dringenden Forderungen des Tages.

Die Opposition von heute ist systematischer Natur. Sie stützt sich auf die neue Linie des XX. Parteitages, die Beseitigung des Stalinkultes, die Auseinandersetzung zwischen dem stalinistischen und dem antistalinistischen Marxismus. Ihr Ziel ist die Beseitigung der stalinistischen Parteibürokratie und die Errichtung einer Arbeiterdemokratie, in der die wirtschaftliche und politische Macht bei den frei und direkt gewählten Organen der Werktätigen liegt. Die Opposition ist nicht mehr spontan, sie entwickelt sich systematisch, korrespondierend zur Entwicklung in Polen und Jugoslawien, basierend auf den Erfahrungen der ungarischen und polnischen Revolution und mit den gleichen Tendenzen wie die Opposition der LIdSSR.

Die gemeinsamen Forderungen der Opposition von 195 3 und von heute lauten: Beseitigung des stalinistischen Staatsapparates, Vernichtung der Partei-und Staatsbürokratie, Arbeiterselbstverwaltung der Betriebe, Zulassung mehrerer Parteien, Rede-und Pressefreiheit, Stärkung der Autorität des Parlamentes als dem obersten Organ des Staates, Zurückdrängung des absolutistischen Anspruches der SED besonders auf dem Gebiet der Wirtschaft und Kultur, Streikrecht und freie Gewerkschaften, Freilassung politischer Gefangener, Auflösung des SSD, Einführung rechtsstaatlicher Prinzipien, Unabhängigkeit von Moskau und Hebung des Lebensstandards. Die Opposition von 1953 ging hauptsächlich von der Arbeiterschaft aus. Nur wenige Intellektuelle wagten kurze Zeit, eine Kritik am System zu üben. Auch die technische Intelligenz in den Betrieben, zumeist bürgerlicher Herkunft, beteiligte sich kaum an den Aktionen des 17. Juni.

Die Opposition der Gegenwart hat ihre Zentren in der Intelligenz, besonders unter den Professoren und Studenten. Deshalb sind die Ziele der Opposition heute grundsätzlich und umfassend, ihre Aktionen aber begrenzt und isoliert. Die SED-Führung läßt nichts unversucht, die Kluft zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft zu vertiefen und beide gegeneinander auszuspielen.

Die Opposition der Arbeiterschaft 1953 war zwar mächtig, aber international isoliert. Heute wissen sich die oppositionellen Kräfte verbunden mit der Mehrheit des ungarischen und polnischen Volkes, seiner Arbeiterschaft und seiner Intelligenz. Die Opposition kann heute offen die Erfahrungen des jugoslawischen Systems diskutieren. Sie ist in ihren Zielen nicht mehr isoliert.

Die oppositionellen Kräfte 195 3 umfaßten im wesentlichen die parteipolitisch nicht organisierten Kräfte der Arbeiterschaft, einen Teil der Mitglieder der SED und der unteren Funktionäre dieser Partei, die Gefahr liefen, zwischen den Forderungen ihrer Führung und dem Druck der Massen zerrieben zu werden. Der eigentliche Apparat der SED aber war damals starr und von den oppositionellen Gedanken kaum berührt. Die Auseinandersetzung in der Führungsspitze war letztlich ein Machtkampf zwischen zwei stalinistischen Gruppen, er resultierte nicht aus einer prinzipiellen Opposition.

Die heutige Opposition ist tief in die ideologischen Parteikader eingedrungen und trägt damit wesentlich zur Verbreiterung der antistalinistischen Plattform bei. Führende Wirtschaftstheoretiker wie Benary von der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Professor Behrens, Mitglied der staatlichen Plankommission und Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, der inzwischen geflohene Landwirtschaftsexperte der SED, Professor Kurt Vieweg, der inzwischen zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilte Professor Wolfgang Harich sind nur einige von vielen.

1953 war es den Stalinisten noch möglich, durch Massenterror jede oppositionelle Regung zu unterdrücken. Durch die Entmachtung der Geheimpolizei haben sich die Stalinisten selbst dieser Mittel bis zu einem gewissen Grade beraubt. Sie können nicht zu ihnen zurückkehren.

Die Parallelen zwischen der Oppisition im Jahre 195 3 und heute beweisen die Permanenz der Krise im Stalinismus, die aus den Widersprüchen des Systems resultiert.

Die Fraktionskämpfe in der Führungsspitze der SED

Der Aufstand des 17. Juni führte zu einem offenen Bruch zwischen den beiden feindlichen Fraktionen im Politbüro des ZK der SED. Die eine Gruppe bestand aus Ulbricht mit seinen Anhängern Matern und Honecker. Die gegnerische Gruppe wurde von dem SSD-Chef Zaisser und dem Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ Herrnstadt, repräsentiert. Zwischen diesen beiden Gruppen schwankten die übrigen Mitglieder des Politbüros (Jendretzki, Ackermann, Elli Schmidt, Warnke, Grotewohl, Rau, Mückenberger usw.)

Je unhaltbarer die Lage'vor dem 17. Juni wurde, desto größer wurden die Spannungen zwischen den beiden Fraktionen, wobei die Mehrheit des Politbüros zu den Gegnern Ulbrichts tendierte. Ulbricht war Repräsentant des klassischen Stalinismus, bedingungsloser Anhänger Moskaus, Typ eines Machtmenschen, der das Politbüro nicht als Kollektiv, sondern als Gruppe von Befehlsempfängern betrachtet. Solange Stalin lebte, gehorchte das Politbüro bedingungslos. Die Opposition schwelte nur unter der Oberfläche. Nach dem Tode Stalins war am Vorabend des 17. Juni der Kampf um die Macht im Kreml noch nicht entschieden. Dies gab der Opposition Auftrieb. Aber erst die Zuspitzung der Ereignisse in der Zone löste den eigentlichen Mechanismus der Fraktionskämpfe in der SED-Führung aus.

Die Hauptgegner Ulbrichts waren Stalinisten wie dieser selbst. Sie hatten alle Schwenkungen der stalinistischen Politik bedingungslos mitgemacht. Ihre oppositionelle Haltung entsprang anderen Motiven als die der Arbeiterschaft. Zaisser und Herrnstadt verkörperten den gleichen Machttypus wie Ulbricht. Beide waren enge Vertraute des sowjetischen MWD-Chefs Berija. Wie immer seit der Gründung der Komintern bestand eine echte Beziehung zwischen den Fraktionskämpfen des sowjetischen und des deutschen Kommunismus. Jede sowjetische Fraktion hatte ihre Verbindungen in Deutschland und induzierte eine parallele Gruppierung in der KPD. Als Zaisser und Herrnstadt versuchten, die Macht in der Zone an sich zu reißen, handelten sie im Einverständnis, wenn nicht im Auftrage Berijas. Sie mußten zwangsläufig zu den Hauptfeinden Ulbrichts werden.

Aber es gab noch psychologische Gründe. Der erfahrene, kluge und selbstbewußte, in militärischen Kategorien denkende Zaisser mußte ständig mit dem laut kommandierenden Ulbricht in Konflikt kommen, der keinen Widerspruch duldete und jeden selbstbewußten Menschen durch seine Arroganz demütigte. Ulbricht versuchte, die Kompetenzen Zaissers zu beschneiden, dieser war bestrebt, durch den SSD die Kontrolle über die SED zu gewinnen und sich Ulbricht zu unterwerfen.

Hermstadt dagegen, ein kalt berechnender Intellektueller von bedeutendem Format und scharfem Verstand, zynisch, ohne Gefühle, mit rücksichtslosem Ehrgeiz, verachtete Ulbricht. Er hielt ihn für geistlos, primitiv und roh. Er haßte Ulbricht, weil er sich ihm unterordnen mußte, obwohl er seine eigenen Qualitäten höher einschätzte. Der Vorschlag Zaissers, Herrnstadt nach dem Sturze Ulbrichts die Leitung der SED zu übergeben, war von Herrnstadt ausgegangen.

Die Anhänger Ulbrichts waren keineswegs auch seine Freunde, vielmehr echte Opportunisten, die sich von ihrem Chef zu distanzieren begannen, als der Erfolg seine Feinde zu begünstigen schien. Die schwankende Mehrheit des Politbüros bestand bis auf Ackermann — der zu klug war, seine tatsächliche oppositionelle Plattform zu verraten — aus stalinistischen Bürokraten. Da sie mit Ulbrichts Niederlage rechneten, gingen sie mit fliegenden Fahnen zur anderen Fraktion über. Sie haßten Ulbricht nicht aus prinzipiellen, sondern persönlichen Gründen. Zu viele Demütigungen hatten sie zähneknirschend ertragen, um ihre Posten und Privilegien zu erhalten.

Die Gruppe Herrnstadt-Zaisser hatte außer machtpolitischen und psychologischen Gründen kein echtes politisches Anliegen für ihre oppositionelle Haltung. Beide hatten zu gute Informationen (der eine durch den SSD, der andere über sein Korrespondentennetz), um nicht die Krise der SED und die Stimmung der Bevölkerung genau zu kennen.

Im Politbüro machten sie von ihren Kenntnissen lange Zeit keinen Gebrauch. Sie warteten den geeigneten Zeitpunkt ab, um die Situation für ihre machtpolitischen Interessen zu nützen. Der 17. Juni bot ihnen eine Gelegenheit, die sie wohl selbst nicht erwartet haben mochten.

Ihre politische Plattform sollte, ähnlich den Zielen Berijas in der UdSSR, eine Modernisierung der Diktatur erreichen, ein Versuch, das System wieder lebensfähig zu machen.

Die Analyse von Zaisser und Herrnstadt war hart und realistisch.

Sie erklärten die SED als bürokratisiert, aktionsunfähig, von den Massen isoliert und forderten einen völligen Neuaufbau der Partei. Die Maßnahmen, die sie vorschlugen, reichten jedoch, so weitgehend sie auch konzipiert waren, nicht entfernt an eine echte antistalinistische Konzeption heran. Trotzdem hätten diese Vorschläge — wären sie in Verbindung mit dem Juniaufstand verwirklicht worden — einen Sieg der Aufständischen bedeutet mit der Chance, den ganzen Ostblock in Bewegung zu bringen. Obwohl Zaisser und Herrnstadt Stalinisten waren, bedeuteten ihre Vorschläge damals einen Fortschritt. Lind es wäre von der Kraft der Massenbewegung abhängig gewesen, zu versuchen, diesen ersten Erfolg auszubauen und weitere Zugeständnisse zu erkämpfen. Ähnlich wie der Stalinist Ochab in Polen, von der Oktoberrevolution mitgerissen, gegenüber den Sowjets eine unabhängige Rolle spielte, so hätten die antistalinistischen Kräfte in der Zone Zaisser und Herrn-stadt zwingen können, weitere Konzessionen zu gewähren und einen Strukturwandel in der Zone einzuleiten. Die Sowjets erkannten diese Gefahr für den Bestand des Systems. Sie entschieden sich für Ulbricht. Ulbricht hat die Rolle von Zaisser und Herrnstadt auf dem 15. Plenum des ZK der SED in seinem Schlußwort am 26. 7. 1953 deutlich umrissen, eine Rede, die durch ihren Jargon ebenso interessant ist wie durch die Hintergründe, die sie über den 17. Juni aufzeigt.

Das Schlußwort von Walter Ulbricht auf dem 15. Plenum des ZK der SED (24-26. Juli 1953)

Genossinnen und Genossen!

Die zweitägige Aussprache im Zentralkomitee wird unsere Partei befähigen, den neuen Kurs mit aller Entschiedenheit durchzuführen, und zwar deshalb, weil diese Aussprache zweifellos zur inneren Festigung nicht nur des Zentralkomitees, sondern auch der Partei wesentlich beigetragen hat. Wir hatten ursprünglich geglaubt, daß die Fragen der Durchführung des neuen Kurses und eine Reihe Einzelfragen eine größere Rolle spielen würden. Da jedoch die Genossen Herrnstadt und Zaisser betonten, über die reine Wahrheit zu sprechen, aber im Verlauf der zwei Tage sich die reine Wahrheit verwandelt hat, kam es, daß diese Fragen mehr in den Mittelpunkt der Zentralkomitee-Tagung gestellt wurden, als wir das ursprünglich glaubten, daß das der Fall sein würde.

Ich möchte deshalb auch nicht mit den allgemeinen politischen Fragen, die den Teil meines Referates betreffen, beginnen, sondern mit einigen Fragen, die hier der Gegenstand der Diskussion waren: erstens, die Frage der Arbeit der Organe für Staatssicherheit. Ich habe bewußt formuliert, daß die Leitung des Ministeriums versagt hat. Ich habe nicht von den Funktionären des Apparates für Staatssicherheit gesprochen. Warum nicht? Wir wissen, daß die Mitarbeiter dieses Apparates gute, erprobte Genossen sind, die treu zur Partei stehen. Die Arbeit der Führung des Ministeriums ist jedoch eine solche, daß auch die guten Funktionäre nicht in den Stand gesetzt wurden, die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen gestellt werden. Der Apparat für Staatssicherheit ist ein Apparat, der aus guten Genossen besteht. Es sind nur einige wenige, die am 17. 6. versagt haben. Aber die Führung hat versagt.

Genosse Zaisser hat gesagt, es habe die Absicht bestanden, im gegebenen Moment die feindlichen Gruppen zu liquidieren. Es war eine solche Orientierung bei der Staatssicherheit, diejenigen Feinde, die sie ausfindig gemacht haben, sozusagen zu studieren, um sie dann später zum gegebenen Moment, wie Genosse Zaisser sagt, zu verhaften. Zum gegebenen Moment waren eben die Feinde schneller und sie haben dann die Provokationen organisiert.

Wir haben den Genossen öfter gesagt, daß die Staatssicherheit keine Studiengesellschaft ist und daß man nicht Studien machen kann, wenn Beweise einer feindlichen Tätigkeit bestehen. Anläßlich der letzten Konferenz der Funktionäre der Staatssicherheit habe ich den Genossen gesagt, daß die Staatsicherheit ohne Kontrolle arbeitet, daß die Partei keine wirkliche ernsthafte Kontrolle hat. Ich sehe ab von den formalen Geschichten. Und wenn hier Genosse Zaisser sagte, was er mit Ulbricht besprochen hat, so ist das noch nicht entscheidend. Entscheidend ist doch, was durchgeführt wurde.

Ist es wahr, daß ich Euch im Januar 52 gesagt habe, daß Eure Staatssicherheitsleute in den Kreisen wenig Kenntnis von der feindlichen Tätigkeit haben, daß sie irgendwelche Sonderausgaben haben, die niemand kennt? Es wurde festgestellt, daß die Arbeit in den Kreisen nicht funktioniert. Es fanden zum Beispiel im Jahre 1952 Besprechungen über Buna statt. Daraufhin haben wir der Staatssicherheit gesagt:

„Man muß das Zentrum, daß bei Buna existiert, herausbekommen“. Das war vor 1 1/2 Jahren. Vor 2 Monaten ist ein allgemeiner Bericht, mit dem wir nichts anfangen konnten, gekommen. Man kann also nicht sagen, daß wir nicht auf die Dinge hingewiesen haben. Wir haben das ziemlich genau getan.

Bei Bitterfeld dieselben Geschichten. Dann kam Zeiß; bei Zeiß war eine offene Tätigkeit eines Zentrums. Es ist doch ein unmöglicher Zustand, wenn sich heraussetllt, daß die neuen Konstruktionszeichnungen im Zeißwerk regelmäßig aus dem Werk verschwinden, kopiert wuiden und zurückkamen. Niemand hat etwas davon gemerkt.

Ich weiß, welche Arbeit die Staatssicherheit gemacht hat, und wir anerkennen, daß die Genossen im Kampf gegen die KgU, gegen die BDJ in Berlin eine große Arbeit geleistet haben. Das anerkennen wir, aber, liebe Genossen, wenn der Feind eine illegale Organisation hat, muß man den Kampf systematisch führen. Die Fehler resultieren daraus, daß in der Staatssicherheit die Unterschätzung der Parteiarbeit vorhanden war. Es gibt kein Ministerium, wo man mehr administriert hat als beim Minister Zaisser.

Genosse Zaisser hat wochenlang über die Arbeitsmethoden von Ulbricht gesprochen. Er hat recht, meine Arbeitsmethoden unterscheiden sich prinzipiell von denen des Genossen Zaisser. Genosse Zaisser ist ein ausgezeichneter Fachmann für bestimmte Verwaltungsarbeiten. Aber mich interessieren die Probleme der Arbeit von der Staats-sicherheit und nicht seine Verwaltung. Genosse Zaisser war so beschäftigt mit dem Kampf gegen Ulbricht, daß er ganz vergessen hat, daß er Minister für Staatssicherheit ist. Ich will dem Genossen Zaisser nicht unrecht tun. Er konnte gar nichts tun.

Er ist ein Administrator, und unser Fehler war der, daß man ihn hat. eingesetzt Jetzt komme ich zu den innerparteilichen Fragen. Es wurde hier von den Genossen Herrnstadt und Zaisser gesagt, daß sie dem Zentralkomitee die volle Wahrheit sagen. Aber im Verlauf der 2 Tage hat sich die Wahrheit sehr gewandelt. Ich möchte zuerst das wiederholen, was ich in meinem Referat zur Charakteristik der Position von Herrnstadt und Zaisser gesagt habe. Ich habe gesagt, die Genossen Herrnstadt und Zaisser beschränken sich nicht auf die Aufstellung kapitulantenhafter Forderungen, die, wie sie sagten, als Grundlage zu einer „Erneuerung der Partei" dienen sollten.

Sie wußten, daß die gegenwärtige Parteiführung auf einer marxistischen Position steht und nicht auf ein solches Liquidatorentum eingehen wird. Weil sie wußten, daß die Parteiführung nicht auf ein solches Liquidatorentum eingehen wird, betrieben sie die Neubesetzung der Parteiführung. Herrnstadt und Zaisser haben sich nicht nur auf diese Plattform und auf die Forderung nach der Neubesetzung der Führung beschränkt, sondern sie führten eine aktive, fraktionelle, parteifeindliche Arbeit durch, die gegen die Einheit der Partei gerichtet war.

Ich bitte die Genossen Mitglieder des Zentralkomitees, sich selber die Frage zu beantworten, ob im Laufe der Tagung das völlig bewiesen wurde, was ich im Referat gesagt habe.

Die Genossen haben ihren Fraktionskampf begonnen mit der Propaganda, daß an allem die „Arbeitsweise“ schuld sei. Genosse Zaisser sagt, er habe seine Fehler erst erkannt, als er die Größe der Kriegsgefahr sah. Das ist eine LInwahrheit. Die Sache war anders. In der Sitzung des Politbüros, wo die Plattform von Herrnstadt und Zaisser abgelehnt wurde, begann ihr Rückzugsmannöver. In dieser Sitzung des Politbüros wurde von uns dargelegt, daß Herrnstadt und Zaisser eine organisierte Gruppenarbeit in der Parteiführung durchgeführt haben, daß sie den Kampf um ihre Plattform geführt haben, und daß Herrnstadt — so habe ich wörtlich gesagt — mit den Methoden des Nachrichtendienstes, der sogenannten aktiven Aufklärung, innerhalb der Parteiführung gearbeitet hat und versuchte, einen Genossen gegen den anderen auszuspielen.

Als Ihr keine Mehrheit hattet, habt Ihr mit dem Rückzug begonnen, nicht erst dann, als Ihr erkanntet, daß angesichts der Kriegsgefahr die Feinde das ausnützen könnten. Als man Euch schon teilweise geschlagen hatte, begannt Ihr mit dem ungeordneten Rückzug! Das ist die Wahrheit!

Hier haben sich Herrnstadt und Zaisser bemüht, harmlos zu erscheinen. Aber sie waren doch gar nicht so harmlos. Herrnstadt und Zaisser haben doch aggressiv, verbissen, gehässig den Kampf geführt. Sie wollten die Mitglieder der Kommission des Politbüros unter Druck setzen. Sie haben doch nicht etwa nur den Kampf gegen Ulbricht geführt. Sie haben den Kampf unter der Losung der „Erneuerung der Partei“

geführt. Jede feindliche Gruppierung in der KPD hat damit begonnen. Das hat bei Levi angefangen und bei Neumann aufgehört. Diese „Erneuerung" war absolut nicht originell. Sie haben nicht nur ihre Plattform entwickelt, sondern den Kampf gegen alle Genossen geführt, die auf einer marxistischen Linie standen und nicht bereit waren, dieses parteifeindliche Verhalten mitzumachen. Das ist die Wahrheit!

Stimmt es, daß der Kampf gegen den Genossen Matern geführt wurde, der als Vorsitzender der Kontrollkommission abgesetzt und aus dem Politbüro entfernt werden sollte? Und dann kam diese Plattform, in der es heißt: „Millionen parteiloser Werktätiger schreien nach Abstellung dieser Schwächen der Partei usw., sie bringen damit gleichzeitig zum Ausdrude, daß sie entschlossen sind, gegen die Partei aufzutreten". — Was ist denn das? Ist das der Kampf nur gegen die Einheit der Parteiführung, Genosse Herrnstadt? Das ist der Kampf gegen die Partei!

Aus dieser Formulierung, die ich jetzt zitiert habe, ergeben sich doch die Artikel in der Presse, die gegen die Partei gerichtet waren, wo man die Streikenden sozusagen poussiert hat. Warum hielt das Genosse Herrnstadt für notwendig? Weil er beweisen wollte, daß alles in der Partei schlecht war. Das wollte man um jeden Preis beweisen, um die Änderung in der Parteiführung zu begründen.

Das war also nicht so harmlos, wie das alles hier dargelegt worden ist. Es wurde doch ein direkter Haß gegen den Parteiapparat geschürt.

Genosse Matern hat hier die konkrete Frage gestellt, ob Genosse Zaisser die Rolle einer „grauen Eminenz" spielen wollte. Genosse Zaisser ist der Frage ausgewichen. Es gibt jedoch Fälle, wo Genosse Zaisser genaue Kenntnis über Parteifragen besaß, die er dem Politbüro nicht mitgeteilt hat. So hat sich z. B. Dahlem persönlich an Zaisser gewandt. Wir fragten ihn, was denn da war? Er sagte: „Wir haben uns so zusammen unterhalten. So wie man ein Gespräch von Mensch zu Mensch führt.“ Ich habe mir gedacht, das muß aber ein merkwürdiges Gespräch von Mensch zu Mensch gewesen sein, bei dem ein Dokument von 15 Seiten übergeben wurde. Dieses Dokument diente dem Zweck, Zersetzung in die Parteiführung hineinzutragen. Genosse Zaisser wurde aufgefordert, er möchte doch dem Politbüro sagen, was da gewesen ist. Aber Zaisser hat das Dokument nicht übergeben. Erst durch eine Dummheit, die Dahlem hatte, Matern, Dokument gemacht der Genosse daß es ein solches gibt. Genosse Matern hat gefordert, daß Zaisser dieses Dokument dem Politbüro zur Kenntnis gibt.

Im Politbüro gab es also einen Minister für Staatssicherheit, der geglaubt hat, er könne die Mitglieder des Politbüros unter Drude setzen. Idi frage: Ist das die Methode, wie sich ein Politbüromitglied verhält? Es wurde gesagt daß einige Politbüromitglieder hier im ZK nicht die ganze Wahrheit gesagt haben. Das stimmt.

Genossin Elli Schmidt hat hier über Handel usw. gesprochen. Ich habe eine hohe Achtung vor dem Handel. Das weiß sie. Aber es geht doch um einiges andere hier. Genossin Elli Schmidt kann sich nicht darüber beschweren, daß sie von uns nicht besonders unterstützt wurde. Sie wurde gerade von den so beschuldigten Mitgliedern des Parteiapparates in ihrer Tätigkeit auf allen Gebieten unterstützt.

Aber Tatsache ist, daß sie im Politbüro eine der gröbsten Formulierungen gegen mich prägte. Ich weiß, daß bei einigen Genossen für eine bestimmte Zeit das Gedächtnis ausgesetzt hat, aber soweit kann das nicht gehen, daß man das alles einfach vergißt und so tut, als ob gar nichts gewesen wäre. Aber in bestimmten Situationen, wo der Gegner die Parteiführung angegriffen hat, ist es notwendig, daß das ZK weiß, wie jeder gestanden hat. Deshalb müssen die Genossen, die das betrifft, endlich darüber sprechen. Deshalb helfe ich jetzt ein bischen nach, damit einige Fragen, die noch nicht ganz klar sind, noch geklärt werden. (Tu das mal!)

Sehr gut! Ich bin auch nicht mit der Rede des Genossen Rau einverstanden. Genosse Rau hätte etwas deutlicher sein müssen. So diplomatische Reden gehen hier nicht. Es geht darum, daß das ZK wissen will, ob die Parteiführung fest steht oder nicht. Und Genosse Rau hat geschwankt.

Ein Genosse hat hier die sehr ernste Frage gestellt, ob es einen Zusammenhang der Fraktionsarbeit Herrnstadt-Zaisser mit dem Fall Berija gibt? Ein Genosse Minister hat hier erklärt, daß Zaisser ihm gesagt habe, die neue Linie bestehe in der Nachgiebigkeit gegenüber dem Westen und könne zur Wiedererlangung der Herrschaft der Bourgeouisie führen. Dieser Standpunkt entspricht der politischen Position Berijas, die wiederum mit der Konzeption Churchills im Zusammenhang steht. Zaisser bestreitet diese Äußerung. Ich bin dafür, daß die Parteikontrollkommission sich damit beschäftigt. -

In der Kommission hat Zaisser vorgeschlagen, daß der Genosse Herrnstadt der 1. Sekretär des ZK wird, der nicht nur sozusagen die parteiorganisatorischen Arbeiten erledigt, sondern auch die politische Führung . in die Hand nimmt. Aber nicht nur das! Zur gleichen Zeit stand auch die Frage der Rolle des Genossen Zaisser. Hier wurde richtig gesagt, daß Genosse Zaisser der Meinung war, er müsse sich von der Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit etwas zurückziehen, weil er wichtige Funktionen in der Parteiführung übernehmen müsse.

Was ist das gewesen? Man sprach über die Frage, daß man im Innenministerium einheitlich die Kräfte zusammen fassen will. Das wäre an sich ganz gut gewesen. Genosse Zaisser hat die Besprechung über diese Frage mit zwei Offizieren geführt. Genosse Grotewohl und ich haben von diesen Besprechungen nichts gewußt. Wir waren nicht etwa prinzipiell gegen dieses Innenministerium,'sondern uns hat nur eines interessiert: Wie kommt es, daß diese Besprechungen geführt werden, ohne daß man vorher mit uns spricht? Lind Genosse Zaisser hat geantwortet: „Zuerst mußte ich mit den anderen Stellen alles vereinbaren, und dann wäre ich ins Politbüro gekommen". Ja, Genosse Zaisser, das hängt mit der „grauen Eminenz“ zusammen. Das heißt: Du sicherst zuerst alles, auch noch die Funktion des Innenministers, und dann kommst Du ins Politbüro mit fertigen Tatsachen. Ich habe von der Geschichte nichts weiter gewußt. Aber in der Kommissionssitzung hat sich folgendes Gespräch abgespielt. Ich fragte: „Was ist dann mit dieser Besprechung über das Innenministeriums?“ Das sagte Zaisser: „Ja, ich habe mit einer anderen Stelle darüber gesprochen“. Und darauf antwortete ich: „Mich interessiert nicht, mit welchen Offizieren Du gesprochen hast, mich interessiert, warum das Politbüro davon nichts weiß.“ Daraufhin sagt er: „Ich wollte zuerst mit ihnen eine Verständigung herbeiführen“. Ich sagte: „Ich wiederhole, daß mich das nicht interessiert. Mich interessiert, warum zumindestens Grotewohl und Ulbricht keine Kenntnis davon hatten". Daraufhin sagte Genosse Herrnstadt: „Warum stellst Du denn diese Frage so aggressiv?“

Genau so war das Gespräch. Hatte ich ein Recht dazu, diese Frage zu stellen? Wenn ich den Fall Berija gekannt hätte, hätte ich ja etwas ganz anderes getan. Die beiden Leute, mit denen Zaisser die Besprechungen geführt hatte, waren nämlich Sonderbeauftragte von Berija. Das sind die „Musterbeispiele" der Kollektivität, die ich hier aufzählte. Und weil Ulbricht mit diesen „Musterbeispielen“ der Kollektivität der Arbeit der Führung, wie sie Zaisser sich vorstellt, nicht einverstanden ist, weil Ulbricht derjenige ist, der keine Angst vor dem Minister für Staatssicherheit hat, deswegen führen sie den Kampf gegen ihn. Als ich die Geschichte mit dem Innenministerium erfuhr — die habe ich ja nicht in dem Politbüro erfahren —, da habe ich mir gesagt: Beide kämpfen um die Führung; Herrnstadt will die ideologische Führung haben und Zaisser will als Innenminister den Staatsapparat in die Hände bekommen.

Was in drei Monaten gewesen wäre, hätte sich jedes ZK-Mitglied selber ausrechnen können. Das war meine Einschätzung.

Ich habe nur noch eine Bemerkung. Einige Mitglieder des ZK haben gesagt: „Warum hat uns Ulbricht nicht informiert?“ Es nicht leicht, in dieser Lage zu war schweigen. Auch für die Mitglieder des ZK, die hier im Hause waren, war es nicht leicht, da sie nicht wußten, was vor sich ging. Aber wenn ich nach der ersten Kommissionssitzung informiert hätte, dann hätte man gesagt: „Ulbricht organisiert auf der anderen Seite den Gegenkampf“. Es war deshalb richtiger, daß man geduldig und ruhig anhörte, wie die Genossen Herrnstadt und Zaisser ihre Plattform bis zu Ende entwickelten, ihre Plattform aufschrieben, ihre Personalvorschläge vorbrachten usw. Denn das war die einzige Möglichkeit, den ZK-Mitgliedern fertige Tatsachen vorzulegen.

Idi habe also etwa nicht wütend auf Zaisser geantwortet, sondern ganz sachlich gesagt: Aus Eurer Plattform und Eurer ganzen Konzeption ergibt sich die Konsequenz des persönlichen Kampfes. Mit Ulbricht fängt es an. Dann folgen Matern, dann Grotewohl, Honecker und dann die anderen. Genosse Herrnstadt geht dann los, gegen diesen Parteiapparat, den er so haßt. Warum haßt Du denn den Parteiapparat? Du sagtest, weil er bürokratisch sei. Ich werde Dir sagen, warum Du den Parteiapparat haßt — das steht auch hier sogar im Dokument —: nicht, weil er bürokratisch ist, sondern weil keine Aussicht bestand, daß er Dir gehorchen würde. Du hast ganz richtig erkannt: Es besteht ein Unterschied zwischen der Redaktion des „Neuen Deutschland“ und dem Parteiapparat der SED So, wie Du in der Redaktion des „Neuen Deutschland" kommandiert hast, so kannst Du es im Parteiapparat der SED nicht machen, weil dort das Parteibewußtsein offenkundig höher ist. (Edith Baumann: Versucht hat er das bei der Abteilung Parteibetriebe!) Es sind solche Versuche gemacht worden. Er hat dann mit dem Frontalangriff begonnen. Ich weiß, daß der Parteiapparat gelähmt war, daß die Genossen recht haben, wenn sie kritisieren. Mir ist einmal folgendes passiert, wenn ich hier etwas aus der Parteigeschichte erzählen darf: Es gab einmal eine Fraktion in Berlin und wir, Thälmann und einige andere Genossen, hatten im Politbüro keine Mehrheit. Das ist keine sehr angenehme Lage. Die Plattform für die Fraktionstätigkeit war an sich für midi klar. Ich fuhr darauf wutentbrannt nach Hamburg und sagte: „Der Teufel soll sie holen! Das hält die Partei nicht mehr aus". Er sagte zu mir: „Ja, Deine Analyse und all das was Du sagst, ist richtig. Aber beweise doch einmal vor der Öffentlichkeit, daß Du vollständig recht hast. Hast Du denn schon alle Dokumente?" Ich sagte: „Alles habe ich noch nicht, doch das, was ich habe, reicht für mich aus". Er sagte: „Für Dich wohl, aber nicht für die anderen, die Du überzeugen mußt. Du sollst mal sehen, in 3 oder 4 Wochen werden sie sich entlarven, wenn wir richtig arbeiten". Das haben wir dann auch so gemacht. Und jetzt habe ich mich an Teddy erinnert und mir gesagt: Diesmal bist du etwas vorsichtiger und läßt die anderen nicht aus der Zange, denn sie werden versuchen, alles abzustreiten! Deshalb ist es Herrnstadt und Zaisser heute trotz Lügen nach zwei Diskussionstagen nicht gelungen, die Dinge zu verschleiern.

In dem Resolutionsentwurf, den die Kommission vorschlägt, wird gesagt, daß Herrnstadt und Zaisser aus dem ZK der Partei ausgeschlossen werden. Ich weiß, daß es im ZK Vorschläge auf Ausschluß aus der Partei gibt. Idi sage ganz offen, daß die Begründung für den Ausschluß aus der Partei vollständig ausreicht. Trotzdem bin ich der Meinung, daß es nicht zweckmäßig ist, einen solchen Beschluß zu fassen. Man sollte sich zunächst auf den Ausschluß aus dem ZK beschränken, damit Zaisser und Herrnstadt die Möglichkeit gegeben wird, als einfache Mitglieder zu beweisen, daß sie treu zur Partei stehen. Soviel zu dieser Frage.

Was ist das wichtigste, worauf es jetzt ankommt? Das wichtigste ist, daß wir in der Partei und bei den Massen um die Erklärung und um die Durchführung des Neuen Kurses kämpfen, d. h. daß wir in den Mittelpunkt unserer Partei die politische Massenarbeit stellen, daß wir die Massen überzeugen, daß dieser Neue Kurs nicht nur im Interesse der Arbeiterklasse, im Interesse der Erringung großer Erfolge in der DDR liegt, sondern daß er zugleich dem Kampf um ein einiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland dient.

In der vorliegenden Resolution wird gesagt: „Das Wesen des Neuen Kurses ist folgendes: Der Hauptinhalt des Neuen Kurses besteht darin, in der nächsten Zeit eine ernsthafte Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Lage in der DDR zu erreichen und auf dieser Grundlage die Lebenslage der Arbeiterklasse und aller Werktätigen der Republik bedeutend zu heben“.

Eine ernste Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Lage, das ist der Ausgangspunkt, um die Lebenslage der Arbeiterklasse und der Bevölkerung zu verbessern. Eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Lage ist also nicht nur Verbesserung der Lebenshaltung, sondern ist der Kampf um die Gewinnung der ganzen Arbeiterklasse, um die Stärkung ihres Staatsbewußtseins, ihrer Treue zur Republik und zur Regierung der DDR. Man muß den Kampf prinzipiell führen und den Massen klarmachen, daß es keine andere Regierung geben kann, als eine Regierung der Arbeiter und Bauern oder eine Regierung des Monopolkapitals. Es gibt keinen dritten Weg. Auch eine sogenannte sozialdemokratische Regierung, von der sie sprechen, wird eine ebensolche Regierung des Monopolkapitals sein, wie es sie jetzt in Westdeutschland gibt.

Liebe Genossen! Das Schlimmste ist das politische Zurückweichen, der Versuch, sich nur mit ökonomischen Fragen zu beschäftigen, der Glaube, man brauche nur über die Lohnstufen 1 -4 sprechen. Aber Werktätige in Zittau und Görlitz sprachen von Revanchepolitik, von der Beseitigung der Oder-Neiße-Grenze, d. h. von Krieg. Warum sagen wir nicht offen: Die Beseitigung der Oder-Neiße-Grenze, das ist Krieg! Manche Genossen weichen den Grundfragen aus. Kann das die Partei länger zulassen? Nein! Weder in Berlin, noch in Zittau, noch in Südthüringen!

Deshalb muß man jetzt, entsprechend der Resolution des ZK und dem Referat des Genossen Grotewohl, die Argumentation entwickeln und den Inhalt unserer Presse darauf einstellen. Es muß offen darüber gesprochen werden, welche Erfolge die Partei der Arbeiterklasse seit 1945 errungen hat. Wir müssen sehen, daß die Stützpunkte des Feindes die faschistischen Konzentrationen sind. Aber auch gewisse sozialdemokratische Gruppierungen sind die Basis für die Tätigkeit des Ostbüros. Deshalb muß man in der DDR die Aufklärungsarbeit über die sozialdemokratische Politik von 1945 bis jetzt führen. Man muß den Kampf gegen die Sozialdemokratie konkret führen. Wir müssen sagen: Was haben Schumacher und andere Führer getan? Warum sitzen sozialdemokratische Führer in der Montan-Union? Warum sitzen sie in dem sogenannten Forschungsbeirat, dessen Aufgabe es ist, den Kampf für die Eroberung der Ostzone und fürdie Verbreiterung der militärischen Basis der Amerikaner zu führen.

Die Kunst der Politik besteht darin, diese politischen Fragen mit den wirtschaftlichen Tagesfragen zu verbinden und sich der kleinsten Nöte der Werktätigen anzu-nehmen. Das erfordert aber zugleich, daß wir in diesem Kampf die Rädelsführer und die Organisatoren der feindlichen Tätigkeit entlarven. Die Parteileitungen sind dafür verantwortlich, daß in ihrem Gebiet die faschistischen Untergrundorganisationen liquidiert werden. Die Staatssicherheit hat dabei auch Aufgaben. Aber verantwortlich sind die Parteileitungen. Das heißt, unsere Parteileitungen in den Bezirken und Kreisen haben eine sehr hohe Verantwortung bei dieser Aufgabe, die sie gemeinsam mit den leitenden Genossen im Staatsapparat durchführen müssen.

Aber es kann nicht so weiter gehen, daß Arbeiter dagegen protestieren, daß Rädelsführer wieder in die Betriebe zurückgeschickt werden, weil Genossen im Staatsapparat sagen-„Ja, sie sind doch freigelassen worden, also muß man sie doch wieder in den Betrieb zurücklassen!" Wer bestimmt denn, wer in den Betrieb kommt? Das bestimmt der Werkleiter und nicht die Justiz.

Die Sache kommt jetzt so heraus wie im Leuna-Werk. Leute, die in Polizeireviere eingedrungen sind, werden freigelassen und müssen in den Betrieb wieder eingestellt werden. Im Betrieb werden gemeinsam mit der illegalen Untergrundorganisation Vorschüsse für die freigelassenen Rädelsführer gefordert. Ich frage Euch: „Was ist denn eigentlich los?" Hat denn die Arbeiterklasse gar nichts mehr in der DDR zu sagen, so daß jeder Dummkopf kommen und verlangen kann, daß Rädelsführer auch noch entschädigt werden?

Genossen! So geht das nicht! Durch den Fall Fechner und durch Fehler von Genossen sind eine ganze Menge Rädelsführer herausgekommen und nach Westberlin gegangen. Von dort aus organisieren sie die neuen Verbindungen zum Betrieb. Das kann man nicht zulassen, Deshalb muß man jetzt die Wachsamkeit erhöhen. Man soll keine öffentliche Kampagne etwa für Verhaftungen durchführen, sondern diese Bande im Betrieb bis zu Ende entlarven, und wenn sie entlarvt worden ist, dann machen wir das, was wir im Steinkohlenbergbau und woanders gemacht haben, dann werden sie festgesetzt.

Die Staatssicherheit muß sich daran gewöhnen, daß man Banditen die man sieht und kennt, nicht weglaufen läßt, wie das in Lauchhammer, in Leuna, in Buna war.

Alle hauptsächlichen Rädelsführer in den großen Werken, die offen aufgetreten sind, die auf der Tribüne standen, hat man weglaufen lassen, und sie sprechen jetzt über den Rundfunk zu der DDR. Diese Rädelsführer haben sich voll gezeigt. Die Menschen haben sie gekannt. Man kann doch diese Elemente nicht weglaufen lassen!

Doch wenn ihr sie habt weglaufen lassen, dann sorgt dafür, daß ihr sie wieder findet! (Zuruf: Das ist nicht so einfach!)

Wenn man richtig aufpaßt, dann werden wir die Rädelsführer erwischen. Man darf nur nicht so ein Klub der Harmlosen sein, wie das teilweise bei uns der Fall ist.

Weiter! Hier sind eine Menge Vorschläge für die Verbesserung der Parteiarbeit gemacht worden, so von der Genossin Feist und von anderen Genossen. Das Politbüro wird sich mit jedem dieser Vorschläge beschäftigen und festlegen, was im einzelnen zu tun ist. Das betrifft auch die Vorschläge für die Gewerkschaftsarbeit, für die Arbeit unter den Bauarbeitern, für die Arbeit in bestimmten Großbetrieben und viele andere mehr. Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung machen. Der Angriff der Fraktion von Herrnstadt und Zaisser gegen die Parteiführung hat dazu geführt, daß der Feind die größten Anstrengungen macht, um die Mitglieder der Parteiführung gegeneinander zu hetzen. Insbesondere haben sie es darauf abgesehen, irgendwelche Differenzen zwischen dem Genossen Grotewohl und mir hervorzurufen Das wird nicht gelingen.

Deshalb möchte ich noch das eine sagen: Es ist notwendig, daß die Parteiführung fest und einheitlich zusammensteht. Wir werden alles tun, damit niemand imstande ist, irgendwie in der Parteiführung zu differenzieren oder etwa — wie das versucht wurde — zwischen dem Genossen Pieck, Grotewohl und Ulbricht zu differenzieren. Das wird ihnen nicht gelingen. Wir haben nur den einen Wunsch, daß nicht nur im Politbüro und zwischen uns dreien, sondern in jeder Bezirksleitung und in jeder Parteiorganisation der Kampf darum geführt wird, daß die Partei einheitlich und fest zusammensteht. Dann wird es uns gelingen, auf der Grundlage der Beschlüsse des ZK fest und eisern diesen Kurs durchzuführen. Dann werden in einigen Monaten die Feinde nicht mehr lachen, sondern dann wird die Bevölkerung Westdeutschlands sehen, welche positiven Folgen dieser Kurs auch für sie hat. (Lebhafter Beifall).

Das 15. Plenum des ZK der SED und die Schlußworte Ulbrichts geben einen Einblick in die inneren Machtverhältnisse der SED unmittelbar nach dem 17. Juni. Während des Aufstandes war die Position Ulbrichts schwach, die Mehrheit des Polit-Büros stand gegen ihn, aus Inhalt und Form seiner Rede ist ersichtlich, wie sein Einfluß in kurzer Zeit sich wieder verstärkt hat. Er beherrscht auf diesem Plenum die Lage und triumphiert über seine Gegner. Er wird nie gewillt sein, freiwillig abzutreten. Er unterwirft sich die Geheimpolizei; mit der Absetzung Zaissers will Ulbricht den Staatssicherheitsdienst nicht schwächen, sondern unter seine Kontrolle bringen.

Der Verlauf des 15. Plenums offenbart weiter die Prinzipienlosigkeit der Opposition im Politbüro. Obwohl sie anfangs in der Mehrheit für die Plattform Zaissers und Herrnstadts gestimmt hat, unterwirft sie sich bedingungslos dem Willen Ulbrichts, legt Reuebekenntnisse ab und läßt sich schulmeisterlich abkanzeln.

Durch die einstimmige Billigung der Ausführungen Ulbrichts durch die fast LOO Mitglieder des Zentralkomitees offenbart sich die fiktive politische Rolle dieses Gremiums, das tatsächlich die Führung der SED auszuüben hätte. Die Mitglieder des Zentralkomitees sind in ihrer Mehrheit Funktionäre der Bezirke. Von dort bringen sie eine genaue Kenntnis der Ursachen und Zusammenhänge des 17. Juni mit. Im ersten Schock des Aufstandes sind sie von der Schuld Ulbrichts und des Politbüros überzeugt. Auf den Funktionärkonferenzen in den Bezirken kommt diese Kritik immer wieder unwidersprochen zum Ausdruck. Noch zu Beginn des 15. Plenums ist sie Gegenstand vieler privater Gespräche der ZK-Mitglieder. Von dieser Opposition bleibt nichts als die Anerkennung der Legende Ulbrichts, der 17. Juni sei das Werk westlicher Agenten und Provokateure. Dieses Verhalten eines politischen Spitzen-gremiums kennzeichnet sein mangelndes Verantwortungsbewußtsein ebenso wie seine politische und moralische Charakterlosigkeit.

Was denkt die Arbeiterschaft der Sowjetzone heute?

Bei einem Vergleich zwischen der Opposition der Arbeiterschaft damals und heute ergeben sich folgende Fragen:

Ist es dem System gelungen, das Vertrauen der Masse der Arbeiterschaft zu gewinnen? Sind die oppositionellen Kader durch den Terror nach dem 17. Juni vernichtet worden? Ist die Arbeiterschaft durch die Niederlage entmutigt worden? Durch welche Maßnahmen hat das System versucht, sich zu stabilisieren?

In Bezug auf die heutige Einstellung und Haltung der sowjetzonalen Arbeiterschaft zum System hat eine vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen veranlaßte Testbefragung unter geflüchteten Arbeitern aus volkseigenen Betrieben aufschlußreiche Ergebnisse gezeitigt. Bei Anwendung besonderer, tiefenpsychologischer Methoden, die eine Irreführung ausschließen und durch Kontrollen bestätigt wurden, ergab sich als wesentliches Resultat, daß es dem Stalinismus nicht gelungen ist, sich eine Basis in der Arbeiterschaft zu schaffen. Gleichzeitig fanden sich differenzierte sozialistischen Tendenzen, die vom System induziert, deren Zielsetzung jedoch gegen das System gerichtet sind.

Trotz aller Parteipropaganda bestimmt die wirtschaftliche Notwendigkeit des Geldverdienens nach wie vor das Verhältnis zur Arbeit:

Verhältnis zur Arbeit Geld verdienen, Familie ernähren usw. 95 °/o (rein wirtschaftlicher Anreiz)

Ideologische Arbeitsmotive 48 °/o Beruflicher Ehrgeiz 24 °/o

Druck, Zwang 11 °/o Liebe zum Beruf, um der Arbeit willen 9 °/o Soziale Kontrolle (weil Ehrgeizige die Norm hochtreiben) 4 % 191 °/o*J *) über 100, da Mehrfachnennungen Der Versuch, gegen den bewußtseinsbildenden Tatbestand der wirtschaftlichen Ausbeutung durch das System ein . sozialistisches Bewußtsein'im stalinistischen Sinne zu schaffen, ist gescheitert. Der Arbeiter fühlt sich im volkseigenen Betrieb wie folgt:

5 % Mitbesitzer 1 °/o später vielleicht Mitbesitzer 51 °/o bezahlter Arbeiter 43 °/o Ausgebeuteter 100 0/0 Die Arbeitsnorm wird von 5 5 °/o der Arbeiter scharf abgelehnt, 100/0 beurteilen sie im Prinzip gut, halten sie aber für schlecht ausgeführt, 10 °/o bejahen das Normsystem.

Trotz der Ablehnung des Systems durch die erdrückende Mehrheit der Arbeiterschaft ist die Einstellung zum Eigentum durch nichtstalinistische sozialistische Bewußtseinskategorien charakterisiert. Die Masse der Arbeiterschaft ist gegen den Stalinismus, aber für eine ganz oder teilweise sozialisierte Industrie. Einstellung der Befragten zum Eigentum Marxistische Haltung Radikal-ntarxistiscJi ('Volkseigentum SED) 17 % Gemäßigt-marxistisdt: Verstaatlichung mit Zugeständnissen an das Privateigentum 25 °/0 Dualistische Wirtschaftsordnung;

Grundstoffindustrien sozialisiert, privater Sektor 29 °/o Marktwirtschaft mit staatlichem Sektor 149/ 0 Extrem-liberalistische Parteien 8% nicht auswertbare Fälle 7°/0 100 0/0 Das Ergebnis der Befragung über die Ideologie der Arbeiterschaft ergibt ein ähnliches Resultat wie die Eigentumsbefragung: der Effekt von mehr als einem Jahrzehnt intensiver stalinistischer Schulung und Propaganda ist sichtbar, aber er richtet sich letztlich gegen das System.

Ideologische Grundhaltung der Befragten Ganz oder überwiegend marxistisch eingestellt...................... 35 °/o davon: überzeugte Kommunisten, durchgängiger Glaube an die marxistische Ideologie........................................ °/o unreflektierte Träger der kommunistischen Ideologie; gelegentliches „Ausbrechen . .

. 12% überwiegend, aber nicht bewußt marxistische Gedankengänge ................................................. 17 % teilweise, aber nicht überwiegend marxistische Haltungen . . 26 % von marxistisd'ier Ideologie frei, unreflektierte westliche bis bewußt antikommunistisdte Haltungen............................................. 35 % nicht auswertbare Fälle................................................................. 4 % 100 % Als Ergebnis einer Reihe von Fragen fanden die Untersucher etwa 15 % „wirkliche Kommunisten“ unter den Arbeitern der Zone, davon etwa die Hälfte Nationalkommunisten. Darüber hinaus fanden sich kommunistische Ideologie und vor allem Terminologie in einer Mischung von Verstandenem und Unverstandenem weit verbreitet.

In einem scheinbaren Widerspruch zu diesen Ziffern steht das Resultat der Umfrage über die Einstellung der Arbeiter zur SED.

Herhältnis der Arbeiterschaft zur SED (Querschnitt aus allen Äußerungen)

In der Mehrheit positiv zur Partei, SED wird anerkannt . . . 22 % In der Mehrheit Achtung vor der Partei, keine Schwierigkeiten, keine Spaltung im Betrieb.................................................. 25 % Teils Schwierigkeiten — teils . nidit Gleichgültigkeit gegenüber der Partei....................................................................................... 8 % Mehr Schwierigkeiten als gute Zusammenarbeit, Ablehnung . 21 % Zusammenarbeit und zwisdienmensddiche Beziehungen ............................................. 24 % sddedtt, Ablehnung Haß und extreme 100 0/0 Die beiden ersten, für die SED positiven Ziffern sind nur aus den Besonderheiten der Betriebssituation zu erklären. Die SED repräsentiert sich für den Arbeiter in dem kleinen Funktionär, der häufig, gleich ihm selbst, Arbeiter ist. Er kennt ihn meist seit langem, schätzt ihn häufig persönlich und fühlt sich ihm als Kollege verbunden. Die Anerkennung dieser kleinen Funktionäre, die am 17. Juni zu einem Teil gemeinsame Sache mit den Streikenden gemacht und sich zum anderen Teil wohlwollend neutral verhalten haben, bedeutet nicht die Anerkennung des stalinistischen Apparates. In den Großbetrieben, die — wie Leuna — eigene Kreisleitungen darstellen, ist die „Anerkennung“

der SED nicht einmal identisch mit einer „Anerkennung“ der hauptamtlichen Funktionäre dieser Kreisleitung.

Die „Errungenschaften“

Bei der Beurteilung, ob es dem System gelungen ist, nach dem Arbeiteraufstand 195 3 seine Lage wieder zu stabilisieren, spielen die sogenannten „Errungenschaften" eine beachtliche Rolle. AIs „Errungenschaften“ wurden von den Befragten weniger die von der SED propagierten „Volkseigene Betriebe“, „die Schaffung des Arbeiter-und Bauernstaates“ usw. bezeichnet. Genannt wurden vielmehr soziale Einrichtungen, die sich unmittelbar als persönliche Vergünstigungen ausweisen.

AIs „Errungenschaften“ wurden u. a. genannt:

Hygienische Fürsorgemaßnahmen Gesundheitswesen.............................................................................. 11 % Polikliniken ................................................................................... 18 % Erholungsheime, Kurheime, Sanatorien............................................. 28 % Berufliche und betriebliche Fürsorge Lohnausgleich bei Krankheiten........................................................ 28 % Kinderheime, Krippen, Kindergärten im Werk............................. 36 % Fürsorge in Freizeit und Urlaub Klubhaus, Kulturhaus........................................................... . 26 % FDGB-Urlaubsheime, Feriendienst.................................................. 22 % Kinderferienplätze............................................................................. 21 % Sportplatzbau, Sportunterstützung............................................ 8 % Von den Befragten wurden noch zahlreiche andere Einrichtungen benannt, von denen viele im Westen als selbstverständlich gelten. Seit 195 3 hat das System in seinem eigenen Interesse versucht, eine wenn auch bescheidene Hebung des Lebensstandards zu erreichen. Dennoch resultiert daraus keine Anerkennung des Systems durch die Arbeiterschaft. Der Anteil der Stalinisten in der Arbeiterschaft beträgt etwa 6 bis 7, 5 %, er ist keine Legitimation für die Herrschaft des stalinistischen Apparates und seinen Machtanspruch. Die Statistik beweist, daß die Mehrzahl der Arbeiterschaft in sozialistischen und gemeinwirtschaftlichen Kategorien denkt, das gemeinschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln bejaht, aber die Arbeits-und Lohnpolitik des Stalinismus als Ausbeutung empfindet. Sie hat — das ergibt sich eindeutig — keine innere Beziehung zum „Volkseigentum“, da sie keine Mitbestimmung besitzt.

Andererseits ist es dem System gelungen, eine Reihe von sozialen und fürsorgerischen Maßnahmen auszubauen, die nach der Statistik von der Arbeiterschaft als „Errungenschaften“ empfunden und positiv bewertet werden.

Diese Bejahung bedeutet jedoch nicht, daß die Opposition gegen das System sich vermindert hätte, sie hat sich im Gegenteil verschärft. Die Befreiung von den täglichen Sorgen um das Existenzminimum ermöglicht den Arbeitern, über das System und seine LIngerechtigkeiten nachzudenken. Die Opposition wird deshalb bewußter, sie erhält ein höheres ideologisches Niveau. Die Revolution in Polen und LIngarn und die bestehende LInfreiheit in der „DDR“ haben diesen Prozeß beschleunigt. Die unzulänglichen Teilkonzessionen des Systems (45-Stundenwoche, vorübergehende Lockerung der Diskussionsfreiheit usw.), das Hin-und Herschwanken zwischen Zugeständnis und Härte erscheint der Arbeiterschaft als Beweis für Schwäche und Unsicherheit und ermutigt sie zum Widerstand. Die Einschränkung der Macht der Geheimpolizei hat zwar die Furcht nicht beseitigt, aber doch so reduziert, daß an der Basis freiere Diskussionen möglich sind. Aus ihnen erwächst die bewußte oppositionelle Konzeption der Arbeiterschaft, die 19 5 3 fehlte und die die Zerstörung des Systems zum Ziel hat.

Die unter dem Druck der Entwicklung erfolgte Entlassung zahlreicher politischer Häftlinge, unter denen sich auch Streikende des 17. Juni befanden, hat das antistalinistische Klima in den Betrieben verschärft; erfahrene Kader des Aufstandes, von denen nicht anzunehmen ist, daß sie im Zuchthaus zu Anhängern des Stalinismus geworden sind, sind wieder in die Produktion zurückgekehrt.

Parallel zur Opposition der Arbeiterschaft hat sich, beschleunigt durch die Ereignisse in Polen und LIgarn, auch eine Opposition in der Intelligenz der „DDR" entwickelt, deren Bestrebungen auf eine Neugestaltung des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens der Sowjetzone zielt. Sie erstrebt die Verwirklichung der Prinzipien geistiger und kultureller Freiheit, die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes und der Geheimjustiz, die Durchführung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter in den Betrieben, die Auflösung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Diese Intelligenz hat echte Beziehungen zu den Arbeitern und Bauern. Die Forderung des inzwischen geflohenen Landwirtschaftsexperten der SED, Kurt Vieweg, nach Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und Maschinenausleihstationen, nach Schaffung von privaten landwirtschaftlichen Familienbetrieben hat große Resonanz in der Bauernschaft gefunden. Die Forderungen der Arbeiter und Bauern selbst finden damit in dem Programm der Opposition ihren Niederschlag. In der SED erstreben sie die Entmachtung des stalinistischen Apparates und die Reorganisierung der Partei auf antistalinistischer Basis. Es bleibe dahingestellt, ob die hier wiedergegebene Konzeption für die gesamte oppositionelle Intelligenz als verbindlich betrachtet werden kann. In jedem Fall aber charakterisiert sie die Auffassung eines breiten Teiles der jungen Intellektuellen. Wie gefährlich aber diese Auffassungen für den Bestand des Systems sind, ergibt sich aus der Tatsache, daß Professor Wolfgang Harich in einem nichtöffentlichen Gerichtsverfahren zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

Die Plattform Harichs -eine Konzeption der oppositionellen Intelligenz

1. Wer sind wir?

Wir sind eine Gruppe von SED-Funktionären, die über eine breite bewußte und über eine noch breitere unbewußte Anhängerschaft verfügt. Diese Anhängerschaft hat sich besonders aus den Kulturinstitutionen der DDR herausgebildet, aus Universitäten. Hochschulen, Zeitungsredaktionen, Verlagen und Lektoraten.

Wir lernten besonders aus den Beschlüssen des XX. Parteitages der KPdSU und aus unseren Kontakten mit ausländischen Genossen. Durch persönliche Diskussionen mit polnischen, ungarischen und jugoslawischen Genossen wurden wir in der Richtigkeit unserer Auffassungen bestätigt. Besonderen Einfluß'hat auf unsere ideologische Entwicklung der Genosse Georg Lukacs genommen.

Bertolt Brecht hat mit unserer Gruppe bis zu seinem Tode stark sympathisiert und in ihr die gesunden Kräfte der Partei gesehen. In unseren häufigen Diskussionen mit Bertolt Brecht konnten wir feststellen, wie verbittert er über die bestehenden Zustände in der DDR war.

In unserer Gruppe fand ein langer ideologischer Klärungsprozeß statt, der seinen Anfang kurz nach Stalins Tod nahm und durch den 17. Juni 195 3 stark beschleunigt wurde. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU haben wir eine Plattform über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus ausgearbeitet und wollten sie in der Partei diskutieren.

Wir haben versucht, diese Plattform an die Parteiführung heranzutragen. Aber wir wurden abgewiesen und überhaupt nicht empfangen. Fred Oelßner, Paul Wandel und Kurt Hager ließen uns in ihren Vorzimmern abfertigen, ohne sich über unser Anliegen zu informieren und ohne unsere Plattform entgegenzunehmen.

Daraufhin sahen wir uns gezwungen, dem sowjetischen Botschafter in der DDR — Genossen Puschkin — unsere Plattform zu überreichen, um sie auf diesem Wege an unsere Parteiführung heranzutragen.

Wir sind der Meinung, daß unsere politische Plattform als Grundlage einer Diskussion über die Erneuerungen der Partei dienen kann. Wir haben nicht die Absicht einen Bruch mit der Kommunistischen Partei herbeizuführen. Wir wollen keine Renegaten werden wie beispielsweise der Exkommunist Arthur K o e s 11 e r. Wir wollen nicht mit dem Marxismus-Leninismus brechen; aber wir wollen ihn vom Stalinismus und vom Dogmatismus befreien und auf seine humanistischen und un-dogmatischen zurückführen.

Wir wollten unsere Konzeption vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus und unsere Plattform eines vom Stalinismus befreiten Marxismus-Leninismus vollkommen legal in der Partei und in der DDR diskutieren und verwirklichen.

Diese Legalität findet aber dort ihre Grenze und ihr Ende, wo die gegenwärtige Parteiführung den Boden der Legalität verläßt. Nach unserer Meinung hat die Parteiführung diesen Boden der Legalität bereis verlassen. Ausdruck dafür war die 3. Parteikonferenz der SED mit ihrer Verniedlichung des XX. Parteitages der KPdSU. Ausdruck dafür ist ferner das Verhalten unserer Parteiführung gegenüber den Ereignissen in Polen und Ungarn. Man geht in unserer Partei trotz gegenteiliger offizieller Behauptungen systematisch zum Personenkult zurück.

Man würgt in unserer Partei die Diskussionen ab, knebelt die Presse und bezeichnet vollkommen unmarxistisch jede Unzufriedenheit der Arbeiter als das Werk imperialistischer Agenten. In einer solchen Situation darf die Parteidisziplin nicht Selbstzweck werden. Wir haben in Karl Liebknecht unser Vorbild, der 1914 und 1918 die Parteidisziplin brach, um die Partei zu retten.

Wenn wir daher mit unserer gegenwärtigen Parteiführung brechen, so bedeutet dieser Bruch keinen Bruch mit der Kommunistischen Partei; denn eine Parteiführung ist niemals identisch mit der Partei. Wir haben auch nicht die Absicht, die DDR im Stich zu lassen, und uns als Bürger der DDR der Verantwortung für den augenblicklich herrschenden Zustand in der DDR zu entziehen.

Wir haben alle schuld an der Situation, wie sie von unserer Partei in der DDR herbeigeführt worden ist. Darum haben wir jetzt auch die Pflicht, diese Situation in unserem Sinne zu ändern und für eine solche Änderung zu kämpfen.

Darum ist es auch unsere Pflicht, von unserer Seite her eine neue Haltung gegenüber der SPD einzunehmen; denn die SPD ist die stärkste Arbeiterpartei Deutschlands und hat in Westdeutschland die Einheit der Arbeiterklasse verwirklicht.

Wir sind mit der SPD in vielen Punkten nicht einverstanden. Das sind vor allen Dingen die in der SPD vorhandenen bürgerlich-demokratischen und teilweise auch opportunistischen und revisionistischen Tendenzen. Aber wir sind mit der SPD in den zentralsten Fragen einverstanden. Aus dieser Übereinstimmung in den zentralsten Fragen ergibt sich auch die Möglichkeit zur Überwindung der Spaltung Deutschlands.

2. Unsere theoretisch-ideologische Konzeption Wir sind der Ansicht, daß der Kapitalismus in Westeuropa seinem Ende zugeht und historisch überlebt ist. Wir sind der Ansicht, daß der Sieg des Sozialismus in Westeuropa unvermeidlich ist. Wir glauben aber nicht, daß der Sieg des Sozialismus in Westeuropa durch eine Revolution herbeigeführt werden muß. Wir glauben, daß der westeuropäische Sozialismus den Kapitalismus in friedlicher Weise ablösen wird.

Wir sind der Ansicht, daß dieser Umwandlungsprozeß des Kapitalismus in den Sozialismus in Westeuropa nicht überall unter der Führung der Kommunistischen Partei vor sich gehen wird, sondern daß in vielen Ländern die Kommunisten diesen Prozeß überhaupt nicht werden leiten können.

Der Sozialismus ist ein objektiver Prozeß und nicht an den Namen einer Partei gebunden, die sich mit dem Sozialismus identifiziert. Wir sind der Meinung, daß in Westdeutschland nur die SPD den Sozialismus verwirklichen kann, weil die Kommunisten in Westdeutschland jeglichen Einfluß auf die westdeutsche Arbeiterklasse verloren haben.

In England kann der Sozialismus aus den gleichen Gründen nur durch die Labour Party verwirklicht werden. In Italien nur durch die linken Sozialisten.

In einem wiedervereinigten Deutschland kann nur die SPD im Bündnis mit den echten sozialistischen Kräften in der SED den Sozialismus errichten oder, worauf wir noch später kommen werden, eine neue sozialistische Partei der deutschen Arbeiterklasse, hervorgegangen aus der Verschmelzung der SPD mit einer reformierten SED, die die Stalinisten aus ihren Reihen entfernt hat.

Für Deutschland lehnen wir den ausschließlichen Führungsanspruch einer Kommunistischen Partei ab, weil eine derartige sektiererische Konzeption nicht der real existierenden Situation in Deutschland gerecht wird und zum Scheitern verurteilt ist.

Die realen Möglichkeiten für eine sozialistische Entwicklung in Europa sehen wir in folgendem:

Im Osten Europas sind Wirtschaftsstrukturen enstanden, die bei einer radikalen Reform und Überwindung ihrer Entartung geeignet sind, in den östlichen Ländern eher den Sozialismus zu verwirklichen, als dies in den westeuropäischen Ländern mit ihren überwiegend kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen möglich sein wird.

Eine radikal entstalinisierte östliche Wirtschaftsstruktur in der UdSSR und in den Volksdemokratien wird im Verlaufe der weiteren Entwicklung den kapitalistischen Westen allmählich beeinflussen.

Gleichzeitig wird der Westen den Osten mit demokratischen und freiheitlichen Ideen und Auffassungen beeinflussen und den Osten zwingen, sein totalitäres und despotisches politisches System Schritt für Schritt abzubauen.

In dieser wechselseitigen Beeinflussung und Durchdringung sehen wir die Verwirklichung einer echten Koexistenz, die dem Osten politische Freiheit und Demokratie und dem Westen Wirtschaftsstrukturen bringen wird, die er zumindest für seine Grundstoffindustrie übernehmen muß.

Diesen Prozeß wollen wir in der DDR beschleunigen, um damit den Gegensatz Ost-West abzuschleifen und zu einem friedlichen Zusammenleben in Europa zu kommen. Unser Verhältnis zur UdSSR wird durch folgende Überlegungen bestimmt:

Wir sehen in der UdSSR den ersten sozialistischen Staat der Welt. An dieser Tatsache konnte auch der Stalinismus nichts ändern. Der sowjetische Sozialismus kann jedoch nicht vorbildlich für alle Länder sein und ist es selbst im Innern der UdSSR nicht mehr. Er ist in seiner heutigen Form zu einem Hemmnis für eine weitere sozialistische Entwicklung der UdSSR geworden.

Diese Formen des sowjetischen Sozialismus waren für eine ganze historische Epoche unvermeidlich und erwuchsen aus der Rückständigkeit Rußlands, aus seinen fehlenden demokratischen Traditionen, aus dem Überhandnehmen des Partei-und Staatsapparates über das öffentliche Leben und aus dem Bestreben, den Westen in seiner industriellen Entwicklung schnellstens einzuholen und zu überholen.

Die forcierte Industrialisierung in der UdSSR war historisch notwendig, und Trotzki hatte in dieser Frage gegenüber Stalin unrecht. Trotzki hatte aber gegenüber Stalin recht in Frage, daß die Methoden und Formen der Industriealisierung in der UdSSR zur Entartung der bolschewistischen Partei und des Sowjetstaates führen müssen. Diese Entartung des Sowjetstaates und der KPdSU hat zur Kritik des XX. Parteitages an den Methoden und Formen des Stalinismus geführt.

Polen gab uns das Beispiel Chruschtschows Stalinkritik war aber keine marxistische Analyse und berührte nicht die Grundfragen der Entartung des Sowjetsystems. Sie berührte vor allen Dingen nicht die Grundfragen des Verhältnisses der UdSSR zu den Volksdemokratien.

Nach 1945 hat die Sowjetunion den Volksdemokratien gegenüber einerseits eine progressive Rolle gespielt. Das betrifft allen Dingen Fragen der die vor Zerschlagung des Kapitalismus und des Großgrundbesitzes in diesen Ländern. Andererseits übertrug die Sowjetunion nach 1945 ihre politischen Formen, die für die Sowjetunion selbst schon ein Hindernis geworden waren, auf die Volksdemokratien. Das ist die reaktionäre Rolle der UdSSR nach 1945 gegenüber den Volksdemokratien.

Es kam zur Ausbeutung der Volksdemokratien und zur Ignorierung ihrer Gleichberechtigung und nationalen Unabhängigkeit durch die Sowjetunion Heute ist es offensichtlich, daß die Politik der UdSSR gegenüber den Volksdemokratien restlos fehlgeschlagen ist. Dieses Fehlschlägen äußerte sich in der Zersetzung und Auflösung des sozialistischen Lagers.

Der Widerstand der Volksdemokratien gegen die Vorherrschaft der UdSSR ist Ausdruck des revolutionären Klassenkampfes der Volksmassen gegenüber dein stalinistischen Partei-und Regierungsapparat und seinen Methoden. Wo sich in diesem Klassenkampf die gesunden Kräfte der Partei an die Spitze setzen, führt dieser Kampf zur Überwindung der Entartung und zur Weiterentwicklung zum Sozialismus hin. Polen ist dafür der deutlichste Beweis.

Der stalinistische Apparat hat seit Stalins Tod gemerkt, daß es so nicht weitergeht und Konzessionen an die Volksmassen gewährt werden müssen. Ausdruck dafür waren der Malenkow-Kurs in der UdSSR und die Stalin-Kritik Chruschtschows. Der XX. Parteitag der KPdSU war der Versuch, die drohende Revolution von unten durch eine Revision von oben aufzufangen. Darum enthält der XX. Parteitag der KPdSU sowohl Elemente des Alten als auch Elemente des Neuen, die sich aber in der Praxis noch nicht durchsetzen konnten, weil der alte stalinistische Apparat erbitterten Widerstand leistet.

Gegenwärtig versucht die Sowjetunion die Entstalinisierung auf die Volksdemokratien genau so schematisch zu übertragen wie früher die Stalinisierung. Daraus entstehen Reibungen und Versuche, die Entstalinisierung in den Volksdemokratien auf eigene Weise zu lösen. Das zwingt die Sowjetunion wiederum, auf diese Versuche stalinistisch zu reagieren und zu typisch faschistischen Methoden zu greifen. Beweise:

Falsche Stellungnahme der UdSSR zum Togliatti-Interview nach dem XX Parteitag;

Zirkularbrief der KPdSU an alle kommunistischen Parteien über Jugoslawien;

Verhalten gegenüber Polen und Ungarn;

Aufrechterhalten des Stalinismus in der DDR.

Zu diesem Rückfall der Sowjetunion in den Stalinismus ist zu sagen, daß damit der Anspruch der UdSSR auf eine Führerrolle innerhalb des sozialistischen Lagers nicht mehr berechtigt ist, obwohl die UdSSR das stärkste sozialistische Land der Welt ist. Die gegenwärtige nationalistisch-stalinistische Position der KPdSU kann nur überwunden werden, wenn sie auf den XX. Parteitag und den Malenkow-Kurs zurückgezwungen wird.

3. Welches Programm haben wir für die SED und die DDR?

Aus der gegebenen Einschätzung der heutigen Situation ziehen wir für die SED und für die DDR folgende Schlußfolgerungen:

W’ir wollen die Partei von innen her reformieren. Wir wollen auf den Positionen des Marxismus-Leninismus bleiben. Wir wollen aber weg vom Stalinismus. Daraus ergibt sich für die Theorie des Marxismus-Leninismus:

Sie muß ergänzt und erweitert werden durch die Erkenntnisse Trotzkis und vor allen Dingen durch die Bucharins; sie muß ergänzt und erweitert werden durch die Erkenntnisse Rosa Luxemburgs und teilweise auch durch die Karl Kautskys. Ferner müssen wir das Wertvolle aus den Erkenntnissen Fritz Sternbergs und anderer sozialdemokratischer Theoretiker-in die Theorie des Marxismus-Leninismus übernehmen. Wir müssen die jugoslawischen Erfahrungen und Erkenntnisse in die Theorie des Marxismus-Leninismus mit aufnehmen und das Neue aus den theoretischen Diskussionen in den Ländern Polen und China, wobei besonders der VIII. Parteitag der chinesischen KP von besonderer Bedeutung ist.

Organisatorisch ergeben sich für unsere Partei folgende Maßnahmen:

Die Herrschaft des Parteiapparates über die Mitglieder muß radikal gebrochen werden.

Der demokratische Zentralismus muß nah den Prinzipien von Marx, Engels und Lenin in der Praxis unserer Partei wiederhergestellt werden.

Die Stalinisten müssen aus der Partei ausgeschlossen werden.

Folgende Reformen sind in der DDR notwendig:

Die Produktion muß auf die Erhöhung des Lebensstandards der Volksmassen umgestellt werden (Malenkow-Kurs); mit der Normentreiberei muß radikal Schluß gemäht werden.

In den sozialistischen Betrieben und im sozialistischen Handel muß die Gewinnbeteiligung eingeführt werden; für die Arbeiter muß die Alterspension ebenso gesetzlih eingeführt werden wie für die Intelligenz; es muß Schluß gemacht werden mit den Prämien für die Spitzenfunktionäre.

In allen sozialistishen Betrieben müssen Arbeiterräte nah jugoslawischem Vorbild eingeführt werden; die mittelständishe private Industrie muß gefördert und mit der volkseigenen Industrie gleichgestellt werden.

Mit der Zwangskollektivierung muß Shluß gemäht werden, weil sie nicht den besonderen Bedingungen Deutshlands entspriht; Auflösung der LGP, um eine Katastrophe in der landwirtshaftlihen Produktion zu verhüten; Entwicklung eines gesunden Klein-und Mittelbauerntums.

Wiederherstellung der völligen Geistesfreiheit: Schluß mit dem Kirchenkampf, der die Partei von den religiösen Schihten der Bevölkerung isoliert; Herstellung der Autonomie der Universitäten: völlige Herstellung der Rehtssiherheit in der DDR;

Auflösung des SSD und der Geheimjustiz.

Shaffung einer Regierungsform in der DDR durh ein erweitertes Blocksystem, an dessen Spitze eine reformierte SED steht; Wiederherstellung der völligen Souveränität des Parlamentes.

Aufstellung von Einheitslisten des Blockes mit mehreren Kandidaten bei den Wahlen, so daß die Bevölkerung wirklih eine Wahl vornehmen kann; die reformierte SED muß dabei an der Spitze bleiben; durchgreifende Entbürokratisierung der Verwaltung von oben nah unten.

Entwicklung einer Außenpolitik, die an dem Bündnis mit dem sozialistishen Lager bei Wahrung der völligen Unabhängigkeit und Gleihberehtigung festhält;

freie und unabhängige Beratungen notwendiger Maßnahmen und der gemeinsamen Politik mit den Genossen anderer volksdemokratischer Länder.

4. Unsere Meinung zur gesamtdeutschen Frage Wenn wir diese Reformen in der DDR durchführen und einen Lebensstandard schaffen, der zwar niht an den Lebensstandard Westdeutshlands heranreihen wird, aber eine grundsätzliche Verbesserung der Situation gegenüber der stalinistishen Ära darstellt, dann haben wir auh das Recht, Westdeutschland Bedingungen zu stellen. Als Grundsatz unserer gesamtdeutshen Politik gilt:

In einem wiedervereinigten Deutshland darf es nicht zu einer kapitalistishen Restauration kommen.

Bevor es zu einer Wiedervereinigung kommen kann, müßten in der westdeutshen Bundesrepublik durh eine zukünftige SPD-Mehrheit im Bundestag folgende Maßnahmen durhgeführt werden:

Rückgängigmachung der Remilitarisierung;

Entfernung von Fashisten und Militaristen aus den staatlichen Stellen in der Bundesrepublik;

Verstaatlichung der westdeutshen Schlüsselindustrie:

Aufteilung des Großgrundbesitzes, wo dieses volkswirtschaftlih und politisch notwendig ist;

Beseitigung des kapitalistishen Bildungsprivilegs in der Bundesrepublik;

Austritt Westdeutschlands aus der NATO.

Durch eine solhe Politik der SPD würden gesamtdeutsche freie Wahlen zur Tatsahe werden. In diesen Wahlen würden die restaurativen Kräfte in der Bundesrepublik und die Stalinisten in der DDR restlos isoliert werden.

Wir sind uns darüber klar, daß bei einer solchen Politik die SPD bei gesamtdeutshen freien Wahlen die Mehrheit in ganz Deutshland bekommen würde. Eine reformierte SED müßte diese Entscheidung des deutschen Volkes bedingungslos anerkennen und respektieren.

5. Über die Perspektiven einer zukünftigen Einheit der deutschen Arbeiterbewegung Voraussetzung für eine zukünftige Einheit der deutschen Arbeiterbewegung ist eine vom Stalinismus befreite SED, die in ihren Anshauungen und in ihrer Politik völlig unabhängig ist. Wenn wir die SED reformieren, so wäre eine reformierte SED nur noch eine linke marxistische Bewegung, die nihts mehr mit der KP alten Typus und ihrer verhängnisvollen Entartung gemeinsam hätte. Damit würde alles wegfallen, was einer Einheit der deutshen Arbeiterbewegung im Wege steht.

Da in Westdeutschland die Einheit der deutschen Arbeiterklasse durh die SPD verwirkliht worden ist, würde eine zukünftige einheitlihe deutsche Arbeiterbewegung zwangsläufig durh den größeren Einfluß der SPD mehr die Züge der SPD annehmen als die 'der reformierten SED; aber zweifellos würde diese künftige einheitliche deutsche Arbeiterbewegung stärker links orientiert sein, als die heutige SPD. Bevor wir jedoch an die SPD herantreten können, um ihr Forderungen zu stellen, müssen wir als SED Trennendes beiseitestellen.

Uns trennt von der SPD gegenwärtig zwar vieles (bürgerlih-demokratishe Illusionen, Tendenzen zum Opportunismus usw.), aber vor allem trennt uns von der SPD der Stalinismus. Darum muß sich die SED vom Stalinismus trennen, bevor eine Zusammenarbeit mit der SPD wirklich ehrlich möglich werden kann.

Erst wenn wir uns von unseren Fehlem trennen, können wir die Fehler der SPD kritisieren, wobei jedoh ein für allemal Schluß gemäht werden muß mit der Diffamierung der SPD als kapitalistishe Agentur.

Der erste Schritt zur Zusammenarbeit mit der SPD muß gegenwärtig sein:

Konspirative Zusammenarbeit der oppositionellen SED-Genossen mit der SPD zur Bekämpfung des Stalinismus, damit die ehrlihen und gesunden Kräfte der SED die SED von innen her erobern können.

Wenn das gelungen ist, dann können offizielle Kontakte zwischen der SPD und der reformierten SED ausgenommen werden. Daraus könnten sih die Keime einer zukünftigen Einheit zwishen der SPD und der reformieren SED entwickeln, wobei bei einer Einheit keine Partei die andere schlucken darf.

Stalinisten, die sih bis zuletzt an den Verbrehen der Ulbricht-Gruppe beteiligt haben, dürfen niht in die neue Arbeiterpartei ausgenommen werden, sondern nur solhe Kräfte, die aktiv gegen die stalinistishe Entartung der SED gekämpft haben. 6. Unsere gegenwärtige Taktik Gegen uns steht der stalinistische Partei-und Staatsapparat. Gegen diesen reaktionären Apparat müssen wir mit ganzer Kraft kämpfen. Die Grundlagen unserer oppositionelllen Arbeit sind das Parteistatut der SED, der XX. Parteitag der KPdSU und die Beschlüsse des 2 8. Plenums des ZK der SED. Wir wollen auf dieser Grundlage unsere oppositionelle Arbeit vollkommen legal betreiben; aber wir greifen auch zur Methode der Fraktionsbildung und der Konspiration, wenn uns der stalinistische Apparat dazu zwingt.

Wir nehmen Verbindung zu oppositionellen Kräften in den Volksdemokratien auf, um gegenseitig unsere Erfahrungen auszutauschen.

Die oppositionellen SED-Genossen müssen enge Kontakte zur Bevölkerung in der DDR herstellen, die Politik der Parteiführung in der Bevölkerung kritisieren, die Kluft zwischen Bevölkerung und gegenwärtiger SED-Führung vertiefen aber gleichzeitig einen Volksaufstand in der DDR verhindern. Die Gefahr eines Aufstands der Bevölkerung in der DDR wäre nur gegeben, wenn die stalinistische Ulbricht Gruppe weiterhin an der Spitze unserer Partei bleiben würde und es den oppositionellen Kräfte in der SED nicht gelänge, die Stalinisten aus der Parteiführung zu entfernen.

Wenn uns jedoch die Reformierung der SED auf der Grundlage der vorliegenden Plattform von innen her gelingt, dann wird es keinen zweiten Volksaufstand in der DDR geben. Das verpflichtet uns, alle unsere Kräfte einzusetzen, um die Partei von den Stalinisten zu säubern und durch eine veränderte Politik das Vertrauen der Arbeiterklasse und des gesamten Volkes wiederzugewinnen.

Schlußfolgerungen

Der Zerfall der Stalinismus in der Sowjetzone vollzieht sich — wie im ganzen Ostblock — gleichermaßen auf der ökonomischen wie der ideologischen Ebene. Seit dem 17. Juni 195 3 sind vier Jahre vergangen, aber es ist der SED nicht gelungen, die Ursachen, die den Aufstand bewirkt haben, zu beseitigen. Die Opposition der Arbeiter und Bauern gegen das System besteht unvermindert fort, die der Intelligenz hat sich neu entwickelt und die Parteikader in einen ideologischen Destruktionsprozeß einbezogen. Neben den inneren Ursachen sind auch äußere Einflüsse wirksam. Das IX. Plenum der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei hat die entscheidenden Errungenschaften der polnischen Oktoberrevolution, Arbeiterräte und Auflösung der Kolchosen, stabilisiert. Die Dezentralisierung der Industrie in der Sowjetunion hat die Frage nach einer ähnlichen Reform in der „DDR" aufgeworfen. Sie würde für den zentralistischen Apparat der SED eine wesentliche Macht-und Prestige-minderung bedeuten. Zweifellos werden die Elemente dieser Entwicklung nicht ohne Einfluß auf adäquate Tendenzen in der „DDR“ bleiben.

Auch der Einfluß des Westens ist unvermindert. Die SED sieht sich gezwungen, Studentenschaft und FDJ, der jungen Elite des Systems, Reisen nach Westdeutschland zu verbieten. Das System ist in der Defensive. Seine endgültige Destruktion würde die Sowjets der einzigen Voraussetzung berauben, unter der die Spaltung Deutschlands fortzuführen ist. Sozialistische, sozialdemokratische und bürgerliche Strömungen müssen in ihrem Kampf gegen den Stalinismus zu einer Aktionseinheit formiert werden, zu einer Volksfront gegen den Stalinismus, wie sie am 17. Juni 1953 bereits beispielhaft bestanden hat.

Anmerkung Staatsrat Dr. Theodor Eschenburg, Professor für wissenschaftliche Politik an der Universität Tübingen, geb. 24. 10. 1904 in Kiel.

Fussnoten

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